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© Joachim Krause 2005
1. Klonen
Den
Begriff des „Klons“ kannten schon die alten Griechen.
Klon
(griechisch): Schössling, Zweig
Definition: Ein Klon ist eine Kolonie genetisch einheitlicher Zellen
oder Organismen, die sich von einer einzigen Zelle herleiten (Fortpflanzung
ohne Befruchtung).
Unter dem Vorgang des Klonens versteht man im wissenschaftlichen Sprachgebrauch
die ungeschlechtliche Vermehrung von Zellen oder Organismen, wobei genetisch
identische Individuen (also mehrere Zellen bzw. Lebewesen mit der gleichen
Ausstattung an Erbgut) entstehen.
Das, was die Biologen „Klone“ nennen, gibt es an vielen
Stellen in der Natur:
·
Bakterien pflanzen sich normalerweise so fort, dass
ein Bakterium sich teilt und zwei
„Töchter“ mit identischem Erbgut entstehen. Durch weitere Teilungen
entsteht eine Bakterien-Kolonie, die dann (als Gesamtheit) ein Bakterien-Klon
genannt wird.
·
Viele Pflanzen bilden Ausläufer (Erdbeere: Senker)
oder Wurzelknollen (Kartoffel), die sich auch von der Mutterpflanze getrennt
zu kompletten Organismen entwickeln. Bei dieser Art der ungeschlechtlichen Fortpflanzung
wird das Erbgut als Kopie der Originalpflanze weitergegeben. Auch wenn neue
Weinstöcke oder Weiden gepflanzt werden, verwendet der Gärtner nicht Samen,
sondern klont mit Stecklingen.
·
Auch niedere Tiere wie Hohltiere und Schwämme
pflanzen sich durch Knospung fort (einzelne Zellen lösen sich vom Muttertier
und wachsen eigenständig weiter).
·
Bei höheren Tieren ist die so genannte
„Jungfernzeugung“ die Ausnahme, aber Wasserflöhe und manche Würmer sind dazu
in der Lage, sich selbst zu klonen.
·
Selbst bei Säugetieren oder beim Menschen gibt es bei
biologischer Klassifizierung Anlass, in seltenen Fällen von Klonen zu sprechen,
dann nämlich, wenn sich ein durch geschlechtliche Vermehrung entstandener Embryo
spontan noch einmal teilt und dann zwei getrennte Lebewesen weiterwachsen, die
das gleiche Erbgut tragen, weil sie von der gleichen befruchteten Eizelle
abstammen (eineiige Zwillinge).
Jeder, der einen eigenen Garten hat, hat demnach – ohne es
zu ahnen - schon Lebewesen geklont!
Wenn Klonen aber ein Vorgang ist, den es auch in der Natur
gibt, dann gilt das nur mit der Einschränkung, dass das Klonen in der Natur nur
auftritt bei einfachen Lebensformen, in frühen Entwicklungsstufen oder dass es
sich um seltene, zufällig auftretende Ausnahmen handelt. Keinesfalls ist der
Bezug auf das „natürliche“ Vorkommen von Klonen eine Rechtfertigung dafür, den
Vorgang einer ungeschlechtlichen Vermehrung gezielt auch dort zu verwirklichen,
wo er in der Natur nicht bisher nicht vorkommt.
Die Vision, auch von hochentwickelten Lebewesen, letztlich auch vom Menschen,
Klone herzustellen, „Kopien“ vom Fließband mit programmierten Eigenschaften,
geistert schon lange durch die Science-Fiction-Literatur, begegnete aber auch
in wissenschaftlichen Fachbüchern. So beschäftigte den Schriftsteller Aldous
Huxley schon im Jahr 1932 („Schöne neue Welt“) der Albtraum, dass eines Tages
Menschen als ALPHAs (Herrenrasse) oder als GAMMAs (genügsame Arbeiter)
geklont werden könnten – jeweils 96 identische Exemplare aus einer Eizelle.
In der DDR erschien 1983 ein lesenswertes Buch von Piechocki
mit dem Titel „Genmanipulation“ (das war damals noch ein wertfreier Begriff für
das, was heute Gentechnik genannt wird). Und in diesem Buch wird eine Idee
vorgestellt, wie eines Tages Hochleistungsrinder „vervielfältigt“ werden
könnten. 13 Jahre später war aus der Vision Wirklichkeit geworden – das Schema
hatte exakt gestimmt, nur war das erste geklonte Säugetier kein Rind, sondern
ein Schaf, Dolly.
Schon seit einigen Jahrzehnten werden Säugetiere (Rinder)
geklont, allerdings nach einem recht einfachen Verfahren, das die natürliche
Zwillingsbildung nachahmt: beim so genannten „Embryo-Splitting“ gelingt es,
einen durch natürliche Zeugung entstandenen Embryo unter dem Mikroskop in
einzelne Zellen zu zerlegen, die sich anschließend jede selbstständig zu einem
neuen Embryo entwickeln, in die Gebärmutter von „Leihmüttern“ eingepflanzt
werden und sich dort zu einem Kalb entwickeln – und weil sie alle von der
gleichen Eizelle abstammen, handelt es sich dabei um geklonte Tiere. 1993 war
in den USA erstmals im Labor gezeigt worden, dass diese Technik grundsätzlich
geeignet war, auch menschliche Embryonen zu zerschneiden und damit zu
vervielfältigen.
Aber Tierzüchter und Fachbiologen waren sich weiter einig:
es würde nicht möglich sein, Kopien von erwachsenen Säugetieren herzustellen,
indem man ausgereifte Körperzellen verwendet und sie zum Stadium von
befruchteten Eizellen „zurückprogrammiert“.
Anfang des Jahres 1997 geriet das Porträt eines Schafes auf
die Titelseiten vieler Zeitungen. „Dolly“ – mit diesem Namen war eine
wissenschaftliche Sensation verbunden. Was für die meisten Biologen bis dahin
unvorstellbar schien, war gelungen. Körperzellen eines erwachsenen Säugetieres
waren so verjüngt, „rückprogrammiert“ worden, dass sie sich zu neuem Leben
entwickeln konnten. „Dolly“ war ein um sechs Jahre „verspäteter Zwilling“
seines Spendertieres, ein Duplikat, eine Kopie mit den gleichen Erbeigenschaften.
Seit
der Geburt von Dolly sind (so der Stand Mitte des Jahres 2004) etwa 10
Säugetierarten erfolgreich geklont worden (Hunde und Affen konnten bislang
durch Übertragung von Körperzellkernen nicht geklont werden).
Daten aus dem
Leben des Klonschafs DOLLY
+ konkreter Anlass für die Klonversuche: es war Anfang der 1990er
Jahre gelungen, Schafembryonen gentechnisch so zu verändern, dass die sich
daraus entwickelnden Schafe in den Zellen ihrer Milchdrüsen menschliche
Eiweiße produzierten; diese konnten mit der Milch gewonnen werden und sollten
als Medikamente bei bestimmten Lungenerkrankungen genutzt werden; da diese
Manipulation nur sehr selten erfolgreich war, wurde ein Verfahren gesucht, um
die wenigen „Glücksfälle“ zu „kopieren“
+ Dolly wurde am 5.7.96 geboren
+ Dolly wurde aus den Körperzellen eines 6 Jahre alten Spendertieres geklont
+ Dolly brachte sechs gesunde Lämmer zur Welt (auf „normalem“ Wege gezeugt)
+ Im Mai 1999
wurde festgestellt, dass Dollys Zellen verkürzte Telomere aufwiesen (Telomere sind
die Endstücke der Chromosomen. Sie halten wie Schutzkappen die Enden der
Chromosomen zusammen. Telomere verkürzen sich bei jeder Zellteilung im Laufe
des Lebens – Gab es bei Dolly hiermit einen Hinweis auf „vererbtes“ Alter
durch den Klonvorgang? Nach vergleichenden Untersuchungen mit anderen
geklonten Tieren hat sich diese Vermutung nicht bestätigt.)
+ Anfang des Jahres 2002 bekam Dolly Arthritis (diese Gelenkentzündung tritt
normalerweise bei Schafen – wie bei Menschen – erst im fortgeschrittenen Alter
auf; vielleicht war das ein Hinweis auf „vererbte“ Alterungsschäden, vielleicht
handelte es sich aber bei Dolly auch um einen der seltenen Fälle des Auftretens
der Krankheit im jugendlichen Alter)
+ 2003 entwickelte sich bei Dolly eine fortschreitende Lungenerkrankung (durch
einen Virus ausgelöst!)
Dolly wurde eingeschläfert und steht jetzt ausgestopft in einem Museum in
Schottland
Angesichts der erfolgreichen Geburt des Klonschafes „Dolly“
wurde sehr schnell über die mögliche Anwendung dieser neuen Technik auch beim
Menschen spekuliert. Was könnten einleuchtende und verantwortbare Gründe
dafür sein, auch menschliches Leben zu vervielfältigen?
Nach
erregten Debatten war man sich in der Politik, in der Wissenschaft und Medizin
rund um den Erdball bald einig in der Bewertung: Klonen von Menschen darf es
nicht geben, weil ein Mensch nie benutzt werden, nie nur Mittel zum Erreichen
von Zielen anderer sein darf (weitere Argumente gegen das reproduktive Klonen
von Menschen siehe in der Stellungnahme des Nationalen Ethikrates im Anhang).
Standesrichtlinien der Wissenschaftler und politische Verbote untermauerten
das Klon-Verbot. In Deutschland war das Klonen bereits seit 1991 nach dem Embryonenschutzgesetz
verboten. Auch das erste Zusatzprotokoll zur „Bioethik-Konvention“ des Europarates
(4.4.1997) enthält ein Klon-Verbot. Die „Charta der Grundrechte der
Europäischen Union“ vom Dezember 2000 enthält ebenfalls ein Verbot des reproduktiven
Klonens. Weiterhin ist nach der „Universal Declaration on the Human Genome and
Human Rights“ der UNESCO (11.11.1997) das reproduktive Klonen von Menschen
nicht erlaubt. Auf der Ebene der UNO wurde über Klonverbote diskutiert, aber
bisher (Stand Herbst 2004) keine Resolution verabschiedet.
“Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person als auch in
der Person eines anderen niemals bloß als Mittel brauchest.“
(Immanuel Kant)
Die
Entwicklung in den Labors ist dennoch weitergegangen. Bereits im Jahre 1998
erschienen Presseberichte über das erfolgreiche Klonen auch mit Material aus
menschlichen Zellen. Die Versuche waren erfolgreich bis zur Entwicklung von
Embryonen vorgeführt worden und wurden dann abgebrochen. Auf einem Kongress
in den USA im Jahre 2001 kündigten drei (besonders neugierige, ehrgeizige,
verrückte?) Forscher an, Menschen klonen zu wollen: die Französin Boisselier,
der Italiener Antinori und der US-Amerikaner Zavos. Es gibt bisher (wahrscheinlich?)
noch keinen geklonten Menschen, der geboren wurde. Trotz der oben erwähnten
Ablehnungs-Front sollte man aber damit rechnen, dass in absehbarer Zeit ein
ehrgeiziger Forscher das Tabu bricht und der Welt stolz das erste Klon-Kind präsentiert.
(Definition: Als Klonen zu Fortpflanzungszwecken –
auch „reproduktives“ Klonen genannt – bezeichnet man ein Verfahren, das
letztlich auf die Herbeiführung einer Schwangerschaft und die Geburt eines
Kindes gerichtet ist, dessen Erbgut mit dem eines Spenders identisch ist.)
Das Klonen eines Menschen würde (nach dem „Modell Dolly“)
etwa wie folgt ablaufen (siehe das nebenstehende Bild).
Für das Verfahren der Zellkernübertragung benötigt man den Zellkern einer
Spender-Zelle und eine Empfänger-Eizelle. Letztere bildet das für die
Entwicklung notwendige Milieu, denn zur Entwicklung eines Embryos kann es nur
kommen, wenn in der Zellflüssigkeit der Eizelle Substanzen vorhanden sind,
welche die ersten Entwicklungsphasen unterstützen und kontrollieren. Einem
Spender wird also eine Körperzelle entnommen (siehe 1). Diese trägt in ihrem
Zellkern – dicht zusammengepackt – das gewünschte Erbgut, das vervielfältigt
werden soll.
Bei einer Frau (Eizellspenderin) wird eine Hormonbehandlung
durchgeführt mit dem Ziel, Eizellen reifen zu lassen. Der Frau wird durch
einen operativen Eingriff eine befruchtungsfähige Eizelle entnommen. Aus
dieser Zelle wird das eigene Erbgut abgesaugt (siehe 2).
In die entkernte Eizelle wird nun der Zellkern der Körperzelle des Spenders
eingebracht. Wenn die Bestandteile der beiden Zellen erfolgreich miteinander
verschmolzen sind, würde die Zelle sich zu teilen beginnen: aus einer würden
zwei, dann vier, später acht Zellen usw. (siehe 3). Der sich entwickelnde
menschliche Embryo würde dann in den Leib einer Frau eingepflanzt werden, die
sich als Leihmutter zur Verfügung stellt. Ihre Gebärmutter würde nach
hormoneller Vorbereitung den Embryo aufnehmen, und sie könnte nach neun
Monaten das geklonte Kind zu Welt bringen (siehe 4).
Das Kind wäre in seiner biologischen Ausstattung eine Kopie
des Spenders der Körperzelle und nur mit ihm genetisch verwandt.
Klone sind keine perfekten Kopien,
die in all ihren Eigenschaften 1 zu 1 mit dem Spender übereinstimmen. Zwar sind
alle Gene in den Zellkernen gleich, aber aus seinen Genen macht offenbar jedes
Individuum etwas anderes. So zeigen gen-identische Tiere verschiedene
Fellfarben und Fellzeichnung wie auch unterschiedliches Verhalten. Viele Eigenschaften
werden erst während der Entwicklung im Mutterleib festgelegt oder durch die
Wirkung der natürlichen und sozialen Umwelt nach der Geburt geprägt. Wenn also
z.B. jemand den Ehrgeiz hätte, Boris Becker zu klonen, würde bei einem
erfolgreichen Ausgang ein Baby in der Wiege liegen, das von seiner
Erbgutausstattung her ein um 35 Jahre „verspäteter“ eineiiger Zwilling von
Boris Becker I wäre. Das geklonte Kind hätte sicher eine Vielzahl vor allem
körperlicher Eigenschaften vom Spender geerbt: vielleicht rötliche Haare und
Sommersprossen, einen gedrungenen Körperbau, eine bestimmte Art, sich zu
bewegen und zu sprechen. Aber wenn man ihm die freie Wahl ließe, käme Boris II
vielleicht nie auf die Idee, einen Tennisschläger in die Hand zu nehmen. Der
Klon hätte seine Entwicklung bis zur Geburt im Leib einer anderen Mutter
verbracht (mit vielfältigen biologischen und psychischen Wechselwirkungen),
würde in einer anderen Familie und in einer anderen gesellschaftlichen Umgebung
aufwachsen. Und so würde er vielleicht – ganz anders als seine „Designer“ sich
gedacht hatten – seine ganz eigene Individualität entwickeln (auch geklonte
Menschen wären keine Monster, sondern „richtige“ Menschen mit Anspruch auf
Menschenwürde!) und sich vielleicht im stillen Kämmerlein zu einem
Geigenvirtuosen entwickeln.
Ein Klonforscher wird gefragt: Wie weit prägen Gene ein Wesen? „Darüber
haben wir ziemlich genaue Vorstellungen. Zu 30 bis 35 % sind die Gene
verantwortlich, was wir sind und was wir tun. Der Rest ist die Umwelt.“
(Die Zeit 15.2.07 S.56)
(Definition: Als Klonen zu biomedizinischen
Forschungszwecken – auch „therapeutisches“ oder „experimentelles“ Klonen
genannt – wird ein Verfahren bezeichnet, bei dem nicht die Herbeiführung einer
Schwangerschaft angestrebt wird, sondern die Herstellung einer Blastozyste (ein
Stadium in der Entwicklung eines Embryos), aus der etwa am vierten Tag
„embryonale Stammzellen“ für Forschungszwecke oder für Therapieversuche
entnommen werden.)
Im Sommer 2000 gab es neue irritierende Schlagzeilen: „Nach
Dolly nun auch Menschen?“ oder „Briten wollen Klonen erlauben“.
Nur in manchen Zeitungen erfuhr der aufmerksame Leser, dass
neue wissenschaftliche Einsichten es nötig machten, über das Klonen neu
nachzudenken.
Die „Dolly-Methode“ war zunächst einmal nur ein neues
Verfahren gewesen, um Säugetiere ungeschlechtlich zu vermehren und erbgleiche
Kopien zu erzeugen. Klonen mit einer solchen Zielstellung hieß nun genauer
„reproduktives Klonen“. Und das sollte auch in Großbritannien weiter tabu
bleiben.
Die
„Dolly-Technik“ ließe sich – so erfuhr man - auch für eine andere Zielstellung
nutzen, für das so genannte „therapeutische Klonen“, das wäre eine Anwendung
mit dem Ziel, Krankheiten oder Organausfälle zu behandeln.
Die Modellvorstellungen der Anwendung des therapeutischen
Klonens beim Menschen sollen anhand des nebenstehenden Bildes erläutert
werden.
Man stellt sich einen Patienten vor, bei dem ein lebenswichtiges
Organ nicht (mehr) ordnungsgemäß funktioniert, weil seine Zellen defekte Erbanlagen
enthalten und / oder der Ersatz von gealterten Zellen gestört ist. Diesem
Patienten wird eine Körperzelle entnommen, die im Zellkern sein komplettes
Erbgut enthält (siehe 1).
Aus dieser Zelle soll nun körpereigenes Zellmaterial
nachgezüchtet werden, wodurch bei der späteren Einpflanzung das Risiko von
Abstoßungsreaktionen (etwa im Vergleich zu herkömmlichen Organverpflanzungen)
sehr gering gehalten werden könnte.
Zunächst läuft die Klonierung wieder genau so ab, wie das bereits oben beschrieben
wurde (siehe 1 bis 3).
Der entstandene Embryo ist eine biologische Kopie,
ausgestattet mit dem Erbgut des Patienten. Er könnte in den ersten Stadien der
Zellteilung (z.B. als Acht-Zell-Häufchen) in die Gebärmutter einer Frau eingepflanzt
werden, sich dort zu einem Kind weiterentwickeln und neun Monate später zur
Welt gebracht werden (siehe 4). Dieser Weg ist grundsätzlich möglich, das
wäre aber „reproduktives Klonen“, und das ist hier nicht beabsichtigt.
Beim „therapeutischen Klonen“ ließe man den Embryo sich
weiter entwickeln, bis er zwischen dem vierten und sechsten Tag den Zustand
der so genannten Blastozyste erreicht hat (siehe 5). Im Inneren dieses „Blasenkeims“
befindet sich ein Häufchen von 100 bis 200 gleichartigen Zellen, auf die sich
das Interesse richtet. Es handelt sich nämlich um so genannte „embryonale
Stammzellen“ – „embryonal“ wegen ihres Ursprungs und „Stammzellen“, weil von
diesen Zellen alle später sich entwickelnden spezialisierten Zellen des
menschlichen Körpers abstammen. Im vorliegenden Entwicklungsstadium haben sich
diese Zellen noch nicht entschieden, zu welcher Zellart sie sich einmal weiter
entwickeln werden, sie tragen in sich noch die Fähigkeit, „vieles“ werden zu
können, sie sind „pluripotent“. Diese „Viel-Könner“ gelten als Wunderelixier
für die Medizin der Zukunft. Man will die Stammzellen aus dem Embryo entnehmen
(dieser ist danach nicht mehr lebensfähig) und sie zunächst im Labor in
Zellkulturen weiterwachsen lassen (siehe 6). Dabei lassen sich die
(embryonalen) Stammzellen beliebig vermehren und verbleiben in ihrem
nicht-spezialisierten (pluripotenten) „Schwebezustand“. Durch gezieltes
„Füttern“ der Zellkultur (Vorenthalten oder Zugabe bestimmter Nährsubstanzen
oder Hormone) lässt sich dann zielgenau die weitere Entwicklung der Zellen
steuern: sie könnten beispielsweise zu Blutzellen, Nervenzellen oder
Muskelzellen ausreifen (siehe 7). Die so gewonnene Gewebekultur des gewünschten
Zelltyps soll dann in das kranke Organ des Patienten eingebracht werden, von
dem die ursprüngliche Körperzelle stammt, sich dort weiter vermehren und die
gewünschte Funktion (wieder) aufnehmen oder stabilisieren (siehe 8).
Die
in manchen Medien beschworene Möglichkeit zur Erzeugung kompletter Organe auf
diesem Wege ist noch eine sehr kühne und weit in die Zukunft verlängerte
Vision. Viele Schritte auf dem aufgezeigten Weg sind allerdings im
Tierversuch schon erfolgreich absolviert worden. Und seit 1998 gibt es auch
stabil gezüchtete menschliche Stammzell-Kulturen, die kommerziell angeboten
werden und beispielsweise in Deutschland (wo ihre Herstellung verboten ist)
für Forschungszwecke eingesetzt werden könnten.
Ob der Weg über embryonale Stammzellen eines Tages zur
erfolgreichen Züchtung von Ersatzgewebe für Menschen mit Organversagen führen
wird, ist völlig ungewiss: Sind die Ergebnisse von Tierversuchen auf den
Menschen übertragbar? Lässt sich die Abstoßung des übertragenen Gewebes
verhindern? Kann es zu einem unkontrollierten Wachstum von übertragenen Zellen
im Körper des Empfängers kommen?
Deshalb sprechen manche Beobachter statt von „therapeutischem“ Klonen derzeit
lieber vom „Forschungsklonen“, um den Status der Grundlagenforschung zu
betonen. Selbst Optimisten rechnen damit, dass frühestens in fünf Jahren erste
klinische Tests erfolgen könnten, und dass erst in 20 bis 30 Jahren eine breite
Anwendung in der „Ersatzteilmedizin“ erfolgen könnte.
Das „Dolly-Verfahren“ ist noch längst nicht ausgereift. In
Experimenten mit Tieren sind bisher immer wieder schwere Entwicklungsstörungen
beobachtet worden, die in den meisten Fällen zu frühen Fehlgeburten oder zu
Missbildungen bei erfolgreich geborenen Tieren geführt haben. 95 Prozent aller
geklonten Tiere sind abnorm. Sie zeigen durchweg Übergewicht, leiden an
Problemen der Atemwege, des Herzens oder des Kreislaufs, sie haben
Organ-Missbildungen, erkranken an Arthritis und sterben noch im Mutterleib oder
kurz nach der Geburt. Nur 1 bis 2 Prozent der geklonten Tierembryos schaffen
es, das Licht der Welt zu erblicken (bei Rindern sind es 10 bis 25 Prozent).
Die Ursachen für die geringe Erfolgsrate sieht man vor allem darin, dass in den
geklonten Zellen nicht alle Gene korrekt arbeiten, und dass die verwendeten
Körperzellen schon Alterungsschäden aufweisen (z.B. Mutationen, verkürzte
Telomere).
Wegen
dieser Erfahrungen mit Tieren rechnete der Spiegel (Heft 10/2001) damit, dass es
zur erfolgreichen Geburt eines geklonten Menschen nötig wäre, dass sich
zunächst etwa 40 Frauen als Eizellspenderinnen zur Verfügung stellen müssten
(jede zur Entnahme von zehn Eizellen). Aus den 400 zur Verfügung stehenden
Eizellen würden sich 50 Embryonen entwickeln, die in den Leib von 50
„Leihmüttern“ eingepflanzt werden würden. Etwa zehn Schwangerschaften würden
über längere Zeit bestehen, wovon am Ende nur eine mit der erfolgreichen
Geburt eines geklonten Menschen zu Ende geht. Ob dieser gesund wäre, bliebe
fraglich.
Im Mai 2005 wurde aus England gemeldet, dass erstmals in
Europa menschliche Embryonen erfolgreich geklont worden seien. Ebenfalls 2005
wurde aus Südkorea von sensationellen Erfolgen bei der Herstellung von
menschlichen embryonalen Stammzellen berichtet. Wenig später jedoch wurde
bekannt, dass der gefeierte Klon-Pionier
Hwang Woo-Suk seine „Forschungs“-Ergebnisse gefälscht hatte.
Für das Problem der Beschaffung einer großen Zahl von
Eizellen gibt es inzwischen Vorschläge und Versuchergebnisse, die die
Eizell-Spende durch Frauen längerfristig überflüssig machen sollen: Zum einen
wird damit experimentiert, menschliche Körperzellkerne in tierischen Eizellen
zu kultivieren, zum anderen lassen sich Eizellen möglicherweise auch direkt
aus embryonalen Stammzellen züchten.
Aus
dem Jahr 2007 stammen folgende Meldungen über durchgeführte Experimente und
dabei erreichte Fortschritte und Misserfolge:
Embryonale Stammzellen durch Klonen von Affenzellen
gewonnen
+ Verwendung von Körperzellen eines Rhesus-Affen, 10 Jahre alt
+ Übertragung der Zellkerne in entkernte Eizellen („Dolly-Methode“; SCNT
= somatischer Zellkerntransfer)
+ in 10 Jahren Forschung 15.000 Eizellen verbraucht;
jetzt 304 Eizellen für 2 erfolgreich
geklonte Stammzell-Linien;
+ parallel auch reproduktives Klonen versucht: 77 geklonte Embryonen auf
Muttertiere übertragen,
alle starben nach wenigen Tagen
(taz 16.11.07; Freie Presse Chemnitz 15.11.07)
Klonversuche mit menschlichen Zellen
Für Diskussionen hat ein Artikel gesorgt, der von
dem deutschen, in den USA tätigen Biologen Karl Immensee in der Schweizerischen
Fachzeitschrift „Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie“
veröffentlicht worden ist. Darin beschreibt der langjährige Mitarbeiter des
umstrittenen Klonforschers Zavos ein an menschlichen Embryonen durchgeführtes
Klonexperiment, eine Technik des Embryosplittings, also der frühen (künstlichen JK) Teilung eines Embryos,
sowie eine Methode zur Herstellung von Embryonen mit Rindereizellen und
menschlichen Zellkernen.
In einem populärwissenschaftlichen Magazins schildert Immensee außerdem
ausführlich, wie er Menschenklone zu Fortpflanzungszwecken hergestellt haben
will; neun sollen es gewesen sein; einer davon habe sich bis zum
12-Zellen-Stadium entwickelt; zu einer Schwangerschaft sei es nicht gekommen.
Er habe diese Experimente vor vier Jahren durchgeführt. (Gen-ethischer
Informationsdienst Heft 183/2007 S.35; taz 26.10.07)
Züchtung von menschlichen embryonalen Stammzellen in
Kuh-Eizellen
Die britische
Behörde Human Fertilisation an Embryology Authority (HFEA) hat am 5.9.07 die
prinzipielle Genehmigung erteilt, für Klonexperimente tierische Eizellen mit
den Kernen von menschlichen Zellen zu verschmelzen. Es geht um die Durchführung
von zwei Forschungsprojekten (Erforschung neurogenerativer Erkrankungen wie
Parkinson und Alzheimer), für die nicht genügend menschliche Eizellen vorhanden
sind.
Es sollen ersatzweise Eizellen von Kühen verwendet werden (aus Schlachthöfen).
Diese sollen entkernt und der Zellkern menschlicher Zellen eingefügt werden.
Die Gene der auf diese Weise geklonten Embryonen seien zu 99,9 % „menschlichen
Ursprungs“. Die entstandenen “zytoplasmatischen Hybrid-Embryonen“ sollen nach
wenigen Tagen zerstört werden. In Großbritannien gibt es Zustimmung in der
Öffentlichkeit zu solchen Experimenten.
(GID 184/07 S.47)
Im Mai 2008 ließ
das britische Parlament die Grundlagenforschung mit menschlichen embryonalen
Stammzellen zu, die aus solchen „Chimären“ gewonnen werden. Die Embryos dürfen
nicht länger als 14 Tage kultiviert werden, und sie dürfen nicht zur Behandlung
von Patienten eingesetzt werden.
(taz 21.5.08)
Zu ethischen Kriterien und rechtlichen Regelungen für das
therapeutische Klonen siehe Kapitel 3.
2. Stammzell-Therapien
und
Forschung
an menschlichen Embryonen
Supermarktkasse.
Jemand tippt mir von hinten auf die Schulter. Ich sehe in das lachende Gesicht
von Michael P. Er sieht gut aus. Ich frage, wie es ihm geht. Er sagt: „Gut – na
ja, heute nicht ganz so.“ Ich weiß, dass es ihm nicht gut geht. Michael hat
die Parkinsonsche Krankheit. Obwohl er erst 40 ist. Ich frage, wie seine
Aussichten sind für die Zukunft. Da sagt er: „Das hängt ganz sehr davon ab,
wie Ihr Euch als Kirche positioniert, ob in Deutschland Stammzell-Therapien
entwickelt werden können. Die sind meine große, aber auch meine letzte
Hoffnung.“
Worauf gründet sich konkret die Hoffnung, dass eines Tages
mit Hilfe von Stammzellen Krankheiten wie Diabetes, Alzheimer oder Multiple Sklerose
geheilt, durchtrenntes Rückenmark geflickt oder durch einen Infarkt zerstörte
Herzmuskeln gekittet werden könnten?
1998 haben
Mediziner im Labor Zellen züchten können, mit deren Hilfe Heilungsmöglichkeiten
eröffnet werden sollen für Krankheiten und Organstörungen, die sich bisher
nicht ursächlich heilen lassen. Bei diesem „Wunderelixier“ handelt es sich um
menschliche „embryonale Stammzellen“. Embryonale Stammzellen zeigen einige
bestechende Eigenschaften. Zum einen kann man sie im Labor offenbar über lange
Zeiträume aufbewahren. Sie erweisen sich zudem als gut vermehrungsfähig. Und
vor allem – deswegen sind sie so interessant – befinden sich diese Zellen noch
in einem so frühen Entwicklungsstadium, dass sie sich noch nicht entschieden
haben, welchen „Beruf“ sie später im menschlichen Körper ausüben wollen – die
Zellen sind noch „pluripotente“ „Alleskönner“, die sich noch zu jedem der 200
unterschiedlichen Zelltypen spezialisieren können, die im menschlichen Körper
vorkommen. Diese Eigenschaft hofft man sich zunutze zu machen, um mit Hilfe
solcher Zellen passgenau Ersatzgewebe zu züchten als Hilfe für Menschen, bei
denen lebenswichtige Organe zerstört sind oder versagt haben.
Auf dem nebenstehenden Bild (obere Hälfte) ist dieser Weg
angedeutet. Embryonale Stammzellen werden in Laborgefäßen mit Nährstoffen versorgt
und vermehrt. Indem man bestimmte Substanzen (z.B. Hormone) zugibt, wird
bewirkt, dass sich alle Zellen der Zellkultur in eine bestimmte Richtung
entwickeln – sie spezialisieren sich zu Blutzellen, Herzzellen oder
Nervenzellen. Im Falle eines Parkinsonkranken ist der Stoffwechsel der Zellen
in bestimmten Gehirnbereichen gestört – sie stellen das notwendige Hormon
Dopamin nicht mehr her. Aus Stammzellen gezüchtete, junge, funktionsfähige
Nervenzellen würden durch einen operativen Eingriff in die geschädigten
Gehirnbereiche eingebracht in der Hoffnung, dass sie dort anwachsen, sich vor
Ort weiter teilen und die verloren gegangene Funktion wieder aufnehmen.
Das alles ist bisher ein schöner Traum. Zwar gibt es erste
hoffnungsvolle Ergebnisse im Tierversuch. Aber ob sich diese Ergebnisse auch
auf menschliche Zellkulturen übertragen lassen, und ob im Ergebnis
Zelltherapien entwickelt werden können, die Heilerfolge versprechen und die
keine unerwünschten Neben- und Folgewirkungen mit sich bringen – darüber kann
heute nur spekuliert werden.
2009 wurde berichtet, dass es gelungen sei, aus menschlichen
embryonalen Stammzellen rote Blutkörperchen sowie funktionsfähige
Gehirnstammzellen herzustellen.
Eine kritische Frage erhitzt allerdings schon seit einigen
Jahren heftig die Gemüter: Woher kommen die begehrten Stammzellen für die
Forschung? In der ethischen Diskussion umstritten ist vor allem die Verwendung
einer bestimmten Art von Stammzellen, der schon angesprochenen „embryonalen
Stammzellen“ („embryonal“, weil sie sich in einem menschlichen Embryo gebildet
haben, und Stammzellen, weil von ihnen alle späteren sehr unterschiedlichen
Körperzellen ab-„stammen“).
Embryonale Stammzellen entstehen, wenn eine befruchtete
Eizelle sich zu teilen beginnt und zu einem Embryo entwickelt. Etwa am fünften
Tag besteht der Embryo aus einer äußeren schützenden Hülle, und in seinem
Inneren befinden sich etwa einhundert dieser begehrten Zellen. Sie werden für
Forschungszwecke (und vielleicht auch später zum Einleiten einer Zelltherapie)
dem Embryo entnommen und im Laborgefäß weiter kultiviert. Der Embryo ist nach
dem Eingriff nicht mehr lebensfähig.
Im oben dargestellten Bild sind im unteren linken Teil
verschiedene Möglichkeiten zur Herkunft embryonaler Stammzellen aufgezeigt.
Ein Weg ist die Nutzung von so genannten „überzähligen“
(auch „verwaisten“) Embryonen aus der künstlichen Befruchtung. Kinderlos
gebliebene Paare nehmen immer häufiger die Angebote der modernen Medizin in
Anspruch und versuchen, im Reagenzglas eine erfolgreiche Befruchtung zu
erreichen. Es kommt aber in seltenen Fällen vor, dass zwar ein Embryo
entstanden ist (der vielleicht tiefgefroren wurde), aber der notwendige zweite
Schritt für seine Entwicklung zu einem Kind, nämlich die Einpflanzung in die
Gebärmutter der Frau, nicht mehr möglich ist (z.B. wegen Krankheit oder Tod der
Frau, Trennung des Paares). In der EU lagerten 2003 mehrere hunderttausend
eingefrorene Embryonen; in Deutschland wurden 2001 214 Embryonen als
Notfallmaßnahme eingefroren, zusätzlich 55463 befruchtete Eizellen im so
genannten „Vorkernstadium“ (zum Zeitpunkt, bei dem die Samenzelle bereits in
die Eizelle eingedrungen ist, die beiden Zellkerne aber noch nicht miteinander
verschmolzen sind). In Fällen, wo das (nach dem deutschen
Embryonenschutzgesetz) einzig zulässige Ziel einer künstlichen Befruchtung
nicht mehr verwirklicht werden kann, gibt es für solche „übriggebliebenen“
Embryonen nur noch eine Perspektive, nämlich sie aufzutauen und sterben zu
lassen. Es ist rechtlich nicht zulässig, wird aber heiß diskutiert, ob man in
einzelnen Ausnahmefällen dann nicht doch Forschung für medizinisch wichtige
Zielstellungen zulassen sollte. In anderen Ländern darf unter strengen Auflagen
auf solche Embryonen zugegriffen werden.
Eine zweite mögliche, in Deutschland zulässige, aber ethisch
auch umstrittene Quelle für embryonale Stammzellen ist die Gewinnung aus dem
Gewebe abgetriebener Feten.
Eine dritte Möglichkeit hat sich mit der Methode des so
genannten „therapeutischen Klonens“ eröffnet (siehe Kap. 1.4.)
Die
in manchen Medienberichten suggerierte Möglichkeit zur Züchtung kompletter
Organe aus Stammzellen ist noch eine sehr kühne und weit in die Zukunft
verlängerte Vision. Viele Teil-Schritte auf dem aufgezeigten Weg sind allerdings
im Tierversuch schon erfolgreich absolviert worden. Und seit 1998 gibt es auch
stabil gezüchtete menschliche Stammzell-Kulturen, die kommerziell angeboten
werden und beispielsweise in Deutschland (wo ihre Herstellung verboten ist)
für Forschungszwecke eingesetzt werden könnten.
Ob der Weg über embryonale Stammzellen eines Tages zur
erfolgreichen Züchtung von Ersatzgewebe für Menschen mit Organversagen führen
wird, ist völlig ungewiss: Sind die Ergebnisse von Tierversuchen auf den
Menschen übertragbar? Lässt sich die Abstoßung des übertragenen Gewebes
verhindern? Kann es zu einem unkontrollierten Wachstum von übertragenen Zellen
im Körper des Empfängers kommen?
Deshalb sprechen manche Beobachter statt von „therapeutischem“ Klonen derzeit
lieber vom „Forschungsklonen“, um den Status der Grundlagenforschung zu
betonen. Selbst Optimisten rechnen damit, dass frühestens in fünf Jahren erste
klinische Tests erfolgen könnten, und dass erst in 20 bis 30 Jahren eine breite
Anwendung in der „Ersatzteilmedizin“ erfolgen könnte.
3.1. Auf der Suche nach ethischen Kriterien und rechtlichen Regelungen
für therapeutisches Klonen und Stammzellforschung
Ganz klar ist: „Überzählige“ Embryonen aus der künstlichen
Befruchtung tragen in sich das Potenzial, sich im Leib einer Frau zu einem
ganzen Menschen zu entwickeln, und sind nach dem Embryonenschutzgesetz absolut
geschützt. Auch beim therapeutischen Klonen hat man es - in einem
Zwischenstadium - mit einem menschlichen Embryo zu tun. Aus diesem Grunde ist
nach dem Embryonenschutzgesetz in Deutschland auch diese neue Variante des
Klonens nicht zulässig (Verbot der fremdnützigen Verwendung von Embryonen).
Der Deutsche Bundestag hat 2002 entschieden, dass die Gewinnung von Stammzellen
aus Embryonen in Deutschland weiterhin verboten bleibt, aber gleichzeitig
zugelassen, dass embryonale Stammzellen, die im Ausland vor dem 1.1.2002
gewonnen wurden, unter strengen Auflagen auch von deutschen Forschern genutzt
werden dürfen.
Bereits heute stehen weltweit in verschiedenen Labors stabil
gezüchtete Kulturen menschlicher embryonaler Stammzellen zur Verfügung, die
auch deutschen Forschern angeboten werden. Mit diesen bereits vorhandenen
Zellen - die sich im Labor beliebig vermehren lassen - könnten wahrscheinlich
wichtige Erkenntnisse für die Grundlagenforschung (z.B. für die angestrebte
„Rückprogrammierung“ adulter Stammzellen) gewonnen werden, und evtl. könnte aus
ihnen später auch Ersatz-Gewebe für Organtherapien bereitgestellt werden.
Problematisch bleibt der Weg, der zur Herstellung dieser Stammzellkulturen
gewählt wurde: sie wurden aus „überzähligen“ Embryonen gewonnen.
Der Deutsche Bundestag hat sich im Februar 2003 mit großer Mehrheit dafür
ausgesprochen, sowohl das reproduktive als auch das therapeutische Klonen zu
verbieten; die Bundesregierung sollte in diesem Sinne bei der UNO aktiv werden.
Anfang 2005 ist in der UNO eine Empfehlung gegen das Klonen von Menschen
angenommen worden. Die Regierungen werden darin weltweit aufgefordert, alle
Formen des menschlichen Klonens zu untersagen; auch therapeutisches Klonen
soll verboten werden. Die Empfehlung ist allerdings unverbindlich.
In Großbritannien dagegen ist – übrigens auch mit
Unterstützung der Staatskirchen von England und Schottland – das
„therapeutische Klonen“ im Jahre 2002 für Zwecke der Grundlagenforschung unter
strengen Auflagen zugelassen worden. Auch in Belgien, Israel, Singapur und
einigen Bundesstaaten der USA ist das Klonen für biomedizinische Forschung
erlaubt, in Schweden und Japan befinden sich entsprechende Gesetzentwürfe in
der parlamentarischen Beratung. Spanien und die Schweiz haben 2004 die
Forschung an „überzähligen“ Embryonen aus der künstlichen Befruchtung
zugelassen.
Die Frage nach der Zulässigkeit der Forschung an embryonalen
Stammzellen und des therapeutischen Klonens wird überwiegend in Bezug auf den
Status des Embryos diskutiert. Ist ein Embryo ein Mensch oder nicht? Wenn man
tatsächlich im frühen Embryo bereits einen Menschen sieht, verbietet sich jede
Forschung.
In Deutschland regelt das Embryonenschutzgesetz, dass ein
Embryo ab dem Zeitpunkt der erfolgreichen Befruchtung als Mensch gilt und damit
der Menschenwürde teilhaftig ist. Diese Definition schließt sowohl die
wissenschaftliche oder therapeutische Nutzung von „überzähligen“ Embryonen aus
der künstlichen Befruchtung wie auch das therapeutische Klonen aus.
Diskussionsbedarf - Wann beginnt
menschliches Leben ?
1. Deutschland:
„Als
Embryo ... gilt bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle
vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede einem
Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen
weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln
vermag.“ (Embryonenschutzgesetz vom 13.12.1990)
2. Israel:
Es gibt eine Strömung in der jüdischen Philosophie, die sagt, dass dem
Embryo erst nach 49 Tagen Leben eingehaucht wird; entscheidend aber ist
die Festlegung, dass der Embryo außerhalb des Mutterleibs nach
jüdischem Glauben prinzipiell nicht als eigenständige Seele gilt; bevor
der Mutter die befruchtete Eizelle eingepflanzt wird, kommt ihr nach jüdischem
Verständnis keine Menschenwürde zu
(Zeit-Dokument 1/2002: Stammzellen, S.25)
3. Großbritannien:
in der britischen Gesetzgebung maßgebende Ansicht: das Menschsein
beginnt mit der Einnistung des Embryos in die Gebärmutter 14 Tage nach der
Befruchtung (Beginn der Schwangerschaft; ab jetzt wechselseitige Beziehung
zwischen Mutter und Kind); Standpunkt auch der christlichen Staatskirchen
in England und Schottland
(Zeit-Dokument 1/2002: Stammzellen, S.72)
In Großbritannien und Israel z.B. wird dies anders gesehen.
Embryonen dürfen hier bis zum 14. Tag nach der Befruchtung zur Forschung
verwendet werden. Das bedeutet, dass der Embryo hier noch nicht als Mensch im
Vollsinne betrachtet wird, und dass – in einer Güterabwägung - der erhoffte
Nutzen der Forschung über die möglichen Gefahren gestellt wird.
An dieser
Stelle sei auch daran erinnert, dass die immer wieder erhobene Forderung nach
einem absoluten Schutz menschlichen Lebens auch in seinen frühen
Entwicklungsstadien in unserer Gesellschaft nicht immer konsequent
durchgehalten wird.
Papst Benedikt XIV.:
Embryonen sind von Anfang an, also auch vor der Einnistung in die Gebärmutter,
als unbedingt schützenswertes Leben zu betrachten; menschliches Leben beginnt
im Moment der Empfängnis und muss von Anfang an respektiert und geschützt
werden; die Befruchtung im Reagenzglas wird grundsätzlich abgelehnt, weil nicht
alle dabei entstehenden Embryonen in die Gebärmutter eingepflanzt werden
(Gen-ethischer Informationsdienst, Heft 175 April/Mai 2006 S.55)
absoluter Lebensschutz?
„...Grundsatz, das Lebensrecht und den Lebensschutz menschlicher Embryonen
von Anfang an zu gewährleisten...“
(Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland Erklärung 22.2.02)
ABER:
Wir akzeptieren Ausnahmen in Rechtssprechung und Lebenspraxis:
Beispiel 1: Schwangerschaftsverhütung
(Verwendung von Mitteln, die die Einnistung eines wenige Tage alten Embryos in der
Gebärmutter verhindern; z.B. „Spirale“, „Pille danach“; keine Begründung und
Güterabwägung erforderlich)
Beispiel 2: Schwangerschafts-Abbruch
(= Tötung des Embryos / Fetus in späteren Entwicklungsstadien; bleibt in
Ausnahmefällen straffrei; existenzieller Konflikt; Abwägung zwischen dem
Lebensrecht des Embryos und den Lebensinteressen der Mutter)
Die christlichen Kirchen bestehen heute auf einem absoluten
Lebensschutz für das ungeborene Leben vom Beginn an. Das war aber nicht immer
so. In der Bibel (vgl. Ex 21, 22) und bis in die Neuzeit hinein galt der
Embryo nicht als vollwertiger Mensch. Dennoch entspricht es der Logik einer
zeitgemäßen Auslegung der Bibel, den Schutz und die Achtung vor dem
menschlichen Leben so weit auszudehnen wie nur möglich.
Wir werden in Europa noch eine Weile mit solch
unterschiedlichen ethischen Optionen leben müssen. Problematisch wäre
allerdings eine Haltung, die Forschung an Embryonen im eigenen Land strikt
ablehnt, aber die Ergebnisse ausländischer Forschung nutzt, wie es bei der
Entwicklung der Methoden der künstlichen Befruchtung geschehen ist.
Ist der Schutz des Embryos – unabhängig von der konkreten
Zielstellung – eine absolute Grenze, die unverrückbar bleiben sollte, oder darf
– mit Blick auf konkrete Heilungschancen für Patienten (z.B.
Querschnittsgelähmte, Leberkranke, Diabetiker, Parkinson-Patienten) unter
Verwendung körpereigener Zellen – beim „therapeutischen Klonen“ und der
Gewinnung von embryonalen Stammzellen das notwendige „Durchgangsstadium Embryo“
in Kauf genommen werden?
Worauf stützen wir unsere Argumente? Auf
naturwissenschaftliche Erkenntnisse? Auf moralische Intuitionen? Auf mögliche
Folgen? Auf welchen Glauben?
Wie ist das Argument des Dammbruches zu bewerten? Kann man
z.B. zulassen, dass bis zum 14. Tag geforscht werden darf, oder führt das
zwangsläufig dazu, dass man auch an allen anderen Menschen gegen deren Willen
forscht?
In verschiedenen Entwicklungsstadien im menschlichen
Leben gibt es Stammzellen, die unterschiedliche Eigenschaften haben. Sie
werden als - ethisch weniger problematische - Alternative zum Einsatz von
embryonalen Stammzellen ins Gespräch gebracht und in der Forschung auch
intensiv untersucht.
Im Bild
(Seite 16) sind auf der rechten Seite verschiedene Zugänge zu solchen „adulten“
Stammzellen aufgezeigt; die folgende Übersicht soll wichtige Unterschiede
verdeutlichen).
Stammzellen
Es gibt verschiedene „Stammzellen“. Mindestens drei Arten sind zu unterscheiden:
1. „totipotente“
Stammzellen (dazu rechnen die befruchtete Eizelle und die sich aus ihr
entwickelnden embryonalen Zellen bis etwa zum Stadium eines
Acht-Zell-Häufchens; sie tragen in sich das Potenzial zum Heranwachsen
eines ganzen Organismus, sind noch „allseitig entwicklungsfähig“;
„totus“=ganz);
2. „pluripotente“ Stammzellen (kommen
in Embryonen am vierten bis siebten Tag der Entwicklung vor, daher auch
„embryonale“ Stammzellen genannt; können sich noch zu „vielen“ (allen)
verschiedenen Organzellen spezialisieren, nicht aber allein zu einem
kompletten Organismus entwickeln; lassen sich im Labor in Nährlösung gut
aufbewahren und vermehren);
3.
gewebespezifische, auch „adulte“ Stammzellen (sind auch im
Körper „erwachsener“ Menschen vorhanden; bilden durch Teilung normalerweise
nur noch eine bestimmte Zellart in den Organen, können aber wahrscheinlich auch
zu anderen Zelltypen ausreifen [= „multipotent“]; werden bereits seit 40
Jahren bei der Behandlung Leukämiekranker mit Blutstammzellen aus dem
Knochenmark genutzt; bisher gestalten sich die Gewinnung der selten vorkommenden
adulten Stammzellen und ihre Vermehrung unter Laborbedingungen schwierig)
Stammzellen lassen sich
auch ohne die Klonierungs-Technik gewinnen:
A) aus dem
Gewebe von „überzähligen“ Embryonen nach künstlicher Befruchtung
(die sich zwar erfolgreich entwickelt haben, aber nicht mehr in den Körper der
Frau eingesetzt werden können) oder aus abgetriebenen Föten,
B) aus Nabelschnurblut
unmittelbar nach der Geburt,
C) aus Körperzellen
Erwachsener („adulte“ Stammzellen.; z.B. aus Blut oder Nervengewebe)
Zumindest die Wege B) und C) wären ethisch weniger bedenkliche Quellen des
Zugangs zu den begehrten Zellen.
Aus biologischer
Sicht spricht für die Nutzung embryonaler Stammzellen, dass sie
·
im Labor gut kultiviert und relativ einfach vermehrt
werden können
·
sich noch in einem sehr frühen Entwicklungsstadium
befinden, gewissermaßen noch „Alleskönner“ sind, die sich zu jeder gewünschten
Zellart spezialisieren lassen.
„Adulte“
Stammzellen und andere Stammzellen aus späteren Entwicklungsstadien des
Menschen haben derzeit (noch?) folgende Nachteile:
·
Sie lassen sich im Labor bisher praktisch nicht
vermehren (mit blutbildenden Stammzellen aus dem Knochenmark versucht man das
schon seit Jahrzehnten – bisher ohne durchschlagende Erfolge).
·
Adulte Stammzellen erfüllen normalerweise im Körper
nur noch eine Aufgabe, nämlich in dem Organ, in dem sie sich befinden, Ersatz
für genau (und nur) die Zellen dieses Organs zu liefern. Man weiß zwar
inzwischen, dass sie eine gewisse Flexibilität besitzen und sich in anderer
Umgebung auch zu anderen Zelltypen entwickeln zu können (aber begrenzt auf
vielleicht 10 verschiedene Zelltypen).
Ob es
gelingen kann, auch adulte Stammzellen durch einen „Jungbrunnen“ zu schicken,
sie so weit „rückzuprogrammieren“, dass sie die Fähigkeiten embryonaler
Stammzellen erlangen können, ist nach neuesten Meldungen zwar möglich, konnte
aber wohl nur gelingen, weil parallel Grundlagenforschung an embryonalen
Stammzellen durchgeführt wurde, um die dort wirksamen biologischen Vorgänge zu
verstehen und die Erkenntnisse dann an adulten Stammzellen anzuwenden.
Adulte menschliche Stammzellen fit gemacht,
Zell-Uhr zurückgedreht
+ menschliche Stammzellen gewonnen durch Rückprogrammierung - ohne Nutzung von
Embryonen
(iPS = induzierte pluripotente Stammzellen)
+ japanische und US-Forscher parallel gleiche Entdeckung gemacht
+ Umwandlung schon zuvor mit Mäusezellen gelungen
+ Hautzellen mit Retro-Viren geimpft, 4 Gene werden zusätzlich in den Zellkern
eingeschleust;
die 4 neuen Gene sind aktiv,
produzieren 4 Proteine, die den Zellstoffwechsel verändern;
das führt zu einer „Verjüngung“ der
Zellen; sie zeigen nach 25 Tagen Verhalten wie embryonale Stammzellen
+ in Gehirn-, Muskel-, Knorpel- und Herzzellen umgezüchtet
+ noch unklar:
Haben diese Zellen wirklich das
gleiche Potenzial wie embryonale Stammzellen?
Sie sind Viren-verseucht, sind sie
evtl. auch krebsauslösend?
+ ist die Forschung mit embryonalen Stammzellen nun überflüssig?
solche Forschung war hier und ist wohl
auch weiter zusätzlich wichtig für Verständnis und Vergleich der Abläufe in
Zellen
(Spiegel 48/07 S. 158ff; taz 22.11.07)
+ US-Forscher haben Hautzellen von Mäusen zu Stammzellen
zurückprogrammiert und damit erfolgreich
eine Blutkrankheit behandelt;
angeborene Sichelzellenanämie;
durch diese experimentelle Therapie
deutliche Verbesserung erreicht
(taz 7.12.07)
+ seit 2009 genügt ein kurzes Bad in einem
„Eiweißcocktail“, der aus den vier wesentlichen Proteinen besteht; Technik:
protein induced pluripotent stem cells = piPS;
Wie eines Tages der Weg in die Kliniken aussehen könnte, demonstrierten
kalifornische Forscher am vergangenen Sonntag: Sie verwandelten Zellen von
Patienten mit einer erblichen Knochenmarkserkrankung in iPS-Kulturen
(allerdings noch nicht per Proteincocktail). In diesen wurde der krankmachende
Gendefekt behoben, und aus ihnen wurden Vorläuferzellen gezüchtet, wie sie im
Knochenmark für die Neubildung von Blut- und Immunzellen zuständig sind.
Heilung aus dem körpereigenen Jungbrunnen.
Erlangte dieses Verfahren Anwendungsreife, böte es Therapien für erbliche
Leiden und könnte auch den chronischen Mangel bei Knochenmarkspenden beenden.
Natürlich betonen Grundlagenforscher, dass bis zur Therapie noch viele
Detailfragen zu klären seien.
Aber schon heute zeichnet sich ab, dass es eben nicht aus Embryonen gewonnene
Zellen, sondern durch Rückverwandlung gewonnene Stammzellen sein werden, die bald
als neuartige Behandlungen in die Kliniken Einzug halten werden.
Auch vor zehn Jahren befanden schon alle Fachleute, dass eine Technik zur
Reprogrammierung von Körperzellen die beste Lösung darstellen würde. Nur
erschien das utopisch. …
Waren die ES-Experimente vergeblich oder gar unnötig? Nein. Der Durchbruch zur
iPS- und piPS-Technik wurde durch die Erkenntnisse aus der ES-Zellforschung
erst ermöglicht. Und paradoxerweise machen sie diese dadurch nun überflüssig.
(Die Zeit 4.6.09 Nr. 24-2009 S.33;
gesamter Text unter: http://www.zeit.de/2009/24/M-Stammzellentherapie?page=all)
Konsequent-inkosequent
ist daher auch der aktuelle Beschluss der Synode der EKD zur
Stammzellforschung:
Beschluss
der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland am 7.11.07
zur Stammzellforschung
„Die Synode der EKD bekräftigt, dass die
EKD die Zerstörung von Embryonen zur Gewinnung von Stammzelllinien für die
Forschung ablehnt.
Die gesetzliche Regelung in Deutschland verbindet das Bemühen, Anreize für
diese Zerstörung auszuschließen, mit der Bereitschaft, Grundlagenforschung mit
bereits existierenden Stammzelllinien zuzulassen, auch um die dabei gewonnenen
Forschungsergebnisse für die ethisch unbedenkliche Forschung mit adulten
Stammzellen zu nutzen.
Die Verunreinigung der vor dem gesetzlichen Stichtag (1. Januar 2002)
gewonnenen Stammzelllinien hat zu Forderungen nach einer Aufhebung jeder
Stichtagsregelung zugunsten einer Einzelfallprüfung bzw. nach einer Verschiebung
des Stichtages geführt.
Die EKD-Synode hält eine Verschiebung des Stichtages nur dann für zulässig,
+ wenn die derzeitige Grundlagenforschung aufgrund der Verunreinigung der
Stammzelllinien nicht fortgesetzt werden
kann und
+ wenn es sich um eine einmalige Stichtagsverschiebung auf einen bereits
zurückliegenden Stichtag handelt.
Zudem sollten die Mittel für die Forschung an adulten Stammzellen deutlich
erhöht werden.“
Der deutsche3 Bundestag beschloss am 11.4.2007,
den Stichtag im Stammzellgesetz von 2002 einmalig zu verschieben. Die neue
Regelung ermöglicht deutschen Forschern der Zugang zu Zellkulturen, die vor dem
1.5.2007 entstanden sind. Ein vollständiges Verbot der Forschung mit
menschlichen embryonalen Stammzellen lehnte der Bundestag erneut ab.
Durch die vielfältigen
Möglichkeiten einer Einflussnahme auf die Zellen unter den künstlichen
Bedingungen im Labor lassen sich oft keine eindeutigen Grenzen mehr festlegen.
Das Entwicklungsvermögen einer Zelle ist nicht mehr allein aus sich selbst
heraus zu begreifen, sondern „kontextuell“ (durch die Umgebung beeinflusst) und
„relational“ (nur in Beziehungen zu verstehen). Ohne die Umstände, unter denen
eine Zelle gedeiht, ohne die „Zutaten“ und Eingriffsmöglichkeiten etwa des
Biochemikers ist das wahre Potenzial einer Zelle nicht mehr zu verstehen. So gelang
es, aus embryonalen Stammzellen (der Maus), die eigentlich nur „pluripotent“
sein sollten, sowohl Eizellen als auch Samenzellen zu züchten, die sich auch
als zeugungsfähig erwiesen – damit waren sie aber „totipotent“
ge-(macht)worden. Es erscheint durchaus möglich, dass bald auch „adulte“
Stammzellen oder gar normale
Körperzellen zum Stadium der Totipotenz „rückprogrammiert“ werden könnten.
Sind auch sie dann als
„potenzielle Embryonen“ zu schützen?
Oder sollten künftig alle Produkte
der Labor-Kunst grundsätzlich anders bewertet werden als natürlich entstandene
menschliche Embryonen und ihre Zellen?
4. Anhang:
Faule
Kompromisse, Doppel-Moral ?
a) Entscheidung des
Deutschen Bundestages zum Import von Stammzellen (Januar 2002):
Gewinnung von embryonalen Stammzellen aus „überzähligen“ Embryonen
(nach Retorten-befruchtung) ist und bleibt in Deutschland verboten;
ABER:
der Import von Stammzellen, die im Ausland bereits zur Verfügung stehen
und aus „überzähligen“ Embryonen gewonnen wurden, ist für begrenzte
Forschungszwecke zugelassen
b) Forderung nach klarem Verbot der Forschung an Stammzellen, die in
Deutschland oder im Ausland aus menschlichen Embryonen gewonnen wurden
ABER:
Wenn mit Hilfe solcher Forschungen dann doch eines Tages anwendungsreife Heilungsmöglichkeiten
für schwere Erkrankungen zur Verfügung stehen – werden diese dann nicht selbstverständlich
auch für Patienten in Deutschland genutzt werden?
Evangelische Kirche in Deutschland:
Kein einheitlicher Standpunkt über den Beginn menschlichen Lebens
Ein Teil der
Kammer-Mitglieder sieht den Embryo bereits von der Befruch-tung der Eizelle an
als einen sich entwickelnden Menschen, der durch das Grundgesetz (Artikel 1
und 2) geschützt ist.
Andere sprechen vom
vorgeburtlichen Menschsein nur dann, wenn die äußeren Umstände für eine Entwicklung
gegeben seien. Darunter sei insbesondere die Einnistung der befruchteten
Eizelle in die Gebärmutter zu verstehen.
(Studie der Kammer für öffentliche Verantwortung der Evangelischen
Kirche in Deutschland
„Im Geist der Liebe mit dem
Leben umgehen“ 13.8.2002)
Argumente und Denk-Anstöße
aus der biblisch-christlichen Tradition
1. der Mensch in der Schöpfung
a) Staunen und Danken
“Herr, wie sind deine Werke so groß und viel.
Du hast sie weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter.“ (Psalm
104,24); „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst?“ (Psalm 8,5);
der Mensch als Geschöpf unter anderen Geschöpfen; Staunen über die Fülle und
Vielfalt der Werke Gottes; Dankbarkeit für das Geschenk des Daseins;
Annäherung an die Schöpfung in Demut und Zurückhaltung: „die Welt
Gut-sein-lassen“
b) Entdecken und Gestalten
„Macht euch die Erde untertan“ (1.Mose 1,28); „bebaut und bewahrt sie“
(1.Mose2,15);
der Mensch darf die Natur erkennen, er darf sie umgestalten und nutzen, aber
diese Welt soll ein Garten bleiben und nicht zur Wüste verkommen; die
Herrschaft über andere Menschen ist ihm nicht aufgetragen
c) halb Engel und halb wildes Tier
“Gott der Herr gebot dem Menschen: Du darfst essen von allen Bäumen im
Garten, aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht
essen“ (1.Mose2,16f); „Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten“
(1.Kor.6,12); die Bibel hat ein realistisches Menschenbild: Menschen sind
fehlbar, halten gesetzte Grenzen nicht ein
2. Gott-Ebenbildlichkeit des Menschen
„Gott schuf den Menschen zu
seinem Bilde“ (1.Mose1,27; siehe auch 1.Mose9,6 und Psalm 8,5ff)
das biblische Menschenbild; der Mensch als Geschöpf mit besonderer Stellung und
Verantwortung; Leben und Dasein als Geschenk; der Mensch als endliches Wesen;
mit Grenzen und Beschränkungen leben; Leid, Krankheit, Behinderungen gehören
zu unserem Leben; in der Gottebenbildlichkeit gründet auch die Menschen-Würde;
Mensch von Anfang an: „Du hast mich gebildet im Mutterleibe, deine Augen sahen,
wie ich entstand“ (Psalm 139,13+16; auch Hiob10,10f)
3.
Rechtfertigung
Gottes vorbehaltlose und
bedingungslose Zuwendung zu jedem Menschen; Anerkennung als Mensch ist von
keinen Eigenschaften abhängig, gilt auch für Kranke und Behinderte, Sterbende
und Ungeborene
4. Tötungsverbot
“Du sollst nicht töten“
(2.Mose20,13; 1.Mose 9,6); schützt den Menschen als Person
5. Auferstehungshoffnung
Hoffnung, die über Leid,
Krankheit und Tod hinaus tragen kann; gegen Heils-Versprechen und
Heils-Erwartungen angesichts des medizinischen Fortschritts;
Wann beginnt menschliches
Leben?
diskutierte Einschnitte in
der Menschwerdung:
·
Entschluss von Eltern, ein Kind haben zu wollen
·
Eindringen der Samenzelle in die Eizelle
·
Verschmelzung von Ei- und Samenzelle
·
Ausschluss natürlicher Mehrlingsbildung und die damit
verbundene endgültige Individuation (10.-14.Tag)
·
Einnistung des Embryos in die Gebärmutter (10.Tag)
·
Ausbildung des Primitiv-Streifens (14.Tag)
·
Organ- und Gestaltbildung abgeschlossen (Ende des
dritten Schwangerschaftsmonats)
·
Ausbildung von Hirnstrukturen
(„Hirnleben-Kriterium“ in Anlehnung an das Hirntod-Kriterium bei der
Organtransplantation; Synapsen als Verbindungen zwischen Nervenzellen;
frühestens ab 70. Tag nach der Befruchtung; dieser Zeitpunkt kann mit
Ultraschall hinreichend genau festgestellt werden)
·
Auftreten von (Schmerz-)Empfindungsfähigkeit (etwa
vierter Lebensmonat)
·
erste von der Schwangeren wahrgenommene kindliche
Bewegungen
·
Überlebensfähigkeit außerhalb der Gebärmutter
·
Geburt
·
erster Atemzug (jüdischer Kulturkreis)
·
Zustimmung des Vaters
·
Ausbildung der Fähigkeit zur Zeiterfahrung
·
Ausbildung eines Selbstbewusstseins
(Ethik in der Medizin, Reclam 2000, S. 135, 138, 150, 165)
Meinungsbildung im Nationalen
Ethikrat in Deutschland:
Klonen
zu Fortpflanzungszwecken und Klonen zu biomedizinischen Forschungszwecken
(Stellungnahme 13.9.2004)
1) Klonen zu Fortpflanzungszwecken:
Votum: „Der NER spricht sich einstimmig für ein
weltweites Verbot des Klonens von Menschen zu Fortpflanzungszwecken ... aus.
Ebenso einmütig ist der NER der Auffassung, dass das Klonen von Menschen zu
Fortpflanzungszwecken nicht nur mit Rücksicht auf den gegenwärtigen Stand von
Wissenschaft und Forschung, sondern unbedingt abgelehnt werden muss.“
Argumente (Auswahl):
·
Beim Klonen zu Fortpflanzungszwecken wird die genetische Ausstattung absichtlich von
Dritten so festgelegt, dass sie mit derjenigen eines bereits lebenden oder
verstorbenen Menschen identisch ist. Damit verstößt das Fortpflanzungsklonen
gegen das Selbstverständnis und die grundlegenden Werte einer Gesellschaft, die
sich auf die Achtung der Unverfügbarkeit jedes Menschen gründet.
·
Wenn Fortpflanzungsklonen von dem Ziel bestimmt wird, Menschen
herzustellen, die den Vorstellungen und Erwartungen ihrer „Produzenten“
entsprechen ... kommt es zu einer mit dem Respekt vor der Menschenwürde unvereinbaren
Instrumentalisierung.
·
Klonen zu Fortpflanzungszwecken ist mit dem Bestreben verbunden, das
Kopieren vorhandener Genome zu nutzen, um Menschen mit bestimmten gewünschten genetischen
Eigenschaften auszustatten. Gefördert und verwirklicht wird damit der Versuch
einer positiven Eugenik.
·
Klonen zu Fortpflanzungszwecken verletzt mit der absichtlichen Festlegung
der genetischen Ausstattung den Respekt vor der freien Entfaltung der
Persönlichkeit und der Selbstbestimmung des Einzelnen. Diese müssen schon zu
einem Zeitpunkt gesichert sein, zu dem die Ausübung der Selbstbestimmung noch
nicht möglich ist.
·
Fortpflanzungsklonen verletzt die im menschlichen Selbstverständnis
verankerte Vorstellung davon, wie Menschen entstehen sollen.
·
Fortpflanzungsklonen führt zur Auflösung bislang selbstverständlicher
Verwandtschafts- und Generationenverhältnisse. Beziehungen mit zentraler
Bedeutung für die soziale Identifikation werden so unklar.
·
Klonexperimente ... unter den gegenwärtigen Bedingungen ... hoher
Verbrauch an Eizellen; gesundheitliches Risiko für Frauen, Gefahr von
Instrumentalisierung und Kommerzialisierung
·
Fortpflanzungsklonen im Tierversuch bisher mit hohem Risiko schwerster
Gesundheitsschäden und Fehlbildungen verbunden; hohe Rate an Fehlgeburten
·
zumindest in der Forschungsphase wären Menschenversuch unumgänglich
2) Klonen zu Zwecken der biomedizinischen Forschung:
Votum A): Beibehaltung des Verbots des
Forschungsklonens (5 Unterzeichner)
Votum B): Begrenzte Zulassung des Forschungsklonens
(12 Unterzeichner)
Votum C): Verbot des Forschungsklonens zum gegenwärtigen
Zeitpunkt (5 Unterzeichner)
Literaturangaben
und Quellen:
·
Zur Achtung vor dem Leben -
Maßstäbe für Gentechnik und Fortpflanzungsmedizin. Kundgebung der Synode der
Evangelischen Kirche in Deutschland, EKD-Texte 20, 1987; http://www.ekd.de/EKD-Texte/2078_achtungvordemleben_1987.html
·
Studie der Kammer für
öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Deutschland „Im Geist der
Liebe mit dem Leben umgehen“ 13.8.2002
http://www.ekd.de/EKD-Texte/2059_30634.html
·
Deutsche (Katholische)
Bischofskonferenz: Die deutschen Bischöfe Heft 69: „Der Mensch: sein eigener
Schöpfer?“, 2001; http://dbk.de/schriften/fs_schriften.html
·
Stellungnahme der
Bischofskonferenz der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands
(VELKD) zu Fragen der Bioethik, 2001; http://www.velkd.de/pub/texte/index.php3?nummer=106&jahr=2001
·
Nationaler Ethikrat:
Stellungnahme „Klonen zu Fortpflanzungszwecken und Klonen zu biomedizinischen
Forschungszwecken“, 13.9.2004, Bezug (kostenlos): Nationaler Ethikrat,
Jägerstr. 22/23, 10117 Berlin, http://www.nationalerethikrat.de/stellungnahmen/stellungnahmen.html
·
Evangelische Kirche von
Westfalen (6/2007): Ethische Überlegungen zur Forschung mit embryonalen
Stammzellen http://www.ekvw.de/fileadmin/sites/ekvw/Dokumente/te_u_do_alt/Materialien_1-2007.pdf