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sterbehilfe
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In Würde sterben
Der
Weg des Sterbens – Sterbebegleitung – Sterbehilfe – Schmerztherapie – Hospizarbeit
- Patientenverfügung
Arbeitshilfe für das Gespräch in Kirchgemeinden,
Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Bildungsstätten
Hrsg.: Diakonisches Werk Sachsen, 2. Auflage Oktober 2004
Bearbeitung: J.Krause ab 2005
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Bezugsadresse: Joachim
Krause, Hauptstr. 46, 08393 Schönberg, Tel. 03764-3140, Fax. 03764-796761,
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vergriffen.
Lieferbar ist eine im Inhalt gleiche Fassung, die inzwischen sparsam
aktualisiert wurde (A4 – 55 Seiten) – Bezugsmöglichkeiten
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Inhalt
Einführung .................................................................................................................................................. 3
2. Wer ist der Mensch – im
Leben und im Sterben? - Überlegungen aus theologischer Sicht ............... 6
3. Was geschieht, wenn ich
sterbe? - Der
Prozess des Sterbens aus medizinischer und
sozialwissenschaftlicher Sicht
.................................................................................................................
7
4. Ich kann nicht leben - ich will nicht sterben
- Der Weg des
Sterbens aus seelsorgerlicher Sicht…….. 10
5. Komm, sanfter Tod -
Der Wunsch nach
Sterbehilfe ..............................................................................
14
6. Lass mich sterben -
Passive Sterbehilfe
..............................................................................................
15
7. Hilf mir sterben - Beihilfe zur Selbsttötung
...........................................................................................
17
8. Ich will jetzt sterben
- Aktive
Sterbehilfe .............................................................................................
19
9. Mein Schmerz ist
unerträglich - Schmerztherapie
und indirekte Sterbehilfe ....................................... 24
10. Wird jemand bei mir sein, wenn ich sterbe? -
Möglichkeiten
der Begleitung Sterbender durch Hospizarbeit und Palliativmedizin
................................ 26
11. Ich möchte zu Hause sterben - Betreuung Sterbender in ihrer vertrauten
Umgebung ....................... 30
12. Kann ich getrost sterben? .................................................................................................................. 33
13. Ich möchte bestimmen, was mit mir geschieht -
Betreuungsverfügung, Vorsorge-Vollmacht, Patientenverfügung
.......................................................... 37
14. Texte und Bausteine für Veranstaltungen ...........................................................................................
45
15. Quellen und weiterführende Literatur ................................................................................................ 51
16.
Anhang: Musterformulare/Bausteine
für Betreuungsverfügung, Vorsorge-Vollmacht und
Patientenverfügung …………………………………………………………………………………………… 53
„Viele Menschen machen sich Sorgen über die letzte Phase ihres Lebens. Sie fragen sich: Wie wird es mit mir zu Ende gehen? Werde ich einmal zu Hause sterben können oder wird man mich ins Krankenhaus bringen? Werden dann Menschen bei mir sein, mir beistehen und Kraft geben? Werde ich unerträgliche Schmerzen haben? Oder nur noch ohne Bewusstsein vor mich hindämmern? So schwer solche Fragen sind, es ist gut, ihnen nicht auszuweichen. Denn zum verantwortlichen Leben gehört auch das Bedenken des Todes und das Annehmen der eigenen Sterblichkeit ... In den letzten Jahrzehnten ist das Sterben zu Hause im Kreis der Familie, der Angehörigen und Nachbarn selten geworden. Die weitaus meisten Menschen sterben in Alten- oder Pflegeheimen und Krankenhäusern. Dort wird ihnen eine fachkundige medizinisch-pflegerische Betreuung zuteil, wie sie in früheren Jahrhunderten unbekannt war. Der wachsende Fortschritt der medizinischen Möglichkeiten wirft aber auch Fragen auf, die sich früher so nicht gestellt haben. Viele Menschen fragen, ob die Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Medizin am Ende wirklich zu einer Verbesserung der Lebensqualität beiträgt oder ob sie nur einen belastenden Sterbeprozess verlängert.“
Mit diesen einleitenden Sätzen nimmt sich die „Christliche Patientenverfügung“ (2.Auflage 2003) eines wichtigen Themas an: das Sterben als die letzte Phase auch in meinem eigenen Dasein nicht zu verdrängen, sondern sich ihm bewusst zu stellen und gezielt darauf vorzubereiten.
Aber über die Ermutigung hinaus, Vorsorge für das eigene Lebensende zu treffen, werden in unserer Gesellschaft noch weitere Fragen heiß diskutiert: Was heißt es konkret, Menschen im Sterben zu helfen? Meint „Sterbehilfe“ das Geschehenlassen des Sterbens und Linderung von Schmerzen und anderen Beeinträchtigungen für den Sterbenden, wie das in der hospizlichen Sterbebegleitung und in der Palliativmedizin geschieht? Oder ist auch „aktive“ Sterbehilfe eine Tat der Nächstenliebe: Darf das unerträgliche Leid eines Patienten auf seinen ausdrücklichen Wunsch durch direktes Eingreifen abgekürzt werden? Das Spektrum der Meinungen ist sehr breit, die Vielzahl der Fachbegriffe und Argumente manchmal mehr verwirrend als erhellend.
Wir möchten mit diesem Heft grundlegende Informationen zu Sachfragen wie auch zu ethischen Fragestellungen vermitteln in der Hoffnung, dass dadurch eine breite Öffentlichkeit in die Lage versetzt wird, sich selbst eine Meinung zu bilden. Dabei werden auch „amtliche“ Stellungnahmen aus Kirche und Diakonie als mögliche Orientierungshilfen vorgestellt (siehe dazu Auszüge aus Dokumenten und weiterführende Quellenangaben in den Kapiteln 14. und 15.).
Oberkirchenrat
Jochen Bohl
Direktor
Sterben
gehört zum Leben!
Dieser Satz klingt paradox, und doch ist er wahr. Das Thema Tod ist allgegenwärtig. Das nebenstehende Bild zeigt einen ganz profanen Gegenstand, einen Handtuchhalter aus dem 16. Jahrhundert. Bei ganz alltäglichen Verrichtungen begegneten damals Menschen ihrem Spiegelbild, in dem Leben und Tod nur durch eine dünne Haut getrennt sind – Anlass zu Nachdenklichkeit.
Auch in unserem Alltag gehören Leben und Sterben untrennbar zusammen. Wenn ich zum Beispiel im Nachrichtenblatt von Kirchgemeinden blättere, finde ich die Namen von Kindern, die mit der Taufe am Anfang ihres Lebens stehen, neben den Namen von Menschen, deren Leben nach 70 oder 80 Jahren an sein natürliches Ende gekommen ist.
Dass Sterben zum Leben gehört, war aber in früheren Zeiten wohl stärker im Bewusstsein der Menschen, begegnete ihnen der Tod doch viel früher – mitten im Leben! - direkter und häufiger als uns.
Die Bibel nimmt solche Erfahrungen auf, sie weiß, dass viele Farben das Leben eines Menschen bestimmen, und da gehört das Sterben als die wichtige letzte Phase ganz normal in den Lebenskreis mit hinein.
Ein jegliches hat seine Zeit,
und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde:
geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit,
weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit,
klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit,
suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit,
behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit,
schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit ...
(Die Bibel, aus dem Buch Prediger 3,1-7)
Auch die Lieder in unserem
Gesangbuch sind ein Stück weit Spiegelbild der Traditionen christlichen
Denkens. Das Lied „Aus meines Herzens Grunde“ (der Text stammt aus dem Jahr
1592) steht nicht in der Rubrik „Sterben und Tod“, sondern unter
„Morgenlieder“. Und man spürt die Aufbruchsstimmung, das Durchatmen, die
Dankbarkeit für die zurückliegende Nacht, die Neugier auf den neuen Tag mit
seinen Herausforderungen. Aber dann, in der dritten Strophe, die Angst, die
Bitte, dass ich bewahrt bleiben möge vor dem „bösen, schnellen Tod“.
Noch deutlicher wird die
Aufforderung, die Fragen von Sterben und Tod an sich heranzulassen, in dem
Lied: „Wer weiß, wie nahe mir mein Ende ...“
Wer weiß, wie nahe mir mein Ende!
Hin geht die Zeit, her kommt der Tod;
ach wie geschwinde und behände
kann kommen meine Todesnot.
Mein Gott, mein Gott,
ich bitt durch Christi Blut:
Machs nur mit meinem Ende gut.
Es kann vor Nacht leicht anders werden,
als es am frühen Morgen war;
solang ich leb auf dieser Erden,
leb ich in steter Todsgefahr ...
Lass mich beizeit mein Haus bestellen,
dass ich bereit sei für und für ...
(Worte 1686 – Evangelisches Gesangbuch Nr.530)
Der Tod gehört zum Leben. Und
dennoch haben Menschen zu allen Zeiten versucht, diesen schmerzlichen Aspekt
ihrer Wirklichkeit zu verdrängen. Gebete und Lieder versuchten zu mahnen,
jeden Tag in diesem Bewusstsein zu beginnen, in jedem Lebensalter sich auf
das Ende einzustellen, Vorsorge zu treffen. Diese Weisheit begegnet auch in
einem Psalm-Vers, der mehr als 2000 Jahre alt ist.
„Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen,
damit wir klug werden.“ (Die Bibel, Psalm 90,12)
Ich lese ihn als Aufforderung, mich schon jetzt mit meiner Endlichkeit konfrontieren zu lassen, damit ich mein ganzes Leben mit Blick auf den Tod bewusster und verantwortlicher führe.
Immer wieder begegnet uns die
uralte Sehnsucht des Menschen, es möge ein gutes Sterben sein, der Tod möge uns
nicht unvorbereitet begegnen. In zurückliegenden Jahrhunderten gab es nicht
nur ausführliche Anweisungen, um die „Kunst des Lebens“ zu erlernen. In Regel,
Riten und Ratschlägen wurden Menschen ermahnt und ermutigt, sich das ganze
Leben hindurch immer wieder auch mit ihrem Tod zu beschäftigen, um ihnen die
Angst vor Sterben und Tod zu nehmen. Wir sehen hier ein Bild aus einem
Totentanz (Hans Holbein d.J.), das in solchen Übungen eine Rolle gespielt
haben mag. Ein Händler ist unterwegs, wichtige Geschäfte müssen erledigt werden,
seine Zukunft ist voller Pläne ... Und plötzlich, völlig unerwartet und gar
nicht willkommen, greift der Tod zu, unbarmherzig, mitten im Leben! Menschen
erlebten in vergangenen Jahrhunderten Tod und Sterben ganz anders als wir. Noch
vor 300 Jahren erreichte nicht einmal die Hälfte der Geborenen das Erwachsenenalter.
Die Geißeltrias „Pest, Hunger und Krieg“ raffte viele Menschen schon in jungen
Jahren dahin. Der Tod kam plötzlich, und viele waren in ihrem schnellen Sterben
auf sich allein gestellt, starben ohne Begleitung durch andere Menschen.
Unsere durchschnittliche Lebenserwartung ist heute mehr als doppelt so lang
wie die unserer Vorfahren. Die meisten von uns leben aber nicht nur länger –
auch das Sterben dauert oft länger. An die Stelle des plötzlichen und schnellen
Sterbens sind in vielen Fällen chronische Krankheiten getreten. Sterben wird
oft als quälender, zermürbender Prozess erlebt, wir sterben in Raten – und müssen
und können uns somit auf das näherkommende Ende unseres Lebens einstellen und
vorbereiten.
Sterben gehört zum Leben. Wir
können und wir sollten den Tod nicht verdrängen. Vieles in meinem weiteren
Leben ist noch gestaltbar, nur eines ist ganz gewiss: dass ich eines Tages
sterben werde. Vielleicht erlebe ich noch vorher, dass andere Menschen, die
mir nahe sind, vor mir diese Welt verlassen müssen.
Wir alle werden den Tod treffen,
und damit ist dieses Thema keine Angelegenheit für Experten – es geht uns alle
an!
Heute
werden die Themen Sterben und Tod im Alltag weithin gemieden, tabuisiert, verdrängt.
In unserer Gesellschaft sind andere Leitwerte bestimmend. Die Bilder der
Werbewelt beschwören Jugendlichkeit, körperliche und geistige Fitness,
Vitalität bis ins hohe Alter, gutes Aussehen oder Gesundheit. Krankheit,
Behinderungen, Schwäche – das alles wird in dieser Weltsicht ausgeblendet.
Dazu kommt noch die Autonomie des modernen Menschen: Ich nehme (in allen Phasen
meines Lebens) mein Schicksal selbst in die Hand! - Hinfälligkeit im Alter,
Hilflosigkeit, das Angewiesen-Sein auf andere passen da nicht dazu.
„Ich möchte nicht sagen,
dass ich mich vor dem Tod fürchte.
Ich möchte nur nicht da sein,
wenn er zu mir kommt.“
(Woody Allen, Regisseur)
Der Tod
anderer wird von immer mehr Menschen nicht mehr unmittelbar erlebt. Waren es
1910 nur etwa 10 Prozent aller Menschen, die außerhalb ihrer häuslichen Umgebung
in Krankenhäusern oder Heimen starben, verbringen heute mehr als die Hälfte
(in Städten mehr als 80 Prozent) ihre letzten Stunden in Krankenhäusern und
Pflegeeinrichtungen. Der Tod wird zunehmend zu einer Funktion des modernen
Medizinbetriebs. Der Tod und die sterbenden Menschen werden dorthin
„weg-delegiert“. Für viele Angehörige geschieht das in der Hoffnung: Die Fachkräfte
dort können das besser ...
2. Wer ist der Mensch - im Leben und im Sterben?
Überlegungen aus theologischer Sicht
Ob für einen schwerstkranken
Menschen weitere therapeutische Maßnahmen sinnvoll sind oder sich eher ein Verzicht
auf sie nahelegt, ist nicht allein eine Frage medizinischer Überlegungen,
sondern entscheidet sich auch auf dem Hintergrund von Menschenbildern. Wie
lange eine Behandlung fortgeführt wird und wann es angezeigt ist, auf den Tod
zu warten, wird deshalb in erheblichem Maße vom Verständnis des Menschseins
bestimmt. Das gleiche gilt vom Status der Patientenselbstbestimmung, dem Maß
der Schmerzbekämpfung und seiner Nebenfolgen, der Rolle der Sterbebegleitung
usw. Im Umgang mit all diesen Themen geht es immer wieder um die Grundfrage:
Wer ist der Mensch? Im Folgenden soll dieser Frage aus der Perspektive des
christlichen Glaubens nachgegangen werden.
Die Schöpfungserzählung aus dem 2.
Kapitel des Buches Genesis in der Bibel beschreibt in eindrücklichen Sprachbildern,
wie Gott den Menschen aus dem Ackerboden formte, aufrichtete und ihm den Odem
des Lebens einhauchte. „Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen“ (Gen.
2,7). Dem Menschen wird ein Garten als natürlicher Lebensraum gegeben
und zugleich zur verantwortungsvollen Nutzung aufgegeben. Gott stellt
fest, dass es „nicht gut ist, dass der Mensch allein bleibt“ (Gen. 2,18). Er
befreit den Menschen aus der Einsamkeit seines Ich und öffnet ihn für eine
Beziehung zum Du.
In dieser alten Geschichte kommt
in kraftvoller Sprache zum Ausdruck, dass der Mensch ein beziehungsreiches und
gestaltungsbegabtes Wesen ist. Genauer: Der Mensch lebt sein Leben aus der Beziehung zu Gott und zugleich in der Beziehung zu seinen Mitmenschen,
zu seiner natürlichen Umwelt und zu sich selbst.
Die Qualität dieser Beziehungen
ist verschieden: In der Beziehung zu Gott bleibt trotz der menschlichen Antwortfähigkeit
und Verantwortungsbereitschaft die grundsätzliche Differenz zwischen Schöpfer
und Geschöpf. Gott hat den Menschen geschaffen, d.h. der Mensch verfügt nicht
selbst über sein Leben, sondern verdankt es dem lebensschaffenden Geist Gottes. Das geschöpfliche Dasein des
Menschen ist im tiefsten Grunde von Passivität geprägt.
Von qualitativ anderer Art sind
die übrigen Relationen, die den menschlichen Beziehungsreichtum ausmachen.
Das Verhältnis zu seinen Mitmenschen ist von grundsätzlicher Gleichrangigkeit
und Gleichberechtigung geprägt. In der Beziehung zu seiner natürlichen Umwelt
wird der Mensch daran erinnert, dass sein gestaltender Eingriff in die Natur
kein Angriff auf sie wird: Er darf den Garten des Lebens bebauen, er soll ihn
aber auch als lebenswerten Lebensraum bewahren.
Aktivität und Passivität,
Selbstbestimmung und Empfänglichkeit, Kreativität und Respekt, Gestaltung
und Verantwortung kennzeichnen das Menschsein in seiner sozialen und
natürlichen Umwelt. Das Maß von Aktivität und Passivität ist keineswegs
festgelegt, sondern steht der Gestaltung offen. Abhängigkeiten können aufgehoben
und Fremdbestimmungen zurückgedrängt werden. Niemals aber ist der Mensch nur
aktiv. Immer auch empfängt er, erfährt Zuwendung und Mitmenschlichkeit. Die
menschliche Grunderfahrung enthält deshalb stets die Erfahrung von Aktivität und Passivität.
Zur Geschöpflichkeit des Menschen
gehört auch seine Endlichkeit. Einer
ihrer Aspekte ist die Anfälligkeit für Krankheiten. Obwohl Krankheiten durch
sehr verschiedene Faktoren entstanden oder begünstigt sein können, werden sie
vom Menschen als ein Widerfahrnis eingeschränkter Handlungsmöglichkeiten oder
reduzierter Empfänglichkeit erlebt. Krankheit gehört insofern in den Bereich
der passiven anthropologischen Erfahrungen. Sie ist eine „Störung ..., die das
empfangende und tätige Leben des Menschen beeinträchtigt“ (Wilfried Härle,
Menschsein – in Gesundheit und Krankheit, Arbeitsheft Woche für das Leben,
2003, 12). Allerdings ist der Mensch der Krankheit nicht ausgeliefert,
sondern besitzt die Fähigkeit, sich mit ihr aktiv auseinanderzusetzen.
Neben
subjektiven Möglichkeiten der Auseinandersetzung ist dies der Ausgangspunkt
für die Medizin. Sie ist die professionelle Auflehnung gegen das passive
Erleiden der Krankheit, indem sie dem Menschen bereits verlorene Selbstbestimmungsmöglichkeiten
zurückgibt. Ihre Anstrengungen sind berechtigt, weil es zum Menschsein hinzugehört,
Bedingungen eingeschränkter Selbstbestimmung selbstbestimmt zu verwandeln und
insofern ganz oder teilweise wieder aufzuheben.
Zur Endlichkeit des Menschen
gehört darüber hinaus auch seine Sterblichkeit.
Der Mensch lebt sein Leben in Mühe und Schweiß, wie es am Ende der Sündenfallgeschichte
heißt, „bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist
Erde und sollst zu Erde werden“ (Gen. 3,19). Die Sterblichkeit des Menschen gehört – ähnlich wie sein Geborenwerden
– in einen sehr grundsätzlichen Bereich der anthropologischen Passivität. Wir
werden gezeugt und geboren. Uns widerfährt der Tod.
Dass es sich beim Tod um ein
Widerfahrnis handelt, drückt sich auch in unserer Sprache aus. Die klassische
Bestattungsformel spricht davon, dass Gott einen Menschen „aus diesem Leben
abberufen“ habe. In Todesanzeigen ist davon die Rede, dass „ein gewaltsamer
Tod“ jemanden zu früh seinen Angehörigen „entrissen“ habe.
Wenn sich der Mensch theologisch
als ein Beziehungswesen beschreiben lässt, so sind Sterben und Tod davon gekennzeichnet,
dass Beziehungen allmählich zurückgehen und zum Erliegen kommen. Der Tod ist „das definitive Ende aller aktiven Möglichkeiten“ des Menschen. Er
„ist der Eintritt und die zeitlich unbegrenzte
Dauer des Zustandes reiner Passivität“. Das Sterben des Menschen ist das Erleiden seiner allmählich und
unwiderruflich zurückgehenden Selbstbestimmungsfähigkeit. Es ist der „Prozess,
in dem ein Mensch alle seine aktiven Möglichkeiten loslässt oder sie ihm entrissen
werden“ (Wilfried Härle, Dogmatik, Berlin, 1995, 633). Der christliche
Glaube ist dabei von der Hoffnung getragen, dass die Beziehung Gottes zu dem
jeweiligen Menschen auch durch das Sterben und den Tod hindurch bestehen
bleibt. Der dreieinige Gott ist dem Sterbenden nahe, auch wenn diesem alle
übrigen Beziehungsformen entrissen werden. Gott, der in Jesus Christus selbst
das Sterben am Kreuz auf sich genommen hat, geht den Weg des menschlichen
Sterbens mit. In seinem Mit-Leiden liegt Trost. Der Sterbende kann darauf
vertrauen, daß ihn auch der Tod nicht von Gott trennen kann.
Dass Menschen den Tod erleiden
müssen, hebt ihre Aktivität nicht völlig auf. Denn der Zeitpunkt des Todes
steht ja keineswegs fest. Mors certa hora incerta, sagt eine alte Weisheit: Der
Tod ist gewiss – die Stunde ungewiss. Das gilt auch in Bezug auf die Möglichkeiten,
durch eigene Aktivität (z.B. Lebensweise) oder durch medizinische Intervention
den Todeszeitpunkt beeinflussen zu können. Beides gilt offenbar gleichermaßen:
Der Tod widerfährt dem Menschen in absoluter Endgültigkeit. Mors certa. Auf der
anderen Seite gilt: Die Bedingungen, wann mich der Tod ereilt, sind keineswegs
absolut. Sie sind der menschlichen Selbstbestimmung mit zugänglich: der
Todeszeitpunkt und die Gründe des Sterbens lassen sich (begrenzt) beeinflussen.
Hora incerta.
So, wie im Verhältnis zu allen
übrigen Wirklichkeitsbereichen, geht es auch im Verhältnis des Menschen zu den
Grenzen seiner leiblich-geistigen Existenz darum, ein verantwortliches Maß zu
finden. Begrenzungen sind allerdings nicht absolut zu bestimmen, sondern
individuell und kontextuell sehr verschieden. Es gehört zur riskanten
Lebenssituation des Menschen hinzu, sich über diese Grenzen verständigen zu
müssen, sie ethisch reflektieren und gesellschaftspolitisch umsetzen zu
müssen. Wie lange sind therapeutische Maßnahmen sinnvoll und wann ist dem
Sterben Raum zu geben? Wie lange ist die Hoffnung auf Besserung angemessen und
wann ist es unausweichlich, das Sterben anzunehmen? Der christliche Glaube
betont die Würde des Menschen – im Leben und
im Sterben. Er ist sich gewiss, dass Gott das Leben und das Sterben
gleichermaßen umfängt. Auf dem Hintergrund des christlichen Menschenbildes gilt
es, das Maß zu finden, wie lange medizinische Interventionen angebracht sind
und wann das Widerfahrnis des Sterbens anzuerkennen ist. Das folgende Gebet
scheint auch für diese Situation zu gelten:
„Gott, gib uns die Gnade,
mit Gelassenheit Dinge hinzunehmen,
die sich nicht ändern lassen,
den Mut, Dinge zu ändern,
die geändert werden sollten,
und die Weisheit,
das eine vom anderen zu unterscheiden!“
(Reinhold Niebuhr)
3. Was geschieht, wenn ich sterbe?
Der Prozess des Sterbens aus
medizinischer
und sozialwissenschaftlicher Sicht
In Deutschland
sterben jährlich rund 850000 Menschen. Nur etwa jedem Zehnten von ihnen ist
ein sogenannter schneller Tod „vergönnt“. Man muss davon ausgehen, dass in
Deutschland viele schwerkranke Patienten ohne Aussicht auf Heilung und trotz
vorliegender Patientenverfügung – also gegen ihren Willen – mit intensivmedizinischen
Möglichkeiten am Leben gehalten werden.
(Heilberufe 4/2003, 16)
3.2. Der Prozess des Sterbens aus sozialwissenschaftlicher
Sicht
Mit Worten des 90. Psalms haben Juden und Christen
über Jahrhunderte hinweg bis heute zu Gott gebetet: „Lehre uns bedenken, dass
wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“ (Ps. 90,12). In diesen Worten
drückt sich die Bitte aus, das Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit ins
persönliche Lebenswissen eingehen zu lassen. Ein Leben im Bewusstsein
der menschlichen Endlichkeit zu führen, ist eine Lebensklugheit, die errungen
werden muss. Je näher Menschen mit ihrem eigenen Sterben oder dem Sterben
naher Angehöriger konfrontiert werden, desto mehr stellt sich das Verlangen
nach einem solchen Lebenswissen ein. Der Wunsch, in Frieden zu sterben, drückt
die Sehnsucht danach aus, den letzten Weg im Einklang mit Gott, den Mitmenschen
und sich selbst gehen und so in das eigene Sterben einwilligen zu können. Aber
wie kann ich in Frieden sterben? Die Antwort auf diese Frage kann niemand für
andere beantworten. So individuell jedes menschliche Leben geführt wird, so
individuell ist auch der Prozess des Sterbens.
Dennoch haben die Menschen immer wieder danach
gefragt, ob es für den Prozess des Sterbens bestimmte typische Merkmale gibt. Im späten Mittelalter sind Erbauungsbücher
erschienen, die Sterbende und Sterbebegleiter in die „Kunst des Sterbens“
(lateinisch: ars moriendi) einführen wollten. In ihnen wird das Sterben als
Prozess der Auseinandersetzung mit Anfechtungen beschrieben, die den
Sterbenden herausfordern und die es im Glauben zu bestehen gilt. Zu ihnen gehören
u.a. auch der Zorn (Ungeduld) und die Verzweiflung. Die mittelalterliche
ars-moriendi-Literatur bringt damit bereits Erkenntnisse zur Geltung, auf die
in neuerer Zeit Forschungen zum Prozess des Sterbens aufmerksam gemacht haben.
So hat beispielsweise Elisabeth Kübler-Ross auf der Grundlage einer Vielzahl
von Gesprächen, die sie mit Sterbenden geführt hat, fünf typische Phasen des
Sterbens hervorgehoben (Interviews mit Sterbenden, Berlin, 1987, 40-114).
a) Nichtwahrhabenwollen und
Isolierung.
Wenn ein Mensch davon erfährt, dass er eine zum Tod führende Krankheit hat,
reagiert er darauf zunächst sehr häufig abwehrend. „Das kann doch nicht sein!“
Die Verleugnung der Krankheit ermöglicht es dem Patienten, mit dem Schock
dieser Nachricht fertig zu werden. Meist ist das Nichtwahrhabenwollen nur eine
vorübergehende Phase, die bald von einer wenigstens teilweisen Akzeptanz
abgelöst wird. Für die Begleitung Sterbender ist es wichtig, ihnen die
erforderliche Zeit zu lassen, die Gewissheit des eigenen Sterbenmüssens an
sich heranzulassen. Ihnen als Gesprächspartner zur Verfügung zu stehen, die leisen
Andeutungen wahrzunehmen und sie auf dem Weg von der Ungewissheit zur
Gewissheit behutsam zu begleiten, ist für die Sterbenden erleichternd und
hilfreich.
b) Zorn. Auf das
Nichtwahrhabenwollen folgt in der Regel eine Phase, in der Zorn, Groll und Wut
im Mittelpunkt stehen. Während die Sterbenden jetzt rational wissen, dass sie sterben müssen, können
die Emotionen mit dieser Gewissheit nicht Schritt halten. Die Gefühle brechen
vielmehr ungesteuert hervor. Aggression entlädt sich, oft ohne erkennbaren
Grund, wahllos, an Ärztinnen, Krankenschwestern, Angehörigen oder beliebigen
anderen Personen. Wohin die Sterbenden auch blicken, überall sehen sie
Menschen, die weiterleben können. „Warum denn gerade ich?“ bricht es deshalb
aus ihnen heraus. Die Möglichkeit, der eigenen Wut Luft machen zu können, ist
für die Sterbenden wichtig, damit sich die Aggression nicht nach innen, gegen
sie selbst richtet.
c) Verhandeln. Als dritte, meist
flüchtige Phase beschreibt Elisabeth Kübler-Ross den Versuch, den unvermeidlichen
Tod durch eine Art Handel hinauszuschieben. In ganz unterschiedlicher Weise
versuchen Sterbende vielfach, der eigenen Lebensspanne noch einige Zeit
hinzuzufügen. Oft wollen sie noch einen bestimmten Zeitpunkt erleben: ein
wichtiges Familienereignis o.ä. Im medizinischen Bereich wird oft nach neuen
Therapiewegen gesucht, werden Spezialisten aufgesucht und alternative Medikamente
ins Spiel gebracht. Manche Sterbende versuchen aber auch mit Gott zu
verhandeln, wollen ihr Leben Gott widmen oder ihren Besitz einem guten Zweck zukommen
lassen. So sehr die Gefahr besteht, sich in dieser Phase finanziell zu
verausgaben oder die Auseinandersetzung mit dem Sterben weiter hinauszuzögern:
Die Aktivität des Verhandelns ist ein wichtiger Zwischenschritt, bevor den
Betroffenen die Unvermeidlichkeit des Sterbens so bewusst wird, dass sie von
Verzweiflung ergriffen werden.
d) Depression. Wenn die Todesgewissheit
den Sterbenden in ihrer ganzen Unvermeidlichkeit zu Bewusstsein kommt und
zugleich die Kräfte zum Widerstand allmählich erschöpft sind, tritt meist
eine Phase der Depression ein. Die Sterbenden erkennen jetzt in aller Deutlichkeit,
was sie bereits verloren haben. Und ihnen tritt vor Augen, was ihnen mit dem
Sterben noch alles entrissen wird. Der Schmerz dieses endgültigen Abschieds
bringt Trauer und Tränen, Resignation und stille Verzweiflung mit sich. Sterbende
brauchen in dieser Phase Begleiter, die über die Traurigkeit nicht hinweggehen
sondern sie aushalten. Sie brauchen Menschen, die einfach nur da sind und
zuhören können.
e) Zustimmung. Wenn der sterbende Mensch
die eigene Kraft und die nötige Begleitung hatte, um die vorherigen Phasen zu
bestehen, kann er schließlich dazu kommen, sein eigenes Sterben anzunehmen.
Vielfach sind die betroffenen Menschen bereits sehr schwach und haben das
Bedürfnis, oft und in kurzen Abständen zu schlafen. Ihr Kampf gegen das
Sterben ist vorüber. Es ist die Zeit der „letzten Ruhe vor der langen Reise“.
Die Sterbenden haben ein gewisses Einverständnis mit ihrer Situation erreicht.
Ihre Interessen engen sich immer mehr ein. Oft möchten sie in Ruhe gelassen
werden. Die Kommunikation erfolgt in dieser Phase vielfach wortlos. Schweigend
bei ihnen zu sein, ihnen zu verstehen zu geben, dass sie nicht reden müssen,
Gesten, Blicke und die Art körperlicher Berührung, die die Betreffenden wollen
– das ist die wichtigste Begleitung der Sterbenden, bevor sie die Augen für
immer schließen.
Die von Elisabeth Kübler-Ross beschriebenen
Sterbephasen dürfen nicht starr interpretiert werden. Das Sterben jedes
Menschen ist anders. Phasen können gleichzeitig oder in anderer Reihenfolge
ablaufen. Aspekte können sich wiederholen oder überhaupt nicht beobachtet
werden. Vor allem: Es ist nicht gesagt, dass jede Person alle Phasen durchläuft.
In den letzten Jahren ist sogar die Beschreibung des
Sterbeverlaufs in Phasen kritisch
hinterfragt worden. Nach Untersuchungen des Heidelberger Gerontologen Andreas
Kruse (Kruse, A.; Schmitz-Scherzer, R.: Sterben und Sterbebegleitung, in:
Psychologie der Lebensalter, Darmstadt, 1995, 289-299) verändert sich die Art und Weise, wie sich Menschen mit
ihrem Sterben auseinandersetzen, weit weniger als dies Elisabeth Kübler-Ross
herausgearbeitet hat. Auf der Grundlange von Interviews mit fünfzig
Krebspatienten im Endstadium ihrer Erkrankung beschreibt Kruse fünf Formen der Auseinandersetzung mit
dem eigenen Tod. Eine erste Gruppe von Menschen akzeptierte das eigene
Sterben und suchte gleichzeitig nach Möglichkeiten, die das Leben noch bot.
Eine zweite Gruppe empfand in zunehmenden Maße Resignation und
Verbitterung. Sie sahen das eigene Leben nur noch als Last. In einer dritten Auseinandersetzungsform wurden die
Todesängste durch die Erfahrung eines neuen Lebenssinns und die Überzeugung,
noch wichtige Aufgaben wahrnehmen zu können, gelindert. Für eine vierte Personengruppe stand das Bemühen
im Vordergrund, die Bedrohung der eigenen Existenz nicht in das Zentrum des
Erlebens treten zu lassen. Eine fünfte Gruppe
durchschritt Phasen tiefer Depression bis zur Hinnahme des Todes.
Zu welcher Auseinandersetzungsform ein Mensch neigt,
hängt nach Kruse sowohl von biographischen als auch von sozialen,
strukturellen und medizinischen Faktoren ab. Menschen mit einem positiven
Lebensrückblick, so arbeitete er heraus, tendierten eher zur Annahme oder der
Suche nach neuen Aufgaben. Personen wiederum, die an starken chronischen
Schmerzen litten, reagierten eher mit Resignation und Verbitterung.
Für die Begleitung sterbender Menschen ist es
wichtig, die verschiedenen Faktoren gleichermaßen im Blick zu haben: die
persönliche Lebensrückschau und Sinnorientierung ebenso wie die sozialen
Beziehungen, die strukturellen Bedingungen und eine effektive
Schmerzkontrolle.
4. Ich kann nicht
leben - ich will nicht sterben -
Der Weg des
Sterbens aus seelsorgerlicher Sicht
In das
Erleben des Sterbeprozesses wird hinein genommen, wer schwerkranken Menschen begegnet
oder sie begleitet. Dabei werden wir Anteil bekommen an den Schmerzen, Ängsten
und Tränen, an Verzweiflung und Wut, und wir werden die Hoffnung wahrnehmen und
den Wunsch, leben zu wollen. Der Wunsch, mehr wohl noch der Wille zu leben, ist
groß, auch auf dem schweren Weg einer unheilbaren Krankheit.
Ich trete
in ein Zweibettzimmer. Nach der Begrüßung sagt die Patientin fast unvermittelt:
„Und doch ist das Leben schön!“ Sie
zögert einen Moment, erschrickt ein wenig über die Wahrheit ihrer Worte und
fährt fort: „Darf ich überhaupt meinem Gefühl der Lebensfreude so Raum geben?“
Sie meint es angesichts der Weltlage und wahrscheinlich auch angesichts des
eigenen Ergehens. Ich schaue sie ermutigend an: „Danke, dass sie das sagen. Das
tut gut, uns gegenseitig daran zu erinnern.“ Diese Patientin, von einer
unheilbaren Tumorerkrankung betroffen, geht durch eine Chemotherapie und sagt
sehr klar: „Nein, ich will nicht sterben, jetzt nicht. Ich möchte noch leben.“
Das berührt tief, immer wieder. Wo
wir das erfahren, zeigt es die Lebenszugewandtheit gerade Schwerkranker, ob im
Alter nach einem fast gelebten Leben oder bei einem jungen Menschen, der schon
auf dem Weg des Sterbens ist. Dabei wird Leben begriffen als das kostbarste
Gut, als Geschenk, für gläubige Menschen als Gabe Gottes. Berührend ist, Anteil
zu haben an der starken Sehnsucht, der persönlichen Hoffnung und dem
Lebensverlangen. Das gibt den Menschen auch die Kraft, diesen Weg des schweren
Abschieds vom Leben zu gehen. In unserem Gesangbuch lese ich den Satz: „Dass es
nach menschlichem Ermessen ans Sterben geht, ist nicht eine `Wahrheit´, die
dem Sterbenden zu sagen oder zu verschweigen ist, sondern ein Weg des Erkennens
und Annehmens, auf dem wir dem Sterbenden im Gespräch beistehen, ohne die
Hoffnung zu nehmen.“ (Evangelisches Gesangbuch, Ausgabe Sachsen, Nr. 941).
Was kann hilfreich sein auf dem Weg, den wir
Menschen in unserer letzten Lebensphase bis zum Tod zurücklegen werden?
Vieles hat sich durch die
medizinischen Möglichkeiten, das Leben länger zu erhalten, verändert. Der
Prozess des Sterbens ist im allgemeinen länger geworden. So ist Sterbebeistand
notwendiger als je zuvor.
Das Erleben und Erleiden des
Krankheitsprozesses ist so verschieden, so unterschiedlich wir Menschen sind.
Und doch sind gemeinsame Erfahrungen erkennbar, und es lassen sich – wie im
vorstehenden Kapitel 3.2. ausgeführt - deutlich verschiedene Phasen
unterscheiden. Sie sind nicht „schematisch benutzbar“. Man sollte sie kennen
und im Hinterkopf haben, muss wissen, dass es möglich ist, dass Phasen
übersprungen werden, sich wiederholen, sich überschneiden oder nie durchlebt
werden können.
Im Folgenden wird es darum gehen,
am Beispiel einzelner Krankengeschichten etwas von diesen Erfahrungen in den
Blick zu bekommen, um zu begreifen, was wir meinen, wenn wir vom schweren Weg
des Abschieds sprechen. Etwas muss ich davon tatsächlich innerlich begriffen
haben, wenn ich Menschen auf ihrem Weg des Sterbens verstehen und ihnen
beistehen will.
Ich werde behutsam erkennen, wo
der Patient steht, begreifen, warum er es so erlebt, warum er so spricht, warum
er das tut und anderes nicht, warum er so aggressiv ist, warum er der Wahrheit
ausweicht, ausweichen muss, warum seine Trauer so ist, wie sie ist, oder warum
der Kranke angesichts des Todes so `irreal´ von Hoffnung spricht. Was heißt das,
dem Kranken in der jeweiligen Situation beizustehen, wenn er Anteil gibt an
seinem Nichtwahrhabenwollen, an seinem unbändigen Zorn `auf Gott und die
Welt´, Anteil zu nehmen an seiner Trauer, die oftmals so unerträglich
abgründig und so unheimlich lang sein kann, und wenn er trotz allem an seiner
Hoffnung festhält, weil er sie noch braucht? Das bringt auch uns, wenn wir
Sterbende begleiten, an schmerzliche Grenzen. Wo liegt dann die Wahrheit des
Satzes aus dem Gesangbuch: „Dass es nach menschlichem Ermessen ans Sterben
geht, ist nicht eine `Wahrheit´, die dem Sterbenden zu sagen oder zu
verschweigen ist, sondern ein Weg des Erkennens und Annehmens, auf dem wir dem
Sterbenden im Gespräch beistehen, ohne die Hoffnung zu nehmen.“?
Wenn der Arzt die Diagnose kennt,
wenn er weiß, dass die Krankheit einen tödlichen Verlauf nehmen kann, wird er
dem Patienten davon sagen und der Patient wird die Wahrheit für sich finden
oder sich ihr verweigern, je auf seine Weise. Die erste Mitteilung und
„Wahrnehmung“ ist immer ein Schock.
„Ich bin
drei Tage durch die Stadt gelaufen, als hätte ich alle Laternenmasten gestreift.“
Das ist ein Satz, der immer wiederkehrt. Eine Patientin sagt mir: „Seltsam, ich
wusste, dass etwas passieren würde, so konnte es nicht weitergehen. Doch dann
war es wie ein Schlag. Ich? Ich auch! Nach längerem Grübeln denk ich: Warum
eigentlich ich nicht, wenn jede zehnte Frau davon betroffen ist. Nein, nicht
ich, ich nicht. Das kann nicht sein!“
Dann heißt es für den Patienten,
mit der Situation umzugehen. Eine Möglichkeit zeigt die folgende Äußerung:
„Ich werde die Krankheit besiegen! Sie wird mich nicht werfen, mich nicht!“ Da
ist noch die Hoffnung lebendig, dass die Krankheit mit einer gezielten Therapie
zu besiegen und eine Genesung möglich ist. Und es ist unendlich schmerzhaft ,
wenn klar wird: es gibt keine grundlegenden Heilungschancen mehr, sondern es
ist nur noch möglich, die Symptome und Beschwerden zu behandeln. Auf die
ängstliche Frage der Patientin: „Heißt das, dass ich nie mehr ohne Chemotherapie
leben kann?“ kommt die unausweichliche Antwort des Arztes: „So ist es!“ Darauf
der Satz, den ich nicht vergesse: „Das kann nicht wahr sein! Das ist kein Leben
für mich.“ Da ist die Wahrheit, und die Patientin kann sie so (noch) nicht
wahrhaben. Die Wahrheit wird schmerzhaft bewusst. Manchmal leuchtet sie kurz
auf und wird wieder weggeschoben. Wieviel Wahrheit verträgt der Patient,
wieviel Geduld ist notwendig? Wichtig ist, dass der Patient selbst den Weg
findet und für sich entscheidet. Manchmal ist die Leugnung notwendig, weil es
noch nicht möglich ist, in den tödlichen Verlauf der Krankheit einzuwilligen.
Wenn auch klar ist, dass Leugnung Flucht vor der Wirklichkeit bedeutet – sie
kann ein notwendiger Selbstschutz sein.
Was heißt es, dem Sterbenden darin
beizustehen? Auch das ist die Wahrheit, dass Patienten in bestimmten Momenten
sich sehr wohl ihrer irrealen Leugnung bewusst und dankbar sind, wenn sie auch
darin nicht allein gelassen werden und einen Begleiter haben, den sie
manchmal sogar im Arzt finden. Auch er braucht Zeit, um mit der Krankheit
umzugehen, selbst die verhängnisvolle Situation emotional zu verarbeiten. Die
Therapie ermöglicht dem Patienten das Weitergehen, schenkt ihm Zeit und immer
wieder auch Hoffnung. Auch dem Arzt ermöglicht die Therapie Zeitgewinn und den
Versuch der Hilfeleistung. Dafür steht der Satz: „Wenn ich selbst nicht immer
wieder auch an ein Wunder glauben würde, könnte ich hier nicht arbeiten.“ Dabei
kommt es oft zu einer engen Beziehung zwischen Arzt und Patient. Eine
Patientin äußert das so: „Solange sie einen Schlachtplan hatten, hatte ich
immer Hoffnung. Die Diagnose habe ich eigentlich nie richtig gehört. Während
der Therapie nicht, erst danach.“
Der Patient ist in dieser Phase
mit der Chance auf Heilung beschäftigt und klammert sich daran. Er schiebt
dabei vielleicht auch die Wirklichkeit und die Wahrheit von sich und damit auch
das Wissen um die Unheilbarkeit der Krankheit. Es ist schwer, den Gedanken
der Sterblichkeit für sich anzunehmen. Nichtwahrhabenwollen begleitet manchmal
Patienten bis an das Ende (ist also tatsächlich nicht nur eine Phase des
Durchgangs).
Mein Gesprächspartner sagt: „Ich packe das! Die Therapie schlägt an.
Wenn die Metastasen in der Halswirbelsäule zurückgegangen sind, werden sie
genauso in den anderen Bereichen zurückgehen.
Da bin ich sicher. Das gelingt. Das schaffen wir“ - er schaut seine Frau an und
wiederholt: „Das schaffen wir. Es wird Abstürze geben und Hänger. Aber wir
schaffen das! Verstanden! Alles andere ist kein Thema.“
Berührend ist dieser Lebenswille,
mit fast unheimlicher Kraft vorgetragen, und das mit einem von der Krankheit
und der Therapie sichtbar gezeichneten und geschwächten Körper. Zu spüren ist
der kämpferische Wille (darin auch Aggressivität und Zorn) und natürlich die
Angst, es könnte auch anders kommen. Die klare Botschaft ist: Darüber will ich
kein Gespräch! Das ist für Angehörige nicht leicht zu verstehen und auch für
alle anderen, die den Kranken begleiten.
Fünf Monate hat der Patient in der
Krankheit so gehofft und gekämpft: „Was mit mir ist, verstehe ich alles nicht
mehr. Aber eins weiß ich, ich bin von Gott gehalten.“ Das war am Ende einer Phase angestrengter Trauer, die
wir auch Depression nennen, manchmal ging es wie durch dicke Nebel der
Verzweiflung. Und doch hat er immer wieder den eigenen Willen aktiviert. Noch
in den letzten Stunden des Bewusstseins, als das Sprechen so gut wie nicht mehr
möglich war, formte er bei einem Besuch die Hand zum Zeichen seines Willens,
als wolle er sagen: “Was an mir liegt, will ich tun. Alles andere liegt bei
Gott.“ So war seine Haltung zum Leben, und das hat sein Sterben wesentlich
geprägt.
Die Ehefrau sagte nach dem
Sterben: „Wir haben uns jetzt im Nachhinein noch einmal gefragt, ob es richtig
war, diesen Weg so zu gehen mit all dem, was war. Ich sage und auch mein Sohn
und die Tochter sagen: „Doch, es war gut so, wie es war.“ So sagt es auch der
behandelnde Arzt.
Darin zeigt sich, dass die letzte
Wegstrecke vor dem Tod es wert ist, gelebt zu werden, und dass dieser Weg
gemeinsam vom Patienten und seinen Angehörigen zu gehen ist, und dass Ärzte
diesen Weg therapeutisch ermöglichen und begleiten.
Das
Nichtwahrhabenwollen, dass die Krankheit tödlich sein wird, schiebt sich
manchmal wie ein Puffer zwischen den Kranken und sein Entsetzen über die
Diagnose. Die tödliche Krankheit vor sich selbst zu leugnen, ist notwendig
nicht nur am Anfang, sondern auch im weiteren Verlauf immer wieder einmal. Bei
Elisabeth Kübler-Ross lese ich den erhellenden Satz: „Jemand hat gesagt: Wir
können nicht lange in die Sonne blicken, und wir können dem Tod nicht immer
ins Auge sehen. Auch der Kranke, der sein Ende als Möglichkeit erkannt hat,
muss diese Einsicht ab und an leugnen, um das Leben überhaupt fortsetzen zu
können.“
Manchmal zeigt
sich das so, dass auch sterbenskranke Patienten, die sich mit ihrem Schicksal
abgefunden haben und ihren Krankheitsverlauf realistisch wahrnehmen, immer noch
mit der Möglichkeit einer besonderen Heilung umgehen, die Entdeckung eines
neuen Medikaments oder eine neue durchschlagende Therapie erhoffen.
Ich erinnere mich an einen Patienten, der unvergesslich eindrücklich
für mich sagte: „Verstehen Sie, ich bin Wissenschaftler. Und ich glaube, die
Wissenschaft ist schneller als mein Krebs. Sie wird eine Lösung finden. Davon
bin ich überzeugt. Ich habe im Fernsehen gesehen: In Amerika hat man gerade
neue Erkenntnisse in der Behandlung bestimmter Leukämie-Arten gefunden. Es
beginnt eine Versuchsserie. Da habe ich Hoffnung für mich.“
Fünf Tage
später verstarb der Patient. Ich erinnere mich daran mit tiefem Respekt. Sein
Glaube an die Wissenschaft hat ihm auf seinem schweren Weg des Abschieds
geholfen. Hier wird deutlich, dass die Haltung zum Leben das Sterben
wesentlich prägt. Jedes Sterben ist einmalig und individuell.
„Warum trifft
es mich? - Warum lässt Gott mich leiden?“
Die Phase des Zorns, der
Auflehnung, ist für den Kranken und die Angehörigen eine schwere und
wesentliche Phase. Sie folgt dem Nichtwahrhabenwollen und kann von hoher
Aggressivität bestimmt sein. Sie ist verbunden mit der Frage: „Warum gerade
ich? Warum werde ich so bestraft? Ich habe immer anständig gelebt. Sagen Sie
selbst, es gibt so viele boshafte Menschen. Warum geht es denen so gut ? Warum
trifft es nicht die! Warum lässt Gott gerade mich so leiden?“ Diese Fragen und
ihre Wucht sind manchmal schwer auszuhalten. In dieser Situation muss ich als
Seelsorger Gott und die Welt nicht verteidigen, auch wenn mir vielleicht
danach zu Mute wäre. Jetzt kommt es darauf an, die existenzielle Not, die hier
zum Ausdruck kommt, zuzulassen, auszuhalten. Hier ist es wichtig, den Kranken
mit seinem Leiden nicht allein zu lassen, sondern gerade in der Zuwendung
deutlich zu machen, dass er uns viel wert ist. Es ist gut zu wissen, dass diese
Phase sein muss. Sie ist notwendig. Es gehört gerade auch zur Würde des kranken
Menschen, dass er nicht immer nur lieb, freundlich und friedlich ist.
Ich besuche an einem Freitag Vormittag eine 58-jährige Patientin. Sie
leidet an einer schweren Krebserkrankung. Ihre gestaute Wut sehe ich ihr an.
Als ich sie darauf anspreche, bricht es wie ein Wasserfall aus ihr heraus: „Ich
will leben, verstehen Sie. Ich will nicht sterben. Meine Tochter braucht mich
noch und meine Enkel. Warum kann mir denn hier keiner helfen? Die sind doch
alle mit ihrem Latein am Ende. Die eiern doch nur herum. Keiner sagt was
Richtiges zu mir. Ich bin doch nur noch eine Nummer ...“
Diese Phase ist
auch schwer für das Personal und die Ärzte. Die Auflehnung richtet sich gegen
das Unabwendbare der Situation, gegen diese teuflische Krankheit und den Tod.
Der Patient agiert seine Wut an Ersatzobjekten aus. In solchen Gesprächen muss
man viel einstecken können und zum Zu-Hören bereit sein. Die tiefe Sehnsucht
des kranken Menschen ist, wenn er die „Sinnfrage“ stellt: Ist da jemand, der
meine Einsamkeit und meine Verzweiflung wahrnimmt, der mich akzeptiert und
der mich mag?
Vielleicht ist
es in solchen Gesprächen wichtig, dass es uns gelingt, davon etwas erfahrbar
werden zu lassen. Damals habe ich am Schluss des Gespräches die Patientin
gefragt, ob ich einmal mit der Ärztin sprechen solle, auf die sie solchen Zorn
habe. Das war ganz überraschend für sie. Sie fühlte sich ernst genommen in
ihrer Verletzung und Einsamkeit. Danach hat die Ärztin mit ihr gesprochen in
Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit. Von diesem Tag an fühlte sich die Patientin
auf dieser Station geborgen und hatte die Phase des Zorns für sich bewältigt.
„Ich will alles
tun, dann wird mir Hilfe.“
Wenn es in den
vorher durchlebten Phasen so schwer fällt, die Tatsachen der Erkrankung anzuerkennen,
und wenn wir es eben nicht wahrhaben wollen und mit Gott und der Welt hadern,
versuchen wir das Unvermeidliche vielleicht durch eine Art Handel
hinauszuschieben. Elisabeth Kübler-Ross vergleicht das mit dem Verhalten eines
Kindes, das bei Verweigerung von etwas, worum es bittet, erst aufsässig wird,
danach aber durch Liebsein und Versprechen das Erwünschte doch noch zu
erhalten versucht. Der kranke Patient
hat eine vergleichbare „Taktik“, will für sein Wohlverhalten belohnt werden.
So formuliert klingt es fast anstößig simpel, ist aber ein tiefer Vorgang, der
bis in religiöse Dimensionen hinein reicht: Ich werde Gott wieder vertrauen,
dann wird er (muss er) mir helfen.
„Der liebe Gott
ruft mich“
Auf dem Weg des
Sterbens muss der Patient akzeptieren lernen, dass sein Sterben unvermeidlich
ist. Obwohl er nicht sterben will, muss er erkennen, dass es ans Sterben geht
und er nicht mehr leben kann. Was heißt es, einem Sterbenden auf diesem Weg
des Erkennens und Annehmens beistehen?
Ein 62 jähriger
Patient ist an akuter Leukämie erkrankt und ist seit fünf Monaten auf einer
Krebs-Station in Behandlung. Ich besuche ihn nach einer Woche, in der ich
nicht in der Klinik war. Nach der Begrüßung sage ich:
S.: Darf ich Sie
fragen, wie es ihnen geht ?
A.: Wenn
Sie´s wissen wollen, nehmen Sie sich
einen Stuhl.
(Ich nehme mir einen Stuhl und setze mich
zu dem Patienten an das Bett)
Es geht mir nicht gut, ich bin ganz
kraftlos, habe einen scheußlichen Husten.
Ich denke, der liebe Gott ruft nach mir.
S.: Sie haben das
Gefühl, es geht zum Sterben.
A.: Ja, und ich
wüsste gern, worauf ich mich einstellen kann: Wieviel Lebenszeit habe ich noch?
S.: Wieviel Zeit
Sie noch haben, kann ich nicht sagen. Das wird der Arzt Ihnen
sagen, wenn Sie ihn fragen.
A.: Um mich
selber geht es nicht mehr. Was mir Not macht ist, wenn ich an meine Frau denke.
S.: ... dass Sie
dann allein ihr Leben leben muss.
A.: Ja, das ist
es (Tränen)
S.: Ja, das tut
so weh. Sie können nichts tun, es ist eine Grenze erreicht.
A.: Ja, mir fehlt
der Lebenswille. Ich habe kein Interesse mehr, an nichts ...
S.: Das ist, als
sei Ihr Lebensnerv getroffen.
A.: Ja, und der
Oberarzt sagt zu mir, Sie müssen erst wieder zu Kräften kommen.
S.: Und Sie
fragen sich, wozu noch?
A.: Wozu noch?
Ich hab keine Kraft mehr.
S.: In den
letzten Wochen habe ich wahrgenommen, wie Sie sich immer wieder auch
an Ihr Leben erinnert haben.
A.: Ja, das habe
ich.
S.: Da kam viel
zurück, was gut war, was anstrengend war, aber gelungen ist.
Ich habe Ihre Dankbarkeit gespürt, und
manchmal auch ihren Stolz.
A:. Ja, das
stimmt, ich bin auch stolz auf das, was ich gelebt habe ...
Der Patient kommt an eine Grenze.
Er weiß jetzt von der Aussichtslosigkeit aller Bemühungen um Heilung, dass nun
nichts mehr zu machen ist, und er spürt die Hinfälligkeit des Körpers. Im
Gespräch mit dem Stationsarzt fällt die Entscheidung: Er wünscht keine
Weiterführung der Chemotherapie und äußert die Angst vor Erstickung. Er erhält
die Zusicherung von Hilfe und Begleitung und der notwendigen Versorgung mit
Mitteln, die Schmerz und Luftnot lindern.
Der Patient akzeptiert die
Aussichtslosigkeit der Therapie, will um diesen Preis keine Lebensverlängerung
und trifft seine Entscheidung in einer für mich beeindruckenden Klarheit. Nach
zwei Tagen stirbt er.
Bis in diese letzten Tage hat er
mit einem starken Willen gehofft. Er hat sich über die medizinischen Zusammenhänge
informiert. Die Frage, die er dem Arzt bei der Visite stellte, bleibt mir
eindrücklich: „Kann aus einer akuten Leukämie auch eine chronische werden?“
„Das geht bei Ihnen nicht.“ Die Suche nach Hoffnung, das Klammern an ein
Wunder, auch die Frage nach einem möglichen Ausweg in der Selbsttötung bewegt
Patienten auf diesem Weg. Bei einem Besuch reicht er mir einen Brief von einer
Bekannten, worin sie Anteil gab an ihrer eigenen schweren Erkrankung, durch
die ihr eigenes Weiterleben in Frage gestellt war. Ich bin berührt von dem
Vertrauen und lese den an ihn gerichteten Brief: „Ich habe in dieser Zeit
versucht, nicht bei mir zu bleiben, nicht bei mir allein. Was heißt dann Vertrauen
fassen zu Gott? Das hat mir geholfen durchzustehen. Und die Nähe meines
Mannes und der erwachsenen Kinder, da ist erfahrbar: Einer trage des andern
Last. So ist es. Der Satz aus der Bergpredigt hat mich begleitet: Klopfe an,
so wird dir aufgetan.“ Als ich den Brief zurückreiche, sagt er: „Besser kann´s
keiner sagen, wie´s einem geht wie mir.“ Bei einer unserer ersten Begegnungen
hatte er mir gesagt: „Um meine Seele brauchen Sie sich nicht zu sorgen.“ So war
es. Dieser Patient ist seinen Weg in einer großen eigenen Stärke gegangen, die
er in sich trug. Er war in seinem Leben gewohnt, klare Entscheidungen zu
treffen, er hatte in leitender Position Verantwortung getragen. So ist er
auch gestorben. Die Haltung zum Leben kann das Sterben wesentlich prägen.
Auf dem schweren Weg des Abschieds
ist es gut, wenn Menschen Raum finden, ihr Leben noch einmal zu reflektieren,
auch das Fragmentarische, dass sie dies erzählen und Bilanz ziehen können.
Eine
78-jährige Frau gibt mir Anteil an ihrem
Leben und darin an ihrem Schmerz. In der Fülle des erinnerten Lebens
erfahre ich von der Geburt ihrer behinderten Enkeltochter vor 23 Jahren. Ihre
große Liebe zu diesem Kind ist zu spüren. Sie erzählt von ihren Bemühungen in
den vielen Jahren, diesem Kind dennoch zu Lebensmöglichkeiten zu verhelfen
und dabei die bittere Erfahrung der Begrenztheit ihres eigenen Tuns zu machen
- nur bruchstückhaft gelingt dies, vieles bleibt vergeblich. Leben geht durch
viel Verlorenheit. Sie sagt: „Das hat mich krank gemacht. Das ist mein Krebs,
verstehen Sie! Ich will sterben.“ Anteilgeben ist wie etwas aus sich „entlassen“
können und so Gelassenheit finden. Bei meinem zweiten Besuch unterstützt eine
Sauerstoffflasche das Atmen, ihre Kurzatmigkeit ist anstrengend und
veranlasst mich zu dem Satz: „Sie kämpfen?“ „Nein“ - antwortet sie - “ich will
doch sterben!“ „Und das ist schwer“ sage ich. „Nein, Leben ist schwerer ... ich
habe keine Kraft mehr zum Reden.“ „So ist es.“ Ich halte lange ihre Hand. Nach
einem längerem Schweigen verabschiede ich mich.
Menschen, die auf den Tod zugehen,
suchen nach Nähe, sind dankbar für menschliche Wärme, und sie sind fähig zu
ehrlicher und offener Kommunikation. Die alte Dame ist wenig später friedlich
eingeschlafen. Es gibt auch diese Form von Loslassen-Können: die Resignation.
Sie ist hier total und echt. Auch die Angehörigen konnten einwilligen und haben
den Arzt nicht noch wegen einer eventuell möglichen Therapie bedrängt.
Der Mensch ist sterblich. Das
gehört zum Geschöpfsein. Die Grenze wird erfahren. Der Patient kann zustimmen,
einwilligen ins Sterben, das ist etwas Tiefes. Auch der Arzt und die Pflegenden
kommen an eine Grenze. Der Tod eines Patienten ist nicht die Niederlage eines
Arztes. Sterben ist keine Bankrotterklärung der Medizin. Wo der Tod als Grenze
akzeptiert wird, wird das Sterben als zum Menschsein dazugehörig erfahren. In
diesem Sinne ist Sterben menschlich.
5. Komm, sanfter Tod
Der Wunsch nach Sterbehilfe
Viele Menschen haben in der
Situation der Todesnähe einen Wunsch: Ihr Tod möge ein „guter Tod“ sein -
sanft, leicht, schmerzlos.
Wir wissen von sehr
unterschiedlichen Todeserfahrungen.
Wir wissen, dass es ihn gibt, den
„guten Tod“ am Ende eines erfüllten Lebens. Vielleicht haben auch wir Menschen
gekannt, denen ein solches Ende geschenkt war, die friedlich eingeschlafen
sind, die „alt und lebenssatt“ sterben durften.
Wir wissen auch von anderen
Erfahrungen. Dass es den Tod gibt, der als Erlösung herbeigefleht wird,
dort, wo Menschen unerträgliche körperliche Schmerzen oder seelisches Leid zugemutet
werden. Da gibt es den Schrei der Verzweiflung, der sich an Gott oder an
Menschen am Krankenbett richtet, an Pfleger, an Angehörige: „Helft mir, macht
doch meinem Leid schnell ein Ende!“
Wir wissen von der Angst vor dem
Tode, die vielleicht auch unser aller geheime Angst ist.
Eine Angst, die letzten Stunden
und Tage so zu erleben: hilflos zu sein, verzweifelt und allein. Dass wir, wo
wir die Nähe von Menschen brauchten, einer seelenlosen Apparatemedizin ausgeliefert
sind. Dass wir starke Schmerzen erleiden müssen und anderen schweren und entwürdigenden
Beeinträchtigungen ausgesetzt sind.
Verständlich ist in solcher Not
das Verlangen, es möge friedlich und menschenwürdig mit mir zu Ende gehen, verständlich
auch der Wunsch nach Hilfe und Begleitung auf diesem letzten Stück Weg.
Das ist der Ruf nach Sterbe-Hilfe.
Nun ist „Sterbehilfe“ aber ein
Begriff, der sehr unterschiedlich gebraucht wird, der mehrdeutig (geworden)
ist. Meinen wir damit Beistand für einen sterbenden Patienten, also Hilfe im
Sterben, oder verstehen wir
Sterbehilfe als Bei- oder Nachhilfe zum Sterben, dass es schneller zu
Ende geht ...?
Die öffentliche Diskussion
entzündet sich z.B. an unserem Nachbarland Niederlande, wo auf ausdrücklichen
Wunsch todkranker Patienten der Arzt eine tödliche Spritze geben darf, oder an
einen Prozess vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt/Main 1998, bei dem die
Frage zu klären war, ob die künstliche Ernährung bei einer Patientin eingestellt
werden darf, die schon seit Monaten in tiefer Bewusstlosigkeit lag. Manche
erinnern sich vielleicht auch noch an den umstrittenen Arzt Julius Hackethal,
der unheilbar Krebskranken Gift bereit stellte.
Sterbehilfe:
Einige wichtige Begriffe
Unter Sterbehilfe versteht man ganz allgemein die Erleichterung des Sterbens eines unheilbar
schwer kranken Menschen. Für die Einleitung oder Unterlassung von Maßnahmen
ist der Wille des Betroffenen maßgeblich.
Passive Sterbehilfe zielt auf ein menschenwürdiges Geschehen-Lassen des
Sterbens, insbesondere dadurch, dass eine lebensverlängernde Behandlung
(z.B. künstliche Ernährung, künstliche Beatmung oder Dialyse, Verabreichung
von Medikamenten wie z.B. Antibiotika) bei einem unheilbar kranken Menschen,
der sich im Sterben befindet, nicht weitergeführt oder gar nicht erst
aufgenommen wird (siehe Kapitel 6.).
Beihilfe zur Selbsttötung (auch „assistierter Suizid“ oder „Freitodbegleitung“)
nennt man die Unterstützung eines Menschen bei der Durchführung seiner
Selbsttötung. Diese kann durch Beschaffung tödlich wirkender Mittel erfolgen
oder auch durch die Anleitung zu ihrer Handhabung. Der Patient vollzieht jedoch
die Tötungshandlung selbst (siehe Kapitel 7.).
Aktive Sterbehilfe (genauer: aktive direkte Sterbehilfe) meint
die gezielte Tötung eines Menschen, die auf sein ausdrückliches Verlangen
erfolgt, z.B. durch die Verabreichung eines den Tod herbeiführenden
Präparates (Tablette, Spritze, Infusion) (siehe Kapitel 8.).
Indirekte Sterbehilfe (genauer:
aktive indirekte Sterbehilfe) wird geleistet, wenn tödlich Kranken ärztlich
verordnete schmerzlindernde Medikamente gegeben werden, die als unbeabsichtigte
Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigen können (siehe Kapitel 9.).
Unter Sterbebegleitung versteht man alle Formen der mitmenschlichen,
pflegerischen und seelsorgerlichen Zuwendung zum Sterbenden, die keinen
direkten Einfluss auf den biologischen Sterbeprozess nehmen (siehe Kapitel
10.).
Palliativmedizin
ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren
Familien, die mit den Problemen konfrontiert sind, die mit einer
lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen, und zwar durch Vorbeugen und Lindern
von Leiden, durch frühzeitiges Erkennen, Einschätzen und Behandeln von
Schmerzen sowie anderen belastenden Beschwerden körperlicher, psychosozialer
und spiritueller Art.
(WHO 2002) - (siehe Kapitel 10.).
Der Nationale Ethikrat hat
in seiner Stellungnahme vom 13. Juli 2006 „Selbstbestimmung und Fürsorge am
Lebensende“ Vorschläge gemacht für eine neue und seiner Ansicht nach besser
„angemessene“ Terminologie wichtiger Begriffe im Zusammenhang mit
Sterbebegleitung und Sterbehilfe (siehe Kapitel 14.6.)
Sterbehilfe? Jemandem im Sterben
beistehen – das meint heute eine breite und manchmal auch verwirrende Palette
von Angeboten: vom Bleiben am Bett eines sterbenden Menschen bis hin zu aktiven
Tötungsmaßnahmen. Da hören wir von aktiver und von passiver Sterbehilfe, da
wird von Sterbebegleitung gesprochen oder von palliativer Medizin, da geht es
um indirekte Sterbehilfe oder um Beihilfe zur Selbsttötung, auch der Begriff
Euthanasie wird in manchen Lexika mit Sterbehilfe gleichgesetzt.
In welchem Zusammenhang ist mir
der Begriff „Sterbehilfe“ schon begegnet, in den Medien, in Alltagsgesprächen?
Erschrecke ich über solche Möglichkeiten oder macht mir das Hoffnung?
Da alle eben aufgeführten Begriffe
verschiedene Aspekte von Sterbehilfe ansprechen, soll in den folgenden Kapiteln
versucht werden, an Fallbeispielen die jeweils gemeinte konkrete Lebens-Situation
deutlich zu machen, medizinische und juristische Erläuterungen zu geben und
auf die spezifischen ethischen Fragestellungen einzugehen.
6. Lass mich sterben
Passive Sterbehilfe
Eine
67-jährige Frau leidet seit Jahren an einer chronischen Lungenerkrankung. Sie
verspürt bei geringster Belastung Luftnot. Bei einer Atemwegserkrankung werden
die Beschwerden so stark, so dass die Frau den Notarzt ruft. Kurz nach seinem
Eintreffen wird sie bewusstlos. Eine künstliche Beatmung muss eingeleitet
werden. Die Frau kommt auf die Intensivstation. Dort kann sie nach wenigen
Tagen von der künstlichen Beatmung getrennt werden. Sie atmet wieder selbstständig
und ist bei Bewusstsein. Aber noch auf der Intensivstation verschlechtert sich
ihr Zustand wieder. Wegen mangelhafter Funktion der Lunge gerät sie wieder in
einen Dämmerzustand, der sich aber durch erneute künstliche Beatmung
überwinden lässt. Solche Attacken wiederholen sich noch mehrfach, die Zeitabstände
werden immer kürzer. Eine wesentliche Besserung der Lungenfunktion ist nicht zu
erwarten. Die Frau bittet um Entlassung nach Hause, um dort z.B. im Kreis der
Familie noch einmal Kaffee trinken zu können. Wenn sich dann wieder der
schmerzlose, zum Tode führende Dämmerzustand einstellt, soll kein Notarzt
gerufen werden.
Bei der passiven Sterbehilfe wird
auf Wunsch des Patienten dem Sterben sein Lauf gelassen. In den „Grundsätzen
der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung" (1998) wird der
Sterbeprozess definiert als "ein unumkehrbares Versagen einer oder
mehrerer lebenswichtiger Funktionen; der Eintritt des Todes ist in kurzer Zeit
zu erwarten". Noch mögliche medizinische Maßnahmen, die das Leben bzw. den
Sterbeprozess weiter verlängern könnten, werden unterlassen oder abgebrochen.
So könnte z.B. entschieden werden, einen Patienten bei Auftreten immer neuer
Komplikationen nicht auf eine Intensivstation zu verlegen, auf die Behandlung
einer zusätzlichen Lungenentzündung mit Antibiotika könnte bei einem
Krebskranken in der Endphase verzichtet oder eine Chemotherapie abgebrochen
werden.
Passive Sterbehilfe zielt auf ein menschenwürdiges Geschehen-Lassen des Sterbens, insbesondere dadurch, dass eine lebensverlängernde Behandlung (z.B. künstliche Ernährung, künstliche Beatmung oder Dialyse, Verabreichung von Medikamenten wie z.B. Antibiotika) bei einem unheilbar kranken Menschen, der sich im Sterben befindet, nicht weitergeführt oder gar nicht erst aufgenommen wird.
Passiv ist Sterbehilfe immer dann,
wenn akzeptiert wird, dass der Sterbeprozess nicht mehr aufgehalten werden
kann, wenn man das Sterben geschehen lässt.
Die Behandlung des Patienten geht
weiter, jetzt aber mit anderer Schwerpunktsetzung und Zielrichtung. Vorrang
hat nicht mehr die Bekämpfung der Grunderkrankung, sondern die Behandlung
konzentriert sich nun auf leidenslindernde Maßnahmen, die das Dasein des
Patienten in der letzten Phase seines Lebens erleichtern und erträglich machen.
Passive Sterbehilfe ist also nicht wirklich passiv.
Zur in jedem Fall unverzichtbaren „Basisbetreuung" gehören u.a. eine
menschenwürdige Unterbringung, Zuwendung, Körperpflege, Lindern von Schmerzen,
Atemnot und Übelkeit sowie das Stillen von Hunger und Durst.
Ob bei Sterbenden jedoch ein Hunger- oder Durstgefühl
besteht und dieses gegebenenfalls durch Zufuhr unter Umgehung des natürlichen
Schluckaktes gelindert werden kann, ist umstritten. Nach den Erfahrungen der
Palliativmedizin bei der Behandlung von Sterbenden scheint eine konsequente
Mundpflege zur Linderung des Durstgefühles wichtiger als eine venöse Flüssigkeitszufuhr.
Auch das Aufzwingen von Nahrung kann eine zusätzliche Last für den Patienten
bedeuten. Eine angemessene Entscheidung kann nur unter Berücksichtigung der
individuellen Situation getroffen werden.
Zur
menschlichen Lebenssituation gehört neben aller Aktivität auch die Erfahrung
der Passivität. Am Ende des Lebens wird dies besonders offensichtlich: wir erleiden das Sterben. Der Umstand,
dass dem Menschen sein Tod widerfährt,
macht auf eine Wirklichkeitsdimension aufmerksam, die sich zwar (z.B. durch
medizinische Eingriffe) beeinflussen, aber nicht beherrschen oder gar aufheben
lässt. Im Verzicht auf eine künstliche Lebensverlängerung angesichts einer
tödlich verlaufenden Krankheit wird dieser menschlichen Grundsituation Rechnung
getragen. Dabei ist es nicht von zentraler Bedeutung, ob die Ärzte eine
Behandlung unterlassen – sich also passiv verhalten – oder ob sie diese abbrechen – also aktiv sind. Entscheidender ist es, dass in einer Situation, in
der es unangemessen ist, dem Widerfahrnis des Todes weitere Aktivitäten
entgegenzusetzen, dem Sterben-Lassen und dem Sterben-Können Raum gegeben wird.
Passive Sterbehilfe gilt in Deutschland als rechtlich
zulässig und ist bei Sterbenden geboten.
Ein Verzicht auf Maßnahmen der Lebenserhaltung und
Lebensverlängerung und die vorrangige Orientierung auf palliativmedizinische
Versorgung kann nach den „Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen
Sterbebegleitung 2004“ auch in anderen Fällen erwogen werden. Eine solche
Änderung des Therapie-Zieles kann – wenn das dem Willen des Patienten entspricht
- auch dann erfolgen, wenn sich der Patient „zwar noch nicht im Sterben befindet,
aber nach ärztlicher Erkenntnis aller Voraussicht nach in kurzer Zeit sterben
wird, weil die Krankheit weit fortgeschritten ist“ („infauste“ = ungünstige
Prognose). Auch bei „Neugeborenen mit schwersten Beeinträchtigungen durch
Fehlbildungen oder Stoffwechselstörungen, bei denen keine Aussicht auf Heilung
oder Besserung besteht, kann ... im Einvernehmen mit den Eltern ... eine
lebenserhaltende Behandlung ... unterlassen oder nicht weitergeführt werden.
Gleiches gilt für extrem unreife Kinder ... und für Neugeborene, die schwerste
Zerstörungen des Gehirns erlitten haben.“ Bei Patienten mit schwersten
Hirn-Schädigungen und anhaltender Bewusstlosigkeit (apallisches Syndrom,
Wachkoma) wird ausdrücklich klargestellt, dass sie Lebende sind und „ein Recht
auf Behandlung, Pflege und Zuwendung haben. Lebenserhaltende Therapie einschließlich
– gegebenenfalls künstlicher – Ernährung ist daher unter Beachtung ihres geäußerten
Willens oder mutmaßlichen Willens grundsätzlich geboten ... Die Dauer der
Bewusstlosigkeit darf kein alleiniges Kriterium für den Verzicht auf
lebenserhaltende Maßnahmen sein.“ Nach den „Grundsätzen“ von 2004 (vgl. dazu
auch die aktuelle Fassung von 2011) gehören die „Nahrungs- und
Flüssigkeitszufuhr nicht immer zur Basisbetreuung, da sie für Sterbende eine
schwere Belastung darstellen können. Jedoch müssen Hunger und Durst als
subjektive Empfindungen gestillt werden.“ Die künstliche Zuführung von Nahrung
und Flüssigkeit (z.B. über eine PEG-Sonde) ist generell nur statthaft, wenn sie
nicht gegen den Willen des Patienten erfolgt.
Zum ersten
Mal hat ein britisches Gericht einer nicht todkranken Patientin das Recht zu
sterben zugebilligt. Die Richterin gab dem Wunsch einer vollständig gelähmten
Frau nach, das für sie lebenswichtige Beatmungsgerät abzuschalten. Die Frau
ist seit einer Schlagaderverletzung vor einem Jahr vom Hals abwärts gelähmt
und kann nicht mehr selbstständig atmen. Auf diese Weise könne die Patientin
ihr Leben in Frieden und mit Würde beenden, begründete die Richterin ihre
Entscheidung. Für derart schwer behinderte Menschen könne das Leben schlimmer
als der Tod sein.
(die
tageszeitung 23./24.3.02)
Unabdingbare Voraussetzung für Maßnahmen der passiven Sterbehilfe im Vorfeld des unmittelbaren Sterbeprozesses ist, dass sie dem Wunsch des Patienten entsprechen. Für die Entscheidungsfindung ist es hilfreich, wenn der „erklärte Wille“ des Patienten vorliegt, den er bei klarem Bewusstsein und eindeutig und konkret für die vorliegende Situation z.B. in einer „Patientenverfügung“ niedergeschrieben hat. Viel schwieriger gestaltet sich die Entscheidungsfindung, wenn der Patient sich selbst nicht (rechtzeitig und eindeutig) geäußert hat, und stellvertretend für ihn Ärzte, Angehörige und Gerichte seinen „mutmaßlichen“ Willen ergründen sollen.
Nach einem
schweren Hirninfarkt dämmerte die 85-jährige Patientin in tiefer Bewusstlosigkeit
und ohne Aussicht auf Besserung dahin. Die Tochter beantragte bei einem
Frankfurter Betreuungsgericht, die künstliche Ernährung einzustellen und die
Schwerstkranke nur noch mir Flüssigkeit zu versorgen, um ihr ein sinnloses
Leiden zu ersparen. Gemeinsam mit ihrem Bruder erklärte sie unter Eid, ihre
Mutter habe sich immer gegen ein langes Siechtum und künstliche Lebensverlängerung
ausgesprochen. Dennoch lehnte das Gericht den Antrag ab. Die alte Dame hatte es
versäumt, ihren persönlichen Willen aufzuschreiben, solange sie geistig dazu
noch in der Lage war. Das Oberlandesgericht Frankfurt, bei dem der Fall
schließlich landete, bestätigte grundsätzlich das Recht auf Selbstbestimmung
der Patienten. Wenn aber keine schriftliche Patientenverfügung vorliegt und der
Betroffene sich auch selbst nicht mehr äußern kann, so urteilten die Frankfurter
Richter, sind die Ärzte zum Schutz des Lebens verpflichtet. Sie verwiesen den
Fall wieder zurück an das Amtsgericht, das nun den „mutmaßlichen“ Willen der
Patientin klären und dann erneut entscheiden sollte. Die Tochter hat inzwischen
resigniert und ihren Antrag zurückgezogen.
(Öko-Test
10/2001, 76)
7. Hilf mir sterben
Beihilfe zur Selbsttötung
Frau E.
leidet seit 1977 an einem Hauttumor im Bereich von Mund und Nase. Sie kann
durch mehrere Operationen und Bestrahlung nicht geheilt werden. Seit 1982 kann
sie nur noch schwer Nahrung zu sich nehmen, darüber hinaus bestehen stärkste
Gesichtsschmerzen, so dass mehrfach täglich Schmerzmedikamente gespritzt
werden müssen. Anfang 1984 wird ein Tumor der Oberkieferhöhle festgestellt,
der in die Augenhöhle und den Schädel einwächst. Die Sehkraft der Patientin
lässt nach, die Nahrungsaufnahme wird schwierig und die Schmerzen sind nicht zu
stillen. Anfang 1984 lässt sie sich vom behandelnden Arzt das Versprechen geben,
ihr „mit seinen Möglichkeiten“ zu helfen. Am 18.4. 1984 wiederholt die 69-jährige
Patientin ihren Wunsch, aus dem Leben zu scheiden. Am gleichen Abend händigt
der Arzt dem Lebensgefährten der Ziehtochter der Patientin einen Becher mit
Gift aus. Dieser verdünnt das Gift mit Wasser und übergibt den Becher an Frau
E. Sie führt ihn zum Mund und trinkt ihn aus. Wenige Minuten später verstirbt
sie in den Armen der Tochter.
(Fall
Hackethal, nach Udo Benzenhöfer: „Der gute Tod“, München 1999)
Manche Patienten treffen –
vielleicht in der Erfahrung unerträglicher Schmerzen - für sich selbst die
Entscheidung zur Selbsttötung, um ihr Leiden zu beenden. Dabei kann es sein,
dass der Sterbewillige eine andere Person bittet, ihm bei diesem Vorhaben zur
Seite zu stehen. In der Regel richtet sich diese Anfrage an einen Arzt oder an
eine andere fachkundige Person, die die notwendigen Mittel (Medikamente,
Gifte) beschaffen und Hinweise zu deren Anwendung geben können. Der Patient
tut jedoch selbst den letzten Schritt, trinkt das Glas mit dem Gift aus oder
setzt einen Mechanismus in Gang, durch den er sich eine tödliche Injektion
verabreicht.
Grundsätzlich ist zu fragen, ob
eine klare Abgrenzung zwischen aktiver Sterbehilfe und Beihilfe zur
Selbsttötung wirklich möglich ist. Wer das Gift lediglich beschafft, ist
straflos, wer es verabreicht, wird bestraft.
Beihilfe zur Selbsttötung (auch „assistierter Suizid“ oder „Freitodbegleitung“) nennt man die Unterstützung eines Menschen bei der Durchführung seiner Selbsttötung. Diese kann durch Beschaffung tödlich wirkender Mittel erfolgen oder auch durch die Anleitung zu ihrer Handhabung. Der Patient vollzieht jedoch die Tötungshandlung selbst.
Beihilfe
zur Selbsttötung ist in Deutschland nicht strafbar.
Dennoch ist der Beistand
zur Selbsttötung durch einen Arzt (eigentlich) nicht möglich. Bereits im
hippokratischen Eid wurde ein tötendes Handeln ausschlossen.
„Niemals werde ich
jemand raten,
seine Zuflucht zum Gift zu
nehmen,
und ich werde es denen verweigern,
die mich darum bitten.“
(Aus dem EID DES HIPPOKRATES)
Nach den „Grundsätzen der
Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung“ (2011) „ist die Mitwirkung
des Arztes bei der Selbsttötung keine ärztliche Aufgabe“.
Eine Arbeitsgruppe des Bundesministeriums der Justiz „Patientenautonomie am
Lebensende“ (Bericht vom 10. Juni 2004) hatte noch vorsichtig argumentiert: „Entschließt
sich eine Patientin oder ein Patient trotz aller ärztlichen Bemühungen nach
freiverantwortlicher Überlegung dazu, ihr oder sein Leben selbst zu beenden, so
soll keine ärztliche Verpflichtung bestehen, gegen den ausdrücklichen Willen
der oder des Betroffenen lebenserhaltend einzugreifen“ ... „niemand
- insbesondere weder ein Arzt noch ein naher Angehöriger - sollte mit den
Mitteln des Strafrechts gezwungen werden, einen schwer leidenden Menschen in
der von ihm selbst und frei verantwortlich gewählten Stunde des Todes allein
zu lassen und ihn zum Weiterleben zu nötigen“.
Der 114. Deutsche Ärztetag beschloss eine Neuformulierung des §16 der
(Muster-)Berufsordnung: „Ärztinnen
und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres
Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patienten auf deren Verlangen zu
töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“ (PM zum 114. Ärztetag, 1.6.2011, http://baek.de/page.asp?his=0.2.7535.9293.9347
)
Ethisch sind die Selbsttötung und
die Beihilfe dazu ähnlich zu bewerten. In der Bibel finden sich mehrfach
Berichte über Menschen, die Suizid begangen haben: Simson, Saul, Judas.
Diese und andere Personen haben
ihren Suizid in einer für sie ausweglosen, verzweifelten Situation begangen.
Aber die biblischen Texte enthalten keine ethische Bewertung der Selbsttötung.
Nirgends wird ein direktes Verbot ausgesprochen. Erst der Kirchenvater Augustin
(354-430) hat die Selbsttötung unter ein generelles Verbot gestellt, indem er
das 5. Gebot auf sie anwandte: „Denn wer sich selbst tötet, tötet auch einen
Menschen“ (Augustinus, Vom Gottesstaat, 1955, I,20, dt. von Wilhelm Thimme).
Augustins Position hat die theologische Diskussion über Jahrhunderte geprägt.
In der Folge ist „Selbstmördern“ das kirchliche Begräbnis verwehrt worden, ja
sie wurden sogar außerhalb des Friedhofs bestattet. Erst im neunzehnten Jahrhundert
ist diese Diskriminierung aufgehoben worden.
In der theologischen Bewertung des
Suizids ist vielfach auf den Geschenkcharakter und die Unverfügbarkeit des
menschlichen Lebens hingewiesen worden. Deshalb schließe die menschliche
Selbstbestimmung keineswegs das Verfügungsrecht über das eigene Leben ein.
Umgekehrt hat es philosophische
Bemühungen gegeben, die Selbsttötung als Ausdruck höchster individueller Autonomie
zu betrachten.
Für eine angemessene Beschreibung
des Menschseins ist allerdings der Hinweis auf die menschliche Selbstbestimmung
keineswegs ausreichend. Vielmehr sind Personen immer zugleich handelnd und empfangend, aktiv und passiv. Für Menschen, die ihr Leben
selbst beenden wollen, steht das Empfinden im Mittelpunkt, keine Spielräume
zur Aktivität mehr zu besitzen. Ihre Situation stellt sich ihnen ausweglos
dar. Sie können der Depression und Verzweiflung nicht entrinnen. Ihr
Lebensraum scheint sich ihnen bis zur Atemlosigkeit verengt zu haben. Sie vermögen
nicht mehr zu erkennen, dass Veränderungen oder Neuanfänge noch möglich sind.
Diese Möglichkeiten aber kann es geben, ja gibt es in vielen Fällen. Deshalb
muss es die vorrangige Aufgabe der Begleitung sein, Ressourcen für Neuanfänge
zu entdecken und Lebensräume zu weiten.
Jedoch wird es beispielsweise bei
Menschen, die eine unheilbare, tödlich verlaufende Krankheit in einem fortgeschrittenen
Stadium haben, Situationen geben, in denen es trotz allen Engagements nicht
gelingt, ihren Zustand spürbar zu beeinflussen. Ihre Kraft, die eigene
quälende Lebenssituation tragen zu können, ist in erheblichem Maß von
tragfähigen Beziehungen abhängig, von Menschen, die ihren Fragen nicht ausweichen
und ebenso schweigen können, die Unterstützung geben und ebenso das
Unabänderliche annehmen. Darüber hinaus bedarf es einer angemessenen
medizinischen Begleitung, beispielsweise in Form optimaler Schmerztherapie.
Dennoch kann es in Einzelfällen dazu kommen, dass Menschen den einzigen Ausweg
in ihrem Sterben sehen. Wenn wirklich alle medizinischen, individuellen und
sozialen Möglichkeiten zur Weitung des Lebensraumes ausgeschöpft wurden und
wenn unerträgliches Leid nicht erträglicher gemacht werden kann, dann entzieht
sich der Suizid und dessen Begleitung einer von außen kommenden Bewertung. Es
kann nur Betroffenheit bleiben.
Rechtliche
Regelungen in anderen Ländern:
In der Schweiz wird Beihilfe zur
Selbsttötung vom Strafgesetz nicht verfolgt, außer beim Vorliegen
selbstsüchtiger Motive. Im Umkehrschluss wird die Beihilfe zum Suizid
grundsätzlich als erlaubt angesehen. Auf diesem Hintergrund bieten Sterbehilfe-Organisationen
offen ihre Hilfe für ratsuchende Sterbewillige an und haben bereits hundertfach
auch Beihilfe geleistet (in vielen Fällen auch bei deutschen Patienten). Dieses
Angebot galt bisher nur für Patienten in Privatwohnungen. Im Juni 2003 wurde
von der Schweizerischen Akademie für Medizinische Wissenschaften ein Entwurf
von Richtlinien und Empfehlungen zur „Behandlung und Betreuung von älteren
pflegebedürftigen Menschen“ veröffentlicht. Danach ist im Falle von
Selbsttötungswünschen bei urteilsfähigen älteren pflegebedürftigen Personen
in Institutionen der Langzeitpflege seitens der Ärzte und des Pflegepersonals
zunächst das Gespräch zu führen und gemeinsam nach Wegen zur möglichen Verbesserung
der Lebenssituation zu suchen. Bei fortbestehendem Suizid-Wunsch, bei dem die
Beihilfe durch eine weitere Person erbeten wird, ist ein unabhängiger Arzt
hinzuzuziehen, der sich überzeugt, dass dieser Wunsch nicht auf Druck Dritter
zustande gekommen und nicht auf eine unzureichende Behandlung oder Betreuung
zurückzuführen ist (besondere Berücksichtigung palliativer Maßnahmen).
Weiterhin wird eine Bedenkfrist vorgeschlagen. Wenn der Sterbewunsch dennoch
fortbesteht, ist es dem Personal von Pflegeeinrichtungen freigestellt, den
Sterbewilligen zu begleiten bzw. beim Suizid anwesend zu sein. Das Personal
soll jedoch nicht an der Vorbereitung und Durchführung mitwirken.
Im US-Bundesstaat Oregon wurde
ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung gesetzlich legitimiert. Bereits 1994 war
dort ein Gesetz zum „Sterben in Würde“ beschlossen worden, dessen Inkrafttreten
aber zunächst durch Gerichte verhindert wurde. In einem Volksentscheid
stimmten 1997 60 Prozent der Wähler für die endgültige Einführung. Der Kranke
muss im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte sein. In einem schriftlichen Antrag
müssen die Gründe für den Suizidwunsch und die Art der Erkrankung angegeben
werden. Eine ausführliche Aufklärung über mögliche Alternativen durch den
behandelnden Arzt muss erfolgt sein. Wenn nach einer Wartezeit von 15 Tagen
der Sterbewunsch weiter besteht, nimmt ein zweiter, beratender Arzt Einsicht
in die Krankenakte und bewertet den Zustand des Patienten. Wenn danach die
voraussichtliche Lebenserwartung weniger als sechs Monate beträgt, kann 48
Stunden später die Verschreibung für die tödlich wirkenden Medikamente
erfolgen. Diese dürfen von den Ärzten nur verordnet, aber nicht verabreicht
werden. 15 Patienten starben 1998 in Oregon an dem auf Rezept verschriebenen
Gift.
Auch in einem Bundesstaat von
Australien (Northern Territory) war Beihilfe zur Selbsttötung 1995 durch einen
Parlamentsbeschluss legalisiert worden, wurde aber später durch Bundesgesetz
verboten.
Die
43-jährige Britin Diane Pretty klagte im Frühjahr 2002 vor dem Europäischen
Gerichtshof. Seit zwei Jahren litt sie an einer schweren Erkrankung des
zentralen Nervensystems, die zu fortschreitender Lähmung führte. Sie konnte
kaum noch schlucken, nicht mehr artikuliert reden, wurde künstlich ernährt.
Die Frau wollte nicht länger leiden und sich ein entwürdigendes Ende ersparen,
konnte sich aber selbst wegen ihrer Erkrankung das Leben nicht nehmen. Sie
wünschte, dass ihr Mann ihr beim Sterben helfen darf; doch das ist in
Großbritannien verboten, ihm drohten bis zu 14 Jahre Gefängnisstrafe. Der
Europäische Gerichtshof lehnte am 29.4.02 ihren Antrag auf Straffreiheit für
ihren Ehemann ab. Sie bekam drei Tage später schwere Atemnot, es erfolgte die
Aufnahme in ein Hospiz. Dort verstarb sie wenige Tage später friedlich eines
natürlichen Todes.
(Freie
Presse Chemnitz 30.3.02; Das Parlament 22./29.7.02, 11)
Aktive Sterbehilfe
„Euthanasie“ (griechisch) bedeutet
ursprünglich den „leichten, schönen Tod“ und wurde (und wird heute noch
weithin) mit „Sterbehilfe“ gleichgesetzt.
In der Nazizeit in Deutschland
wurde der Begriff jedoch verwendet, um die Zwangstötung von unheilbar Kranken
zu legitimieren und zu verschleiern. In einem staatlich verordneten Programm
zur „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ kamen bis 1941 rund 70000 Insassen von
Heil- und Pflegeanstalten ums Leben.
„Reichsleiter
Bouhler und Dr. med. Brandt
sind unter Verantwortung beauftragt,
die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte
so zu erweitern,
dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken
bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes
der Gnadentod gewährt werden kann.“
(Adolf Hitler, Brief vom 1.9.1939)
Diese Menschen wurden unter dem
Vorwand von „Leidensminderung“, „Erlösung“, „Gnadentod“ oder „Sterbehilfe“ gezielt
vergast oder mit Medikamenten getötet. Auch als – unter anderem nach
Vorhaltungen aus den Kirchen – das Programm offiziell eingestellt wurde,
setzten einzelne Ärzte und Pfleger die Krankenmorde über konsequenten Nahrungsentzug
und medikamentöse Überdosierungen fort, sodass in der „Wilden Euthanasie“ bis
Kriegsende nochmals rund 30000 Patienten starben.
In der aktuellen Debatte um die
aktive Sterbehilfe wird häufig an die Euthanasiepraxis der Nationalsozialisten
erinnert. Genauso wie damals könnten auch heute wieder Menschen getötet
werden, weil andere ihren Lebenswert als gering erachten. Eine solche
Argumentation scheint nahe zu liegen, ist aber in mehrfacher Hinsicht
problematisch. Der Vergleich mit den nationalsozialistischen Massenmorden
brandmarkt zum einen die Befürworter der Tötung auf Verlangen als Verbrecher
und macht jedes weitere Gespräch unmöglich. Zum zweiten liegt ein wesentlicher
Unterschied zwischen der aktuellen Debatte zur aktiven Sterbehilfe und den
Praktiken während der Zeit des Dritten Reiches ja gerade darin, dass damals
das „Wohl des Volkes“ im Mittelpunkt stand, während heute der Wille des einzelnen
betroffenen Menschen als ausschlaggebend gilt. Im „Euthanasie“-Programm
wurden Menschen gegen ihren Willen und ohne ihre Zustimmung in der Verfolgung
staatlicher, „übergeordneter“ Interessen getötet. Im Unterschied dazu ist aktive Sterbehilfe in einem Rechtsstaat nur
denkbar, wenn es um eine bewusst getroffene und ausdrückliche
Willensbekundung eines Menschen geht, der unerträglichem Leid ausgesetzt ist.
Die nationalsozialistische Praxis
ist also aus genau dem Grund abzulehnen, der heute von Befürwortern als
Hauptargument für die Tötung auf Verlangen angeführt wird: dem Respekt vor
der Autonomie eines jeden Menschen.
8.2. Aktive Sterbehilfe
Ein
88-jähriger Ingenieur lebt mit seiner Ehefrau in einem Eigenheim. Das Ehepaar
hat keine Kinder, auch gibt es kaum Kontakte zu Nachbarn oder Freunden. Der
Mann bemerkt seit einigen Monaten Schmerzen im Rücken und im Oberarm. Zunächst
führt er die Schmerzen auf die Folgen eines Sturzes zurück. Als die Schmerzen
immer stärker werden, sucht er den Hausarzt auf. Bei der Untersuchung wird ein
Krebs der Prostata im fortgeschrittenen Stadium festgestellt. Dieser hat
bereits ausgedehnte Metastasen in der Wirbelsäule und anderen Knochen gebildet.
Eine Heilung der Erkrankung ist in dieser Phase nicht mehr möglich. Zunächst
gelingt es, die Schmerzen befriedigend zu stillen. Der Patient ist in seinen
Aktivitäten nicht eingeschränkt. Allerdings verschlechtert sich sein
Gesamtzustand ständig, und die Schmerzen lassen sich nur unter Inkaufnahme von
dauernder Müdigkeit und Darmträgheit einigermaßen stillen. Nach dem plötzlichen
Tod der Ehefrau in dieser Phase wird die Pflege zu Hause unmöglich. So bittet
der Patient den Hausarzt um die Verabreichung einer hohen Dosis an Schmerz-
und Beruhigungsmitteln, um sterben zu können. Im Leben mit zunehmenden
Schmerzen, allein ohne seine Frau und in fremder Umgebung sieht er keinen Sinn
mehr.
Das
Anliegen der aktiven Sterbehilfe ist, dem Sterben nicht seinen Lauf zu lassen,
sondern dem natürlichen Tod durch aktives Eingreifen zuvorzukommen, um das
Leben gezielt zu verkürzen. Die Tötung erfolgt zwar auf Verlangen des
Patienten, aber die Tat wird von einem anderen Menschen aktiv durchgeführt.
Aktive Sterbehilfe (genauer: aktive direkte Sterbehilfe) meint
die gezielte Tötung eines Menschen, die auf sein ausdrückliches Verlangen erfolgt, z.B. durch die
Verabreichung eines den Tod herbeiführenden Präparates (Tablette, Spritze,
Infusion).
8.3. Zur
ethischen Diskussion der aktiven Sterbehilfe
Seit Jahren wird in einer ganzen
Reihe von europäischen Ländern, in den Vereinigten Staaten, in Australien,
Japan und anderswo über die aktive Sterbehilfe kontrovers diskutiert. (vgl. die
Gegenüberstellung von Pro- und Contra-Argumenten in Kapitel 14.4.).
Diejenigen, die eine Legalisierung der Tötung auf Verlangen anstreben, machen
besonders auf das Recht zur Selbstbestimmung aufmerksam. Nach ihrer
Auffassung gehört es zur menschlichen Autonomie, auch über das eigene Sterben
verfügen zu können. Im Fall einer schweren und unheilbar verlaufenden
Krankheit sollte daher das Recht auf
aktive Sterbehilfe eingeräumt werden. So argumentiert beispielsweise der
Theologe Hans Küng (Küng, H; Jens, W.: Menschenwürdig sterben, München, 1996,
71f.): „Der allbarmherzige Gott, der
dem Menschen Freiheit geschenkt und Verantwortung für sein Leben zugemutet
hat, hat gerade auch dem sterbenden Menschen
die Verantwortung und Gewissensentscheidung für Art und Zeitpunkt seines Todes
überlassen.“
Gegen eine solche Auslegung des
Selbstbestimmungsgedankens wenden sich auf der anderen Seite diejenigen, die
eine Freigabe der Tötung auf Verlangen ablehnen. Für sie findet das
Selbstbestimmungsrecht an der Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens eine
Grenze. So wird beispielsweise in der „Christlichen Patientenverfügung“
argumentiert: „Weil wir nicht selbst frei über unser Leben und schon gar nicht
über das Leben anderer verfügen, lehnen wir jede aktive Beendigung des Lebens
ab.“ Eine Berufung auf die Autonomie des Menschen schließt auch nach Auffassung
des Medizinethikers Günther Pöltner (Grundkurs Medizin-Ethik, Wien, 2002, 266)
nicht das Recht auf den eigenen Tod ein. „Wer Autonomie achten möchte, kann immer nur jemanden, d.i. das Leben eines
Menschen achten.“ Die Tötung auf Verlangen wäre dagegen „nicht Achtung,
sondern das genaue Gegenteil, nämlich Vernichtung
fremder Autonomie“.
Mit Rückgriff auf die menschliche
Selbstbestimmung kann deshalb kein prinzipielles Recht auf aktive Sterbehilfe begründet werden. Auf der anderen
Seite muss man aber auch fragen, ob die Lebenssituation
von Menschen, die sich im Endstadium einer tödlich verlaufenden Krankheit
befinden, in dieser Diskussion schon angemessen berücksichtigt ist. Geht es aus
ihrer Perspektive wirklich um die Ausübung eines Rechtes und die Verfügung
über den eigenen Todeszeitpunkt? Oder empfinden sie nicht vielmehr, dass
durch die tödlich verlaufende Krankheit, die sie erleiden, bereits über ihr
Leben verfügt wird? Nehmen die Sterbenden ihre eigene Situation nicht unter
ganz anderen Gesichtspunkten wahr? Viele haben Angst vor einem qualvollen Tod.
Manche fühlen sich von ihrer Krankheit entwürdigt, weil sie das Gefühl haben,
nicht mehr sie selbst zu sein. Für andere sind es die nicht enden wollenden
Schmerzen, die ihnen das Leben unerträglich machen. Menschen in dieser
extremen Lebenssituation zu verstehen, heißt auch zu verstehen, dass bei
manchen von ihnen der Wunsch nach einem raschen, schmerzfreien Tod entsteht.
Aus der Arbeit der Sterbebegleitung wird vielfach berichtet, dass eine
effektive Schmerzkontrolle und die Gewissheit, einen Menschen an seiner Seite
zu haben, den Sterbewunsch habe leiser werden lassen. Insofern äußert sich im
Verlangen nach aktiver Sterbehilfe sicher auch häufig die Angst vor Schmerzen
und dem Alleinsein. Dennoch wird man nicht davon ausgehen können, dass durch
eine professionelle Sterbebegleitung der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe ganz
zum Verstummen gebracht werden kann. Gerade auch dies ist zu respektieren.
Allerdings wird man umgekehrt auch
auf die Gefahren einer Legalisierung der Tötung auf Verlangen aufmerksam machen
müssen. Das hinter dem Wunsch stehende Bedürfnis nach Schmerzkontrolle und
Begleitung würde möglicherweise nicht erkannt. Darüber hinaus besteht die
Gefahr, dass Menschen, die aufgrund ihrer schweren Erkrankung auf die Hilfe
anderer angewiesen sind, die Tötung deshalb wählen, weil sie anderen nicht zur
Last fallen wollen. Leicht könnte ein sozialer Druck empfunden werden, eine
gesetzlich zugelassene Möglichkeit auch in Anspruch nehmen zu sollen. Auch die
Missbrauchsgefahr ist nicht von der Hand zu weisen.
Ein befriedigender Ausgleich
zwischen den einander gegenüberstehenden Argumenten scheint gegenwärtig nicht
erreichbar. Eine generelle Freigabe der Tötung auf Verlangen unter Berufung
auf die menschliche Selbstbestimmung kann aus ethischer Sicht nicht in
Betracht kommen. Aber gleichwohl bleibt ein ungelöster Konflikt bestehen. Auf
der einen Seite stehen Menschen in einer extremen Lebenssituation: Menschen,
die von einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Krankheit im
fortgeschrittenen Verlauf betroffen sind. Manche von ihnen leiden unter dieser
Situation so sehr, dass sie nach langer Auseinandersetzung den Wunsch äußern,
durch eine Spritze sterben zu wollen. Auf der anderen Seite stehen die
berechtigten Bedenken derer, die vor einer Freigabe der Tötung auf Verlangen
warnen. Auch dieser Gefahren wegen dürfte eine prinzipielle Legalisierung ausscheiden.
Aber sind nicht dennoch extreme Ausnahmesituationen vorstellbar, in denen der
Hinweis auf die allgemeinen Folgen individuell unmenschlich erscheint? Wie
aber wäre eine solche Notsituation zu regeln? Würde eine rechtliche Regelung
den Ausnahmecharakter angemessen erfassen können?
In der Diskussion dieser offenen
Fragen wird häufig auf diejenigen Länder geschaut, in denen die aktive Sterbehilfe
unter bestimmten Bedingungen praktiziert wird. Ein Blick auf die Praxis in den
Niederlanden und in Belgien kann deshalb die Auseinandersetzung vertiefen.
Aktive
Sterbehilfe ist in Deutschland gesetzlich verboten und wird strafrechtlich
verfolgt, und zwar auch dann, wenn sie auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten
erfolgt.
In
einigen anderen Staaten wurde in den letzten Jahren versucht, aktive
Sterbehilfe in Einzelfällen bei Einhaltung einer Reihe von Bedingungen zu
tolerieren.
Solche Vorstöße
gab es z.B. durch Gerichtsentscheidungen in Japan (1996) und in Kolumbien
(1997); in Italien und in Luxemburg wird derzeit die Legalisierung der aktiven
Sterbehilfe geprüft.
Anlass zu einer anhaltenden
kontroversen Debatte lieferten aber besonders gesetzliche Regelungen, wie sie
2002 in den Niederlanden und in Belgien in Kraft traten.
Im Jahre 2002 sind von den
Parlamenten in den Niederlanden und in Belgien gesetzliche Regelungen
verabschiedet worden, die weltweit erstmals auch aktive Sterbehilfe zulassen.
Das galt weithin als Tabubruch und wird in Deutschland vor allem von den
Kirchen verurteilt.
Im Folgenden sollen einige
Erläuterungen zum „Niederländischen Modell“ gegeben werden.
Aktive Sterbehilfe (unter dem
Begriff „Euthanasie“, der in den Niederlanden allgemein gebräuchlich
ist und historisch als unbelastet gilt) bleibt auch nach Erlass des Gesetzes
vom 1.4.2002 rechtswidrig. In den Niederlanden ist darüber hinaus – anders als
in Deutschland - auch Beihilfe zur Selbsttötung strafbar. Aber die Tötung auf
Verlangen wird nicht strafrechtlich verfolgt, wenn dabei bestimmte Bedingungen
erfüllt werden. Das entspricht etwa der rechtlichen Konstruktion zur Regelung
des Schwangerschaftsabbruchs im Deutschen Strafrecht.
Das
niederländische Gesetz zur aktiven Sterbehilfe
(wesentliche Regelungen):
I) Der Artikel 293 des Strafgesetzbuches wird wie folgt geändert:
1. Wer
vorsätzlich das Leben eines anderen auf dessen ausdrückliches und ernstliches
Verlangen hin
beendet, wird mit Gefängnisstrafe
bis zu zwölf Jahren ... bestraft.
2. Die ...
Handlung ist nicht strafbar, wenn sie von einem Arzt begangen wurde, der dabei
die ...
Sorgfaltskriterien eingehalten und
... Meldung erstattet hat.
II) Die ...
Sorgfaltskriterien beinhalten, dass der Arzt
a) zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Patient seine Bitte freiwillig und
nach reiflicher Überlegung
gestellt hat,
b) zu der
Überzeugung gelangt ist, dass der Zustand des Patienten aussichtslos und sein
Leiden
unerträglich ist,
c) den Patienten über dessen Situation und dessen Aussichten aufgeklärt hat,
d) gemeinsam mit
dem Patienten zu der Überzeugung gelangt ist, dass es für dessen Situation
keine andere
annehmbare Lösung gibt,
e) mindestens
einen anderen, unabhängigen Arzt zu Rate gezogen hat, der den Patienten untersucht
und
schriftlich zu den unter a bis d
genannten Sorgfaltskriterien Stellung genommen hat ...
Wenn ein Patient ... nicht in der Lage ist, seinen Willen zu äußern, jedoch (früher, bei vollem Bewusstsein) eine schriftliche Bitte um Lebensbeendigung abgegeben hat, kann der Arzt dieser Bitte entsprechen.
(„Das Gesetz über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei Selbsttötung“ – Quelle für den gesamten Text siehe in Kapitel 15.)
Die gesetzliche Neuregelung
erfolgte in den Niederlanden auf dem Hintergrund einer längeren
gesellschaftlichen Diskussion. Seit 1973 sind in der Rechtssprechung
Sorgfaltskriterien für den Umgang mit aktiver Sterbehilfe entwickelt worden.
Auch mit der Verabschiedung des
Gesetzes haben Patienten in den Niederlanden kein Recht auf Sterbehilfe. Genauso
wenig ist ein Arzt dazu verpflichtet, Sterbehilfe zu leisten. Er kann sich
weigern, an ihrer Durchführung mitzuwirken. Dies gilt auch für Pflegekräfte.
Darüber hinaus legt das niederländische Gesetz großen Wert auf das Vertrauensverhältnis
zwischen Arzt und Patient. Sterbehilfe darf nur vom behandelnden Arzt
geleistet werden. Er muss den Patienten gut genug kennen, um seinen Zustand
einschätzen und den Stellenwert seiner Bitte um Sterbehilfe beurteilen zu
können. Wie die Praxis zeigt, sind 90% derer, die aktive Sterbehilfe gewünscht
und erhalten haben, Patienten, die sich im Endstadium einer Krebserkrankung
befinden. Solange eine realistische Behandlungsalternative besteht, liegt
aus medizinischer Sicht kein Rechtfertigungsgrund zur aktiven Sterbehilfe vor.
Genauso wenig darf sie bei Patienten ausgeübt werden, die ihren Willen nicht
äußern können. Nach offiziellen Angaben werden rund zwei Drittel der Bitten um
Sterbehilfe abgelehnt.
Die Erfahrungen,
die in den Niederlanden in den vergangenen Jahren mit der aktiven Sterbehilfe
gemacht worden sind, machen viele Menschen unruhig und nachdenklich: Im Jahr
2001 gingen nach einer systematischen Erhebung etwa 3650 Sterbefälle auf „Euthanasie“
zurück, das entspricht 2,6% aller Verstorbenen. Für das Jahr 2010 werden 3136
Fälle angegeben – in 9 Fällen hätten die Ärzte die „Sorgfaltskriterien“ nicht
eingehalten (Der Sonntag, Dresden, 11.9.2011 S.14).
Heftig
diskutiert wird für die niederländische Praxis einmal der Tatbestand, dass eine
erhebliche Zahl von Sterbehilfefällen nicht gemeldet werden, wie das die
einschlägigen Vorschriften vorsehen. Zum zweiten wird darauf hingewiesen,
dass bei den drei seit 1991 durchgeführten Erhebungen jährlich etwa 1000 Fälle
benannt wurden, in denen das Leben von Patienten beendet wurde, ohne dass der
aktuell geäußerte ausdrückliche Wunsch der Betroffenen vorlag. Allerdings
wurde dazu inzwischen klargestellt, dass eine Tötung ohne vorliegenden Wunsch
des Patienten weiterhin klar strafbar ist. In vielen der fraglichen Fälle
hatten aber die Patienten schon früher angegeben, in welcher
Situation ihrer Krankheit sie nicht mehr weiterleben wollten und um Sterbehilfe
bitten würden, oder Angehörige hatten einen solchen
Wunsch übermittelt.
Anfang März
2012 hat die NVVE die erste Sterbehilfeklinik der Welt eröffnet;
"Levenseindekliniek" lautet der Name - ein Platz fürs Lebensende. Sie
dient als Anlaufstelle für all jene Niederländer, die sterben wollen, aber
keinen Hausarzt haben, der bereit ist, ihnen dabei zu helfen. Zur Klinik
gehören ambulante Euthanasie-Teams, jeweils bestehend aus einem Mediziner und
einer Pflegekraft. Kommt ein Patient nach einer Prüfung seines Falls in Frage,
fährt das Team zu ihm nach Hause, um ihm zwei Medikamente zu spritzen - das
eine versetzt den Todeswilligen in einen tiefen Schlaf, das andere stoppt die
Atmung und führt so zum Tod. Sechs Teams arbeiten derzeit für die Klinik. Alle
beteiligten Ärzte haben bereits Erfahrung in der aktiven Sterbehilfe. Einen Tag
pro Woche werden sie in der Klinik arbeiten, die anderen Tage in ihrer eigenen
Praxis. Höchstens einmal im Monat sollen sie Sterbehilfe leisten. (Der Spiegel
12-2012 S. 132ff.)
In Belgien wurde im Mai
2002 ein Gesetz zur Sterbehilfe beschlossen, das sich eng an das
Niederländische Modell anlehnt, und mit dem aktive Sterbehilfe in
Ausnahmefällen straffrei bleibt. Der Justizminister stellte ausdrücklich klar,
dass dieses Gesetz nicht für geistig Behinderte oder Demenzkranke gilt. Gleichzeitig
mit dem Sterbehilfegesetz befürworteten die Abgeordneten ein weiteres
Gesetz, das auf den Ausbau schmerzlindernder Behandlung abzielt.
Abschließend
seien noch einige Fakten zur Sterbehilfe in den Niederlanden und im internationalen
Vergleich mitgeteilt (genaue Zahlen und Quellenangabe siehe in den Kapiteln
14. und 15.):
Eine aktuelle Studie vergleicht die Häufigkeit und die
Charakteristika von ärztlichen Entscheidungen am Lebensende in sechs
europäischen Ländern (THE LANCET, published online June 17, 2003). Die
Untersuchung wurde methodisch analog zu früheren Untersuchungen in den
Niederlanden durchgeführt und liefert nun vergleichbare Zahlen auch für Belgien
, Dänemark, Italien, Schweden und die Schweiz. Bemerkenswert ist der in den
meisten Ländern erstaunlich hohe Anteil an geleisteter indirekt-aktiver
Sterbehilfe. Aber auch aktive Sterbehilfe gab es danach (vor dem Inkrafttreten
der genannten Gesetze) nicht nur in den Niederlanden, sondern in allen
untersuchten Ländern mit Ausnahme von Schweden. Auch ärztlich unterstützte
Selbsttötung wurde 2001 in vier der sechs beteiligten Länder praktiziert. Und
Lebensbeendigung mit ärztlicher Hilfe ohne ausdrückliches Verlangen der
Patienten wird aus allen beteiligten Ländern berichtet (sie kommt in Belgien
und Dänemark sogar häufiger als in den Niederlanden vor). Diese Zahlen relativieren
die Angaben, die bisher nur aus den Niederlanden vorlagen.
Die eben zitierte Studie wird für die Niederlande um eine
zusätzliche Untersuchung ergänzt (THE LANCET, published online June
17, 2003; genaue Zahlen und Quellenangabe siehe in den Kapiteln 14.
und 15.). Damit liegen für die Praxis der „Euthanasie“ in den
Niederlanden nun drei Erhebungen über einen Zeitraum von 10 Jahren vor,
zuletzt ermittelt für 2001. Danach hat es weder bei den geäußerten Bitten um
„Euthanasie“ noch bei den (um ein Drittel niedrigeren) Fallzahlen tatsächlich
geleisteter aktiver Sterbehilfe seit 1995 eine Zunahme gegeben.
8.5. Aktive Sterbehilfe – ein
Tabu-Thema für die Kirchen?
Die
großen christlichen Kirchen in Deutschland lehnen aktive Sterbehilfe klar ab.
In der 2003 veröffentlichten Textsammlung „Sterbebegleitung statt aktiver
Sterbehilfe“ wird diese Ablehnung mit zahlreichen Stellungnahmen aus den
letzten drei Jahrzehnten noch einmal bekräftigt. Mit Hinweis auf das
Schöpferhandeln Gottes und die Geschöpflichkeit des Menschen werden die Würde
und die Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens begründet. „Weil Gott allein
Herr über Leben und Tod ist, sind Leben und Menschenwürde geschützt,“ heißt es
in der „Christlichen Patientenverfügung“.
Immer wieder wird an die Gräuel
der Nazizeit erinnert, die schmerzlich deutlich machen, wie schmal der Grat zur
Barbarei ist. Vielfach wird vor
Missbrauch und einem drohenden Dammbruch gewarnt, so dass sich die Inanspruchnahme
schnell über die ursprüngliche Intention hinaus ausweiten könnte.
Ob aber manche polemisierenden
Äußerungen sachgerecht und angemessen mit diesem wichtigen Thema umgehen,
ist zu fragen. So meinte ein führender Repräsentant der Evangelischen Kirche
in Deutschland: „Für mich hat die aktive Sterbehilfe nichts Tröstliches. Im
Gegenteil, ich möchte nicht Angst davor haben, dass einer die Spritze zieht,
wenn ich bewusstlos werde. Der Sterbende verliert nicht seine Menschlichkeit,
sondern allenfalls jener, der ihn umbringt“. Dazu ist anzumerken, dass zum
einen Zwangstötung bei Bewusstlosen auch in den Niederlanden nicht erlaubt
ist, und dass mit dem Wort „umbringen“ Ärzte, die so etwas tun, als Mörder
eingestuft werden. Eindeutig, aber ebenso problematisch sind Aussagen wie
die, dass „aktive Sterbehilfe ... nichts anderes zum Ziel hat als die Tötung
schwacher und kranker Menschen“ und eine „Lizenz zum Töten“ sei. Auch der
Katechismus der Katholischen Kirche spricht klar von „Mord“. Versachlichung und Entemotionalisierung der
Diskussion sind deshalb dringend nötig.
„Diejenigen, welche sich selbst erhängen
oder sonst töten, leiden Gewalt vom Teufel,
wie der, welcher von einem Räuber getötet wird.
Sie sind ihrer selbst nicht mächtig.
Deshalb kann ich sie nicht verdammen,
obgleich man dies dem Volk nicht sagen soll.“
(Martin Luther, Tischreden)
Als grundsätzliche Frage ist zu
klären, ob überhaupt eine Abwägung zugelassen wird: Welches Gewicht haben zentrale
Prinzipien, wenn auf der anderen Seite der Waagschale das ganz konkrete Leid
eines betoffenen Menschen liegt?
Auch in Deutschland gilt das
Tötungsverbot nicht absolut. Bei Notwehr, im Kriegsfall oder beim
Schwangerschaftsabbruch (nach der Fristenlösung wie nach der sog.
„medizinischen Indikation“), lassen wir die Entscheidung gegen das Weiterleben
anderer Menschen zu. Wenn dort eine solche (schmerzliche) Abwägung akzeptiert
wird, warum dann nicht auch bei der freiwilligen aktiven Sterbehilfe, bei der
der Betroffene selbst entscheidet, ob und wie er weiterleben möchte?
Häufig begegnet in der Debatte das
Argument, schmerzbekämpfende medizinische Maßnahmen machten die aktive
Sterbehilfe überflüssig. Es bleiben aber immer einzelne Fälle, bei denen auch
intensivste Schmerzbekämpfung wirkungslos bleibt. Was können wir Sterbenden
in solchen Grenzfällen sagen angesichts ihres aussichtslosen und unerträglichen
Leidens? Das belgische Gesetz verbindet die Freigabe der aktiven Sterbehilfe
mit der Maßgabe einer intensiveren Förderung der Palliativmedizin.
Verbesserte Schmerztherapie und die Möglichkeit, aktive Sterbehilfe in
Anspruch nehmen zu können, schließen hier einander nicht aus. Sind vielleicht
beide notwendige Komponenten der Humanisierung des Sterbens?
Die Bioethik-Kommission des Landes
Rheinland-Pfalz hat unter persönlicher Leitung des Justizministers 2004 einen
ausführlichen Bericht über die ethische, rechtliche und medizinische Bewertung
des Spannungsverhältnisses zwischen ärztlicher Lebenserhaltungspflicht und
Selbstbestimmung des Patienten vorgelegt. Darin heißt es: „Zu bedenken sind
aber extreme Ausnahmefälle, in denen medizinische einschließlich palliativer
Maßnahmen ein von dem Patienten als unerträglich empfundenes Leiden nicht
mildern können. In solchen Extremfällen kann aufgrund des Selbstbestimmungsrechtes
Sterbenskranker ausnahmsweise eine aktive Sterbehilfe ethisch und rechtlich
toleriert werden. Der Gesetzgeber sollte die Möglichkeit einräumen, in solchen
Fällen von Strafe abzusehen.“
Drei weitere Probleme seien
benannt:
Da ist zum einen ein Sinneswandel in der öffentlichen Meinung zur Kenntnis zu nehmen: Nach Umfragen traten 1973 = 50%, 1983 = 66%, 1993 = 70% und 2000 = 81% der deutschen Bevölkerung für eine rechtliche Billigung der aktiven Sterbehilfe ein (Eibach, 2000).
Zum zweiten gehört aktive
Sterbehilfe – obwohl sie verboten ist – längst zur Wirklichkeit in vielen
Ländern (siehe Angaben unter 14.3.). Und in Deutschland? Nach einem Bericht im
Deutschen Ärzteblatt (2.5.1997, A-1172) sind vor einigen Jahren bundesweit
184 Kliniker und 282 niedergelassene Ärzte für Allgemeinmedizin befragt worden.
Rund ein Drittel der Befragten konnten sich Situationen vorstellen, in denen
sie aktive Sterbehilfe leisten möchten. 7,8% der niedergelassenen
Allgemeinärzte haben von Fällen berichtet, in denen sie einem Tötungswunsch
eines Patienten entsprochen hätten (Ergebnisse einer neueren Umfrage finden Sie
unter Kapitel 14.4.)
Wenn man aber die Existenz von
Grenzsituationen ärztlichen Handelns anerkennt, so stellt sich die Frage nach
einem angemessenen gesellschaftlichen und rechtlichen Umgang mit ihnen.
Dass es Situationen gibt, in denen
Menschen dem Leiden in einer Weise ausgeliefert sind, die sie in den Tod
treibt, kann aus der Sicht des christlichen Glaubens nicht einfach hingenommen
werden. Es ist vielmehr alles zu tun, um schwer leidenden Menschen ihr Leben
erträglich zu machen. Wo aber sämtliche Möglichkeiten der menschlichen und
medizinischen Begleitung Sterbender erschöpft sind, da entzieht sich die Tötung
auf Verlangen ebenso wie die Selbsttötung jeglicher moralischen Verurteilung.
Der Versuch, lebens-beendendes Handeln – unter welchen Umständen auch immer –
zu rechtfertigen, also für richtig zu erklären oder gar als Recht zu fordern,
führt dazu, dass Gottes unbedingtes Ja zum Leben in Frage gestellt wird. Wer
andererseits die Lebensbeendigung in extremen Grenzsituationen mit dem Hinweis
ablehnt, Gott allein sei Herr über Leben und Tod, läuft Gefahr, das Schöpfungshandeln
Gottes gegen seine Barmherzigkeit auszuspielen.
9. Mein
Schmerz ist unerträglich
Schmerztherapie und indirekte Sterbehilfe
9.1. Indirekte Sterbehilfe
Viele Patienten, besonders solche
mit Krebserkrankungen, leiden in der Sterbephase an starken Schmerzen. Durch
Verabreichen hochwirksamer Medikamente (Opioide, Morphine) ist es in den
meisten Fällen (aber nicht in allen!) möglich, die Schmerzen zu lindern oder
weitgehend zu unterdrücken. Erst die so erreichte Schmerz-Freiheit ermöglicht
den Patienten wieder ein bewusstes und aktives Wahrnehmen und Teilhaben an
den Vorgängen in ihrer Umgebung.
Die verabreichten Medikamente
haben jedoch eine unvermeidbare Nebenwirkung, dass sie bei längerem Einsatz
in hohen Dosen den Eintritt des Todes beschleunigen können, ihr Gebrauch also
zu einer Lebensverkürzung führt.
Eine
solche „indirekte“ Sterbehilfe wird in Deutschland in Abwägung der ärztlichen
Doppelpflicht - Leben erhalten und Schmerzen lindern - für rechtlich und
ethisch zulässig gehalten.
Indirekte Sterbehilfe (genauer: indirekte aktive Sterbehilfe) wird
geleistet, wenn tödlich Kranken
ärztlich verordnete schmerzlindernde Medikamente gegeben werden, die als unbeabsichtigte
Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigen können.
Das Problem: Der Unterschied zur
direkten aktiven Sterbehilfe besteht nur im erklärten Wunsch. Für das Strafrecht
bedeutsam ist der Vorsatz des Arztes. Gibt er beispielsweise Morphine zur
Schmerzlinderung, selbst wenn er sicher weiß, dass der Patient dadurch früher
stirbt, geht er straflos aus. Verabreicht er allerdings die gleiche Dosis in
der Absicht, den Tod des Leidenden herbeizuführen, macht er sich strafbar.
Der wahre Vorsatz des Arztes lässt sich jedoch nur schwer ermitteln. Die
Unterscheidung zwischen der erlaubten indirekten aktiven Sterbehilfe und der
verbotenen direkten aktiven Tötung bleibt daher in der Praxis unscharf.
Individuell dosierte Morphine, regionale Nervenblockaden oder eine niedrig dosierte Chemotherapie lassen die Ärzte heute auch extreme Schmerzen in den Griff bekommen. Erforderlich ist es dabei, schmerzlindernde Mittel beizeiten und vorbeugend (also nicht erst bei akutem Bedarf) einzusetzen und genau zu dosieren.
Die in
Deutschland unzulängliche Schmerzbehandlung ist zum Teil darin begründet, dass
auch Mediziner immer wieder Bedenken einbringen, die nicht (mehr) stimmen.
·
»Morphine haben eine lebensverkürzende Wirkung« - Eine
solche Wirkung kann zwar eintreten, wird in
Deutschland in Abwägung der ärztlichen Doppelpflicht - Leben erhalten und
Schmerzen lindern - für rechtlich und ethisch zulässig gehalten („indirekte“
Sterbehilfe).
·
»Morphinpräparate machen die
Patienten süchtig.« - Das ist – wenn die Anwendung sachgerecht erfolgt – nicht
richtig.
·
»Morphium trübt das Bewusstsein.« - Das Gegenteil ist bei sachgemäßer
Anwendung richtig: erst das Freisein von Schmerzen ermöglicht dem Patienten
wieder, bewusst und aktiv an Vorgängen in seiner Umgebung teilzunehmen,
Gespräche zu führen usw. (Natürlich kann man durch Überdosierung einen
Patienten bewusstlos machen, ja vielleicht auch töten.)
Auf dem Gebiet der
Schmerzbehandlung ist in Deutschland offenkundig noch viel zu tun. Bemühungen
und Erfolge auf diesem Gebiet könnten das schlimme Schicksal vieler Patienten
lindern und den Wunsch nach aktiver Sterbehilfe gar nicht erst aufkommen
lassen.
Verbrauch verschiedener
Opioide im internationalen Vergleich
Stand 2000
(Kilogramm Substanzen pro 1
Million Einwohner)
------------------------------------------------------------------------------------------------------
Land Morphin Codein Dextropropoxyphen
------------------------------------------------------------------------------------------------------
Deutschland 17,6 91,5 10,6
Schweiz 20,6 496,2 30,6
Großbritannien 21,2 349,4 871,1
USA 30,8 110,6 657,2
Norwegen 32,2 378,4 68,4
Österreich 45,7 12,5 4,6
Kanada 50,9 537,2 11,3
Dänemark 70,0 504,9 74,8
-----------------------------------------------------------------------------------------------
(International Narcotics Control Board 2002)
9.3. Terminale Sedierung
Immer häufiger wird in Spanien,
Israel, Südafrika, den USA und in einigen nordeuropäischen Ländern bei nicht
beherrschbaren Schmerzzuständen bei Sterbenden die sog. „terminale Sedierung“
vorgenommen. Auch in Deutschland wird diese Maßnahme (gerade auch von einigen
Palliativmedizinern) als „letztes Mittel“ diskutiert und eingesetzt. Bei der
„terminalen Sedierung“ (= künstlich herbeigeführter Tiefschlaf in den Tod hinein)
verschwimmt die Grenze zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe. Der Arzt
versetzt einen Sterbenden, dessen Schmerzen nicht angemessen gelindert werden
können, durch Verabreichen narkotisch wirkender Substanzen in Schlaf und
bricht dann eventuell in einem zweiten Schritt alle medizinischen Behandlungen
ab. In solchen Fällen tritt der Tod innerhalb einiger Tage ein.
Die „terminale Sedierung“ in der dargestellten Form kommt der aktiven Sterbehilfe sehr nahe. Aber der Sterbewillige stirbt letzten Endes an den Folgen seiner Krankheit oder an einer tödlichen Komplikation, nicht aber direkt und unmittelbar durch ein ärztlich injiziertes Medikament bzw. Gift.
Handelt es sich dabei um eine
annehmbare und gesetzlich zulässige Form der passiven Sterbehilfe, da sie zwei
Momente enthält, die heute erlaubt sind: Patienten in Schlaf zu versetzen und
eine Behandlung abzubrechen? Oder ist die klare Absicht dieser Handlung, den
Patienten zu töten – und muss „terminale Sedierung“ dann als unerlaubte aktive
Sterbehilfe betrachtet und verboten werden?
Die christlichen Kirchen in
Deutschland äußern sich in ihrer Textsammlung „Sterbebegleitung statt aktiver
Sterbehilfe“ (2003) sehr kritisch dazu und befürchten eine „neue Form der
Euthanasie“.
Nach der Bewertung der Arbeitsgruppe
des Bundesministeriums der Justiz „Patientenautonomie am Lebensende“ (Bericht
vom 10. Juni 2004) „ist bei Versagen aller sonstigen palliativmedizinischen
Möglichkeiten – jedenfalls in der terminalen Krankheitsphase (= Krankheitsstadium, in dem der
Eintritt des Todes in Tagen oder wenigen Wochen unabwendbar absehbar ist und
kurative Behandlungen nicht mehr möglich sind) - mit Einwilligung der
Patientin oder des Patienten eine Sedierung (gezielte Dämpfung bis hin zur
Ausschaltung des Bewusstseins) zulässig“ (hier ohne weitere Maßnahmen
verstanden, die zur Lebensverkürzung führen).
10. Wird jemand bei mir sein, wenn ich sterbe?
Möglichkeiten der
Begleitung Sterbender durch Hospizarbeit und
Palliativmedizin
„Das Bild kann ich
nicht vergessen: Sie sitzt in ihrem Rollstuhl an der Terrassentür und wartet
auf mich. Jede Woche zu dem vereinbarten Termin besuchte ich die
fünfundachtzigjährige, todkranke Frau H., die in einer kleinen Wohnung lebte
und deren Leben nur noch, wie sie sagte, „an einem dünnen Faden hänge“. Sie
hatte sich gewünscht, dass eine Helferin vom Hospizdienst sie in ihrer letzten
Lebenszeit begleitet und Zeit für sie hat. Vom Pflegedienst am Morgen
versorgt, saß sie nun an der Tür, um sie für mich zu öffnen und mich mit einem
„Komm rein, meine Gute!“ zu begrüßen. Die Besuche ähnelten sich und immer
hatte Frau H. einen großen Gesprächsbedarf. Außer einer Nichte, die regelmäßig
für sie einkaufte und ihre Wohnung sauber hielt, hatte sie keine Verwandtschaft.
Sie sprach mit mir über die Krankheit und ihre alltäglichen Sorgen, über viele
gute und belastende Ereignisse ihres Lebens. Manchmal hatte ich den Eindruck,
als würde sie vor ihrem Leben wie vor einem großen Wäscheschrank stehen, aus
dem sie den Inhalt Stück für Stück sorgsam herausnahm und betrachtete, um es
dann endgültig wieder zurückzulegen.
Wichtig war ich für sie
als lebendiges Gegenüber, und ich hörte ihren Erzählungen interessiert zu.
Nach ein bis zwei Stunden sagte sie meist: „Ach, haben wir heute wieder schön
erzählt!“, und ich wusste, dass sie für heute genug geredet hatte. Über
kleine Aufmerksamkeiten wie eine Urlaubskarte freute sie sich riesig und zeigte
sie jeder Schwester vom Pflegedienst.
Ihre Kräfte schwanden
und in der letzten Woche konnte sie das Bett nicht mehr verlassen. An einem
Februartag starb Frau H. ganz ruhig im Beisein ihrer Nichte, die mich
informierte und mit der ich nach der Beerdigung noch ein längeres Gespräch
führte.
Im Nachhinein weiß ich,
dass mir in der sechsmonatigen Beziehung zu Frau H. besonders gut getan hat,
dass sie sich auf mich freute, mich gern hatte und mir das auch mit großer
Herzlichkeit zeigte. Ich habe von ihr gelernt, dass Loslassen notwendig und
lernbar ist.
Und manchmal, wenn ich
an der Straße vorbeifahre, in der sie wohnte, erinnere ich mich an sie und
schicke ihr einen guten Gedanken …“
(Aus dem Bericht einer
Hospizhelferin)
„Wird jemand bei mir sein, wenn ich sterbe?“ Diese Frage können wir von
vielen Menschen hören, die an ihr Lebensende denken und ihre Angst, allein
und einsam sterben zu müssen, so ausdrücken. Einige Antworten gibt die in
Deutschland noch junge Hospizbewegung, die Menschen in ihrer letzten
Lebensphase Begleitung anbietet.
Unter Sterbebegleitung
versteht man alle Formen der mitmenschlichen, pflegerischen und
seelsorgerlichen Zuwendung zum Sterbenden, die keinen direkten Einfluss auf
den biologischen Sterbeprozess nehmen.
10.1. Hospizarbeit
Der Begriff Hospiz kommt aus dem Lateinischen und heißt soviel wie
Herberge oder Raststätte. Hospize waren den Menschen früher bekannt als
Zufluchtsstätten für Reisende, Pilger und Kranke. Ordensgemeinschaften kümmerten
sich um die Bedürftigen. Im Mittelalter gab es allein in Paris über 40 Hospize,
später entstanden daraus die „Hospitäler“.
Die in der Vormoderne übliche Großfamilie gibt es heute bei uns kaum
noch. Die Menschen leben in Kleinfamilien mit höchstens zwei Generationen
oder als Singles. Das verringert die Möglichkeiten der Familien, Kranke und
Sterbende zu Hause zu pflegen und auch selbst mit diesem Geschehen in Berührung
zu kommen. Menschen sterben nicht mehr zu Hause. Die Gesellschaft hat den
Umgang mit Sterbenden verlernt. Die Pflege todkranker Menschen wird Institutionen
und professionellen Helfern übertragen.
Ende der 50er
Jahre gab es ein neues Nachdenken über die Bedingungen, unter denen Menschen
sterben. Der Begriff „Hospiz“ erhielt in diesem Zusammenhang eine neue
Bedeutung: ein Haus, in dem Sterbende Aufnahme finden, Pflege und menschlichen
Beistand erhalten.
„Sie sind wichtig, weil Sie eben Sie sind.
Sie sind bis zum letzten Augenblick
Ihres Lebens wichtig,
und wir werden alles tun,
damit Sie nicht nur in Frieden sterben,
sondern auch bis zuletzt leben können.“
(Cicely Saunders)
Besonders zwei
Frauen haben sich für die Bedürfnisse Sterbender eingesetzt und wichtige
Veränderungen eingeleitet. Das war zum einen Cicely Saunders, die jetzt hoch
betagt in London lebt und als Krankenschwester, Sozialarbeiterin und Ärztin
arbeitete (sie wurde für ihr hospizliches Engagement von Königin Elisabeth
geadelt). Cicely Saunders erkannte die große Bedeutung der Schmerztherapie
und der menschlichen Zuwendung für Sterbende und eröffnete 1967 das erste
Hospiz in London. In diesem Hospiz stehen auch heute noch neben sorgfältiger
Pflege, medizinischer Betreuung und Symptomlinderung, die mitmenschliche
Begleitung und der Respekt für die Wünsche und Bedürfnisse der sterbenden
Menschen im Mittelpunkt. Inzwischen gibt es in Großbritannien weit über 200 stationäre
Hospize.
Zum anderen erkannte die Schweizer Ärztin Elisabeth Kübler-Ross, die in den USA in verschiedenen
Krankenhäusern arbeitete, dass die Pflege und Begleitung Sterbender nicht
ausreichend war. Sie nahm sich Zeit für Gespräche mit vielen todkranken
Patientinnen und Patienten und schrieb ihre Erkenntnisse über spezifische
Verhaltensweisen und Bedürfnisse Sterbender nieder. Durch ihre bahnbrechenden
Veröffentlichungen (z.B. „Interviews mit Sterbenden“, 1971) erreichte sie
weltweit eine große Anzahl Menschen und brachte das Thema Sterben und Tod in
die öffentliche Diskussion. Sie gründete Hospize in den USA und initiierte und
begleitete Workshops für todkranke Menschen.
Die Initiative dieser beiden Frauen löste in vielen Ländern ein neues
Nachdenken über die Möglichkeiten würdevollen Sterbens aus und die Begleitung
Sterbender als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe gelangte nun stärker in
das öffentliche Bewusstsein.
Es
gehört zu den Grundbedingungen menschlichen Lebens, einander in den
Grenzsituationen beizustehen. So wie ein Neugeborenes mit großer Sorgfalt in
das Leben begleitet wird, sollen auch sterbende Menschen auf ihrem letzten Weg
Zuwendung und menschliche Nähe erfahren dürfen.
Sterbebegleitung ist keine Aufgabe für hoch spezialisierte Fachleute.
Jeder aufmerksame Mitmensch kann Sterbenden Trost geben und das Gefühl
vermitteln, in dieser Situation nicht allein gelassen zu sein.
Sterbebegleitung hilft Sterbenden, ihre letzte Lebenszeit als lebenswert
zu empfinden. Kranke können Bedürfnisse, Wünsche, Erwartungen, aber auch
Hoffnungen, Ängste und Wut aussprechen und so Entlastung finden.
Die neu entstandene, vertrauensvolle Beziehung zwischen Begleiterin und
Kranken kann den Rahmen und auch den notwendigen Rückhalt geben, „unerledigte“
Dinge anzusprechen und eine eigene Lebensbilanz zu ziehen.
Begleiterinnen sind Gebende und Empfangende. Sie bieten Sterbenden ihre Zeit, Aufmerksamkeit und Zuwendung an. Sie schaffen die Voraussetzungen für eine vertrauensvolle, wertschätzende und akzeptierende Atmosphäre und ermöglichen Gespräche und Begegnung. Begleiterinnen erleben diesen Dienst oft als große Herausforderung und sie kommen mit den eigenen Grenzen, Angst und Ohnmacht in Berührung. Sie spüren und begreifen, dass auch ihr Leben einmal enden wird. In diesem Prozess lernen sie einen neuen, bewussteren Umgang mit Verlusten, Tod und Trauer und werden sensibler für die Probleme und Sorgen anderer.
Hospize bejahen das Leben. Hospize machen es sich zur Aufgabe, Menschen in der
letzten Phase einer unheilbaren Krankheit zu unterstützen und zu pflegen, damit
sie in dieser Zeit so bewusst und zufrieden wie möglich leben können. Hospize
wollen den Tod weder beschleunigen noch hinauszögern. Hospize leben aus der Hoffnung und Überzeugung,
dass sich Patienten und ihre Familien so weit geistig und spirituell auf den
Tod vorbereiten können, dass sie bereit sind, ihn anzunehmen. Voraussetzung
dafür ist, dass eine angemessene Pflege gewährleistet ist und es gelingt,
eine Gemeinschaft von Menschen zu bilden, die sich ihrer Bedürfnisse
verständnisvoll annimmt.
(Hospiz-Definition der Nationalen
Hospiz-Organisation der USA)
Die Hospizbewegung hat es sich zum Ziel gesetzt, menschenwürdiges Sterben
zu ermöglichen und sterbenden Menschen die Chance zu geben, ihre letzte Lebenszeit
zu Hause in ihrer gewohnten Umgebung verbringen zu können. Die Angehörigen
sollen so viel wie möglich Unterstützung und Ermutigung dafür erhalten, ihre
Kranken zu Hause zu betreuen.
Es gibt drei Formen von Hospizarbeit: ambulante Hospizdienste, stationäre
Hospize und Tageshospize.
10.1.1. Ambulanter Hospizdienst
Der ambulante Hospizdienst ist die Basis der Hospizarbeit. Ehrenamtliche
Mitarbeiterinnen unter der Leitung einer hauptamtlichen Koordinatorin
begleiten sterbende Menschen dort, wo sie sich wohl fühlen, geachtet werden
und nicht zuletzt auch Einfluss auf die Gestaltung und die Qualität ihrer
letzten Lebenszeit haben: in ihrem häuslichen Umfeld. Die Hospizhelferinnen
stellen eine vertrauensvolle Beziehung zu den Sterbenden und ihren Angehörigen
her und stehen für Gespräche zu Verfügung.
Was leisten die ehrenamtlichen Helferinnen des
ambulanten Hospizdienstes?
·
Zuhören,
Zeit haben, das Geschehen aushalten
·
Anbieten
kleiner Hilfen für die Kranken: gemeinsamer Spaziergang (oder mit dem Rollstuhl
ausfahren), vorlesen, spielen, singen, vielleicht ein gewünschter Theater-
oder Kinobesuch, aber auch spirituelle Begleitung, z.B. ein gemeinsamer
Gottesdienstbesuch
·
Entlastung
für pflegende Angehörige
·
Unterstützung
der Kranken beim Wahrnehmen ihrer Freiheit und Selbstbestimmung
·
Respektieren
der ethischen, religiösen oder politischen Weltanschauung Sterbender und ihrer
Familien
·
Wahren
der Schweigepflicht gegenüber allen Belangen und Daten der Familien
·
Begleitung
Sterbender in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen
·
weiterführende
Begleitung der trauernden Angehörigen
Die
hauptamtliche Koordinatorin ist verantwortlich für:
·
Öffentlichkeitsarbeit und Gewinnung von
Ehrenamtlichen
·
Konzeption, Planung und Durchführung
der Vorbereitungs- und Fortbildungskurse für Ehrenamtliche
·
Aufbau von Hospizgruppen vor Ort, Vernetzung mit Einrichtungen in der
Region
·
Erstkontakte mit Sterbenden und Angehörigen
·
Koordination der Einsätze und Organisation der Arbeit
·
Hospizbüro mit festen Öffnungszeiten
·
Beratung und Begleitung der
Helferinnen (Einzelgespräche, Gruppenabende)
Du frierst
und viele werden sagen
es ist nicht kalt
Du hast Angst
und viele werden sagen
hab nur Mut
Du bist allein
und viele werden sagen
Jetzt keine Zeit
Doch manchmal
ist da jemand,
der sagt
Nimm meinen Mantel
und meine Hand
und lass mich dich
ein Stück begleiten –
jetzt
(Angela Sattler)
Erweiterte Formen ambulanter Hospizarbeit (aufbauend auf dem ambulanten Hospizdienst):
·
Ambulanter Hospiz- und Palliativ- Beratungsdienst:
Zusätzliches Angebot: Beratung zu pallativ-pflegerischen
Maßnahmen in enger Zusammenarbeit mit
ÄrztInnen und Pflegediensten (seit 2007: Spezialisierte
Ambulante Palliativ-Versorgungs-Teams (SAPV))
·
Ambulanter Hospiz- und Palliativ- Pflegedienst:
Zusätzliche Angebote: palliativ-pflegerische Versorgung
in enger Zusammenarbeit mit ÄrztInnen
und Pflegediensten, Grundpflege bei Bedarf, auf Wunsch
auch Anleitung von Angehörigen bei palliativ-
pflegerischen Maßnahmen
Der ambulante Hospizdienst mit dem Angebot der psychosozialen Gesprächsbegleitung
stellt eine Ergänzung, aber keine Konkurrenz zur Arbeit von Pflegediensten
dar.
Betroffene nehmen das Angebot
einer hospizlichen „Sterbebegleitung“ manchmal mit Angst und Distanz
auf. In der Öffentlichkeit sollte deutlicher betont werden, dass hier Lebens-Hilfe
in einer schwierigen Krisensituation angeboten wird.
10.1.2. Stationäres Hospiz
Im
stationären Hospiz finden sterbende Menschen Aufnahme, für die eine häusliche
Versorgung nicht möglich ist. Neben der Schmerztherapie und Linderung der
Symptome werden die Sterbenden auch psychisch betreut und bis zu ihrem Lebensende
gepflegt.
Die Prinzipien
der Arbeit von stationären Hospizen können so zusammengefasst werden (nach
Zulehner/ Becker 1981):
·
Raststätte sein
keine verbindliche Endstation; zeitlich begrenzter
Aufenthalt zwischen Klinik und Zuhause;
Sterbeort für Alleinstehende
·
Teamarbeit
Interdisziplinäres Team:
Zusammenarbeit von Pflegepersonal, Ärzten, Sozialarbeiterinnen, Seelsorgern
·
Pflege und medizinische Versorgung
Verzicht auf Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die
nicht (mehr) den Lebensinteressen des
Patienten entsprechen;
Konzentration auf Maßnahmen zur Linderung von Beschwerden;
bestmögliche Schmerztherapie
·
Einbeziehen der Familie und von freiwilligen Helferinnen
(dabei auch Begleitung der Begleiterinnen sichern)
·
Ziel ist die Betreuung zu Hause
Unterbringung in
vertrauter Umgebung; ambulante Hospizdienste und Pflegedienste vor Ort
einbeziehen;
Begleitung der Familie über den Tod hinaus
In diesen Grundsätzen wird deutlich, dass auch im stationären Hospiz das
Ziel weiter verfolgt wird, Sterben zu Hause zu ermöglichen. Die Erfahrungen in
Großbritannien belegen dies: 1967 starben nur 2% der zunächst im Hospiz aufgenommenen
Menschen nach ihrer Rückverlegung zu Hause, 1990 waren es schon über 40%
(Internationale Gesellschaft für Sterbebeistand und Lebensbegeleitung IGSL:
Hospize - Raststätten auf dem Wege).
Zu Recht wird von den Kirchen
festgestellt („Sterbebegleitung statt aktiver Sterbehilfe“, 2003): „Ein
menschenwürdiges Sterben ist an jedem Ort möglich; nicht nur zu Hause oder in
einem Hospiz. Menschenwürdige Sterbebegleitung ist auch in jedem Krankenhaus
und Pflegeheim möglich. Es kommt auf die Menschen an, die da sind und für den
Sterbenden sorgen.“ Die Realität spricht jedoch oft eine ganz andere Sprache.
In den genannten Einrichtungen fehlen dafür vielfach die objektiven
Voraussetzungen (Personal und Zeit für die notwendige Zuwendung).
10.1.3. Tageshospiz
In stationären Hospizen bestehen Angebote für eine Tagesbetreuung
Sterbender. In diesem Bereich finden Schwerstkranke für ein paar Stunden
täglich Kontakte mit anderen Betroffenen und seelische Unterstützung. Diese
Möglichkeit erweitert ihren Lebenskreis, ist ein guter Weg aus der Isolation
und entlastet auch zeitweise pflegende Angehörige. Über einen Fahrdienst kann
die An- und Abreise geregelt werden.
10.2. Palliativmedizin
Das Wort „palliativ“ kommt aus
dem Lateinischen (palliare) und bedeutet: mit einem Mantel bedecken. Ziel der
Palliativmedizin und Palliativpflege ist es, Menschen mit ihren physischen,
psychischen, sozialen und geistigen Bedürfnissen und Möglichkeiten so zu
unterstützen, dass sie in ihrer momentanen Situation ein Höchstmaß an
Lebensqualität finden. Dabei steht die Linderung von Beschwerden, nicht die
Heilung im Vordergrund.
Cicely Saunders prägte den
Begriff des „totalen Schmerzes“ und machte damit deutlich, dass die
körperlichen Schmerzen untrennbar verbunden sind mit dem Leid, das aus Ängsten
und der Ungewissheit erwächst. Der totale Schmerz todkranker Menschen hat vier
Dimensionen:
·
Der physische Schmerz:
Körperliche Schmerzen können mit Hilfe einer guten Schmerztherapie beseitigt
oder zumindest stark
reduziert werden.
·
Der psychische Schmerz:
Sterbende leiden unter bestehenden Beziehungskonflikten. Da auch viele
Menschen nicht gelernt haben,
über ihre Gefühle zu sprechen, kann dies eine zusätzliche Belastung bedeuten.
Kommunikative Angebote stellen eine Hilfe dar.
·
Der soziale Schmerz:
Die Trennung von den Angehörigen und von dem gewohnten, liebgewordenen
Zuhause verursacht
Schmerzen. Jeder Mensch hat
Sehnsucht nach liebevollen Beziehungen und will Teil einer Gemeinschaft
sein. Sich zuwenden und Zeit haben
helfen in dieser Situation.
·
Der spirituelle Schmerz:
Kranke stellen häufig die Frage nach dem Sinn des Lebens und der Krankheit
und geraten in Gefahr, dass
die Grundfesten einer lebenslangen
Glaubenshaltung erschüttert und damit die allgemeine Unsicherheit und
Hoffnungslosigkeit noch
unerträglicher werden. Hier können seelsorgerische Gesprächsangebote helfen.
Schmerzerleichterung
ist nur möglich, wenn alle Dimensionen Beachtung finden (ganzheitliche
Sichtweise).
Palliativstationen sind meist in ein Krankenhaus
eingebunden. Das Betreuungsteam bestehend aus Ärzten, Schwestern,
Sozialarbeiterinnen und Seelsorgern steht Sterbenden und ihren Angehörigen
ganzheitlich bei. Ziel ist die Linderung belastender Krankheitssymptome wie
Schmerz, Atemnot oder Übelkeit. Auf aggressive Therapieformen (z.B. Einsatz
von Chemotherapie) wird verzichtet.
Die
Angehörigen werden einbezogen und können auf Wunsch auch über Nacht bleiben.
Wird jemand bei mir sein, wenn
ich sterbe?
Sterbebegleitung ist Lebenshilfe in der letzten Lebensphase. Nicht
zuletzt durch die Hospizbewegung entsteht ein neues Bewusstsein dafür, dass
Sterben zum Leben gehört und dass Sterbende lebendige Menschen mit Ängsten,
Bedürfnissen und Erwartungen sind. Sterbebegleitung ist ein
freundschaftlicher, liebevoller und notwendiger Dienst am Menschen, der uns
alle angeht.
11. Ich möchte zu Hause sterben
Betreuung Sterbender in ihrer vertrauten
Umgebung
Der Wunsch, wie Menschen sterben
möchten, und die Wirklichkeit, wie sie sterben (müssen), haben sich in den vergangenen
Jahrzehnten weit auseinander entwickelt.
Laut Umfragen wünschen sich auch
heute noch neun von zehn Mitmenschen, in vertrauter Umgebung sterben zu
dürfen, in den eigenen vier Wänden, begleitet von Angehörigen.
Jedes Jahr sterben in Deutschland
etwa 850000 Menschen. Über die Hälfte aller Todesfälle ereignen sich in Krankenhäusern,
Kliniken, Pflege- und Altenheimen; in manchen Großstädten sind es 90% und mehr.
Es gibt eine Fülle ernst zu
nehmender Gründe, warum für viele Menschen eine Pflege von Angehörigen in häuslicher
Umgebung kaum möglich ist (z.B. Berufstätigkeit, fehlende Unterbringungsmöglichkeiten).
Trotzdem ist es wichtig, den Wunsch Sterbender ernst zu nehmen und zu prüfen,
ob dieser Liebesdienst nicht doch geleistet werden kann.
GEBET
Herr,
ich weiß, dass du mich liebst,
mein Leben wie mein Sterben
liegt in deinen Händen.
Ich glaube, dass alles, was kommt,
in deine Liebe eingeschlossen ist.
Hilf
mir, deinen Willen anzunehmen
und zu verstehen,
hilf mir, täglich bereit zu sein,
wenn du mich rufst.
Lass mich auch im Sterben
in deiner Liebe geborgen bleiben.
Ich hoffe auf dich:
Du wendest alles zum Guten.
Herr, dein Wille geschehe.
(Evangelisches
Gesangbuch,
Ausgabe Sachsen, Nr. 943)
Österreich war das erste Land in
Europa, in dem Arbeitnehmer das Recht haben, ihre Arbeitszeit zu verkürzen oder
sich freistellen zu lassen, wenn sie Sterbebegleitung leisten wollen; sie
sind in dieser Zeit sozialversichert und vor Kündigung geschützt. Auch in
Frankreich wurde eine Regelung getroffen, nach der Angehörige einen rechtlichen
Anspruch auf eine dreimonatige Freistellung zur Pflege von sterbenden
Verwandten haben.
Mit Wirkung
zum 1. April 2007 hat der deutsche Gesetzgeber als individuellen
Leistungsanspruch die „Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung“ (SAPV) in
das Sozialgesetzbuch V aufgenommen. Seitdem hat jeder Versicherte in
Deutschland das Recht auf diese neue Versorgungsform. Sie hat zum Ziel, auch
solchen Patientinnen und Patienten eine Versorgung und Betreuung zu Hause zu
ermöglichen, die einen besonders aufwändigen Betreuungsbedarf haben. (http://www.dhpv.de/themen_sapv.html)
Die
sogenannten SAPV-Teams können den sehnlichsten Wunsch vieler Schwerstkranker
erfüllen: in den eigenen vier Wänden zu sterben. Die Krankenkasse zahlt. Dafür
organisieren die SAPV-Teams Rollstühle, Liegehilfen, Krankenbetten oder
Pflegerinnen und Physiotherapeuten. Sie geizen nicht mit Morphin gegen
Schmerzen oder Atemnot, sie verabreichen Neuroleptika, wenn die Patienten
delirieren. Die Mitarbeiter der Mobilteams verfassen für ihre Patienten Briefe
an Krankenkassen oder besorgen noch einmal eine Karte für ein
Champions-League-Spiel des FC Bayern München. Was sonst Wochen dauert, geht
hier oft in Stunden. Alle wissen: Wer schwerstkrank ist, hat keine Zeit mehr.
In Deutschland arbeiten bereits mehr als 200 SAPV-Teams. Sie sind eine Art
Hospiz auf Rädern mit 24-Stunden-Rufbereitschaft. (Der Spiegel 22-2012
S.110ff.)
Im
Folgenden sind einige Hinweise für die Vorbereitung auf eine Verlegung des
Patienten nach Hause zusammengestellt.
11.1. Praktische Hinweise vor der Verlegung des
Patienten nach Hause
11.1.1. Kontaktaufnahme mit folgenden Stellen oder
Personen:
·
Klinikarzt (Weitergabe aller Informationen an den
Hausarzt, Vorbereitung der Entlassung)
·
Sozialdienst des Krankenhauses (Auskunft und Beratung
über Hilfen)
·
Sozialstation/Pflegedienst (Beratung und
Unterstützung in der Pflege)
·
Hausarzt (sollte die Entscheidung, den sterbenden Menschen
zu Hause zu pflegen, mittragen und zu regelmäßigen Hausbesuchen bereit sein)
·
Pflegekasse bei der Krankenkasse (Pflegeleistungen
beantragen)
·
ambulanter Hospizdienst
11.1.2. Vorbereitung des häuslichen Umfeldes
·
Wie weit ist das Badezimmer entfernt?
·
Möchte der Sterbende allein sein, oder ist ein Platz
im Wohnzimmer besser?
·
Wie kann sichergestellt werden, dass der Kranke
gehört wird?
·
Ist genug Platz vorhanden, wenn der Sterbende allein
sein möchte und auch die Pflegenden eine Pause und Abstand benötigen?
·
Kann ein gutes Bett zur Dekubitusprophylaxe zur
Verfügung gestellt werden? (Sozialstation oder Krankenkasse)?
·
Das Bett sollte so stehen, dass Zugang von beiden
Seiten möglich ist (umbetten, drehen, notwendiger Wäschewechsel).
·
Ist genügend Platz für einen Tisch am Bett
vorhanden, auf den die wichtigen Dinge
kommen (Arzneimittel, Pflegemittel, Flaschen, Tücher, Blumen, Bücher)?
11.1.3. Auch daran muss gedacht werden:
·
Toilettenstuhl, Schieber, Urinflasche
·
Papierhandtücher, Zellstoffunterlagen, Windeln
·
Gummitücher zum Unterlegen beim Waschen oder unter
das Laken
·
mehrere unterschiedlich große Kissen als
Lagerungshilfsmittel
·
Nachthemden und Schlafanzüge, die sich leicht
anziehen lassen
·
Wärmflaschen oder Körnerkissen (für Füße und zur
Schmerzlinderung)
·
notwendige Medikamente, besonders Schmerzmedikamente (der
Krankenhausarzt stellt keine Rezepte aus, deshalb rechtzeitig Kontakt zum
Hausarzt aufnehmen)
·
Watte, Fieberthermometer
·
Klapptisch für Mahlzeiten im Bett, sowie
Schnabeltasse
·
Persönliches wie Bilder und Bücher
·
Gegenstände zur Unterhaltung wie Radio, Fernseher
·
bequeme Sitzgelegenheit für Besucher
11.1.4. Finanzielle Absicherung
·
Beratung: Sozialdienst im Krankenhaus, Krankenkasse
bzw. Pflegekasse, Sozialamt (Sozialdienst „Hilfe zur Pflege"),
Sozialstationen/Pflegedienste
·
Antrag auf Pflegestufe stellen (Begutachtung dauert
etwa 2 bis 3 Monate; Anspruch auf Pflegesachleistungen oder Pflegegeld für
die Angehörigen oder eine Kombination zwischen Sach- und Geldleistung)
·
außerdem besteht Anspruch auf Kurzzeitpflege, Pflegevertretung,
Pflegehilfsmittel
·
Kosten für hauswirtschaftliche Hilfe werden bei
Vorliegen bestimmter Voraussetzungen von der gesetzlichen Krankenkasse
übernommen
·
in jedem Fall ist Beratung und Information wichtig
11.2.1. Körperpflege:
·
wird von den Schwestern der Pflegestation
durchgeführt
·
bei starkem Schwitzen, Schmerzen, Einschlafproblemen,
Unruhe hilft eine beruhigende Körperwäsche (Wasser 37 bis 40 Grad Celsius,
in Haarwuchsrichtung waschen, nicht rubbeln!)
·
ein warmes Fußbad wirkt auch beruhigend
·
Hautpflege mit Lotion bedeutet gleichzeitig
Körperkontakt durch behutsames Einmassieren (nicht vor dem Schlafen, da
kreislaufanregende Wirkung), dabei beachten, dass dies auch eine (aus)kühlende
Wirkung haben kann
·
Fußmassage mit Öl (Calendulaöl)
11.2.2. Verstopfung
·
tritt auf durch ballaststoffarme Ernährung, geringe
Trinkmenge, krankheitsbedingt (z. B. durch wachsenden Tumor)
·
Bei bestimmten Medikamenten (z. B.
Morphiumpräparaten) tritt Verstopfung als eine Nebenwirkung auf. Hier ist die
gleichzeitige und kontinuierliche Gabe von Abführmitteln wichtig und zu
beachten.
·
Stuhlgang ist wichtig, auch wenn nur wenig gegessen
wird (möglichst aller 2-3 Tage)
·
natürliche Mittel zur Anregung: Leinsamen,
Buttermilch, Backpflaumen
11.2.3. Mundpflege
·
muss besonders beachtet werden bei geringer Nahrungs-
und Flüssigkeitsaufnahme und bei Tumoren im Hals- und Kopfbereich
·
Mund ausspülen vor und nach den Mahlzeiten,
Zahnpflege nicht vergessen
·
Kamillentee wirkt entzündungshemmend, Salbeitee als
Vorsorge für Pilzbefall (Soor)
·
Säfte oder auch Kaffee, Bier, Sekt, Wein oder Cola in
kleinen Portionen einfrieren (z.B. in leerer Pralinenpalette möglich) und je
nach Appetit anbieten; diese kleinen Eiswürfel regen den Speichelfluss an und
erfrischen
·
Rosenhonig: bildet einen Schutzmantel im Mund und hat
außerdem einen angenehmen Geschmack
·
Mundsprays gegen Mundtrockenheit
·
Massage der Ohrspeicheldrüse: Einen Finger vor dem
Ohr und einen zweiten unter dem Ohrläppchen auflegen. Die Drüse in Richtung
Mundwinkel ausstreichen
·
fettende Salben für die Lippen
11.2.4.
Nahrungsaufnahme
·
Sterbende Menschen sollten nicht gegen ihren Willen
zur Nahrungsaufnahme überredet oder
gezwungen werden (Schluckbeschwerden, Appetitlosigkeit, Übelkeit)
·
evtl. Trinknahrung anbieten mit Vitaminen und
Spurenelementen (Apotheke berät)
·
Sondenernährung ist auch
zu Hause nach Anleitung durchführbar
11.3. Eintritt des Todes
Mit dem
Tod beendet der Mensch seinen unverwechselbaren persönlichen Lebensweg.
Zeichen
des nahenden Todes können sein:
·
Puls:
unregelmäßig, schwach und schnell
·
Körpertemperatur: sinkt allgemein, Arme und Beine
werden kälter - Wärmflasche, Socken
·
Auftreten von starkem Schwitzen: statt dicker Zudecke
ein Bettlaken verwenden
·
Atmung: häufig unregelmäßig, lange und kurze Atemzüge,
längere Pausen dazwischen – Lagerung mit erhöhtem Oberkörper erleichtert
Atmung
·
Atemgeräusche: Rasseln, das hervorgerufen wird durch
Schleimabsonderungen im Rachen und den Bronchien, wirkt auf Angehörige
beklemmend und beunruhigend, ist aber kein Zeichen für Erstickung.
·
unangenehmer Geruch: Duftlampen oder Räucherstäbchen
schwächen ihn ab.
·
Körper: wird bewegungslos und kühlt ab.
·
Augen: werden blicklos und die Pupillen verengen sich
nicht mehr.
·
Haut: nimmt eine wächserne, grau-weißliche bis
gelbliche Färbung an („Totenblässe“).
·
Das Herz steht still und die Atmung hört auf.
Der
Arzt stellt den Tod fest, wenn sich Leichenstarre und Totenflecken zeigen und
stellt dann den Totenschein aus. Dies kann auch erst am nächsten Tag geschehen.
Auch
muss der Verstorbene nicht sofort vom Bestattungsinstitut geholt werden. Es ist
möglich und zulässig, den Verstorbenen bis zu 36 Stunden zu Hause zu behalten,
zu waschen, zu kleiden (vielleicht in ein besonders gemochtes Kleidungsstück)
und aufzubahren. So kann die Familie sich gemeinsam verabschieden und auch
weiter entfernt lebende Angehörige haben die Möglichkeit, dabei zu sein.
STERBESEGEN
Es
segne dich Gott, der Vater,
der
dich nach seinem Bild geschaffen hat.
Es
segne dich Gott, der Sohn,
der
dich durch sein Leben und Sterben erlöst hat.
Es
segne dich Gott, der Heilige Geist,
der
dich zum Leben gerufen und geheiligt hat.
Gott
der Vater und der Sohn und der Heilige Geist
geleite
dich durch das Dunkel des Todes.
Er
sei dir gnädig im Gericht
und
gebe dir Frieden und ewiges Licht.
(Evangelisches Gesangbuch,
Ausgabe Sachsen, Nr. 949)
Sterben ist in den meisten Fällen
nicht einfach – wir sollten uns da kein falsches, ideales Bild machen. Gewiss
gibt es das, dass ein Sterbender alt und lebenssatt von seinen Angehörigen in
einem großen inneren Frieden Abschied nehmen kann. Das ist wie ein gemeinsames
Einwilligen in den Tod. Auch das kann geschenkt sein, dass jemand im hohen,
gesegneten Alter ohne Anzeichen von Schwäche und Krankheit einfach für immer
einschläft.
„Wenn man
gelebt hat, kann man auch sterben“ sagt eine Patientin ungefragt zu mir. Ich bin überrascht und sage: „Können
sie den Satz noch einmal wiederholen? Das klingt so gut.“ Überraschend sagt
sie in der Ich-Form: „Ich denke, ich habe gelebt, so kann ich auch sterben“ Wie
gut, wenn es so ist.
Doch oft ist der Weg, der dabei zu
gehen ist, lang und schwer. Sich der eigenen Sterblichkeit plötzlich bewusst
werden zu müssen und das vielleicht früher und unausweichlicher als gewünscht,
ist hart. Wie ist dazu ein Ja zu finden? Wie geht das: getrost sterben? Und wie
können wir auf diesem Weg Menschen begleiten, Anteil nehmen an ihrem bevorstehenden
Sterben? Wie lässt sich darüber sprechen?
Manchmal ist das Schweigen lang. Ich kenne die
ängstliche Ungeduld: Der Kranke müsste doch selbst anfangen, davon zu
sprechen, oder wartet er darauf, dass ich das erste Wort finde? Doch ich habe
auch Angst vor dem Tod ...
Es sind immer die Betroffenen, die
entscheiden, ob über ihr bevorstehendes Sterben gesprochen wird oder nicht.
Ich darf niemanden nötigen, auch in der lautersten Absicht nicht, über sein
Sterben sprechen zu müssen, auch nicht die nächsten Angehörigen. Die Sterbenden
werden uns Anteil geben, wenn sie es können und möchten. Oft geschieht das in
ganz einfachen, natürlichen Sätzen, wenn
Vertrauen gewachsen ist. Es können Sätze eines Patienten wie diese
sein: „Meine Frau sagte heute: Unser Sohn hat gesagt, wenn es soweit ist, wird
der Vater zu Hause sein.“ Dabei laufen Tränen über sein Gesicht. Er kann
zunächst nicht weiter sprechen. Das ist die Trauer des Abschiednehmens. Jetzt
wird das klarer und konkreter für ihn. Und er gibt mir Anteil: „Es wird einen
Ort geben und Menschen, die um mich sind.“ Das ist tröstlich: einen Ort des
Sich-Bergen-Könnens zu haben und Menschen, zu denen es Vertrauen gibt - ein
Halt, der fürs Sterben wichtig ist. Es ist zu spüren, dass der Blick sich
wendet: von der Situation des Bemühens um Heilung, die nun vergangen ist, auf
das Kommende hin, mit dem Schmerz und der Angst des Abschieds. Dabei müssen wir
uns unserer Angst nicht schämen. Das ist der Weg, wie wir uns dem Geheimnis
des Sterbens nähern können. Trauer darf sein und sollte nicht verdrängt
werden. Abschied wird so bewusst gelebt. Das kann schmerzhaft sein. So können
wir langsam loslassen, Abschied nehmen, bewusst und behutsam, miteinander
Vergewisserung suchen und Trost. Es muss nicht bleierne Hilflosigkeit sein und
lähmende Sprachlosigkeit. Hilfreich ist, wenn unter Ehepartnern, in Familien
über den bevorstehenden Tod offen gesprochen werden kann. Alle vorweggenommene
Trauer, die ein Kranker auf dem Weg des Sterbens auch anderen Menschen
ermöglicht, muss nicht hinterher geleistet werden.
Es sind für einen Patienten die Wochen, in denen die Chemotherapie zu
Ende geht. „Das wird die letzte sein. Was das heißt? Ja, wenn dann nichts mehr
sein kann, werde ich´s halten wie Ernst Bloch.“ Er schaut mich dabei nachsinnend
und mit einem leichten Lächeln an. Ich bin überrascht und verblüfft: „Das
heißt, mit Erwartungen zu sterben.“ Er erinnert an einen Gottesdienst in der Klinik, der ein halbes Jahr
zurückliegt. Ich hatte über den Vers aus der Offenbarung gepredigt: „Wer
überwindet, der soll mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen
Namen nicht austilgen aus dem Buch des Lebens und ich will seinen Namen
bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln“. Dabei hatte ich den
90-jährigen Philosophen Bloch zitiert, der bei einem Frühstück im Freien gesagt
hatte, er sei nur noch neugierig auf das Sterben. Da habe er noch Erwartungen.
Nun berührt mich die Erinnerung daran und die Behutsamkeit, mit der das
Thema seines eigenen Sterbens so Sprache fand. Das Tröstliche findet sich
„zwischen uns“ vor, in der gewachsenen Nähe. Es wird nur behutsam berührt. Ich
lese an diesem Tag noch die Losung, so wie wir es immer tun: „Verwirf mich
nicht in meinem Alter, verlass mich nicht, wenn ich schwach werde (Ps. 71,9).
Der Patient sagt: „Passender kann´s für heute nicht sein, es ist wie meine
eigene Bitte.“
Bei Jürgen Ziemer (Seelsorgelehre,
294f.) lese ich treffend die Sätze: „Trösten geschieht durch Nahesein. Wer
trösten will, macht sich auf, mit einem Menschen zu suchen, was zu tragen vermag.
Trost kann nicht allgemein ausgesprochen werden in Form der Austeilung von
`Trostworten´ o.ä. Trost muss `persönlichkeitsspezifisch´ vermittelt werden
- also immer im Bezug zu dem, was ein Sterbender als seinen Glauben und seine
Hoffnung mitbringt. Von da ausgehend kann in der Seelsorge versucht werden,
den Horizont zu öffnen für die `lebendige Hoffnung durch die Auferstehung
Jesu Christi´ (1. Petr. 1,3), die sich auf das richtet, was bleibt: die Liebe
Gottes zu uns, von der uns nichts, auch nicht der Tod zu scheiden vermag (Röm.
8,39).“
Nicht jedem ist es geschenkt, den
Weg so bewusst zu gehen. Vier Wochen waren es noch bis zum Sterben dieses
Patienten.
Auf dem Weg des Sterbens geht es
oft auch noch einmal durch große Unruhe, Ohnmacht und Ratlosigkeit. Der verzweifelte
Wunsch nach Leben und die bedrängende Wirklichkeit des körperlichen Verfalls
sind manchmal nur noch passiv zu erdulden. Und für den Begleiter gilt es,
sprachlos die Not mit aushalten und solidarisch bei dem Sterbenden zu bleiben.
Das ist nie leicht, daran kann man
scheitern.
Ich habe
den Weg einer 55-jährigen Patientin vor Augen. Sie war vor Jahren an Brustkrebs
erkrankt und operiert worden. Später hatte sie mehrere Zyklen einer
Chemotherapie durchlaufen mit der großen Hoffnung, geheilt zu sein. Dann kam es
zu einem Rückfall der überstandenen Krankheit. Es begann ein schwerer Weg,
wieder mit einer Chemotherapie, bald mit einem merklichen Nachlassen der
Kräfte, wogegen sie sich wehrte. Sie hoffte immer noch auf den Erfolg der Therapie.
Es ging ihr elend, als ich sie besuchte. Sie sagte: „An einem Gespräch habe ich
kein Interesse, beten könnten Sie mit mir! Ja, beten.“ So massiv hatte ich die
Aufforderung bisher nie gehört: Gemeinsam zu beten, weil man es selbst seit
Wochen kaum noch allein kann, die Einsamkeit zu groß ist. Die innere
Gemeinschaft zu halten, ist wohl das Wichtigste, was wir uns schuldig sind, um
getrostes Sterben zu ermöglichen, den anderen nicht allein durch die Angst und
Sprachlosigkeit gehen zu lassen. Der Versuch, gemeinsam betend in überlieferter
Sprache sich zu bergen und für sich neu zu buchstabieren, was das heißen kann:
„Meine Zeit steht in deinen Händen .“
Da war
immer noch verzweifelte Hoffnung. Bei der nächsten Visite hielt sie mich zurück
und sprach mich klar an. „Die Metastasen sind es, die mich zu schwach machen.
Jetzt weiß ich das. Nun will ich sterben. Ich möchte gern, dass wir noch
miteinander das Abendmahl feiern. Geht das? Und dann möchte ich Sie bitten,
meine Beerdigung zu übernehmen.“
Wir haben
zusammen das Abendmahl gefeiert, der Ehemann und die erwachsenen Kinder waren
dabei. Wir haben gesungen: „Auf meinen lieben Gott trau ich in Angst und Not.“
Das war tröstlich, so miteinander zu singen. Den Psalm 23 haben wir gebetet,
Brot und Wein geteilt. „Christi Leib für dich gegeben - das stärke und bewahre
dich im Glauben zum ewigen Leben.“ Zum Abschluss sangen wir ein Lied aus Taizé:
„Laudate omnes gentes“. Die Frau sagte: „Das erinnert mich an meinen Konfirmationsspruch:
Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“
Wir dachten noch einmal an das, was gut gewesen ist in ihrem Leben: Die erste
Begegnung, das Kennenlernen, die vielen gemeinsamen Ehejahre, die Geburt der Kinder,
Bewahrung in Krankheit ... Die Frau meinte: „Ich habe in meinem Leben immer
Glück gehabt, nur jetzt eben Pech.“ Ihre Frage, die sie lange begleitet hatte
– „Warum lässt mich Gott so leiden?“ - war der Dankbarkeit gewichen. Noch
einmal im Rückblick das Leben ergreifen, das eigene Leben – gemeinsam mit
der Familie - auf Sinngehalt und Sinnzusammenhänge überschauen, ist heilsam,
um mit dem Leben und dem Sterben Frieden zu machen. Das hat sie getröstet. Zum
Schluss sagte sie: „Danke, dass wir das heute so miteinander gefeiert haben und
ich noch so bei Klarheit bin.“
Das war an einem Dienstag. Am
Donnerstag war die Sterbende noch bei Bewusstsein. Sie bat uns: „Betet mit
mir, dass ich nicht so viel leiden muss und mich quälen muss, dass mir Gott das
Leben schenkt in Ewigkeit.“ Das haben wir zusammen getan. Dann kam die
Bewusstlosigkeit, das Sitzen am Bett, das Lesen von Psalmgebeten, und dann kam
der Tod, der Abschied, das Sterbegebet und der Sterbesegen.
Sterben ist etwas Tiefes, Großes.
Und wir begreifen etwas vom Geheimnis des Lebens und des Sterbens.
„Auferstehung“, als Trost in Worte
gefasst, kommt in der Sterbebegleitung im Krankenhaus nur als Ausnahme vor. Der
Sterbende ist zunächst noch stark mit Vergangenem und Gegenwärtigem beschäftigt.
Wenn das abgeschlossen ist, wendet sich sein Blick. Der Bergsteiger Reinhold
Messner sagt: „In der Nähe des Todes fällt die Angst ab.“ Da wird der Sterbende
frei: „Bete mit mir, dass ich Anteil habe am ewigen Leben.“ In diesem Moment
ändert sich die Blickrichtung. Darauf ist wach zu warten und Schmerz und
Trauer, die noch bewältigt werden müssen, dürfen nicht vorschnell weggeschoben
werden. Eine Freundin sagte auf ihrem Weg des Sterbens: „Das ist der saure Weg,
ja, der saure Weg. Nein, da ist nicht Vorfreude. Das kann ich nicht sagen. Ja,
ich wurde gefragt, ob ich mich nicht auch freue? Nein, das kann ich nicht
sagen. Wie naiv haben wir in der Kindheit gesungen: `Eia wär´n wir da´ ...
nein, von Freude kann ich nichts sagen.“
Auf dem „sauren Weg“ sind Angst
und Trauer mit dem Ratsuchenden durchzustehen, das noch nicht Begreifbare gilt
es auszuhalten. Gabriele Wohmanns seelsorgerliche Erfahrung in der
Sterbebegleitung ihrer Schwester kann ich
gut nachvollziehen: „Kann ich bei jemandem, der stirbt und den ich liebe,
Vorfreude auf den Tod wecken? Es ist unerlaubt und indiskret. Nur mir selber
darf ich den Tod wünschen. Jeder für sich allein muss sich täglich bemühen,
auf das unvorstellbar Schöne, auf die Freiheit von allen erdschweren
Bagatellen, die Erlösung aus der Absurdität des Lebens begierig zu sein: dann
endlich dort, jenseits der Todesschwelle. Wenn alle Tränen abgewischt sind
...“ (Zeitzeichen 11/2002, 15).
Die sterbende Freundin erbat sich damals den genauen Text einer Bach-Motette und wir haben ihn dann zusammen buchstabiert: „Komm, Jesu komm, mein Leib ist müde, die Kraft verschwindet je mehr und mehr, ich sehne mich nach deinem Friede, der saure Weg wird mir zu schwer! Komm, komm, ich will mich dir ergeben; du bist der rechte Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Solche Sätze miteinander zu lesen bedeutet dann, gemeinsam zu beten.
Wie geschieht Vergewisserung im
Glauben, wie findet die Hoffnung, die über den Tod hinausreicht, Gestalt? Wo
zerbrochene Hoffnungen und bittere Enttäuschungen noch nah sind, werden wir
dem Tod ins Auge sehen, das kann sein wie ins Nichts zu blicken. Da wird ein
Loch gerissen, das ist nicht mit dem Glauben zu stopfen. Luther sagt in seiner
Karfreitagspredigt 1522 über Jesu Sterben: „Ein fein pur lauter Mensch ist
unser Herr Jesus gewesen; darum hat er auch in des Todes Ängsten so getrauert
und gezagt; denn die Angst ist am größten, wenn einer sieht, dass der Tod
seinen Rachen aufsperret ... Doch das ist ihm vorbehalten, dass er nicht
wahnsinnig geworden ist, nein, seine Vernunft ist ihm lauter, klar und rein
blieben.“ Sterbende sprechen in Bildern, sagen oft: „Da muss ich allein durch,
da kann mir keiner helfen.“ Da geht es hindurch auf dem Weg, den Christus
vorausgegangen ist - wie unser Bekenntnis sagt. Das kann dann sein wie ein
„glaubendes Schauen ins Nichts“ (Dietrich Stollberg). Der Glaube ist es, die
befreiende Macht des Auferstehungsglaubens, der ermöglichen kann, dem Nichts
des Todes – „wenn der Tod seinen Rachen aufreißt“ - ins Auge zu schauen. Wo
wir durch solch eine Situation des Schwachwerdens gehen, sind wir angewiesen
auf andere. Wir brauchen einander auf dem Weg des Sterbens, das geht nicht
allein. Wir brauchen einander, um zu glauben und zu beten und zu hoffen. Da
kann der Glaube auch Sterbensmut geben. Dann dürfen wir hoffen, dass uns
„weder Tod noch Leben, noch Mächte noch Gewalten, weder Hohes noch Tiefes,“
dass NICHTS „uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus
ist“ (Röm. 8,37-39). So kann im Sterben christliche Hoffnung tröstlich Gestalt
finden. In meiner Erfahrung hat Glaube am Sterbebett etwas Behutsames,
Unaufdringliches, auch Bittendes, so wie es ein Osterlied singt: „Tod, Sünd,
Leben und auch Gnad, alls in Händen er hat, er kann erretten alle, die zu ihm
treten. Kyrie eleison“ (Evangelisches Gesangbuch Nr. 102,3).
Gott hat uns auch als Sterbende
„in den Händen“. Wenn der Sterbende durch Verzweiflung und Schmerz hindurch
ist, kann es sein, dass die Trauer über die Todesnähe sich verwandelt: in
Stille und in die Gewissheit, Gott nahe zu sein. Das ist vielleicht das
stärkste Zukunftsbild, wenn wir über den Tod hinaus schauen, dass wir in der
Hand Gottes sind und daraus nicht fallen. In der Begleitung habe ich erfahren,
dass dies für Sterbende das Tröstlichste ist.
Jeder von uns sollte auf die
Situation vorbereitet sein, dass Sterbende oder ihre Angehörigen uns bitten, in
schwerer Zeit bei ihnen zu sein. Dass das Leben eines Menschen zu Ende geht,
macht uns Angst. Wir müssen Abschied nehmen, davor fürchten wir uns. In
unserem Schmerz erinnern wir uns, was gut war im gemeinsamen Leben. Auch das,
was schwer war, ist in unseren Gedanken. Wir können behutsam die Situation mit
eigenen Worten aufgreifen und zur Sprache bringen. Manchmal ist es auch
hilfreich, Worte aus der christlichen Tradition aufzunehmen und allein oder
gemeinsam zu sprechen: Gebete, Psalmworte, Gesangbuchlieder oder die
Formulierung eines Segens.
Geeignete Texte sind z.B. im
Evangelischen Gesangbuch (Ausgabe für Sachsen) abgedruckt: für Situationen „In
Not und Krankheit“ ab Nr. 926 und zum Themenbereich „Im Alter und beim Sterben“
ab Nr. 941. Weitere Vorschläge finden sich in dem Buch „Nicht allein gelassen“
(Eine Handreichung zur Begleitung von schwerkranken und sterbenden Menschen,
Bibelgesellschaft Stuttgart, 1996).
BIBELWORT
Beim Propheten Jesaja lesen wir:
So spricht der Herr, der dich erschaffen hat:
Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst;
ich habe dich bei deinem Namen gerufen;
du bist mein
(Jesaja 43,1)
BIBELWORT
Christus spricht: In der Welt habt ihr Angst;
aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.
(Johannes 16,33b)
PSALMGEBET
Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft;
Denn er ist mein Fels, meine Hilfe, mein Schutz,
dass ich gewiss nicht fallen werde.
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir,
dein Stecken und Stab trösten mich.
(Psalm 62,2-3; Psalm 23,4;
siehe auch: Psalm 73 oder Psalm 121)
GEBET
Herr, unser Gott, lieber Vater im Himmel,
in dieser Stunde suchen wir dein Angesicht;
sei nicht ferne,
denn wir Menschen können nicht mehr helfen.
Du bist unsere einzige Zuflucht und unser Halt.
Steh .................. gnädig bei.
Hilf ihr/ihm in der letzten Not.
Erlöse sie/ihn und nimm sie/ihn auf
in dein ewiges Reich.
Uns aber mach still, und lass uns erkennen,
dass du unser Gott bist.
(Lutherische Agende III/4, 206)
SEGENSWORT
Gott segne dich und behüte dich.
Gott behüte deinen Ausgang und Eingang
von nun an bis in Ewigkeit.
Amen
GEBET
Guter Gott, wir danken dir für dieses Leben,
für alles was sie/er Gutes getan hat.
Für alles, was wirklich schön war.
Wir danken für alle Liebe, Sorge und Mühe für uns.
Wir erinnern auch, was schwer war
im gemeinsamen Leben.
Wir bitten um Vergebung,
wo wir schuldig geworden sind.
Lass uns verzeihen ,Gott,
wie du vergibst,
wenn wir dich darum bitten.
Wir bitten dich um dein Erbarmen.
In dieser Stunde des Sterbens von ....................
bleibt uns deine Zusage,
dass du niemanden allein lässt,
im Leben nicht
und auch im Sterben nicht.
In deine Hände geben wir ...................
Verlass ihn/sie nicht in dieser Not.
Alles was in uns ist, unseren Schmerz
und unseren Dank,
bringen wir zu dir und beten gemeinsam.
DAS VATERUNSER
Vater unser im Himmel,
geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.
13. Ich
möchte bestimmen, was mit mir geschieht
Betreuungsverfügung, Vorsorge-Vollmacht,
Patientenverfügung
Die
Darstellungen in diesem Kapitel folgen in wesentlichen Teilen und auch in
einzelnen Formulierungen einer Publikation, die vom Bayerischen
Staatsministerium der Justiz herausgegeben wurde („Vorsorge für Unfall, Krankheit
und Alter“, genaue Quellenangabe und Bezug siehe Kap. 15.).
13.1. Ist Vorsorge überhaupt notwendig?
Vorsorge,
sich Sorgen machen ? – Wir sind in der Regel dankbar für jeden Tag, an dem
alles einigermaßen „normal“ abläuft. An Unfall, Krankheit und Alter denken
wir in guten Zeiten nicht so gern. Unsere Gesellschaft hat andere Leitbilder:
Jung soll ich sein, immer fit, angetrieben von der Kraft von zwei Herzen! Doch
dabei geraten wir in die Gefahr zu vergessen, dass es schnell auch ganz anders
sein kann, dass Krankheiten oder Unfälle den gewohnten Rhythmus durcheinander
bringen, oder dass Probleme auftreten, die mit dem Älter-Werden zu tun haben.
Das Leben eines Menschen hat viele Gesichter.
Ein jegliches hat seine Zeit,
und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde:
geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit,
weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit,
klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit,
suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit,
behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit,
schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit ...
(Die Bibel, aus dem Buch Prediger 3,1-7)
Und in dieser Erkenntnis
haben Menschen schon in früheren Jahrhunderten versucht, sich auch auf
Krisenzeiten vorzubereiten, auch der Einsicht nicht auszuweichen, dass
irgendwann unausweichlich auch das eigene Ende kommen wird.
„Wer weiß, wie nahe mir mein Ende!
...
Es kann vor Nacht leicht anders
werden,
als es am frühen Morgen war ...
Lass mich beizeit mein Haus
bestellen,
dass ich bereit sei für und für
... „
(Worte: 1686, Evangelisches Gesangbuch Nr. 530)
Vorsorge
ist hier ein Stück Lebens-Klugheit. Es gilt auch hier und in diesem Leben noch
manches Wichtige zu ordnen und zu regeln!
Und gerade daran denken heute viele Menschen nicht: Vorsorge zu treffen für den
Fall, dass sie infolge eines Unfalls, einer schweren Erkrankung oder auch
durch Nachlassen der geistigen Kräfte im Alter ihre Angelegenheiten nicht mehr
wie gewohnt selbst regeln können. 2012 hatte nur jeder achte Deutsche eine Patientenverfügung
verfasst, gerade einmal einer von dreizehn eine Vorsorgevollmacht.
Dabei
ist es doch in vielen Lebens-Bereichen selbstverständlich, dass wir Vorsorge
treffen: z.B. im Krankheitsfall, bei der Altersvorsorge (Rente), wenn es um
Vermögensbildung geht oder wenn wir Versicherungen abschließen, um uns gegen
Risiken in unserem Leben abzusichern.
Aber
ist für Krisenfälle in meinem Leben wirklich alles geregelt?
Ist für Krisenfälle in meinem Leben
wirklich alles geregelt?
Die Liste solcher Fragen ist lang, und sie kann einen
bedrücken.
Die
Frage ist, wer dann in einem solchen Ernstfall Entscheidungen treffen soll (und
darf!), wenn ich – vorübergehend oder auf Dauer – dazu selbst nicht mehr in
der Lage bin. Wie kann ich sicherstellen, dass meine Wünsche und Vorstellungen
auch dann noch Beachtung finden?
Was passiert, wenn ich keine Vorsorge getroffen habe?
Hier zunächst ein Beispiel aus dem täglichen Leben:
Ein Ehepaar betrieb seit
Jahren erfolgreich einen mittelständischen Betrieb. Beide waren Mitte dreißig,
hatten zwei lebendige Kinder, alle waren kerngesund, aktiv und leistungsfähig.
Dann erlitt der Mann einen Verkehrsunfall, der ihn einige Monate auf die
Intensivstation zwang, er musste mehrere Operationen über sich ergehen lassen.
Nach einem
halben Jahr war er wieder zu Hause und sein Zustand besserte sich zusehends.
Aber in der Zwischenzeit traten Probleme ganz unerwarteter Art auf: Die
Gehaltszahlung an die Mitarbeiter konnte nicht erfolgen – nur der „Chef“ selbst
durfte Überweisungen unterschreiben, und das war in seinem Zustand schlicht
nicht möglich. Auch Materialbestellungen im Auftrag der Firma waren nur mit
seiner Unterschrift gültig und konnten nicht ausgelöst werden. An den Mann
gerichtete Einschreibebriefe durfte niemand anderes entgegennehmen. Zwar gab
es eine Absprache unter den Eheleuten, dass in einem solchen Fall die Frau
stellvertretend die Geschäfte wahrnehmen sollte. Nun aber musste sie
schmerzlich lernen, dass eine solche Regelung rechtlich nicht verbindlich ist,
und dass in dieser Situation das Betreuungsgericht in Aktion trat, um einen
„Betreuer“ für ihren Mann zu „bestellen“, eine Person, die „amtlich beauftragt
wird, seine Interessen wahrzunehmen und ihn rechtsgültig zu vertreten. Dieses
Verfahren dauerte Monate. In der Zwischenzeit stand die Existenz des Betriebes
auf dem Spiel, weil die Eheleute für diesen Fall nicht rechtzeitig vorgesorgt
hatten.
Natürlich kann ich
darauf hoffen, dass mir Angehörige oder Freunde im Ernstfall beistehen werden.
Aber wenn rechtsverbindliche Entscheidungen anstehen (bei
denen z.B. eine Unterschrift zu leisten ist), dürfen meine Kinder oder mein Ehegatte
mich nicht automatisch vertreten (im deutschen Recht haben nur Eltern gegenüber
ihren minderjährigen Kindern ein umfassendes Sorgerecht und damit die
Befugnis zur Entscheidung und Vertretung in allen Angelegenheiten).
Wenn ich – vorübergehend oder auf Dauer – meine Angelegenheiten nicht
selbst regeln kann, dürfen mein Ehepartner oder meine Kinder mich NICHT
automatisch vertreten !!!
Wenn in einem solchen Fall keine schriftliche Verfügung vorliegt, wird
das Betreuungsgericht informiert und setzt für mich einen „Betreuer“ ein, der
allein rechtsverbindliche Entscheidungen in meinem Namen treffen darf.
Auch wenn in einem solchen Fall keine Vorsorge getroffen
wurde, gibt es klare rechtliche Regelungen. Dann greift die staatliche
Fürsorge: Das Betreuungsgericht setzt einen „Betreuer“ ein, der stellvertretend
für mich Entscheidungen trifft, meine Geschäfte führt (der Betreuer kündigt
z.B. den Mietvertrag, beantragt Sozialleistungen, oder er verwaltet Geld und
Vermögen). Im Jahr 2002 gab es in Deutschland mehr als eine Million Menschen,
für die solche Betreuungen angeordnet waren.
Das vorgesehene „amtliche Verfahren“ bringt zwei Probleme mit sich. Einmal kann
es längere Zeit dauern (unter Umständen Monate), bis ein geeigneter
Betreuer gefunden und beauftragt ist. Und außerdem ist nicht automatisch
sichergestellt, dass vom Gericht eine Person ausgewählt wird, der auch ich
meine Geschicke anvertraut hätte. So könnte es sein, dass ein mir völlig unbekannter
Berufsbetreuer diese Aufgabe übernimmt.
Durch eine schriftliche Verfügung kann ich Einfluss darauf nehmen, welche Person meine Interessen wahrnehmen soll. Und ich kann zusätzlich festlegen, welche meiner Wünsche auch dann zu beachten sind, wenn ich nicht mehr in der Lage bin, mich selbst zu äußern.
Betreuungsverfügung: „Eine
Betreuungsverfügung ist eine für das Betreuungsgericht bestimmte Willensäußerung
für den Fall der Anordnung einer Betreuung. In ihr können Vorschläge zur Person
eines Betreuers und Wünsche zur Wahrnehmung seiner Aufgaben geäußert werden.“
Vorsorge-Vollmacht: „Mit
einer Vorsorge-Vollmacht kann der Patient für den Fall, dass er nicht mehr in
der Lage ist, seinen Willen zu äußern, eine oder mehrere Personen
bevollmächtigen, Entscheidungen mit bindender Wirkung für ihn, unter anderem
in seinen Gesundheitsangelegenheiten, zu treffen.“
Patientenverfügung: In jedem
Fall sollte neben der Abfassung einer Vollmacht oder einer Betreuungsverfügung
auch daran gedacht werden, Wünsche und Vorstellungen für die spätere Gesundheitsfürsorge
niederzulegen, besonders auch für die letzte Lebensphase.
„Eine Patientenverfügung ist eine schriftliche oder mündliche Willensäußerung
eines einwilligungsfähigen Patienten zur zukünftigen Behandlung für den Fall
der Äußerungsunfähigkeit. Mit ihr kann der Patient seinen Willen äußern, ob
und in welchem Umfang bei ihm in bestimmten, näher umrissenen
Krankheitssituationen medizinische Maßnahmen eingesetzt oder unterlassen werden
sollen.“
(Definitionen nach: Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen
Sterbebegleitung 2004)
Wenn ich infolge eines Unfalls oder einer Erkrankung meine
Angelegenheiten vorübergehend oder auf Dauer nicht (mehr) selbst regeln kann
und wenn ich keine Vollmacht erteilt habe, setzt das Betreuungsgericht einen
„Betreuer“ für mich ein. Der Betreuer vertritt mich rechtlich in allen Angelegenheiten,
die ich selbst nicht mehr wahrnehmen kann. Er kündigt z.B. die Wohnung,
schließt einen Heimvertrag, beantragt Sozialleistungen und verwaltet das
Vermögen. Eine solche Betreuung bedeutet nicht automatisch, dass ich nicht
mehr „geschäftsfähig“ bin, und sie ist nur in dem Umfang und so lange zulässig,
wie dies erforderlich ist.
Für den Fall, dass eine Betreuung notwendig wird, hat das
Gericht Wünsche zu berücksichtigen, die ich zuvor niedergeschrieben habe.
Ich kann in einer „Betreuungsverfügung“ bestimmen, wer mein Betreuer werden
soll (möglichst zusätzlich eine Ersatz-Person benennen). Ich kann auch
festlegen, wer keinesfalls als Betreuer in Betracht gezogen werden soll. In
einer Betreuungsverfügung kann ich auch konkrete Wünsche und Vorstellungen
aufführen, die dann für den Betreuer verbindlich sind (z.B. zum Umgang mit
meinem Vermögen, über Zuwendungen und Geschenke zu Geburtstagen, über die
Regelung von Wohnungsangelegenheiten oder die Durchführung von Pflegemaßnahmen).
Es kann also auch dann sinnvoll sein, eine Betreuungsverfügung zu schreiben,
wenn ich darin keine Person benennen kann oder will, die mein Betreuer werden
soll; dann bestimmt zwar das Betreuungsgericht den Betreuer, aber dieser
Betreuer ist doch an die Durchsetzung meiner Wünsche und Vorstellungen gebunden.
Das Vorliegen einer Betreuungsverfügung kürzt das
gerichtliche Verfahren zur Bestellung des Betreuers ab. Im Normalfall folgt
das Gericht meinem Vorschlag in einer Betreuungsverfügung und setzt die von mir
gewünschte Person auch ein. Allerdings prüft das Gericht, ob die Übernahme der
Aufgaben und die Last der Verantwortung einer Betreuung der vorgeschlagenen
Person auch zuzutrauen und zuzumuten sind.
Der Betreuer steht unter der Kontrolle des Betreuungsgerichts.
Er muss zu Beginn der Betreuung ein vollständiges Verzeichnis über das
Vermögen des Betroffenen aufstellen und in der Regel jährlich einmal Rechenschaft
ablegen über den Umgang mit dem Vermögen. Für den Erwerb, die Veräußerung
oder Belastung eines Grundstückes benötigt der Betreuer die Genehmigung des Betreuungsgerichts,
ebenso bei Geldbewegungen über 3000 Euro.
Eine Betreuungsverfügung wird erst dann wirksam, wenn der Krisenfall tatsächlich eingetreten ist und ich objektiv nicht mehr selbst handeln kann.
Wünsche und Vorstellungen, die eventuell in einer Betreuungsverfügung
festgehalten werden könnten, und an die ein Betreuer gebunden ist
Geregelt werden kann zum Beispiel:
·
Von wem möchte ich versorgt werden, wenn ich pflegebedürftig bin?
·
Möchte ich, wenn irgendwie möglich, bis zu meinem Tod zu Hause versorgt
werden?
·
Wenn meine Versorgung und Pflege eines Tages zu Hause nicht mehr möglich
ist: In welchem Heim möchte ich wohnen? Und in welches Heim möchte ich auf
keinen Fall aufgenommen werden?
·
Welche Möbel und Gegenstände sollen bei einer Wohnungsauflösung an
welche Personen ausgehändigt werden?
·
Soll im Bedarfsfall mein gesamtes Vermögen für meine Pflege und zur
Aufrechterhaltung meines gewohnten Lebensstandards aufgebraucht werden?
·
Möchte ich, dass weiterhin bestimmte Personen Geschenke oder Geldbeträge
zu bestimmten Anlässen erhalten (z.B. Geburtstag, Weihnachten, Hochzeit)?
·
Sollen meine Mitgliedschaften in Vereinen und meine Spendengewohnheiten
beibehalten werden?
·
Was soll mit meinem Haustier geschehen, wenn ich mich nicht mehr darum
kümmern kann?
Ein
Musterformular mit Text-Bausteinen zum Erstellen einer Betreuungs-Verfügung finden
Sie im Anhang (Kap. 16).
13.2.2.
Vorsorge-Vollmacht
Wenn eine Betreuung angeordnet wird, stellt diese eine staatliche Maßnahme dar und ermöglicht z.B. Einblick in meine persönlichen oder meine finanziellen Angelegenheiten durch Außenstehende. Wenn ich eine Betreuung vermeiden will, kann ich als Alternative dazu einer Person meines Vertrauens (vorsorglich) eine Vollmacht erteilen. Für alle Lebensbereiche, die in der Vorsorge-Vollmacht erfasst werden, muss (und darf) dann kein Betreuer bestellt werden.
Eine Vollmacht kann ich schon erteilen, wenn ich eigentlich noch voll handlungsfähig bin, aber mir z.B. manche Dinge einfach „über den Kopf wachsen“.
Eine Vollmacht könnte erteilt werden als „Generalvollmacht“, also z.B. „zur Vertretung in allen Angelegenheiten“.
Sie kann auch so erteilt werden, dass die einzelnen Lebensbereiche, für die sie gelten soll, konkret aufgelistet werden. Sie könnte dann z.B. gelten für Gesundheitsfürsorge und Pflegebedürftigkeit, Aufenthalt und Wohnungsangelegenheiten, Post- und Fernmeldeverkehr, Vertretung gegenüber Behörden, Verwaltung von Vermögensangelegenheiten. Zu einzelnen Punkten, deren Regelung mir besonders wichtig ist, können auch konkrete Anweisungen niedergeschrieben werden, wie die Vollmacht wahrzunehmen ist.
Auch eine Generalvollmacht deckt nicht automatisch mit ab:
a) die Zustimmung zu medizinischen Eingriffen, bei denen Lebensgefahr besteht (z.B. Herzoperation) oder bei denen ein schwerer, andauernder Gesundheitsschaden zu erwarten ist (z.B. Amputation von Gliedmaßen);
b) die Einwilligung zu einer notwendig werdenden
geschlossenen Unterbringung oder andere freiheitsbeschränkende Maßnahmen
(z.B. Bettgitter, Abschließen des Zimmers, Medikamente zur Ruhigstellung).
Diese
Fälle müssten in einer Vollmacht ausdrücklich benannt werden und bedürfen in
der Regel der zusätzlichen betreuungsgerichtlichen Genehmigung.
Für alle Vollmachten sind zwei weitere Einschränkungen zu
beachten:
Für die Stellvertretung in Geld-, Grundstücks- oder Geschäftsangelegenheiten
wird eine Vollmacht oft nicht akzeptiert oder ist nicht ausreichend.
Kreditinstitute (Banken, Sparkassen) verlangen in der Regel eine Vollmacht
auf hauseigenen Vordrucken.
Bei der Erteilung einer Vollmacht ist grundsätzlich die
Einbeziehung eines Notars nicht erforderlich (das gilt auch bei einer
Betreuungsverfügung oder einer Patientenverfügung). Aber manchmal kann es
sinnvoll sein, sich doch von einem Notar Rat zu holen und ihn um Ausfertigung
der Vollmacht zu bitten (dann ist darauf zu achten, dass von ihm die Dinge
niedergeschrieben werden, die ICH regeln möchte). Dabei fallen Kosten an, die
normalerweise zwischen 45 und 156 Euro liegen (im Höchstfall 403,50 Euro;
zuzüglich Mehrwertsteuer). Eine Beurkundung durch einen Notar ist stets
notwendig, wenn durch die Vollmacht ermöglicht werden soll, dass Grundstücke
erworben oder verkauft werden, dass Darlehen aufgenommen werden können oder
dass ein Erbe ausgeschlagen werden kann. Sinnvoll ist die Einbeziehung eines
Notars evtl. auch, wenn es um Handelsgewerbe geht.
Grundsätzlich ist es möglich, die Vollmacht auf bestimmte
Aufgabengebiete zu beschränken (z.B. nur den Gesundheitsbereich betreffend).
Das bedeutet aber, dass im Bedarfsfall – wenn ich in anderen Lebensbereichen nicht
mehr handlungsfähig bin - möglicherweise zusätzlich noch ein Betreuer bestellt
werden muss. Ein Nebeneinander von Vollmacht und Betreuung sollte vermieden
werden!
Für verschiedene Aufgabengebiete (z.B. Gesundheitsfürsorge,
Vermögensangelegenheiten) kann jeweils ein eigener Bevollmächtigter
eingesetzt werden. Jeder benötigt dann eine eigene Vollmachtsurkunde.
Obwohl gegenüber dem Gesundheitsbevollmächtigten (wie auch
gegenüber einem gesetzlich bestellten Betreuer) keine ärztliche
Schweigepflicht besteht, weil er sonst seine Aufgaben nicht erfüllen könnten,
ist es ratsam, die Befreiung für den Arzt in der Vollmachtsurkunde
ausdrücklich zu erteilen.
Für den Fall, dass
der Bevollmächtigte „im Ernstfall“ verhindert ist, sollte eine weitere Vertrauensperson
als Ersatzbevollmächtigter benannt werden.
Der Bevollmächtigte steht – anders als ein Betreuer - nicht unter der Kontrolle des Betreuungsgerichts. Ich muss mir im Klaren sein, dass ich einem Bevollmächtigten ein hohes Maß an Vertrauen entgegenbringe! Allerdings kann das Betreuungsgericht, wenn ihm ein entsprechender Anlass bekannt wird, für einen Bevollmächtigten eine Kontrollperson bestellen, die den Bevollmächtigten überwacht.
Die Vollmacht gilt grundsätzlich nach „außen“ hin (z.B.
gegenüber Behörden) ab dem Datum ihrer Ausstellung. Mit dem Bevollmächtigten
kann aber vereinbart werden, dass er von der Vollmacht erst dann Gebrauch
macht, wenn der Vollmachtgeber nicht mehr handlungsfähig ist.
Die Justizminister aller Bundesländer haben sich darauf
verständigt, bundesweit eine einheitliche Mustervollmacht zu empfehlen. Die in
der Mustervollmacht im Anhang (Kap. 16) vorgeschlagenen Bausteine
orientieren sich an dieser Vorlage (ausführliche Darstellung siehe z.B.:
Sächsisches Staatsministerium der Justiz: „Betreuung und Vorsorge – ein
Leitfaden“, Bezug siehe Kapitel 5).
Die Möglichkeiten der modernen (Intensiv-)Medizin sind
beeindruckend und können oft segensreich zum Wohle des Patienten eingesetzt
werden. Die Apparatemedizin kann aber dazu verleiten, auch dann noch
Behandlungen vorzunehmen, wenn kein therapeutischer Erfolg mehr zu erwarten
ist. Es kann sein, dass eine intensive medizinische Behandlung nicht mehr
den eigenen Lebensvorstellungen des Patienten entspricht. Es ist denkbar,
dass ich zwar Betreuung wünsche, die mir durch Ärzte, Pflegerinnen oder
Angehörige zuteil wird, aber keine Lebensverlängerung um jeden Preis. Dann
muss auf eine Therapie-Begrenzung bzw. für den Verzicht auf bestimmte medizinische
Maßnahmen entschieden werden (z.B. keine Gabe von Antibiotika bei einer
Lungenentzündung, Verzicht auf eine angebotene Chemotherapie).
Eine solche schwerwiegende Entscheidung kann am besten der
Betroffene selbst treffen, wenn er sich rechtzeitig diesen Fragen gestellt und
seine Verfügung schriftlich niedergelegt hat. Ist er auf Grund seiner
Erkrankung oder seines hohen Alters dazu nicht in der Lage, so wäre eine
rechtzeitig getroffene Stellvertretung (die Übertragung der Entscheidungsbefugnis
auf eine Person seines Vertrauens) von großem Nutzen.
Wenn mir diese Fragen wichtig sind, sollte ich mich aber
auch selbst verantwortlich wissen und rechtzeitig Vorsorge treffen, sonst
gilt mein „mutmaßlicher“ Wille, der aber nur in schwierigen Klärungsprozessen
und von außenstehenden Personen (Angehörigen, Ärzten) ermittelt werden
kann.
Ein solcher „erklärter Wille“ kann in einer so genannten
„Patientenverfügung“ niedergeschrieben werden. In ihr sollte deutlich werden
·
welche Lebenserfahrungen und Wertvorstellungen mich
prägen und den Hintergrund für meine Entscheidungen bilden
·
für welche Situation(en) meine Verfügung gelten soll
·
welche Art medizinischer Behandlung ich dann wünsche,
welche Maßnahmen durchgeführt und welche unterlassen werden sollen
·
durch welche Personen ich begeleitet werden möchte
und wer stellvertretend für mich in Gesundheitsfragen Auskunft geben oder
entscheiden darf.
Zwischenschritt:
Vergewisserung über meine
eigenen WERTVORSTELLUNGEN
und persönlichen LEBENSERFAHRUNGEN
Es ist eine wichtige
Vorarbeit für das Erstellen einer Patientenverfügung, dass ich mich selbst mit
grundlegenden Fragen auseinandersetze. Das Ergebnis solcher Überlegungen kann
ich schriftlich mit in die Patientenverfügung aufnehmen, oder ich setze eine
Person meines Vertrauens darüber in Kenntnis.
Solche grundlegenden Fragen
können sich z.B. beziehen auf:
·
das bisherige Leben
(Wurde ich enttäuscht vom Leben? Würde ich es anders führen, wenn ich nochmals
von vorn anfangen könnte? Bin ich zufrieden, so wie es war?)
·
das zukünftige Leben
(Möchte ich möglichst lange leben? Oder ist mir die Qualität des
Lebens wichtiger als die Lebensdauer, wenn beides nicht gleichzeitig zu haben
ist? Welche Wünsche, welche Aufgaben sollen noch erfüllt werden? Wovor habe ich
Angst im Hinblick auf mein Sterben?)
·
eigene leidvolle Erfahrungen
(Wie bin ich mit Krankheiten oder Schicksalsschlägen fertig geworden? Was hat
mir in schweren Zeiten geholfen?)
·
die Beziehungen zu anderen Menschen
(Welche Rolle spielen Familie oder Freunde für mich? Kann ich fremde
Hilfe gut annehmen? Oder habe ich Angst, anderen zur Last zu fallen?)
·
das Erleben von Leid, Behinderung und Sterben bei
anderen
(Welche Erfahrungen habe ich damit? Löst das Angst bei mir aus? Was wäre für
mich die schlimmste Vorstellung?)
·
die Rolle der Religion im eigenen Leben
(Was bedeutet mir mein Glaube angesichts von Leiden und Sterben? Was erwarte
oder erhoffe ich nach dem Tod?)
Eine Patientenverfügung ist rechtlich (und damit auch für den Arzt und Angehörige) verbindlich, wenn durch sie der Wille des Patienten bezüglich einer bestimmten ärztlichen Maßnahme eindeutig und sicher festzustellen ist. Die Situationen, für die die Verfügung gilt, sind eindeutig zu beschreiben. Bei konkreten Festlegungen für bestimmte Erkrankungen oder mögliche Behandlungen sollte das Gespräch mit dem behandelnden Arzt gesucht werden, damit die (medizinisch relevanten) Aussagen eindeutig sind.
Es sei daran erinnert: Im Verhältnis zwischen Arzt und Patient entscheidet letztlich der Patient (es ist sein Körper, sein Leben!), OB er ärztlich behandelt werden will und er entscheidet, WIE die Behandlung konkret aussehen soll. Dieser Grundsatz gilt auch, wenn es um die Frage geht, wie er sterben möchte.
Die Bundesärztekammer hat in ihren „Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung“ (2011) die Bedeutung der Rechte des Patienten und der Festlegungen in Patientenverfügungen deutlich hervorgehoben:
„Art und Ausmaß einer Behandlung sind gemäß der medizinischen Indikation
vom Arzt zu verantworten ... Er muss dabei den Willen des Patienten beachten.
Bei seiner Entscheidungsfindung soll der Arzt mit ärztlichen und pflegenden
Mitarbeitern einen Konsens suchen ...
Bei einwilligungsfähigen Patienten hat der Arzt den
aktuell geäußerten Willen des angemessen aufgeklärten Patienten zu beachten,
selbst wenn sich dieser Wille nicht mit den aus ärztlicher Sicht gebotenen
Diagnose- und Therapiemaßnahmen deckt. Das gilt auch für die Beendigung schon
eingeleiteter lebenserhaltender Maßnahmen ...
Bei nichteinwilligungsfähigen Patienten ist die
Erklärung ihres Bevollmächtigten bzw. ihres Betreuers maßgeblich. Diese sind
verpflichtet, den Willen und die Wünsche des Patienten zu beachten …
Liegt eine Patientenverfügung … vor, hat der Arzt den
Patientenwillen anhand der Patientenverfügung festzustellen. Er soll dabei
Angehörige und sonstige Vertrauenspersonen des Patienten einbeziehen …
Trifft die Patientenverfügung auf die aktuelle
Behandlungssituation zu, hat der Arzt den Patienten entsprechend dessen Willen
zu behandeln …
Entscheidungen, die im Rahmen einer Notfallsituation
getroffen wurden, müssen daraufhin überprüft werden, ob sie weiterhin
indiziert und vom Patientenwillen getragen sind …
Willensbekundungen, in
denen sich Patienten vorsorglich für den Fall des Verlustes der
Einwilligungsfähigkeit zu der Person ihres Vertrauens und der gewünschten
Behandlung erklären, sind eine wesentliche Hilfe für ärztliche Entscheidungen.“
Es gibt in Deutschland derzeit eine Vielzahl unterschiedlicher Vorschläge für das Erstellen einer Patientenverfügung. Solche Vorschläge sollten nicht „blind“ übernommen werden. Sie können als Prüflisten dienen, von denen ich mich anregen lasse zu eigenen Überlegungen und Festlegungen. Ich muss mir – das ist eine unerlässliche Vorarbeit – zunächst selbst klar werden, was für mich persönlich wichtig ist, für welche konkreten Fragen ich Festlegungen treffen möchte. Und dann sollte ich meine individuelle und persönliche Patientenverfügung niederschreiben!
Bausteine für eine Patientenverfügung
1. Beschreibung der
Situationen, in denen Willensbekundungen gelten sollen, z.B.:
·
Sterbephase
·
nicht aufhaltbare schwere Leiden
·
dauernder Verlust der Kommunikationsfähigkeit (z.B. Demenz,
apallisches Syndrom, Schädelhirntrauma)
·
akute Lebensgefahr
·
irreversible Bewusstlosigkeit
2. Anweisungen und Wünsche für ärztliche und
damit in Zusammenhang stehende Maßnahmen
·
künstliche Ernährung
·
künstliche Beatmung
·
Dialyse
·
Organersatz
·
Wiederbelebung
·
Verabreichung von Medikamenten (z.B. Antibiotika, Psychopharmaka,
Zytostatika/Chemotherapie)
·
Art der Unterbringung und Pflege
·
Schmerzbehandlung
·
andere betreuerische und pflegerische
Maßnahmen
·
Hinzuziehung eines oder mehrerer weiterer Ärzte
·
alternative Behandlungsmethoden
·
Gestaltung des Sterbeprozesses
3. Benennung einer
Vertrauensperson als Gesprächpartner für den Arzt
Hilfreich kann die Benennung einer Vertrauensperson sein, mit der der
Patient die Patientenverfügung besprochen hat und mit der ein Arzt die
erforderlichen medizinischen Maßnahmen besprechen soll, wenn der Patient nicht
mehr in der Lage ist, seinen Willen selbst zu äußern ...
Gegenüber dem Bevollmächtigten und dem Betreuer ist der Arzt zur Auskunft
berechtigt und verpflichtet, da Vollmacht und Betreuung den Arzt von der
Schweigepflicht freistellen ...
(nach: Bundesärztekammer: Empfehlungen zum Umgang mit Vorsorgevollmacht und
Patientenverfügung in der ärztlichen Praxis; Deutsches Ärzteblatt 30.3.07
S.A891ff.; die aktuelle Fassung dieser Empfehlung aus dem Jahre 2010 finden Sie
http://baek.de/page.asp?his=0.6.5048.5052)
Ein Musterformular mit
Text-Bausteinen zum Erstellen einer Patienten-Verfügung finden Sie im Anhang
(Kap. 16). Es reicht aber auch aus, statt Regelungen für jeden vorstellbaren
medizinischen Notfall aufzuschreiben, in einer Vorsorge-Vollmacht eine Person
seines Vertrauens einzusetzen, welche im Gespräch mit dem behandelnden Arzt
über die weiteren Behandlungsschritte entscheiden darf und soll.
Ein wichtiger Hinweis: Die lange
bestehende unklare Rechtslage bei der Gültigkeit von Patientenverfügungen gibt
es nicht mehr!
Bundestag und
Bundesrat haben ein Gesetz beschlossen, in dem die Geltung von
Patientenverfügungen geregelt wird.
Gesetz zu Patientenverfügungen, verabschiedet im Deutschen
Bundestag am 18.6.2009:
Im Einzelnen wird geregelt:
·
Volljährige
können in einer schriftlichen Patientenverfügung im Voraus festlegen, ob und
wie sie später ärztlich behandelt werden wollen, wenn sie ihren Willen nicht
mehr selbst äußern können. Künftig sind Betreuer und Bevollmächtigter im Fall
der Entscheidungsunfähigkeit des Betroffenen an seine schriftliche
Patientenverfügung gebunden. Sie müssen prüfen, ob die Festlegungen in der
Patientenverfügung der aktuellen Lebens- und Behandlungssituation entsprechen
und den Willen des Betroffenen zur Geltung bringen.
·
Niemand
ist gezwungen, eine Patientenverfügung zu verfassen. Patientenverfügungen
können jederzeit formlos widerrufen werden.
·
Gibt
es keine Patientenverfügung oder treffen die Festlegungen nicht die aktuelle
Situation, muss der Betreuer oder Bevollmächtigte unter Beachtung des
mutmaßlichen Patientenwillens entscheiden, ob er in die Untersuchung, die
Heilbehandlung oder den ärztlichen Eingriff einwilligt.
·
Eine
Reichweitenbegrenzung, die den Patientenwillen kraft Gesetzes in bestimmten
Fällen für unbeachtlich erklärt, wird es nicht geben.
·
Die
Entscheidung über die Durchführung einer ärztlichen Maßnahme wird im Dialog
zwischen Arzt und Betreuer bzw. Bevollmächtigtem vorbereitet. Der behandelnde
Arzt prüft, was medizinisch indiziert ist und erörtert die Maßnahme mit dem
Betreuer oder Bevollmächtigten, möglichst unter Einbeziehung naher Angehöriger
und sonstiger Vertrauenspersonen.
·
Sind
sich Arzt und Betreuer bzw. Bevollmächtigter über den Patientenwillen einig,
bedarf es keiner Einbindung des Betreuungsgerichts. Bestehen hingegen
Meinungsverschiedenheiten, müssen folgenschwere Entscheidungen vom Betreuungsgericht
genehmigt werden.
(Internetseite des
Bundesministeriums der Justiz BMJ 23.6.09;
http://www.bmj.de/enid/6bec0408f5115e77bb082c6a50be3616,3a07b9706d635f6964092d0936303333093a095f7472636964092d0935323933/Pressestelle/Pressemitteilungen_58.html
)
-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Ein umstrittenes Thema:
Verzicht auf künstliche Ernährung, z.B. durch eine Magensonde ?
·
PEG = Perkutane endoskopische
Gastrostomie (Ernährungssonde wird mittels eines Endoskops durch die Bauchwand
in den Magen eingeführt; jedes Jahr werden in D. 140.000 PEG-Sonden gelegt)
·
Wachkoma: Erst die Magensonde macht ein Dauerkoma
möglich. Früher wurden Menschen mit einem Schlauch durch die Nase oder den
Rachen künstlich ernährt. Das führte nach einiger Zeit zu schrecklichen Wunden
....
Segen, aber auch Fluch: jahrelanges Dahinvegetieren; dieses „ewige Leben“
wird also in Wahrheit durch die modernen Magensonden in Pflegeheimen garantiert
– und nicht, wie viele befürchten, weil man an vielen Apparaten auf
Intensivstationen hängt
(DIE ZEIT 20.11.03 S.29)
·
70 % der PEG-Anlagen betreffen Heimpatienten,
bei denen diese Maßnahme oft medizinisch nicht indiziert (notwendig JK)
ist
(Dtsch. Ärzteblatt 8.8.05 S.A2154)
·
(9) Jeder Mensch hat das Recht, eine medizinische
Behandlung zu gestatten oder auch zu verweigern. Jede gegen den Willen des
Patienten durchgeführte Maßnahme (sei es eine Operation oder auch nur das Legen
einer Magensonde) stellt nach geltendem Recht eine Körperverletzung
dar. Auch Schwerkranke und Sterbende haben das Recht auf Selbstbestimmung.
(12) Die Fortsetzung einer einmal begonnenen Behandlung (etwa die künstliche
Ernährung per Magensonde) ist nicht mehr gerechtfertigt, wenn sich
herausstellt, dass von vornherein keine (erklärte oder mutmaßliche)
Einwilligung vorgelegen hat oder diese im weiteren Verlauf widerrufen worden
ist. Erhält der Arzt keine Einwilligung, muss er die Weiterbehandlung
unterlassen.
(Nationaler Ethikrat; Stellungnahme „Patientenverfügung“ 2005)
·
In Befragungen hielt die Hälfte der Ärzte, aber
auch ein Drittel der Vormundschaftsrichter die Beendigung von künstlicher
Ernährung oder Beatmung für strafbare aktive Sterbehilfe.
(Spiegel 13/2007 S.138)
·
Patientenverfügungen sind auch außerhalb der
eigentlichen Sterbephase zu beachten ...
... können Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen auch Aussagen zur
Einleitung, zum Umfang und zur Beendigung ärztlicher Maßnahmen enthalten, etwa
- künstliche Ernährung
- künstliche Beatmung
- Dialyse ...
- Wiederbelebung ...
In Notfallsituationen, in denen der Wille des Patienten nicht bekannt
ist und auch für eine Ermittlung des mutmaßlichen Willens keine Zeit bleibt,
ist die medizinisch indizierte Behandlung einzuleiten, die im Zweifel auf die
Erhaltung des Lebens gerichtet ist ...
(Bundesärztekammer: Empfehlungen zum Umgang mit Vorsorgevollmacht und
Patientenverfügung in der ärztlichen Praxis; Deutsches Ärzteblatt 30.3.07
S.A891ff.
Für die äußere Form aller drei Arten der Vorsorge gibt es keine Vorschriften, etwa in Gestalt eines verbindlichen Formulars. Eine handschriftliche Abfassung - wie sie für ein Testament zwingend vorgeschrieben ist – ist nicht erforderlich. Die Verfügungen bzw. Vollmachten sollten aber immer schriftlich abgefasst sein.
Ein Nebeneinander von Vollmacht und Betreuung sollte vermieden werden.
Entweder eine Betreuungsverfügung
ODER eine Vorsorge-Vollmacht erstellen !
Aus dem Text sollte hervorgehen, dass ich
„einwilligungsfähig“ war, das heißt diese Verfügung bei vollem Bewusstsein
und klarem Verstand getroffen habe. Es kann sinnvoll sein, das zusätzlich
durch die Unterschrift von Zeugen nach der Abfassung bestätigen zu lassen
(Angehörige, Seelsorger, Ärzte, Notar). Im Regelfall ist aber davon auszugehen,
dass ein Patient zur Zeit der Abfassung der Patientenverfügung
einwilligungsfähig war.
Die Angabe von Ort und Datum der Ausstellung und vor allem die eigenhändige
Unterschrift sind unverzichtbar. Diese Angaben sollten in Zeiträumen von
nicht mehr als zwei Jahren erneuert bzw. bestätigt werden, damit kein Zweifel
an der Aktualität meiner Willensbildung aufkommen kann. Eine klare juristische
Vorgabe für eine solche Aktualisierung gibt es allerdings nicht.
Alle Verfügungen können jederzeit von mir widerrufen werden.
Bei Widerruf einer Verfügung muss ich früher ausgehändigte Urkunden (Vollmacht
usw.) zurückverlangen.
Bei der Erteilung einer Vollmacht ist grundsätzlich die Einbeziehung eines Notars nicht erforderlich (das gilt auch bei einer Betreuungsverfügung oder einer Patientenverfügung) – siehe aber Ausnahmen unter 13.2.2.
Manche konkrete Entscheidungssituation (vor allem im Vorfeld des Sterbens) lässt sich nur schwer vorhersehen und in klare Worte und Anweisungen fassen. Daher kann es viel wichtiger sein, dass ich Personen meines Vertrauens, die aus Gesprächen meine Wertvorstellungen kennen, in Verfügungen auch amtlich als meine Vertreter benenne (als Betreuer, als Bevollmächtigte), damit sie im Krisenfall gemeinsam mit dem Arzt eine Entscheidung treffen können, die in meinem Sinne liegt. Diese Vertrauenspersonen sollten in jedem Fall vorher von der möglichen Stellvertretung informiert werden und ihre Zustimmung erteilt haben.
Ich selbst bin dafür verantwortlich und muss
sicherstellen, dass eine getroffene Verfügung im Krisenfall schnell gefunden
und in Kraft gesetzt wird. Eine Möglichkeit ist ein Hinweis bei den Ausweispapieren
(z.B. Aufkleber „Ich habe eine Patientenverfügung!“ auf dem Personalausweis
bzw. auf der Karte der Krankenkasse), auf dem notiert ist, dass eine Verfügung
existiert und welche Person (Adresse, Telefon!) Zugang zu der Verfügung hat.
Möglichkeiten der Hinterlegung: Vollmachten und Verfügungen können für den
Ernstfall zu Hause aufbewahrt werden (an einem zugänglichen Ort, den der
Bevollmächtigte kennt). Sie können dem Bevollmächtigten auch übergeben werden
mit der Maßgabe, erst im besprochenen Fall von ihnen Gebrauch zu machen.
Vollmachten und Verfügungen können aber auch bei einem Arzt (Patientenverfügung)
oder beim Betreuungsgericht (Betreuungsverfügung) hinterlegt werden.
14. Texte und Bausteine für Veranstaltungen
14.1. Kundgebung der Synode der
Evangelischen Kirche in Deutschland zum Thema „Was ist der Mensch?“
(7. Tagung der 9. Synode der
Evangelischen Kirche in Deutschland,
Timmendorfer Strand, 3. - 8.
November 2002
Kundgebung
zum Schwerpunktthema "Was ist der Mensch?")
„Die Evangelische Kirche tritt ein
für die Anerkennung und den Schutz der Würde jedes Menschen in der ganzen
Spanne seines Lebens – vom Anfang bis zum Ende. Das schließt die nachdrückliche
Bejahung medizinischer Forschung, ärztlicher Hilfe, technischer
Weiterentwicklung und gesellschaftlicher Reformen ein, die der Minderung oder
Vermeidung von unnötigem Leiden, der Suche nach neuen Heilungsmöglichkeiten und
der Verbesserung der menschlichen Lebensqualität dienen. Abzulehnen sind aber
alle Methoden der Forschung oder Therapie, durch die Menschen bloß als Mittel
für die Heilungschancen anderer Menschen gebraucht werden. Jedes "Ethos
des Heilens" muss um seine Grenzen wissen, um menschlich zu bleiben. Das
schließt die Einsicht ein, dass Krankheit, Sterblichkeit und Tod zum Menschsein
gehören. Es ist ein wesentlicher Teil des dem Menschen aufgegebenen
Reifungsprozesses, die eigene Endlichkeit anzunehmen, mit ihr zu leben – und
zu sterben. Menschen haben einen Anspruch auf medizinische Hilfe und Beistand
in der Situation der Krankheit und beim Sterben; ein Recht, von Krankheit oder
vom Tod verschont zu bleiben oder befreit zu werden, gibt es freilich nicht.
Die Evangelische Kirche versteht
die Diskussion über Sterbehilfe und
Euthanasie als Herausforderung. Sie nimmt die Ängste vieler
Menschen vor einem qualvollen, einsamen Sterben und vor einem wehrlosen
Ausgeliefertsein an sinnlos gewordene Maßnahmen der Lebensverlängerung
ernst. Die Hospizbewegung sowie die Intensivierung der schmerzlindernden und
auf Versorgung konzentrierten Medizin (Palliativmedizin) müssen nachdrücklich
unterstützt und gefördert werden, denn sie leisten einen wesentlichen Beitrag
zur Ermöglichung menschenwürdigen Sterbens. Dazu gehört auch die ärztliche
Weisheit, die erkennt, wann es geboten ist, im Einvernehmen mit Patienten und
Angehörigen auf medizinisch noch mögliche Maßnahmen zur Lebensverlängerung zu
verzichten oder solche Maßnahmen abzubrechen (passive Sterbehilfe).
Voraussetzung hierfür ist stets, dass die Situation des Wartens auf den Tod
gewahrt bleibt und nicht durch das eigenmächtige Verfügen über den
Todeszeitpunkt ersetzt wird. Durch die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe
und der Tötung auf Verlangen würde ein solches Verfügungsrecht in unserer
Gesellschaft etabliert. Das würde unsere Gesellschaft und ihre Einstellung zu
Leben und Tod in tiefgreifender, problematischer Weise verändern. Denn damit
entstünde nicht nur der offenkundige Rechtsanspruch von Sterbenden auf
vorzeitige Beendigung ihres Lebens durch fremde Hand, sondern es entstünde
auch der verdeckte Anspruch an Sterbende, von diesem Recht Gebrauch zu machen,
sobald sie den Eindruck bekommen, ihrer Umgebung zur Last zu fallen.
Sterbende brauchen keinen "Gnadentod", sondern geduldige, gütige,
verlässliche Begleitung.“
14.2. „Gott ist ein Freund des Lebens“
- Herausforderungen und Aufgaben beim Schutz des Lebens
Kirchenamt
der Evangelischen Kirche in Deutschland / Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz
(Hg.), Gütersloh 1991
Kapitel 5: Das Ende des menschlichen Lebens
a) Von der Würde des
Sterbenden
Christliches Sterben ist gewiss
kein angstloses, aber ein angst-bestehendes, angst-überwindendes Sterben, ein
Sterben im Frieden, in dem der Sterbende mit seiner Lebensgeschichte und mit
seinen Angehörigen ins Reine kommt. Christen wünschen und wollen, dass es ein
Sterben sei, das der Betroffene als die letzte Phase seines Lebens selbst
lebt, nicht umgeht und nicht auslässt. Aber da jeder den Umständen des Sterbens
immer auch ausgeliefert ist, ist würdig zu sterben Gnade und eigenes Werk
zugleich.
Von den anderen ist jeder
Sterbende als der zu achten, der sein Sterben selbst lebt. Deshalb kann auch
beim Sterben eines Menschen alle Hilfe nur Lebenshilfe sein. Die Hilfe im Sterben,
derer der Betroffene angesichts der Einsamkeit des Todes bedarf, besteht
folglich in intensiver Zuwendung und in bestmöglicher ärztlicher Versorgung
und Pflege. Sie will ihm darin beistehen, dass er sein körperliches Leiden
ertragen und den bevorstehenden Tod selbst annehmen kann. Darin wird sie die
Würde des Sterbenden, seine letzte, ihm als Person angehörende Unantastbarkeit,
wahren und achten. Auch ein unheilbar Kranker, der für andere nur noch eine
Belastung ist, hat das ungeschmälerte Recht auf Leben. Kein Arzt darf ihn,
solange er lebt, als einen sogenannten "hoffnungslosen Fall" aufgeben
und ihm nicht mehr die ärztliche Grundversorgung zuteil werden lassen.
Jeder Umgang mit einem Sterbenden
hat in diesem fundamentalen Respekt vor ihm zu geschehen. Alle medizinischen
und pflegerischen Maßnahmen sind in dieser Achtung vor seiner Würde
vorzunehmen. Es darf nicht verhindert werden, dass der Sterbende auch am Ende
seines Lebens selbst über sich bestimmt. Das schließt ein, dass man des anderen
Weise, sterben zu wollen, selbst dann achtet, wenn man an sich sein Vorgehen
nicht billigt. Wenn ein Sterbenskranker äußerungsfähig ist und bewusst
weitere medizinische Maßnahmen ablehnt, so ist ihm zu folgen. Und wenn er nicht
mehr äußerungsfähig ist, dann soll der Arzt wie ein guter Anwalt im
wohlverstandenen Interesse des Sterbenden und zu dessen individuellem Wohl
handeln. Dieser Grundsatz kann im Einzelfall sehr wohl das Unterlassen oder
Einstellen von (weiteren) medizinischen Eingriffen zur Folge haben, wenn
diese - statt das Leben dieses Menschen zu verlängern - nur dessen Sterben
verlängern. Nicht jedoch folgt daraus, dass jegliches Ansinnen eines
Sterbenden an andere, etwa an einen Arzt, von diesen zu befolgen wäre.
b) Die Unverfügbarkeit des
anderen
Die Unverfügbarkeit des anderen,
seine Unantastbarkeit als Person, bedeutet die Einräumung eines unbedingten
Lebensrechts des anderen und die prinzipielle Respektierung seines Eigenrechts,
seines Selbstbestimmungsrechts. Der Mensch darf den anderen Menschen nicht absichtlich
so zum bloßen verfügbaren Objekt machen, dass dieser nicht mehr zugleich
Subjekt eigener Entscheidung sein kann, sich nicht mehr zu dem verhalten kann,
was ihm da geschieht. Sein Leben selbst und das Eintreten seines Todes stehen
nicht in der Verfügung anderer. Ohne solche prinzipielle Grenze für alle
Eingriffe wäre die Würde des Menschen preisgegeben. Dies auch gegenüber
verwirrten alten Menschen festzuhalten und durchzuhalten wird in der voraussehbaren
Zukunft eine Aufgabe von zunehmendem Gewicht sein.
Keiner hat über den Wert oder
Unwert eines anderen menschlichen Lebens zu befinden - selbst nicht über das eigene.
Dies entzieht sich auch schlicht unserer Kenntnis: Denn jeder ist ungleich
mehr und anderes, als er von sich weiß. Keiner lebt nur für sich; und was einer
für andere bedeutet, das wird er nie genau wissen. Im Glauben daran, dass Gott
das Leben jedes Menschen will, ist jeder mit seinem Leben, wie immer es
beschaffen ist, unentbehrlich.
Ohne solche Anerkennung der Würde
des anderen und ohne diese prinzipielle Einräumung seines Lebensrechts ist
überhaupt kein Zusammenleben von Menschen möglich, wäre überhaupt kein Recht
und keine Liebe. Daraus folgt: Das Töten eines anderen Menschen kann unter
keinen Umständen eine Tat der Liebe, des Mitleids mit dem anderen, sein, denn
es vernichtet die Basis der Liebe.
c) Die Selbsttötung
In der Selbsttötung verneint ein
Mensch sich selbst. Vieles kann zu einem solchen letzten Schritt führen. Doch
welche Gründe es auch sein mögen - keinem Menschen steht darüber von außen
ein Urteil zu. Die Beweggründe und die Entscheidungsmöglichkeiten eines
anderen bleiben ebenso wie eventuelle Auswirkungen einer Krankheit im letzten
unbekannt. Für den Christen bedeutet die Selbsttötung eines anderen Menschen
eine enorme Herausforderung: Er kann diese Tat im letzten nicht verstehen und
nicht billigen - und kann dem, der so handelt, seinen Respekt doch nicht
versagen. Eine Toleranz gegenüber dem anderen noch über das Verstehen seiner
Tat hinaus ist dabei gefordert. Doch die Selbsttötung billigen und gutheißen
kann der Mensch nicht, der begriffen hat, dass er nicht nur für sich lebt.
Jeder Selbsttötungsversuch kann für ihn nur ein "Unfall" und ein
Hilfeschrei sein.
d) Leidensverminderung mit
dem Risiko der Lebensverkürzung
Mit den pharmakologischen und
operativen Mitteln, der modernen Medizin ist, wenn der Patient das will, eine
weitgehende Schmerzlinderung möglich. Dabei kann der Fall eintreten, dass solche
Leidensverminderung mit dem Risiko der Lebensverkürzung behaftet ist. Wenn
das Eintreten des Todes nicht beabsichtigt ist, Zweck des Handelns vielmehr
ist, das noch verbliebene Leben eines Sterbenden erträglich zu machen, so kann
das tödliche Risiko als Nebenwirkung hingenommen werden. Auch in diesem Fall
gilt, dass bei einem nicht mehr äußerungsfähigen Patienten der Arzt aufgrund
seines ärztlichen Wissens überzeugt sein muss, sein Tun sei unter den gegebenen
Umständen zum Besten des Patienten.
e) "Tötung auf
Verlangen" bei einem Todkranken
Das Problem kann sich nur stellen
bei einem bewussten, äußerungsfähigen Kranken, dessen Tod nach ärztlichem
Wissen absehbar und unaufhaltsam bevorsteht. Eine beabsichtigte Tötung eines
Kranken gegen dessen Willen kann niemand ernsthaft erwägen.
Beim sogenannten
"Todeswunsch" eines Kranken ist zu unterscheiden:
1. ob er sich nach dem Tode sehnt, sterben will; oder
2. ob er seinen Lebenswillen aufgibt, sich dem Weiterleben
verweigert; oder
3. ob er sich aktiv selbst das Leben nehmen will; oder
4. ob er an einen anderen, an den Arzt oder einen
Angehörigen, das Ansinnen stellt, er solle ihn töten, also die letzte
Verantwortung übernehmen.
Der Unterschied zwischen der
Bereitschaft oder der Sehnsucht zu sterben und dem an einen anderen gerichteten
Verlangen zu töten ist unübersehbar. Nur von diesem letzteren ist hier die
Rede.
Es kann die Situation eintreten,
dass ein Mensch sein Leben nicht mehr annehmen und führen möchte, dass ihm der
Tod "besser" zu sein scheint als sein schreckliches Leben. Ist er
zudem in einer hilflosen Lage, so kann es auch dazu kommen, dass er an einen
anderen jenes Verlangen, ihn zu töten, stellt. Doch müsste ihm dann nicht -
schonend, aber klar - gesagt werden, warum dies sein Verlangen von einem
anderen nicht übernehmbar ist? Ein Verzweifelter braucht intensive Zuwendung,
um die Wahrheit zu erfahren, dass auch sein Leben nicht sinnlos ist.
Käme ein Arzt solchem Verlangen
nach, so zöge er sich einen zerreißenden Konflikt zu zwischen seiner
ärztlichen Berufspflicht, Anwalt des Lebens zu sein, und der ganz anderen
Rolle, einen Menschen zu töten. Täte er es auch aus Mitleid - ließe sich dann
vermeiden, dass man ihm auch noch andere Motive zu unterstellen beginnt? Das
wäre das Ende jedes Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient.
Zuweilen ist es für einen Angehörigen sehr bedrückend, mit ansehen zu müssen,
wie schwer und qualvoll ein Mensch stirbt. Er prüfe sich selbst, ob es nicht
seine Erschöpfung und seine ratlose Ohnmacht sind, die ihn zu dem Wunsch verleiten,
dies sei nicht mehr auszuhalten, man möge das Leben des Sterbenden beenden,
also ihn töten, um - wie man dann sich rechtfertigend sagt - ihm Leiden zu
ersparen.
f) Sterbebegleitung
Begleitung des sterbenden Menschen
wurde und wird durch ganz elementare Handreichungen wie durch tröstenden
Zuspruch in vielen Familien praktiziert. Heute stellt sich die Aufgabe, diese
Form der Sterbehilfe wieder stärker einzuüben und ihr auch in den Bereichen
der professionellen Krankenbetreuung, also in den Krankenhäusern, den
Pflegeheimen und der ambulanten Krankenversorgung, mehr Raum zu schaffen. In
dieser Hinsicht hat die "Hospiz"-Bewegung wichtige Impulse und
Anregungen gegeben.
g) Mutmachen zum Leben
Alle Teilnahme an der Krankheit
und am Leiden eines Sterbenden wird darauf zielen, gemeinsam mit ihm herauszufinden,
was sein Leben auch unter den Einschränkungen, die ihm auferlegt sind, in der
ihm noch verbliebenen Spanne Zeit lebenswert und sinnvoll macht. Alles
Bestreben und Gutzureden wird ihm nahe bringen wollen, dass sein Leben wie das
jedes Menschen, und sei es noch so behindert, für andere bedeutsam und
wichtig ist. In der Stunde des Todeseintritts geht solche Teilnahme über in die
Bitte, der Sterbende möge mit dem Bewusstsein in den Tod gehen, dass sein
Leben nicht vergeblich, sondern von Gott gewollt und gesegnet war.“
14.3.
Einige Fakten zur Praxis der ärztlichen Sterbehilfe in den Niederlanden und im
internationalen Vergleich
Eine aktuelle Studie vergleicht die Häufigkeit und die
Charakteristika von ärztlichen Entscheidungen am Lebensende in sechs
europäischen Ländern (THE LANCET, published online June 17, 2003; Quelle im
Internet siehe unter Punkt 15.).Die Untersuchung wurde methodisch
analog zu früheren Untersuchungen in den Niederlanden durchgeführt. Einige
Ergebnisse sind für die beteiligten Länder Belgien (BE), Dänemark (DK),
Italien (IT), die Niederlande (NL), Schweden (SE) und die Schweiz (CH) in der
folgenden Tabelle 1 zusammengefasst.
Bemerkenswert ist
der in den meisten Ländern erstaunlich hohe Anteil an geleisteter
indirekt-aktiver Sterbehilfe. Aber auch aktive Sterbehilfe gab es danach (vor
dem Inkrafttreten der genannten Gesetze) nicht nur in den Niederlanden,
sondern in allen untersuchten Ländern mit Ausnahme von Schweden. Ärztlich unterstützte
Selbsttötung wurde 2001 in vier der sechs beteiligten Länder praktiziert. Und
Lebensbeendigung mit ärztlicher Hilfe ohne ausdrückliches Verlangen der
Patienten wird aus allen beteiligten Ländern berichtet (sie kommt in Belgien und
Dänemark sogar häufiger als in den Niederlanden vor). Diese Zahlen
relativieren die Angaben, die bisher nur aus den Niederlanden vorlagen.
Die eben aufgeführte Studie wird für die Niederlande um eine
zusätzliche Untersuchung ergänzt (THE LANCET, published online June
17, 2003; Quelle im Internet siehe unter Punkt 15.). Damit liegen
für die Praxis der „Euthanasie“ in den Niederlanden nun auch aktuelle Erhebungen
für das Jahr 2001 vor. In Tabelle 2 finden Sie einige wesentliche Daten:
Tabelle 1
Tatbestand |
BE |
DK |
IT |
NL |
SE |
CH |
ärztlich unterstütztes Sterben +
ärztlich unterstützter Suizid +
Lebensbeendigung ohne ausdrückliches Verlangen des Patienten |
1,82 0,30 0,01 1,50 |
0,79 0,06 0,06 0,67 |
0,10 0,04 0,00 0,06 |
3,40 2,59 0,21 0,60 |
0,23 0 0 0,23 |
1,04 0,27 0,36 0,42 |
Linderung von Schmerzen und Beschwerden mit möglicher
Lebensverkürzung (indirekte aktive Sterbehilfe) |
22 |
26 |
19 |
20 |
21 |
22 |
Nicht-Durchführung oder Abbruch einer möglichen Behandlung
(passive Sterbehilfe) |
15 |
14 |
4 |
20 |
14 |
28 |
Tabelle 2
Tatbestand
|
1990 |
1995 |
2001 |
Erläuterung / Kommentar |
Sterbefälle insgesamt in den Niederlanden |
|
|
140377 |
von 1990 bis 1995 um 5,3% und dann weiter von 1995 bis
2001 um 3,5% gestiegen |
ausdrückliche Bitten um Euthanasie oder Hilfe bei der
Selbsttötung |
8900 |
9700 |
9700 |
keine Zunahme trotz gestiegener Todesfallzahlen |
Euthanasie (aktive Sterbehilfe) |
1,7% |
2,4% |
2,6% |
keine deutliche Zunahme mehr (2001: ca. 3650 Fälle) |
Beihilfe zur Selbsttötung |
0,2% |
0,2% |
0,2% |
konstant niedrig |
Lebensbeendigung ohne ausdrücklichen Wunsch des Patienten |
0,8% |
0,7% |
0,7% |
keine Veränderung |
Maßnahmen zur Linderung von Schmerzen und Beschwerden mit
möglicher Lebensverkürzung |
18,8% |
19,1% |
20,1% |
Hoher Anteil, leichte Steigerung; |
Entscheidung für Nichtanwendung oder Abbruch medizinischer
Maßnahmen |
17,9% |
20,2% |
20,2% |
Hoher Anteil, keine weitere Zunahme |
14.4.
Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP)
unter deutschen Ärzten zu verschiedenen Formen der Sterbehilfe
(Deutsches Ärzteblatt 2004; 101: A-1077-1078 (Heft 16);
Langfassung: www.aerzteblatt.de/plus1604)
Fragestellung
|
Ärzte der DGP |
Andere Ärzte |
Gut vertraut mit den in der Sterbehilfedebatte geläufigen
Begriffen sind |
76 % |
49 % |
es sind vertraut mit b) den „Handreichungen der BÄK zum Umgang mit
Patientenverfügungen“ |
|
|
ist eine gesetzliche Regelung zur Zulassung aktiver
Sterbehilfe wünschenswert? |
(11,6 %) |
|
ist eine gesetzliche Regelung zur Zulassung des ärztlich
assistierten Suizids bei fortgeschrittener unheilbarer Erkrankung
wünschenswert? |
|
|
für Zulassung der „terminalen Sedierung“ bis zum Tod bei
unerträglichem Leid |
> 90 % |
> 90 % |
ist eine gesetzliche Regelung wünschenswert für
Möglichkeit der Therapiebeendigung in aussichtslosen Krankheitssituationen
ohne ausdrückliche Willensbekundung des Betroffenen bzw. der Angehörigen |
|
|
Maßnahmen aktiver Sterbehilfe bzw. Unterstützung einer
Selbsttötung haben selbst durchgeführt |
2,5 bzw. 1,1 % |
2,5 bzw. 1,1 % |
Therapieverzichtsmaßnahmen selbst durchgeführt, ohne dass
ausdrückliche Zustimmung des Betroffenen vorlag |
|
|
Rabbi Judah lag im schweren Todeskampf.
Seine Kollegen, die
Rabbis, standen um sein Bett herum,
und ihr Gebet hielt den Todesengel von Rabbi Judahs Lager weg.
Durch das Gebet
verlängerte sich sein Leben und seine Qual.
Rabbi Judahs Magd
konnte es jedoch nicht mehr länger ertragen.
Um ihrem geliebten Meister
den erlösenden Tod zu bringen,
stieg sie ins
Obergeschoss, nahm einen irdenen Krug und warf ihn aus dem Fenster.
Als er krachend auf die
Strasse fiel,
erschraken die Rabbiner
und hielten für einen Augenblick im Gebet inne.
In dieser Sekunde starb
Rabbi Judah.
Seine Magd wurde für ihre Tat gelobt.
(nach Beat Vogel in: Wie Menschenwürdig sterben,
NZN Buchverlag AG, Zürich, 2001)
14.5. Argumente Pro und Contra aktive Sterbehilfe
Argumente für |
Argumente gegen |
1.
Selbstbestimmung 2.
Lebensqualität 3. Würde 4. Leid /
Schmerzen 5.
Beihilfe zur Selbsttötung ist straffrei |
1.
Unverfügbarkeit des Lebens 2.
Sozialer Druck 3. Würde 4. Ängste
und Bedürfnisse 5. Alibi
für soziale Versäumnisse 6.
Dammbruch 7.
Ökonomische Gründe 8.
Zerstörung des Arzt-Patient-Verhältnisses |
Die Inuit (Ureinwohner
von Grönland) unterschieden zwischen drei Todesarten.
Erstens: dem Tod durch
Krankheit, verursacht von böswilligen Geistern. Zweitens: dem Tod auf der Jagd.
Ein Grund, in Liedern ehrenvoll erwähnt zu werden. Drittens: dem freiwilligen
Tod zur Erhaltung der Gemeinschaft. Dieser Tod wurde besonders verehrt - der
durch Erdrosseln oder Erfrieren Verstorbene wurde über Generationen in Liedern
und Legenden gepriesen. (taz16.12.2010 S.13)
14.6.
Nationaler Ethikrat 2006:
Vorschläge zur Terminologie wichtiger Begriffe im Zusammenhang mit
Sterbebegleitung und Sterbehilfe
Der Nationale Ethikrat hält die Begriffe „aktive“, „passive“
und „indirekte Sterbehilfe“ für missverständlich und irreführend.
Entscheidungen und Handlungen am Lebensende, die sich mittelbar oder
unmittelbar auf den Prozess des Sterbens und den Eintritt des Todes auswirken,
können angemessen beschrieben und unterschieden werden, wenn man sich
terminologisch an folgenden Begriffen orientiert:
Mit dem Begriff der Sterbebegleitung sollen Maßnahmen zur
Pflege und Betreuung von Todkranken und Sterbenden bezeichnet werden. Dazu
gehören körperliche Pflege, das Löschen von Hunger- und Durstgefühlen, das Mindern
von Übelkeit, Angst, Atemnot, aber auch menschliche Zuwendung und
seelsorgerlicher Beistand, die dem Sterbenden und seinen Angehörigen gewährt
werden.
Ihr Ziel muss es sein, die Fähigkeit des Patienten, den
eigenen Willen auch in der Sterbephase zur Geltung zu bringen, so lange zu
erhalten, wie es medizinisch möglich, für den Betroffenen erträglich und von
ihm gewollt ist.
Zu
den Therapien am Lebensende zählen alle medizinischen Maßnahmen, einschließlich
palliativmedizinischer Maßnahmen, die in der letzten Phase des Lebens erfolgen
mit dem Ziel, Leben zu verlängern und jedenfalls Leiden zu mildern. Dazu
gehören auch Maßnahmen, bei denen die Möglichkeit besteht, dass der natürliche
Prozess des Sterbens verkürzt wird, sei es durch eine hochdosierte
Schmerzmedikation oder eine starke Sedierung, ohne die eine Beherrschung
belastender Symptome nicht möglich ist. Auf den bisher in diesem Zusammenhang
verwendeten Begriff der „indirekten Sterbehilfe“ sollte verzichtet werden,
weil der Tod des Patienten weder direkt noch indirekt das Ziel des Handelns
ist. Wird dagegen eine medizinisch nicht gerechtfertigte Überdosis der entsprechenden
Medikamente gegeben, um den Tod des Patienten gezielt herbeizuführen, ist der
Begriff der indirekten Sterbehilfe ohnehin unangebracht, weil es sich um die
Tötung des Patienten handelt.
Von Sterbenlassen statt von „passiver Sterbehilfe“ wird in
dieser Stellungnahme gesprochen, wenn eine lebensverlängernde medizinische
Behandlung unterlassen wird und dadurch der durch den Verlauf der Krankheit bedingte
Tod früher eintritt, als dies mit der Behandlung aller Voraussicht nach der
Fall wäre. Das Unterlassen kann darin bestehen, dass eine lebensverlängernde
Maßnahme erst gar nicht eingeleitet wird; es kann auch darin bestehen, dass
eine bereits begonnene Maßnahme nicht fortgeführt oder durch aktives Eingreifen
beendet wird. In manchen Fällen kann es sinnvoll sein, dies durch eine
unterschiedlich tiefe palliative Sedierung zu begleiten.
Verschaffen Ärzte oder andere Personen jemandem ein
todbringendes Mittel oder unterstützen sie ihn auf andere Weise bei der
Vorbereitung oder Durchführung einer eigenverantwortlichen Selbsttötung, liegt
Beihilfe zur Selbsttötung (assistierter Suizid) vor.
Wenn man jemandem auf dessen ernsthaften Wunsch hin eine
tödliche Spritze gibt oder ihm eine Überdosis an Medikamenten verabreicht oder
sonst auf medizinisch nicht angezeigte Weise eingreift, um seinen Tod herbeizuführen,
der krankheitsbedingt noch nicht eintreten würde, handelt es sich um Tötung auf
Verlangen. Im Unterschied zur Beihilfe zur Selbsttötung führt hier nicht der
Betroffene selbst, sondern ein anderer die tödliche Handlung aus.
(nach: Nationaler Ethikrat: Stellungnahme Juli 2006 „ Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende“ – im Internet unter http://www.ethikrat.org/archiv/nationaler-ethikrat/stellungnahmen/pdf/Stellungnahme_Selbstbestimmung_und_Fuersorge_am_Lebensende.pdf )
14.7. Bausteine für den Einstieg ins Gespräch
Zunächst möchten wir verweisen auf
„Bausteine“, die Sie verstreut im vorliegenden Heft finden:
A) Fallbeispiele (diese stellen
oft auch konkrete Entscheidungssituationen dar)
à im Text grau unterlegt
B) Definitionen
und Sachinformationen
à im Text hervorgehoben in „Kästen“
C) Gedichte, Liedtexte, Zitate
Hinweise auf Fundstellen für Texte aus der christlichen
Tradition finden Sie am Ende des Kapitels 12.
Dort sind auch einige Bibelworte, Psalmen, Gebete und Segensformulierungen abgedruckt.
Im Folgenden bieten wir als weitere Anregungen noch einige Liedtexte aus der Rock- und Popmusik an.
REINHARD
MEY:
„Wie ein Baum, den man fällt“ (Auszug)
Wenn's wirklich gar nicht anders geht ...
Wenn jeder Vorwand, jede List,
ihm zu entgeh'n vergebens ist,
Wenn ich, wie ich's auch dreh' und bieg',
den eig'nen Tod nicht schwänzen kann ...
Hätt' ich noch einen Wunsch zum Schluss:
Ich möcht' im Stehen sterben ...
Wenn ich dies Haus verlassen soll,
fürcht' ich, geht das nicht würdevoll ...
Zum letzten Abgang, jenem herben,
der mir so unsagbar schwerfällt,
hätt' ich den leichtesten gewählt:
Ich möcht' im Stehen sterben.
XAVIER
NAIDOO:
„Abschied nehmen“ (Auszug)
Und gestern drang die Nachricht dann zu mir
Ich weiß nich, aber es zerriss mich schier.
Denn keiner kann mir sagen,
wie es geschah ...
Und ich wollte noch Abschied nehmen,
das werd ich mir nie vergeben!
Mann, wie konntest von uns gehen?
jetzt soll ich dich nie mehr sehen ...
PUHDYS:
„Wenn ein Mensch lebt“ (Auszug)
Wenn ein Mensch kurze Zeit lebt,
sagt die Welt, dass er zu früh geht.
Wenn ein Mensch lange Zeit lebt,
sagt die Welt: es ist Zeit ...
Jegliches hat seine Zeit,
Steine sammeln - Steine zerstreun.
Bäume pflanzen - Bäume abhaun,
leben und sterben und Streit.
FALCO:
„Out of the Dark“ (Auszug)
Ich bin bereit.
Denn es ist Zeit.
Für unseren Pakt über die Ewigkeit.
Du bist schon da.
Ganz nah.
Ich kann Dich spüren.
Laß' mich verführen, laß' mich entführen.
Heute Nacht zum letzten Mal.
Ergeben Deiner Macht.
Reich mir die Hand.
Mein Leben, nenn' mir den Preis.
Ich schenk' Dir Gestern, Heut' und Morgen.
Dann schließt sich der Kreis.
Kein Weg zurück.
Das weiße Licht kommt näher.
Stück für Stück.
Will mich ergeben.
Muß ich denn sterben.
Um zu leben.
HERBERT
GRÖNEMEYER:
„Mensch“ (Auszug)
Der Mensch heißt Mensch,
weil er vergisst, weil er verdrängt
weil er lacht und weil er lebt
weil er irrt und weil er kämpft
weil er hofft und liebt
weil er mitfühlt und vergibt
weil er schwärmt und glaubt
sich anlehnt und vertraut ...
--- du fehlst
15. Quellen und weiterführende Literatur
·
eine
ausführliche Sammlung von Quellen, die in dieser Arbeitshilfe verwendet wurden,
sowie weitere Zitate, Daten und Fakten zum Themenbereich „In Würde sterben“
finden Sie hier: http://www.krause-schoenberg.de/sterben_faktensammlung_akt.html
·
Aktuelle
Zusammenstellung von Dokumenten der Bundesärztekammer
zur ärztlichen Sterbebegleitung und zu Patientenverfügungen: http://www.baek.de/page.asp?his=0.6.5048
·
Aktuelle
Zusammenstellung von Dokumenten des Deutschen
Ethikrates zu Sterbebegleitung und Patientenverfügung unter: http://www.ethikrat.org/archiv/nationaler-ethikrat/stellungnahmen;
Stellungnahmen und Publikationen des früheren Nationalen Ethikratrates und der Enquetekommissionen des Deutschen Bundestages zur Medizinethik
unter: http://www.ethikrat.org/archiv
Sterbebegleitung:
·
Kübler-Ross,
Elisabeth: Verstehen was Sterbende sagen wollen. Einführung in ihre symbolische
Sprache. – Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1985
·
Kübler-Ross,
Elisabeth: Interviews mit Sterbenden. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt,
1987.
·
Das
Hospiz-Buch / hrsg. von Johann-Christoph Student. – 4., erw. Aufl. – Freiburg
i.Br.: Herder, 1999.
·
Looser,
Gabriel: Im Sterben die Fülle des Lebens erfahren, Ein Begleitbuch, Walter
Verlag Zürich und Düsseldorf, 1999
·
Weiß,
Wolfgang: Im Sterben nicht allein. Hospiz. Ein Handbuch für Angehörige und Gemeinden,
Wichern Verlag Berlin, 1999
·
Piper,
Hans-Christoph: Gespräche mit Sterbenden. – 4. Aufl. – Göttingen: Vandenhoeck
& Ruprecht, 1990.
·
Bundesministerium
für Gesundheit und Soziale Sicherung: „Pflegen zu Hause – Ratgeber für die
häusliche Pflege“; Broschüre A5 100
Seiten, November 2001, Bestelladresse: BMGS, Ref. Information, PF 500, 53105
Bonn
·
Nationaler
Ethikrat: Stellungnahme Juli 2006 „ Selbstbestimmung und Fürsorge am
Lebensende“ – im Internet unter http://www.nationalerethikrat.de/stellungnahmen/pdf/Stellungnahme_Sterbebegleitung.pdf
jetzt suchen unter: http://www.ethikrat.org/archiv/nationaler-ethikrat/stellungnahmen
·
Grundsätze
der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung Januar 2011 http://baek.de/downloads/Sterbebegleitung_17022011.pdf
Tod, Trauer und Trauerbegleitung:
·
Jüngel,
Eberhard: Tod. – Stuttgart: Kreuz, 1971.
·
Hauke,
Rainer: Ratgeber Trauerfall: Informationen aus christlicher Sicht. – Berlin:
Wichern, 1997.
·
Canacakis,
Jorgos: Ich sehe deine Tränen. Trauern, Klagen, Leben können. – Stuttgart:
Kreuz, 1987.
·
Spiegel,
Yorick: Der Prozeß des Trauerns. Analyse und Beratung. – 8. Aufl. – Gütersloh:
Kaiser, 1995.
Medizinische Ethik im Zusammenhang von Sterben und Tod
·
Körtner,
Ulrich H.J.: Bedenken, daß wir sterben müssen. Sterben und Tod in Theologie und
medizinischer Ethik. – München: Beck, 1996.
·
Fischer,
Johannes: Medizin- und bioethische Perspektiven : Beiträge zur Urteilsbildung
im Bereich von Medizin und Biologie. – Zürich: Theologischer Verlag, 2002.
·
Eibach,
Ulrich: Menschenwürde an den Grenzen des Lebens, Neukirchen-Vluyn 2000
·
Krause,
Cornelia: „Sterbehilfe als ethisches Problem am Beispiel der niederländischen
Gesetzgebung vom 1. April 2002 unter besonderer Berücksichtigung neuerer
Stimmen aus Kirche und Theologie in Deutschland und den Niederlanden“,
Diplomarbeit, Theologische Fakultät Universität Leipzig WS 2002/2003
·
Zulehner,
Paul; Becker, Paul; Virt, Günter: Sterben und sterben lassen, Patmos Verlag
Düsseldorf, 1991
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Wiesing,
U. (Hrsg.): Ethik in der Medizin, Reclam, Stuttgart 2000
·
Liedke,U.;
Oehmichen,F. (Hrsg.): Sterben. Natürlicher Prozess und professionelle
Herausforderung; Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2008
Kirchliche
Verlautbarungen:
·
„Gott ist ein Freund des Lebens“ - Herausforderungen und
Aufgaben beim Schutz des Lebens, Kirchenamt der Evangelischen
Kirche in Deutschland / Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.):,
Gütersloh 1991; im Internet unter: www.ekd.de/EKD-Texte/gottist/freunddeslebens.html
·
„Sterbebegleitung
statt aktiver Sterbehilfe“; Hrsg. Evangelische Kirche in Deutschland und
Katholische Deutsche Bischofskonferenz, Textsammlung kirchlicher Erklärungen,
Bezug: Kirchenamt der EKD, Herrenhäuser Str. 12, 40419 Hannover, Tel.
0511-2796469,
im Internet unter: http://www.ekd.de/EKD-Texte/2064_sterbebegleitung_2003.html
·
„Jeder Mensch ist zum Bild Gottes geschaffen“, Arbeitsergebnisse
der Projektgruppe Auswirkungen der modernen Medizin im Bereich der Diakonie
Diakonisches Werk der EKD zum Schlussbericht der Enquete-Kommission Recht und
Ethik der modernen Medizin, Berlin, Januar 2003;
im Internet unter http://www.diakonie.de/de/downloads/DK-02-2003.pdf
·
Wenn
Menschen sterben wollen - Eine Orientierungshilfe zum Problem der ärztlichen Beihilfe
zur Selbsttötung; Ein Beitrag des Rates der Evangelischen Kirche in
Deutschland, EKD-Texte 97, 2008 http://www.ekd.de/EKD-Texte/ekdtext_97.html
Sterben
und Tod im Wandel der Geschichte
·
Fischer,
Ernst Peter (Hrsg.): Neue Horizonte 98/99 – Geburt und Tod, Piper 1999
·
Ariès,
Philippe: Geschichte des Todes, dtv, München 1999
Patientenverfügung – Betreuungsrecht - Rechtsprechung
·
Gesetz
zu Patientenverfügungen vom 18.6.2009 unter: http://www.patientenverfuegung.de/files/593-09[1].pdf
·
Schell,
Werner: Sterbebegleitung und Sterbehilfe. Gesetze, Rechtsprechung,
Deklarationen (Erklärungen), Richtlinien, Stellungnahmen. – 2. aktualisierte
und erw. Aufl. – Hagen: Brigitte Kunz Verlag, 2000
·
Putz,
Wolfgang; Steldinger, Beate: Patientenrechte am Ende des Lebens; Beck-Rechtsberater
im dtv-Verlag, München 2003
·
Bayerisches
Staatsministerium der Justiz: „Vorsorge für Unfall, Krankheit und Alter durch
Vollmacht, Betreuungsverfügung, Patientenverfügung“; Broschüre 2004, 48
Seiten, im Buchhandel erhältlich (Verlag C.H.Beck, 3,90 Euro);
im Internet: http://www.verwaltung.bayern.de/Gesamtliste-.613.1928150/index.htm
·
Bundesministerium
der Justiz: „Betreuungsrecht“ (mit Informationen zu Vorsorgevollmacht und
Betreuungsverfügung), Bezug kostenlos: Publikationsversand der
Bundesregierung, Postfach 481009, 18132 Rostock im Internet: http://www.bmj.bund.de/files/-/1511/Betreuungsrecht_November_2009.pdf
·
Bundesministerium
der Justiz, Broschüre „Patientenverfügung“, Bezug kostenlos:
Publikationsversand der Bundesregierung, Postfach 481009, 18132 Rostock; im
Internet: http://www.bmj.bund.de/files/-/3903/Patientenverfuegung_Broschuere_Januar2010_barrierfrei-1.pdf
·
Sächsisches
Staatsministerium der Justiz: „Betreuung und Vorsorge – ein Leitfaden“, Bezug:
Zentraler Broschürenversand, Hammerweg 30, 01127 Dresden, Tel. 0351-210-3671
oder 3672
·
„Christliche
Patientenvorsorge“ 2011, Handreichung mit Formularen zu Vorsorgevollmacht,
Betreuungsverfügung und Patientenverfügung, Hrsg. Kirchenamt der EKD und
Katholische Deutsche Bischofskonferenz, Bestellungen bei: Kirchenamt der EKD,
Herrenhäuser Str. 12, 30419 Hannover, Tel. 0511-2796-0 Fax –457; per Mail: versand@ekd.de, im Internet: http://www.ekd.de/patientenvorsorge/index.html
·
„Patientenrechte in Deutschland“; Leitfaden für
Patienten und Ärzte, Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung
und Bundesministerium der Justiz (Hrsg.):, Februar 2003, Bestelladresse: BMGS,
Ref. Information, PF 500, 53105 Bonn;
im Internet unter: http://www.bmgs.bund.de/download/broschueren/A407.pdf
·
„Sterben
hat seine Zeit - Überlegungen zum Umgang mit Patientenverfügungen aus
evangelischer Sicht“, EKD-Texte Nr. 80, Bestellungen: Kirchenamt der EKD,
Herrenhäuser Str. 12, 30419 Hannover, Tel. 0511-2796-0 Fax –457; im Internet: http://www.ekd.de/EKD-Texte/2059_ekd_texte_80_1.html
·
Ministerium
der Justiz Rheinland-Pfalz (Hrsg.): Bioethik-Kommission Rheinland-Pfalz:
„Sterbehilfe und Sterbebegleitung – Ethische, rechtliche und medizinische
Bewertung des Spannungsverhältnisses zwischen ärztlicher Lebenserhaltungspflicht
und Selbstbestimmung des Patienten“; 23.4.2004; Bezug: Justizministerium
Rheinland-Pfalz, Ernst-Ludwig-Str. 3, 55116 Mainz
·
Nationaler
Ethikrat: Patientenverfügung – Ein Instrument der Selbstbestimmung.
Stellungnahme 2005,
jetzt suchen unter: http://www.ethikrat.org/archiv/nationaler-ethikrat/stellungnahmen
Europäische Rechtsdokumente
und Rechtspraxis
·
Europarat,
Parlamentarische Versammlung: „Schutz der Menschenrechte und der Würde der
Todkranken und Sterbenden“ Empfehlung 1418 (1999),
im Internet unter: http://www.univie.ac.at/ethik-und-recht-in-der-medizin/Dokumente/Eurorat.doc
·
Das
niederländische Gesetz zur aktiven Sterbehilfe
(„Das Gesetz über die Kontrolle der
Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei Selbsttötung“)
http://www.minbuza.nl/default.asp?CMS_ITEM=MBZ416793
·
einige
Erläuterungen aus dem niederländischen Außenministerium zum niederländischen
Sterbehilfegesetz:
http://www.minbuza.nl/default.asp?CMS_ITEM=MBZ461024
·
Das
belgische Gesetz zur aktiven Sterbehilfe:
http://www.iuscrim.mpg.de/forsch/straf/referate/sach/SterbehilfeG_Belgien.pdf
·
Studie:
„Entscheidungen am Lebensende in sechs europäischen Ländern“
(End-of-life decision-making in six European countries: descriptive study)
THE LANCET • Published online June 17, 2003 • http://image.thelancet.com/extras/03art3298web.pdf
·
Studie:
„Euthanasie (aktive Sterbehilfe) und andere Entscheidungen am Lebensende in den
Niederlanden 1990, 1995 und 2001“
(Euthanasia and other end-of-life decisions in the Netherlands in 1990, 1995,
and 2001; THE LANCET • Published online June 17, 2003 • http://image.thelancet.com/extras/03art3297web.pdf)
16. Anhang:
Musterformulare
/ Bausteine für Betreuungsverfügung, Vorsorge-Vollmacht und Patientenverfügung
Wenn Sie eine Verfügung
oder Vollmacht nicht in eigenen Worten niederschreiben wollen, können Sie auch
die im Folgenden wiedergegebenen Vorlagen nutzen. Darin können Sie die Aussagen
ankreuzen, die Ihre Willensbildung wiedergeben. Sie können auch persönliche
Ergänzungen einfügen oder anhängen.
Die verwendeten Vorlagen
wurden (mit geringfügigen Veränderungen) übernommen aus der Broschüre: Bayerisches
Staatsministerium der Justiz (Hrsg.): „Vorsorge für Unfall, Krankheit und Alter
durch Vollmacht, Betreuungsverfügung, Patientenverfügung“; 2004. Die
Broschüre ist im Buchhandel erhältlich (mit herausnehmbaren Vordrucken): Verlag
C.H.Beck, ISBN 3-406-53063-X, 3,90 Euro); Sie finden den Text dieser Broschüre
und die enthaltenen Formulare auch zum Ausdrucken im Internet unter http://www.justiz.bayern.de/imperia/md/content/stmj_internet/buergerservice/broschueren/vorsorge_sept2005.pdf
Hier finden Sie
die im Folgenden wiedergegebenen Musterformulare als PDF-Dateien: http://www.krause-schoenberg.de/SB04_Vorsorge.pdf
VORSORGE-VOLLMACHT
Ich, .........................................................................................................
(Vollmachtgeber/in)
(Name, Vorname,
Geburtsdatum)
...................................................................................................................................................
(Adresse,
Telefon, Telefax)
erteile hiermit Vollmacht an
.......................................................................................................
(bevollmächtigte Person)
(Name,
Vorname, Geburtsdatum)
...................................................................................................................................................
(Adresse,
Telefon, Telefax)
Nur für den Fall, dass die erstgenannte Person die
Vollmacht nicht wahrnehmen kann,
soll diese Vollmacht gelten für
........................................................................................................
(bevollmächtigte Person)
(Name,
Vorname, Geburtsdatum)
....................................................................................................................................................
(Adresse,
Telefon, Telefax)
Diese
Vertrauensperson wird hiermit bevollmächtigt, mich in allen Angelegenheiten zu
vertreten, die ich im Folgenden angekreuzt oder angegeben habe. Durch diese
Vollmachtserteilung soll eine vom Gericht angeordnete Betreuung vermieden
werden. Die Vollmacht bleibt daher in Kraft, wenn ich nach ihrer Errichtung geschäftsunfähig
geworden sein sollte.
Die
Vollmacht ist nur wirksam, solange die bevollmächtigte Person die
Vollmachtsurkunde besitzt und bei Vornahme eines Rechtsgeschäfts die Urkunde im
Original vorlegen kann.
·
Sie darf in allen Angelegenheiten der
Gesundheitssorge entscheiden, ebenso JA O NEIN O
über alle Einzelheiten einer ambulanten oder (teil-)stationären Pflege. Sie ist
befugt,
meinen in einer Patientenverfügung festgelegten Willen durchzusetzen.
·
Sie darf insbesondere in sämtliche Maßnahmen zur
Untersuchung des Gesundheits- JA O NEIN O
zustandes und in Heilbehandlungen einwilligen, auch wenn diese mit Lebensgefahr
verbunden sein könnten oder ich einen schweren oder länger dauernden gesund-
heitlichen Schaden erleiden könnte (§ 1904 Abs.1 BGB). Sie darf die
Einwilligung
zum Unterlassen oder Beenden lebensverlängernder Maßnahmen erteilen.
·
Sie darf Krankenunterlagen einsehen und deren Herausgabe
an Dritte bewilligen. JA O NEIN O
Ich entbinde alle mich behandelnden Ärzte und nichtärztliches Personal
gegenüber
meiner bevollmächtigten Vertrauensperson von der Schweigepflicht.
·
Sie darf über meine Unterbringung mit
freiheitsentziehender Wirkung (§ 1906 JA O NEIN O
Abs.1 BGB) und über freiheitsentziehende Maßnahmen (z. B. Bettgitter,
Medikamente u. ä.) in einem Heim oder in einer sonstigen Einrichtung (§ 1906
Abs. 4 BGB) entscheiden, solange dergleichen zu meinem Wohle erforderlich ist.
·
......................................................................................................…............................ JA O NEIN O
·
Sie darf meinen Aufenthalt bestimmen, Rechte und
Pflichten aus dem JA O NEIN O
Mietvertrag über meine Wohnung einschließlich einer Kündigung wahrnehmen
sowie meinen Haushalt auflösen.
·
Sie darf einen Heimvertrag abschließen.
.................................................................... JA O NEIN O
·
..................................................................................................................................... JA O NEIN O
·
Sie darf mich bei Behörden, Versicherungen, Renten-
und Sozialleistungsträgern JA O NEIN O
vertreten.
Vermögenssorge
Sie darf
mein Vermögen verwalten und hierbei alle Rechtshandlungen und Rechtsgeschäfte
im In- und Ausland vornehmen, Erklärungen aller Art abgeben und entgegennehmen
sowie
Anträge
stellen, abändern, zurücknehmen, namentlich
·
über Vermögensgegenstände jeder Art verfügen
....................................................... JA O
NEIN O
·
Zahlungen und Wertgegenstände annehmen
............................................................. JA O NEIN O
·
Verbindlichkeiten eingehen
......................................................................................... JA O NEIN O
·
Willenserklärungen bezüglich meiner Konten, Depots
und Safes abgeben. JA O NEIN O
Sie darf mich im Geschäftsverkehr mit Kreditinstituten vertreten.
·
Schenkungen in dem Rahmen vornehmen, der einem
Betreuer rechtlich JA O NEIN O
gestattet ist.
·
Folgende Geschäfte soll sie nicht wahrnehmen können:
............................... JA O NEIN O
................................................................................................…………………………..
·
..................................................................................................................................
.. JA O
NEIN O
(Achtung: Kreditinstitute verlangen
oft eine Vollmacht auf bankeigenen Vordrucken! Für Immobiliengeschäfte, Aufnahme
von Darlehen sowie für Handelsgewerbe ist eine notarielle Vollmacht
erforderlich!)
·
Sie darf die für mich bestimmte Post entgegennehmen
und öffnen sowie über JA O NEIN O
den Fernmeldeverkehr entscheiden. Sie darf alle hiermit zusammenhängenden
Willenserklärungen (z.B. Vertragsabschlüsse, Kündigungen) abgeben.
Vertretung
vor Gericht
·
Sie darf mich gegenüber Gerichten vertreten sowie
Prozesshandlungen aller Art JA O NEIN O
vornehmen.
·
Sie darf in einzelnen Angelegenheiten Untervollmacht
erteilen. ................................ JA O NEIN O
·
Falls trotz dieser Vollmacht eine gesetzliche Vertretung
(„rechtliche Betreuung“) JA O NEIN O
erforderlich sein sollte, bitte ich, die oben bezeichnete Vertrauensperson
als Betreuer zu bestellen.
..................................................................................................................................................
..................................................................................................................................................
..................................................................................................................................................
(Ort, Datum) (Unterschrift der
Vollmachtgeberin /des Vollmachtgebers)
....................................................................... .......................................................................................................
(Ort, Datum) (Unterschrift der
Vollmachtnehmerin/des Vollmachtnehmers)
PATIENTENVERFÜGUNG
Für den Fall, dass ich, ......................................................................................................................
geboren am:
........................................................................................................................................
wohnhaft in:
........................................................................................................................................
meinen
Willen nicht mehr bilden oder verständlich äußern kann, bestimme ich Folgendes:
Zutreffendes
habe ich hier
angekreuzt
bzw. beigefügt ↓
1.
Situationen, für die diese Verfügung gilt:
·
Wenn ich mich aller Wahrscheinlichkeit nach
unabwendbar im unmittelbaren JA
O NEIN O
Sterbeprozess befinde.
·
Wenn ich mich im Endstadium einer unheilbaren,
tödlich verlaufenden Krankheit JA O NEIN O
befinde,selbst wenn der Todeszeitpunkt noch nicht absehbar ist.
·
Wenn infolge einer Gehirnschädigung meine Fähigkeit,
Einsichten zu gewinnen, JA O NEIN O
Entscheidungen zu treffen und mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, nach
Einschätzung zweier erfahrener Ärzte aller Wahrscheinlichkeit nach unwieder-
bringlich erloschen ist, selbst wenn der Todeszeitpunkt noch nicht absehbar
ist.
Dies gilt für direkte Gehirnschädigung z. B. durch Unfall, Schlaganfall,
Entzündung
ebenso wie für indirekte Gehirnschädigung z. B. nach Wiederbelebung, Schock
oder Lungenversagen. Es ist mir bewusst, dass in solchen Situationen die
Fähigkeit
zu Empfindungen erhalten sein kann und dass ein Aufwachen aus diesem Zustand
nicht ganz sicher auszuschließen, aber äußerst unwahrscheinlich ist.
·
Wenn ich infolge eines sehr weit fortgeschrittenen
Hirnabbauprozesses (z. B. JA O NEIN O
bei Demenzerkrankung) auch mit ausdauernder Hilfestellung nicht mehr in der
Lage bin, Nahrung und Flüssigkeit auf natürliche Weise zu mir zu nehmen,
und/oder
nicht mehr weiß, wer ich bin, wo ich bin, und Familie und Freunde nicht mehr
erkenne.
·
(Situationsbeschreibung für eine eigene schwere
fortschreitende Erkrankung:) JA
O NEIN O
.............................................................................................................................................
.............................................................................................................................................
·
........................................................................................................................………. JA O NEIN O
·
Vergleichbare, hier nicht ausdrücklich erwähnte
Krankheitszustände sollen JA O NEIN O
entsprechend beurteilt werden.
2. In
allen unter Nummer 1 beschriebenen und angekreuzten Situationen verlange ich:
·
Lindernde pflegerische Maßnahmen, insbesondere
Mundpflege zur Vermeidung des O
Durstgefühls sowie lindernde ärztliche Maßnahmen, im speziellen Medikamente zur
wirksamen Bekämpfung von Schmerzen, Luftnot, Angst, Unruhe, Erbrechen und
anderen
Krankheitserscheinungen. Die Möglichkeit einer Verkürzung meiner Lebenszeit
durch
diese Maßnahmen nehme ich in Kauf.
3. Eine
Krankenhauseinweisung soll nur erfolgen, wenn die leidenslindernden .....O
Maßnahmen zu Hause bzw. im Seniorenheim
nicht durchführbar sind
4. In den
unter Nummer 1 beschriebenen und angekreuzten Situationen wünsche ich:
·
Die Unterlassung lebenserhaltender Maßnahmen, die nur
den Todeseintritt verzögern O
und dadurch mögliches Leiden unnötig verlängern würden,
z.B. keine lebensverlängernden Maßnahmen durch medikamentöse Unterstützung
des Kreislaufs oder durch maschinelle Verfahren wie künstliche Beatmung oder
Dialyse
·
Keine Wiederbelebungsmaßnahmen
.................................................................................
O
(Patientenverfügung Seite 2)
·
keine Bekämpfung einer zusätzlich auftretenden
Krankheit (z.B. Lungenentzündung, O
Einsatz von Antibiotika)
5. In den
von mir unter Nummer 1 beschriebenen und angekreuzten Situationen,
insbesondere in den Situationen, in
denen der Tod nicht unmittelbar bevorsteht,
wünsche ich sterben zu dürfen und
verlange:
·
Keine künstliche Ernährung (weder über eine
Magensonde durch den Mund, die Nase O
oder die Bauchdecke noch über die Vene)
·
Verminderte künstliche Flüssigkeitsgabe nach
ärztlichem Ermessen ............................. O
Die
Befolgung dieser Wünsche ist nach geltendem Recht keine aktive Sterbehilfe.
6. Ich
wünsche eine Begleitung
·
durch
.................................................................................................................................
O
....................................................................................................................................
(Name, Anschrift, Angaben für
persönliche Wünsche und Anmerkungen)
·
durch einen Seelsorger (Name)
.........................................................................................
O
·
durch einen Hospizdienst (Name, Institution)
.................................................................... O
7.a) Ich
habe zusätzlich zur Patientenverfügung eine Vorsorgevollmacht erteilt JA O NEIN O
und den Inhalt dieser Patientenverfügung mit der von mir bevollmächtigten
Person besprochen.
7.b) Ich
habe anstelle einer Vollmacht eine Betreuungsverfügung erstellt. JA O NEIN O
Mein Bevollmächtigter bzw. vorgeschlagener Betreuer
ist (auch als Auskunftsperson gegenüber Ärzten)
..................................................................................................................................................................................
(Name)
..................................................................................................................................................................................
(Anschrift)
..................................................................................................................................................................................
(Telefon)
(Telefax)
8. Sofern
dieser Patientenverfügung Erläuterungen zu meinen Wertvorstellungen, u.a.
meiner Bereitschaft zur Organspende („Organspendeausweis“), meinen
Vorstellungen zur Wiederbelebung (z. B. bei akutem Herzstillstand) oder Angaben
zu bestehenden Krankheiten beigefügt sind, sollen sie als erklärender
Bestandteil dieser Verfügung angesehen werden.
Ich habe
diese Verfügung nach sorgfältiger Überlegung erstellt. Sie ist Ausdruck meines
Selbstbestimmungsrechts. Darum wünsche ich nicht, dass mir in der konkreten
Situation der Nichtentscheidungsfähigkeit eine Änderung meines Willens
unterstellt wird, solange ich diesen nicht ausdrücklich (schriftlich oder
nachweislich mündlich) widerrufen habe.
Ich weiß,
dass ich die Patientenverfügung jederzeit abändern oder insgesamt widerrufen
kann.
.........................................................
........................................................................
(Ort,
Datum)
(Unterschrift)
(Patientenverfügung
Seite 3)
Patientenverfügung:
mögliche weitere Angaben
Es
empfiehlt sich, diese Verfügung regelmäßig (z. B. alle ein bis zwei Jahre)
durch Unterschrift zu bestätigen. Eine erneute Unterschrift bzw. eine
Überarbeitung ist sinnvoll, wenn eine Änderung der persönlichen Lebensumstände
eintritt. Eine ärztliche Beratung ist dringend zu empfehlen, auch wenn sie
keine Voraussetzung für die rechtliche Wirksamkeit ist.
....................................................................................................................................................
(Ort) (Datum) (Unterschrift)
....................................................................................................................................................
(Ort) (Datum) (Unterschrift)
....................................................................................................................................................
(Ort) (Datum) (Unterschrift)
Der Arzt / die Ärztin
meines Vertrauens ist:
....................................................................................................................................................
(Name)
(Anschrift) (Telefon) (Telefax)
....................................................................................................................................................
(Ort) (Datum) (Unterschrift)
..................................................
.................................................................................
..............
(Name)
(Anschrift)
(Telefon)
....................................................................................................................................................
(Ort) (Datum) (Unterschrift)
* (Eine Beratung vor dem
Abfassen einer Patientenverfügung ist rechtlich nicht vorgeschrieben. Ein
stattgefundenes Beratungsgespräch kann aber unterstreichen, dass Sie Ihre
Wünsche ernsthaft und im Bewusstsein ihrer Bedeutung zum Ausdruck gebracht
haben.)
BETREUUNGSVERFÜGUNG
Ich, ....................................................................................................................................................
(Name, Vorname,
Geburtsdatum)
....................................................................................................................................................
(Adresse, Telefon, Telefax)
lege hiermit für den Fall, dass ich infolge
Krankheit, Behinderung oder Unfall meine Angelegenheiten teilweise oder ganz
nicht mehr selbst besorgen kann und deshalb ein Betreuer als gesetzlicher
Vertreter für mich bestellt werden muss, Folgendes fest:
Als Person, die mich betreuen soll, schlage ich vor:
Name: .........................................................................................................................................
Geburtsdatum: ...........................................................................................................................
Straße:........................................................................................................................................
Wohnort: .....................................................................................................................................
oder, falls diese nicht zum Betreuer bestellt werden
kann:
Name: .........................................................................................................................................
Geburtsdatum: ...........................................................................................................................
Straße:
.......................................................................................................................................
Wohnort:
....................................................................................................................................
Auf keinen Fall zur Betreuerin/zum Betreuer bestellt
werden soll:
Name:
........................................................................................................................................
Geburtsdatum:
...........................................................................................................................
Straße:
......................................................................................................................................
Wohnort: ....................................................................................................................................
Zur Wahrnehmung meiner Angelegenheiten durch den
Betreuer habe ich folgende Wünsche:
1. Ich habe meine Einstellung zu Krankheit und
Sterben in der beigefügten Patientenverfügung niedergelegt. Diese soll der
Betreuer beachten. ……………………… O
2. (Weitere Wünsche)...................................................................................................................................
.............................................................................................................................
.............................................................................................................................
.............................................................................................................................
.............................................................................................................................
.............................................................................................................................
.........
..........................................................................................................................................
(Ort, Datum) (Unterschrift)