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In Würde sterben

Der Weg des Sterbens – Sterbebegleitung – Sterbehilfe – Schmerztherapie – Hospizarbeit - Patientenverfügung

 

Arbeitshilfe für das Gespräch in Kirchgemeinden, Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Bildungsstätten

 

Hrsg.: Diakonisches Werk Sachsen, 2. Auflage Oktober 2004
Bearbeitung: J.Krause ab 2005

 

Bestellungen:

Bezugsadresse: Joachim Krause, Hauptstr. 46, 08393 Schönberg, Tel. 03764-3140, Fax. 03764-796761, E-Mail: krause.schoenberg@t-online.de

Bestellung auch für größere Stückzahlen möglich

Kosten: 2,30 €uro je Heft plus Porto

Die Originalausgabe der Broschüre, herausgegeben vom Diakonischen Werk in Sachsen, ist inzwischen vergriffen.
Lieferbar ist eine im Inhalt gleiche Fassung, die inzwischen sparsam aktualisiert wurde (A4 – 55 Seiten) – Bezugsmöglichkeiten HIER klicken

 

 

Inhalt

 

Einführung ..................................................................................................................................................         3

1.  Sterben gehört zum Leben ...................................................................................................................       4

2.  Wer ist der Mensch – im Leben und im Sterben? - Überlegungen aus theologischer Sicht ...............        6

3.  Was geschieht, wenn ich sterbe? - Der Prozess des Ster­bens aus medizinischer und
     sozialwissenschaftlicher Sicht .................................................................................................................         7

4.  Ich kann nicht leben - ich will nicht sterben - Der Weg des Sterbens aus seelsorgerlicher Sicht……..          10

5.  Komm, sanfter Tod - Der Wunsch nach Ster­behilfe ..............................................................................       14

6.  Lass mich sterben - Passive Sterbehilfe ..............................................................................................         15

7.  Hilf mir sterben - Beihilfe zur Selbst­tötung ...........................................................................................   17

8.  Ich will jetzt sterben - Aktive Sterbehilfe .............................................................................................          19

9.  Mein Schmerz ist unerträglich - Schmerztherapie und indirekte Sterbehilfe .......................................        24

10. Wird jemand bei mir sein, wenn ich sterbe? -
      Möglichkeiten der Begleitung Sterbender durch Hospizarbeit und Palliativmedizin ................................      26

11. Ich möchte zu Hause sterben - Betreuung Sterbender in ihrer vertrauten Umgebung .......................    30

12. Kann ich getrost sterben? ..................................................................................................................        33

13. Ich möchte bestimmen, was mit mir geschieht -
      
Betreuungsverfügung, Vorsorge-Vollmacht, Patienten­verfügung ..........................................................        37

14. Texte und Bausteine für Veranstaltungen ...........................................................................................   45

15. Quellen und weiterführende Literatur ................................................................................................       51

16. Anhang: Musterformulare/Bausteine für Betreuungsverfügung, Vorsorge-Vollmacht und
      Patientenverfügung         ……………………………………………………………………………………………         53

 

 

 

Einführung

 

„Viele Menschen machen sich Sorgen über die letzte Phase ihres Lebens. Sie fragen sich: Wie wird es mit mir zu Ende gehen? Werde ich einmal zu Hause sterben können oder wird man mich ins Krankenhaus bringen? Werden dann Menschen bei mir sein, mir beistehen und Kraft geben? Werde ich unerträgliche Schmerzen haben? Oder nur noch ohne Bewusstsein vor mich hindämmern? So schwer solche Fragen sind, es ist gut, ihnen nicht auszu­weichen. Denn zum ver­antwort­lichen Leben gehört auch das Bedenken des Todes und das Annehmen der eige­nen Sterblich­keit ... In den letzten Jahrzehnten ist das Sterben zu Hause im Kreis der Familie, der Angehörigen und Nachbarn sel­ten geworden. Die weit­aus meis­ten Menschen sterben in Alten- oder Pflegeheimen und Kran­kenhäusern. Dort wird ihnen eine fachkundige medizinisch-pflege­rische Betreuung zuteil, wie sie in früheren Jahr­hunderten unbekannt war. Der wachsende Fort­schritt der me­dizini­schen Möglichkeiten wirft aber auch Fragen auf, die sich früher so nicht ge­stellt haben. Viele Menschen fragen, ob die Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Me­dizin am Ende wirklich zu einer Ver­besserung der Lebensqualität beiträgt oder ob sie nur einen belas­tenden Ster­beprozess verlängert.“

Mit diesen einleitenden Sätzen nimmt sich die „Christliche Patientenverfügung“ (2.Auflage 2003) eines wichtigen Themas an: das Sterben als die letzte Phase auch in meinem eigenen Dasein nicht zu verdrängen, sondern sich ihm bewusst zu stellen und gezielt darauf vorzube­reiten.

Aber über die Ermutigung hinaus, Vorsorge für das eigene Lebensende zu treffen, werden in unserer Gesellschaft noch weitere Fragen heiß diskutiert: Was heißt es konkret, Menschen im Sterben zu helfen? Meint „Sterbehilfe“ das Geschehen­las­sen des Sterbens und Linderung von Schmerzen und anderen Beeinträchti­gun­gen für den Sterbenden, wie das in der hospizlichen Sterbebegleitung und in der Palliativmedizin geschieht? Oder ist auch „ak­tive“ Sterbehilfe eine Tat der Nächstenliebe: Darf das unerträgliche Leid eines Patienten auf seinen ausdrück­lichen Wunsch durch di­rektes Eingreifen abgekürzt werden? Das Spektrum der Meinungen ist sehr breit, die Vielzahl der Fachbegriffe und Argumente manchmal mehr verwirrend als erhellend.

Wir möchten mit diesem Heft grundlegende Informationen zu Sach­fragen wie auch zu ethischen Fragestellungen ver­mitteln in der Hoffnung, dass dadurch eine breite Öffentlichkeit in die Lage versetzt wird, sich selbst eine Mei­nung zu bilden. Dabei werden auch „amtliche“ Stellungnah­men aus Kirche und Diakonie als mög­liche Orientie­rungshilfen vor­gestellt (siehe dazu Auszüge aus Dokumenten und weiterführende Quellenangaben in den Kapiteln 14. und 15.).

 

Oberkirchenrat

Jochen Bohl

Direktor

 

 


 

1. Sterben gehört zum Leben

 

Sterben gehört zum Leben!

Dieser Satz klingt paradox, und doch ist er wahr. Das Thema Tod ist allgegen­wärtig. Das nebenstehende Bild zeigt einen ganz profa­nen Gegenstand, einen Hand­tuchhalter aus dem 16. Jahrhun­dert. Bei ganz alltäglichen Verrichtungen begeg­neten damals Menschen ihrem Spiegelbild, in dem Leben und Tod nur durch eine dünne Haut getrennt sind – Anlass zu Nachdenklich­keit.

Auch in unserem Alltag gehören Leben und Sterben untrennbar zusammen. Wenn ich zum Bei­spiel im Nachrichtenblatt von Kirch­gemeinden blättere, finde ich die Namen von Kindern, die mit der Taufe am Anfang ihres Lebens stehen, neben den Na­men von Menschen, deren Leben nach 70 oder 80 Jahren an sein natür­li­ches Ende gekommen ist.

Dass Sterben zum Leben gehört, war aber in früheren Zeiten wohl stärker im Be­wusstsein der Menschen, begegnete ihnen der Tod doch viel früher – mitten im Leben! - direkter und häufi­ger als uns.

Die Bibel nimmt solche Erfahrungen auf, sie weiß, dass viele Far­ben das Leben eines Men­schen bestimmen, und da gehört das Sterben als die wichtige letzte Phase ganz normal in den Lebens­kreis mit hinein.

 

Ein jegliches hat seine Zeit,
und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde:
geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit,
weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit,
klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit,
suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit,
behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit,
schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit ...
(Die Bibel, aus dem Buch Prediger 3,1-7)

 

Auch die Lieder in unserem Gesangbuch sind ein Stück weit Spiegelbild der Tra­ditionen christli­chen Denkens. Das Lied „Aus meines Herzens Grunde“ (der Text stammt aus dem Jahr 1592) steht nicht in der Rubrik „Sterben und Tod“, sondern unter „Morgenlieder“. Und man spürt die Aufbruchsstim­mung, das Durchatmen, die Dankbarkeit für die zu­rückliegende Nacht, die Neu­gier auf den neuen Tag mit seinen Herausforderungen. Aber dann, in der dritten Strophe, die Angst, die Bitte, dass ich bewahrt bleiben möge vor dem „bösen, schnellen Tod“.

Noch deutlicher wird die Aufforderung, die Fragen von Sterben und Tod an sich heranzulassen, in dem Lied: „Wer weiß, wie nahe mir mein Ende ...“

 

Wer weiß, wie nahe mir mein Ende!
Hin geht die Zeit, her kommt der Tod;
ach wie geschwinde und behände
kann kommen meine Todesnot.
Mein Gott, mein Gott,
ich bitt durch Christi Blut:
Machs nur mit meinem Ende gut.

Es kann vor Nacht leicht anders werden,
als es am frühen Morgen war;
solang ich leb auf dieser Erden,
leb ich in steter Todsgefahr ...

Lass mich beizeit mein Haus bestellen,
dass ich bereit sei für und für ...

(Worte 1686 – Evangelisches Gesangbuch Nr.530)

 

Der Tod gehört zum Leben. Und dennoch haben Menschen zu allen Zeiten ver­sucht, diesen schmerzlichen Aspekt ihrer Wirklichkeit zu verdrängen. Gebete und Lieder versuchten zu mah­nen, jeden Tag in die­sem Bewusstsein zu be­ginnen, in jedem Lebensalter sich auf das Ende einzustellen, Vorsorge zu treffen. Diese Weisheit begegnet auch in einem Psalm-Vers, der mehr als 2000 Jahre alt ist.

 

„Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen,
damit wir klug werden.“
(Die Bibel, Psalm 90,12)

 

Ich lese ihn als Aufforderung, mich schon jetzt mit meiner Endlich­keit konfrontie­ren zu lassen, damit ich mein gan­zes Leben mit Blick auf den Tod bewusster und verant­wortlicher führe.

Immer wieder begegnet uns die uralte Sehnsucht des Menschen, es möge ein gutes Sterben sein, der Tod möge uns nicht unvorbereitet begegnen. In zurück­liegenden Jahrhunderten gab es nicht nur ausführliche Anweisungen, um die „Kunst des Lebens“ zu erlernen. In Regel, Riten und Ratschlä­gen wurden Men­schen ermahnt und ermutigt, sich das ganze Leben hindurch im­mer wieder auch mit ihrem Tod zu beschäftigen, um ihnen die Angst vor Ster­ben und Tod zu neh­men. Wir sehen hier ein Bild aus einem Totentanz (Hans Holbein d.J.), das in solchen Übungen eine Rolle ge­spielt haben mag. Ein Händler ist unterwegs, wichtige Ge­schäfte müssen erledigt wer­den, seine Zukunft ist voller Pläne ... Und plötzlich, völlig unerwartet und gar nicht willkommen, greift der Tod zu, unbarmherzig, mit­ten im Leben! Menschen erlebten in vergangenen Jahrhunderten Tod und Sterben ganz anders als wir. Noch vor 300 Jahren erreichte nicht einmal die Hälfte der Ge­borenen das Erwach­senenalter. Die Geißeltrias „Pest, Hunger und Krieg“ raffte viele Men­schen schon in jungen Jahren dahin. Der Tod kam plötzlich, und viele waren in ihrem schnellen Ster­ben auf sich allein ge­stellt, starben ohne Begleitung durch andere Menschen. Unsere durch­schnittliche Le­benserwartung ist heute mehr als doppelt so lang wie die unserer Vorfahren. Die meisten von uns leben aber nicht nur länger – auch das Sterben dauert oft länger. An die Stelle des plötzlichen und schnellen Sterbens sind in vielen Fällen chronische Krankheiten getreten. Ster­ben wird oft als quälender, zermürbender Prozess erlebt, wir sterben in Raten – und müs­sen und können uns somit auf das näherkom­mende Ende unseres Lebens einstellen und vor­bereiten.

Sterben gehört zum Leben. Wir können und wir sollten den Tod nicht ver­drängen. Vieles in meinem weiteren Leben ist noch gestaltbar, nur ei­nes ist ganz gewiss: dass ich eines Tages ster­ben werde. Vielleicht erlebe ich noch vorher, dass andere Men­schen, die mir nahe sind, vor mir diese Welt ver­lassen müssen.

Wir alle werden den Tod treffen, und damit ist dieses Thema keine Angelegenheit für Experten – es geht uns alle an!

Heute werden die Themen Sterben und Tod im Alltag weithin gemieden, tabui­siert, ver­drängt. In unserer Gesell­schaft sind andere Leitwerte bestimmend. Die Bilder der Werbewelt beschwören Jugendlichkeit, körperliche und geistige Fit­ness, Vitalität bis ins hohe Alter, gutes Aussehen oder Gesundheit. Krankheit, Behinderungen, Schwä­che – das alles wird in dieser Weltsicht ausgeblendet. Dazu kommt noch die Autonomie des modernen Menschen: Ich nehme (in allen Phasen meines Le­bens) mein Schicksal selbst in die Hand! - Hinfälligkeit im Alter, Hilflosigkeit, das Angewiesen-Sein auf andere passen da nicht dazu.

 

„Ich möchte nicht sagen,
dass ich mich vor dem Tod fürchte.
Ich möchte nur nicht da sein,
wenn er zu mir kommt.“
(Woody Allen, Regisseur)

 

Der Tod anderer wird von immer mehr Menschen nicht mehr unmittelbar erlebt. Waren es 1910 nur etwa 10 Pro­zent aller Menschen, die außerhalb ihrer häuslichen Umge­bung in Krankenhäu­sern oder Heimen starben, verbrin­gen heute mehr als die Hälfte (in Städten mehr als 80 Pro­zent) ihre letzten Stunden in Krankenhäusern und Pfle­geeinrichtungen. Der Tod wird zuneh­mend zu einer Funktion des moder­nen Medizinbetriebs. Der Tod und die sterbenden Menschen werden dort­hin „weg-delegiert“. Für viele Angehörige geschieht das in der Hoffnung: Die Fach­kräfte dort können das besser ...

 


 

2. Wer ist der Mensch -  im Leben und im Sterben?

    Überlegungen aus theologischer Sicht

 

Ob für einen schwerstkranken Menschen weitere therapeutische Maßnahmen sinnvoll sind oder sich eher ein Ver­zicht auf sie nahelegt, ist nicht allein eine Frage medizini­scher Überlegungen, sondern entscheidet sich auch auf dem Hin­tergrund von Menschen­bildern. Wie lange eine Be­handlung fortgeführt wird und wann es angezeigt ist, auf den Tod zu warten, wird deshalb in er­heblichem Maße vom Verständnis des Menschseins bestimmt. Das gleiche gilt vom Status der Patientenselbstbestim­mung, dem Maß der Schmerzbekämpfung und seiner Nebenfolgen, der Rolle der Sterbebe­gleitung usw. Im Umgang mit all diesen Themen geht es immer wieder um die Grundfrage: Wer ist der Mensch? Im Folgenden soll dieser Frage aus der Perspektive des christlichen Glaubens nachgegangen werden.

Die Schöpfungserzählung aus dem 2. Kapitel des Buches Genesis in der Bibel beschreibt in eindrücklichen Sprachbil­dern, wie Gott den Menschen aus dem Ackerboden formte, aufrich­tete und ihm den Odem des Lebens einhauchte. „Und so ward der Mensch ein lebendiges We­sen“ (Gen. 2,7). Dem Menschen wird ein Garten als na­türlicher Lebens­raum gegeben und zugleich zur verantwortungsvollen Nutzung aufgegeben. Gott stellt fest, dass es „nicht gut ist, dass der Mensch allein bleibt“ (Gen. 2,18). Er befreit den Menschen aus der Einsamkeit seines Ich und öffnet ihn für eine Beziehung zum Du.

In dieser alten Geschichte kommt in kraftvoller Sprache zum Ausdruck, dass der Mensch ein beziehungsreiches und gestaltungsbegabtes Wesen ist. Genauer: Der Mensch lebt sein Leben aus der Beziehung zu Gott und zugleich in der Beziehung zu seinen Mitmenschen, zu seiner natürlichen Umwelt und zu sich selbst.

Die Qualität dieser Beziehungen ist verschieden: In der Beziehung zu Gott bleibt trotz der menschlichen Antwort­fähig­keit und Verantwortungsbereitschaft die grundsätzliche Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf. Gott hat den Menschen geschaffen, d.h. der Mensch verfügt nicht selbst über sein Le­ben, sondern verdankt es dem lebensschaf­fenden Geist Gottes. Das geschöpfliche Dasein des Menschen ist im tiefsten Grunde von Passivität ge­prägt.

Von qualitativ anderer Art sind die übrigen Relationen, die den menschlichen Be­ziehungsreich­tum ausmachen. Das Verhältnis zu seinen Mitmenschen ist von grundsätzlicher Gleichrangig­keit und Gleichberechtigung geprägt. In der Bezie­hung zu seiner natürlichen Umwelt wird der Mensch daran erinnert, dass sein gestaltender Eingriff in die Natur kein Angriff auf sie wird: Er darf den Garten des Lebens bebauen, er soll ihn aber auch als lebenswerten Lebensraum be­wahren.

Aktivität und Passivität, Selbstbestimmung und Empfänglichkeit, Kreativität und Respekt, Ge­staltung und Verant­wor­tung kennzeichnen das Menschsein in seiner sozialen und natür­lichen Umwelt. Das Maß von Aktivität und Pas­sivität ist keines­wegs festgelegt, sondern steht der Gestaltung offen. Abhängigkeiten können auf­gehoben und Fremdbe­stimmungen zurückge­drängt werden. Niemals aber ist der Mensch nur aktiv. Immer auch empfängt er, erfährt Zuwen­dung und Mitmensch­lichkeit. Die menschliche Grunderfahrung enthält deshalb stets die Erfah­rung von Aktivität und Passivität.

Zur Geschöpflichkeit des Menschen gehört auch seine Endlichkeit. Einer ihrer Aspekte ist die Anfälligkeit für Krank­heiten. Obwohl Krankheiten durch sehr ver­schiedene Faktoren entstanden oder begünstigt sein können, werden sie vom Menschen als ein Widerfahrnis eingeschränkter Handlungsmöglichkeiten oder re­duzierter Empfänglichkeit erlebt. Krankheit gehört insofern in den Bereich der passiven anthropologischen Erfahrungen. Sie ist eine „Störung ..., die das empfan­gende und tätige Leben des Menschen beeinträchtigt“ (Wilfried Härle, Menschsein – in Gesund­heit und Krankheit, Arbeitsheft Woche für das Leben, 2003, 12). Aller­dings ist der Mensch der Krankheit nicht aus­geliefert, sondern besitzt die Fähig­keit, sich mit ihr aktiv auseinanderzusetzen.

Neben subjektiven Möglichkeiten der Auseinandersetzung ist dies der Aus­gangspunkt für die Medizin. Sie ist die pro­fessionelle Auflehnung gegen das pas­sive Erleiden der Krankheit, indem sie dem Menschen bereits verlorene Selbst­be­stimmungsmöglichkeiten zurückgibt. Ihre An­strengungen sind berechtigt, weil es zum Menschsein hinzu­gehört, Bedingungen einge­schränkter Selbstbestimmung selbstbestimmt zu verwandeln und insofern ganz oder teilweise wie­der aufzuhe­ben.

Zur Endlichkeit des Menschen gehört darüber hinaus auch seine Sterblichkeit. Der Mensch lebt sein Leben in Mühe und Schweiß, wie es am Ende der Sünden­fallgeschichte heißt, „bis du wie­der zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden“ (Gen. 3,19). Die Sterblichkeit des Menschen gehört – ähnlich wie sein Geborenwerden – in ei­nen sehr grundsätzli­chen Bereich der anthropologischen Passivität. Wir werden gezeugt und geboren. Uns widerfährt der Tod.

Dass es sich beim Tod um ein Widerfahrnis handelt, drückt sich auch in unserer Sprache aus. Die klassische Bestat­tungsformel spricht davon, dass Gott einen Menschen „aus diesem Leben abberufen“ habe. In Todesan­zeigen ist da­von die Rede, dass „ein gewaltsamer Tod“ jemanden zu früh seinen Ange­hörigen „entrissen“ habe.

Wenn sich der Mensch theologisch als ein Beziehungswesen beschreiben lässt, so sind Ster­ben und Tod davon ge­kennzeichnet, dass Beziehungen allmählich zu­rückgehen und zum Erlie­gen kommen. Der Tod ist „das definitive Ende aller aktiven Möglichkeiten“ des Menschen. Erist der Eintritt und die zeitlich unbegrenzte Dauer des Zustandes reiner Passivität“. Das Ster­ben des Menschen ist das Erleiden seiner allmählich und unwiderruflich zurückgehenden Selbst­bestimmungsfähigkeit. Es ist der „Prozess, in dem ein Mensch alle seine aktiven Möglich­keiten loslässt oder sie ihm entrissen werden“ (Wilfried Härle, Dogmatik, Berlin, 1995, 633). Der christliche Glaube ist dabei von der Hoff­nung ge­tragen, dass die Beziehung Gottes zu dem je­weiligen Menschen auch durch das Sterben und den Tod hindurch be­stehen bleibt. Der drei­einige Gott ist dem Sterbenden nahe, auch wenn diesem alle übrigen Beziehungsformen entris­sen werden. Gott, der in Jesus Christus selbst das Sterben am Kreuz auf sich genommen hat, geht den Weg des menschlichen Sterbens mit. In seinem Mit-Leiden liegt Trost. Der Sterbende kann darauf vertrauen, daß ihn auch der Tod nicht von Gott trennen kann.

Dass Menschen den Tod erleiden müssen, hebt ihre Aktivität nicht völlig auf. Denn der Zeit­punkt des Todes steht ja keineswegs fest. Mors certa hora incerta, sagt eine alte Weisheit: Der Tod ist gewiss – die Stunde ungewiss. Das gilt auch in Bezug auf die Möglichkeiten, durch ei­gene Aktivität (z.B. Lebensweise) oder durch medizinische Intervention den Todeszeitpunkt be­einflussen zu können. Beides gilt offenbar gleichermaßen: Der Tod widerfährt dem Menschen in absoluter Endgültigkeit. Mors certa. Auf der anderen Seite gilt: Die Bedingungen, wann mich der Tod ereilt, sind keineswegs absolut. Sie sind der menschlichen Selbstbestimmung mit zu­gänglich: der Todeszeit­punkt und die Gründe des Sterbens lassen sich (be­grenzt) beeinflussen. Hora incerta.

So, wie im Verhältnis zu allen übrigen Wirklichkeitsbereichen, geht es auch im Verhältnis des Menschen zu den Gren­zen seiner leiblich-geistigen Existenz darum, ein verantwortliches Maß zu finden. Begrenzungen sind aller­dings nicht absolut zu bestimmen, sondern individuell und kontextuell sehr verschieden. Es gehört zur riskanten Lebenssituation des Menschen hinzu, sich über diese Gren­zen verständigen zu müssen, sie ethisch reflektieren und gesellschaftspoli­tisch umsetzen zu müssen. Wie lange sind therapeutische Maßnahmen sinnvoll und wann ist dem Sterben Raum zu geben? Wie lange ist die Hoffnung auf Bes­serung angemessen und wann ist es unaus­weichlich, das Sterben anzu­nehmen? Der christliche Glaube betont die Würde des Menschen – im Leben und im Ster­ben. Er ist sich gewiss, dass Gott das Leben und das Sterben gleichermaßen umfängt. Auf dem Hintergrund des christlichen Menschenbildes gilt es, das Maß zu finden, wie lange medizinische Interventionen angebracht sind und wann das Widerfahrnis des Ster­bens anzuerkennen ist. Das folgende Gebet scheint auch für diese Situa­tion zu gelten:

 

„Gott, gib uns die Gnade,
mit Gelassenheit Dinge hinzunehmen,
die sich nicht ändern lassen,

den Mut, Dinge zu ändern,
die geändert werden sollten,

und die Weisheit,
das eine vom an­deren zu unterscheiden!“
(Reinhold Niebuhr)

 

3. Was geschieht, wenn ich sterbe?
    Der Prozess des Ster­bens aus medizinischer
    und sozialwissenschaftlicher Sicht

 

3.1. Überlegungen zum Sterben aus medizinischer Sicht

 

Eine 88 Jahre alte Frau ist infolge mehrerer Schlaganfälle und fortschreitender Demenz bett­lägerig und schwerst pfle­gebedürftig, es bestehen Lähmungen und Schluckstörungen. Auf An­sprechen reagiert sie gelegentlich mit Blickwen­dungen, Bewegungen bereiten ihr Schmer­zen. Sie wird deshalb seit einiger Zeit in einem Altenpflegeheim betreut. Jetzt tritt nachts hohes Fieber auf, deshalb wird der ärztli­che Notdienst gerufen.

 

Im geschilderten Fall besteht für den Arzt eine schwierige Situation. Im Regelfall ist es ärztliche Aufgabe, Krank­heiten zu heilen und das Leben zu verlängern. Von dieser Pflicht darf abgewi­chen werden, wenn der Patient der­artige Maß­nahmen nicht wünscht. Über den Willen der Patientin ist ihm jedoch nichts bekannt. Die Pflicht zur Lebensverlänge­rung besteht ebenfalls nicht, wenn derartige Maßnah­men keine Aussicht auf Erfolg haben, also medizinisch nicht be­gründbar sind. Wo die ethisch an sich gebotene Lebensverlängerung in Sterbe­verlän­gerung umschlägt, ist die Grenze des ethisch Vertretbaren an lebensver­längern­der Therapie erreicht. Bei diesen Patienten ist der Arzt verpflichtet, so zu hel­fen, dass sie in Würde zu sterben vermö­gen. Bei Sterbenden kann, ja muss die mögliche Lebensverlängerung in den Hintergrund treten. Die ärztliche Hilfe besteht nun vorrangig in palliativer (also lei­dens­lindernder) Behandlung und in Beistand und Sorge für Basisbetreuung. Hierzu gehören: menschen­würdige Unterbringung und Körperpflege, Lin­dern von Luftnot und Schmerz sowie das Stillen von Hunger und Durst. Die Beantwortung der Frage, ob ein Mensch schon ein Sterbender ist, hat also für die medizini­sche Zielset­zung eine richtungsweisende Bedeutung. Auch im Rechtsgefüge markiert der Ster­bebeginn einen wichtigen Punkt: Die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen wäh­rend des Sterbeprozesses unterliegt dann keiner Genehmi­gungs­pflicht durch einen Richter. Der Arzt oder der Be­treuer sind also nicht  zur Anru­fung des Betreuungsgerichtes verpflichtet. Wie also ist im geschilderten Fall­bei­spiel zu handeln? Bedarf es der Lebensverlängerung oder sind diese Maß­nahmen nicht mehr zu rechtfertigen, weil bei der Patientin der Sterbeprozess be­reits einge­setzt hat?

 

In Deutschland sterben jährlich rund 850000 Menschen. Nur etwa je­dem Zehnten von ihnen ist ein sogenannter schneller Tod „vergönnt“. Man muss davon ausge­hen, dass in Deutsch­land viele schwerkranke Patienten ohne Aussicht auf Heilung und trotz vorlie­gender Patien­ten­verfügung – also gegen ihren Willen – mit inten­sivmedizinischen Mög­lichkeiten am Leben gehalten werden.
(Heilberufe 4/2003, 16)

 

Wann beginnt das Sterben? In einem Lexikon heißt es dazu: Das Sterben kann sich über Tage hinziehen, es kann sich langsam als Erschöpfungstod entwickeln oder im Todeskampf (Agonie) vollziehen, es kann aber auch plötzlich und uner­wartet auftreten. Beim Sterben können sich eine Reihe von Lebensfunktionen verändern: Sehr auffällig sind die Veränderungen der At­mung. Sie kann sich be­schleunigen, aber auch verlangsamen, große Atempausen können auf­treten. Be­sonders bedrohlich und ängstigend wird das insbesondere in den letzten Stunden eintre­tende Brodeln, Gurgeln oder Rasseln empfunden. Diese Geräusche entste­hen durch Speichel oder Sekret, welche der Sterbende nicht mehr abhusten kann. Bewusstseinsstörungen sind zu beobachten, von Verwirrtheits- und Unru­hezu­ständen bis zur Bewusstlosigkeit reicht das Bild. Die Pulsfrequenz kann sich be­schleunigen oder ver­langsamen, auch Verände­rungen der Körpertemperatur kön­nen auftreten. Viele Sterbende schwitzen phasenweise sehr stark. Deutlich sicht­bare Veränderungen der Hautfarbe treten auf. Schließlich werden die Augen oft nicht mehr vollständig geschlossen, der Blick scheint ins Leere zu gehen. Schmerzen, Übelkeit und Erbrechen, Durchfall und Verstopfung, aber auch Luft­not können den Prozess begleiten. Diese letzte Phase des Sterbens, das Sterben im engeren Sinne, beschreibt die Defi­nition der Bundesärztekammer: „Sterbende sind Kranke oder Verletzte mit irreversiblem Versagen einer oder mehre­rer vitaler Funktionen, bei denen der Eintritt des Todes in kurzer Zeit zu erwarten ist.“ Mit dieser Definition kann man aber den Sterbevorgang bei Menschen im hohen Al­ter, bei zuneh­mender Demenz und bei fortschreitender Tumor­er­krankung nur un­genügend beschrei­ben, weil ausschließlich die physiologischen Aspekte des Sterbens in seiner letz­ten Phase be­tont werden.

Der Begriff des Sterbens muss also weiter gefasst werden, um auch dem Verlauf bei diesen Menschen gerecht zu werden. So finden sich beispielsweise bei Elisa­beth Kübler-Ross Hin­weise auf unterschiedliche Phasen des Ster­bens, die einen längeren Verarbeitungsprozess er­fordern (siehe dazu Kapitel 3.2.). In dieser Zeit laufen natürlich auch phy­siologische Prozesse ab, welche den Todes­zeitpunkt näher rücken las­sen. Medizinische Einflussnahme ist hierbei immer möglich, so dass der Ablauf und die Geschwindigkeit durchaus verändert werden können. Um zu ermitteln, ob das Sterben im angedeuteten weiteren Sinne einge­setzt hat, ist die Wahrneh­mung und Beachtung vieler Phänomene notwendig. Die Beurteilung des Zustan­des durch er­fahrene Ärzte und Ärztinnen verschiedener Fachrichtungen ist zu empfehlen. Dabei lässt sich beobachten, dass die Genauigkeit der Voraussagen mit längerer Berufserfahrung wächst. Al­lerdings werden die Voraussagen mit zuneh­mender (emotionaler) Bindung des Arztes an den Patien­ten wieder unpräziser. Auch die Wahrnehmungen der Pflegenden sollten in die Beurtei­lung einflie­ßen. Mit dem Ethiker Sporken (Lexikon Medizin, Ethik, Recht; 1989, 1082) beginnt der Sterbepro­zess, „wenn der Tod unwiderruflich bzw. in absehba­rer Zeit kommen wird und eine oder mehrere Per­sonen aus der Umgebung des Patienten darüber informiert sind“. Sterben hängt also auch ab von den Reaktionen der Personen im Umfeld des Sterbenden. Diese Reaktionen fallen unterschiedlich aus, sie reichen von der Ein­leitung ver­zweifelter technischer Bemühungen, um das Leben zu erhalten, bis zur hospizlichen Sterbebe­gleitung oder zum Verabreichen von Medi­kamenten, die Schmerzen oder Be­schwer­den lindern - je nachdem, ob das Sterben in dieser Situation als Lebens­ende akzeptiert wird oder nicht.

Sterben umfasst also physiologische, individuelle, interperso­nelle und weltanschauliche As­pekte. Es ist keine allge­meingültige, trenn­scharfe Definition des Sterbebeginns möglich. Trotz­dem markiert der Sterbe­be­ginn einen mögli­chen Richtungswechsel. Die Lebensverlängerung ist nicht mehr Hauptziel der ärztlichen und pflegerischen Maß­nahmen, in den Vordergrund tritt nun die Leidenslinderung. Wie kann man mit der Unbestimmbarkeit dieses Zeit­punktes, der weg­weisende Bedeutung besitzt, umgehen?

In den Gesprächen zwischen Arzt, Patient und Angehörigen muss möglichst früh diese Begriffs­unschärfe in den Blick genommen werden. Die Festlegung des Sterbebeginns sollte in der Ab­wägung durch viele Beteiligte gesche­hen. Da­bei bestehen immer Momente, die nicht eindeutig zu fassen sind. Im Nachhinein ist die Festlegung dieses Zeitpunktes immer durch andere kriti­sierbar. Trotzdem ist diese Festlegung im­mer eine vom Arzt zu verantwor­tende Entscheidung. Eine Antwort muss im Inter­esse des Patienten gegeben werden! Sonst besteht die Gefahr, das durch nicht mehr ge­rechtfertigte lebensverlängernde Maßnahmen der Sterbepro­zess gegen die Interessen des Betroffenen verlängert wird. Dabei wird vom Arzt auch ver­langt, die Unaus­weichlichkeit des Sterbens und des Todes dem Patien­ten, aber auch den Angehörigen zu ver­mitteln. Diese Fähigkeit gehört mit dem Philosophen O. Höffe (Medizin ohne Ethik, Frankfurt am Main, 2002, 142) zu den medizinische Kardinaltugenden: „Weil es nicht leicht fällt, dem Sterbenden so­wohl die Einsicht als auch das Sich-Fügen in eine medi­zinisch so gut wie aussichts­lose Lage zu vermitteln, bedarf es ... Klugheit, Gelas­senheit, Besonnenheit, Gerechtigkeit und Tapferkeit in Form von Zivilcourage.“

 


 

3.2. Der Prozess des Sterbens aus sozialwissenschaftlicher Sicht

 

Mit Worten des 90. Psalms haben Juden und Christen über Jahrhunderte hinweg bis heute zu Gott gebetet: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müs­sen, auf dass wir klug wer­den“ (Ps. 90,12). In diesen Worten drückt sich die Bitte aus, das Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit ins persönliche Lebenswissen eingehen zu lassen. Ein Leben im Be­wusstsein der menschlichen Endlichkeit zu führen, ist eine Lebensklugheit, die errungen werden muss. Je nä­her Men­schen mit ihrem eigenen Sterben oder dem Sterben naher Angehöriger konfrontiert wer­den, desto mehr stellt sich das Verlangen nach einem solchen Lebenswissen ein. Der Wunsch, in Frieden zu sterben, drückt die Sehnsucht danach aus, den letzten Weg im Einklang mit Gott, den Mitmenschen und sich selbst gehen und so in das eigene Sterben einwilligen zu können. Aber wie kann ich in Frieden sterben? Die Antwort auf diese Frage kann niemand für andere beantworten. So individuell je­des menschliche Leben geführt wird, so individuell ist auch der Prozess des Ster­bens.

Dennoch haben die Menschen immer wieder danach gefragt, ob es für den Pro­zess des Ster­bens bestimmte typi­sche Merkmale gibt. Im späten Mittelalter sind Er­bauungsbücher erschie­nen, die Sterbende und Sterbebegleiter in die „Kunst des Sterbens“ (lateinisch: ars moriendi) einführen wollten. In ihnen wird das Ster­ben als Prozess der Aus­ei­nandersetzung mit Anfech­tungen beschrieben, die den Sterbenden herausfordern und die es im Glauben zu beste­hen gilt. Zu ihnen ge­hören u.a. auch der Zorn (Ungeduld) und die Verzweiflung. Die mittelalterliche ars-moriendi-Lite­ratur bringt damit bereits Erkenntnisse zur Geltung, auf die in neuerer Zeit For­schungen zum Prozess des Sterbens auf­merksam gemacht ha­ben. So hat beispielsweise Eli­sabeth Kübler-Ross auf der Grundlage einer Viel­zahl von Gesprä­chen, die sie mit Sterbenden geführt hat, fünf typische Phasen des Sterbens hervorgehoben (Interviews mit Sterben­den, Berlin, 1987, 40-114).

a)      Nichtwahrhabenwollen und Isolierung. Wenn ein Mensch davon erfährt, dass er eine zum Tod führende Krank­heit hat, reagiert er darauf zunächst sehr häufig abwehrend. „Das kann doch nicht sein!“ Die Verleug­nung der Krankheit ermöglicht es dem Patien­ten, mit dem Schock dieser Nachricht fertig zu werden. Meist ist das Nicht­wahrhabenwollen nur eine vorübergehende Phase, die bald von einer wenigstens teilweisen Ak­zep­tanz abgelöst wird. Für die Begleitung Ster­bender ist es wichtig, ihnen die erforderliche Zeit zu lassen, die Ge­wissheit des eige­nen Ster­benmüssens an sich heranzulassen. Ihnen als Gesprächspart­ner zur Verfü­gung zu stehen, die leisen An­deutungen wahr­zunehmen und sie auf dem Weg von der Ungewissheit zur Gewissheit be­hutsam zu begleiten, ist für die Sterbenden er­leichternd und hilfreich.

b)      Zorn. Auf das Nichtwahrhabenwollen folgt in der Regel eine Phase, in der Zorn, Groll und Wut im Mittelpunkt ste­hen. Während die Sterbenden jetzt ra­tional wissen, dass sie sterben müssen, können die Emotionen mit dieser Ge­wissheit nicht Schritt halten. Die Gefühle bre­chen vielmehr ungesteuert hervor. Aggression entlädt sich, oft ohne erkennbaren Grund, wahllos, an Ärztinnen, Krankenschwestern, Angehörigen oder beliebigen anderen Per­so­nen. Wohin die Sterbenden auch blicken, überall sehen sie Menschen, die wei­terleben kön­nen. „Warum denn gerade ich?“ bricht es deshalb aus ihnen heraus. Die Möglich­keit, der eigenen Wut Luft machen zu können, ist für die Sterbenden wichtig, damit sich die Aggres­sion nicht nach innen, gegen sie selbst richtet.

c)       Verhandeln. Als dritte, meist flüchtige Phase beschreibt Elisabeth Kübler-Ross den Ver­such, den unvermeidli­chen Tod durch eine Art Handel hinauszu­schieben. In ganz unter­schiedlicher Weise versuchen Sterbende viel­fach, der eigenen Lebensspanne noch einige Zeit hinzuzufügen. Oft wollen sie noch ei­nen bestimmten Zeit­punkt erleben: ein wichtiges Fami­lienereignis o.ä. Im me­dizinischen Bereich wird oft nach neuen Therapie­wegen ge­sucht, werden Spezialisten aufgesucht und alternative Medika­mente ins Spiel gebracht. Manche Sterbende versu­chen aber auch mit Gott zu verhandeln, wollen ihr Leben Gott widmen oder ihren Besitz einem guten Zweck zu­kommen lassen. So sehr die Gefahr besteht, sich in dieser Phase finanziell zu verausgaben oder die Auseinan­dersetzung mit dem Sterben weiter hin­auszuzögern: Die Aktivität des Verhandelns ist ein wich­tiger Zwischen­schritt, bevor den Betroffenen die Un­vermeidlichkeit des Sterbens so bewusst wird, dass sie von Verzweiflung er­griffen werden.

d)      Depression. Wenn die Todesgewissheit den Sterbenden in ihrer ganzen Un­vermeidlichkeit zu Bewusstsein kommt und zugleich die Kräfte zum Wi­der­stand allmählich erschöpft sind, tritt meist eine Phase der Depression ein. Die Sterbenden erkennen jetzt in aller Deutlich­keit, was sie bereits verloren haben. Und ihnen tritt vor Augen, was ihnen mit dem Sterben noch alles entrissen wird. Der Schmerz dieses endgültigen Abschieds bringt Trauer und Tränen, Resignation und stille Verzweiflung mit sich. Sterbende brauchen in dieser Phase Begleiter, die über die Traurigkeit nicht hinweggehen sondern sie aus­halten. Sie brauchen Menschen, die ein­fach nur da sind und zuhören können.

e)      Zustimmung. Wenn der sterbende Mensch die eigene Kraft und die nötige Be­gleitung hatte, um die vorheri­gen Phasen zu bestehen, kann er schließ­lich dazu kommen, sein eige­nes Sterben anzunehmen. Vielfach sind die be­troffe­nen Menschen bereits sehr schwach und haben das Bedürfnis, oft und in kur­zen Abständen zu schlafen. Ihr Kampf gegen das Sterben ist vorüber. Es ist die Zeit der „letzten Ruhe vor der langen Reise“. Die Sterbenden ha­ben ein gewisses Einverständnis mit ihrer Situation erreicht. Ihre Interessen engen sich immer mehr ein. Oft möchten sie in Ruhe ge­lassen werden. Die Kommu­nikation erfolgt in dieser Phase vielfach wort­los. Schweigend bei ihnen zu sein, ihnen zu verstehen zu geben, dass sie nicht reden müssen, Gesten, Blicke und die Art körperli­cher Berührung, die die Betreffenden wollen – das ist die wichtigste Begleitung der Ster­benden, bevor sie die Au­gen für immer schlie­ßen.

Die von Elisabeth Kübler-Ross beschriebenen Sterbephasen dürfen nicht starr interpretiert wer­den. Das Sterben jedes Menschen ist anders. Phasen können gleichzeitig oder in anderer Rei­henfolge ablaufen. Aspekte können sich wieder­holen oder überhaupt nicht beobachtet werden. Vor allem: Es ist nicht gesagt, dass jede Person alle Phasen durch­läuft.

In den letzten Jahren ist sogar die Beschreibung des Sterbeverlaufs in Phasen kritisch hinter­fragt worden. Nach Un­tersuchungen des Heidelberger Gerontologen Andreas Kruse (Kruse, A.; Schmitz-Scherzer, R.: Sterben und Sterbe­begleitung, in: Psychologie der Lebensalter, Darm­stadt, 1995, 289-299) verändert sich die Art und Weise, wie sich Menschen mit ihrem Sterben auseinan­dersetzen, weit weniger als dies Elisa­beth Kübler-Ross heraus­gearbeitet hat. Auf der Grund­lange von Interviews mit fünfzig Krebspatienten im Endstadium ihrer Erkrankung be­schreibt Kruse fünf Formen der Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod. Eine erste Gruppe von Men­schen akzeptierte das eigene Sterben und suchte gleichzeitig nach Möglichkeiten, die das Le­ben noch bot. Eine zweite Gruppe empfand in zuneh­menden Maße Resig­nation und Verbitte­rung. Sie sahen das eigene Leben nur noch als Last. In einer dritten Auseinan­derset­zungsform wurden die Todesängste durch die Erfahrung eines neuen Lebens­sinns und die Überzeu­gung, noch wichtige Aufgaben wahr­nehmen zu können, gelindert. Für eine vierte Per­sonen­gruppe stand das Bemü­hen im Vordergrund, die Bedrohung der eigenen Existenz nicht in das Zentrum des Erle­bens treten zu lassen. Eine fünfte Gruppe durchschritt Phasen tiefer De­pression bis zur Hinnahme des Todes.

Zu welcher Auseinandersetzungsform ein Mensch neigt, hängt nach Kruse so­wohl von biogra­phischen als auch von sozialen, strukturellen und medizinischen Faktoren ab. Menschen mit einem positiven Lebensrückblick, so ar­beitete er her­aus, tendierten eher zur Annahme oder der Suche nach neuen Aufgaben. Perso­nen wiederum, die an starken chronischen Schmerzen lit­ten, reagierten eher mit Resignation und Verbitterung.

Für die Begleitung sterbender Menschen ist es wichtig, die verschiedenen Fakto­ren gleicher­maßen im Blick zu haben: die persönliche Lebensrückschau und Sinnorientierung ebenso wie die sozialen Beziehungen, die struktu­rellen Bedin­gungen und eine effektive Schmerzkontrolle.

 

 

4. Ich kann nicht leben - ich will nicht sterben -

    Der Weg des Sterbens aus seelsorgerlicher Sicht

 

In das Erleben des Sterbeprozesses wird hinein genommen, wer schwerkranken Menschen be­gegnet oder sie be­gleitet. Dabei werden wir Anteil bekommen an den Schmerzen, Ängsten und Tränen, an Verzweiflung und Wut, und wir werden die Hoffnung wahrnehmen und den Wunsch, leben zu wollen. Der Wunsch, mehr wohl noch der Wille zu leben, ist groß, auch auf dem schweren Weg einer unheil­baren Krankheit.

 

Ich trete in ein Zweibettzimmer. Nach der Begrüßung sagt die Patientin fast un­vermittelt: „Und doch  ist das Leben schön!“ Sie zögert einen Moment, erschrickt ein wenig über die Wahrheit ihrer Worte und fährt fort: „Darf ich über­haupt mei­nem Gefühl der Lebensfreude so Raum ge­ben?“ Sie meint es angesichts der Weltlage und wahrschein­lich auch angesichts des eigenen Ergehens. Ich schaue sie ermutigend an: „Danke, dass sie das sagen. Das tut gut, uns gegen­seitig daran zu erinnern.“ Diese Patientin, von einer unheilbaren Tumorerkrankung be­troffen, geht durch eine Chemotherapie und sagt sehr klar: „Nein, ich will nicht sterben, jetzt nicht. Ich möchte noch leben.“

 

Das berührt tief, immer wieder. Wo wir das erfahren, zeigt es die Lebenszugewandt­heit gerade Schwerkranker, ob im Alter nach einem fast gelebten Leben oder bei einem jungen Menschen, der schon auf dem Weg des Sterbens ist. Dabei wird Leben begriffen als das kostbarste Gut, als Geschenk, für gläubige Menschen als Gabe Gottes. Berührend ist, Anteil zu haben an der starken Sehnsucht, der per­sönlichen Hoffnung und dem Lebensverlangen. Das gibt den Men­schen auch die Kraft, diesen Weg des schweren Abschieds vom Leben zu gehen. In unserem Gesangbuch lese ich den Satz: „Dass es nach menschlichem Ermessen ans Sterben geht, ist nicht eine `Wahr­heit´, die dem Sterbenden zu sagen oder zu verschweigen ist, sondern ein Weg des Erkennens und Annehmens, auf dem wir dem Sterbenden im Gespräch beistehen, ohne die Hoffnung zu nehmen.“ (Evan­gelisches Gesang­buch, Ausgabe Sachsen, Nr. 941).

Was kann hilfreich sein auf dem Weg, den wir Menschen in unserer letzten Le­bensphase bis zum Tod zurücklegen werden?

Vieles hat sich durch die medizinischen Möglichkeiten, das Leben länger zu er­halten, verändert. Der Prozess des Sterbens ist im allgemeinen länger geworden. So ist Sterbebeistand notwen­diger als je zuvor.

Das Erleben und Erleiden des Krankheitsprozesses ist so verschieden, so unter­schiedlich wir Menschen sind. Und doch sind gemeinsame Erfahrungen erkenn­bar, und es lassen sich – wie im vorstehenden Kapitel 3.2. ausgeführt - deutlich verschiedene Phasen unterscheiden. Sie sind nicht „schematisch benutzbar“. Man sollte sie kennen und im Hinterkopf haben, muss wis­sen, dass es möglich ist, dass Phasen übersprungen werden, sich wiederholen, sich über­schneiden oder nie durchlebt werden können.

Im Folgenden wird es darum gehen, am Beispiel einzelner Krankengeschichten etwas von die­sen Erfahrungen in den Blick zu bekommen, um zu begreifen, was wir meinen, wenn wir vom schweren Weg des Abschieds sprechen. Etwas muss ich davon tatsächlich innerlich begriffen haben, wenn ich Menschen auf ihrem Weg des Sterbens ver­stehen und ihnen beistehen will.

Ich werde behutsam erkennen, wo der Patient steht, begreifen, warum er es so erlebt, warum er so spricht, warum er das tut und anderes nicht, warum er so ag­gressiv ist, warum er der Wahr­heit ausweicht, ausweichen muss, warum seine Trauer so ist, wie sie ist, oder warum der Kranke angesichts des Todes so `irreal´ von Hoffnung spricht. Was heißt das, dem Kranken in der je­weiligen Situation beizustehen, wenn er Anteil gibt an seinem Nicht­wahrhabenwollen, an seinem unbän­digen Zorn `auf Gott und die Welt´, Anteil zu nehmen an seiner Trauer, die oft­mals so unerträglich abgründig und so unheimlich lang sein kann, und wenn er trotz allem an seiner Hoffnung fest­hält, weil er sie noch braucht? Das bringt auch uns, wenn wir Sterbende begleiten, an schmerzliche Grenzen. Wo liegt dann die Wahrheit des Satzes aus dem Ge­sang­buch: „Dass es nach menschlichem Ermessen ans Sterben geht, ist nicht eine `Wahr­heit´, die dem Sterben­den zu sagen oder zu verschweigen ist, sondern ein Weg des Erkennens und An­nehmens, auf dem wir dem Sterbenden im Ge­spräch beistehen, ohne die Hoffnung zu neh­men.“?

 

„Das kann nicht sein!“

 

Wenn der Arzt die Diagnose kennt, wenn er weiß, dass die Krankheit einen tödli­chen Verlauf nehmen kann, wird er dem Patienten davon sagen und der Patient wird die Wahrheit für sich finden oder sich ihr verweigern, je auf seine Weise. Die erste Mitteilung und „Wahrnehmung“ ist immer ein Schock.

 

„Ich bin drei Tage durch die Stadt gelaufen, als hätte ich alle Laternenmasten ge­streift.“ Das ist ein Satz, der immer wiederkehrt. Eine Patientin sagt mir: „Seltsam, ich wusste, dass etwas pas­sieren würde, so konnte es nicht weiterge­hen. Doch dann war es wie ein Schlag. Ich? Ich auch! Nach längerem Grübeln denk ich: Wa­rum eigentlich ich nicht, wenn jede zehnte Frau davon betroffen ist. Nein, nicht ich, ich nicht. Das kann nicht sein!“

 

Dann heißt es für den Patienten, mit der Situation umzugehen. Eine Möglichkeit zeigt die fol­gende Äußerung: „Ich werde die Krankheit besiegen! Sie wird mich nicht werfen, mich nicht!“ Da ist noch die Hoffnung lebendig, dass die Krankheit mit einer gezielten Therapie zu besiegen und eine Genesung mög­lich ist. Und es ist unendlich schmerz­haft , wenn klar wird: es gibt keine grundle­genden Heilungschancen mehr, sondern es ist nur noch möglich, die Symptome und Beschwerden zu behandeln. Auf die ängstliche Frage der Patientin: „Heißt das, dass ich nie mehr ohne Che­motherapie leben kann?“ kommt die unausweichliche Antwort des Arztes: „So ist es!“ Darauf der Satz, den ich nicht vergesse: „Das kann nicht wahr sein! Das ist kein Leben für mich.“ Da ist die Wahrheit, und die Pati­entin kann sie so (noch) nicht wahrhaben. Die Wahr­heit wird schmerzhaft be­wusst. Manchmal leuchtet sie kurz auf und wird wieder weggeschoben. Wieviel Wahrheit verträgt der Patient, wieviel Geduld ist notwendig? Wichtig ist, dass der Patient selbst den Weg findet und für sich entscheidet. Manchmal ist die Leug­nung notwendig, weil es noch nicht möglich ist, in den tödlichen Verlauf der Krankheit einzuwilligen. Wenn auch klar ist, dass Leugnung Flucht vor der Wirk­lichkeit bedeutet – sie kann ein notwendiger Selbst­schutz sein.

Was heißt es, dem Sterbenden darin beizustehen? Auch das ist die Wahrheit, dass Patienten in bestimmten Momen­ten sich sehr wohl ihrer irrealen Leugnung bewusst und dankbar sind, wenn sie auch darin nicht allein ge­lassen wer­den und einen Be­gleiter haben, den sie manchmal sogar im Arzt finden. Auch er braucht Zeit, um mit der Krankheit umzugehen, selbst die ver­hängnis­volle Situation emotional zu verarbeiten. Die Therapie ermöglicht dem Patienten das Weiterge­hen, schenkt ihm Zeit und immer wieder auch Hoffnung. Auch dem Arzt ermöglicht die Therapie Zeitgewinn und den Versuch der Hil­feleistung. Dafür steht der Satz: „Wenn ich selbst nicht im­mer wieder auch an ein Wunder glauben würde, könnte ich hier nicht arbeiten.“ Dabei kommt es oft zu ei­ner engen Beziehung zwischen Arzt und Pati­ent. Eine Patientin äußert das so: „Solange sie einen Schlachtplan hatten, hatte ich immer Hoffnung. Die Diagnose habe ich eigentlich nie richtig gehört. Während der The­rapie nicht, erst danach.“

Der Patient ist in dieser Phase mit der Chance auf Heilung be­schäftigt und klammert sich daran. Er schiebt dabei vielleicht auch die Wirklichkeit und die Wahrheit von sich und damit auch das Wissen um die Unheilbar­keit der Krank­heit. Es ist schwer, den Gedanken der Sterblichkeit für sich anzu­nehmen. Nichtwahrhabenwollen begleitet manchmal Patienten bis an das Ende (ist also tatsächlich nicht nur eine Phase des Durchgangs).

 

„Was an mir liegt, will ich tun!“

 

Mein Gesprächspartner sagt: „Ich packe das! Die Therapie schlägt an. Wenn die Metastasen in der Halswirbel­säule zurückgegangen sind, werden sie genauso in den anderen Bereichen zu­rückgehen. Da bin ich sicher. Das gelingt. Das schaffen wir“ - er schaut seine Frau an und wie­derholt: „Das schaffen wir. Es wird Abstürze geben und Hänger. Aber wir schaffen das! Ver­standen! Alles andere ist kein Thema.“

 

Berührend ist dieser Lebenswille, mit fast unheimlicher Kraft vorgetragen, und das mit einem von der Krankheit und der Therapie sichtbar gezeichneten und geschwächten Körper. Zu spü­ren ist der kämpferische Wille (darin auch Ag­gressivität und Zorn) und natürlich die Angst, es könnte auch anders kommen. Die klare Botschaft ist: Darüber will ich kein Gespräch! Das ist für Angehörige nicht leicht zu verstehen und auch für alle anderen, die den Kranken begleiten.

Fünf Monate hat der Patient in der Krankheit so gehofft und gekämpft: „Was mit mir ist, ver­stehe ich alles nicht mehr. Aber eins weiß ich, ich bin von Gott gehal­ten.“ Das war  am Ende einer Phase angestrengter Trauer, die wir auch De­pres­sion nennen, manchmal ging es wie durch dicke Nebel der Verzweiflung. Und doch hat er immer wie­der den ei­genen Willen aktiviert. Noch in den letzten Stun­den des Bewusstseins, als das Sprechen so gut wie nicht mehr mög­lich war, formte er bei einem Besuch die Hand zum Zeichen seines Willens, als wolle er sagen: “Was an mir liegt, will ich tun. Alles andere liegt bei Gott.“ So war seine Haltung zum Leben, und das hat sein Sterben wesentlich geprägt.

Die Ehefrau sagte nach dem Sterben: „Wir haben uns jetzt im Nachhinein noch einmal gefragt, ob es richtig war, die­sen Weg so zu gehen mit all dem, was war. Ich sage und auch mein Sohn und die Tochter sagen: „Doch, es war gut so, wie es war.“ So sagt es auch der behandelnde Arzt.

Darin zeigt sich, dass die letzte Wegstrecke vor dem Tod es wert ist, gelebt zu werden, und dass dieser Weg gemein­sam vom Patienten und seinen Angehörigen zu gehen ist, und dass Ärzte diesen Weg therapeutisch ermöglichen und begleiten.

 

„Man kann nicht lange in die Sonne blicken“

 

Das Nichtwahrhabenwollen, dass die Krankheit tödlich sein wird, schiebt sich manchmal wie ein Puffer zwischen den Kranken und sein Entsetzen über die Diagnose. Die tödliche Krankheit vor sich selbst zu leugnen, ist notwen­dig nicht nur am Anfang, sondern auch im weiteren Verlauf immer wie­der einmal. Bei Elisabeth Kübler-Ross lese ich den er­hellenden Satz: „Jemand hat gesagt: Wir können nicht lange in die Sonne blicken, und wir können dem Tod nicht im­mer ins Auge sehen. Auch der Kranke, der sein Ende als Möglichkeit er­kannt hat, muss diese Einsicht ab und an leugnen, um das Leben überhaupt fortsetzen zu können.“

Manchmal zeigt sich das so, dass auch sterbenskranke Patienten, die sich mit ihrem Schicksal abgefunden haben und ihren Krankheitsverlauf realistisch wahrnehmen, immer noch mit der Möglichkeit einer besonderen Heilung umgehen, die Entde­ckung eines neuen Medikaments oder eine neue durchschlagende Therapie erhof­fen.

Ich erinnere mich an einen Patienten, der unvergesslich eindrücklich für mich sagte: „Verstehen Sie, ich bin Wissen­schaftler. Und ich glaube, die Wissenschaft ist schneller als mein Krebs. Sie wird eine Lösung finden. Davon bin ich über­zeugt. Ich habe im Fernsehen gesehen: In Amerika hat man gerade neue Er­kenntnisse in der Behandlung be­stimmter Leukämie-Arten gefunden. Es beginnt eine Versuchsserie. Da habe ich Hoffnung für mich.“

Fünf Tage später verstarb der Patient. Ich erinnere mich daran mit tiefem Re­spekt. Sein Glaube an die Wissen­schaft hat ihm auf seinem schweren Weg des Abschieds geholfen. Hier wird deutlich, dass die Haltung zum Leben das Ster­ben wesentlich prägt. Jedes Sterben ist einmalig und individuell.

 

„Warum trifft es mich? - Warum lässt Gott mich leiden?“

 

Die Phase des Zorns, der Auflehnung, ist für den Kranken und die Angehörigen eine schwere und wesentliche Phase. Sie folgt dem Nichtwahrhabenwollen und kann von hoher Aggressivität bestimmt sein. Sie ist verbunden mit der Frage: „Warum gerade ich? Warum werde ich so be­straft? Ich habe immer anständig gelebt. Sagen Sie selbst, es gibt so viele boshafte Menschen. Warum geht es de­nen so gut ? Warum trifft es nicht die! Warum lässt Gott gerade mich so lei­den?“ Diese Fragen und ihre Wucht sind manchmal schwer auszuhalten. In dieser Situation muss ich als Seel­sorger Gott und die Welt nicht verteidigen, auch wenn mir vielleicht danach zu Mute wäre. Jetzt kommt es darauf an, die existenzielle Not, die hier zum Ausdruck kommt, zu­zulassen, auszuhalten. Hier ist es wichtig, den Kranken mit sei­nem Leiden nicht allein zu las­sen, sondern gerade in der Zuwendung deutlich zu machen, dass er uns viel wert ist. Es ist gut zu wissen, dass diese Phase sein muss. Sie ist notwendig. Es gehört gerade auch zur Würde des kranken Men­schen, dass er nicht immer nur lieb, freundlich und friedlich ist.

 

Ich besuche an einem Freitag Vormittag eine 58-jährige Patientin. Sie leidet an einer schweren Krebserkrankung. Ihre gestaute Wut sehe ich ihr an. Als ich sie darauf anspreche, bricht es wie ein Wasserfall aus ihr heraus: „Ich will leben, verstehen Sie. Ich will nicht sterben. Meine Toch­ter braucht mich noch und meine Enkel. Warum kann mir denn hier keiner helfen? Die sind doch alle mit ih­rem Latein am Ende. Die eiern doch nur herum. Keiner sagt was Richtiges zu mir. Ich bin doch nur noch eine Nummer ...“

 

Diese Phase ist auch schwer für das Personal und die Ärzte. Die Auflehnung richtet sich gegen das Unabwend­bare der Situation, gegen diese teuflische Krankheit und den Tod. Der Patient agiert seine Wut an Er­satzobjekten aus. In solchen Gesprächen muss man viel einste­cken kön­nen und zum Zu-Hören bereit sein. Die tiefe Sehnsucht des kran­ken Menschen ist, wenn er die „Sinnfrage“ stellt: Ist da jemand, der meine Einsamkeit und meine Ver­zweiflung wahr­nimmt, der mich akzeptiert und der mich mag?

Vielleicht ist es in solchen Gesprächen wichtig, dass es uns gelingt, davon etwas erfahrbar werden zu lassen. Damals habe ich am Schluss des Gespräches die Patientin gefragt, ob ich einmal mit der Ärztin sprechen solle, auf die sie solchen Zorn habe. Das war ganz über­ra­schend für sie. Sie fühlte sich ernst genommen in ihrer Verletzung und Ein­samkeit. Danach hat die Ärztin mit ihr gesprochen in Ehr­lichkeit und Wahrhaftigkeit. Von diesem Tag an fühlte sich die Patientin auf dieser Station geborgen und hatte die Phase des Zorns für sich bewältigt.

 

„Ich will alles tun, dann wird mir Hilfe.“

 

Wenn es in den vorher durchlebten Phasen so schwer fällt, die Tatsachen der Er­krankung an­zuerkennen, und wenn wir es eben nicht wahrhaben wollen und mit Gott und der Welt hadern, versuchen wir das Unvermeidliche vielleicht durch eine Art Handel hinauszuschieben. Elisabeth Kübler-Ross vergleicht das mit dem Verhalten eines Kindes, das bei Verweigerung von etwas, worum es bittet, erst aufsässig wird, danach aber durch Liebsein und Versprechen das Er­wünschte doch noch zu erhalten versucht.  Der kranke Patient hat eine vergleichbare „Tak­tik“, will für sein Wohlver­halten belohnt werden. So formuliert klingt es fast anstö­ßig simpel, ist aber ein tiefer Vorgang, der bis in religiöse Di­mensionen hinein reicht: Ich werde Gott wieder ver­trauen, dann wird er (muss er) mir helfen.

 

„Der liebe Gott ruft mich“

 

Auf dem Weg des Sterbens muss der Patient akzeptieren lernen, dass sein Sterben unvermeid­lich ist. Obwohl er nicht sterben will, muss er erkennen, dass es ans Sterben geht und er nicht mehr leben kann. Was heißt es, einem Ster­benden auf diesem Weg des Erkennens und An­nehmens beistehen?

 

Ein 62 jähriger Patient ist an akuter Leukämie erkrankt und ist seit fünf Monaten auf einer Krebs-Station in Behand­lung. Ich besuche ihn nach einer Woche, in der ich nicht in der Klinik war. Nach der Begrüßung sage ich:

S.: Darf ich Sie fragen, wie es ihnen geht ?

A.: Wenn Sie´s  wissen wollen, nehmen Sie sich einen Stuhl.

     (Ich nehme mir einen Stuhl und setze mich zu dem Patienten  an das Bett)

     Es geht mir nicht gut, ich bin ganz kraftlos, habe einen scheußlichen Husten. 

     Ich denke, der liebe Gott ruft nach mir.

S.: Sie haben das Gefühl, es geht zum Sterben.

A.: Ja, und ich wüsste gern, worauf ich mich einstellen kann: Wieviel Lebenszeit habe ich noch?

S.: Wieviel Zeit Sie noch haben, kann ich nicht sagen. Das wird der Arzt Ihnen

     sagen, wenn Sie ihn fragen.

A.: Um mich selber geht es nicht mehr. Was mir Not macht ist, wenn ich an meine Frau denke.

S.: ... dass Sie dann allein ihr Leben leben muss.

A.: Ja, das ist es (Tränen)

S.: Ja, das tut so weh. Sie können nichts tun, es ist eine Grenze erreicht.

A.: Ja, mir fehlt der Lebenswille. Ich habe kein Interesse mehr, an nichts ...

S.: Das ist, als sei Ihr Lebensnerv getroffen.

A.: Ja, und der Oberarzt sagt zu mir, Sie müssen erst wieder zu Kräften kommen.

S.: Und Sie fragen sich, wozu noch?

A.: Wozu noch? Ich hab keine Kraft mehr.

S.: In den letzten Wochen habe ich wahrgenommen, wie Sie sich immer wieder auch

     an Ihr Leben erinnert haben.

A.: Ja, das habe ich.

S.: Da kam viel zurück, was gut war, was anstrengend war, aber gelungen ist.

     Ich habe Ihre Dankbarkeit gespürt, und manchmal auch ihren Stolz.

A:. Ja, das stimmt, ich bin auch stolz auf das, was ich gelebt habe ...

 

Der Patient kommt an eine Grenze. Er weiß jetzt von der Aussichtslosigkeit aller Bemühun­gen um Heilung, dass nun nichts mehr zu machen ist, und er spürt die Hinfälligkeit des Körpers. Im Gespräch mit dem Stationsarzt fällt die Ent­scheidung: Er wünscht keine Weiterführung der Chemotherapie und äußert die Angst vor Erstickung. Er erhält die Zu­sicherung von Hilfe und Begleitung und der notwendigen Versorgung mit Mitteln, die Schmerz und Luftnot lindern.

Der Patient akzeptiert die Aussichtslosigkeit der Therapie, will um diesen Preis keine Lebens­verlängerung und trifft seine Entscheidung in einer für mich beeindruckenden Klarheit. Nach zwei Tagen stirbt er.

Bis in diese letzten Tage hat er mit einem starken Willen gehofft. Er hat sich über die medizini­schen Zusammen­hänge informiert. Die Frage, die er dem Arzt bei der Visite stellte, bleibt mir eindrücklich: „Kann aus einer akuten Leukämie auch eine chronische werden?“ „Das geht bei Ihnen nicht.“ Die Suche nach Hoffnung, das Klammern an ein Wunder, auch die Frage nach ei­nem möglichen Ausweg in der Selbsttötung bewegt Patienten auf diesem Weg. Bei einem Be­such reicht er mir einen Brief von einer Bekannten, worin sie Anteil gab an ihrer eigenen schwe­ren Erkrankung, durch die ihr eigenes Weiterleben in Frage gestellt war. Ich bin be­rührt von dem Vertrauen und lese den an ihn gerichteten Brief: „Ich habe in dieser Zeit versucht, nicht bei mir zu bleiben, nicht bei mir allein. Was heißt dann Ver­trauen fassen zu Gott? Das hat mir ge­holfen durchzustehen. Und die Nähe mei­nes Mannes und der erwachsenen Kinder, da ist er­fahrbar: Einer trage des an­dern Last. So ist es. Der Satz aus der Bergpredigt hat mich be­gleitet: Klopfe an, so wird dir aufgetan.“ Als ich den Brief zurückreiche, sagt er: „Besser kann´s kei­ner sagen, wie´s einem geht wie mir.“ Bei einer unserer ersten Begegnungen hatte er mir gesagt: „Um meine Seele brauchen Sie sich nicht zu sorgen.“ So war es. Dieser Patient ist sei­nen Weg in einer großen eigenen Stärke gegangen, die er in sich trug. Er war in seinem Leben gewohnt, klare Entscheidungen zu treffen, er hatte in leiten­der Position Verantwortung getra­gen. So ist er auch ge­storben. Die Haltung zum Leben kann das Sterben wesent­lich prägen.

 

„Ich will doch sterben“

 

Auf dem schweren Weg des Abschieds ist es gut, wenn Menschen Raum finden, ihr Leben noch einmal zu reflektie­ren, auch das Fragmentarische, dass sie dies erzählen und Bilanz zie­hen können.

 

Eine 78-jährige Frau gibt mir Anteil an ihrem  Leben und darin an ihrem Schmerz. In der Fülle des erinnerten Lebens erfahre ich von der Geburt ihrer behinderten Enkeltochter vor 23 Jahren. Ihre große Liebe zu diesem Kind ist zu spü­ren. Sie erzählt von ihren Bemühungen in den vielen Jahren, diesem Kind dennoch zu Lebensmöglich­keiten zu ver­helfen und dabei die bittere Erfah­rung der Be­grenztheit ihres eigenen Tuns zu machen - nur bruch­stückhaft gelingt dies, vieles bleibt vergeblich. Leben geht durch viel Verlorenheit. Sie sagt: „Das hat mich krank gemacht. Das ist mein Krebs, verstehen Sie! Ich will sterben.“ Anteilgeben ist wie etwas aus sich „entlas­sen“ kön­nen und so Gelassenheit finden. Bei mei­nem zweiten Besuch unterstützt eine Sauer­stoffflasche das Atmen, ihre Kurzat­migkeit ist anstrengend und veranlasst mich zu dem Satz: „Sie kämpfen?“ „Nein“ - antwortet sie - “ich will doch sterben!“ „Und das ist schwer“ sage ich. „Nein, Leben ist schwerer ... ich habe keine Kraft mehr zum Reden.“ „So ist es.“ Ich halte lange ihre Hand. Nach einem längerem Schweigen verabschiede ich mich.

 

Menschen, die auf den Tod zugehen, suchen nach Nähe, sind dankbar für menschliche Wärme, und sie sind fähig zu ehrlicher und offener Kommu­nikation. Die alte Dame ist wenig später friedlich einge­schlafen. Es gibt auch diese Form von Loslassen-Können: die Resignation. Sie ist hier total und echt. Auch die Angehö­rigen konnten einwilli­gen und ha­ben den Arzt nicht noch wegen einer eventuell möglichen Therapie bedrängt.

Der Mensch ist sterblich. Das gehört zum Geschöpfsein. Die Grenze wird erfah­ren. Der Patient kann zustimmen, ein­willigen ins Sterben, das ist etwas Tiefes. Auch der Arzt und die Pflegen­den kommen an eine Grenze. Der Tod eines Pati­enten ist nicht die Niederlage eines Arztes. Sterben ist keine Bankrotterklärung der Medizin. Wo der Tod als Grenze akzeptiert wird, wird das Sterben als zum Menschsein dazugehörig erfahren. In diesem Sinne ist Ster­ben mensch­lich.

 

 

 

5. Komm, sanfter Tod
    Der Wunsch nach Ster­behilfe

 

Viele Menschen haben in der Situation der Todesnähe einen Wunsch: Ihr Tod möge ein „guter Tod“ sein - sanft, leicht, schmerzlos.

Wir wissen von sehr unterschiedlichen Todeserfahrungen.

Wir wissen, dass es ihn gibt, den „guten Tod“ am Ende eines erfüllten Lebens. Vielleicht haben auch wir Menschen gekannt, denen ein solches Ende geschenkt war, die friedlich eingeschlafen sind, die „alt und lebenssatt“ sterben durften.

Wir wissen auch von anderen Erfahrungen. Dass es den Tod gibt, der als Erlö­sung herbei­ge­fleht wird, dort, wo Men­schen unerträgliche körperliche Schmerzen oder seelisches Leid zu­ge­mutet wer­den. Da gibt es den Schrei der Ver­zweiflung, der sich an Gott oder an Menschen am Krankenbett richtet, an Pfleger, an Ange­hörige: „Helft mir, macht doch meinem Leid schnell ein Ende!“

Wir wissen von der Angst vor dem Tode, die vielleicht auch unser aller geheime Angst ist.

Eine Angst, die letzten Stunden und Tage so zu erleben: hilflos zu sein, verzwei­felt und allein. Dass wir, wo wir die Nähe von Menschen brauchten, einer seelen­losen Apparatemedizin ausge­liefert sind. Dass wir starke Schmerzen erleiden müssen und anderen schweren und ent­würdigenden Beeinträchtigungen ausge­setzt sind.

Verständlich ist in solcher Not das Verlangen, es möge friedlich und menschen­würdig mit mir zu Ende gehen, ver­ständlich auch der Wunsch nach Hilfe und Be­gleitung auf diesem letzten Stück Weg.

Das ist der Ruf nach Sterbe-Hilfe.

Nun ist „Sterbehilfe“ aber ein Begriff, der sehr unterschiedlich gebraucht wird, der mehrdeutig (gewor­den) ist. Mei­nen wir damit Beistand für einen sterbenden Patienten, also Hilfe im  Ster­ben, oder ver­stehen wir Sterbehilfe als Bei- oder Nachhilfe zum Sterben, dass es schneller zu Ende geht ...?

Die öffentliche Diskussion entzündet sich z.B. an unserem Nachbarland Nieder­lande, wo auf aus­drückli­chen Wunsch todkranker Patienten der Arzt eine tödliche Spritze geben darf, oder an ei­nen Prozess vor dem Oberlan­des­gericht in Frankfurt/Main 1998, bei dem die Frage zu klären war, ob die künstliche Ernährung bei einer Pa­tientin ein­gestellt werden darf, die schon seit Mo­naten in tiefer Bewusstlosigkeit lag. Manche erinnern sich vielleicht auch noch an den umstritte­nen Arzt Julius Hackethal, der un­heilbar Krebskranken Gift bereit stellte.

 

Sterbehilfe:
Einige wichtige Begriffe


Unter Sterbehilfe versteht man ganz allgemein die Erleichterung des Sterbens ei­nes unheil­bar schwer kranken Men­schen. Für die Einleitung oder Unterlassung von Maßnahmen ist der Wille des Betroffenen maßgeblich.


Passive Sterbehilfe
zielt auf ein menschenwürdiges Geschehen-Las­sen des Sterbens, ins­besondere dadurch, dass eine lebensver­län­gernde Behandlung (z.B. künstliche Ernährung, künstliche Beatmung oder Dialyse, Verab­reichung von Me­dikamenten wie z.B. Antibiotika) bei einem unheilbar kranken Menschen, der sich im Ster­ben be­findet, nicht weitergeführt oder gar nicht erst aufgenommen wird (siehe Ka­pitel 6.).

Beihilfe zur Selbsttötung (auch „assistierter Suizid“ oder „Freitod­be­gleitung“) nennt man die Unterstützung eines Menschen bei der Durchführung seiner Selbsttötung. Diese kann durch Beschaffung töd­lich wirkender Mittel erfol­gen oder auch durch die Anleitung zu ihrer Handhabung. Der Patient vollzieht jedoch die Tötungshandlung selbst (siehe Kapitel 7.).

Aktive Sterbehilfe (genauer: aktive direkte Sterbehilfe) meint die ge­zielte Tötung eines Menschen, die auf sein aus­drück­liches Verlangen erfolgt, z.B. durch die Verabreichung ei­nes den Tod herbei­führenden Präparates (Tab­lette, Spritze, Infusion) (siehe Kapitel 8.).


Indirekte Sterbehilfe
(genauer: aktive indirekte Sterbehilfe) wird ge­leistet, wenn tödlich Kranken ärztlich ver­ord­nete schmerzlindernde Me­dikamente gegeben wer­den, die als un­be­absichtigte Nebenfolge den Todeseintritt beschleuni­gen können (siehe Kapitel 9.).


Unter Sterbebegleitung versteht man alle Formen der mitmenschli­chen, pflegeri­schen und seelsorgerlichen Zuwen­dung zum Sterben­den, die keinen direkten Ein­fluss auf den biologi­schen Sterbeprozess neh­men (siehe Kapitel 10.).

Palliativmedizin ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit den Problemen konfrontiert sind, die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen, und zwar durch Vorbeugen und Lindern von Leiden, durch frühzeitiges Erkennen, Einschätzen und Behandeln von Schmerzen sowie anderen belastenden Beschwerden körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art.
(WHO 2002) - (siehe Ka­pitel 10.).

 

 

Der Nationale Ethikrat hat in seiner Stellungnahme vom 13. Juli 2006 „Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebens­ende“ Vorschläge gemacht für eine neue und seiner Ansicht nach besser „angemessene“ Terminologie wichtiger Be­griffe im Zusammenhang mit Sterbebegleitung und Sterbehilfe (siehe Kapitel 14.6.)

 

Sterbehilfe? Jemandem im Sterben beistehen – das meint heute eine breite und manchmal auch verwirrende Palette von Angeboten: vom Bleiben am Bett eines sterbenden Menschen bis hin zu aktiven Tötungsmaß­nahmen. Da hören wir von aktiver und von passiver Sterbehilfe, da wird von Sterbebegleitung gesprochen oder von palliati­ver Medizin, da geht es um indirekte Sterbehilfe oder um Beihilfe zur Selbsttötung, auch der Begriff Euthanasie wird in manchen Le­xika mit Ster­behilfe gleichgesetzt.

In welchem Zusammenhang ist mir der Begriff „Sterbehilfe“ schon begegnet, in den Medien, in Alltagsgesprächen? Erschrecke ich über solche Möglichkeiten oder macht mir das Hoffnung?

Da alle eben aufgeführten Begriffe verschiedene Aspekte von Sterbehilfe anspre­chen, soll in den folgenden Kapi­teln versucht werden, an Fallbeispielen die jeweils gemeinte kon­krete Le­bens-Situation deutlich zu machen, medi­zinische und juristi­sche Erläuterungen zu geben und auf die spezifischen ethischen Fragestellungen einzugehen.

 

6. Lass mich sterben
    Passive Sterbehilfe

 

Eine 67-jährige Frau leidet seit Jahren an einer chronischen Lungenerkrankung. Sie verspürt bei geringster Belas­tung Luftnot. Bei einer Atemwegserkrankung werden die Beschwerden so stark, so dass die Frau den Notarzt ruft. Kurz nach seinem Eintreffen wird sie bewusstlos. Eine künstliche Beatmung muss eingeleitet werden. Die Frau kommt auf die Intensivstation. Dort kann sie nach wenigen Tagen von der künst­lichen Beatmung getrennt werden. Sie atmet wie­der selbstständig und ist bei Be­wusstsein. Aber noch auf der Intensivstation verschlechtert sich ihr Zustand wieder. Wegen mangelhafter Funktion der Lunge gerät sie wieder in einen Däm­mer­zustand, der sich aber durch erneute künstliche Beatmung überwinden lässt. Solche Atta­cken wiederholen sich noch mehrfach, die Zeit­abstände werden immer kürzer. Eine wesentliche Besserung der Lungenfunktion ist nicht zu erwarten. Die Frau bittet um Entlassung nach Hause, um dort z.B. im Kreis der Familie noch einmal Kaffee trinken zu können. Wenn sich dann wieder der schmerzlose, zum Tode führende Dämmerzustand einstellt, soll kein Notarzt gerufen wer­den.

 

Bei der passiven Sterbehilfe wird auf Wunsch des Patienten dem Sterben sein Lauf gelassen. In den „Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung" (1998) wird der Sterbeprozess definiert als "ein unum­kehr­bares Versagen einer oder mehrerer lebenswichtiger Funktionen; der Eintritt des Todes ist in kurzer Zeit zu erwarten". Noch mögliche medizinische Maßnahmen, die das Leben bzw. den Sterbeprozess weiter verlängern könnten, werden unter­lassen oder abgebrochen. So könnte z.B. ent­schieden werden, einen Patienten bei Auftreten immer neuer Kom­plikationen nicht auf eine Intensivstation zu verlegen, auf die Behandlung ei­ner zusätzlichen Lungenentzündung mit Antibiotika könnte bei einem Krebskranken in der End­phase verzichtet oder eine Chemo­therapie abgebrochen wer­den.

 

Passive Sterbehilfe zielt auf ein menschenwürdiges Geschehen-Lassen des Sterbens, ins­besondere dadurch, dass eine lebens­ver­längernde Behandlung (z.B. künstliche Ernährung, künstliche Beat­mung oder Dialyse, Verabreichung von Me­dikamenten wie z.B. Anti­biotika) bei einem unheilbar kranken Menschen, der sich im Sterben befindet, nicht weitergeführt oder gar nicht erst aufgenommen wird.

 

Passiv ist Sterbehilfe immer dann, wenn akzeptiert wird, dass der Sterbeprozess nicht mehr aufgehalten werden kann, wenn man das Sterben geschehen lässt.

Die Behandlung des Patienten geht weiter, jetzt aber mit anderer Schwerpunktsetzung und Ziel­richtung. Vorrang hat nicht mehr die Bekämp­fung der Grund­erkrankung, sondern die Behand­lung kon­zentriert sich nun auf leidens­lindernde Maßnahmen, die das Dasein des Patienten in der letzten Phase seines Lebens erleichtern und erträglich machen.

Passive Sterbehilfe ist also nicht wirklich passiv. Zur in jedem Fall unverzichtbaren „Basis­betreuung" gehören u.a. eine menschenwürdige Unterbringung, Zuwendung, Körperpflege, Lin­dern von Schmerzen, Atemnot und Übelkeit sowie das Stillen von Hunger und Durst.

Ob bei Sterbenden jedoch ein Hunger- oder Durstgefühl besteht und dieses gegebenenfalls durch Zufuhr unter Um­gehung des natürlichen Schluckaktes gelindert werden kann, ist umstrit­ten. Nach den Erfahrungen der Pallia­tivmedizin bei der Behandlung von Sterbenden scheint eine konsequente Mundpflege zur Linderung des Durst­gefühles wichtiger als eine venöse Flüs­sigkeitszufuhr. Auch das Aufzwingen von Nahrung kann eine zusätzliche Last für den Patienten bedeuten. Eine angemessene Entscheidung kann nur unter Berücksichtigung der individu­ellen Situation getroffen werden.

In der ethischen Diskussion ist vielfach die Frage der Abgrenzung zwischen akti­ver und pas­siver Sterbehilfe er­örtert worden. Gelegentlich wird diese Abgrenzung mit dem Argument in Frage gestellt, dass in beiden Fällen das ärztliche Handeln den Tod des Patienten zum Ziel habe (so z.B. Norbert Hoerster: Sein letzter Wille, in: Was darf der Mensch? ZEIT-Punkte, Nr. 2/1995, 38). Wäre diese Kritik stichhaltig, so müssten beide Formen der Sterbehilfe entwe­der grund­sätzlich erlaubt oder ebenso kategorisch verboten werden. Auf dem Hintergrund des ein­gangs dargestellten christli­chen Menschenbildes (vgl. Kap. 2.) gibt es je­doch genügend Ar­gumente, die Eigenständigkeit und die Bedeu­tung der passiven Sterbehilfe deutlich zu machen.

Zur menschlichen Lebenssituation gehört neben aller Aktivität auch die Erfahrung der Passivi­tät. Am Ende des Lebens wird dies besonders offensichtlich: wir er­leiden das Sterben. Der Um­stand, dass dem Menschen sein Tod widerfährt, macht auf eine Wirklichkeitsdimension auf­merksam, die sich zwar (z.B. durch medizinische Eingriffe) beeinflussen, aber nicht beherr­schen oder gar aufheben lässt. Im Verzicht auf eine künstliche Lebensverlängerung angesichts einer tödlich verlaufenden Krankheit wird dieser menschlichen Grundsituation Rechnung ge­tra­gen. Dabei ist es nicht von zentraler Bedeutung, ob die Ärzte eine Behandlung unterlassen – sich also passiv verhalten – oder ob sie diese ab­brechen – also ak­tiv sind. Ent­scheidender ist es, dass in einer Situation, in der es unange­messen ist, dem Wi­derfahr­nis des Todes weitere Aktivitäten entgegenzusetzen, dem Sterben-Lassen und dem Sterben-Können Raum gegeben wird.

Passive Sterbehilfe gilt in Deutschland als rechtlich zulässig und ist bei Sterbenden geboten.

Ein Verzicht auf Maßnahmen der Lebenserhaltung und Lebensverlängerung und die vorran­gige Orientierung auf palli­ativmedizinische Versorgung kann nach den „Grundsätzen der Bun­desärztekammer zur ärztlichen Sterbebe­gleitung 2004“ auch in anderen Fällen erwogen wer­den. Eine solche Änderung des Therapie-Zieles kann – wenn das dem Willen des Patienten ent­spricht - auch dann erfolgen, wenn sich der Patient „zwar noch nicht im Sterben befindet, aber nach ärztlicher Erkenntnis aller Voraussicht nach in kurzer Zeit sterben wird, weil die Krank­heit weit fortgeschritten ist“ („infauste“ = ungünstige Prognose). Auch bei „Neugeborenen mit schwersten Beeinträchtigun­gen durch Fehlbildungen oder Stoffwechselstörungen, bei denen keine Aussicht auf Heilung oder Besserung besteht, kann ... im Einvernehmen mit den Eltern ... eine lebenserhaltende Behandlung ... unterlassen oder nicht weitergeführt werden. Glei­ches gilt für extrem unreife Kinder ... und für Neugeborene, die schwerste Zerstörungen des Gehirns erlitten haben.“ Bei Patienten mit schwersten Hirn-Schädigungen und anhaltender Bewusstlosigkeit (apalli­sches Syndrom, Wachkoma) wird aus­drücklich klargestellt, dass sie Lebende sind und „ein Recht auf Behandlung, Pflege und Zuwendung haben. Lebens­erhaltende Therapie ein­schließlich – gegebenenfalls künstli­cher – Ernährung ist daher unter Beachtung ihres geäu­ßerten Willens oder mutmaßlichen Willens grundsätzlich geboten ... Die Dauer der Bewusstlo­sigkeit darf kein alleini­ges Kriterium für den Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen sein.“ Nach den „Grundsätzen“ von 2004 (vgl. dazu auch die aktuelle Fassung von 2011) gehören die „Nah­rungs- und Flüssigkeitszufuhr nicht immer zur Ba­sisbetreuung, da sie für Sterbende eine schwere Belastung darstel­len können. Jedoch müs­sen Hunger und Durst als subjektive Empfindungen gestillt werden.“ Die künstliche Zuführung von Nahrung und Flüssigkeit (z.B. über eine PEG-Sonde) ist generell nur statthaft, wenn sie nicht gegen den Willen des Patienten erfolgt.

 

Zum ersten Mal hat ein britisches Gericht einer nicht todkranken Patientin das Recht zu sterben zu­gebilligt. Die Rich­terin gab dem Wunsch einer vollständig ge­lähmten Frau nach, das für sie lebens­wichtige Beatmungsgerät abzu­schalten. Die Frau ist seit einer Schlagaderverletzung vor einem Jahr vom Hals abwärts ge­lähmt und kann nicht mehr selbstständig atmen. Auf diese Weise könne die Pa­tientin ihr Leben in Frieden und mit Würde beenden, begründete die Richte­rin ihre Entscheidung. Für derart schwer behinderte Menschen könne das Leben schlim­mer als der Tod sein.

(die tageszeitung 23./24.3.02)

 

Unabdingbare Voraussetzung für Maßnahmen der passiven Sterbehilfe im Vorfeld des unmit­telbaren Sterbe­prozesses ist, dass sie dem Wunsch des Patienten entsprechen. Für die Ent­scheidungsfindung ist es hilfreich, wenn der „erklärte Wille“ des Patienten vorliegt, den er bei klarem Be­wusstsein und eindeutig und konkret für die vorliegende Situation z.B. in einer „Patientenverfügung“ niedergeschrieben hat. Viel schwieriger gestaltet sich die Entscheidungs­findung, wenn der Patient sich selbst nicht (rechtzeitig und eindeu­tig) geäu­ßert hat, und stell­vertretend für ihn Ärzte, Angehö­rige und Gerichte sei­nen „mutmaßlichen“ Willen ergründen sol­len.

 

Nach einem schweren Hirninfarkt dämmerte die 85-jährige Patientin in tiefer Be­wusstlosigkeit und ohne Aussicht auf Besserung dahin. Die Tochter beantragte bei einem Frankfurter Betreuungsgericht, die künstliche Ernäh­rung einzu­stellen und die Schwerstkranke nur noch mir Flüssigkeit zu versorgen, um ihr ein sinnloses Leiden zu ersparen. Gemeinsam mit ihrem Bruder erklärte sie unter Eid, ihre Mutter habe sich immer gegen ein langes Siechtum und künstliche Lebens­verlängerung ausgesprochen. Dennoch lehnte das Gericht den Antrag ab. Die alte Dame hatte es versäumt, ihren persönlichen Willen aufzuschreiben, solange sie geistig dazu noch in der Lage war. Das Ober­landes­gericht Frankfurt, bei dem der Fall schließlich lan­dete, bestätigte grundsätzlich das Recht auf Selbstbestim­mung der Patienten. Wenn aber keine schriftliche Patientenverfügung vorliegt und der Betroffene sich auch selbst nicht mehr äußern kann, so urteilten die Frank­furter Richter, sind die Ärzte zum Schutz des Lebens verpflichtet. Sie verwiesen den Fall wieder zurück an das Amtsgericht, das nun den „mutmaßlichen“ Willen der Patientin klären und dann erneut entscheiden sollte. Die Tochter hat inzwi­schen resigniert und ihren Antrag zurückgezogen.

(Öko-Test 10/2001, 76)

 

 

7. Hilf mir sterben
    Beihilfe zur Selbst­tötung

 

Frau E. leidet seit 1977 an einem Hauttumor im Bereich von Mund und Nase. Sie kann durch mehrere Operationen und Bestrahlung nicht geheilt werden. Seit 1982 kann sie nur noch schwer Nahrung zu sich nehmen, darüber hin­aus bestehen stärkste Gesichtsschmerzen, so dass mehrfach täglich Schmerzmedikamente ge­spritzt werden müs­sen. Anfang 1984 wird ein Tumor der Oberkieferhöhle festge­stellt, der in die Augenhöhle und den Schädel ein­wächst. Die Sehkraft der Patien­tin lässt nach, die Nahrungsaufnahme wird schwierig und die Schmerzen sind nicht zu stillen. An­fang 1984 lässt sie sich vom behandelnden Arzt das Verspre­chen ge­ben, ihr „mit seinen Möglichkei­ten“ zu helfen. Am 18.4. 1984 wiederholt die 69-jährige Patientin ihren Wunsch, aus dem Leben zu scheiden. Am gleichen Abend händigt der Arzt dem Lebens­gefährten der Ziehtochter der Patientin einen Becher mit Gift aus. Dieser verdünnt das Gift mit Wasser und übergibt den Becher an Frau E. Sie führt ihn zum Mund und trinkt ihn aus. Wenige Minuten später ver­stirbt sie in den Armen der Tochter.

(Fall Hackethal, nach Udo Benzenhöfer: „Der gute Tod“, München 1999)

 

Manche Patienten treffen – vielleicht in der Erfahrung unerträglicher Schmerzen - für sich selbst die Entscheidung zur Selbsttötung, um ihr Leiden zu beenden. Da­bei kann es sein, dass der Sterbe­willige eine andere Person bittet, ihm bei diesem Vorhaben zur Seite zu stehen. In der Regel richtet sich diese Anfrage an einen Arzt oder an eine andere fach­kundige Person, die die notwendigen Mittel (Medi­kamente, Gifte) beschaffen und Hinweise zu deren Anwen­dung ge­ben können. Der Patient tut jedoch selbst den letzten Schritt, trinkt das Glas mit dem Gift aus oder setzt einen Mecha­nismus in Gang, durch den er sich eine tödliche Injektion verabreicht.

Grundsätzlich ist zu fragen, ob eine klare Abgrenzung zwischen aktiver Sterbe­hilfe und Beihilfe zur Selbsttötung wirk­lich möglich ist. Wer das Gift lediglich be­schafft, ist straflos, wer es verab­reicht, wird bestraft.

 



Beihilfe zur Selbsttötung (auch „assistierter Suizid“ oder „Freitod­begleitung“) nennt man die Unterstützung eines Menschen bei der Durchführung seiner Selbsttötung. Diese kann durch Beschaffung töd­lich wirkender Mittel erfolgen oder auch durch die Anleitung zu ihrer Handhabung. Der Patient vollzieht jedoch die Tötungshandlung selbst.

 

Beihilfe zur Selbsttötung ist in Deutschland nicht strafbar.

Dennoch ist der Beistand zur Selbsttötung durch einen Arzt (eigentlich) nicht möglich. Bereits im hippokrati­schen Eid wurde ein tötendes Handeln ausschlossen.

 

„Niemals werde ich jemand raten,
seine Zuflucht zum Gift zu nehmen,
und ich werde es denen verweigern,
die mich darum bitten.“
(Aus dem EID DES HIPPOKRATES)

 

Nach den „Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung“ (2011) „ist die Mitwir­kung des Arztes bei der Selbsttötung keine ärztliche Aufgabe“.
Eine Arbeitsgruppe des Bundesministeriums der Justiz „Patientenautonomie am Lebens­ende“ (Bericht vom 10. Juni 2004) hatte noch vorsichtig argumentiert: „
Entschließt sich eine Patientin oder ein Patient trotz aller ärztlichen Bemühun­gen nach freiverantwortlicher Überlegung dazu, ihr oder sein Leben selbst zu beenden, so soll keine ärztliche Ver­pflich­tung bestehen, gegen den ausdrücklichen Willen der oder des Betroffenen lebenserhaltend einzugreifen“ ... „niemand - insbesondere weder ein Arzt noch ein naher Angehöriger - sollte mit den Mitteln des Strafrechts ge­zwungen werden, einen schwer leidenden Menschen in der von ihm selbst und frei verantwortlich gewählten Stunde des To­des allein zu lassen und ihn zum Weiterleben zu nötigen“.
Der 114. Deutsche Ärztetag beschloss eine Neuformulierung des §16 der (Muster-)Berufsordnung:
„Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“  (PM zum 114. Ärztetag, 1.6.2011, http://baek.de/page.asp?his=0.2.7535.9293.9347 )

Ethisch sind die Selbsttötung und die Beihilfe dazu ähnlich zu bewerten. In der Bibel finden sich mehrfach Berichte über Menschen, die Suizid begangen haben: Simson, Saul, Judas.

Diese und andere Personen haben ihren Suizid in einer für sie ausweglosen, verzweifelten Si­tuation begangen. Aber die biblischen Texte enthalten keine ethische Bewertung der Selbsttö­tung. Nirgends wird ein direktes Verbot ausge­sprochen. Erst der Kirchenvater Au­gustin (354-430) hat die Selbsttötung unter ein generelles Verbot gestellt, indem er das 5. Ge­bot auf sie anwandte: „Denn wer sich selbst tötet, tötet auch einen Menschen“ (Augustinus, Vom Gottes­staat, 1955, I,20, dt. von Wilhelm Thimme). Augustins Position hat die theologische Diskussion über Jahrhunderte ge­prägt. In der Folge ist „Selbstmördern“ das kirchli­che Begräbnis verwehrt worden, ja sie wurden sogar außerhalb des Friedhofs bestattet. Erst im neunzehnten Jahrhun­dert ist diese Diskriminierung aufgehoben worden.

In der theologischen Bewertung des Suizids ist vielfach auf den Geschenkcharakter und die Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens hingewiesen worden. Deshalb schließe die mensch­liche Selbstbestimmung keineswegs das Verfügungsrecht über das eigene Leben ein.

Umgekehrt hat es philosophische Bemühungen gegeben, die Selbsttötung als Aus­druck höchster individueller Au­tonomie zu betrachten.

Für eine angemessene Beschreibung des Menschseins ist allerdings der Hinweis auf die menschliche Selbst­bestim­mung keineswegs ausreichend. Vielmehr sind Personen immer zugleich handelnd und empfangend, aktiv und passiv. Für Menschen, die ihr Leben selbst be­enden wollen, steht das Empfinden im Mittelpunkt, keine Spiel­räume zur Akti­vität mehr zu be­sitzen. Ihre Situation stellt sich ihnen ausweglos dar. Sie können der De­pression und Verzweif­lung nicht entrinnen. Ihr Lebensraum scheint sich ihnen bis zur Atemlo­sigkeit verengt zu haben. Sie vermögen nicht mehr zu erkennen, dass Veränderungen oder Neuanfänge noch möglich sind. Diese Möglichkeiten aber kann es geben, ja gibt es in vielen Fällen. Deshalb muss es die vorrangige Aufgabe der Begleitung sein, Res­sourcen für Neuan­fänge zu entdecken und Le­bensräume zu weiten.

Jedoch wird es beispielsweise bei Menschen, die eine unheilbare, tödlich verlaufende Krankheit in einem fortge­schrittenen Stadium haben, Situationen geben, in denen es trotz allen Engage­ments nicht gelingt, ihren Zustand spür­bar zu beeinflussen. Ihre Kraft, die eigene quälende Le­benssituation tragen zu können, ist in erheblichem Maß von tragfähigen Beziehungen abhängig, von Menschen, die ihren Fragen nicht ausweichen und ebenso schweigen kön­nen, die Unter­stützung geben und ebenso das Unabänderliche annehmen. Darüber hinaus bedarf es einer angemes­senen medizinischen Begleitung, beispielsweise in Form optimaler Schmerzthe­rapie. Dennoch kann es in Einzelfällen dazu kommen, dass Menschen den einzigen Ausweg in ihrem Sterben sehen. Wenn wirklich alle medizinischen, indi­viduellen und sozialen Möglichkei­ten zur Weitung des Lebensraumes ausgeschöpft wurden und wenn unerträgliches Leid nicht erträgli­cher gemacht werden kann, dann entzieht sich der Suizid und dessen Begleitung einer von außen kommenden Bewertung. Es kann nur Betroffenheit bleiben.


 

Rechtliche Regelungen in anderen Ländern:

In der Schweiz wird Beihilfe zur Selbsttötung vom Strafgesetz nicht verfolgt, außer beim Vorlie­gen selbstsüchtiger Mo­tive. Im Umkehrschluss wird die Beihilfe zum Suizid grundsätzlich als erlaubt angesehen. Auf diesem Hin­ter­grund bieten Ster­behilfe-Organisationen offen ihre Hilfe für ratsuchende Ster­bewillige an und haben bereits hun­dertfach auch Beihilfe geleistet (in vielen Fällen auch bei deutschen Patienten). Dieses An­gebot galt bisher nur für Patienten in Privat­wohnungen. Im Juni 2003 wurde von der Schweizerischen Akademie für Medizinische Wissen­schaften ein Ent­wurf von Richtlinien und Empfehlungen zur „Behandlung und Betreuung von älteren pflegebedürf­tigen Menschen“ veröffentlicht. Danach ist im Falle von Selbsttötungswün­schen bei urteilsfähigen älteren pflege­bedürftigen Personen in Institutionen der Langzeitpflege seitens der Ärzte und des Pflegeper­sonals zunächst das Gespräch zu führen und ge­meinsam nach Wegen zur mögli­chen Verbesserung der Lebenssituation zu suchen. Bei fortbestehendem Suizid-Wunsch, bei dem die Beihilfe durch eine weitere Person erbeten wird, ist ein un­abhängi­ger Arzt hinzuzuziehen, der sich überzeugt, dass dieser Wunsch nicht auf Druck Dritter zu­stande gekommen und nicht auf eine unzureichende Behandlung oder Betreuung zurückzufüh­ren ist (besondere Berücksichtigung palliativer Maß­nahmen). Weiterhin wird eine Bedenkfrist vorgeschlagen. Wenn der Sterbe­wunsch dennoch fortbesteht, ist es dem Personal von Pflege­ein­richtungen freige­stellt, den Sterbewilligen zu begleiten bzw. beim Suizid anwesend zu sein. Das Personal soll jedoch nicht an der Vorbereitung und Durchführung mitwirken.

Im US-Bundesstaat Oregon wurde ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung gesetzlich legitimiert. Be­reits 1994 war dort ein Gesetz zum „Sterben in Würde“ beschlossen worden, dessen Inkrafttre­ten aber zu­nächst durch Gerichte ver­hindert wurde. In einem Volksentscheid stimmten 1997 60 Pro­zent der Wähler für die endgültige Einführung. Der Kranke muss im Vollbesitz seiner geisti­gen Kräfte sein. In einem schriftlichen Antrag müssen die Gründe für den Suizid­wunsch und die Art der Er­krankung angegeben werden. Eine ausführliche Aufklärung über mögliche Alter­nati­ven durch den behandelnden Arzt muss erfolgt sein. Wenn nach einer Warte­zeit von 15 Tagen der Sterbe­wunsch weiter besteht, nimmt ein zweiter, beraten­der Arzt Einsicht in die Kranken­akte und bewertet den Zustand des Patienten. Wenn danach die voraussichtliche Lebens­er­wartung weniger als sechs Monate beträgt, kann 48 Stunden später die Verschreibung für die tödlich wirkenden Me­dikamente erfolgen. Diese dürfen von den Ärzten nur verordnet, aber nicht verab­reicht werden. 15 Patienten starben 1998 in Ore­gon an dem auf Rezept ver­schrie­benen Gift.

Auch in einem Bundes­staat von Australien (Northern Territory) war Beihilfe zur Selbsttötung 1995 durch einen Parla­mentsbeschluss legalisiert worden, wurde aber später durch Bundes­ge­setz verboten.

 

Die 43-jährige Britin Diane Pretty klagte im Frühjahr 2002 vor dem Europäischen Gerichtshof. Seit zwei Jahren litt sie an einer schweren Erkrankung des zentralen Nervensystems, die zu fortschrei­tender Lähmung führte. Sie konnte kaum noch schlucken, nicht mehr artikuliert reden, wurde künst­lich ernährt. Die Frau wollte nicht länger leiden und sich ein entwürdigendes Ende ersparen, konnte sich aber selbst wegen ihrer Erkrankung das Leben nicht nehmen. Sie wünschte, dass ihr Mann ihr beim Sterben helfen darf; doch das ist in Großbritannien verboten, ihm drohten bis zu 14 Jahre Ge­fängnisstrafe. Der Europäische Gerichtshof lehnte am 29.4.02 ihren Antrag auf Straffreiheit für ihren Ehemann ab. Sie bekam drei Tage später schwere Atem­not, es erfolgte die Aufnahme in ein Hospiz. Dort verstarb sie wenige Tage später friedlich eines natürlichen Todes.

(Freie Presse Chemnitz 30.3.02; Das Parlament 22./29.7.02, 11)

 

 

8. Ich will jetzt sterben

    Aktive Sterbehilfe

 

8.1. Ein notwendiger Vorspruch:

       EUTHANASIE im Dritten Reich

 

„Euthanasie“ (griechisch) bedeutet ursprünglich den „leichten, schönen Tod“ und wurde (und wird heute noch weit­hin) mit „Sterbehilfe“ gleichgesetzt.

In der Nazizeit in Deutschland wurde der Begriff jedoch verwendet, um die Zwangstötung von unheilbar Kranken zu legitimieren und zu verschleiern. In ei­nem staatlich verordneten Pro­gramm zur „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ kamen bis 1941 rund 70000 Insassen von Heil- und Pflegeanstalten ums Leben.

 

„Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt
sind unter Verantwortung beauftragt,
die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte
so zu erweitern,
dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken
bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes
der Gnadentod gewährt werden kann.“
(Adolf Hitler, Brief vom 1.9.1939)

 

Diese Menschen wurden unter dem Vorwand von „Leidensminderung“, „Erlö­sung“, „Gnadentod“ oder „Sterbehilfe“ ge­zielt vergast oder mit Medikamenten ge­tötet. Auch als – unter anderem nach Vorhaltungen aus den Kirchen – das Programm offiziell eingestellt wurde, setzten einzelne Ärzte und Pfleger die Krankenmorde über konsequenten Nah­rungsentzug und medikamentöse Überdosierungen fort, sodass in der „Wilden Euthanasie“ bis Kriegsende nochmals rund 30000 Patien­ten starben.

In der aktuellen Debatte um die aktive Sterbehilfe wird häufig an die Euthanasie­praxis der Nationalsozialisten erin­nert. Genauso wie damals könnten auch heute wieder Menschen getötet werden, weil andere ihren Lebenswert als gering er­achten. Eine solche Argumentation scheint nahe zu liegen, ist aber in mehr­facher Hinsicht problematisch. Der Ver­gleich mit den national­sozialistischen Mas­sen­morden brandmarkt zum einen die Befürworter der Tötung auf Verlan­gen als Ver­brecher und macht jedes weitere Gespräch unmöglich. Zum zweiten liegt ein we­sentlicher Unterschied zwischen der aktuellen Debatte zur aktiven Sterbehilfe und den Prakti­ken während der Zeit des Dritten Reiches ja ge­rade darin, dass damals das „Wohl des Volkes“ im Mittelpunkt stand, während heute der Wille des einzel­nen betroffe­nen Menschen als aus­schlaggebend gilt. Im „Euthanasie“-Programm wurden Men­schen gegen ihren Willen und ohne ihre Zustimmung in der Verfol­gung staat­licher, „übergeordneter“ Interessen getötet. Im Unter­schied dazu ist ak­tive Ster­behilfe in einem Rechtsstaat nur denkbar, wenn es um eine bewusst ge­troffene und ausdrückliche Willensbekun­dung eines Menschen geht, der uner­träglichem Leid ausgesetzt ist.

Die nationalsozialistische Praxis ist also aus genau dem Grund abzulehnen, der heute von Be­fürwortern als Hauptar­gument für die Tötung auf Verlangen ange­führt wird: dem Respekt vor der Autonomie eines jeden Men­schen.

 

8.2. Aktive Sterbehilfe

 

Ein 88-jähriger Ingenieur lebt mit seiner Ehefrau in einem Eigenheim. Das Ehe­paar hat keine Kinder, auch gibt es kaum Kontakte zu Nachbarn oder Freunden. Der Mann bemerkt seit eini­gen Monaten Schmerzen im Rücken und im Oberarm. Zunächst führt er die Schmerzen auf die Folgen eines Sturzes zurück. Als die Schmerzen immer stär­ker werden, sucht er den Hausarzt auf. Bei der Untersuchung wird ein Krebs der Prostata im fortgeschrittenen Sta­dium festgestellt. Dieser hat bereits ausgedehnte Metastasen in der Wirbelsäule und anderen Knochen ge­bildet. Eine Hei­lung der Erkrankung ist in dieser Phase nicht mehr möglich. Zunächst gelingt es, die Schmerzen befriedi­gend zu stil­len. Der Patient ist in seinen Aktivitäten nicht einge­schränkt. Al­lerdings verschlechtert sich sein Gesamtzustand stän­dig, und die Schmerzen lassen sich nur unter Inkaufnahme von dauernder Müdigkeit und Darmträgheit einigermaßen stillen. Nach dem plötzlichen Tod der Ehefrau in die­ser Phase wird die Pflege zu Hause unmöglich. So bittet der Pati­ent den Hausarzt um die Verabreichung einer hohen Dosis an Schmerz- und Beruhi­gungs­mitteln, um sterben zu kön­nen. Im Leben mit zunehmenden Schmerzen, allein ohne seine Frau und in fremder Umgebung sieht er keinen Sinn mehr.

 

Das Anliegen der aktiven Sterbehilfe ist, dem Sterben nicht seinen Lauf zu lassen, sondern dem natürlichen Tod durch akti­ves Eingreifen zuvorzukommen, um das Leben gezielt zu verkürzen. Die Tötung erfolgt zwar auf Verlan­gen des Patienten, aber die Tat wird von einem anderen Menschen aktiv durchge­führt.

 

Aktive Sterbehilfe (genauer: aktive direkte Sterbehilfe) meint die ge­zielte Tötung eines Menschen, die auf sein ausdrück­liches Verlangen erfolgt, z.B. durch die Verabreichung ei­nes den Tod herbei­führenden Präparates (Tablette, Spritze, Infusion).

 

 

8.3. Zur ethischen Diskussion der aktiven Sterbehilfe

 

Seit Jahren wird in einer ganzen Reihe von europäischen Ländern, in den Verei­nigten Staaten, in Australien, Japan und anderswo über die aktive Sterbehilfe kontrovers diskutiert. (vgl. die Gegenüberstellung von Pro- und Contra-Ar­gumenten in Kapitel 14.4.). Diejenigen, die eine Legalisierung der Tö­tung auf Verlangen anstreben, machen be­son­ders auf das Recht zur Selbstbe­stimmung aufmerksam. Nach ihrer Auffassung gehört es zur menschlichen Auto­no­mie, auch über das eigene Sterben verfügen zu können. Im Fall einer schweren und unheilbar ver­laufenden Krankheit sollte daher das Recht auf aktive Sterbe­hilfe eingeräumt werden. So ar­gumentiert beispielsweise der Theologe Hans Küng (Küng, H; Jens, W.: Menschenwürdig ster­ben, München, 1996, 71f.): „Der allbarmherzige Gott, der dem Men­schen Freiheit geschenkt und Ver­antwortung für sein Leben zugemutet hat, hat ge­rade auch dem sterbenden Men­schen die Verantwortung und Gewissensentscheidung für Art und Zeitpunkt sei­nes Todes überlas­sen.“

Gegen eine solche Auslegung des Selbstbestimmungsgedankens wenden sich auf der anderen Seite diejenigen, die eine Freigabe der Tötung auf Verlangen ablehnen. Für sie findet das Selbstbestimmungsrecht an der Unver­fügbarkeit des menschlichen Lebens eine Grenze. So wird beispielsweise in der „Christ­lichen Patien­tenverfügung“ argumentiert: „Weil wir nicht selbst frei über unser Leben und schon gar nicht über das Leben anderer verfügen, lehnen wir jede ak­tive Beendi­gung des Lebens ab.“ Eine Berufung auf die Autonomie des Menschen schließt auch nach Auffassung des Medizinethikers Günther Pöltner (Grundkurs Medizin-Ethik, Wien, 2002, 266) nicht das Recht auf den eigenen Tod ein. „Wer Autonomie achten möchte, kann immer nur jemanden, d.i. das Le­ben eines Men­schen achten.“ Die Tötung auf Verlangen wäre dagegen „nicht Achtung, sondern das genaue Gegenteil, nämlich Vernichtung fremder Au­tono­mie“.

Mit Rückgriff auf die menschliche Selbstbestimmung kann deshalb kein prinzi­pielles Recht auf aktive Sterbehilfe be­gründet werden. Auf der anderen Seite muss man aber auch fragen, ob die Lebenssituation von Menschen, die sich im Endstadium einer tödlich verlaufenden Krankheit befinden, in dieser Diskussion schon angemessen berücksichtigt ist. Geht es aus ihrer Per­spektive wirklich um die Ausübung eines Rechtes und die Verfügung über den eigenen To­des­zeit­punkt? Oder empfinden sie nicht vielmehr, dass durch die tödlich verlaufende Krankheit, die sie erleiden, be­reits über ihr Leben verfügt wird? Nehmen die Sterbenden ihre eigene Situation nicht unter ganz anderen Gesichts­punkten wahr? Viele haben Angst vor einem qualvollen Tod. Manche fühlen sich von ihrer Krankheit entwürdigt, weil sie das Gefühl haben, nicht mehr sie selbst zu sein. Für andere sind es die nicht enden wollenden Schmerzen, die ih­nen das Leben uner­träglich machen. Menschen in dieser extremen Lebenssituation zu verstehen, heißt auch zu ver­stehen, dass bei manchen von ihnen der Wunsch nach einem raschen, schmerz­freien Tod entsteht. Aus der Arbeit der Sterbebegleitung wird vielfach berichtet, dass eine effektive Schmerz­kontrolle und die Gewissheit, einen Men­schen an seiner Seite zu haben, den Sterbe­wunsch habe leiser werden las­sen. Insofern äußert sich im Verlangen nach aktiver Sterbehilfe sicher auch häufig die Angst vor Schmerzen und dem Alleinsein. Dennoch wird man nicht da­von ausgehen können, dass durch eine professionelle Sterbebegleitung der Wunsch nach akti­ver Sterbehilfe ganz zum Verstummen gebracht werden kann. Gerade auch dies ist zu respek­tieren.

Allerdings wird man umgekehrt auch auf die Gefahren einer Legalisierung der Tötung auf Ver­langen aufmerksam ma­chen müssen. Das hinter dem Wunsch stehende Bedürfnis nach Schmerzkontrolle und Begleitung würde mög­licher­weise nicht erkannt. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass Menschen, die aufgrund ihrer schweren Erkrankung auf die Hilfe anderer an­gewiesen sind, die Tötung deshalb wählen, weil sie anderen nicht zur Last fal­len wollen. Leicht könnte ein sozialer Druck empfunden werden, eine gesetzlich zugelassene Möglichkeit auch in Anspruch nehmen zu sollen. Auch die Missbrauchsgefahr ist nicht von der Hand zu weisen.

Ein befriedigender Ausgleich zwischen den einander gegenüberstehenden Argu­menten scheint gegenwärtig nicht er­reichbar. Eine generelle Freigabe der Tötung auf Verlangen unter Berufung auf die menschliche Selbstbestim­mung kann aus ethischer Sicht nicht in Betracht kommen. Aber gleichwohl bleibt ein ungelöster Konflikt bestehen. Auf der einen Seite stehen Menschen in einer extremen Le­benssituation: Menschen, die von einer unheilbaren, tödlich ver­laufenden Krank­heit im fortgeschrittenen Verlauf betroffen sind. Manche von ihnen leiden unter dieser Si­tuation so sehr, dass sie nach langer Auseinandersetzung den Wunsch äußern, durch eine Spritze sterben zu wollen. Auf der anderen Seite ste­hen die berechtigten Bedenken derer, die vor einer Freigabe der Tötung auf Ver­langen warnen. Auch dieser Gefahren wegen dürfte eine prinzipielle Legalisierung aus­scheiden. Aber sind nicht dennoch extreme Ausnahmesituationen vorstellbar, in denen der Hinweis auf die allgemeinen Folgen individuell unmenschlich er­scheint? Wie aber wäre eine solche Notsituation zu regeln? Würde eine rechtliche Regelung den Ausnahmecharakter angemessen erfassen können?

In der Diskussion dieser offenen Fragen wird häufig auf diejenigen Länder ge­schaut, in denen die aktive Sterbe­hilfe unter bestimmten Bedingungen praktiziert wird. Ein Blick auf die Praxis in den Niederlanden und in Belgien kann des­halb die Auseinandersetzung vertiefen.

 

8.4. Gesetzliche Regelungen zur aktiven Sterbehilfe

 

Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland gesetzlich verboten und wird strafrechtlich verfolgt, und zwar auch dann, wenn sie auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten erfolgt.

In einigen anderen Staaten wurde in den letzten Jahren versucht, aktive Sterbe­hilfe in Einzel­fällen bei Einhaltung einer Reihe von Bedin­gungen zu tolerieren.

Solche Vorstöße gab es z.B. durch Gerichtsentschei­dungen in Japan (1996) und in Kolumbien (1997); in Italien und in Luxemburg wird derzeit die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe ge­prüft.

Anlass zu einer anhaltenden kontroversen Debatte lieferten aber besonders ge­setzliche Rege­lungen, wie sie 2002 in den Niederlanden und in Bel­gien in Kraft traten.

 

Zulassung der aktiven Sterbehilfe durch Gesetze in den Niederlanden und in Belgien

 

Im Jahre 2002 sind von den Parlamenten in den Niederlanden und in Belgien ge­setzliche Re­gelungen verabschie­det worden, die weltweit erstmals auch aktive Sterbehilfe zulassen. Das galt weithin als Tabubruch und wird in Deutsch­land vor allem von den Kirchen verurteilt.

Im Folgenden sollen einige Erläuterungen zum „Niederländischen Modell“ gege­ben werden.

Aktive Sterbehilfe (unter dem Begriff „Euthanasie“, der in den Niederlanden all­gemein ge­bräuchlich ist und histo­risch als unbelastet gilt) bleibt auch nach Erlass des Gesetzes vom 1.4.2002 rechtswidrig. In den Niederlanden ist darüber hinaus – anders als in Deutschland - auch Beihilfe zur Selbsttötung strafbar. Aber die Tötung auf Verlan­gen wird nicht strafrechtlich verfolgt, wenn dabei bestimmte Be­dingungen erfüllt werden. Das entspricht etwa der rechtlichen Kon­struktion zur Regelung des Schwanger­schaftsabbruchs im Deutschen Strafrecht.

 

Das niederländische Gesetz zur aktiven Sterbehilfe

(wesentliche Regelungen):

I) Der Artikel 293 des Strafgesetzbuches wird wie folgt geändert:

1. Wer vorsätzlich das Leben eines anderen auf dessen ausdrück­liches und ernst­liches Verlangen hin
    beendet, wird mit Gefängnis­strafe bis zu zwölf Jahren ... be­straft.

2. Die ... Handlung ist nicht strafbar, wenn sie von einem Arzt began­gen wurde, der dabei die ...
    Sorgfaltskriterien eingehalten und ... Mel­dung erstattet hat.

II) Die ... Sorgfaltskriterien beinhalten, dass der Arzt
a) zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Patient seine Bitte freiwil­lig und nach reiflicher Überlegung
    gestellt hat,

b) zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Zustand des Patienten aussichtslos und sein Leiden
    unerträglich ist,

c) den Patienten über dessen Situation und dessen Aussichten aufge­klärt hat,

d) gemeinsam mit dem Patienten zu der Überzeugung gelangt ist, dass es für des­sen Situa­tion keine andere
    annehmbare Lösung gibt,

e) mindestens einen anderen, unabhängigen Arzt zu Rate gezogen hat, der den Patienten untersucht und
    schriftlich zu den unter a bis d genannten Sorgfaltskrite­rien Stellung genom­men hat ...

Wenn ein Patient ... nicht in der Lage ist, seinen Willen zu äußern, je­doch (früher, bei vollem Bewusstsein) eine schriftliche Bitte um Le­bensbeendigung abgegeben hat, kann der Arzt dieser Bitte ent­spre­chen.

(„Das Gesetz über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei Selbsttötung“ – Quelle für den gesamten Text siehe in Kapitel 15.)

 

Die gesetzliche Neuregelung erfolgte in den Niederlanden auf dem Hintergrund einer längeren gesellschaftlichen Dis­kussion. Seit 1973 sind in der Rechtsspre­chung Sorgfaltskriterien für den Umgang mit aktiver Sterbehilfe entwi­ckelt worden.

Auch mit der Verabschiedung des Gesetzes haben Patienten in den Niederlanden kein Recht auf Sterbehilfe. Ge­nauso wenig ist ein Arzt dazu verpflichtet, Sterbe­hilfe zu leisten. Er kann sich weigern, an ihrer Durchführung mitzu­wirken. Dies gilt auch für Pflegekräfte. Darüber hinaus legt das niederländische Gesetz großen Wert auf das Vertrau­ensverhältnis zwischen Arzt und Pati­ent. Sterbehilfe darf nur vom behandelnden Arzt geleistet werden. Er muss den Patienten gut genug ken­nen, um seinen Zustand einschätzen und den Stellenwert seiner Bitte um Ster­be­hilfe beurtei­len zu können. Wie die Praxis zeigt, sind 90% derer, die aktive Ster­behilfe gewünscht und erhalten haben, Patienten, die sich im Endstadium einer Krebserkrankung befinden. So­lange eine realistische Behand­lungsalternative be­steht, liegt aus medizinischer Sicht kein Rechtfertigungsgrund zur aktiven Sterbe­hilfe vor. Genauso wenig darf sie bei Pati­enten ausge­übt werden, die ihren Willen nicht äußern können. Nach offiziellen An­gaben werden rund zwei Drittel der Bitten um Sterbehilfe abgelehnt.

Die Erfahrungen, die in den Niederlanden in den vergangenen Jahren mit der ak­tiven Sterbe­hilfe gemacht worden sind, machen viele Menschen unruhig und nachdenklich: Im Jahr 2001 gingen nach einer systematischen Erhebung etwa 3650 Sterbefälle auf „Eu­thanasie“ zurück, das entspricht 2,6% aller Verstorbenen. Für das Jahr 2010 werden 3136 Fälle angegeben – in 9 Fällen hätten die Ärzte die „Sorgfaltskriterien“ nicht eingehalten (Der Sonntag, Dresden, 11.9.2011 S.14).

Heftig diskutiert wird für die niederländische Praxis einmal der Tatbestand, dass eine erhebliche Zahl von Sterbe­hilfe­fällen nicht gemeldet werden, wie das die einschlägigen Vorschriften vorse­hen. Zum zweiten wird darauf hin­gewiesen, dass bei den drei seit 1991 durchgeführten Erhe­bungen jährlich etwa 1000 Fälle benannt wurden, in denen das Leben von Patienten beendet wurde, ohne dass der aktuell geäußerte ausdrückliche Wunsch der Be­troffenen vorlag. Aller­dings wurde dazu inzwischen klargestellt, dass eine Tötung ohne vorliegenden Wunsch des Patienten weiterhin klar strafbar ist. In vielen der fraglichen Fälle hatten aber die Patienten schon früher angege­ben, in welcher Situation ihrer Krankheit sie nicht mehr weiterleben wollten und um Ster­behilfe bitten würden, oder Angehörige hatten einen sol­chen Wunsch übermittelt.

Anfang März 2012 hat die NVVE die erste Sterbehilfeklinik der Welt eröffnet; "Levenseindekliniek" lautet der Name - ein Platz fürs Lebensende. Sie dient als Anlaufstelle für all jene Niederländer, die sterben wollen, aber keinen Hausarzt haben, der bereit ist, ihnen dabei zu helfen. Zur Klinik gehören ambulante Euthanasie-Teams, jeweils bestehend aus einem Mediziner und einer Pflegekraft. Kommt ein Patient nach einer Prüfung seines Falls in Frage, fährt das Team zu ihm nach Hause, um ihm zwei Medikamente zu spritzen - das eine versetzt den Todeswilligen in einen tiefen Schlaf, das andere stoppt die Atmung und führt so zum Tod. Sechs Teams arbeiten derzeit für die Klinik. Alle beteiligten Ärzte haben bereits Erfahrung in der aktiven Sterbehilfe. Einen Tag pro Woche werden sie in der Klinik arbeiten, die anderen Tage in ihrer eigenen Praxis. Höchstens einmal im Monat sollen sie Sterbehilfe leisten. (Der Spiegel 12-2012 S. 132ff.)

In Belgien wurde im Mai 2002 ein Gesetz zur Sterbehilfe beschlossen, das sich eng an das Niederländische Modell anlehnt, und mit dem aktive Sterbehilfe in Ausnahmefällen straffrei bleibt. Der Justizminister stellte aus­drücklich klar, dass dieses Ge­setz nicht für geistig Behin­derte oder Demenzkranke gilt. Gleichzeitig mit dem Ster­behilfegesetz be­fürworteten die Ab­ge­ordneten ein weite­res Gesetz, das auf den Ausbau schmerzlindernder Be­handlung abzielt.

Abschließend seien noch einige Fakten zur Sterbehilfe in den Niederlanden und im interna­tionalen Vergleich mitgeteilt (genaue Zahlen und Quellenangabe siehe in den Kapiteln 14. und 15.):

Eine aktuelle Studie vergleicht die Häufigkeit und die Charakteristika von ärztli­chen Entschei­dungen am Lebens­ende in sechs europäischen Ländern (THE LANCET, published online June 17, 2003). Die Untersuchung wurde methodisch analog zu früheren Untersuchungen in den Niederlanden durchgeführt und liefert nun vergleichbare Zahlen auch für Bel­gien , Dänemark, Italien, Schweden und die Schweiz. Bemerkenswert ist der in den meisten Ländern erstaunlich hohe Anteil an geleis­teter indirekt-aktiver Sterbehilfe. Aber auch aktive Sterbehilfe gab es da­nach (vor dem Inkraft­treten der genannten Gesetze) nicht nur in den Niederlanden, sondern in allen untersuchten Ländern mit Ausnahme von Schweden. Auch ärztlich unter­stützte Selbsttö­tung wurde 2001 in vier der sechs betei­ligten Länder praktiziert. Und Lebensbeendigung mit ärztlicher Hilfe ohne ausdrückliches Verlangen der Patienten wird aus allen beteiligten Ländern berichtet (sie kommt in Belgien und Dänemark sogar häufiger als in den Nieder­landen vor). Diese Zahlen re­lativieren die Angaben, die bisher nur aus den Niederlanden vorlagen.

Die eben zitierte Studie wird für die Niederlande um eine zusätzliche Untersu­chung ergänzt (THE LANCET, published online June 17, 2003; genaue Zahlen und Quellenangabe siehe in den Kapiteln 14. und 15.). Damit lie­gen für die Pra­xis der „Euthanasie“ in den Niederlanden nun drei Erhe­bungen über einen Zeitraum von 10 Jahren vor, zuletzt ermit­telt für 2001. Danach hat es weder bei den geäußerten Bitten um „Euthanasie“ noch bei den (um ein Drittel niedrige­ren) Fallzahlen tatsächlich geleisteter aktiver Sterbehilfe seit 1995 eine Zunahme gegeben.

 

8.5. Aktive Sterbehilfe – ein Tabu-Thema für die Kirchen?

Die großen christlichen Kirchen in Deutschland lehnen aktive Sterbehilfe klar ab. In der 2003 veröffentlichten Text­sammlung „Sterbebegleitung statt aktiver Sterbe­hilfe“ wird diese Ablehnung mit zahlreichen Stellungnahmen aus den letzten drei Jahrzehnten noch einmal bekräftigt. Mit Hinweis auf das Schöpferhandeln Gottes und die Geschöpflichkeit des Menschen werden die Würde und die Unverfügbar­keit des menschlichen Lebens begründet. „Weil Gott allein Herr über Leben und Tod ist, sind Leben und Menschenwürde geschützt,“ heißt es in der „Christli­chen Patientenverfü­gung“.

Immer wieder wird an die Gräuel der Nazizeit erinnert, die schmerzlich deutlich machen, wie schmal der Grat zur Bar­barei ist. Vielfach wird vor Missbrauch und einem drohenden Damm­bruch gewarnt, so dass sich die Inan­spruchnahme schnell über die ursprüngliche Intention hin­aus ausweiten könnte.

Ob aber manche polemisierenden Äußerungen sachgerecht und angemes­sen mit diesem wich­tigen Thema umge­hen, ist zu fragen. So meinte ein führender Reprä­sentant der Evangelischen Kirche in Deutschland: „Für mich hat die aktive Ster­behilfe nichts Tröstli­ches. Im Gegenteil, ich möchte nicht Angst davor haben, dass einer die Spritze zieht, wenn ich bewusstlos werde. Der Ster­bende verliert nicht seine Menschlichkeit, sondern allenfalls jener, der ihn umbringt“. Dazu ist anzu­merken, dass zum einen Zwangstötung bei Bewusstlosen auch in den Niederlan­den nicht erlaubt ist, und dass mit dem Wort „umbringen“ Ärzte, die so etwas tun, als Mörder einge­stuft werden. Ein­deutig, aber ebenso problematisch sind Aussa­gen wie die, dass „aktive Ster­behilfe ... nichts ande­res zum Ziel hat als die Tötung schwa­cher und kranker Menschen“ und eine „Lizenz zum Töten“ sei. Auch der Katechismus der Katholischen Kirche spricht klar von „Mord“. Versachli­chung und Entemotionalisierung der Diskussion sind deshalb dringend nötig.

 

„Diejenigen, welche sich selbst erhängen
oder sonst töten, leiden Gewalt vom Teufel,
wie der, welcher von einem Räuber getötet wird.
Sie sind ihrer selbst nicht mächtig.
Deshalb kann ich sie nicht verdammen,
obgleich man dies dem Volk nicht sagen soll.“
(Martin Luther, Tischreden)

 

Als grundsätzliche Frage ist zu klären, ob überhaupt eine Abwägung zugelassen wird: Welches Ge­wicht haben zent­rale Prinzipien, wenn auf der anderen Seite der Waagschale das ganz kon­krete Leid eines betoffenen Men­schen liegt?

Auch in Deutschland gilt das Tötungsverbot nicht absolut. Bei Notwehr, im Kriegsfall oder beim Schwangerschafts­abbruch (nach der Fristenlösung wie nach der sog. „medizinischen Indika­tion“), lassen wir die Entscheidung gegen das Weiterleben anderer Menschen zu. Wenn dort eine solche (schmerzliche) Abwägung akzeptiert wird, warum dann nicht auch bei der freiwilli­gen aktiven Sterbe­hilfe, bei der der Betroffene selbst entschei­det, ob und wie er weiterleben möchte?

Häufig begegnet in der Debatte das Argument, schmerzbekämpfende medizini­sche Maßnah­men machten die aktive Sterbehilfe überflüssig. Es bleiben aber immer einzelne Fälle, bei de­nen auch intensivste Schmerzbekämp­fung wir­kungslos bleibt. Was können wir Sterbenden in solchen Grenzfällen sagen ange­sichts ihres aussichtslosen und uner­träglichen Leidens? Das belgische Ge­setz verbindet die Freigabe der aktiven Sterbehilfe mit der Maßgabe einer inten­si­veren Förderung der Palliativmedizin. Verbesserte Schmerztherapie und die Mög­lich­keit, aktive Ster­behilfe in Anspruch nehmen zu können, schließen hier einan­der nicht aus. Sind vielleicht beide notwendige Kom­ponenten der Humanisierung des Sterbens?

Die Bioethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz hat unter persönlicher Leitung des Justizministers 2004 einen ausführlichen Bericht über die ethische, rechtliche und medizinische Bewertung des Spannungsverhältnisses zwi­schen ärztlicher Lebenserhaltungspflicht und Selbstbestimmung des Patienten vorgelegt. Darin heißt es: „Zu beden­ken sind aber extreme Ausnahmefälle, in denen medizinische einschließlich palliativer Maßnahmen ein von dem Pati­enten als unerträglich empfundenes Leiden nicht mildern können. In solchen Extremfällen kann aufgrund des Selbst­bestimmungsrechtes Sterbenskranker ausnahmsweise eine aktive Sterbehilfe ethisch und rechtlich tole­riert werden. Der Gesetzgeber sollte die Möglichkeit einräumen, in solchen Fällen von Strafe abzusehen.“

Drei weitere Probleme seien benannt:

Da ist zum einen ein Sinneswandel in der öffentlichen Meinung zur Kenntnis zu nehmen: Nach Umfragen traten 1973 = 50%, 1983 = 66%, 1993 = 70% und 2000 = 81% der deutschen Bevöl­kerung für eine rechtliche Billigung der aktiven Ster­behilfe ein (Eibach, 2000).

Zum zweiten gehört aktive Sterbehilfe – obwohl sie verboten ist – längst zur Wirk­lichkeit in vie­len Ländern (siehe An­gaben unter 14.3.). Und in Deutschland? Nach einem Bericht im Deut­schen Ärzteblatt (2.5.1997, A-1172) sind vor ei­nigen Jah­ren bundesweit 184 Kliniker und 282 niedergelassene Ärzte für Allgemeinmedizin befragt worden. Rund ein Drittel der Befragten konnten sich Situationen vorstel­len, in denen sie aktive Sterbehilfe leisten möchten. 7,8% der niedergelassenen Allgemeinärzte haben von Fäl­len berichtet, in denen sie einem Tötungs­wunsch eines Patienten entsprochen hätten (Ergebnisse einer neueren Umfrage finden Sie unter Kapitel 14.4.)

Wenn man aber die Existenz von Grenzsituationen ärztlichen Handelns aner­kennt, so stellt sich die Frage nach einem angemessenen gesellschaftlichen und rechtlichen Umgang mit ihnen.

Dass es Situationen gibt, in denen Menschen dem Leiden in einer Weise ausge­liefert sind, die sie in den Tod treibt, kann aus der Sicht des christlichen Glaubens nicht einfach hingenommen werden. Es ist vielmehr alles zu tun, um schwer lei­denden Menschen ihr Leben erträglich zu machen. Wo aber sämtliche Möglich­keiten der menschlichen und medizinischen Begleitung Sterbender erschöpft sind, da entzieht sich die Tötung auf Verlangen ebenso wie die Selbst­tö­tung jeglicher moralischen Verurteilung. Der Versuch, lebens-beendendes Handeln – unter wel­chen Um­ständen auch immer – zu rechtfertigen, also für richtig zu erklä­ren oder gar als Recht zu fordern, führt dazu, dass Gottes unbe­dingtes Ja zum Leben in Frage gestellt wird. Wer andererseits die Lebensbeendigung in extremen Grenzsituationen mit dem Hinweis ablehnt, Gott allein sei Herr über Leben und Tod, läuft Gefahr, das Schöpfungs­handeln Gottes ge­gen seine Barmherzigkeit auszu­spielen.

 

9. Mein Schmerz ist unerträglich

    Schmerztherapie und indirekte Sterbehilfe

 

9.1. Indirekte Sterbehilfe

Viele Patienten, besonders solche mit Krebserkrankungen, leiden in der Sterbe­phase an star­ken Schmerzen. Durch Verabreichen hochwirksamer Medikamente (Opioide, Morphine) ist es in den meisten Fällen (aber nicht in allen!) möglich, die Schmer­zen zu lindern oder weitgehend zu unterdrücken. Erst die so erreichte Schmerz-Freiheit ermög­licht den Patienten wie­der ein be­wusstes und aktives Wahrnehmen und Teilhaben an den Vorgängen in ihrer Umge­bung.

Die verabreichten Medikamente haben jedoch eine unvermeidbare Nebenwir­kung, dass sie bei län­gerem Einsatz in hohen Dosen den Eintritt des Todes be­schleunigen können, ihr Gebrauch also zu einer Lebens­verkürzung führt.

Eine solche „indirekte“ Sterbehilfe wird in Deutschland in Abwägung der ärztlichen Doppelpflicht - Leben erhalten und Schmerzen lindern - für rechtlich und ethisch zulässig gehalten.

 

Indirekte Sterbehilfe (genauer: indirekte aktive Sterbehilfe) wird geleistet, wenn tödlich Kranken ärztlich ver­ordnete schmerz­lin­dernde Medi­kamente gegeben werden, die als un­be­absichtigte Ne­benfolge den Todeseintritt beschleunigen können.

 

Das Problem: Der Unterschied zur direkten aktiven Sterbehilfe besteht nur im er­klärten Wunsch. Für das Straf­recht bedeutsam ist der Vorsatz des Arztes. Gibt er bei­spielsweise Morphine zur Schmerz­linde­rung, selbst wenn er sicher weiß, dass der Patient dadurch früher stirbt, geht er straflos aus. Verab­reicht er allerdings die gleiche Dosis in der Ab­sicht, den Tod des Leidenden herbei­zuführen, macht er sich strafbar. Der wahre Vorsatz des Arztes lässt sich jedoch nur schwer ermit­teln. Die Unterschei­dung zwischen der erlaubten indirekten aktiven Sterbehilfe und der verbotenen di­rekten aktiven Tötung bleibt daher in der Praxis unscharf.

 

9.2. Unzulängliche Schmerzbekämpfung in Deutschland

Viele Menschen haben Angst, in der letzten Phase ihres Lebens unerträglichen Schmerzen hilflos ausgesetzt zu sein. Nach Schätzungen leiden in Deutschland bis zu fünf Millionen Men­schen an chronischen Schmerzen. In der Bundes­republik begehen nach Angaben des Grünen Kreuzes mehr als 3000 Menschen im Jahr Selbstmord, weil sie schmerzbedingte Qualen nicht mehr aushalten kön­nen. Vor wenigen Jahren wurde angegeben, dass etwa eine Mil­lion Men­schen aufgrund stärkster Schmerzen auf eine Behandlung mit Opioiden (z.B. Morphin-Präpa­raten) ange­wiesen sind. In der Rea­lität erfolgten 1996 aber nur 1,8 Millionen Einzelver­ord­nun­gen von Medikamenten, die der BtMVV (Betäubungsmittelverschreibungs­verordnung) unterlie­gen. Damit konnten maximal 100000 bis 150000 Schmerz­pa­tienten adäquat versorgt werden. Es wurde beklagt, dass bei 75% aller Tod­kran­ken in Deutschland starke, wieder­kehrende oder stän­dige Schmerzen nicht aus­reichend gelindert würden, obwohl dies medizinisch möglich sei. Zwar ist der Morphinverbrauch in den letzten Jahren in Deutschland gestiegen, aber im Ver­gleich zu ihren däni­schen Kolle­gen verordne­ten deutsche Ärzte im Jahr 2000 nur ein Viertel der Menge an morphinhalti­gen Schmerzmitteln.

Individuell dosierte Morphine, regionale Nervenblockaden oder eine niedrig do­sierte Chemothe­rapie lassen die Ärzte heute auch extreme Schmerzen in den Griff bekommen. Erforderlich ist es dabei, schmerzlindernde Mittel beizeiten und vor­beugend (also nicht erst bei akutem Bedarf) einzusetzen und genau zu dosie­ren.

Die in Deutschland unzulängliche Schmerzbehandlung ist zum Teil darin begründet, dass auch Mediziner immer wie­der Bedenken einbringen, die nicht (mehr) stimmen.

·         »Morphine haben eine lebensverkürzende Wirkung« - Eine solche Wirkung kann zwar eintreten, wird in Deutsch­land in Ab­wä­gung der ärztlichen Doppelpflicht - Leben erhalten und Schmerzen lindern - für recht­lich und ethisch zulässig gehalten („indi­rekte“ Sterbehilfe).

·         »Morphinpräparate machen die Patienten süchtig.« - Das ist – wenn die Anwendung sachgerecht erfolgt – nicht richtig.

·         »Morphium trübt das Bewusstsein.« - Das Gegenteil ist bei sachgemäßer Anwendung richtig: erst das Frei­sein von Schmerzen ermöglicht dem Patienten wieder, bewusst und aktiv an Vorgängen in seiner Umge­bung teilzunehmen, Gespräche zu führen usw. (Natürlich kann man durch Überdosierung einen Patienten be­wusstlos machen, ja vielleicht auch töten.)

Auf dem Gebiet der Schmerzbehandlung ist in Deutschland offenkundig noch viel zu tun. Be­mühungen und Erfolge auf diesem Gebiet könnten das schlimme Schicksal vieler Patienten lin­dern und den Wunsch nach aktiver Sterbe­hilfe gar nicht erst aufkommen lassen.

 

Verbrauch verschiedener Opioide im internationalen Vergleich
Stand 2000

 

(Kilogramm Substanzen pro 1 Million Einwohner)

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Land                            Morphin            Codein              Dextropropoxyphen

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Deutschland                 17,6                 91,5                             10,6

Schweiz                                   20,6                 496,2                           30,6

Großbritannien              21,2                 349,4                           871,1

USA                             30,8                 110,6                           657,2

Norwegen                     32,2                 378,4                           68,4

Österreich                    45,7                 12,5                             4,6

Kanada                                    50,9                 537,2                           11,3

Dänemark                     70,0                 504,9                           74,8

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(International Narcotics Control Board 2002)

 

9.3. Terminale Sedierung

Immer häufiger wird in Spanien, Israel, Südafrika, den USA und in einigen nord­europäischen Ländern bei nicht be­herrschbaren Schmerzzuständen bei Sterben­den die sog. „terminale Se­dierung“ vorgenommen. Auch in Deutsch­land wird diese Maßnahme (gerade auch von einigen Palliativmedizinern) als „letztes Mittel“ diskutiert und einge­setzt. Bei der „terminalen Sedierung“ (= künstlich herbeigeführ­ter Tiefschlaf in den Tod hinein) verschwimmt die Grenze zwi­schen ak­tiver und passiver Sterbehilfe. Der Arzt versetzt einen Sterbenden, dessen Schmerzen nicht an­gemessen gelindert werden können, durch Verabreichen narkotisch wir­kender Substanzen in Schlaf und bricht dann eventuell in einem zweiten Schritt alle medizi­nischen Behandlungen ab. In solchen Fällen tritt der Tod in­nerhalb einiger Tage ein.

Die „terminale Sedierung“ in der dargestellten Form kommt der aktiven Sterbehilfe sehr nahe. Aber der Sterbewil­lige stirbt letzten Endes an den Folgen seiner Krankheit oder an einer tödlichen Komplikation, nicht aber direkt und unmit­telbar durch ein ärztlich inji­ziertes Medikament bzw. Gift.

Handelt es sich dabei um eine annehmbare und gesetzlich zulässige Form der passiven Ster­behilfe, da sie zwei Mo­mente enthält, die heute erlaubt sind: Patienten in Schlaf zu versetzen und eine Behandlung abzubrechen? Oder ist die klare Ab­sicht dieser Handlung, den Patienten zu töten – und muss „terminale Sedierung“ dann als unerlaubte ak­tive Sterbehilfe betrachtet und verboten werden?

Die christlichen Kirchen in Deutschland äußern sich in ihrer Textsammlung „Ster­bebegleitung statt aktiver Sterbe­hilfe“ (2003) sehr kritisch dazu und befürchten eine „neue Form der Eutha­nasie“.

Nach der Bewertung der Arbeitsgruppe des Bundesministeriums der Justiz „Patientenauto­nomie am Lebensende“ (Bericht vom 10. Juni 2004) „ist bei Versagen aller sonstigen pallia­tivmedizinischen Möglichkeiten – jedenfalls in der terminalen Krankheitsphase (= Krankheits­stadium, in dem der Eintritt des Todes in Tagen oder wenigen Wochen un­abwendbar abseh­bar ist und kurative Behandlungen nicht mehr möglich sind) - mit Einwilligung der Patientin oder des Patienten eine Sedierung (gezielte Dämpfung bis hin zur Ausschaltung des Be­wusstseins) zulässig“ (hier ohne weitere Maßnahmen verstanden, die zur Lebensverkürzung führen).

 

10. Wird jemand bei mir sein, wenn ich sterbe?

     Möglichkeiten der Begleitung Sterbender durch Hospizarbeit und
     Palliativmedizin

 

„Das Bild kann ich nicht vergessen: Sie sitzt in ihrem Rollstuhl an der Terrassen­tür und wartet auf mich. Jede Woche zu dem vereinbarten Termin besuchte ich die fünfundachtzigjährige, tod­kranke Frau H., die in einer kleinen Wohnung lebte und deren Leben nur noch, wie sie sagte, „an einem dünnen Faden hänge“. Sie hatte sich gewünscht, dass eine Helferin vom Hospiz­dienst sie in ihrer letzten Le­benszeit begleitet und Zeit für sie hat. Vom Pflegedienst am Morgen versorgt, saß sie nun an der Tür, um sie für mich zu öffnen und mich mit einem „Komm rein, meine Gute!“ zu begrü­ßen. Die Besuche ähnelten sich und immer hatte Frau H. einen großen Gesprächs­bedarf. Außer einer Nichte, die re­gelmäßig für sie einkaufte und ihre Wohnung sau­ber hielt, hatte sie keine Ver­wandtschaft. Sie sprach mit mir über die Krankheit und ihre alltägli­chen Sorgen, über viele gute und belastende Ereignisse ihres Lebens. Manchmal hatte ich den Eindruck, als würde sie vor ihrem Leben wie vor einem großen Wäscheschrank stehen, aus dem sie den Inhalt Stück für Stück sorgsam herausnahm und betrachtete, um es dann endgültig wieder zurückzulegen.

Wichtig war ich für sie als lebendiges Gegenüber, und ich hörte ihren Erzählun­gen interessiert zu. Nach ein bis zwei Stunden sagte sie meist: „Ach, haben wir heute wieder schön erzählt!“, und ich wusste, dass sie für heute ge­nug ge­redet hatte. Über kleine Aufmerksamkeiten wie eine Urlaubskarte freute sie sich riesig und zeigte sie jeder Schwester vom Pflegedienst.

Ihre Kräfte schwanden und in der letzten Woche konnte sie das Bett nicht mehr verlassen. An einem Februartag starb Frau H. ganz ruhig im Beisein ihrer Nichte, die mich informierte und mit der ich nach der Beerdigung noch ein länge­res Gespräch führte.

Im Nachhinein weiß ich, dass mir in der sechsmonatigen Beziehung zu Frau H. besonders gut getan hat, dass sie sich auf mich freute, mich gern hatte und mir das auch mit großer Herzlich­keit zeigte. Ich habe von ihr gelernt, dass Los­lassen notwendig und lernbar ist.

Und manchmal, wenn ich an der Straße vorbeifahre, in der sie wohnte, erinnere ich mich an sie und schicke ihr einen guten Gedanken …“

(Aus dem Bericht einer Hospizhelferin)

 

„Wird jemand bei mir sein, wenn ich sterbe?“ Diese Frage können wir von vielen Menschen hö­ren, die an ihr Lebens­ende denken und ihre Angst, allein und ein­sam sterben zu müssen, so ausdrücken. Einige Antworten gibt die in Deutschland noch junge Hospizbewegung, die Men­schen in ihrer letzten Lebensphase Beglei­tung anbietet.

 

Unter Sterbebegleitung versteht man alle Formen der mitmenschli­chen, pflegeri­schen und seelsorgerlichen Zuwendung zum Sterben­den, die keinen direkten Ein­fluss auf den biologi­schen Sterbeprozess nehmen.

 

10.1. Hospizarbeit

 

Der Begriff Hospiz kommt aus dem Lateinischen und heißt soviel wie Herberge oder Raststätte. Hospize waren den Menschen früher bekannt als Zufluchtsstät­ten für Reisende, Pilger und Kranke. Ordensgemeinschaften küm­merten sich um die Bedürftigen. Im Mittelalter gab es allein in Paris über 40 Hospize, später ent­standen daraus die „Hospitä­ler“.

Die in der Vormoderne übliche Großfamilie gibt es heute bei uns kaum noch. Die Menschen le­ben in Klein­familien mit höchstens zwei Generationen oder als Sin­gles. Das verringert die Mög­lichkeiten der Familien, Kranke und Sterbende zu Hause zu pflegen und auch selbst mit diesem Geschehen in Berührung zu kom­men. Menschen sterben nicht mehr zu Hause. Die Gesell­schaft hat den Umgang mit Sterbenden verlernt. Die Pflege todkranker Menschen wird Institu­tionen und professionellen Helfern übertragen.

Ende der 50er Jahre gab es ein neues Nachdenken über die Bedingungen, unter denen Men­schen sterben. Der Be­griff „Hospiz“ erhielt in diesem Zusammenhang eine neue Bedeutung: ein Haus, in dem Sterbende Aufnahme finden, Pflege und menschlichen Beistand erhalten.

„Sie sind wichtig, weil Sie eben Sie sind.
Sie sind bis zum letzten Augenblick
Ihres Lebens wichtig,
und wir werden alles tun,
damit Sie nicht nur in Frieden sterben,
sondern auch bis zuletzt leben können.“
(Cicely Saunders)

 

Besonders zwei Frauen haben sich für die Bedürfnisse Sterbender eingesetzt und wichtige Veränderungen einge­leitet. Das war zum einen Cicely Saunders, die jetzt hoch betagt in Lon­don lebt und als Krankenschwester, Sozial­ar­beiterin und Ärztin arbeitete (sie wurde für ihr hospizliches Engagement von Königin Elisabeth geadelt). Cicely Saun­ders er­kannte die große Be­deutung der Schmerztherapie und der menschlichen Zuwendung für Sterbende und eröff­nete 1967 das erste Hospiz in London. In diesem Hospiz stehen auch heute noch neben sorgfältiger Pflege, medizini­scher Betreuung und Symptomlinderung, die mitmenschliche Begleitung und der Respekt für die Wünsche und Bedürf­nisse der sterbenden Menschen im Mittelpunkt. Inzwi­schen gibt es in Großbritannien weit über 200 stationäre Hos­pize.

Zum anderen erkannte die Schweizer Ärztin Elisabeth Kübler-Ross, die in den USA in verschie­denen Krankenhäu­sern arbeitete, dass die Pflege und Begleitung Sterbender nicht ausreichend war. Sie nahm sich Zeit für Gesprä­che mit vielen todkranken Patientinnen und Patienten und schrieb ihre Erkenntnisse über spezi­fische Verhaltens­weisen und Bedürfnisse Sterbender nie­der. Durch ihre bahnbre­chenden Veröffentlichungen (z.B. „Interviews mit Sterbenden“, 1971) er­reichte sie weltweit eine große Anzahl Menschen und brachte das Thema Sterben und Tod in die öffentliche Diskussion. Sie gründete Hospize in den USA und initiierte und begleitete Workshops für tod­kranke Menschen.

Die Initiative dieser beiden Frauen löste in vielen Ländern ein neues Nachdenken über die Möglichkeiten würde­vollen Sterbens aus und die Begleitung Sterbender als eine gesamtgesell­schaftliche Aufgabe gelangte nun stärker in das öffentliche Bewusstsein.

Es gehört zu den Grundbedingungen menschlichen Lebens, einander in den Grenzsituationen beizustehen. So wie ein Neugebo­renes mit großer Sorgfalt in das Leben begleitet wird, sollen auch ster­bende Menschen auf ihrem letzten Weg Zuwendung und menschliche Nähe erfahren dürfen.

Sterbebegleitung ist keine Aufgabe für hoch spezialisierte Fachleute. Jeder auf­merksame Mit­mensch kann Sterben­den Trost geben und das Gefühl vermitteln, in dieser Situation nicht allein gelassen zu sein.

Sterbebegleitung hilft Sterbenden, ihre letzte Lebenszeit als lebenswert zu emp­finden. Kranke können Bedürfnisse, Wünsche, Erwartungen, aber auch Hoffnun­gen, Ängste und Wut ausspre­chen und so Entlastung finden.

Die neu entstandene, vertrauensvolle Beziehung zwischen Begleiterin und Kranken kann den Rahmen und auch den notwendigen Rückhalt geben, „un­erledigte“ Dinge anzusprechen und eine eigene Lebensbilanz zu ziehen.

Begleiterinnen sind Gebende und Empfangende. Sie bieten Sterbenden ihre Zeit, Aufmerksam­keit und Zuwendung an. Sie schaffen die Voraussetzungen für eine vertrauensvolle, wertschät­zende und akzeptierende Atmosphäre und ermöglichen Gespräche und Begegnung. Begleite­rinnen erleben diesen Dienst oft als große Herausforderung und sie kommen mit den eigenen Grenzen, Angst und Ohn­macht in Berührung. Sie spüren und begreifen, dass auch ihr Le­ben einmal enden wird. In diesem Prozess lernen sie einen neuen, bewussteren Umgang mit Ver­lus­ten, Tod und Trauer und werden sensibler für die Probleme und Sorgen anderer.

 

Hospize bejahen das Leben. Hospize machen es sich zur Aufgabe, Menschen in der letzten Phase einer unheilbaren Krankheit zu unter­stützen und zu pflegen, da­mit sie in dieser Zeit so bewusst und zufrie­den wie möglich leben können. Hospize wollen den Tod weder be­schleunigen noch hinauszögern. Hospize leben aus der Hoffnung und Überzeugung, dass sich Patienten und ihre Familien so weit geistig und spirituell auf den Tod vorbereiten kön­nen, dass sie bereit sind, ihn anzuneh­men. Voraussetzung dafür ist, dass eine an­gemes­sene Pflege gewährleistet ist und es gelingt, eine Gemeinschaft von Men­schen zu bilden, die sich ihrer Bedürf­nisse verständnisvoll annimmt.
(Hospiz-Definition der Nationalen Hospiz-Organisation der USA)

 

Die Hospizbewegung hat es sich zum Ziel gesetzt, menschenwürdiges Sterben zu ermöglichen und sterbenden Men­schen die Chance zu geben, ihre letzte Lebens­zeit zu Hause in ihrer ge­wohnten Umgebung verbringen zu können. Die Angehö­rigen sollen so viel wie möglich Unter­stützung und Ermutigung dafür erhalten, ihre Kranken zu Hause zu betreuen.

Es gibt drei Formen von Hospizarbeit: ambulante Hospizdienste, stationäre Hospize und Tageshospize.

 

10.1.1. Ambulanter Hospizdienst

Der ambulante Hospizdienst ist die Basis der Hospizarbeit. Ehrenamtliche Mitar­beiterinnen un­ter der Leitung einer hauptamtlichen Koordinatorin begleiten ster­bende Menschen dort, wo sie sich wohl fühlen, geachtet werden und nicht zuletzt auch Einfluss auf die Gestaltung und die Qualität ihrer letzten Lebenszeit haben: in ihrem häuslichen Umfeld. Die Hospizhelferinnen stellen eine vertrauensvolle Beziehung zu den Sterbenden und ihren Angehörigen her und ste­hen für Gesprä­che zu Verfügung.

 

Was leisten die ehrenamtlichen Helferinnen des ambulanten Hospizdienstes?

·         Zuhören, Zeit haben, das Geschehen aushalten

·         Anbieten kleiner Hilfen für die Kranken: gemeinsamer Spaziergang (oder mit dem Rollstuhl ausfahren), vorle­sen, spielen, singen, vielleicht ein ge­wünschter Theater- oder Kinobesuch, aber auch spirituelle Begleitung, z.B. ein gemeinsamer Gottesdienstbesuch

·         Entlastung für pflegende Angehörige

·         Unterstützung der Kranken beim Wahrnehmen ihrer Freiheit und Selbstbe­stimmung

·         Respektieren der ethischen, religiösen oder politischen Weltanschauung Sterbender und ih­rer Familien

·         Wahren der Schweigepflicht gegenüber allen Belangen und Daten der Fami­lien

·         Begleitung Sterbender in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen

·         weiterführende Begleitung der trauernden Angehörigen

 

Strukturelle Voraussetzungen

Die hauptamtliche Koordinatorin ist verantwortlich für:

·         Öffentlichkeitsarbeit und Gewinnung von Ehrenamtlichen

·         Konzeption, Planung und Durchführung der Vorbereitungs- und Fortbildungskurse für Ehren­amtliche

·         Aufbau von Hospizgruppen vor Ort, Vernetzung mit Einrichtungen in der Re­gion

·         Erstkontakte mit Sterbenden und Angehörigen

·         Koordination der Einsätze und Organisation der Arbeit

·         Hospizbüro mit festen Öffnungszeiten

·         Beratung und Begleitung der Helferinnen (Einzelgespräche, Gruppen­abende)

 

Du frierst
und viele werden sagen
es ist nicht kalt
Du hast Angst
und viele werden sagen
hab nur Mut
Du bist allein
und viele werden sagen
Jetzt keine Zeit
Doch manchmal
ist da jemand,
der sagt
Nimm meinen Mantel
und meine Hand
und lass mich dich
ein Stück begleiten –
jetzt
(Angela Sattler)

 

Erweiterte Formen ambulanter Hospizarbeit (aufbauend auf dem ambulanten Hospizdienst):

·         Ambulanter Hospiz- und Palliativ- Beratungsdienst:

Zusätzliches Angebot: Beratung zu pallativ-pflegerischen Maßnahmen in enger Zusam­menarbeit mit

ÄrztInnen und Pflege­diensten (seit 2007: Spezialisierte Ambulante Palliativ-Versorgungs-Teams (SAPV))

·         Ambulanter Hospiz- und Palliativ- Pflegedienst:

Zusätzliche Angebote: palliativ-pflegeri­sche Versorgung in enger Zusam­menarbeit mit Ärz­tInnen

und Pflegediensten, Grundpflege bei Bedarf, auf Wunsch auch Anleitung von Ange­hörigen bei palliativ-

pflegerischen Maß­nahmen

Der ambulante Hospizdienst mit dem Angebot der psychosozialen Gesprächsbe­gleitung stellt eine Ergänzung, aber keine Konkurrenz zur Arbeit von Pflege­diensten dar.

Betroffene nehmen das Angebot einer hospizlichen „Sterbebegleitung“ manchmal mit Angst und Distanz auf. In der Öffentlichkeit sollte deutlicher betont werden, dass hier Lebens-Hilfe in einer schwierigen Krisensituation ange­bo­ten wird.

 

10.1.2. Stationäres Hospiz

Im stationären Hospiz finden sterbende Menschen Aufnahme, für die eine häusli­che Versor­gung nicht möglich ist. Neben der Schmerztherapie und Linderung der Symptome werden die Sterbenden auch psychisch betreut und bis zu ihrem Le­bensende gepflegt.

Die Prinzipien der Arbeit von stationären Hospizen können so zusammengefasst werden (nach Zulehner/ Becker 1981):

·         Raststätte sein

keine verbindliche Endstation; zeitlich begrenzter Aufenthalt zwischen Klinik und Zuhause;

Sterbeort für Alleinstehende

·         Teamarbeit

Interdisziplinäres Team: Zusammenarbeit von Pflegepersonal, Ärz­ten, Sozialarbeiterinnen, Seelsorgern

·         Pflege und medizinische Versorgung

Verzicht auf Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die nicht (mehr) den Lebensinteressen des
      Patienten entsprechen; Konzentration auf Maßnahmen zur Linderung von Beschwerden;
      bestmögliche Schmerztherapie

·         Einbeziehen der Familie und von freiwilligen Helferinnen

(dabei auch Begleitung der Begleiterinnen sichern)

·         Ziel ist die Betreuung zu Hause

Unterbringung in vertrauter Umgebung; ambulante Hospizdienste und Pflegedienste vor Ort einbeziehen;

Begleitung der Familie über den Tod hinaus

In diesen Grundsätzen wird deutlich, dass auch im stationären Hospiz das Ziel weiter verfolgt wird, Sterben zu Hause zu ermöglichen. Die Erfahrungen in Groß­britannien belegen dies: 1967 starben nur 2% der zunächst im Hospiz aufge­nommenen Menschen nach ihrer Rückverlegung zu Hause, 1990 waren es schon über 40% (Interna­tionale Gesell­schaft für Sterbebeistand und Lebensbegeleitung IGSL: Hospize - Raststätten auf dem Wege).

Zu Recht wird von den Kirchen festgestellt („Sterbebegleitung statt aktiver Sterbehilfe“, 2003): „Ein menschenwür­diges Sterben ist an jedem Ort möglich; nicht nur zu Hause oder in einem Hospiz. Menschenwürdige Sterbebe­gleitung ist auch in jedem Kranken­haus und Pflegeheim möglich. Es kommt auf die Menschen an, die da sind und für den Ster­benden sorgen.“ Die Realität spricht jedoch oft eine ganz andere Sprache. In den genannten Einrich­tungen fehlen dafür vielfach die objektiven Voraussetzungen (Personal und Zeit für die notwendige Zuwendung).

 

10.1.3. Tageshospiz

In stationären Hospizen bestehen Angebote für eine Tagesbetreuung Sterbender. In diesem Bereich finden Schwerst­kranke für ein paar Stunden täglich Kontakte mit anderen Betroffenen und seelische Unterstützung. Diese Möglichkeit erweitert ihren Lebenskreis, ist ein guter Weg aus der Isolation und entlastet auch zeit­weise pflegende Angehörige. Über einen Fahrdienst kann die An- und Abreise ge­regelt werden.

 

10.2. Palliativmedizin

 

Das Wort „palliativ“ kommt aus dem Lateinischen (palliare) und bedeutet: mit ei­nem Mantel be­decken. Ziel der Pal­lia­tivmedizin und Palliativpflege ist es, Men­schen mit ihren physischen, psy­chischen, sozialen und geistigen Bedürfnis­sen und Möglichkeiten so zu unterstützen, dass sie in ihrer momentanen Situation ein Höchstmaß an Lebensqualität finden. Dabei steht die Linde­rung von Beschwer­den, nicht die Heilung im Vordergrund.

 

Palliative Medizin ist ein Zweig der Medizin, der sich ganz besonders der Schmerztherapie und der Linde­rung anderer Beschwerden (z.B. quälender Symp­tome wie Luftnot, Übelkeit oder Erbrechen) widmet. Darüber hinaus steht in der Palliativmedizin die intensive Einbezie­hung psychosozialer und spiritueller Aspekte der Krankheitsverarbei­tung bei Patienten und ihren Angehörigen im Vordergrund.

 

Cicely Saunders prägte den Begriff des „totalen Schmerzes“ und machte damit deutlich, dass die körperlichen Schmerzen untrennbar verbunden sind mit dem Leid, das aus Ängsten und der Ungewissheit erwächst. Der totale Schmerz tod­kranker Menschen hat vier Dimensionen:

·         Der physische Schmerz:

Körperliche Schmerzen können mit Hilfe einer guten Schmerzthera­pie be­seitigt oder zu­mindest stark

reduziert werden.

·         Der psychische Schmerz:

Sterbende leiden unter bestehenden Beziehungskonflikten. Da auch viele Menschen nicht gelernt haben,

über ihre Gefühle zu sprechen, kann dies eine zusätzliche Belastung be­deuten.

Kommunikative Angebote stellen eine Hilfe dar.

·         Der soziale Schmerz:

Die Trennung von den Angehörigen und von dem gewohnten, liebgewor­denen Zuhause verursacht
      Schmer­zen. Jeder Mensch hat Sehnsucht nach liebe­vollen Beziehungen und will Teil einer Gemeinschaft
      sein. Sich zu­wenden und Zeit haben helfen in dieser Situation.

·         Der spirituelle Schmerz:

Kranke stellen häufig die Frage nach dem Sinn des Lebens und der Krank­heit und geraten in Gefahr, dass
      die Grundfesten einer lebenslangen Glau­bens­haltung erschüttert und damit die allgemeine Unsicherheit und
      Hoffnungslosigkeit noch unerträglicher werden. Hier kön­nen seelsorgerische Gesprächsangebote helfen.

      Schmerzerleichterung ist nur möglich, wenn alle Dimensionen Beachtung finden (ganzheitliche Sichtweise).

 

Palliativstationen sind meist in ein Krankenhaus eingebunden. Das Betreu­ungsteam beste­hend aus Ärzten, Schwestern, Sozialarbeiterinnen und Seelsor­gern steht Sterbenden und ihren Angehörigen ganzheitlich bei. Ziel ist die Linderung belastender Krankheitssymptome wie Schmerz, Atemnot oder Übelkeit. Auf ag­gressive Therapie­formen (z.B. Einsatz von Chemothe­rapie) wird verzichtet.

Die Angehörigen werden einbezogen und können auf Wunsch auch über Nacht bleiben.

 

Wird jemand bei mir sein, wenn ich sterbe?

Sterbebegleitung ist Lebenshilfe in der letzten Lebensphase. Nicht zuletzt durch die Hospizbe­wegung entsteht ein neues Bewusstsein dafür, dass Sterben zum Leben gehört und dass Ster­bende lebendige Menschen mit Ängsten, Bedürfnis­sen und Erwartungen sind. Sterbebegleitung ist ein freundschaftlicher, liebevoller und notwendiger Dienst am Menschen, der uns alle an­geht.

 

 

11. Ich möchte zu Hause sterben

      Betreuung Sterbender in ihrer vertrauten Umgebung

 

Der Wunsch, wie Menschen sterben möchten, und die Wirklichkeit, wie sie ster­ben (müssen), haben sich in den ver­gangenen Jahrzehnten weit auseinander entwickelt.

Laut Umfragen wünschen sich auch heute noch neun von zehn Mitmenschen, in vertrauter Um­gebung sterben zu dürfen, in den eigenen vier Wänden, begleitet von Angehörigen.

Jedes Jahr sterben in Deutschland etwa 850000 Menschen. Über die Hälfte aller Todesfälle er­eignen sich in Kran­ken­häusern, Kliniken, Pflege- und Altenheimen; in manchen Großstädten sind es 90% und mehr.

Es gibt eine Fülle ernst zu nehmender Gründe, warum für viele Menschen eine Pflege von An­gehö­rigen in häusli­cher Umgebung kaum möglich ist (z.B. Berufstä­tigkeit, fehlende Unterbrin­gungsmöglichkeiten). Trotzdem ist es wichtig, den Wunsch Sterbender ernst zu nehmen und zu prüfen, ob dieser Liebesdienst nicht doch geleistet wer­den kann.

 

GEBET

Herr, ich weiß, dass du mich liebst,
mein Leben wie mein Sterben
liegt in deinen Händen.
Ich glaube, dass alles, was kommt,
in deine Liebe eingeschlossen ist.

Hilf mir, deinen Willen anzunehmen
und zu verstehen,
hilf mir, täglich bereit zu sein,
wenn du mich rufst.
Lass mich auch im Sterben
in deiner Liebe geborgen bleiben.
Ich hoffe auf dich:
Du wendest alles zum Guten.
Herr, dein Wille geschehe.

(Evangelisches Gesangbuch,
Ausgabe Sachsen, Nr. 943)

 

Österreich war das erste Land in Europa, in dem Arbeitnehmer das Recht haben, ihre Arbeitszeit zu verkürzen oder sich freistellen zu lassen, wenn sie Sterbe­be­gleitung leisten wollen; sie sind in dieser Zeit sozialversichert und vor Kündi­gung geschützt. Auch in Frankreich wurde eine Regelung getrof­fen, nach der Angehörige einen rechtli­chen An­spruch auf eine dreimonatige Freistellung zur Pflege von sterbenden Verwandten haben.

Mit Wirkung zum 1. April 2007 hat der deutsche Gesetzgeber als individuellen Leistungsanspruch die „Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung“ (SAPV) in das Sozialgesetzbuch V aufgenommen. Seitdem hat jeder Versicherte in Deutschland das Recht auf diese neue Versorgungsform. Sie hat zum Ziel, auch solchen Patientinnen und Patienten eine Versorgung und Betreuung zu Hause zu ermöglichen, die einen besonders aufwändigen Betreuungsbedarf haben. (http://www.dhpv.de/themen_sapv.html)

Die sogenannten SAPV-Teams können den sehnlichsten Wunsch vieler Schwerstkranker erfüllen: in den eigenen vier Wänden zu sterben. Die Krankenkasse zahlt. Dafür organisieren die SAPV-Teams Rollstühle, Liegehilfen, Krankenbetten oder Pflegerinnen und Physiotherapeuten. Sie geizen nicht mit Morphin gegen Schmerzen oder Atemnot, sie verabreichen Neuroleptika, wenn die Patienten delirieren. Die Mitarbeiter der Mobilteams verfassen für ihre Patienten Briefe an Krankenkassen oder besorgen noch einmal eine Karte für ein Champions-League-Spiel des FC Bayern München. Was sonst Wochen dauert, geht hier oft in Stunden. Alle wissen: Wer schwerstkrank ist, hat keine Zeit mehr. In Deutschland arbeiten bereits mehr als 200 SAPV-Teams. Sie sind eine Art Hospiz auf Rädern mit 24-Stunden-Rufbereitschaft. (Der Spiegel 22-2012 S.110ff.)

 

Im Folgenden sind einige Hinweise für die Vorbereitung auf eine Verlegung des Patienten nach Hause zusammenge­stellt.

 

11.1. Praktische Hinweise vor der Verlegung des Patienten nach Hause

 

11.1.1. Kontaktaufnahme mit folgenden Stellen oder Personen:

·   Klinikarzt (Weitergabe aller Informationen an den Hausarzt, Vorberei­tung der Ent­lassung)

·   Sozialdienst des Krankenhauses (Auskunft und Beratung über Hilfen)

·   Sozialstation/Pflegedienst (Beratung und Unterstützung in der Pflege)

·   Hausarzt (sollte die Entscheidung, den sterbenden Men­schen zu Hause zu pfle­gen, mittragen und zu regelmäßi­gen Hausbesuchen bereit sein)

·   Pflegekasse bei der Krankenkasse (Pflegeleistungen beantragen)

·   ambulanter Hospizdienst

 

11.1.2. Vorbereitung des häuslichen Umfeldes

·   Wie weit ist das Badezimmer entfernt?

·   Möchte der Sterbende allein sein, oder ist ein Platz im Wohnzimmer besser?

·   Wie kann sichergestellt werden, dass der Kranke gehört wird?

·   Ist genug Platz vorhanden, wenn der Sterbende allein sein möchte und auch die Pflegenden eine Pause und Ab­stand benötigen?

·   Kann ein gutes Bett zur Dekubitusprophylaxe zur Verfügung gestellt werden? (Sozialstation oder Kranken­kasse)?

·   Das Bett sollte so stehen, dass Zugang von beiden Seiten möglich ist (umbetten, dre­hen, not­wendi­ger Wäschewech­sel).

·   Ist genügend Platz für einen Tisch am Bett vorhanden,  auf den die wichtigen Dinge kommen (Arznei­mittel, Pfle­ge­mittel, Flaschen, Tücher, Blumen, Bücher)?

 

11.1.3. Auch daran muss gedacht werden:

·   Toilettenstuhl, Schieber, Urinflasche

·   Papierhandtücher, Zellstoffunterlagen, Windeln

·   Gummitücher zum Unterlegen beim Waschen oder unter das Laken

·   mehrere unterschiedlich große Kissen als Lagerungshilfsmittel

·   Nachthemden und Schlafanzüge, die sich leicht anziehen lassen

·   Wärmflaschen oder Körnerkissen (für Füße und zur Schmerzlinderung)

·   notwendige Medikamente, besonders Schmerzmedikamente (der Krankenhaus­arzt stellt keine Rezepte aus, des­halb rechtzeitig Kontakt zum Hausarzt auf­nehmen)

·   Watte, Fieberthermometer

·   Klapptisch für Mahlzeiten im Bett, sowie Schnabeltasse

·   Persönliches wie Bilder und Bücher

·   Gegenstände zur Unterhaltung wie Radio, Fernseher

·   bequeme Sitzgelegenheit für Besucher

 

11.1.4. Finanzielle Absicherung

·   Beratung: Sozialdienst im Krankenhaus, Krankenkasse bzw. Pflegekasse, Sozial­amt (Sozial­dienst „Hilfe zur Pflege"), Sozialstationen/Pflegedienste

·   Antrag auf Pflegestufe stellen (Begutachtung dauert etwa 2 bis 3 Monate; An­spruch auf Pflege­sach­leistungen oder Pflegegeld für die Angehörigen oder eine Kombi­nation zwi­schen Sach- und Geldleistung)

·   außerdem besteht Anspruch auf Kurzzeitpflege, Pflegevertretung, Pflegehilfs­mittel

·   Kosten für hauswirtschaftliche Hilfe werden bei Vorliegen bestimmter Voraus­set­zungen von der gesetzlichen Kranken­kasse übernommen

·   in jedem Fall ist Beratung und Information wichtig

 

11.2. Kleine praktische Hilfen in der Pflege Sterbender

 

11.2.1. Körperpflege:

·   wird von den Schwestern der Pflegestation durchgeführt

·   bei starkem Schwitzen, Schmerzen, Einschlafproblemen, Unruhe hilft eine beruhi­gende Körper­wäsche (Wasser 37 bis 40 Grad Celsius, in Haarwuchs­richtung waschen, nicht rub­beln!)

·   ein warmes Fußbad wirkt auch beruhigend

·   Hautpflege mit Lotion bedeutet gleichzeitig Körperkontakt durch behutsames Ein­massie­ren (nicht vor dem Schla­fen, da kreislaufanregende Wirkung), dabei beachten, dass dies auch eine (aus)kühlende Wirkung haben kann

·   Fußmassage mit Öl (Calendulaöl)

 

11.2.2. Verstopfung

·   tritt auf durch ballaststoffarme Ernäh­rung, ge­ringe Trink­menge, krankheitsbedingt (z. B. durch wachsenden Tumor)

·   Bei bestimmten Medikamenten (z. B. Morphiumpräparaten) tritt Verstopfung als eine Nebenwirkung auf. Hier ist die gleichzeitige und kontinuierliche Gabe von Ab­führmitteln wichtig und zu beachten.

·   Stuhlgang ist wichtig, auch wenn nur wenig gegessen wird (möglichst aller 2-3 Tage)

·   natürliche Mittel zur Anregung: Leinsamen, Buttermilch, Backpflaumen

 

11.2.3. Mundpflege

·   muss besonders beachtet werden bei geringer Nahrungs- und Flüs­sigkeits­auf­nahme und bei Tumoren im Hals- und Kopfbereich

·   Mund ausspülen vor und nach den Mahlzeiten, Zahnpflege nicht vergessen

·   Kamillentee wirkt entzündungshemmend, Salbeitee als Vorsorge für Pilzbefall (Soor)

·   Säfte oder auch Kaffee, Bier, Sekt, Wein oder Cola in kleinen Portionen einfrie­ren (z.B. in lee­rer Pralinenpalette möglich) und je nach Appetit anbieten; diese kleinen Eiswürfel regen den Speichelfluss an und erfrischen

·   Rosenhonig: bildet einen Schutzmantel im Mund und hat außerdem einen ange­nehmen Ge­schmack

·   Mundsprays gegen Mundtrockenheit

·   Massage der Ohrspeicheldrüse: Einen Finger vor dem Ohr und einen zweiten unter dem Ohr­läppchen auflegen. Die Drüse in Richtung Mundwinkel ausstreichen

·   fettende Salben für die Lippen

 

11.2.4. Nahrungsaufnahme

·   Sterbende Menschen sollten nicht gegen ihren Willen zur Nahrungsaufnahme überredet oder gezwungen werden (Schluckbeschwerden, Appetitlosigkeit, Übelkeit)

·   evtl. Trink­nahrung anbieten mit Vita­minen und Spurenelementen (Apotheke berät)

·   Son­denernährung ist auch zu Hause nach An­leitung durchführbar

 

11.3. Eintritt des Todes

Mit dem Tod beendet der Mensch seinen unverwech­selbaren per­sön­lichen Le­bensweg.

Zeichen des nahenden Todes können sein:

·   Puls: unregelmäßig, schwach und schnell

·   Körpertemperatur: sinkt allgemein, Arme und Beine werden kälter - Wärmfla­sche, Socken

·   Auftreten von starkem Schwitzen: statt dicker Zudecke ein Bettlaken verwenden

·   Atmung: häufig unregelmäßig, lange und kurze Atem­züge, längere Pausen dazwi­schen – Lagerung mit erhöhtem Oberkörper erleichtert Atmung

·   Atemgeräusche: Rasseln, das hervorgerufen wird durch Schleimabsonderungen im Rachen und den Bronchien, wirkt auf Angehörige beklemmend und beunru­higend, ist aber kein Zei­chen für Erstickung.

·   unangenehmer Geruch: Duftlampen oder Räucherstäbchen schwächen ihn ab.

·   Körper: wird bewegungslos und kühlt ab.

·   Augen: werden blicklos und die Pupillen verengen sich nicht mehr.

·   Haut: nimmt eine wächserne, grau-weißliche bis gelbliche Färbung an („Totenblässe“).

·   Das Herz steht still und die Atmung hört auf.

Der Arzt stellt den Tod fest, wenn sich Leichenstarre und Totenflecken zeigen und stellt dann den Totenschein aus. Dies kann auch erst am nächsten Tag geschehen.

Auch muss der Verstorbene nicht sofort vom Bestattungsinstitut geholt werden. Es ist möglich und zulässig, den Ver­storbenen bis zu 36 Stunden zu Hause zu behalten, zu waschen, zu klei­den (vielleicht in ein besonders gemochtes Kleidungsstück) und aufzubahren. So kann die Fa­milie sich gemeinsam verabschieden und auch weiter entfernt le­bende Angehörige haben die Möglichkeit, dabei zu sein.

 

STERBESEGEN

Es segne dich Gott, der Vater,

der dich nach seinem Bild geschaffen hat.

Es segne dich Gott, der Sohn,

der dich durch sein Leben und Sterben erlöst hat.

Es segne dich Gott, der Heilige Geist,

der dich zum Leben gerufen und geheiligt hat.

Gott der Vater und der Sohn und der Heilige Geist

geleite dich durch das Dunkel des Todes.

Er sei dir gnädig im Gericht

und gebe dir Frieden und ewiges Licht.
(Evangelisches Gesangbuch,
Ausgabe Sachsen, Nr. 949)

 


12. Kann ich getrost sterben?

 

Sterben ist in den meisten Fällen nicht einfach – wir sollten uns da kein falsches, ideales Bild machen. Gewiss gibt es das, dass ein Sterbender alt und lebenssatt von seinen Angehörigen in einem großen inneren Frieden Abschied neh­men kann. Das ist wie ein gemeinsames Einwilli­gen in den Tod. Auch das kann ge­schenkt sein, dass jemand im ho­hen, gesegneten Alter ohne Anzeichen von Schwäche und Krankheit einfach für immer einschläft.

 

„Wenn man gelebt hat, kann man auch sterben“ sagt eine Patientin ungefragt  zu mir. Ich bin überrascht und sage: „Können sie den Satz noch einmal wiederho­len? Das klingt so gut.“ Über­raschend sagt sie in der Ich-Form: „Ich denke, ich habe gelebt, so kann ich auch sterben“ Wie gut, wenn es so ist.

 

Doch oft ist der Weg, der dabei zu gehen ist, lang und schwer. Sich der eigenen Sterblichkeit plötzlich bewusst wer­den zu müssen und das vielleicht früher und un­ausweichlicher als ge­wünscht, ist hart. Wie ist dazu ein Ja zu finden? Wie geht das: getrost sterben? Und wie können wir auf diesem Weg Menschen begleiten, Anteil nehmen an ihrem be­vorstehenden Sterben? Wie lässt sich darüber spre­chen?

Manchmal  ist das Schweigen lang. Ich kenne die ängstliche Ungeduld: Der Kranke müsste doch selbst anfangen, da­von zu sprechen, oder wartet er darauf, dass ich das erste Wort finde? Doch ich habe auch Angst vor dem Tod ...

Es sind immer die Betroffenen, die entscheiden, ob über ihr bevorstehendes Ster­ben gespro­chen wird oder nicht. Ich darf niemanden nötigen, auch in der lauters­ten Absicht nicht, über sein Sterben sprechen zu müssen, auch nicht die nächsten Angehörigen. Die Sterbenden werden uns Anteil geben, wenn sie es können und möchten. Oft geschieht das in ganz einfachen, na­türlichen Sätzen, wenn  Vertrauen gewachsen ist. Es können Sätze eines Pati­enten wie diese sein: „Meine Frau sagte heute: Unser Sohn hat gesagt, wenn es soweit ist, wird der Vater zu Hause sein.“ Dabei laufen Tränen über sein Gesicht. Er kann zunächst nicht weiter sprechen. Das ist die Trauer des Abschiedneh­mens. Jetzt wird das klarer und konkreter für ihn. Und er gibt mir Anteil: „Es wird einen Ort geben und Menschen, die um mich sind.“ Das ist tröstlich: ei­nen Ort des Sich-Bergen-Könnens zu haben und Menschen, zu denen es Vertrauen gibt - ein Halt, der fürs Sterben wichtig ist. Es ist zu spüren, dass der Blick sich wendet: von der Situation des Bemü­hens um Heilung, die nun vergangen ist, auf das Kommende hin, mit dem Schmerz und der Angst des Abschieds. Dabei müssen wir uns unserer Angst nicht schämen. Das ist der Weg, wie wir uns dem Ge­heimnis des Sterbens nä­hern können. Trauer darf sein und sollte nicht verdrängt werden. Abschied wird so be­wusst gelebt. Das kann schmerzhaft sein. So kön­nen wir langsam los­lassen, Abschied nehmen, bewusst und be­hut­sam, mit­einander Verge­wis­serung suchen und Trost. Es muss nicht blei­erne Hilflosigkeit sein und lähmende Sprachlosig­keit. Hilfreich ist, wenn unter Ehepartnern, in Familien über den bevorstehenden Tod offen ge­sprochen werden kann. Alle vorwegge­nom­mene Trauer, die ein Kranker auf dem Weg des Sterbens auch anderen Men­schen ermöglicht, muss nicht hinter­her geleistet werden.

 

Es sind für einen Patienten die Wochen, in denen die Chemotherapie zu Ende geht. „Das wird die letzte sein. Was das heißt? Ja, wenn dann nichts mehr sein kann, werde ich´s halten wie Ernst Bloch.“ Er schaut mich dabei nach­sinnend und mit einem leichten Lächeln an. Ich bin überrascht und verblüfft: „Das heißt, mit Erwartungen zu ster­ben.“ Er erin­nert an einen Gottes­dienst in der Klinik, der ein halbes Jahr zurückliegt. Ich hatte über den Vers aus der Offenba­rung gepredigt: „Wer überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht austil­gen aus dem Buch des Lebens und ich will sei­nen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln“. Dabei hatte ich den 90-jährigen Philoso­phen Bloch zitiert, der bei einem Frühstück im Freien ge­sagt hatte, er sei nur noch neugierig auf das Ster­ben. Da habe er noch Erwartun­gen. Nun berührt mich die Erinne­rung daran und die Be­hutsam­keit, mit der das Thema seines eigenen Sterbens so Sprache fand. Das Tröstliche findet sich „zwischen uns“ vor, in der ge­wachsenen Nähe. Es wird nur behutsam berührt. Ich lese an die­sem Tag noch die Lo­sung, so wie wir es immer tun: „Verwirf mich nicht in meinem Alter, verlass mich nicht, wenn ich schwach werde (Ps. 71,9). Der Patient sagt: „Passender kann´s für heute nicht sein, es ist wie meine eigene Bitte.“

 

Bei Jürgen Ziemer (Seelsorgelehre, 294f.) lese ich treffend die Sätze: „Trösten geschieht durch Nahesein. Wer trösten will, macht sich auf, mit einem Menschen zu suchen, was zu tra­gen ver­mag. Trost kann nicht allgemein ausgespro­chen werden in Form der Austeilung von `Trostwor­ten´ o.ä. Trost muss `persönlich­keitsspezifisch´ ver­mittelt werden - also immer im Be­zug zu dem, was ein Ster­bender als seinen Glauben und seine Hoffnung mit­bringt. Von da aus­ge­hend kann in der Seelsorge versucht werden, den Horizont zu öffnen für die `lebendige Hoff­nung durch die Auferste­hung Jesu Christi´ (1. Petr. 1,3), die sich auf das rich­tet, was bleibt: die Liebe Gottes zu uns, von der uns nichts, auch nicht der Tod zu scheiden vermag (Röm. 8,39).“

Nicht jedem ist es geschenkt, den Weg so bewusst zu gehen. Vier Wochen waren es noch bis zum Sterben dieses Patienten.

Auf dem Weg des Sterbens geht es oft auch noch einmal durch große Unruhe, Ohnmacht und Ratlosigkeit. Der ver­zweifelte Wunsch nach Leben und die bedrän­gende Wirklichkeit des kör­perlichen Verfalls sind manchmal nur noch passiv zu erdulden. Und für den Begleiter gilt es, sprachlos die Not mit aushalten und solidarisch bei dem Sterbenden zu bleiben.

Das ist nie leicht, daran kann man scheitern.

 

Ich habe den Weg einer 55-jährigen Patientin vor Augen. Sie war vor Jahren an Brustkrebs er­krankt und operiert wor­den. Später hatte sie mehrere Zyklen einer Chemotherapie durchlaufen mit der großen Hoffnung, geheilt zu sein. Dann kam es zu einem Rückfall der überstandenen Krankheit. Es begann ein schwerer Weg, wieder mit einer Che­motherapie, bald mit einem merklichen Nachlassen der Kräfte, wogegen sie sich wehrte. Sie hoffte immer noch auf den Erfolg der Thera­pie. Es ging ihr elend, als ich sie besuchte. Sie sagte: „An einem Gespräch habe ich kein Inte­resse, beten könnten Sie mit mir! Ja, beten.“ So massiv hatte ich die Aufforde­rung bisher nie gehört: Gemein­sam zu beten, weil man es selbst seit Wochen kaum noch allein kann, die Einsamkeit zu groß ist. Die innere Gemeinschaft zu halten, ist wohl das Wichtigste, was wir uns schuldig sind, um getrostes Sterben zu ermöglichen, den anderen nicht allein durch die Angst und Sprachlosig­keit gehen zu lassen. Der Versuch, gemeinsam betend in über­liefer­ter Sprache sich zu bergen und für sich neu zu buchstabieren, was das heißen kann: „Meine Zeit steht in deinen Händen .“

Da war immer noch verzweifelte Hoffnung. Bei der nächsten Visite hielt sie mich zurück und sprach mich klar an. „Die Metastasen sind es, die mich zu schwach machen. Jetzt weiß ich das. Nun will ich sterben. Ich möchte gern, dass wir noch miteinander das Abendmahl feiern. Geht das? Und dann möchte ich Sie bitten, meine Beerdigung zu überneh­men.“

Wir haben zusammen das Abendmahl gefeiert, der Ehemann und die erwachse­nen Kinder wa­ren dabei. Wir haben gesungen: „Auf meinen lieben Gott trau ich in Angst und Not.“ Das war tröstlich, so miteinander zu singen. Den Psalm 23 haben wir gebetet, Brot und Wein geteilt. „Christi Leib für dich gegeben - das stärke und bewahre dich im Glauben zum ewigen Leben.“ Zum Abschluss sangen wir ein Lied aus Taizé: „Laudate omnes gentes“. Die Frau sagte: „Das erinnert mich an meinen Kon­firmationsspruch: Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ Wir dachten noch einmal an das, was gut gewesen ist in ihrem Le­ben: Die erste Begegnung, das Kennenlernen, die vielen gemeinsamen Ehejahre, die Ge­burt der Kinder, Be­wahrung in Krankheit ... Die Frau meinte: „Ich habe in meinem Leben immer Glück gehabt, nur jetzt eben Pech.“ Ihre Frage, die sie lange be­gleitet hatte – „Warum lässt mich Gott so leiden?“ - war der Dankbarkeit gewi­chen. Noch einmal im Rückblick das Leben er­greifen, das eigene Le­ben – ge­meinsam mit der Familie - auf Sinngehalt und Sinnzusammen­hänge über­schauen, ist heilsam, um mit dem Leben und dem Sterben Frieden zu machen. Das hat sie getröstet. Zum Schluss sagte sie: „Danke, dass wir das heute so miteinander gefeiert haben und ich noch so bei Klarheit bin.“

 

Das war an einem Dienstag. Am Donnerstag war die Sterbende noch bei Be­wusstsein. Sie bat uns: „Betet mit mir, dass ich nicht so viel leiden muss und mich quälen muss, dass mir Gott das Leben schenkt in Ewigkeit.“ Das haben wir zusammen getan. Dann kam die Bewusstlo­sigkeit, das Sitzen am Bett, das Lesen von Psalmgebeten, und dann kam der Tod, der Abschied, das Sterbegebet und der Sterbesegen.

Sterben ist etwas Tiefes, Großes. Und wir begreifen etwas vom Geheimnis des Lebens und des Sterbens.

„Auferstehung“, als Trost in Worte gefasst, kommt in der Sterbebegleitung im Krankenhaus nur als Ausnahme vor. Der Sterbende ist zunächst noch stark mit Vergangenem und Gegenwärti­gem beschäf­tigt. Wenn das abgeschlos­sen ist, wendet sich sein Blick. Der Bergsteiger Reinhold Messner sagt: „In der Nähe des Todes fällt die Angst ab.“ Da wird der Sterbende frei: „Bete mit mir, dass ich Anteil habe am ewigen Leben.“ In die­sem Moment ändert sich die Blick­richtung. Darauf ist wach zu warten und Schmerz und Trauer, die noch bewältigt werden müssen, dürfen nicht vor­schnell weggescho­ben werden. Eine Freundin sagte auf ihrem Weg des Sterbens: „Das ist der saure Weg, ja, der saure Weg. Nein, da ist nicht Vorfreude. Das kann ich nicht sagen. Ja, ich wurde gefragt, ob ich mich nicht auch freue? Nein, das kann ich nicht sagen. Wie naiv haben wir in der Kindheit ge­sungen: `Eia wär´n wir da´ ... nein, von Freude kann ich nichts sagen.“

Auf dem „sauren Weg“ sind Angst und Trauer mit dem Ratsuchenden durchzu­stehen, das noch nicht Begreifbare gilt es auszuhalten. Gabriele Wohmanns seel­sorgerliche Erfahrung in der Sterbebegleitung ihrer Schwester kann ich gut nach­vollziehen: „Kann ich bei jemandem, der stirbt und den ich liebe, Vorfreude auf den Tod wecken? Es ist unerlaubt und indiskret. Nur mir selber darf ich den Tod wünschen. Jeder für sich allein muss sich täglich bemü­hen, auf das un­vorstellbar Schöne, auf die Freiheit von allen erdschweren Bagatellen, die Erlösung aus der Ab­sur­dität des Lebens begierig zu sein: dann endlich dort, jenseits der Todes­schwelle. Wenn alle Tränen abgewischt sind ...“ (Zeitzeichen 11/2002, 15).

Die sterbende Freundin erbat sich damals den genauen Text einer Bach-Motette und wir haben ihn dann zusam­men buchstabiert: „Komm, Jesu komm, mein Leib ist müde, die Kraft ver­schwindet je mehr und mehr, ich sehne mich nach deinem Friede, der saure Weg wird mir zu schwer! Komm, komm, ich will mich dir ergeben; du bist der rechte Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Sol­che Sätze miteinander zu lesen bedeutet dann, gemeinsam zu beten.

Wie geschieht Vergewisserung im Glauben, wie findet die Hoffnung, die über den Tod hinaus­reicht, Gestalt? Wo zer­brochene Hoffnungen und bittere Enttäuschun­gen noch nah sind, wer­den wir dem Tod ins Auge sehen, das kann sein wie ins Nichts zu blicken. Da wird ein Loch ge­rissen, das ist nicht mit dem Glauben zu stopfen. Luther sagt in seiner Karfreitagspredigt 1522 über Jesu Sterben: „Ein fein pur lauter Mensch ist unser Herr Jesus gewe­sen; darum hat er auch in des Todes Ängsten so getrauert und gezagt; denn die Angst ist am größten, wenn einer sieht, dass der Tod seinen Rachen aufsperret ... Doch das ist ihm vorbehalten, dass er nicht wahnsinnig geworden ist, nein, seine Ver­nunft ist ihm lauter, klar und rein blieben.“ Sterbende sprechen in Bildern, sagen oft: „Da muss ich allein durch, da kann mir keiner helfen.“ Da geht es hindurch auf dem Weg, den Christus vorausgegangen ist - wie unser Bekenntnis sagt. Das kann dann sein wie ein „glaubendes Schauen ins Nichts“ (Dietrich Stollberg). Der Glaube ist es, die befrei­ende Macht des Auferstehungsglaubens, der ermöglichen kann, dem Nichts des To­des – „wenn der Tod seinen Ra­chen aufreißt“ - ins Auge zu schauen. Wo wir durch solch eine Situation des Schwach­werdens gehen, sind wir ange­wiesen auf andere. Wir brauchen einander auf dem Weg des Sterbens, das geht nicht allein. Wir brauchen einander, um zu glauben und zu beten und zu hoffen. Da kann der Glaube auch Ster­bensmut geben. Dann dürfen wir hoffen, dass uns „weder Tod noch Leben, noch Mächte noch Gewalten, weder Hohes noch Tiefes,“ dass NICHTS „uns schei­den kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist“ (Röm. 8,37-39). So kann im Sterben christliche Hoffnung tröstlich Gestalt finden. In meiner Erfahrung hat Glaube am Sterbe­bett etwas Behutsames, Unaufdringliches, auch Bittendes, so wie es ein Os­terlied singt: „Tod, Sünd, Leben und auch Gnad, alls in Händen er hat, er kann erretten alle, die zu ihm treten. Kyrie eleison“ (Evangelisches Gesang­buch Nr. 102,3).

Gott hat uns auch als Sterbende „in den Händen“. Wenn der Sterbende durch Verzweiflung und Schmerz hindurch ist, kann es sein, dass die Trauer über die Todesnähe sich verwandelt: in Stille und in die Gewissheit, Gott nahe zu sein. Das ist vielleicht das stärkste Zukunftsbild, wenn wir über den Tod hinaus schauen, dass wir in der Hand Gottes sind und daraus nicht fallen. In der Be­gleitung habe ich erfahren, dass dies für Sterbende das Tröstlichste ist.

 

Begleitung von Sterbenden und ihren Angehörigen –
Hinweise auf Texte für Trost und Abschied

 

Jeder von uns sollte auf die Situation vorbereitet sein, dass Sterbende oder ihre Angehörigen uns bitten, in schwe­rer Zeit bei ihnen zu sein. Dass das Leben eines Menschen zu Ende geht, macht uns Angst. Wir müssen Abschied neh­men, davor fürchten wir uns. In unserem Schmerz erinnern wir uns, was gut war im gemeinsamen Leben. Auch das, was schwer war, ist in unse­ren Gedanken. Wir können behutsam die Situation mit eigenen Worten aufgreifen und zur Sprache bringen. Manchmal ist es auch hilfreich, Worte aus der christlichen Tradition aufzu­nehmen und allein oder gemeinsam zu sprechen: Gebete, Psalmworte, Gesangbuchlieder oder die Formulierung eines Segens.

Geeignete Texte sind z.B. im Evangelischen Gesangbuch (Ausgabe für Sachsen) abgedruckt: für Situationen „In Not und Krankheit“ ab Nr. 926 und zum Themenbereich „Im Alter und beim Sterben“ ab Nr. 941. Weitere Vor­schläge fin­den sich in dem Buch „Nicht allein gelassen“ (Eine Handreichung zur Begleitung von schwerkranken und sterbenden Menschen, Bibelgesellschaft Stuttgart, 1996).

 

 


BIBELWORT

Beim Propheten Jesaja lesen wir:

So spricht der Herr, der dich erschaffen hat:

Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst;

ich habe dich bei deinem Namen gerufen;
du bist mein
(Jesaja 43,1)

 

 

BIBELWORT

Christus spricht: In der Welt habt ihr Angst;

aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

(Johannes 16,33b)

 

 

PSALMGEBET

Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft;

Denn er ist mein Fels, meine Hilfe, mein Schutz,

dass ich gewiss nicht fallen werde.

Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,

fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir,

dein Stecken und Stab trösten mich.
(Psalm 62,2-3; Psalm 23,4;

siehe auch: Psalm 73 oder Psalm 121)

 

 

GEBET

Herr, unser Gott, lieber Vater im Himmel,

in dieser Stunde suchen wir dein Angesicht;

sei nicht ferne,

denn wir Menschen können nicht mehr helfen.

Du bist unsere einzige Zuflucht und unser Halt.

Steh .................. gnädig bei.

Hilf ihr/ihm in der letzten Not.

Erlöse sie/ihn und nimm sie/ihn auf
in dein ewiges Reich.

Uns aber mach still, und lass uns erkennen,

dass du unser Gott bist.

(Lutherische Agende III/4, 206)

SEGENSWORT

Gott segne dich und behüte dich.

Gott behüte deinen Ausgang und Eingang

von nun an bis in Ewigkeit.
Amen

 

 

GEBET

Guter Gott, wir danken dir für dieses Leben,

für alles was sie/er Gutes getan hat.

Für alles, was wirklich schön war.

Wir danken für alle Liebe, Sorge und Mühe für uns.

Wir erinnern auch, was schwer war
im gemeinsamen Leben.

Wir bitten um Vergebung,
wo wir schuldig geworden sind.

Lass uns verzeihen ,Gott,
wie du vergibst,
wenn wir dich darum bitten.

Wir bitten dich um dein Erbarmen.

In dieser Stunde des Sterbens von ....................

bleibt uns deine Zusage,
dass du niemanden allein lässt,

im Leben nicht

und auch im Sterben nicht.

In deine Hände geben wir ...................

Verlass ihn/sie nicht in dieser Not.

Alles was in uns ist, unseren Schmerz
und unseren Dank,

bringen wir zu dir und beten gemeinsam.

 

 

DAS VATERUNSER

Vater unser im Himmel,

geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe,

wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.


 


 

13. Ich möchte bestimmen, was mit mir geschieht

      Betreuungsverfügung, Vorsorge-Vollmacht, Patienten­verfügung

Die Darstellungen in diesem Kapitel folgen in wesentlichen Teilen und auch in einzelnen Formulierungen einer Publikation, die vom Bayerischen Staatsministerium der Justiz herausgegeben wurde („Vorsorge für Unfall, Krank­heit und Alter“, genaue Quellenangabe und Bezug siehe Kap. 15.).

 

13.1. Ist Vorsorge überhaupt notwendig?

Vorsorge, sich Sorgen machen ? – Wir sind in der Regel dankbar für jeden Tag, an dem alles eini­germaßen „nor­mal“ abläuft. An Unfall, Krankheit und Alter denken wir in guten Zeiten nicht so gern. Unsere Gesellschaft hat an­dere Leit­bilder: Jung soll ich sein, immer fit, angetrieben von der Kraft von zwei Herzen! Doch dabei geraten wir in die Gefahr zu vergessen, dass es schnell auch ganz anders sein kann, dass Krankheiten oder Unfälle den ge­wohnten Rhythmus durcheinander bringen, oder dass Probleme auftreten, die mit dem Älter-Werden zu tun haben. Das Leben eines Menschen hat viele Gesichter.

 

Ein jegliches hat seine Zeit,
und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde:
geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit,
weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit,
klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit,
suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit,
behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit,
schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit ...
(Die Bibel, aus dem Buch Prediger 3,1-7)

 

Und in dieser Erkenntnis haben Menschen schon in früheren Jahrhunderten versucht, sich auch auf Krisenzeiten vor­zubereiten, auch der Einsicht nicht auszuweichen, dass irgendwann unaus­weichlich auch das eigene Ende kommen wird.

 

„Wer weiß, wie nahe mir mein Ende! ...

Es kann vor Nacht leicht anders werden,
als es am frühen Morgen war ...

Lass mich beizeit mein Haus bestellen,

dass ich bereit sei für und für ... „
(Worte: 1686, Evangelisches Gesangbuch Nr. 530)

 

Vorsorge ist hier ein Stück Lebens-Klugheit. Es gilt auch hier und in diesem Leben noch manches Wichtige zu ord­nen und zu re­geln!
Und gerade daran denken heute viele Menschen nicht: Vorsorge zu treffen für den Fall, dass sie infolge eines Un­falls, einer schweren Erkrankung oder auch durch Nachlassen der geistigen Kräfte im Alter ihre Angelegenheiten nicht mehr wie gewohnt selbst regeln können. 2012 hatte nur jeder achte Deutsche eine Patientenverfügung verfasst, gerade einmal einer von dreizehn eine Vorsorgevollmacht.

Dabei ist es doch in vielen Lebens-Bereichen selbstverständlich, dass wir Vorsorge treffen: z.B. im Krankheitsfall, bei der Altersvorsorge (Rente), wenn es um Vermögensbildung geht oder wenn wir Versiche­rungen abschließen, um uns gegen Risiken in unserem Leben abzusichern.

 

Aber ist für Krisenfälle in meinem Leben wirklich alles geregelt?

Ist für Krisenfälle in meinem Leben wirklich alles geregelt?

 

Die Liste solcher Fragen ist lang, und sie kann einen bedrücken.

Die Frage ist, wer dann in einem solchen Ernstfall Entscheidungen treffen soll (und darf!), wenn ich – vorü­berge­hend oder auf Dauer – dazu selbst nicht mehr in der Lage bin. Wie kann ich sicherstellen, dass meine Wün­sche und Vorstel­lun­gen auch dann noch Beachtung finden?

 

Was passiert, wenn ich keine Vorsorge getroffen habe?

Hier zunächst ein Beispiel aus dem täglichen Leben:

Ein Ehepaar betrieb seit Jahren erfolgreich einen mittelständischen Betrieb. Beide waren Mitte dreißig, hatten zwei le­bendige Kinder, alle waren kerngesund, aktiv und leistungsfähig. Dann erlitt der Mann einen Ver­kehrsunfall, der ihn einige Monate auf die Intensivstation zwang, er musste mehrere Operationen über sich er­gehen lassen. Nach einem halben Jahr war er wieder zu Hause und sein Zustand besserte sich zusehends. Aber in der Zwischenzeit traten Prob­leme ganz uner­warteter Art auf: Die Gehaltszahlung an die Mitarbeiter konnte nicht erfolgen – nur der „Chef“ selbst durfte Überweisungen unterschreiben, und das war in seinem Zustand schlicht nicht mög­lich. Auch Materialbestellun­gen im Auftrag der Firma waren nur mit seiner Unter­schrift gültig und konnten nicht ausgelöst werden. An den Mann gerichtete Einschreibebriefe durfte niemand ande­res entgegennehmen. Zwar gab es eine Absprache unter den Ehe­leuten, dass in einem solchen Fall die Frau stellvertretend die Geschäfte wahrnehmen sollte. Nun aber musste sie schmerzlich lernen, dass eine solche Regelung rechtlich nicht verbindlich ist, und dass in dieser Situation das Betreuungsgericht in Aktion trat, um einen „Betreuer“ für ihren Mann zu „bestellen“, eine Per­son, die „amtlich beauf­tragt wird, seine Interessen wahrzunehmen und ihn rechtsgültig zu vertre­ten. Die­ses Verfahren dauerte Monate. In der Zwi­schenzeit stand die Existenz des Betriebes auf dem Spiel, weil die Ehe­leute für diesen Fall nicht rechtzeitig vorge­sorgt hatten.

 

Natürlich kann ich darauf hoffen, dass mir Angehörige oder Freunde im Ernstfall beistehen wer­den.

Aber wenn rechtsverbindliche Entscheidungen anstehen (bei denen z.B. eine Unterschrift zu leisten ist), dürfen meine Kinder oder mein Ehe­gatte mich nicht au­toma­tisch vertreten (im deutschen Recht haben nur Eltern gegen­über ihren minder­jährigen Kindern ein umfassen­des Sor­gerecht und damit die Befugnis zur Entscheidung und Ver­tretung in allen Angelegenheiten).

Wenn ich – vorübergehend oder auf Dauer – meine Angelegenheiten nicht selbst regeln kann, dürfen mein Ehepartner oder meine Kinder mich NICHT automatisch vertreten !!!

Wenn in einem solchen Fall keine schriftliche Verfügung vorliegt, wird das Betreuungsgericht informiert und setzt für mich einen „Betreuer“ ein, der allein rechts­ver­bindliche Entscheidungen in meinem Namen treffen darf.

Auch wenn in einem solchen Fall keine Vorsorge getroffen wurde, gibt es klare recht­li­che Regelun­gen. Dann greift die staatliche Fürsorge: Das Betreuungsgericht setzt einen „Betreuer“ ein, der stellvertre­tend für mich Ent­scheidun­gen trifft, meine Ge­schäfte führt (der Betreuer kündigt z.B. den Mietvertrag, beantragt Sozialleistungen, oder er verwaltet Geld und Vermögen). Im Jahr 2002 gab es in Deutschland mehr als eine Mil­lion Menschen, für die solche Betreuungen an­ge­ord­net waren.
Das vorgesehene „amtliche Verfahren“ bringt zwei Probleme mit sich. Einmal kann es längere Zeit dauern (un­ter Um­ständen Mo­nate), bis ein ge­eigneter Betreuer ge­funden und beauftragt ist. Und außerdem ist nicht automa­tisch sicherge­stellt, dass vom Gericht eine Person ausgewählt wird, der auch ich meine Geschicke anvertraut hätte. So könnte es sein, dass ein mir völlig un­bekannter Be­rufsbetreuer diese Aufgabe übernimmt.

 

Durch eine schriftliche Verfügung kann ich Einfluss darauf nehmen, welche Person meine Inte­res­sen wahrnehmen soll. Und ich kann zusätzlich festlegen, welche meiner Wünsche auch dann zu beachten sind, wenn ich nicht mehr in der Lage bin, mich selbst zu äußern.

 

13.2. Drei Möglichkeiten der Vorsorge

 

Betreuungsverfügung: „Eine Betreuungsverfügung ist eine für das Betreuungsgericht be­stimmte Willensäu­ße­rung für den Fall der Anordnung einer Betreuung. In ihr können Vorschläge zur Person eines Betreuers und Wünsche zur Wahrnehmung seiner Aufgaben geäußert werden.“

Vorsorge-Vollmacht: „Mit einer Vorsorge-Vollmacht kann der Patient für den Fall, dass er nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen zu äußern, eine oder mehrere Personen bevollmächtigen, Ent­scheidun­gen mit bindender Wir­kung für ihn, unter anderem in seinen Gesundheitsangelegenhei­ten, zu treffen.“

Patientenverfügung: In jedem Fall sollte neben der Abfassung einer Vollmacht oder einer Betreu­ungsverfügung auch daran ge­dacht werden, Wünsche und Vorstellungen für die spätere Gesund­heitsfürsorge nie­derzu­legen, be­sonders auch für die letzte Lebensphase.
„Eine Patientenverfügung ist eine schriftliche oder mündliche Willensäußerung eines einwilli­gungsfä­higen Patien­ten zur zukünftigen Behandlung für den Fall der Äußerungsunfähigkeit. Mit ihr kann der Patient seinen Willen äu­ßern, ob und in welchem Umfang bei ihm in bestimmten, näher umrissenen Krankheitssituationen medizinische Maßnahmen eingesetzt oder unterlassen werden sollen.“
(Definitionen nach: Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung 2004)

 

13.2.1. Betreuungsverfügung

 

Wenn ich infolge eines Unfalls oder einer Erkrankung meine Angelegenheiten vorüberge­hend oder auf Dauer nicht (mehr) selbst regeln kann und wenn ich keine Vollmacht er­teilt habe, setzt das Betreuungsgericht einen „Be­treuer“ für mich ein. Der Betreuer vertritt mich rechtlich in allen Angele­gen­heiten, die ich selbst nicht mehr wahr­neh­men kann. Er kündigt z.B. die Wohnung, schließt einen Heimvertrag, beantragt Sozialleistungen und verwaltet das Vermögen. Eine solche Betreuung bedeutet nicht auto­ma­tisch, dass ich nicht mehr „geschäftsfähig“ bin, und sie ist nur in dem Umfang und so lange zulässig, wie dies erforderlich ist.

Für den Fall, dass eine Betreuung notwendig wird, hat das Gericht Wünsche zu be­rücksichtigen, die ich zu­vor nie­der­ge­schrieben habe. Ich kann in einer „Betreu­ungsverfügung“ bestimmen, wer mein Betreuer werden soll (mög­lichst zu­sätzlich eine Ersatz-Person benennen). Ich kann auch festlegen, wer keines­falls als Be­treuer in Betracht gezo­gen werden soll. In einer Betreuungs­verfü­gung kann ich auch konkrete Wünsche und Vorstellungen auffüh­ren, die dann für den Be­treuer ver­bindlich sind (z.B. zum Umgang mit mei­nem Vermögen, über Zuwen­dungen und Ge­schenke zu Ge­burtstagen, über die Regelung von Woh­nungs­angelegenheiten oder die Durchfüh­rung von Pfle­gemaßnah­men). Es kann also auch dann sinnvoll sein, eine Betreuungsverfügung zu schreiben, wenn ich darin keine Person benennen kann oder will, die mein Betreuer werden soll; dann bestimmt zwar das Betreuungsgericht den Betreuer, aber dieser Betreuer ist doch an die Durchsetzung meiner Wünsche und Vorstellungen ge­bunden.

Das Vorliegen einer Betreuungsverfügung kürzt das gerichtliche Verfahren zur Bestel­lung des Be­treu­ers ab. Im Nor­malfall folgt das Gericht meinem Vorschlag in einer Betreuungsverfügung und setzt die von mir gewünschte Person auch ein. Allerdings prüft das Gericht, ob die Übernahme der Auf­gaben und die Last der Verantwortung ei­ner Betreuung der vorgeschlagenen Person auch zuzu­trauen und zuzu­muten sind.

Der Betreuer steht unter der Kontrolle des Betreuungsgerichts. Er muss zu Beginn der Betreuung ein vollstän­di­ges Verzeichnis über das Vermögen des Betroffenen aufstellen und in der Regel jährlich einmal Rechen­schaft able­gen über den Umgang mit dem Vermögen. Für den Er­werb, die Veräußerung oder Belastung eines Grundstü­ckes be­nötigt der Betreuer die Genehmi­gung des Betreuungsgerichts, ebenso bei Geldbewegungen über 3000 Euro.

Eine Betreuungsverfügung wird erst dann wirksam, wenn der Krisenfall tatsäch­lich eingetreten ist und ich objektiv nicht mehr selbst handeln kann.

 

Wünsche und Vorstellungen, die eventuell in einer Betreuungsverfügung festgehalten werden könnten, und an die ein Betreuer gebunden ist

Geregelt werden kann zum Beispiel:

·         Von wem möchte ich versorgt werden, wenn ich pflegebedürftig bin?

·         Möchte ich, wenn irgendwie möglich, bis zu meinem Tod zu Hause versorgt werden?

·         Wenn meine Versorgung und Pflege eines Tages zu Hause nicht mehr möglich ist: In welchem Heim möchte ich wohnen? Und in welches Heim möchte ich auf keinen Fall aufgenommen werden?

·         Welche Möbel und Gegenstände sollen bei einer Wohnungsauflösung an welche Personen ausgehändigt wer­den?

·         Soll im Bedarfsfall mein gesamtes Vermögen für meine Pflege und zur Aufrechterhaltung meines gewohnten Lebensstandards aufgebraucht werden?

·         Möchte ich, dass weiterhin bestimmte Personen Geschenke oder Geldbeträge zu bestimmten Anlässen erhal­ten (z.B. Geburtstag, Weihnachten, Hochzeit)?

·         Sollen meine Mitgliedschaften in Vereinen und meine Spendengewohnheiten beibehalten werden?

·         Was soll mit meinem Haustier geschehen, wenn ich mich nicht mehr darum kümmern kann?

 

Ein Musterformular mit Text-Bausteinen zum Erstellen einer Betreuungs-Verfügung finden Sie im Anhang (Kap. 16).

 

13.2.2. Vorsorge-Vollmacht

 

Wenn eine Betreuung angeordnet wird, stellt diese eine staatliche Maßnahme dar und ermöglicht z.B. Einblick in meine persönlichen oder meine finanziellen Angelegenheiten durch Außenste­hende. Wenn ich eine Betreuung ver­meiden will, kann ich als Alternative dazu einer Person mei­nes Vertrauens (vorsorglich) eine Vollmacht erteilen. Für alle Lebensbereiche, die in der Vorsor­ge-Vollmacht erfasst werden, muss (und darf) dann kein Betreuer be­stellt wer­den.

Eine Vollmacht kann ich schon erteilen, wenn ich eigentlich noch voll handlungsfähig bin, aber mir z.B. manche Dinge einfach „über den Kopf wachsen“.

Eine Vollmacht könnte erteilt werden als „Generalvollmacht“, also z.B. „zur Ver­tretung in allen An­gele­genheiten“.

Sie kann auch so erteilt werden, dass die einzelnen Lebensbereiche, für die sie gelten soll, konkret aufgelistet wer­den. Sie könnte dann z.B. gelten für Gesund­heitsfürsorge und Pflegebe­dürftigkeit, Aufent­halt und Wohnungsan­gelegen­heiten, Post- und Fernmeldeverkehr, Vertretung ge­genüber Be­hörden, Verwaltung von Vermögensangele­genheiten. Zu einzelnen Punkten, de­ren Regelung mir be­son­ders wichtig ist, können auch konkrete Anwei­sungen niederge­schrieben werden, wie die Vollmacht wahrzunehmen ist.

Auch eine Generalvollmacht deckt nicht automatisch mit ab:

a) die Zustimmung zu medizinischen Eingriffen, bei denen Lebensgefahr be­steht (z.B. Herzope­ration) oder bei denen ein schwerer, andauernder Ge­sundheits­schaden zu erwarten ist (z.B. Am­putation von Gliedmaßen);

b) die Einwilligung zu einer notwendig werdenden geschlossenen Unterbrin­gung oder andere frei­heitsbeschrän­kende Maßnahmen (z.B. Bettgitter, Abschließen des Zimmers, Medikamente zur Ruhigstellung).

Diese Fälle müssten in einer Vollmacht ausdrücklich benannt werden und bedürfen in der Regel der zusätzlichen betreuungsgerichtlichen Genehmigung.

Für alle Vollmachten sind zwei weitere Einschränkungen zu beachten:
Für die Stell­vertretung in Geld-, Grundstücks- oder Geschäftsangelegenheiten wird eine Voll­macht oft nicht akzep­tiert oder ist nicht ausreichend. Kreditinstitute (Banken, Sparkassen) verlangen in der Regel eine Voll­macht auf haus­eige­nen Vordrucken.

Bei der Erteilung ei­ner Vollmacht ist grundsätzlich die Einbeziehung eines Notars nicht erforderlich (das gilt auch bei einer Betreuungsverfügung oder einer Patientenverfügung). Aber manchmal kann es sinnvoll sein, sich doch von einem Notar Rat zu holen und ihn um Ausferti­gung der Voll­macht zu bitten (dann ist darauf zu achten, dass von ihm die Dinge niedergeschrieben werden, die ICH regeln möchte). Da­bei fallen Kosten an, die normaler­weise zwischen 45 und 156 Euro liegen (im Höchstfall 403,50 Euro; zuzüglich Mehrwertsteuer). Eine Beurkundung durch einen Notar ist stets notwendig, wenn durch die Vollmacht ermöglicht werden soll, dass Grundstücke erwor­ben oder verkauft werden, dass Darlehen aufgenommen werden können oder dass ein Erbe aus­geschlagen wer­den kann. Sinnvoll ist die Einbeziehung ei­nes Notars evtl. auch, wenn es um Handelsgewerbe geht.

Grundsätzlich ist es möglich, die Vollmacht auf bestimmte Aufgabengebiete zu beschrän­ken (z.B. nur den Ge­sund­heitsbereich betreffend). Das bedeutet aber, dass im Bedarfsfall – wenn ich in anderen Lebensbereichen nicht mehr handlungsfähig bin - möglicherweise zusätzlich noch ein Be­treuer bestellt werden muss. Ein Nebeneinander von Vollmacht und Betreuung sollte vermieden werden!

Für verschiedene Aufgabengebiete (z.B. Gesundheitsfürsorge, Vermögens­ange­legenhei­ten) kann je­weils ein eigener Bevollmächtigter eingesetzt werden. Jeder benötigt dann eine eigene Voll­machts­urkunde.

Obwohl gegenüber dem Gesundheitsbevollmächtigten (wie auch gegenüber einem gesetzlich be­stellten Betreuer) keine ärztliche Schweigepflicht besteht, weil er sonst seine Aufgaben nicht er­füllen könnten, ist es ratsam, die Be­frei­ung für den Arzt in der Vollmachtsurkunde ausdrücklich zu erteilen.

Für den Fall, dass der Bevollmächtigte „im Ernstfall“ verhindert ist, sollte eine weitere Ver­trau­ens­per­son als Ersatz­bevollmächtigter benannt werden.

Der Bevollmächtigte steht – anders als ein Betreuer - nicht unter der Kontrolle des Betreuungsgerichts. Ich muss mir im Klaren sein, dass ich einem Bevollmächtigten ein hohes Maß an Vertrauen entgegenbringe! Allerdings kann das Betreuungsgericht, wenn ihm ein entspre­chender Anlass bekannt wird, für einen Bevollmächtigten eine Kon­trollperson bestellen, die den Bevollmächtigten überwacht.

Die Vollmacht gilt grundsätzlich nach „außen“ hin (z.B. gegenüber Behörden) ab dem Datum ih­rer Aus­stel­lung. Mit dem Bevollmächtigten kann aber vereinbart werden, dass er von der Voll­macht erst dann Gebrauch macht, wenn der Voll­machtgeber nicht mehr handlungs­fähig ist.

Die Justizminister aller Bundesländer haben sich darauf verständigt, bundesweit eine einheitliche Mustervollmacht zu empfehlen. Die in der Mustervollmacht im Anhang (Kap. 16) vorgeschlagenen Bau­steine orientieren sich an dieser Vorlage (ausführliche Darstellung siehe z.B.: Sächsisches Staatsministerium der Justiz: „Betreuung und Vorsorge – ein Leitfaden“, Bezug siehe Kapitel 5).

 

13.2.3. Patientenverfügung

 

Die Möglichkeiten der modernen (Intensiv-)Medizin sind beeindruckend und können oft segens­reich zum Wohle des Patienten eingesetzt werden. Die Apparate­medi­zin kann aber dazu ver­leiten, auch dann noch Behandlungen vorzu­nehmen, wenn kein therapeutischer Erfolg mehr zu erwarten ist. Es kann sein, dass eine inten­sive medizini­sche Be­handlung nicht mehr den eige­nen Lebens­vorstellungen des Patienten entspricht. Es ist denkbar, dass ich zwar Betreuung wünsche, die mir durch Ärzte, Pfle­gerinnen oder Angehörige zuteil wird, aber keine Lebensver­län­gerung um jeden Preis. Dann muss auf eine Therapie-Begrenzung bzw. für den Verzicht auf bestimmte medizini­sche Maß­nahmen entschie­den werden (z.B. keine Gabe von Antibiotika bei einer Lungenentzün­dung, Verzicht auf eine ange­botene Chemotherapie).

Eine solche schwerwiegende Entscheidung kann am besten der Betroffene selbst treffen, wenn er sich rechtzeitig die­sen Fragen gestellt und seine Verfügung schriftlich niedergelegt hat. Ist er auf Grund seiner Erkrankung oder sei­nes hohen Alters dazu nicht in der Lage, so wäre eine rechtzei­tig ge­troffene Stellvertretung (die Übertragung der Ent­scheidungsbefugnis auf eine Person sei­nes Ver­trauens) von großem Nutzen.

Wenn mir diese Fragen wichtig sind, sollte ich mich aber auch selbst verant­wort­lich wis­sen und rechtzeitig Vor­sorge treffen, sonst gilt mein „mut­maßli­cher“ Wille, der aber nur in schwierigen Klärungsprozessen und von außen­stehenden Personen (Angehöri­gen, Ärzten) er­mit­telt werden kann.

Ein solcher „erklärter Wille“ kann in einer so genannten „Patientenverfügung“ nie­dergeschrieben wer­den. In ihr sollte deutlich werden

·         welche Lebenserfahrungen und Wertvorstellungen mich prägen und den Hintergrund für meine Entscheidun­gen bilden

·         für welche Situation(en) meine Verfügung gelten soll

·         welche Art medizinischer Behandlung ich dann wünsche, welche Maßnahmen durchgeführt und welche un­terlas­sen werden sollen

·         durch welche Personen ich begeleitet werden möchte und wer stellvertretend für mich in Ge­sund­heitsfra­gen Aus­kunft geben oder entscheiden darf.

 

Zwischenschritt:
Vergewisserung über meine eigenen WERTVORSTELLUNGEN
und persönlichen LEBENSERFAHRUNGEN

Es ist eine wichtige Vorarbeit für das Erstellen einer Patientenverfügung, dass ich mich selbst mit grundle­genden Fra­gen auseinandersetze. Das Ergebnis solcher Überlegungen kann ich schriftlich mit in die Patientenverfügung aufneh­men, oder ich setze eine Person mei­nes Vertrauens darüber in Kenntnis.

Solche grundlegenden Fragen können sich z.B. beziehen auf:

·         das bisherige Leben
(Wurde ich enttäuscht vom Leben? Würde ich es anders führen, wenn ich nochmals von vorn anfangen könnte? Bin ich zufrieden, so wie es war?)

·         das zukünftige Leben
(Möchte ich
möglichst lange leben? Oder ist mir die Qualität des Lebens wichtiger als die Le­bensdauer, wenn bei­des nicht gleichzeitig zu haben ist? Welche Wünsche, welche Aufgaben sollen noch erfüllt werden? Wovor habe ich Angst im Hinblick auf mein Sterben?)

·         eigene leidvolle Erfahrungen
(Wie bin ich mit Krankheiten oder Schicksalsschlägen fertig geworden? Was hat mir in schwe­ren Zeiten ge­hol­fen?)

·         die Beziehungen zu anderen Menschen
(Welche Rolle
spielen Familie oder Freunde für mich? Kann ich fremde Hilfe gut annehmen? Oder habe ich Angst, anderen zur Last zu fallen?)

·         das Erleben von Leid, Behinderung und Sterben bei anderen
(Welche Erfahrungen habe ich damit? Löst das Angst bei mir aus? Was wäre für mich die schlimmste Vor­stel­lung?)

·         die Rolle der Religion im eigenen Leben
(Was bedeutet mir mein Glaube angesichts von Leiden und Sterben? Was erwarte oder er­hoffe ich nach dem Tod?)

 

Eine Patientenverfügung ist rechtlich (und damit auch für den Arzt und Angehö­rige) verbindlich, wenn durch sie der Wille des Patienten bezüglich einer be­stimmten ärztlichen Maßnahme ein­deu­tig und sicher festzustellen ist. Die Situa­tionen, für die die Verfügung gilt, sind eindeutig zu be­schreiben. Bei konkreten Festlegungen für bestimmte Erkran­kungen oder mögliche Behand­lungen sollte das Ge­spräch mit dem behandelnden Arzt gesucht werden, da­mit die (medizinisch relevan­ten) Aussagen eindeutig sind.

Es sei daran erinnert: Im Verhältnis zwischen Arzt und Patient entscheidet letztlich der Patient (es ist sein Körper, sein Leben!), OB er ärztlich behandelt werden will und er ent­schei­det, WIE die Be­hand­lung konkret aussehen soll. Dieser Grundsatz gilt auch, wenn es um die Frage geht, wie er sterben möchte.

 

Die Bundesärztekammer hat in ihren „Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung“ (2011) die Bedeutung der Rechte des Patienten und der Festlegungen in Patientenverfügungen deutlich hervorgehoben:

„Art und Ausmaß einer Behandlung sind gemäß der medizinischen Indikation vom Arzt zu verantworten ... Er muss dabei den Willen des Patienten beachten. Bei seiner Entscheidungsfindung soll der Arzt mit ärztlichen und pflegenden Mitarbeitern einen Konsens suchen ...

Bei einwilligungsfähigen Patienten hat der Arzt den aktuell geäußerten Willen des angemessen aufgeklärten Patienten zu beachten, selbst wenn sich dieser Wille nicht mit den aus ärztlicher Sicht gebotenen Diagnose- und Therapiemaßnahmen deckt. Das gilt auch für die Beendigung schon eingeleiteter le­benserhaltender Maßnahmen ...

Bei nichteinwilligungsfähigen Patienten ist die Erklärung ihres Bevollmächtigten bzw. ihres Betreuers maß­geblich. Diese sind verpflichtet, den Willen und die Wünsche des Patienten zu beachten …

Liegt eine Patientenverfügung … vor, hat der Arzt den Patientenwillen anhand der Patientenverfügung fest­zustellen. Er soll dabei Angehörige und sonstige Vertrauenspersonen des Patienten einbeziehen …

Trifft die Patientenverfügung auf die aktuelle Behandlungssituation zu, hat der Arzt den Patienten entspre­chend dessen Willen zu  behandeln …

Entscheidungen, die im Rahmen einer Notfallsituation getroffen wurden, müssen daraufhin überprüft wer­den, ob sie weiterhin indiziert und vom Patientenwillen getragen sind …

Willensbekundungen, in denen sich Patienten vorsorglich für den Fall des Verlustes der Einwilligungsfähig­keit zu der Person ihres Vertrauens und der gewünschten Behandlung erklären, sind eine wesentliche Hilfe für ärztliche Entscheidungen.“

 

Es gibt in Deutschland derzeit eine Vielzahl unterschiedlicher Vorschläge für das Erstellen einer Patien­tenverfügung. Sol­che Vorschläge sollten nicht „blind“ übernommen werden. Sie können als Prüflisten dienen, von denen ich mich anre­gen lasse zu eigenen Überlegungen und Festlegungen. Ich muss mir – das ist eine unerlässliche Vorarbeit – zunächst selbst klar werden, was für mich persönlich wichtig ist, für welche konkreten Fragen ich Festlegungen treffen möchte. Und dann sollte ich meine indivi­duelle und persönliche Patientenverfügung nieder­schreiben!

 

Bausteine für eine Patientenverfügung

1. Beschreibung der Situationen, in denen Willensbekundungen gelten sollen, z.B.:

·         Sterbephase

·         nicht aufhaltbare schwere Leiden

·         dauernder Verlust der Kommunikations­fähigkeit (z.B. Demenz, apallisches Syndrom, Schädelhirntrauma)

·         akute Lebensgefahr

·         irreversible Bewusstlosigkeit

2. Anweisungen und Wünsche für ärztliche und damit in Zusammenhang stehende Maßnahmen

·         künstliche Ernährung

·         künstliche Beatmung

·         Dialyse

·         Organersatz

·         Wiederbelebung

·         Verabreichung von Medikamenten (z.B. Antibiotika, Psychopharmaka, Zytostatika/Chemotherapie)

·         Art der Unterbringung und Pflege

·         Schmerzbehandlung

·         andere betreuerische und pflegerische  Maßnahmen

·         Hinzuziehung eines oder mehrerer weiterer Ärzte

·         alternative Behandlungsmethoden

·         Gestaltung des Sterbeprozesses

3. Benennung einer Vertrauensperson als Gesprächpartner für den Arzt

Hilfreich kann die Benennung einer Vertrauensperson sein, mit der der Patient die Patientenverfügung besprochen hat und mit der ein Arzt die erforderlichen medizinischen Maßnahmen besprechen soll, wenn der Patient nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen selbst zu äußern ...
Gegenüber dem Bevollmächtigten und dem Betreuer ist der Arzt zur Auskunft berechtigt und verpflichtet, da Voll­macht und Betreuung den Arzt von der Schweigepflicht freistellen ...
(nach: Bundesärztekammer: Empfehlungen zum Umgang mit Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung in der ärztlichen Praxis; Deutsches Ärzteblatt 30.3.07 S.A891ff.; die aktuelle Fassung dieser Empfehlung aus dem Jahre 2010 finden Sie http://baek.de/page.asp?his=0.6.5048.5052)

 

Ein Musterformular mit Text-Bausteinen zum Erstellen einer Patienten-Verfügung finden Sie im Anhang (Kap. 16). Es reicht aber auch aus, statt Regelungen für jeden vorstellbaren medizinischen Notfall aufzuschreiben, in einer Vorsorge-Vollmacht eine Person seines Vertrauens einzusetzen, welche im Gespräch mit dem behandelnden Arzt über die weiteren Behandlungsschritte entscheiden darf und soll.

 

Ein wichtiger Hinweis: Die lange bestehende unklare Rechtslage bei der Gültigkeit von Patienten­verfügungen gibt es nicht mehr!

Bundestag und Bundesrat haben ein Gesetz beschlossen, in dem die Geltung von Patientenverfügungen geregelt wird.

Gesetz zu Patientenverfügungen, verabschiedet im Deutschen Bundestag am 18.6.2009:

Im Einzelnen wird geregelt:

·         Volljährige können in einer schriftlichen Patientenverfügung im Voraus festlegen, ob und wie sie später ärztlich behandelt werden wollen, wenn sie ihren Willen nicht mehr selbst äußern können. Künftig sind Betreuer und Bevollmächtigter im Fall der Entscheidungsunfähigkeit des Betroffenen an seine schriftliche Patientenverfügung gebunden. Sie müssen prüfen, ob die Festlegungen in der Patientenverfügung der aktuellen Lebens- und Behandlungssituation entsprechen und den Willen des Betroffenen zur Geltung bringen.

·         Niemand ist gezwungen, eine Patientenverfügung zu verfassen. Patientenverfügungen können jederzeit formlos widerrufen werden.

·         Gibt es keine Patientenverfügung oder treffen die Festlegungen nicht die aktuelle Situation, muss der Betreuer oder Bevollmächtigte unter Beachtung des mutmaßlichen Patientenwillens entscheiden, ob er in die Untersuchung, die Heilbehandlung oder den ärztlichen Eingriff einwilligt.

·         Eine Reichweitenbegrenzung, die den Patientenwillen kraft Gesetzes in bestimmten Fällen für unbeachtlich erklärt, wird es nicht geben.

·         Die Entscheidung über die Durchführung einer ärztlichen Maßnahme wird im Dialog zwischen Arzt und Betreuer bzw. Bevollmächtigtem vorbereitet. Der behandelnde Arzt prüft, was medizinisch indiziert ist und erörtert die Maßnahme mit dem Betreuer oder Bevollmächtigten, möglichst unter Einbeziehung naher Angehöriger und sonstiger Vertrauenspersonen.

·         Sind sich Arzt und Betreuer bzw. Bevollmächtigter über den Patientenwillen einig, bedarf es keiner Einbindung des Betreuungsgerichts. Bestehen hingegen Meinungsverschiedenheiten, müssen folgenschwere Entscheidungen vom Betreuungsgericht genehmigt werden.

(Internetseite des Bundesministeriums der Justiz BMJ 23.6.09;
http://www.bmj.de/enid/6bec0408f5115e77bb082c6a50be3616,3a07b9706d635f6964092d0936303333093a095f7472636964092d0935323933/Pressestelle/Pressemitteilungen_58.html )

 

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Ein umstrittenes Thema:
Verzicht auf künstliche Ernährung, z.B. durch eine Magensonde ?

·         PEG = Perkutane endoskopische Gastrostomie (Ernährungssonde wird mittels eines Endoskops durch die Bauchwand in den Magen eingeführt; jedes Jahr werden in D. 140.000 PEG-Sonden gelegt)

·         Wachkoma: Erst die Magensonde macht ein Dauerkoma möglich. Früher wurden Menschen mit einem Schlauch durch die Nase oder den Rachen künstlich ernährt. Das führte nach einiger Zeit zu schrecklichen Wunden ....
Segen, aber auch Fluch: jahrelanges Dahinvegetieren; dieses „ewige Leben“ wird also in Wahrheit durch die modernen Magensonden in Pflegeheimen garantiert – und nicht, wie viele befürchten, weil man an vielen Apparaten auf Intensivstationen hängt
(DIE ZEIT 20.11.03 S.29)

·         70 % der PEG-Anlagen betreffen Heimpatienten, bei denen diese Maßnahme oft medizinisch nicht indiziert (notwendig JK) ist
(Dtsch. Ärzteblatt 8.8.05 S.A2154)

·         (9) Jeder Mensch hat das Recht, eine medizinische Behandlung zu gestatten oder auch zu verweigern. Jede gegen den Willen des Patienten durchgeführte Maßnahme (sei es eine Operation oder auch nur das Legen einer Magensonde) stellt nach geltendem Recht eine Körperverletzung dar. Auch Schwerkranke und Ster­bende haben das Recht auf Selbstbestimmung.
(12) Die Fortsetzung einer einmal begonnenen Behandlung (etwa die künstliche Ernährung per Magen­sonde) ist nicht mehr gerechtfertigt, wenn sich herausstellt, dass von vornherein keine (erklärte oder mutmaß­liche) Einwilligung vorgelegen hat oder diese im weiteren Verlauf widerrufen worden ist. Erhält der Arzt keine Einwilligung, muss er die Weiterbehandlung unterlassen.
(Nationaler Ethikrat; Stellungnahme „Patientenverfügung“ 2005)

·         In Befragungen hielt die Hälfte der Ärzte, aber auch ein Drittel der Vormundschaftsrichter die Beendi­gung von künstlicher Ernährung oder Beatmung für strafbare aktive Sterbehilfe.
(Spiegel 13/2007 S.138)

·         Patientenverfügungen sind auch außerhalb der eigentlichen Sterbephase zu beachten ...
... können Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen auch Aussagen zur Einleitung, zum Umfang und zur Beendigung ärztlicher Maßnahmen enthalten, etwa
- künstliche Ernährung
- künstliche Beatmung
- Dialyse ...
- Wiederbelebung ...
In Notfallsituationen, in denen der Wille des Patienten nicht bekannt ist und auch für eine Ermittlung des mutmaßlichen Willens keine Zeit bleibt, ist die medizinisch indizierte Behandlung einzuleiten, die im Zweifel auf die Erhaltung des Lebens gerichtet ist ...
(Bundesärztekammer: Empfehlungen zum Umgang mit Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung in der ärzt­lichen Praxis; Deutsches Ärzteblatt 30.3.07 S.A891ff.

 

 

13.3. Formsachen

 

Für die äußere Form aller drei Arten der Vorsorge gibt es keine Vorschriften, etwa in Gestalt eines verbindlichen For­mulars. Eine hand­schriftliche Abfassung - wie sie für ein Testament zwingend vorge­schrieben ist – ist nicht er­forder­lich. Die Verfügungen bzw. Vollmachten sollten aber immer schrift­lich abgefasst sein.

Ein Nebeneinander von Vollmacht und Betreuung sollte vermieden werden.

 

Entweder eine Betreuungsverfü­gung

ODER  eine Vorsorge-Vollmacht erstellen !

 

Aus dem Text sollte hervorgehen, dass ich „einwilligungsfähig“ war, das heißt diese Verfügung bei vollem Be­wusst­sein und kla­rem Verstand getroffen habe. Es kann sinnvoll sein, das zusätzlich durch die Unterschrift von Zeugen nach der Abfassung bestätigen zu las­sen (Angehörige, Seel­sorger, Ärzte, Notar). Im Regelfall ist aber da­von auszu­gehen, dass ein Patient zur Zeit der Abfas­sung der Patien­tenverfügung einwilligungsfähig war.
Die Angabe von Ort und Datum der Ausstellung und vor allem die eigenhändige Unterschrift sind un­verzichtbar. Diese Angaben sollten in Zeit­räumen von nicht mehr als zwei Jahren erneuert bzw. be­stätigt werden, damit kein Zweifel an der Aktualität meiner Willensbil­dung aufkommen kann. Eine klare juristische Vorgabe für eine solche Aktualisierung gibt es allerdings nicht.

Alle Verfügungen können jederzeit von mir widerrufen werden. Bei Widerruf einer Verfügung muss ich früher ausge­händigte Urkunden (Vollmacht usw.) zurückverlangen.

Bei der Erteilung ei­ner Vollmacht ist grundsätzlich die Einbeziehung eines Notars nicht erforderlich (das gilt auch bei einer Betreuungsverfügung oder einer Patientenverfügung) – siehe aber Ausnahmen unter 13.2.2.

Manche konkrete Entscheidungssituation (vor allem im Vorfeld des Sterbens) lässt sich nur schwer vorhersehen und in klare Worte und Anweisungen fassen. Daher kann es viel wichtiger sein, dass ich Personen meines Ver­trauens, die aus Gesprächen meine Wertvorstellungen ken­nen, in Verfügungen auch amtlich als meine Vertreter benenne (als Be­treuer, als Bevollmächtigte), damit sie im Krisenfall gemeinsam mit dem Arzt eine Entscheidung treffen können, die in meinem Sinne liegt. Diese Vertrauenspersonen sollten in jedem Fall vorher von der mögli­chen Stellvertre­tung infor­miert werden und ihre Zustimmung erteilt haben.

Ich selbst bin dafür verantwortlich und muss sicherstellen, dass eine getroffene Verfügung im Kri­sen­fall schnell gefun­den und in Kraft gesetzt wird. Eine Möglichkeit ist ein Hinweis bei den Aus­weispapieren (z.B. Aufkleber „Ich habe eine Patientenverfügung!“ auf dem Personal­ausweis bzw. auf der Karte der Krankenkasse), auf dem notiert ist, dass eine Verfügung existiert und welche Per­son (Adresse, Telefon!) Zugang zu der Verfügung hat.
Möglichkeiten der Hinterlegung: Vollmachten und Verfügungen können für den Ernstfall zu Hause aufbewahrt wer­den (an einem zugänglichen Ort, den der Bevollmächtigte kennt). Sie können dem Be­vollmächtigten auch überge­ben wer­den mit der Maßgabe, erst im besprochenen Fall von ihnen Gebrauch zu machen. Vollmachten und Verfü­gungen können aber auch bei einem Arzt (Patienten­verfügung) oder beim Betreuungsgericht (Betreuungs­verfügung) hinterlegt werden.

 

 

 

14. Texte und Bausteine für Veranstaltungen

 

14.1. Kundgebung der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Thema „Was ist der Mensch?“

(7. Tagung der 9. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland,

Timmendorfer Strand, 3. - 8. November 2002

Kundgebung zum Schwerpunktthema "Was ist der Mensch?")

„Die Evangelische Kirche tritt ein für die Anerkennung und den Schutz der Würde jedes Men­schen in der ganzen Spanne seines Lebens – vom Anfang bis zum Ende. Das schließt die nachdrückliche Bejahung medizinischer For­schung, ärzt­li­cher Hilfe, technischer Weiterentwick­lung und gesellschaftlicher Reformen ein, die der Minderung oder Vermeidung von unnötigem Leiden, der Suche nach neuen Heilungsmöglichkeiten und der Verbesserung der menschlichen Lebens­qualität dienen. Abzulehnen sind aber alle Methoden der Forschung oder Thera­pie, durch die Menschen bloß als Mittel für die Heilungschancen anderer Men­schen ge­braucht wer­den. Jedes "Ethos des Hei­lens" muss um seine Grenzen wissen, um menschlich zu bleiben. Das schließt die Einsicht ein, dass Krankheit, Sterblichkeit und Tod zum Menschsein gehören. Es ist ein wesentlicher Teil des dem Men­schen aufgegebenen Reifungsprozesses, die eigene Endlichkeit anzu­nehmen, mit ihr zu leben – und zu sterben. Menschen haben einen Anspruch auf medizinische Hilfe und Beistand in der Situation der Krankheit und beim Sterben; ein Recht, von Krankheit oder vom Tod verschont zu bleiben oder befreit zu wer­den, gibt es freilich nicht.

Die Evangelische Kirche versteht die Diskussion über Sterbehilfe und Euthana­sie als Her­ausforderung. Sie nimmt die Ängste vieler Menschen vor einem qual­vollen, einsamen Sterben und vor einem wehrlosen Ausgeliefert­sein an sinnlos gewor­dene Maßnahmen der Lebensver­längerung ernst. Die Hospiz­bewegung sowie die Intensivie­rung der schmerzlindernden und auf Versorgung konzentrier­ten Medizin (Palliativmedizin) müssen nachdrücklich unterstützt und gefördert werden, denn sie leisten einen wesentlichen Beitrag zur Ermöglichung men­schenwür­di­gen Ster­bens. Dazu gehört auch die ärztliche Weisheit, die er­kennt, wann es geboten ist, im Einvernehmen mit Patienten und Angehörigen auf medi­zinisch noch mögliche Maßnahmen zur Lebensverlängerung zu verzichten oder solche Maßnahmen ab­zubrechen (passive Sterbehilfe). Voraussetzung hierfür ist stets, dass die Situa­tion des Wartens auf den Tod gewahrt bleibt und nicht durch das eigenmächtige Verfügen über den Todeszeitpunkt ersetzt wird. Durch die Le­ga­lisierung der akti­ven Sterbehilfe und der Tötung auf Verlangen würde ein sol­ches Verfügungs­recht in unserer Gesellschaft etabliert. Das würde unsere Gesell­schaft und ihre Ein­stellung zu Leben und Tod in tiefgreifender, problematischer Weise verändern. Denn damit entstünde nicht nur der offenkun­dige Rechtsan­spruch von Sterben­den auf vorzeitige Beendigung ihres Lebens durch fremde Hand, sondern es ent­stünde auch der verdeckte Anspruch an Ster­bende, von diesem Recht Gebrauch zu machen, sobald sie den Eindruck be­kom­men, ihrer Umgebung zur Last zu fal­len. Sterbende brauchen keinen "Gnadentod", sondern geduldige, gütige, verläss­liche Begleitung.“

 

14.2. „Gott ist ein Freund des Lebens“ - Herausforderungen und Aufgaben beim Schutz des Lebens

Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland / Sekretariat der Deutschen Bischofs­konferenz (Hg.), Gütersloh 1991

Kapitel 5: Das Ende des menschlichen Lebens

a) Von der Würde des Sterbenden

Christliches Sterben ist gewiss kein angstloses, aber ein angst-bestehendes, angst-überwin­dendes Sterben, ein Sterben im Frieden, in dem der Sterbende mit seiner Lebensgeschichte und mit seinen Angehörigen ins Reine kommt. Christen wünschen und wollen, dass es ein Sterben sei, das der Betroffene als die letzte Phase seines Le­bens selbst lebt, nicht umgeht und nicht auslässt. Aber da jeder den Umständen des Sterbens immer auch ausge­liefert ist, ist würdig zu sterben Gnade und eigenes Werk zugleich.

Von den anderen ist jeder Sterbende als der zu achten, der sein Sterben selbst lebt. Deshalb kann auch beim Sterben eines Menschen alle Hilfe nur Lebenshilfe sein. Die Hilfe im Sterben, derer der Betroffene angesichts der Einsamkeit des Todes bedarf, besteht folglich in intensiver Zuwendung und in bestmöglicher ärzt­licher Versorgung und Pflege. Sie will ihm darin beiste­hen, dass er sein körperli­ches Leiden ertragen und den bevorstehenden Tod selbst annehmen kann. Darin wird sie die Würde des Sterbenden, seine letzte, ihm als Person angehörende Un­antastbarkeit, wahren und achten. Auch ein unheilbar Kranker, der für andere nur noch eine Belastung ist, hat das ungeschmälerte Recht auf Leben. Kein Arzt darf ihn, solange er lebt, als einen sogenannten "hoffnungslosen Fall" aufgeben und ihm nicht mehr die ärztliche Grundver­sorgung zuteil werden lassen.

Jeder Umgang mit einem Sterbenden hat in diesem fundamentalen Respekt vor ihm zu ge­schehen. Alle medizini­schen und pflegerischen Maßnahmen sind in die­ser Achtung vor seiner Würde vorzunehmen. Es darf nicht verhin­dert werden, dass der Sterbende auch am Ende sei­nes Lebens selbst über sich bestimmt. Das schließt ein, dass man des anderen Weise, sterben zu wollen, selbst dann achtet, wenn man an sich sein Vorgehen nicht billigt. Wenn ein Ster­benskranker äuße­rungsfähig ist und bewusst weitere medizinische Maßnahmen ablehnt, so ist ihm zu folgen. Und wenn er nicht mehr äußerungsfähig ist, dann soll der Arzt wie ein guter An­walt im wohlverstande­nen Interesse des Sterbenden und zu dessen indi­viduellem Wohl han­deln. Dieser Grundsatz kann im Einzelfall sehr wohl das Un­terlassen oder Einstellen von (weite­ren) medizinischen Eingriffen zur Folge ha­ben, wenn diese - statt das Leben dieses Menschen zu verlängern - nur dessen Sterben verlängern. Nicht jedoch folgt daraus, dass jegliches Ansin­nen eines Sterbenden an andere, etwa an einen Arzt, von diesen zu befolgen wäre.

b) Die Unverfügbarkeit des anderen

Die Unverfügbarkeit des anderen, seine Unantastbarkeit als Person, bedeutet die Einräumung eines unbedingten Lebensrechts des anderen und die prinzipielle Respektierung seines Eigen­rechts, seines Selbstbestimmungs­rechts. Der Mensch darf den anderen Menschen nicht ab­sichtlich so zum bloßen verfügbaren Objekt machen, dass dieser nicht mehr zugleich Subjekt eigener Entscheidung sein kann, sich nicht mehr zu dem verhalten kann, was ihm da geschieht. Sein Leben selbst und das Eintreten seines Todes stehen nicht in der Verfügung anderer. Ohne solche prinzipielle Grenze für alle Eingriffe wäre die Würde des Menschen preisgegeben. Dies auch gegenüber verwirrten alten Menschen festzuhalten und durchzuhalten wird in der voraus­sehbaren Zukunft eine Aufgabe von zunehmen­dem Gewicht sein.

Keiner hat über den Wert oder Unwert eines anderen menschlichen Lebens zu befinden - selbst nicht über das ei­gene. Dies entzieht sich auch schlicht unserer Kenntnis: Denn jeder ist un­gleich mehr und anderes, als er von sich weiß. Keiner lebt nur für sich; und was einer für an­dere bedeutet, das wird er nie genau wissen. Im Glauben daran, dass Gott das Leben jedes Menschen will, ist jeder mit seinem Leben, wie immer es beschaffen ist, unentbehrlich.

Ohne solche Anerkennung der Würde des anderen und ohne diese prinzipielle Einräumung seines Lebensrechts ist überhaupt kein Zusammenleben von Men­schen möglich, wäre über­haupt kein Recht und keine Liebe. Daraus folgt: Das Töten eines anderen Menschen kann unter keinen Umständen eine Tat der Liebe, des Mitleids mit dem anderen, sein, denn es vernichtet die Basis der Liebe.

c) Die Selbsttötung

In der Selbsttötung verneint ein Mensch sich selbst. Vieles kann zu einem solchen letzten Schritt führen. Doch wel­che Gründe es auch sein mögen - keinem Men­schen steht darüber von außen ein Urteil zu. Die Beweggründe und die Entschei­dungsmöglichkeiten eines anderen blei­ben ebenso wie eventuelle Auswirkungen einer Krankheit im letzten unbekannt. Für den Chris­ten bedeutet die Selbsttötung eines anderen Menschen eine enorme Herausforde­rung: Er kann diese Tat im letzten nicht verstehen und nicht billigen - und kann dem, der so handelt, seinen Re­spekt doch nicht versagen. Eine Toleranz gegenüber dem anderen noch über das Verstehen seiner Tat hinaus ist dabei gefordert. Doch die Selbsttötung billi­gen und gutheißen kann der Mensch nicht, der begriffen hat, dass er nicht nur für sich lebt. Jeder Selbsttötungsversuch kann für ihn nur ein "Unfall" und ein Hilfe­schrei sein.

d) Leidensverminderung mit dem Risiko der Lebensverkürzung

Mit den pharmakologischen und operativen Mitteln, der modernen Medizin ist, wenn der Patient das will, eine weit­gehende Schmerzlinderung möglich. Dabei kann der Fall eintreten, dass sol­che Leidensverminderung mit dem Ri­siko der Le­bensverkürzung behaftet ist. Wenn das Ein­treten des Todes nicht beabsichtigt ist, Zweck des Handelns vielmehr ist, das noch verbliebene Leben eines Sterbenden erträglich zu machen, so kann das tödliche Risiko als Nebenwirkung hingenom­men werden. Auch in diesem Fall gilt, dass bei einem nicht mehr äußerungsfähi­gen Pati­enten der Arzt aufgrund seines ärztlichen Wissens überzeugt sein muss, sein Tun sei unter den gegebenen Um­ständen zum Besten des Patienten.

e) "Tötung auf Verlangen" bei einem Todkranken

Das Problem kann sich nur stellen bei einem bewussten, äußerungsfähigen Kran­ken, dessen Tod nach ärztlichem Wissen absehbar und unaufhaltsam bevorsteht. Eine beabsichtigte Tötung eines Kranken gegen dessen Willen kann niemand ernsthaft erwägen.

Beim sogenannten "Todeswunsch" eines Kranken ist zu unterscheiden:

1. ob er sich nach dem Tode sehnt, sterben will; oder

2. ob er seinen Lebenswillen aufgibt, sich dem Weiterleben verweigert; oder

3. ob er sich aktiv selbst das Leben nehmen will; oder

4. ob er an einen anderen, an den Arzt oder einen Angehörigen, das Ansin­nen stellt, er solle ihn töten, also die letzte Verantwortung übernehmen.

Der Unterschied zwischen der Bereitschaft oder der Sehnsucht zu sterben und dem an einen anderen gerichteten Verlangen zu töten ist unübersehbar. Nur von diesem letzteren ist hier die Rede.

Es kann die Situation eintreten, dass ein Mensch sein Leben nicht mehr anneh­men und führen möchte, dass ihm der Tod "besser" zu sein scheint als sein schreckliches Leben. Ist er zudem in einer hilflosen Lage, so kann es auch dazu kommen, dass er an einen anderen jenes Verlan­gen, ihn zu töten, stellt. Doch müsste ihm dann nicht - schonend, aber klar - gesagt werden, wa­rum dies sein Verlangen von einem anderen nicht übernehmbar ist? Ein Verzweifelter braucht intensive Zuwendung, um die Wahrheit zu erfahren, dass auch sein Leben nicht sinnlos ist.

Käme ein Arzt solchem Verlangen nach, so zöge er sich einen zerreißenden Kon­flikt zu zwi­schen seiner ärztlichen Berufspflicht, Anwalt des Lebens zu sein, und der ganz anderen Rolle, einen Menschen zu töten. Täte er es auch aus Mitleid - ließe sich dann vermeiden, dass man ihm auch noch andere Motive zu unterstel­len beginnt? Das wäre das Ende jedes Vertrauens­verhältnisses zwischen Arzt und Patient. Zuweilen ist es für einen Angehörigen sehr bedrü­ckend, mit ansehen zu müssen, wie schwer und qualvoll ein Mensch stirbt. Er prüfe sich selbst, ob es nicht seine Erschöpfung und seine ratlose Ohnmacht sind, die ihn zu dem Wunsch ver­leiten, dies sei nicht mehr auszuhalten, man möge das Leben des Sterbenden beenden, also ihn töten, um - wie man dann sich rechtferti­gend sagt - ihm Leiden zu ersparen.

f) Sterbebegleitung

Begleitung des sterbenden Menschen wurde und wird durch ganz elementare Handreichungen wie durch trösten­den Zuspruch in vielen Familien praktiziert. Heute stellt sich die Aufgabe, diese Form der Sterbehilfe wieder stärker einzu­üben und ihr auch in den Bereichen der profes­sionellen Krankenbetreuung, also in den Krankenhäusern, den Pflegeheimen und der ambu­lanten Krankenversor­gung, mehr Raum zu schaffen. In dieser Hinsicht hat die "Hos­piz"-Bewe­gung wichtige Impulse und Anregungen gegeben.

g) Mutmachen zum Leben

Alle Teilnahme an der Krankheit und am Leiden eines Sterbenden wird darauf zielen, gemein­sam mit ihm heraus­zufinden, was sein Leben auch unter den Ein­schränkungen, die ihm aufer­legt sind, in der ihm noch verbliebenen Spanne Zeit lebenswert und sinnvoll macht. Alles Bestreben und Gutzureden wird ihm nahe bringen wollen, dass sein Leben wie das jedes Men­schen, und sei es noch so be­hindert, für andere bedeutsam und wichtig ist. In der Stunde des Todeseintritts geht solche Teilnahme über in die Bitte, der Sterbende möge mit dem Bewusst­sein in den Tod gehen, dass sein Leben nicht vergeblich, sondern von Gott ge­wollt und geseg­net war.“

 

14.3. Einige Fakten zur Praxis der ärztlichen Sterbehilfe in den Niederlanden und im internationalen Vergleich

Eine aktuelle Studie vergleicht die Häufigkeit und die Charakteristika von ärztli­chen Entschei­dungen am Lebens­ende in sechs europäischen Ländern (THE LANCET, published online June 17, 2003; Quelle im Internet siehe un­ter Punkt 15.).Die Untersuchung wurde methodisch analog zu früheren Untersuchungen in den Niederlanden durchgeführt. Einige Ergebnisse sind für die beteiligten Länder Bel­gien (BE), Dänemark (DK), Italien (IT), die Nie­derlande (NL), Schweden (SE) und die Schweiz (CH) in der folgenden Tabelle 1 zusammengefasst.

Bemerkenswert ist der in den meisten Ländern erstaunlich hohe Anteil an geleis­teter indirekt-aktiver Sterbehilfe. Aber auch aktive Sterbehilfe gab es danach (vor dem Inkrafttreten der ge­nannten Gesetze) nicht nur in den Nie­derlanden, sondern in allen untersuchten Ländern mit Ausnahme von Schweden. Ärztlich unter­stützte Selbsttötung wurde 2001 in vier der sechs be­teiligten Länder praktiziert. Und Lebensbeendigung mit ärztlicher Hilfe ohne aus­drückliches Verlangen der Patienten wird aus allen beteiligten Ländern berichtet (sie kommt in Belgien und Däne­mark sogar häufiger als in den Niederlanden vor). Diese Zahlen relativieren die Angaben, die bisher nur aus den Niederlanden vorlagen.

Die eben aufgeführte Studie wird für die Niederlande um eine zusätzliche Untersu­chung ergänzt (THE LANCET, published online June 17, 2003; Quelle im Internet siehe unter Punkt 15.). Damit lie­gen für die Praxis der „Eutha­nasie“ in den Niederlanden nun auch aktuelle Erhe­bungen für das Jahr 2001 vor. In Tabelle 2 finden Sie einige wesentliche Daten:

Tabelle 1

Tatbestand
(alle Zahlen-Angaben: Prozent aller Todesfälle)

BE

DK

IT

NL

SE

CH

ärztlich unterstütztes Sterben
davon:   + Euthanasie (aktive direkte Sterbehilfe)

             + ärztlich unterstützter Suizid

             + Lebensbeendigung ohne ausdrückliches Verlan­gen des Patienten

1,82

0,30

0,01

1,50

0,79

0,06

0,06

0,67

0,10

0,04

0,00

0,06

3,40

2,59

0,21

0,60

0,23

0

0

0,23

1,04

0,27

0,36

0,42

Linderung von Schmerzen und Beschwerden mit möglicher Lebensverkürzung (indirekte aktive Sterbe­hilfe)

22

26

19

20

21

22

Nicht-Durchführung oder Abbruch einer möglichen Behand­lung (passive Sterbehilfe)

15

14

4

20

14

28

 


Tabelle 2

Tatbestand
(Prozentangaben: bezogen auf alle Todesfälle)

1990

1995

2001

Erläuterung / Kommentar

Sterbefälle insgesamt in den Nieder­landen

 

 

140377

von 1990 bis 1995 um 5,3% und dann weiter von 1995 bis 2001 um 3,5% gestiegen

ausdrückliche Bitten um Euthanasie oder Hilfe bei der Selbsttötung

8900

9700

9700

keine Zunahme trotz gestiege­ner Todesfallzahlen

Euthanasie (aktive Sterbehilfe)

1,7%

2,4%

2,6%

 

keine deutliche Zunahme mehr (2001: ca. 3650 Fälle)

Beihilfe zur Selbsttötung

0,2%

0,2%

0,2%

konstant niedrig
(2001 ca. 280 Fälle)

Lebensbeendigung ohne ausdrückli­chen Wunsch des Patienten

0,8%

0,7%

0,7%

keine Veränderung
(2001: ca. 980 Fälle)

Maßnahmen zur Linderung von Schmerzen und Beschwer­den mit möglicher Lebensverkürzung

18,8%

19,1%

20,1%

Hoher Anteil, leichte Steigerung;
gestiegene Aufmerksamkeit für Palliativmedizin und Einsatz von Schmerzmitteln

Entscheidung für Nichtanwendung oder Abbruch medizini­scher Maß­nahmen

17,9%

20,2%

20,2%

Hoher Anteil, keine weitere Zu­nahme


 

14.4. Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP)
unter deutschen Ärzten zu verschiedenen Formen der Sterbehilfe

(Deutsches Ärzteblatt 2004; 101: A-1077-1078 (Heft 16); Langfassung: www.aerzteblatt.de/plus1604)

Fragestellung

Ärzte der DGP

Andere Ärzte

Gut vertraut mit den in der Sterbehilfedebatte geläufigen Begriffen sind

76 %

49 %

es sind vertraut mit
a) den „Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung“

b) den „Handreichungen der BÄK zum Umgang mit Patientenverfügungen“


64,5 %
61,4 %


26,7 %
42,4 %

ist eine gesetzliche Regelung zur Zulassung aktiver Sterbehilfe wünschenswert?
„Zustimmung“ bzw. „teilweise Zustimmung“
(Zustimmung, wenn eigene Erkrankung vorläge)


9,6 %

(11,6 %)


26,3 %
(30,4 %)

ist eine gesetzliche Regelung zur Zulassung des ärztlich assistierten Suizids bei fortgeschrittener unheil­barer Erkrankung wünschenswert?
„Zustimmung“ bzw. „teilweise Zustimmung“
(Zustimmung, wenn eigene Erkrankung vorläge)



25,2 %
(29,4 %)



40,1 %
(43,5 %)

für Zulassung der „terminalen Sedierung“ bis zum Tod bei unerträglichem Leid

> 90 %

> 90 %

ist eine gesetzliche Regelung wünschenswert für Möglichkeit der Therapie­beendi­gung in aussichtslosen Krankheitssituationen ohne ausdrückliche Willens­bekundung des Betroffenen bzw. der Angehörigen


63,3 %


66,8 %

Maßnahmen aktiver Sterbehilfe bzw. Unterstützung einer Selbsttötung haben selbst durchgeführt

2,5 bzw. 1,1 %

2,5 bzw. 1,1 %

Therapieverzichtsmaßnahmen selbst durchgeführt, ohne dass ausdrückliche Zustimmung des Betroffe­nen vorlag


> 50 %


> 50 %

 

 

Rabbi Judahs Tod


Rabbi Judah lag im schweren Todeskampf.

Seine Kollegen, die Rabbis, standen um sein Bett herum,
und ihr Gebet hielt den Todesengel von Rabbi Judahs Lager weg.

Durch das Gebet verlängerte sich sein Leben und seine Qual.

Rabbi Judahs Magd konnte es jedoch nicht mehr länger ertragen.

Um ihrem geliebten Meister den erlösenden Tod zu bringen,

stieg sie ins Obergeschoss, nahm einen irdenen Krug und warf ihn aus dem Fenster.

Als er krachend auf die Strasse fiel,

erschraken die Rabbiner und hielten für einen Augenblick im Gebet inne.

In dieser Sekunde starb Rabbi Judah.

Seine Magd wurde für ihre Tat gelobt.

(nach Beat Vogel in: Wie Menschenwürdig sterben,
NZN Buchverlag AG, Zürich, 2001)


14.5. Argumente Pro und Contra aktive Sterbehilfe

Argumente für
aktive freiwillige Sterbehilfe

Argumente gegen
aktive freiwillige Sterbehilfe

1. Selbstbestimmung
Das allgemeine menschliche Selbst­be­stimmungsrecht schließt auch das Recht ein, über den eigenen Tod bestimmen zu kön­nen, d.h. Art und Zeitpunkt des eige­nen Todes bestim­men und somit den ei­genen Tod ver­langen zu dürfen.

2. Lebensqualität
Nicht die Lebenszeit, son­dern die Le­bensqualität ist für das Indivi­duum ent­schei­dend. Es gibt Situa­tionen, in de­nen diese Lebensqua­lität für die Per­son, die das Le­ben führt, so ge­ring ist, dass sie das Recht hat, ihren ei­genen Tod ver­langen zu dürfen.

3. Würde
Es gibt Situationen im fort­geschrit­te­nen Verlauf be­stimmter Krank­heiten, die menschenunwürdig sind. Dies sind Si­tu­ationen, in de­nen Men­schen „nicht mehr sie selbst sind“, d.h. Situ­a­tionen, in de­nen sich die Betroffenen quälen, in de­nen sie ent­stellt sind oder in denen ihr Be­wusst­sein ge­trübt ist. In solchen Situatio­nen bzw. für solche Situa­tionen haben Men­schen das Recht, ihren ei­genen Tod verlan­gen zu dürfen.

4. Leid / Schmerzen
Es gibt Situationen, in denen auch mit Schmerztherapie keine völlige Schmerz­freiheit erreicht werden kann. In solchen Situationen, in de­nen die betroffene Per­son unter starken, für sie uner­träglichen Schmerzen leidet, hat diese Per­son das Recht, ihren ei­genen Tod verlangen zu dürfen.

5. Beihilfe zur Selbsttö­tung ist straffrei
Beihilfe zur Selbsttötung ist in Deutsch­land nicht unter Strafe ge­stellt. Wenn aber Selbsttötung und die Bei­hilfe zu ihr nicht bestraft werden, sollte auch die Tötung auf Verlangen nicht bestraft wer­den.

1. Unverfügbarkeit des Lebens
„Wir machen die Erfahrung, dass wir unser Leben nicht in der Hand ha­ben. Das Leben ist ein Geschenk Gottes.“  / „Das Leben ist uns nicht frei verfüg­bar. Ge­nauso wenig ha­ben wir ein Recht, über den Wert oder Unwert eines mensch­li­chen Lebens zu befinden. ... Weil Gott allein Herr über Leben und Tod ist, sind Leben und Men­schenwürde geschützt. ... Weil wir nicht selbst frei über unser Le­ben und schon gar nicht über das Leben anderer verfügen, lehnen wir jede aktive Beendigung des Lebens ab.“ (Christliche Patienten­verfügung)

2. Sozialer Druck
Autonome Selbstbestimmung ist eine Fiktion. Der Wille ei­nes Men­schen ist im­mer auch sozial mitbestimmt. Die Zu­lassung der akti­ven Sterbe­hilfe birgt die Gefahr, dass damit zugleich ein unter­schwelliger Erwar­tungsdruck er­zeugt wird, dass in bestimmten Krankheitssituationen die aktive Ster­behilfe „die beste Lö­sung“ ist. Menschen könnten sich so leicht einem sozialen Druck ausgesetzt fühlen. Sie meinen dann, nie­mandem zur Last fallen zu dürfen und entscheiden sich deshalb mögli­cherweise „erwartungskonform“.

3. Würde
Die Würde des Menschen gilt uneingeschränkt für alle Lebenspha­sen und beinhaltet auch die Anerkennung der Würde des Sterben­den. „Alle medizini­schen und pflegerischen Maßnahmen sind in dieser Achtung vor seiner Würde vorzunehmen.“ Sie soll dem Ster­benden dabei helfen, „daß er sein körperliches Leiden ertragen und den bevorstehenden Tod selbst annehmen kann.“ Die Achtung seiner Würde besteht in der Wahrung der „ihm als Per­son angehö­rende[n] Unantastbarkeit“ (EKD/DBK: „Gott ist ein Freund des Lebens“).

4. Ängste und Bedürfnisse
Der Wunsch nach Sterbehilfe ist Ausdruck von Ängsten und Be­dürfnis­sen. Hin­ter dem Wunsch steht einerseits die Angst vor Leid und Schmerzen und damit das Bedürfnis nach Schmerzkontrolle. Anderer­seits ist es die Angst vor dem Al­leinsein und damit das Be­dürfnis nach Begleitung. Wenn Patienten si­cher sein können, dass sie keine uner­träglichen Schmerzen leiden müssen und in ihrem Sterben nicht allein sein werden, dann entsteht in der Regel auch kein Wunsch nach aktiver Sterbehilfe.

5. Alibi für soziale Versäumnisse
Die Zulassung der aktiven Sterbehilfe könnte die Entsolida­risierung der Ge­sell­schaft beschleunigen. Anstatt die ge­sellschaftlichen An­strengun­gen auf die In­tensivierung der Solidarität mit alten und kranken Men­schen zu richten, wür­den mit der aktiven Sterbehilfe diejenigen Men­schen getö­tet, denen die gesell­schaft­liche Solidari­tät gelten müsste. In­sofern ist die aktive Sterbehilfe ein Alibi für so­ziale Ver­säumnisse.

6. Dammbruch
Mit der Freigabe der aktiven Sterbehilfe wird eine Lawine losgetre­ten, bei der das Tötungsverbot immer weiter gelo­ckert wird. Die Entwicklung in den Nie­der­landen zeigt, dass sowohl die Alters­grenze als auch die Kriterien für die In­an­spruchnahme der aktiven Sterbehilfe immer weiter ausge­dehnt werden. Diese Entwicklung der Ausdehnung der Eu­thana­sie auf immer mehr Perso­nen­gruppen wird sich fort­setzen. Ein Damm bricht.

7. Ökonomische Gründe
Hinter der Debatte um aktive Sterbehilfe stehen ökonomi­sche Gründe. Der Ein­sparungsdruck im Gesundheitswesen ist die eigentliche Motiva­tion hinter der Diskussion.

8. Zerstörung des Arzt-Patient-Verhältnisses
Die Freigabe der aktiven Sterbehilfe zerstört das Vertrauen im Ver­hält­nis zwi­schen Arzt und Patient. Wenn Ärzte nicht mehr unzwei­deutig als diejenigen auf­treten, die Leben be­wahren, könnten Pa­tienten ein Miss­trauen gegenüber den ärztlichen Intentionen ent­wickeln.


 

Die Inuit (Ureinwohner von Grönland) unterschieden zwischen drei Todesarten.

Erstens: dem Tod durch Krankheit, verursacht von böswilligen Geistern. Zweitens: dem Tod auf der Jagd. Ein Grund, in Liedern ehrenvoll erwähnt zu werden. Drittens: dem freiwilligen Tod zur Erhaltung der Gemeinschaft. Dieser Tod wurde besonders verehrt - der durch Erdrosseln oder Erfrieren Verstorbene wurde über Generationen in Liedern und Legenden gepriesen. (taz16.12.2010 S.13)


14.6. Nationaler Ethikrat 2006:
Vorschläge zur Terminologie wichtiger Begriffe im Zusammenhang mit Sterbebegleitung und Sterbehilfe

 

Der Nationale Ethikrat hält die Begriffe „aktive“, „passive“ und „indirekte Sterbehilfe“ für missverständlich und irre­führend. Entscheidungen und Handlungen am Lebensende, die sich mittelbar oder unmittelbar auf den Prozess des Sterbens und den Eintritt des Todes auswirken, können angemessen beschrieben und unterschieden werden, wenn man sich terminologisch an folgenden Begriffen orientiert:

 

Sterbebegleitung

Mit dem Begriff der Sterbebegleitung sollen Maßnahmen zur Pflege und Betreuung von Todkranken und Sterben­den bezeichnet werden. Dazu gehören körperliche Pflege, das Löschen von Hunger- und Durstgefühlen, das Min­dern von Übelkeit, Angst, Atemnot, aber auch menschliche Zuwendung und seelsorgerlicher Beistand, die dem Sterbenden und seinen Angehörigen gewährt werden.

Ihr Ziel muss es sein, die Fähigkeit des Patienten, den eigenen Willen auch in der Sterbephase zur Geltung zu bringen, so lange zu erhalten, wie es medizinisch möglich, für den Betroffenen erträglich und von ihm gewollt ist.

 

Therapien am Lebensende

Zu den Therapien am Lebensende zählen alle medizinischen Maßnahmen, einschließlich palliativmedizinischer Maßnahmen, die in der letzten Phase des Lebens erfolgen mit dem Ziel, Leben zu verlängern und jedenfalls Lei­den zu mildern. Dazu gehören auch Maßnahmen, bei denen die Möglichkeit besteht, dass der natürliche Prozess des Sterbens verkürzt wird, sei es durch eine hochdosierte Schmerzmedikation oder eine starke Sedierung, ohne die eine Beherrschung belastender Symptome nicht möglich ist. Auf den bisher in diesem Zusammenhang ver­wendeten Begriff der „indirekten Sterbehilfe“ sollte verzichtet werden, weil der Tod des Patienten weder direkt noch indirekt das Ziel des Handelns ist. Wird dagegen eine medizinisch nicht gerechtfertigte Überdosis der entspre­chenden Medikamente gegeben, um den Tod des Patienten gezielt herbeizuführen, ist der Begriff der indirekten Sterbehilfe ohnehin unangebracht, weil es sich um die Tötung des Patienten handelt.

 

Sterbenlassen

Von Sterbenlassen statt von „passiver Sterbehilfe“ wird in dieser Stellungnahme gesprochen, wenn eine lebens­verlängernde medizinische Behandlung unterlassen wird und dadurch der durch den Verlauf der Krankheit be­dingte Tod früher eintritt, als dies mit der Behandlung aller Voraussicht nach der Fall wäre. Das Unterlassen kann darin bestehen, dass eine lebensverlängernde Maßnahme erst gar nicht eingeleitet wird; es kann auch darin be­stehen, dass eine bereits begonnene Maßnahme nicht fortgeführt oder durch aktives Eingreifen beendet wird. In manchen Fällen kann es sinnvoll sein, dies durch eine unterschiedlich tiefe palliative Sedierung zu begleiten.

 

Beihilfe zur Selbsttötung

Verschaffen Ärzte oder andere Personen jemandem ein todbringendes Mittel oder unterstützen sie ihn auf andere Weise bei der Vorbereitung oder Durchführung einer eigenverantwortlichen Selbsttötung, liegt Beihilfe zur Selbst­tötung (assistierter Suizid) vor.

 

Tötung auf Verlangen

Wenn man jemandem auf dessen ernsthaften Wunsch hin eine tödliche Spritze gibt oder ihm eine Überdosis an Medikamenten verabreicht oder sonst auf medizinisch nicht angezeigte Weise eingreift, um seinen Tod herbeizu­führen, der krankheitsbedingt noch nicht eintreten würde, handelt es sich um Tötung auf Verlangen. Im Unter­schied zur Beihilfe zur Selbsttötung führt hier nicht der Betroffene selbst, sondern ein anderer die tödliche Hand­lung aus.

 

 

(nach: Nationaler Ethikrat: Stellungnahme Juli 2006 „ Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende“ – im Inter­net unter http://www.ethikrat.org/archiv/nationaler-ethikrat/stellungnahmen/pdf/Stellungnahme_Selbstbestimmung_und_Fuersorge_am_Lebensende.pdf )


14.7. Bausteine für den Einstieg ins Gespräch

 

Zunächst möchten wir verweisen auf „Bausteine“, die Sie verstreut im vorliegenden Heft finden:

 

A) Fallbeispiele (diese stellen oft auch konkrete Entscheidungssituationen dar)

à im Text grau unterlegt

 

B) Definitionen und Sachinformationen

à im Text hervorgehoben in „Kästen“

 

C) Gedichte, Liedtexte, Zitate  

 

 

Hinweise auf Fundstellen für Texte aus der christlichen Tradition finden Sie am Ende des Kapi­tels 12.
Dort sind auch einige Bibelworte, Psalmen, Gebete und Segensformulierungen ab­ge­druckt.

 

Im Folgenden bieten wir als weitere Anregungen noch einige Liedtexte aus der Rock- und Popmusik an.

 


 


REINHARD MEY:
„Wie ein Baum, den man fällt“ (Auszug)
Wenn's wirklich gar nicht anders geht ...
Wenn jeder Vorwand, jede List,
ihm zu entgeh'n vergebens ist,
Wenn ich, wie ich's auch dreh' und bieg',
den eig'nen Tod nicht schwänzen kann ...
Hätt' ich noch einen Wunsch zum Schluss:
Ich möcht' im Stehen sterben ...
Wenn ich dies Haus verlassen soll,
fürcht' ich, geht das nicht würdevoll ...
Zum letzten Abgang, jenem herben,
der mir so unsagbar schwerfällt,
hätt' ich den leichtesten gewählt:
Ich möcht' im Stehen sterben.

 

 

XAVIER NAIDOO:
„Abschied nehmen“ (Auszug)
Und gestern drang die Nachricht dann zu mir
Ich weiß nich, aber es zerriss mich schier.
Denn keiner kann mir sagen,
wie es geschah ...
Und ich wollte noch Abschied nehmen,
das werd ich mir nie vergeben!
Mann, wie konntest von uns gehen?
jetzt soll ich dich nie mehr sehen ...

 

 

PUHDYS:
„Wenn ein Mensch lebt“ (Auszug)
Wenn ein Mensch kurze Zeit lebt,
sagt die Welt, dass er zu früh geht.
Wenn ein Mensch lange Zeit lebt,
sagt die Welt: es ist Zeit ...
Jegliches hat seine Zeit,
Steine sammeln - Steine zerstreun.
Bäume pflanzen - Bäume abhaun,
leben und sterben und Streit.

 

 

FALCO:
„Out of the Dark“ (Auszug)
Ich bin bereit.
Denn es ist Zeit.
Für unseren Pakt über die Ewigkeit.
Du bist schon da.
Ganz nah.
Ich kann Dich spüren.
Laß' mich verführen, laß' mich entführen.
Heute Nacht zum letzten Mal.
Ergeben Deiner Macht.
Reich mir die Hand.
Mein Leben, nenn' mir den Preis.
Ich schenk' Dir Gestern, Heut' und Morgen.
Dann schließt sich der Kreis.
Kein Weg zurück.
Das weiße Licht kommt näher.
Stück für Stück.
Will mich ergeben.
Muß ich denn sterben.
Um zu leben.

 

 

HERBERT GRÖNEMEYER:
„Mensch“ (Auszug)
Der Mensch heißt Mensch,
weil er vergisst, weil er verdrängt
weil er lacht und weil er lebt
weil er irrt und weil er kämpft
weil er hofft und liebt
weil er mitfühlt und vergibt
weil er schwärmt und glaubt
sich anlehnt und vertraut ...
--- du fehlst

 



15. Quellen und weiterführende Literatur

 

·          eine ausführliche Sammlung von Quellen, die in dieser Arbeitshilfe verwendet wurden, sowie weitere Zitate, Daten und Fakten zum Themenbereich „In Würde sterben“ finden Sie hier: http://www.krause-schoenberg.de/sterben_faktensammlung_akt.html

·          Aktuelle Zusammenstellung von Dokumenten der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung und zu Patientenverfügungen: http://www.baek.de/page.asp?his=0.6.5048

·          Aktuelle Zusammenstellung von Dokumenten des Deutschen Ethikrates zu Sterbebegleitung und Patientenverfügung unter: http://www.ethikrat.org/archiv/nationaler-ethikrat/stellungnahmen;
Stellungnahmen und Publikationen des früheren Nationalen Ethikratrates und der Enquetekommissionen des Deutschen Bundestages zur Medizinethik unter: http://www.ethikrat.org/archiv

 

Sterbebegleitung:

·          Kübler-Ross, Elisabeth: Verstehen was Sterbende sagen wollen. Einführung in ihre symbolische Sprache. – Güters­loh: Gü­tersloher Verlagshaus, 1985

·          Kübler-Ross, Elisabeth: Interviews mit Sterbenden. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt, 1987.

·          Das Hospiz-Buch / hrsg. von Johann-Christoph Student. – 4., erw. Aufl. – Freiburg i.Br.: Herder, 1999.

·          Looser, Gabriel: Im Sterben die Fülle des Lebens erfahren, Ein Begleitbuch, Walter Verlag Zürich und Düssel­dorf, 1999

·          Weiß, Wolfgang: Im Sterben nicht allein. Hospiz. Ein Handbuch für Ange­hörige und Ge­meinden, Wichern Verlag Ber­lin, 1999

·          Piper, Hans-Christoph: Gespräche mit Sterbenden. – 4. Aufl. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1990.

·          Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung: „Pflegen zu Hause – Ratgeber für die häusliche Pflege“; Bro­schüre  A5 100 Seiten, November 2001, Bestelladresse: BMGS, Ref. Information, PF 500, 53105 Bonn

·          Nationaler Ethikrat: Stellungnahme Juli 2006 „ Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende“ – im Internet un­ter http://www.nationalerethikrat.de/stellungnahmen/pdf/Stellungnahme_Sterbebegleitung.pdf
jetzt suchen unter: http://www.ethikrat.org/archiv/nationaler-ethikrat/stellungnahmen

·          Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung Januar 2011 http://baek.de/downloads/Sterbebegleitung_17022011.pdf

Tod, Trauer und Trauerbegleitung:

·          Jüngel, Eberhard: Tod. – Stuttgart: Kreuz, 1971.

·          Hauke, Rainer: Ratgeber Trauerfall: Informationen aus christlicher Sicht. – Berlin: Wichern, 1997.

·          Canacakis, Jorgos: Ich sehe deine Tränen. Trauern, Klagen, Leben können. – Stuttgart: Kreuz, 1987.

·          Spiegel, Yorick: Der Prozeß des Trauerns. Analyse und Beratung. – 8. Aufl. – Gütersloh: Kaiser, 1995.

Medizinische Ethik im Zusammenhang von Sterben und Tod

·          Körtner, Ulrich H.J.: Bedenken, daß wir sterben müssen. Sterben und Tod in Theologie und medizinischer Ethik. – Mün­chen: Beck, 1996.

·          Fischer, Johannes: Medizin- und bioethische Perspektiven : Beiträge zur Urteilsbildung im Bereich von Medi­zin und Biolo­gie. – Zürich: Theologischer Verlag, 2002.

·          Eibach, Ulrich: Menschenwürde an den Grenzen des Lebens, Neukirchen-Vluyn 2000

·          Krause, Cornelia: „Sterbehilfe als ethisches Problem am Beispiel der nie­der­ländischen Gesetzgebung vom 1. April 2002 unter besonderer Berücksichti­gung neuerer Stimmen aus Kir­che und Theologie in Deutschland und den Nie­derlan­den“, Diplomarbeit, Theologische Fakultät Universität Leipzig WS 2002/2003

·          Zulehner, Paul; Becker, Paul; Virt, Günter: Sterben und sterben lassen, Patmos Verlag Düsseldorf, 1991

·          Wiesing, U. (Hrsg.): Ethik in der Medizin, Reclam, Stuttgart 2000

·          Liedke,U.; Oehmichen,F. (Hrsg.): Sterben. Natürlicher Prozess und professionelle Herausforderung; Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2008

Kirchliche Verlautbarungen:

·          Gott ist ein Freund des Lebens“ - Herausforderungen und Aufgaben beim Schutz des Lebens, Kirchenamt der Evan­geli­schen Kirche in Deutschland / Sek­retariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.):, Gütersloh 1991; im Internet un­ter: www.ekd.de/EKD-Texte/gottist/freunddeslebens.html

·          „Sterbebegleitung statt aktiver Sterbehilfe“; Hrsg. Evangelische Kirche in Deutschland und Katholische Deutsche Bischofs­konferenz, Textsammlung kirchli­cher Erklärungen, Bezug: Kirchenamt der EKD, Herren­häuser Str. 12, 40419 Hannover, Tel. 0511-2796469,
im Internet unter: http://www.ekd.de/EKD-Texte/2064_sterbebegleitung_2003.html

·          Jeder Mensch ist zum Bild Gottes geschaffen“, Arbeitsergebnisse der Pro­jekt­gruppe Auswirkungen der moder­nen Medizin im Bereich der Diakonie Diakoni­sches Werk der EKD zum Schlussbericht der Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin, Berlin, Januar 2003;
im Internet unter http://www.diakonie.de/de/downloads/DK-02-2003.pdf

·          Wenn Menschen sterben wollen - Eine Orientierungshilfe zum Problem der ärztlichen Beihilfe zur Selbsttötung; Ein Beitrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, EKD-Texte 97, 2008 http://www.ekd.de/EKD-Texte/ekdtext_97.html

Sterben und Tod im Wandel der Geschichte

·          Fischer, Ernst Peter (Hrsg.): Neue Horizonte 98/99 – Geburt und Tod, Piper 1999

·          Ariès, Philippe: Geschichte des Todes, dtv, München 1999

Patientenverfügung – Betreuungsrecht - Rechtsprechung

·          Gesetz zu Patientenverfügungen vom 18.6.2009 unter: http://www.patientenverfuegung.de/files/593-09[1].pdf

·          Schell, Werner: Sterbebegleitung und Sterbehilfe. Gesetze, Rechtsprechung, Deklarationen (Erklärungen), Richt­linien, Stellungnahmen. – 2. aktualisierte und erw. Aufl. – Hagen: Brigitte Kunz Verlag, 2000

·          Putz, Wolfgang; Steldinger, Beate: Patientenrechte am Ende des Lebens; Beck-Rechtsbe­rater im dtv-Verlag, Mün­chen 2003

·          Bayeri­sches Staatsministerium der Justiz: „Vorsorge für Unfall, Krankheit und Alter durch Vollmacht, Betreu­ungs­verfü­gung, Patienten­verfü­gung“; Broschüre 2004, 48 Seiten, im Buchhandel erhältlich (Verlag C.H.Beck, 3,90 Euro);
im Internet: http://www.verwaltung.bayern.de/Gesamtliste-.613.1928150/index.htm

·          Bundesministerium der Justiz: „Betreuungsrecht“ (mit Informationen zu Vorsorgevollmacht und Betreuungs­verfü­gung), Bezug kostenlos: Publikationsversand der Bundesregierung, Postfach 481009, 18132 Rostock im Internet: http://www.bmj.bund.de/files/-/1511/Betreuungsrecht_November_2009.pdf

·          Bundesministerium der Justiz, Broschüre „Patientenverfügung“, Bezug kostenlos: Publikationsversand der Bundesregierung, Postfach 481009, 18132 Rostock; im Internet: http://www.bmj.bund.de/files/-/3903/Patientenverfuegung_Broschuere_Januar2010_barrierfrei-1.pdf

·          Sächsisches Staatsministerium der Justiz: „Betreuung und Vorsorge – ein Leitfaden“, Bezug: Zentraler Broschü­renver­sand, Hammerweg 30, 01127 Dresden, Tel. 0351-210-3671 oder 3672

·          „Christliche Patientenvorsorge“ 2011, Handreichung mit Formularen zu Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung und Patientenverfügung, Hrsg. Kirchenamt der EKD und Katholische Deutsche Bischofskonferenz, Bestellungen bei: Kirchenamt der EKD, Herrenhäuser Str. 12, 30419 Hannover, Tel. 0511-2796-0 Fax –457; per Mail: versand@ekd.de, im In­ternet: http://www.ekd.de/patientenvorsorge/index.html

·           „Patientenrechte in Deutschland“; Leitfaden für Patienten und Ärzte, Bun­desministerium für Gesundheit und Sozi­ale Sicherung und Bundesministe­rium der Justiz (Hrsg.):, Februar 2003, Bestelladresse: BMGS, Ref. Information, PF 500, 53105 Bonn;
im Internet unter: http://www.bmgs.bund.de/download/broschueren/A407.pdf

·          „Sterben hat seine Zeit - Überlegungen zum Umgang mit Patientenverfügungen aus evangelischer Sicht“, EKD-Texte Nr. 80, Bestellungen: Kirchenamt der EKD, Herrenhäuser Str. 12, 30419 Hannover, Tel. 0511-2796-0 Fax –457; im In­ternet: http://www.ekd.de/EKD-Texte/2059_ekd_texte_80_1.html

·          Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz (Hrsg.): Bioethik-Kommission Rheinland-Pfalz: „Sterbehilfe und Sterbebeglei­tung – Ethische, rechtliche und medizinische Bewertung des Spannungsverhältnisses zwischen ärzt­licher Lebenserhaltungs­pflicht und Selbstbestimmung des Patienten“; 23.4.2004; Bezug: Justizministerium Rheinland-Pfalz, Ernst-Ludwig-Str. 3, 55116 Mainz

·         Nationaler Ethikrat: Patientenverfügung – Ein Instrument der Selbstbestimmung. Stellungnahme 2005,
jetzt suchen unter:
http://www.ethikrat.org/archiv/nationaler-ethikrat/stellungnahmen

Europäische Rechtsdokumente und Rechtspraxis

·          Europarat, Parlamentarische Versammlung: „Schutz der Menschenrechte und der Würde der Todkranken und Ster­ben­den“ Empfehlung 1418 (1999),
im Internet unter: http://www.univie.ac.at/ethik-und-recht-in-der-medizin/Dokumente/Eurorat.doc

·          Das niederländische Gesetz zur aktiven Sterbehilfe
 („Das Gesetz über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei Selbsttötung“)
http://www.minbuza.nl/default.asp?CMS_ITEM=MBZ416793

·          einige Erläuterungen aus dem niederländischen Außenministe­rium zum niederländischen Sterbehilfegesetz:
http://www.minbuza.nl/default.asp?CMS_ITEM=MBZ461024

·          Das belgische Gesetz zur aktiven Sterbehilfe:
http://www.iuscrim.mpg.de/forsch/straf/referate/sach/SterbehilfeG_Belgien.pdf

·          Studie: „Entscheidungen am Lebensende in sechs europäischen Ländern“
(End-of-life decision-making in six European countries: descriptive study)
THE LANCET • Published online June 17, 2003 •
http://image.thelancet.com/extras/03art3298web.pdf

·          Studie: „Euthanasie (aktive Sterbehilfe) und andere Entscheidungen am Lebensende in den Niederlanden 1990, 1995 und 2001“
(Euthanasia and other end-of-life decisions in the Netherlands in 1990, 1995, and 2001; THE LANCET • Published on­line June 17, 2003 • http://image.thelancet.com/extras/03art3297web.pdf)

 

 

16. Anhang:
Musterformulare / Bausteine für Betreuungsverfügung, Vorsorge-Vollmacht und Patientenverfügung

Wenn Sie eine Verfügung oder Vollmacht nicht in eigenen Worten niederschreiben wollen, können Sie auch die im Folgenden wiedergegebenen Vorlagen nutzen. Darin können Sie die Aussagen ankreuzen, die Ihre Willensbildung wiedergeben. Sie können auch persönliche Ergänzungen einfügen oder anhängen.

Die verwendeten Vorlagen wurden (mit geringfügigen Veränderungen) übernommen aus der Broschüre: Bayeri­sches Staatsministerium der Justiz (Hrsg.): „Vorsorge für Unfall, Krankheit und Alter durch Vollmacht, Betreu­ungs­verfü­gung, Patienten­verfü­gung“; 2004. Die Broschüre ist im Buchhandel erhältlich (mit herausnehmbaren Vordrucken): Verlag C.H.Beck, ISBN 3-406-53063-X, 3,90 Euro); Sie finden den Text dieser Broschüre und die enthaltenen Formulare auch zum Ausdrucken im Internet unter http://www.justiz.bayern.de/imperia/md/content/stmj_internet/buergerservice/broschueren/vorsorge_sept2005.pdf

 

Hier finden Sie die im Folgenden wiedergegebenen Musterformulare als PDF-Dateien: http://www.krause-schoenberg.de/SB04_Vorsorge.pdf


 

VORSORGE-VOLLMACHT

 

 

Ich, ......................................................................................................... (Vollmachtgeber/in)

(Name, Vorname, Geburtsdatum)

 

...................................................................................................................................................

(Adresse, Telefon, Telefax)

 

erteile hiermit Vollmacht an

 

....................................................................................................... (bevollmächtigte Person)

(Name, Vorname, Geburtsdatum)

 

...................................................................................................................................................

(Adresse, Telefon, Telefax)

 

Nur für den Fall, dass die erstgenannte Person die Vollmacht nicht wahrnehmen kann,
soll diese Vollmacht gelten für

 

........................................................................................................ (bevollmächtigte Person)

(Name, Vorname, Geburtsdatum)

 

....................................................................................................................................................

(Adresse, Telefon, Telefax)

 

Diese Vertrauensperson wird hiermit bevollmächtigt, mich in allen Angelegenheiten zu vertreten, die ich im Folgenden angekreuzt oder angegeben habe. Durch diese Vollmachtserteilung soll eine vom Gericht ange­ordnete Betreuung vermieden werden. Die Vollmacht bleibt daher in Kraft, wenn ich nach ihrer Errichtung ge­schäftsunfähig geworden sein sollte.

Die Vollmacht ist nur wirksam, solange die bevollmächtigte Person die Vollmachtsurkunde besitzt und bei Vornahme eines Rechtsgeschäfts die Urkunde im Original vorlegen kann.

 

Gesundheitssorge / Pflegebedürftigkeit

·         Sie darf in allen Angelegenheiten der Gesundheitssorge entscheiden, ebenso             JA O    NEIN O
über alle Einzelheiten einer ambulanten oder (teil-)stationären Pflege. Sie ist befugt,
meinen in einer Patientenverfügung festgelegten Willen durchzusetzen.

·         Sie darf insbesondere in sämtliche Maßnahmen zur Untersuchung des Gesundheits- JA O    NEIN O
zustandes und in Heilbehandlungen einwilligen, auch wenn diese mit Lebensgefahr
verbunden sein könnten oder ich einen schweren oder länger dauernden gesund-
heitlichen Schaden erleiden könnte (§ 1904 Abs.1 BGB). Sie darf die Einwilligung
zum Unterlassen oder Beenden lebensverlängernder Maßnahmen erteilen.

·         Sie darf Krankenunterlagen einsehen und deren Herausgabe an Dritte bewilligen.         JA O    NEIN O
Ich entbinde alle mich behandelnden Ärzte und nichtärztliches Personal gegenüber
meiner bevollmächtigten Vertrauensperson von der Schweigepflicht.

·         Sie darf über meine Unterbringung mit freiheitsentziehender Wirkung (§ 1906 JA O    NEIN O
Abs.1 BGB) und über freiheitsentziehende Maßnahmen (z. B. Bettgitter,
Medikamente u. ä.) in einem Heim oder in einer sonstigen Einrichtung (§ 1906
Abs. 4 BGB) entscheiden, solange dergleichen zu meinem Wohle erforderlich ist.

·         ......................................................................................................…............................  JA O    NEIN O

 

Aufenthalt und Wohnungsangelegenheiten

·         Sie darf meinen Aufenthalt bestimmen, Rechte und Pflichten aus dem                       JA O    NEIN O
Mietvertrag über meine Wohnung einschließlich einer Kündigung wahrnehmen
sowie meinen Haushalt auflösen.

(Vorsorge-Vollmacht Seite 2)

 

·         Sie darf einen Heimvertrag abschließen. ....................................................................         JA O    NEIN O

·         .....................................................................................................................................  JA O    NEIN O

 

Behörden

·         Sie darf mich bei Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern       JA O    NEIN O
vertreten.

 

Vermögenssorge

Sie darf mein Vermögen verwalten und hierbei alle Rechtshandlungen und Rechtsgeschäfte
im In- und Ausland vornehmen, Erklärungen aller Art abgeben und entgegennehmen sowie

Anträge stellen, abändern, zurücknehmen, namentlich

·         über Vermögensgegenstände jeder Art verfügen .......................................................           JA O    NEIN O

·         Zahlungen und Wertgegenstände annehmen .............................................................          JA O    NEIN O

·         Verbindlichkeiten eingehen .........................................................................................      JA O    NEIN O

·         Willenserklärungen bezüglich meiner Konten, Depots und Safes abgeben.                 JA O    NEIN O
Sie darf mich im Geschäftsverkehr mit Kreditinstituten vertreten.

·         Schenkungen in dem Rahmen vornehmen, der einem Betreuer rechtlich         JA O    NEIN O
gestattet ist.

·         Folgende Geschäfte soll sie nicht wahrnehmen können: ...............................                       JA O    NEIN O
................................................................................................…………………………..

·         .................................................................................................................................. ..  JA O    NEIN O

(Achtung: Kreditinstitute verlangen oft eine Vollmacht auf bankeigenen Vordrucken! Für Immobiliengeschäfte, Aufnahme von Darlehen sowie für Handelsgewerbe ist eine notarielle Vollmacht erforderlich!)


Post- und Fernmeldeverkehr

·         Sie darf die für mich bestimmte Post entgegennehmen und öffnen sowie über             JA O    NEIN O
den Fernmeldeverkehr entscheiden. Sie darf alle hiermit zusammenhängenden
Willenserklärungen (z.B. Vertragsabschlüsse, Kündigungen) abgeben.

 

Vertretung vor Gericht

·         Sie darf mich gegenüber Gerichten vertreten sowie Prozesshandlungen aller Art         JA O    NEIN O
vornehmen.

 
Untervollmacht

·         Sie darf in einzelnen Angelegenheiten Untervollmacht erteilen. ................................ JA O    NEIN O

 

Betreuungsverfügung

·         Falls trotz dieser Vollmacht eine gesetzliche Vertretung („rechtliche Betreuung“)        JA O    NEIN O
erforderlich sein sollte, bitte ich, die oben bezeichnete Vertrauensperson
als Betreuer zu bestellen.

 

Weitere Regelungen

..................................................................................................................................................

..................................................................................................................................................

 

..................................................................................................................................................

(Ort, Datum)                         (Unterschrift der Vollmachtgeberin /des Vollmachtgebers)

 

....................................................................... .......................................................................................................

(Ort, Datum)                       (Unterschrift der Vollmachtnehmerin/des Vollmachtnehmers)


 

PATIENTENVERFÜGUNG

 

Für den Fall, dass ich, ......................................................................................................................

geboren am: ........................................................................................................................................

wohnhaft in: ........................................................................................................................................

 

meinen Willen nicht mehr bilden oder verständlich äußern kann, bestimme ich Folgendes:

                                                                                                                      Zutreffendes habe ich hier

                                                                                                                      angekreuzt bzw. beigefügt ↓

1. Situationen, für die diese Verfügung gilt:

·         Wenn ich mich aller Wahrscheinlichkeit nach unabwendbar im unmittelbaren             JA O    NEIN O
Sterbeprozess befinde.                                                                                                                 

·         Wenn ich mich im Endstadium einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Krankheit        JA O    NEIN O
befinde,selbst wenn der Todeszeitpunkt noch nicht absehbar ist.      

·         Wenn infolge einer Gehirnschädigung meine Fähigkeit, Einsichten zu gewinnen,        JA O    NEIN O
Entscheidungen zu treffen und mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, nach
Einschätzung zweier erfahrener Ärzte aller Wahrscheinlichkeit nach unwieder-
bringlich erloschen ist, selbst wenn der Todeszeitpunkt noch nicht absehbar ist.
Dies gilt für direkte Gehirnschädigung z. B. durch Unfall, Schlaganfall, Entzündung
ebenso wie für indirekte Gehirnschädigung z. B. nach Wiederbelebung, Schock
oder Lungenversagen. Es ist mir bewusst, dass in solchen Situationen die Fähigkeit
zu Empfindungen erhalten sein kann und dass ein Aufwachen aus diesem Zustand
nicht ganz sicher auszuschließen, aber äußerst unwahrscheinlich ist.

·         Wenn ich infolge eines sehr weit fortgeschrittenen Hirnabbauprozesses (z. B.            JA O    NEIN O
bei Demenzerkrankung) auch mit ausdauernder Hilfestellung nicht mehr in der
Lage bin, Nahrung und Flüssigkeit auf natürliche Weise zu mir zu nehmen, und/oder
nicht mehr weiß, wer ich bin, wo ich bin, und Familie und Freunde nicht mehr erkenne.

·         (Situationsbeschreibung für eine eigene schwere fortschreitende Erkrankung:)            JA O    NEIN O

.............................................................................................................................................

.............................................................................................................................................

·         ........................................................................................................................……….    JA O    NEIN O

·         Vergleichbare, hier nicht ausdrücklich erwähnte Krankheitszustände sollen                JA O    NEIN O
entsprechend beurteilt werden.

 

2. In allen unter Nummer 1 beschriebenen und angekreuzten Situationen verlange ich:

·         Lindernde pflegerische Maßnahmen, insbesondere Mundpflege zur Vermeidung des        O
Durstgefühls sowie lindernde ärztliche Maßnahmen, im speziellen Medikamente zur
wirksamen Bekämpfung von Schmerzen, Luftnot, Angst, Unruhe, Erbrechen und anderen
Krankheitserscheinungen. Die Möglichkeit einer Verkürzung meiner Lebenszeit durch
diese Maßnahmen nehme ich in Kauf.

 

3. Eine Krankenhauseinweisung soll nur erfolgen, wenn die leidenslindernden                 .....O

    Maßnahmen zu Hause bzw. im Seniorenheim nicht durchführbar sind

4. In den unter Nummer 1 beschriebenen und angekreuzten Situationen wünsche ich:

·         Die Unterlassung lebenserhaltender Maßnahmen, die nur den Todeseintritt verzögern                  O
und dadurch mögliches Leiden unnötig verlängern würden,
z.B. keine lebensverlängernden Maßnahmen durch medikamentöse Unterstützung
des Kreislaufs oder durch maschinelle Verfahren wie künstliche Beatmung oder Dialyse

·         Keine Wiederbelebungsmaßnahmen .................................................................................                 O

(Patientenverfügung Seite 2)

·         keine Bekämpfung einer zusätzlich auftretenden Krankheit (z.B. Lungenentzündung,       O
Einsatz von Antibiotika)

 

5. In den von mir unter Nummer 1 beschriebenen und angekreuzten Situationen,
    insbesondere in den Situationen, in denen der Tod nicht unmittelbar bevorsteht,
    wünsche ich sterben zu dürfen und verlange:

·         Keine künstliche Ernährung (weder über eine Magensonde durch den Mund, die Nase                 O
oder die Bauchdecke noch über die Vene)

·         Verminderte künstliche Flüssigkeitsgabe nach ärztlichem Ermessen .............................            O

 

Die Befolgung dieser Wünsche ist nach geltendem Recht keine aktive Sterbehilfe.

 

6. Ich wünsche eine Begleitung

·         durch .................................................................................................................................              O

             ....................................................................................................................................

             (Name, Anschrift, Angaben für persönliche Wünsche und Anmerkungen)

·         durch einen Seelsorger (Name) .........................................................................................                 O

·         durch einen Hospizdienst (Name, Institution) ....................................................................       O

 

7.a) Ich habe zusätzlich zur Patientenverfügung eine Vorsorgevollmacht erteilt     JA O    NEIN O
und den Inhalt dieser Patientenverfügung mit der von mir bevollmächtigten Person besprochen.

 

7.b) Ich habe anstelle einer Vollmacht eine Betreuungsverfügung erstellt.             JA O    NEIN O

 

Mein Bevollmächtigter bzw. vorgeschlagener Betreuer ist (auch als Auskunftsperson gegenüber Ärzten)

..................................................................................................................................................................................

(Name)

..................................................................................................................................................................................

(Anschrift)

..................................................................................................................................................................................

(Telefon)                                              (Telefax)

 

8. Sofern dieser Patientenverfügung Erläuterungen zu meinen Wertvorstellungen, u.a. meiner Bereitschaft zur Organ­spende („Organspendeausweis“), meinen Vorstellungen zur Wiederbelebung (z. B. bei akutem Herzstillstand) oder Angaben zu bestehenden Krankheiten beigefügt sind, sollen sie als erklärender Bestandteil dieser Verfügung angese­hen werden.

 

Ich habe diese Verfügung nach sorgfältiger Überlegung erstellt. Sie ist Ausdruck meines Selbstbestimmungsrechts. Darum wünsche ich nicht, dass mir in der konkreten Situation der Nichtentscheidungsfähigkeit eine Änderung meines Willens unterstellt wird, solange ich diesen nicht ausdrücklich (schriftlich oder nachweislich mündlich) widerrufen habe.

 

Ich weiß, dass ich die Patientenverfügung jederzeit abändern oder insgesamt widerrufen kann.

 

......................................................... ........................................................................

(Ort, Datum)                                     (Unterschrift)

 


(Patientenverfügung Seite 3)

 

Patientenverfügung:
mögliche weitere Angaben

 

Es empfiehlt sich, diese Verfügung regelmäßig (z. B. alle ein bis zwei Jahre) durch Unterschrift zu bestätigen. Eine er­neute Unterschrift bzw. eine Überarbeitung ist sinnvoll, wenn eine Änderung der persönlichen Lebensumstände ein­tritt. Eine ärztliche Beratung ist dringend zu empfehlen, auch wenn sie keine Voraussetzung für die rechtliche Wirk­samkeit ist.

 

 

....................................................................................................................................................

(Ort)                         (Datum)                                   (Unterschrift)

 

....................................................................................................................................................

(Ort)                         (Datum)                                   (Unterschrift)

 

....................................................................................................................................................

(Ort)                         (Datum)                                   (Unterschrift)

 

 

 

 

 

Der Arzt / die Ärztin meines Vertrauens ist:


....................................................................................................................................................

(Name)                                        (Anschrift)                                                  (Telefon) (Telefax)

 

....................................................................................................................................................

(Ort)                         (Datum)                                   (Unterschrift)

 

 

Bei der Festlegung meiner Patientenverfügung habe ich mich beraten lassen von*


.................................................. ................................................................................. ..............

(Name)                                       (Anschrift)                                                                  (Telefon)

....................................................................................................................................................

(Ort)                         (Datum)                                     (Unterschrift)

 

* (Eine Beratung vor dem Abfassen einer Patientenverfügung ist rechtlich nicht vorgeschrieben. Ein stattgefundenes Beratungsgespräch kann aber unterstreichen, dass Sie Ihre Wünsche ernsthaft und im Bewusstsein ihrer Bedeutung zum Ausdruck gebracht haben.)


 

BETREUUNGSVERFÜGUNG

 

Ich, ....................................................................................................................................................

(Name, Vorname, Geburtsdatum)

 

....................................................................................................................................................

(Adresse, Telefon, Telefax)

 

lege hiermit für den Fall, dass ich infolge Krankheit, Behinderung oder Unfall meine Ange­legenheiten teilweise oder ganz nicht mehr selbst besorgen kann und deshalb ein Betreuer als gesetzlicher Vertreter für mich bestellt werden muss, Folgendes fest:

 

Als Person, die mich betreuen soll, schlage ich vor:

Name: .........................................................................................................................................

Geburtsdatum: ...........................................................................................................................

Straße:........................................................................................................................................

Wohnort: .....................................................................................................................................

 

oder, falls diese nicht zum Betreuer bestellt werden kann:

Name: .........................................................................................................................................

Geburtsdatum: ...........................................................................................................................

Straße: .......................................................................................................................................

Wohnort: ....................................................................................................................................

 

Auf keinen Fall zur Betreuerin/zum Betreuer bestellt werden soll:

Name: ........................................................................................................................................

Geburtsdatum: ...........................................................................................................................

Straße: ......................................................................................................................................

Wohnort: ....................................................................................................................................

 

Zur Wahrnehmung meiner Angelegenheiten durch den Betreuer habe ich folgende Wünsche:

 

1. Ich habe meine Einstellung zu Krankheit und Sterben in der beigefügten Patientenverfügung niedergelegt. Diese soll der Betreuer beachten. ……………………… O

 

2. (Weitere Wünsche)...................................................................................................................................

.............................................................................................................................

.............................................................................................................................

.............................................................................................................................

.............................................................................................................................

.............................................................................................................................

......... ..........................................................................................................................................

(Ort, Datum)                     (Unterschrift)