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Dem Geheimnis des Lebens auf der Spur
© Joachim Krause 2004
1. „Papa, was ist das eigentlich - GENTECHNIK?“
Urlaub. Hitze. Eisdiele. Das 11-jährige Töchterchen saugt
nachdenklich an seinem Trinkhalm und fragt so nebenbei: „Papa, was ist das
eigentlich - Gentechnik?“.
Ein bisschen schwergewichtig, diese Frage, und hier in versandeter Badekleidung
nicht angemessen zu klären. Aber 14 Tage später, zu Hause auf dem Sofa, versuchen
wir beide es doch. Wir blättern in Büchern, Skizzen werden gekritzelt. Wir
staunen über die Einsichten von Wissenschaftlern, die in den letzten hundert
Jahren das Geheimnis des Lebens Stück für Stück enträtselt haben. Auf dem Weg
von der Zelle über die Chromosomen zur Molekülstruktur der Erbsubstanz
begegnen uns die „Gene“, Bauanleitungen zur Herstellung von Stoffen, die für
den Aufbau und den Stoffwechsel eines Organismus benötigt werden. Durch diese
tiefen Einblicke der Biologie in das Naturgeschehen eröffneten sich
atem-beraubende Möglichkeiten: nun zielgenau in Lebensprozesse einzugreifen,
sie zum Wohle des Menschen technisch verfügbar zu machen, zu nutzen und zu
verändern. „Gentechnik" ist eine Werkzeugkiste - damit könnte man zum
Beispiel ein „fehlerhaftes“ Stück aus der Perlenkette der Erbsubstanz
ausschneiden oder an anderer Stelle ein „fremdes“ Gen mit neuen erwünschten
Eigenschaften zusätzlich einfügen.
„Ist das gefährlich?“, fragt die Tochter. Eine einfache Antwort finden wir
nicht. Wir sprechen über einen schwer zuckerkranken Jungen aus ihrer Klasse,
der sich mehrmals täglich INSULIN spritzt, ein lebensrettendes Medikament,
hergestellt mit Hilfe von gentechnisch veränderten Bakterien. Wir lesen in
der Zeitung, dass es Nahrungsmittel zu kaufen gibt, deren Erbanlagen
„verbessert“ wurde - da ist uns beiden auf dem Sofa doch ziemlich bange zumute.
Zwischen Chancen und Gefahren beim Umgang mit den neuen Techniken unserer
Zeit werden wir lernen müssen, uns in Verantwortung zurecht zu finden. Es
geht immerhin um Lebens-Fragen.
Für mich waren die Sofa-Gespräche mit meiner Tochter Anlass,
einmal aufzuschreiben, was das nun ist, ein „Gen“, wie die elementaren
Lebensprozesse in der Natur funktionieren („Genetik“), und wie die
„Gentechnik“ sich solche Einsichten zu Nutze macht.
2. Dem
Geheimnis des Lebens auf der Spur
Was hinter dem steckt, was uns als
„Leben“ begegnet – dieses Geheimnis hat Menschen schon immer neugierig gemacht.
In der Natur treffen wir auf eine
ungeheure Vielfalt an Lebensäußerungen, uns begegnen Millionen von
verschiedenen Arten – Pflanzen, Tiere, Bakterien. Aber wir wissen auch: Jede
Art ist unverwechselbar, hat ihre typischen Eigenschaften, auch wenn es da
einen gewissen Spielraum für Variationen gibt. Aus einem kleinen Samenkorn
wächst immer ein ganz bestimmter Baum, arttypisch seine Größe, seine Gestalt,
die Form seiner Blätter. Wir wissen das auch von uns Menschen: Kinder ähneln –
mehr oder weniger – ihren Eltern.
Da wird etwas ver-erbt. Modern
gesagt: Informationen werden weitergegeben (wir sprechen auch von Erbinformationen),
und diese Informationen prägen sich dann in Eigenschaften und Merkmalen aus.
Menschen haben schon immer gestaunt, dass im kleinen Samenkorn einer Pflanze
ein umfassendes Programm steckt, dass in einem Apfelkern schon der ganze
spätere Baum, sein Bau, sein Stoffwechsel vorgegeben sind. Wissenschaftler
haben danach gefragt, wo das Programm steckt. Heute wissen wir: Es befindet
sich in jeder einzelnen Zelle eines Lebewesens, noch genauer: im Zellkern.
Dort ist die gesamte Erbinformation eines Lebewesens gespeichert.
Die Wissenschaft, die sich mit
Vererbungsvorgängen beschäftigt, ist die GENETIK. Da steckt das Wort GEN drin.
Wir werden auf den nächsten Seiten auf diese GENE (= Erbanlagen) stoßen. GENE
gibt es nicht erst, seit die GENTECHNIK sich mit ihnen beschäftigt – sie waren
schon immer in allen Lebewesen vorhanden. Wir werden uns damit beschäftigen,
wie der Bauplan des Lebens, der in den Genen steckt, entschlüsselt, gelesen und
umgesetzt wird.
Wir wollen uns in drei Anläufen
dem Thema nähern:
1. Wo sind die Gene zu finden?
2. Was bewirken die Erbanlagen in
einer Zelle, im „Haus des Lebens“?
3. Wie machen sich Gentechniker
die neuen Einsichten der Biologie zu nutze?
3.
Spurensuche - wo stecken die GENE ?
Wo finden wir die GENE, wie ist die Erbsubstanz materiell aufgebaut?
Die Biologie ist in den letzten 140 Jahren immer tiefer in
die Geheimnisse des Lebens eingedrungen – von der Beschreibung ganzer
Organismen bis hin zur Ebene der chemischen Grundbausteine des Lebens, bis zur
Entschlüsselung des „genetischen Codes“. Im folgenden Bild ist der Bauplan des
Lebens dargestellt, wie ihn Wissenschaftler in den letzten hundert Jahren
Schritt um Schritt aufgeklärt und immer besser verstanden haben (siehe Abb.).
Wir kommen gewissermaßen von außen her und nehmen ein immer stärkeres
Vergrößerungsglas, um immer feinere Einzelheiten im Bauplan des Lebens in
den Blick zu bekommen.
Ebene 1: der komplette Organismus
Wir haben zunächst einen kompletten Organismus mit seinen
Merkmalen und Eigenschaften vor uns, hier einen Menschen (siehe 1). Da aber
die Art, wie die Erbinformationen festgelegt sind und wie sie wirken,
grundsätzlich für alle Lebewesen gleich ist, könnte der weitere Weg genauso am
Beispiel einer Maus oder einer Tomatenpflanze dargestellt werden.
Ebene 2: Zellen
Der Körper des Menschen besteht -
wie der jedes Lebewesens - aus ZELLEN.
Bei der Bakterie ist das eine Zelle, bei einem erwachsenen Menschen sind es
etwa 100 Billionen (siehe 2). Das ist eine eigentlich nicht vorstellbar große
Zahl, in Ziffern geschrieben eine 100 mit 12 weiteren Nullen dahinter. Diese
ungeheure Zahl von Zellen bildet sich innerhalb von wenigen Jahren durch
fortwährende Teilung aus einer einzigen Zelle, aus der befruchteten Eizelle,
mit der jedes menschliche Leben seinen Anfang nimmt und die halb vom Vater und
halb von der Mutter stammt. Und auch jede der daraus entstehenden Zellen
enthält dieses „Erbe“, die biologischen „Erb“-Eigenschaften von Vater und
Mutter. Durch sie wird bestimmt, welche Körpergröße jemand erreicht, welche
Augenfarbe er hat, dadurch wird reguliert, wann und wie eine Zelle sich teilt
und damit das Gewebe verjüngt, durch sie ist festgelegt, welche Stoffe eine
Zelle herstellt, wann sie das tut, in welcher Menge, und was damit im Stoffwechsel
bewirkt wird.
Ebene 3: Zellkern
In fast jeder Zelle befindet sich ein ZELLKERN (siehe 3). Zum Beispiel haben Bakterien-Zellen keinen
Zellkern (bei diesen „Prokaryo(n)ten“ hält sich das Erbmaterial ohne besondere
Organisation in der Zellflüssigkeit auf). Alle anderen Lebewesen
(„Eukaryo(n)ten“) wie Hefen, Pflanzen, Tiere und Menschen haben in allen ihren
Zellen einen Zellkern. Normalerweise jedenfalls; auch in unserem Körper gibt
es Ausnahmen: die Blutkörperchen, die nur wenige Tage oder Wochen „leben“,
besitzen keinen Zellkern.
Ebene 4: Chromosomen
Wir sind immer noch auf der Suche nach der Erbsubstanz. Sie
befindet sich im Zellkern. Dort ist sie dicht zusammengepackt. In bestimmten
Etappen der Zellentwicklung kann man die „Erbgut-Pakete“ sichtbar machen. Sie
werden CHROMOSOMEN genannt (siehe
4). Der Name kommt daher, dass man diese Körperchen einfärben kann,
wodurch sie gut ihre gestreifte Struktur zu erkennen geben („chroma“ ist im
Griechischen das Wort für Farbe, „soma“ für Körper). Chromosomen kommen bei
höheren Lebewesen fast immer in Paaren vor; dabei stammt jeweils eines von jedem
Paar vom Vater und das andere von der Mutter.
Anzahl der Chromosomen in
den Zellen verschiedener Lebewesen
Art Anzahl der Chromosomen
-----------------------------------------------------------------
Pferdespulwurm 2
Fruchtfliege 8
Weizen 42
Mensch 46
Schimpanse 48
Karpfen 104
Natternzunge 480
Die Gene sind in den Chromosomen verpackt. Jedes Chromosom
enthält nur einen Teil der Erbanlagen, erst alle Chromosomen einer Zelle
zusammen bilden gemeinsam das vollständige Erbgut eines Menschen (sein
„Genom“).
Ebene 5: DNS
Die Chromosomen sehen ein bisschen wie Spindeln aus, auf
denen ein Faden aufgewickelt ist. Und sie lassen sich tatsächlich aufdröseln.
Wenn sich die Spindel abwickelt, wird ein langer Faden sichtbar. Die Chemiker
sagen zu diesem zusammenhängenden Faden „Molekül“, und sie benutzen für
dieses besondere Molekül im Zellkern den Namen DESOXYRIBONUKLEINSÄURE (siehe 5).
Desoxyribonukleinsäure
(DNS) ist chemisch eine Säure, die sich im Zellkern
(Kern = lat. Nukleus) befindet, und bei der ein wesentlicher
Bestandteil der Zucker Desoxyribose ist.
Die DNS ist der materielle Träger der Erbinformationen.
Das fadenförmige Molekül ist im Zellkern auf engstem Raum gepackt und vielfach
verknäuelt. In Wirklichkeit liegt die DNS nicht in einem Molekül vor, sondern
sie ist auf die 46 Chromosomen des Menschen verteilt. Die DNS aus einem einzigen
Zellkern des Menschen (Durchmesser: ein Hundertstel Millimeter) wäre gestreckt
ein etwa 1,70 Meter langer Faden. Wenn man sich alle Maße um den Faktor 100000
vergrößert vorstellt, dann wäre ein Mensch 170 Kilometer groß (so lang wie das
Land Sachsen in West-Ost-Ausdehnung), eine Zelle hätte einen Durchmesser von 2
Metern, das DNS-Molekül wäre 170 Kilometer lang, aber auch in dieser
Vergrößerung nur 0,3 Millimeter „dick“!
Ebene 6: Gene
Der DNS-Faden trägt den Bauplan des Lebens. Er enthält wie
ein Schriftband hintereinander aufgereiht die „Bauanleitungen“ (oder
„Kochrezepte“) für die Herstellung aller Stoffe, die eine Zelle und der ganze
Organismus benötigen. Beim Menschen schätzt man, dass es etwa 22.000
verschiedene Bauanleitungen sind.
Und jeweils einen Abschnitt des DNS-Fadens, der eine solche
Bauanleitung enthält, nennt man ein GEN (=
Erbanlage; siehe 6). Und ein Gen ist (im Normalfall) jeweils zuständig
für die Herstellung eines ganz bestimmten Eiweißstoffes, eines PROTEINS.
Ebene 7:
„Doppelhelix“ und „genetischer Code“
Wenn man sich die DNS-Faden ansieht, handelt es sich
zunächst um ein fadenförmiges Molekül. Bei genauerer Betrachtung liegen sich
zwei einzelne Stränge gegenüber. Diese sind durch eine Art „Brücken“ oder
„Sprossen“ miteinander verbunden. Das Ganze sieht aus wie eine verdrehte
Strickleiter („Doppelhelix“ = schneckenartig verdrehter Doppelstrang). Und die
Sprossen dieser Strickleiter werden von vier Bausteinen gebildet, von denen
jeweils zwei zueinander passen, sich verhaken und eine feste Brücke bilden.
Die Bausteine der Leitersprossen werden meist nur mit ihren Abkürzungen
benannt: A und T liegen einander immer gegenüber, genau so tun das G und C.
Und in der Reihenfolge, in der diese vier Bausteine A, T, G
und C in der DNS aneinandergereiht sind, ist der „Text des Lebens“ festgelegt.
Das Schriftband der DNS enthält alle „Kochrezepte“ und „Bauanleitungen“, die
ein Lebewesen für seine Körperfunktionen benötigt. Die Informationen sind (in
einer Art (Geheim-)Schrift) „verschlüsselt“. Dieser so genannte „genetische
Code“ kommt mit den genannten vier „Buchstaben“ aus, von denen jeweils drei ein
„Wort“ bilden, das die Zelle „übersetzen“ kann.
(vgl. hierzu auch Kap.6.1.)
4. Was ist
und was tut ein GEN ?
Wir wissen jetzt, wo sich die Gene befinden.
Nun kommt die spannende zweite Frage: Wie wird die
Information, die Idee, die in dem Bauplan steht, von der Zelle in
lebenswichtige Stoffe umgesetzt?
4.1. Die Zelle als das „Haus des Lebens“
Wir wollen versuchen, uns das Geschehen
zunächst an einem Bild aus dem Alltag deutlich zu machen. Wir stellen uns vor,
dass eine Zelle das „Haus des Lebens“ ist.
In diesem Haus gibt es verschiedene Räume.
Für uns besonders wichtig ist einmal die „Bibliothek“. In ihr wird das Geheimnis
des Lebens aufbewahrt.
Der zweite wichtige Raum ist eine Art „Küche“ oder „Werkstatt“, in der die
Stoffe hergestellt werden, die fürs Leben benötigt werden. Wir nennen diese
Stoffe zunächst einmal einfach „Lebens-Mittel“ und meinen damit die Substanzen,
aus denen der Körper eines Lebewesens aufgebaut ist, die seinen Stoffwechsel
regeln, sein Verhalten steuern usw.
Außer diesen beiden Räumen hat die Zelle noch weitere - zum Beispiel ein
kleines Kraftwerk zur Energieversorgung oder ein Rohrpostsystem zur Verteilung
der Stoffe an die richtige Stelle oder Vorratskammern, in denen Stoffe gespeichert
werden.
4.2. Die Bibliothek -
das Geheimnis des Lebens wird gehütet
Wir betreten nun die „Bibliothek“.
Eine solche (komplette!) Bibliothek befindet sich im Zellkern jeder Zelle des
Körpers.
Im weiteren verwenden wir die uns
vertraute Vorstellung, dass Informationen gedruckt in Form von Büchern
vorliegen (in der Wirklichkeit einer Zelle wäre mehr an ein endlos langes
Schrift-Band zu denken). Wenn die Erb-Informationen, die im Zellkern einer
menschlichen Zelle zusammengepackt sind, in der für uns gewohnten Druckschrift
in Büchern niedergeschrieben würden, wären etwa 1000 Bücher mit jeweils 1000
Seiten erforderlich. In unserer gedachten Bibliothek stehen genau 46 Regale
und Bücherschränke, vollgestellt mit mehr als 2000 Büchern. Die 46 Regale
sollen verdeutlichen, dass die Erbinformation des Menschen in jedem Zellkern
auf 46 Chromosomen verteilt ist. Und von diesen 46 Regalen voller Bücher
hat ein Mensch jeweils die Hälfte (23 Chromosomen) von seiner Mutter und die
andere Hälfte (auch 23) von seinem Vater geerbt (daher bekommen Worte
wie „Erb-gut“, „Erb-substanz“, „Erb-information“ usw. ihren
Umfang der genetischen Information,
die in einer Zelle
bei verschiedenen Lebewesen gespeichert ist
(Vorstellung: gedruckte
Information in Büchern; 3000 Buchstaben auf einer Seite, 1 Buch = 1000 Seiten)
Lebewesen Anzahl der „Buchstaben“ Umfang gedruckt
--------------------------------------------------------------------------------------------------------
ein Gen 100 bis 1000 wenige Zeilen
Bakterie 4 Millionen Textumfang der Bibel
einfacher Wurm 97 Millionen Regal mit 33 Büchern
Mensch 6,6 Milliarden Bibliothek 2200 Bücher
Weizen 17 Milliarden Bibliothek 6000 Bücher
Sinn). Im Prinzip ist also jedes
Buch in der Bibliothek zwei Mal vorhanden. Eins steht im väterlichen und ein
gleiches Exemplar noch einmal im mütterlichen Schrank. Damit ist die Zelle doppelt
abgesichert; ihre Bibliothek beherbergt den Bauplan des Lebens in zweifacher
Ausführung! Dass alle Erbinformationen exakt in doppelter Ausführung vorhanden
sind, stimmt nicht ganz. Männer und Frauen unterscheiden sich, weil bei Männern
in ihren Zell-Bibliotheken gleich ein halbes Regal und damit eine ganze
Anzahl Bücher fehlen. Männer haben von manchen Büchern nur in ein Exemplar
geerbt. Ein Chromosom, das Y-Chromosom heißt und vom Vater stammt, ist bei
Männern etwas kürzer als sein zugehöriges Partner-Chromosom, das so genannte
X-Chromosom aus dem mütterlichen Erbe. Dieser „kleine Unterschied“ in der
Größe von X- und Y-Chromosom macht Männer gewissermaßen zu
„Defekt-Lebewesen“, ihnen fehlt etwas. Und wenn zum Beispiel auf dem nur einmal
vorhandenen (mütterlichen) X-Chromosom ein „falscher“ Text steht, der für die
Erbkrankheit Rot-Grün-Farbenblindheit verantwortlich ist, dann ist im Regal
des (väterlichen) Y-Chromosoms keine „richtige“ zweite Fassung von diesem
Text vorhanden, die den Fehler korrigieren, ausgleichen könnte. So leiden viel
mehr Männer als Frauen an dieser Erbkrankheit, weil Frauen nur erkranken, wenn
bei ihnen beide X-Chromosomen den gleichen Fehler tragen.
Die „Bibliothek des Lebens“ ist
bei verschiedenen Lebewesen übrigens unterschiedlich groß. Bei den einfachsten
Vorstufen von Leben, bei den Viren, könnte man die notwendigen Informationen
auf ein paar Zetteln niederschreiben. Aber schon der Text, der die Lebensprozesse
einer Bakterienzelle beschreibt, würde zwei Bücher vom Textumfang der Bibel
füllen, und ein einfacher Wurm benötigt für „seinen“ Bauplan schon ein Regal
mit 33 Büchern. Beim Weizen wären es drei Mal so viele Bücher wie beim Menschen.
Und stehen da bei jedem Lebewesen
andere Bücher mit jeweils ganz unterschiedlichem Inhalt in der Bibliothek? Erstaunlicherweise
nicht. Die Lebens-Bücher aller Lebewesen sind in der gleichen „Sprache“ geschrieben.
Das heißt, dass grundsätzlich das Einfügen von „fremden“ Texten (aus den
Zellen anderer Lebewesen) in die Bibliothek eines Organismus möglich ist, dass
also auch ein anderes Lebewesen diesen Text „lesen“ und „verstehen“ kann.
Und wenn man unterschiedliche
Lebewesen miteinander vergleicht, stellt sich heraus, dass ohnehin ein
Großteil des Erbgutes in ihren Bibliotheken gleich ist. So enthält zum
Beispiel die Bibliothek eines einfachen Wurmes mit dem Namen „c.elegans“ zu
mehr als der Hälfte Texte (Gene), die auch im menschlichen Erbgut vorkommen!
Wenn wir nun in der Bibliothek ein
Buch in die Hand nehmen würden, begegnete uns ein fortlaufend geschriebener
Text - ohne Punkt und Komma.
Die Biologen haben in den letzten
Jahrzehnten gelernt, einzelne Abschnitte ausfindig zu machen, die sinnvolle,
für uns verstehbare Erb-Informationen enthalten (sie werden GENE genannt). Beim
Menschen vermutet man, dass etwa 22.00 unterscheidbare Gene vorliegen.
Es wird geschätzt, dass nur zwei Prozent, ein
Fünfzigstel des gesamten Textes in der Bibliothek des Lebens beim Menschen,
solche für uns verstehbare, sinnvolle Botschaften beinhalten. Das ist
ausreichend Platz, um viele Tausend verschiedene „Kochrezepte“ und „Bauanleitungen“
für die Herstellung wichtiger Stoffe im Körper zu speichern. Dass die
„restlichen“ 98 Prozent der Buchseiten nicht nur sinnlosen „Informations-Müll“
enthalten, wie man lange meinte (zum Beispiel Dopplungen von Texten), dass sie
wichtige Botschaften „in Reserve“ aufbewahren oder für den Organismus beim
Lesen und Verstehen der „echten“ Gene wichtig sind, ist in den letzten Jahren
deutlich geworden.
Die Bibliothek bewahrt einen einmaligen,
wertvollen Schatz auf. Es handelt sich um die Lebenserfahrungen vieler
Generationen, die hier niedergeschrieben sind, um vielfach erfolgreich erprobte
Lebens-„Rezepte“.
Dieser Schatz muss zunächst als Ganzes bewahrt, vervielfältigt und an die
Nachkommen weiter-vererbt werden.
Deshalb wird jedes Mal, wenn eine
Zelle sich teilt, die ganze Bibliothek komplett abgeschrieben, und jede der
Tochter-Zellen bekommt eine vollständige Kopie, eine Abschrift aller 2000
Bücher!
Zellteilungen sind einmal dazu
nötig, damit aus der einen befruchteten Eizelle, mit der das Leben eines Menschen
beginnt, die vielen Billionen Zellen werden können, die später den Organismus
bilden. Zum anderen gehen im Laufe des Lebens eines Menschen viele Zellen
durch Alterungsprozesse zu Grunde, für die Ersatz zur Verfügung stehen muss -
auch hier sorgen bestimmte Zellen (so genannten Stammzellen) für den notwendigen
Nachschub, indem sie sich teilen.
Wie schafft es nun so ein winzig kleiner
Zellkern, die Information aus 2000 Büchern zu kopieren?
Da entsteht ein hektisches Treiben
in der Bibliothek. Einige tausend „Schreiber“ sind gleichzeitig am Werke. Sie
beginnen an verschiedenen Stellen im Text mit dem Abschreiben. Und obwohl
sie sehr fleißig sind, dauert der Kopiervorgang für den gesamten Bücherbestand
in einer menschlichen Zelle etwa acht Stunden. Unter diesen Bedingungen ist
es verständlich, dass Abschreibe-Fehler vorkommen, zum Beispiel Buchstaben verwechselt
oder vergessen werden. In den alten „Büchern des Lebens“ sind manche
Buchstaben fehlerhaft, manchmal sind auch ganze Seiten irrtümlich in einem
anderen Buch eingeheftet worden. Um dennoch die Zahl der Fehler beim Abschreiben
möglichst gering zu halten, sind in der Schreibstube ständig „Kontrolleure“
unterwegs, die die Originaltexte und die davon hergestellten Abschriften
miteinander vergleichen. Diese „Wächter“ können kleinere Abweichungen korrigieren.
Wenn die Abweichungen so dramatisch sind, dass eine Korrektur nicht mehr
möglich ist und die Gefahr schwerwiegender Störungen für die betroffene Zelle
besteht, setzen die „Wächter“ einen Selbstzerstörungsmechanismus in Gang, der
die betroffene Zelle abtötet. Aber auch aufmerksame „Wächter“ können einzelne
Abschreibe-Fehler übersehen (oder tolerieren). Damit sind die Kopien eben doch
nie ganz gleich. Beim Menschen zeigt sich das so, dass durchschnittlich aller
500 bis 1000 Buchstaben im Text eine Abweichung im Buchstaben-Muster vorkommt
(in der Regel treten solche Kopierfehler nicht in den sinntragenden, lebenswichtigen
Abschnitten der Erbsubstanz, in den Genen, auf, sondern in außerhalb liegenden
Bereichen). Dieser „kleine Unterschied“ (eine Abweichung von 0,1 Prozent von
Mensch zu Mensch) ist die Ursache dafür, dass wir uns eben doch alle
voneinander unterscheiden, dass jeder Mensch einzigartig (ein „Individuum“)
ist.
4.3. In
der Küche: Wie aus Kochrezepten „Lebens-Mittel“ werden
Das war die eine Aufgabe im Haus des Lebens, das wertvolle
„Erbe“ von Generation zu Generation, von Zelle zu Zelle, aber auch in der
Vererbung im Großen an Kinder und Kindeskinder weiter zu geben.
Die zweite Aufgabe ist nun, aus den theoretischen
Botschaften, die in den Büchern des Lebens aufgeschrieben sind, greifbare
stoffliche Lebens-Wirklichkeit werden zu lassen.
Wir stellen uns vor, aus irgendeiner anderen Zelle wird
Bedarf angemeldet. Benötigt wird ein bestimmter Stoff zu einer bestimmten Zeit
an einem bestimmten Ort in einer bestimmten Menge!
Der Bote, der diese Nachricht überbringt, sorgt für
Aufregung in der Bibliothek.
Zunächst wird ein „Schreiber“ beauftragt herauszufinden,
in welchem Buch an welcher Stelle das Kochrezept für den benötigten Stoff
aufgeschrieben ist. Dann fertigt er – diesmal nur von dem benötigten Text-Abschnitt
- eine Abschrift an. Warum wird nicht gleich das ganze Kochbuch in die Küche
gebracht? Das Original des Koch-Rezeptes ist viel zu wertvoll. Es darf die
Bibliothek nicht verlassen, nur eine Kopie wird nach draußen abgegeben, das
Original wird ordentlich ins Regal zurück gestellt.
Ein „Bote“ (das Boten-Molekül
heißt messenger-RNA) bringt den Zettel mit der Abschrift in die „Küche“ (oder
auch „Werkstatt“) der Zelle. Auf dem Türschild zu diesem Raum steht bei den
Biologen die Bezeichnung „Ribosom“.
In der Küche warten bereits die „Köche“. Sie verstehen es,
die Geheimschrift des Textes, der nun vor ihnen liegt, zu lesen und den
Inhalt der Botschaft zu verstehen und zu übersetzen.
Und in der Küche steht ein Regal, in dem sich alle „Zutaten“
befinden, die für die Stoffe in Lebensprozessen benötigt werden.
Nur ein
Regal? In der „Küche“ im Haus des Lebens geht es tatsächlich extrem sparsam
zu: Im Zutaten-Regal befinden sich nur 20 Grund-Bausteine (es sind
verschiedene Aminosäuren), aus denen sich die vielen tausend verschiedenen
Substanzen zusammen-puzzeln, zusammen-rühren lassen, die in Lebewesen
vorkommen.
In dem Koch-Rezept, das die Köche jetzt vor sich liegen
haben, bilden je drei aufeinander folgende „Buchstaben“ jeweils ein „Wort“.
Und am Regal mit den 20 Zutaten steht jeweils als Bezeichnung der Zutat das
gleiche Wort.
Die Köche nehmen nun also in der Reihenfolge der Worte in
der Vorschrift eine Zutat nach der anderen aus dem Regal und kleben sie eine
an die andere. Es entsteht eine Kette (ein langes Eiweiß-Molekül, das aus
einzelnen Aminosäuren zusammengesetzt ist). Und irgendwann steht im Rezept
ein Wort, das STOPP bedeutet.
Die Kocherei wird beendet. Jetzt
ist der gewünschte Stoff fertig. Bei Bedarf kann das gleiche „Rezept“ gleich
wieder eingesetzt werden (unter Umständen viele tausend Male hintereinander),
bis die „bestellte“ Menge des gewünschten Stoffes vorliegt.
Die „Rezepte“ (Gene) werden von den Zellen oft in unterschiedlicher
Weise gelesen und interpretiert, einzelne Textabschnitte können zu verschiedenen
Kombinationen zusammengestellt werden, sodass das „Menü“ einmal reichhaltiger
und ein andermal sparsamer ausfallen kann.
Das Produkt wird abschließend noch mit einem Adressaufkleber
versehen und in eine Art Rohrpost-System gegeben, das ihn an die richtige
Stelle befördert, dorthin, wo er im Haus des Lebens gebraucht wird.
Die vorstehende Darstellung war der
Versuch, die Vorgänge in einer Zelle in vorstellbare Bilder aus dem Alltag zu
übertragen. Ein bisschen anders laufen die wirklichen Vorgänge in einer Zelle
natürlich ab. Wie das alles in der Sprache der Wissenschaft benannt und
beschrieben wird, steht im Anhang (Kap. 6).
5.
Gentechnik – Frevel oder Fortschritt?
„Gentechnik“ - der Begriff klingt für viele Ohren immer noch
recht neu und fremdartig. Dabei gehört Gentechnik schon länger zu unserem
Alltag. Zuerst hat sie in den Labors der Biologie Fuß gefasst, wo schon vor 30
Jahren zum ersten Mal Erbanlagen erfolgreich isoliert und auf andere Arten von
Lebewesen übertragen wurden. Obwohl also das Zeitalter der modernen Biotechnologie
langsam in die Jahre kommt, bestimmen Neuigkeiten aus der Gentechnik, aus der
Fortpflanzungsmedizin immer wieder die Schlagzeilen der Medien.
Für eine breitere Öffentlichkeit ist das Thema Mitte der
1990er Jahre spannend geworden, seit die Gentechnik unübersehbar auch Einzug
in den Alltag gehalten hat. Im Regal von Tankstellen lag der Erdnuss-Riegel
„Butterfinger“ - das erste
Nahrungsmittel in Deutschland mit der Kennzeichnung: „Aus genetisch
verändertem Mais hergestellt“. Die Einwohner mancher Dörfer staunten darüber,
dass gleich hinter ihrem Gartenzaun (noch als Versuchs-Pflanzung) gentechnisch
veränderte Raps- oder Maispflanzen aufwuchsen. Viele Schwangere erleben es
heute fast schon als Standard-Angebot, dass sie dazu aufgefordert werden, das
heranwachsende Kind doch zur Sicherheit auch genetisch testen zu lassen. Und
manche Patienten lesen auf ihrem Beipackzettel, dass das vom Arzt verschriebene
Medikament gentechnisch hergestellt worden ist.
Solche Nachrichten oder direkten Begegnungen mit
„Gentechnik“ machen manche Zeitgenossen neugierig, sie staunen, sind
fasziniert, welche Möglichkeiten sich dem Menschen im beginnenden 21. Jahrhundert
neu bieten. Andere Beobachter reagieren auf die gleichen Meldungen mit
Nachdenklichkeit, bekommen vielleicht auch Angst vor unwägbaren
Folgewirkungen.
Wenn Anfang des Jahres 2000 gleich zwei Mal (in der
Wissenschaftszeitschrift GEO und später wortgleich im Wochenmagazin DER
SPIEGEL) die Überschrift auftaucht:
„Gentechnik
- die zweite Schöpfung“,
dann werden in solchen Formulierungen sehr schnell die tieferen
Dimensionen des Themas deutlich. Wenn von TECHNIK die Rede ist, dann schwingt
wohl immer auch der Stolz des modernen Menschen mit, zu welch erstaunlichen
Leistungen er bei der Gestaltung und Veränderung der Welt fähig ist. Uns ist
längst klar: Umgang mit Technik bedeutet immer auch Umgang mit Macht, und da
liegt die Frage nicht fern, wie ein verantwortlicher Umgang mit Macht aussehen
könnte. Und wenn Technik sich nicht mit mechanischen oder chemischen
Neuerungen präsentiert, sondern Lebensprozesse genutzt und gestaltet
werden („BIO“-Technologie) oder die Erbanlagen von Lebewesen
verfügbar werden („GEN“-Technik) - dann sind diese neuen Möglichkeiten
von Biologie und Medizin im Umgang mit dem Leben wesentlich aufregender als
andere technische Neuerungen.
Und dann wird überraschenderweise
noch eine Dimension angesprochen, die man in einem populär-wissenschaftlichen
oder in einem politischen Magazin gar nicht ohne weiteres erwartet: SCHÖPFUNG,
eine zweite Schöpfung gar, die über das hinausgeht, was der Mensch an
Lebens-Wirklichkeit in dieser Welt vorgefunden hat. Eine Gratwanderung deutet
sich an, auf die wir uns begeben. Ist das nun „... ein Schritt auf dem Weg ins
menschengemachte Paradies ... oder eher gefährliche Anmaßung“ (so fragte GEO)?
Der Balance-Akt lässt sich in seiner Tiefendimension wohl nur in religiöser
Sprache angemessen auszudrücken.
Wenn man sich den täglichen Medienberichten aussetzt,
prasseln die Versprechen und Verheißungen der Gentechnik auf uns nieder. Da
ist von neuen Möglichkeiten in der Biologie der Fortpflanzung die Rede
(Menschen nach Maß durch vorgeburtliche Kontrolle?), da geht es um Linderung
oder sogar ursächliche Heilung von Krankheiten (von der Herstellung von
Medikamenten bis zur gentechnischen „Reparatur“ von Erbkrankheiten), Haustiere
und Nutzpflanzen werden verändert mit dem Ziel höherer Erträge oder verbesserter
Nährstoffzusammensetzung (ein immer wieder beschworenes Ziel: Lösung des
Welt-Hungerproblems), und es gibt Berichte über den Einsatz von Mikroorganismen
im Umweltschutz.
Was wir da so erfahren, aus Zeitung und Fernsehen – wie
erlebe ich das, sind das für mich Hoffnungssignale oder sind es Schreckensmeldungen?
Was bringe ich zum Gespräch über das Thema Gentechnik mit,
an Erfahrungen, an Wertungen? Bin ich für die Anwendung der Gentechnik oder
spricht für mich mehr dagegen? Ist Gentechnik für mich Frevel oder bedeutet
sie Fortschritt? Oder erlebe ich sie in der einen Anwendung als durchaus
segensreich, in einem anderen Fall aber als gefährlich?
In (Streit-)Gesprächen wird schnell deutlich: es geht nicht
nur um nüchterne, rationale Naturwissenschaft. Gefühle, Interessen, die eigene
Betroffenheit, Werte oder Rechte sind berührt und spielen in die Diskussion hinein.
Von vielen Menschen werden Anwendungen der Gentechnik in der
Humanmedizin positiv bewertet. Große Hoffnungen verbinden sich mit der
Aussicht auf Heilung oder Linderung von Krankheit und Leid. Das Auftauchen
gentechnischer Bestandteile in Nahrungsmitteln wird meist kritischer betrachtet.
Um sich selbst eine Meinung bilden zu können, werden wertfreie,
nicht-interessengebundene Informationen gesucht. Manchmal werden im Gespräch
spektakuläre Vermutungen (ich habe da gehört ...) als gesichertes Faktenwissen
eingebracht (und mit positiven Erwartungen oder mit Ängsten befrachtet), obwohl
vieles davon bei nüchterner Betrachtung eher in den Science-Fiction- und Horror-Bereich
gehört. Viele Beobachter sind hin und her gerissen wegen der grundsätzlichen
Ambivalenz (= der Zwie-Gesichtigkeit) von Technik. Neben dem gewünschten guten
Gebrauch könnten Probleme durch nicht vorhergesehene Neben- und Folgewirkungen
auftreten. Wirtschaftliche, politische oder militärische Interessen könnten zu
Missbrauch führen. Wissenschaftlicher Ehrgeiz könnte sich verselbständigen. Um
alldem zu steuern, werden Grenzziehungen eingefordert. Allerdings erwartet man
von der Politik hier in der Regel nicht allzu viel, und auch den Akteuren in
Wirtschaft und Wissenschaft wird (zu) wenig Verantwortung für gesellschaftliche
Auswirkungen ihres Tuns zugetraut. Die eigene Verantwortung, die auch der
Verbraucher als potenzieller Nutznießer gentechnischer Angebote zu tragen hat,
wird kaum wahrgenommen und in ihrer Tragweite (und den damit verbundenen
Handlungsmöglichkeiten) oft unterschätzt.
5.1. Was macht ein Gentechniker?
Gentechnik ist kein neuer Wissenschaftszweig. Gentechnik ist
eine Art „Werkzeug-Kiste“, eine Sammlung von verschiedenen Techniken, die zum
Verstehen von Lebensprozessen auf der Ebene der Gene beitragen oder Veränderungen
im Erbgut ermöglichen.
Definitionen:
GENTECHNIK: „Unter dem Begriff Gentechnologie versteht man die
Gesamtheit der Methoden zur Charakterisierung und Isolierung von
genetischem Material, zur Bildung neuer Kombinationen genetischen
Materials sowie zur (Wieder-)Einführung und Vermehrung des neukombinierten
Erbmaterials in anderer biologischer Umgebung.“ (Enquete-Kommission
„Gentechnologie“ des Deutschen Bundestages 1987)
Der Begriff BIOTECHNOLOGIE umfasst die technisch gesteuerte Produktion
organischer Substanzen durch Lebewesen. Auch die moderne Land- und
Forstwirtschaft, nicht nur mikrobielle Verfahren, zählen im weiteren Sinn zur
Biotechnologie.
Stichworte wie Klonierung, In-vitro-Fertilisation („Retorten-Babys“) oder
Leihmütter gehören in die Rubrik FORTPFLANZUNGSBIOLOGIE.
Zu Gentechnik oder Biotechnologie besteht kein unmittelbarer Zusammenhang.
Methoden der GENTECHNIK
Verschiedene Methoden der Gentechnik haben es
möglich gemacht, dass man heute das Genom (das gesamte Erbgut) lebender
Organismen wie mit einem Textverarbeitungsprogramm bearbeiten kann: interessante
Textbausteine suchen, markieren, kopieren, ausschneiden, löschen, korrigieren,
verändern, neu entwerfen, in andere Texte einfügen.
Die Methoden der Gentechnik
sind weithin nicht Erfindungen des Menschen, sondern von Bakterien, die diese
biochemischen Werkzeuge benutzen (z.B. Verdauungs-Enzyme, mit deren Hilfe wie
durch chemische Scheren große Moleküle zerschnitten werden, oder „Klebstoffe“,
mit deren Hilfe DNS-Fragmente unterschiedlicher Herkunft zusammengefügt werden
können).
Als „Vektoren“ (Überträger,
„Schmuggler“) für fremdes Erbgut dienen z.B. Plasmide (kleine Ringe von DNS in
Bakterien) oder Viren. Sie können in Zellen eindringen und nehmen dabei auch
die ihnen eingebauten fremden Gene mit.
Welche Möglichkeiten sich durch Nutzung der Gentechnik
grundsätzlich eröffnen, wollen wir uns deutlich machen, indem wir das Bild vom
Haus des Lebens aus Kapitel 4 noch einmal aufgreifen.
lesen
Gentechniker möchten die
Reihenfolge der chemischen Buchstaben herausfinden, die die Erbsubstanz bilden.
Für das menschliche Erbgut mit seinen mehr als 3 Milliarden Buchstaben liegt
der „Text“ inzwischen fast vollständig vor – ohne dass damit auch schon
verstanden wäre, welcher Informations-Inhalt sich hinter diesem
„Buchstabensalat“ verbirgt!
verstehen
Man möchte verstehen, welche Informationen in dem Text
niedergelegt sind, welcher Textabschnitt ein Kochrezept darstellt, und für die Produktion
welchen Stoffes er zuständig ist. Um das herauszubekommen, kann jemand in der
Bibliothek des Lebens einen Textteil entfernen oder unleserlich machen. In der
„Werkstatt“ kann dann die entsprechende Substanz nicht mehr hergestellt
werden und ihr Fehlen im Stoffwechsel einer Zelle würde sich in veränderten
oder ausfallenden Funktionen des Organismus bemerkbar machen. Gentechnik macht
es so möglich, die Funktion von einzelnen Genen aufzuklären und zu verstehen.
Gene werden der Reihe nach unwirksam gemacht (z.B. indem man sie zerschneidet),
und danach kann festgestellt werden, welche Wirkung nun fehlt. Eine Anwendung
besteht in der Aufklärung der molekulargenetischen Ursachen für Krankheiten.
analysieren
Gentechnik ermöglicht die gezielte Suche nach bestimmten
Text-Abschnitten im Erbgut. Dazu würde beispielsweise die Antwort auf die
Frage gehören, ob ein Mensch als Täter bei einem Verbrechen in Frage kommt.
Gentechnische Verfahren machen es möglich, durch Analyse seiner Erbsubstanz ein
unverwechselbares Gen-Profil zu erstellen („genetischer Fingerabdruck“ als
ein einmaliges, für dieses Individuum typisches Buchstabenmuster), das mit
Erbgut-Spuren vom Tatort verglichen werden kann. Auch bei der Feststellung
von Verwandtschaftsbeziehungen (Vaterschafts-Test, Abstammungs-Nachweise in
Familien oder Volksgruppen) werden solche Methoden heute routinemäßig angewandt.
Man schickt z.B. „Spürhunde“ auf die Suche, so genannte Gensonden. Dabei
handelt es sich um kurze Stücke Erbsubstanz, die künstlich hergestellt werden
und die eine ganz bestimmte Buchstabenfolge enthalten. Sie schwimmen in einer
Lösung, in der sich auch die zu untersuchende Erbsubstanz befindet. Die Sonde
lagert sich an fremde Erbsubstanz an, aber nur dann, wenn dort genau das passende
Gegenstück vorhanden ist, also alle Buchstaben der Sonde genau durch ihr
Gegenstück ergänzt werden können.
(aus-)schneiden
Gentechnik setzt gezielt Enzyme (Restriktionsendonukleasen) als
„chemische Scheren“ ein, um den Molekülfaden der DNS an genau definierten
Stellen aufzuschneiden. Damit können einzelne Gene zugänglich und verfügbar
gemacht und evtl. auf andere Lebewesen übertragen werden. Es gibt einige
hundert verschiedene „Scheren“, die jeweils ganz typische „Buchstaben-Folgen“
im Erbgut erkennen und dort eine Trennung durchführen.
(ein-)kleben
Gentechnik kann bestimmte Enzyme (Ligasen) als „Kleber“
nutzen, um Gene miteinander zu verbinden. Die Herkunft der Gene kann beliebig unterschiedlich
sein: es wäre, bildlich gesprochen, kein Problem, ein Bibelzitat mit einem Abschnitt
aus der Steuererklärung dauerhaft zu verbinden.
vervielfältigen
Es gibt Techniken, mit deren Hilfe
ein gewünschtes Stück Erbsubstanz immer neu um die notwendigen Bausteine ergänzt,
kopiert und vervielfältigt werden kann.
übertragen
Gentechnik macht es möglich, Gene einer biologischen Art in
das Erbgut einer ganz anderen Art einzufügen und in der neuen Umgebung zur
Ausprägung ihrer mitgebrachten Eigenschaften zu bringen. Die Artgrenzen der
Biologie, die unter anderem so definiert sind, dass ein Austausch von Erbgut im
Normalfall nicht erfolgt, gelten damit im Zeitalter der Gentechnik nicht mehr.
Menschliche Gene können auf Bakterien übertragen werden und sind dort
funktionsfähig, Gene aus dem Erbgut von Schweinen lassen sich erfolgreich auf
Tabakpflanzen übertragen.
Wie das alles konkret funktioniert, soll an einem Beispiel
deutlich gemacht werden. Es geht um eine Anwendung der Gentechnik, die schon
seit mehr als 20 Jahren großtechnisch durchgeführt wird, die Herstellung eines
wichtigen Medikaments: INSULIN.
5.2. Gentechnik in der Herstellung von HUMAN-INSULIN
Michael
ist elf Jahre alt. Vor drei Jahren geriet er, ganz plötzlich, in eine lebensbedrohliche
Situation. Seine Bauchspeicheldrüse funktionierte nicht mehr, ihre
„Inselzellen“ stellten kein Insulin mehr zur Verfügung. Dieses Hormon sorgt im
gesunden menschlichen Organismus dafür, dass der Zuckergehalt des Blutes in
erträglichen Grenzen ausbalanciert wird. Michael erfuhr schmerzlich, dass er
Diabetiker ist, „zuckerkrank“. Seitdem muss dieser Junge sich mehrmals täglich
selbst eine Spritze geben und seinem Körper Insulin zuführen. Beim Blick auf
die Packungsbeilage seines Medikaments wird klar: Es handelt sich zum einen um
„Human-Insulin“, das heißt, es ist chemisch der gleiche Stoff, den sonst nur
gesunde Zellen im menschlichen Organismus bereitstellen können, und dieser
Stoff wird „gentechnisch hergestellt“.
Das
Verfahren wird großtechnisch seit Anfang der 80er Jahre eingesetzt.
Das Prinzip der
gentechnischen Herstellung von Insulin soll anhand eines Bildes verdeutlicht
werden. Man benötigt zunächst den „Bauplan“ zur Insulinherstellung. Im
Zellkern jeder Zelle des menschlichen Körpers ist die Erbsubstanz dicht zusammengepackt.
Sie enthält – auf einem Faden-Molekül aneinander gereiht - alle notwendigen
Informationen und Baupläne, die festlegen, wie der Organismus aufgebaut ist
und wie sein Stoffwechsel funktioniert. Der Zellkern wird ins Reagenzglas
verbracht und das Erbmolekül (DNS) dort freigesetzt. Mit Hilfe von Enzymen
(das sind chemische Substanzen, die wie Scheren wirken), wird die Erbsubstanz
in kleine Stücke zerschnitten. Ein solcher Schnipsel enthält den gesuchten
Bauplan (das Gen) zur Herstellung von menschlichem Insulin (siehe 1).
Nun wird ein Organismus benötigt, der mit Hilfe dieses Bauplans Insulin
herstellen kann. Hier haben sich Bakterien als geeignet erwiesen. Bakterienzellen
enthalten einen Teil ihrer Erbsubstanz in Form kleiner, übersichtlicher
Molekül-Ringe (Plasmide). Ein solcher Plasmid-Ring wird im Labor mit den
gleichen „chemischen Scheren“ aufgeschnitten, die schon beim Zerlegen der
menschlichen Erbsubstanz verwendet wurden (siehe 2).
Dass in beiden Fällen die gleichen „Scheren“ zum Einsatz kommen, bewirkt, dass
die erzeugten Schnittstellen wie in einem perfekten Puzzle exakt
zusammenpassen.
Der Insulin-Bauplan
aus dem menschlichen Erbgut wird nun in die offene Stelle des Bakterien-Plasmids
eingefügt. Die Enden werden biochemisch miteinander verklebt (siehe 3). Der
solcherart veränderte, vergrößerte Molekül-Ring wird in Bakterienzellen der
gleichen Art eingebracht (siehe 4).
Bei jeder Zellteilung
geben die gentechnisch veränderten Bakterienzellen auch die neue Erbeigenschaft
an alle ihre Nachkommen weiter. Der Bioreaktor, in dem sie leben, füllt sich
schnell mit Lebewesen, die die neue Eigenschaft in ihrem Erbgut tragen. Und
die Bakterien stellen jetzt in ihrem Stoffwechsel sehr effektiv einen Eiweiß-Stoff
her, den sie selbst
nicht benötigen: Insulin. Die Bakterien lagern den Stoff in ihren Zellen ab,
werden abgetötet, und danach ist noch einiges an chemischer Nachbereitung
nötig, ehe das gewünschte Medikament zur Verfügung steht: reines Human-Insulin,
ein lebenswichtiges Eiweiß in der gleichen chemischen Zusammensetzung, wie es
sonst nur im gesunden menschlichen Organismus vorkommt (siehe 5).
Die Verabreichung von
gentechnisch hergestelltem Insulin ist inzwischen zum „Normalfall“ geworden:
Mehr als 80 Prozent aller insulinpflichtigen Diabetiker in Deutschland sind
auf gentechnisch hergestellte Präparate eingestellt.
Für die anderen
Patienten stehen als alternatives Ersatz-Medikament Insuline zur Verfügung,
die aus den Bauchspeicheldrüsen von Rindern und Schweinen aus
Schlachthofabfällen gewonnen werden. Das war vor 1980 die einzige
Insulin-Quelle. Allerdings zeichneten sich schon damals - bei einer ständig
wachsenden Zahl von Patienten - Engpässe in der Versorgung ab. Außerdem konnte
das Insulin von Rindern und Schweinen nicht bei allen Patienten eingesetzt
werden; es stimmt in seiner chemischen Zusammensetzung nicht ganz mit dem des
Menschen überein, so dass es bei manchen Patienten zu Unverträglichkeiten
und allergischen Reaktionen kam.
In den zwanzig Jahren
der gentechnischen Herstellung von menschlichem Insulin sind bis heute keine
problematischen Neben- und Folgewirkungen eingetreten. Der Patient
entscheidet sich freiwillig (und nach Aufklärung) für die Nutzung von
Human-Insulin. Er kommt nicht mit gentechnisch veränderten Organismen (hier:
den Bakterien) in Kontakt – in der Medikamenten-Spritze befindet sich nur der
chemisch reine Stoff Insulin. Die Bakterien leben in einem geschlossenen
System (Bioreaktor). Wenn doch Einzel-Exemplare in die freie Natur entkommen
sollten, haben sie dort keine Überlebenschancen. Ihnen wurde – auch per Gentechnik
– eine weitere zusätzliche Eigenschaft „eingebaut“, die sie von einem Nahrungsbestandteil
abhängig macht, der nur im Bioreaktor zur Verfügung steht, aber in der Natur
nicht vorkommt.
Am Beispiel der
gentechnischen Insulin-Herstellung werden die atemberaubenden Möglichkeiten
der neuen Techniken deutlich. In der Natur ist der Austausch von Erbgut über
Artgrenzen hinweg kaum möglich. Diese Barrieren existieren jetzt praktisch
nicht mehr. Biologisch können Lebewesen nicht weiter voneinander entfernt sein
als Bakterien und Menschen. Und doch – das Insulin-Beispiel zeigt es – ist es
möglich, eine einzelne Erbinformation, die nur in gesunden menschlichen
Zellen vorkommt, erfolgreich auf Bakterienzellen zu übertragen, und sie vollführt
dort die gleiche Funktion. Man kann demnach versuchen, jede Erbeigenschaft,
die in irgendeinem Lebewesen auf dieser Welt vorkommt und uns nützlich
erscheint, in das Erbgut von völlig anderen Organismen einzubauen, also von
Bakterien auf Maispflanzen oder von Fischen auf Tomaten zu übertragen.
Die hier geschilderte
Anwendung der Gentechnik zur Herstellung von Medikamenten ist inzwischen
allgemein akzeptiert. Es werden keine Gene in den menschlichen Körper
eingebracht. Daher steht man hier im Prinzip vor keinen anderen Fragen als
bei der Gabe jedes anderen Medikaments. Freilich müssen die üblichen Sorgfaltspflichten
in der Erprobung und Anwendung von Medikamenten beachtet werden.
Kann man in Kenntnis
dieser – nicht nur von Betroffenen als segensreich erlebten - Anwendung der
Gentechnik pauschal jede Art gentechnischer Veränderung ablehnen? Ist es
wichtiger, ein Prinzip durchzuhalten (etwa: „keine Gentechnik!“) oder nach den
konkreten Folgen einer Handlung zu fragen (etwa: wem nützt die Technik, wem
schadet sie)?
„Im übrigen aber
gehört es zum verantwortlichen Umgang mit der ‚Freiheit eines
Christenmenschen‘, sich in jedem einzelnen Fall aufgrund der entwickelten
Entscheidungshilfen selbst ein Urteil zu bilden.“
(„Einverständnis mit
der Schöpfung – Ein Beitrag zur ethischen Urteilsbildung im Blick auf die
Gentechnik“, erarbeitet im Auftrag des Rates der Ev. Kirche in Deutschland,
Gütersloh 1997, S.168)
6. Die
Erhaltung und Weitergabe der Erb-Informationen
in der
Sprache der exakten Naturwissenschaft
6.1. DNS -
das Erbmolekül
Tatsächlich finden wir im
Zellkern, in der „Bibliothek des Lebens“, keine „Bücher“ und „Texte“ vor.
Materieller Träger der Erb-Informationen ist das Molekül der
Desoxyribonukleinsäure (DNS).
DNS:
Desoxyribonukleinsäure; DNS (englisch auch DNA wegen acid für
Säure):
Bei
der DNS handelt es sich chemisch um eine Säure, die im (Zell-)Kern
gefunden wird (Kern = lateinisch Nukleus) und die als einen wesentlichen
Baustein das Zuckermolekül Desoxyribose enthält.
Die DNS ist ein fadenförmiges
Molekül (siehe Abb.). Sie liegt im Zellkern nicht in einem Stück vor, sondern
die gesamte Erbsubstanz (das Genom) ist bei höheren Lebewesen auf mehrere
Chromosomen verteilt und verpackt.
Der DNS-Faden trägt den Bauplan des
Lebens. Er enthält hintereinander aufgereiht die GENE (unsere „Bauanleitungen“
oder „Kochrezepte“ aus der Darstellung in Kap. 4), die zuständig sind für die
Herstellung aller Stoffe, die eine Zelle bzw. der ganze Organismus benötigen,
und die auch zuständig sind für die Regelung und Koordination aller
Lebensprozesse. Beim Menschen schätzt man, dass es etwa 40000 verschiedene
Bauanleitungen für ebenso viele verschiedene Substanzen gibt. Und jeweils einen
Abschnitt des DNS-Fadens, der eine Bauanleitung zur Herstellung eines ganz
bestimmten Eiweißstoffes (Protein) enthält, nennt man ein GEN (Erbanlage).
Die „Rezepte“ sind in einer Art chemischer Geheimschrift
aufgeschrieben, als fortlaufender Text ohne Punkt und Komma, und unter
Benutzung eines einfachen „Alphabets“, das aus nur vier chemischen
„Buchstaben“ besteht: G,T,C und A. Die Abkürzung G steht dabei für die
Nukleotid-Base Guanin, T für Thymin, A für Adenin und C für Cytosin (T wird in
RNS-Molekülen durch den Baustein Uracil mit der Abkürzung U ersetzt – siehe Kapitel 6.3.1.).
Wenn man
den DNS-Faden ganz genau betrachtet, sieht er aus wie eine verdrehte
Strickleiter (die so genannte DOPPELHELIX), und die Sprossen dieser
Strickleiter werden von vier Molekül-„Buchstaben“ gebildet (chemische
Bezeichnung: NUKLEOTID-BASEN), die jeweils paarweise aneinander haften - A
und T liegen einander immer gegenüber , genau so ist das bei dem Paar G und
C.
Die in
der DNS gespeicherten Erbinformationen gilt es nun zum einen zu
vervielfältigen und zum anderen zur Herstellung von Stoffen zu nutzen.
Die nebenstehende Abbildung gibt dazu einen schematischen
Überblick: Der Weg oben von links nach rechts deutet die Vervielfältigung /
Weitergabe der Erbinformation an; links von oben nach unten ist die
„Übersetzung“ der in der DNS niedergelegten Information in die „Sprache der
Eiweiße“ skizziert.
Sind nur 2 Prozent der
Erbsubstanz „richtige“ Gene?
Nach
heutigem Kenntnisstand bestehen nur etwa 2 Prozent der DNS aus Genen im echten
Sinne, das heißt, dass sie Baupläne zur Herstellung von Proteinen enthalten.
Man kennt darüber hinaus Regulationselemente (sie regeln, ob und wann ein Gen
abgelesen wird), der größte Teil der Funktionen in der DNS ist jedoch noch
unklar (Vorstellungen: innere Regulation; repetitive, das heißt sich mehrfach
wiederholende Abschnitte; „abgeschaltete“ Gene, z.B. Krebsgene). Die „echten“
Gene, die die Herstellung von Proteinen codieren, liegen unregelmäßig verteilt
auf den Chromosomen, wobei jedes Gen nochmals von „stummen“ DNS-Sequenzen
unterbrochen ist, die später bei der „Übersetzung“ der Botschaft
herausgeschnitten werden.
Ein Gen – ein Eiweiß –
ein Merkmal ???
Bis vor einigen Jahren
wurde ein Gen als ein Abschnitt auf der DNS definiert, der die Information für
die Herstellung eines Proteins enthält. Dieses Dogma: „Ein Gen – ein
Protein“ gilt nicht mehr.
Inzwischen weiß man, dass
bei vielen Genen ein Teil der zunächst abgelesenen Information nachträglich
wieder entfernt wird. Darüber hinaus wurden überlappende Gene gefunden und
Gene, die innerhalb anderer Gene liegen.
Häufig werden die frisch
produzierten Eiweiße in kleinere Teile zerschnitten, und diese übernehmen dann
ganz unterschiedliche Funktionen. Zudem verknüpfen Zell-Enzyme neu gebildete Eiweiße
mit unterschiedlichen Zuckermolekülen, beladen sie mit Phosphaten oder
Metallionen – das wiederum verändert die Eigenschaften der Eiweiße drastisch.
Menschliche Gene können oft
nicht nur ein Protein herstellen, sondern durchschnittlich drei, manche sogar
Tausende verschiedene. Es wird geschätzt, dass im menschlichen Genom etwa
22.000 Gene vorliegen, die aber einige hunderttausend verschiedene Proteine
herstellen. Also lautet die aktuelle Definition: „Ein Gen ist eine Sinneinheit
im Genom, die für ganze Proteinfamilien zuständig ist.“
Ist der Mensch allein ein Produkt seiner Gene?
Ein Klonforscher wird gefragt: Wie weit prägen Gene ein Wesen? „Darüber haben
wir ziemlich genaue Vorstellungen. Zu 30 bis 35 % sind die Gene verantwortlich,
was wir sind und was wir tun. Der Rest ist die Umwelt.“
(Die Zeit 15.2.07 S.56)
6.2. RE(DU)PLIKATION – die Vervielfältigung des Erbgutes
Die Vermehrung des genetischen
Materials im Zellkern erfolgt vor jeder Zellteilung als identische RE(DU)PLIKATION (= Selbst-Verdopplung) der DNS. Sie ist
die Voraussetzung für die Weitergabe der vollständigen Erbinformation an beide
Tochterzellen.
Dazu
werden die beiden in der Doppelhelix parallel angeordneten und durch Brücken
miteinander verbundenen Teil-Fäden wie beim Öffnen eines Reißverschlusses
voneinander getrennt (als „Öffner“ tritt ein Enzym in Funktion, die
DNS-Polymerase).
Nun dient jeder der beiden
entstandenen Einzel-Stränge der Strickleiter als Vorlage für die Synthese eines ergänzenden
(„komplementären“) zweiten Stranges: die Molekül-Bausteine (Basen,
„Buchstaben“) A, T, G und C schwimmen heran und paaren sich mit ihrem
zugehörigen Gegenstück in der „Vorlage“, A bindet chemisch immer nur mit T
und C immer nur mit G. Es entstehen zwei gleiche (identische)
Strickleiter-Moleküle, die bei der Zellteilung auf die Tochter-Zellen verteilt
werden.
Bei Lebewesen mit Zellkern geht
die Verdopplung der Erbsubstanz von vielen Startpunkten gleichzeitig aus, das
heißt, in jedem Chromosom öffnen Enzyme das DNS-Molekül an einigen tausend
Startpunkten.
6.3. Gen-Expression - Die Botschaft der Gene wird umgesetzt
Wie
prägen sich nun die Erbanlagen aus, wie wird die Botschaft, die die Gene
tragen, wirksam?
Als Produkte des Tätigwerdens der Gene werden Eiweißstoffe (Proteine)
hergestellt.
Oder als Definition: Ein Gen ist (im Normalfall) ein Abschnitt auf der DNS, der
die Information für die Bildung eines Eiweißmoleküls trägt.
Proteine nehmen als Bausteine des Lebens in Organismen sehr
unterschiedliche Funktionen wahr.
Funktion verschiedener
Proteine (Eiweiße)
+ Baustoffe im Zellplasma
+ Füll- und Stütz-Material
(Knochen- und Bindegewebe)
+ Botenstoffe (Hormone, z.B.
Insulin)
+ Steuerung des
Stoffwechsels (Enzyme)
+ Antikörper (Immunsystem)
+ Rezeptoren
(Signal-Weiterleitung)
+ Transport- und
Speicher-Proteine (Hämoglobin = roter Blutfarbstoff)
+ Weitergabe und
Realisierung der genetischen Information (DNS, RNS)
Die Zuordnung, nach der ein Gen
jeweils zuständig ist für die Herstellung ganz bestimmter Proteine, ist
eindeutig. Das stimmt aber nicht mehr für den Zusammenhang, der zwischen den
verschiedenen Proteinen und den Merkmalen in Körperbau, Stoffwechsel oder
Verhalten von Lebewesen besteht. Hier gilt in der Regel, dass ein Gen über
den von ihm hergestellten Eiweißstoff Einfluss ausübt auf mehrere verschiedene
Merkmale (= Gene sind pleiotrop). Und die Ausprägung eines Merkmals wird
normalerweise durch das Einwirken mehrerer Gene gesteuert (= Merkmale sind
polygen) (siehe dazu Abb.).
Wie wird nun die Botschaft von der DNS „abgeschrieben“, an
die richtige Stelle in der Zelle (in die „Werkstatt“) transportiert und dort in
die „Sprache der Eiweißmoleküle“ übersetzt?
6.3.1
TRANSKRIPTION - Die Botschaft wird abgeschrieben
In einem ersten Schritt wird die auf dem DNS-Molekül
gespeicherte Information abgeschrieben. Als Kopie wird ein RNS-Molekül hergestellt.
Der Vorgang wird TRANSKRIPTION
genannt (als „Abschreiben“ oder „Umschreiben“ zu übersetzen).
Das „Kopiergerät“ ist ein Enzym: Diese RNS-Polymerase wird
chemisch an einer ganz bestimmten Stelle im DNS-Molekül gebunden. Von diesem
Start-Punkt aus bewirkt das Enzym ein Auseinanderweichen der beiden DNS-Stränge
(wie ein Reißverschluss). Nur ein bestimmter Strang der DNS (= codogener
Strang) dient nun als Vorlage für die Bildung eines neuen, dazu passenden (=
komplementären, ergänzenden) Gegen-Stranges: die Basen („Buchstaben“)
A,
U, G und C schwimmen heran und werden miteinander zu einer Kette verknüpft
(siehe Abb.).
Wichtig ist, dass hier statt der Base T plötzlich U
auftaucht - das neu geknüpfte Molekül ist quasi in einer anderen „Mundart“
geschrieben, in der immer U verwendet wird, wo in der DNS-„Sprache“ T gemeint
wäre (U steht für die Nukleotidbase Uracil).
Der Vorgang des „Abschreibens“ der Gen-Botschaft wird durch
ein Stopp-Signal beendet, danach treten die beiden Einzelstränge der DNS
wieder zusammen und die Lücke schließt sich.
Die „umgeschriebene“ Botschaft liegt nun in Gestalt eines –
im Unterschied zur Doppelhelix der DNS nur einsträngigen - Molekülfadens vor,
als Molekül der RIBONUKLEIN-SÄURE
(RNS, im Englischen RNA wegen acid für Säure). Noch genauer handelt
es sich um ein Molekül der so genannten m-RNS
(für englisch messenger-RNA, deutsch etwa Boten-RNS).
RNS:
Einige Unterschiede zum
DNS-Molekül sind: RNS ist nur einsträngig, im Molekül wird ein anderer Zucker
verwendet (Ribose statt Desoxyribose), und statt der Base T findet sich
jeweils an der entsprechenden Stelle in der RNS die Base U.
In den Zellen höherer
Lebewesen (Pflanzen, Säugtiere) ist die Bildung der m-RNS dadurch
verkompliziert, dass die genetische Information auf dem DNS-Faden gestückelt
vorliegt (rekordverdächtig: 178 Fragmente beim Muskeleiweiß Titin). Die
kodierenden Bereiche (sog. EXONS; sie enthalten Informationen, die sich wirklich
„aus“-prägen), die sich später in der m-RNS wiederfinden sollen, sind durch
nicht-kodierende Bereiche (sog. INTRONS, „Einlagerungen“) unterbrochen. Spezielle
Enzyme spleißen das RNS-Molekül aus den Fragmenten zusammen, nur die
informations-tragenden Teile sind dann noch – und nun als lückenloser Text -
enthalten. Dabei können die Exons wie Filmschnipsel auch unterschiedlich
kombiniert werden (sodass in der Folge aus den „Puzzlesteinen“ eines Gens
mehrere unterschiedliche Eiweiße gebildet werden können).
Bakterien können solche
gestückelte, in Fragmenten verteilte Erbsubstanz nicht in dieser Weise zusammenführen,
daher müssen Gene aus den Zellen höherer Lebewesen – wenn sie in
Bakterienzellen „funktionieren“ sollen - in einer für Bakterien lesbaren Form,
als so genannte c-DNS bereitgestellt werden. Ermöglicht wird das durch ein
Enzym, die reverse Transkriptase, die die m-RNS-Information entsprechend
umschreibt.
RNS-Moleküle tragen nicht
nur Kopien der DNS zu den Ribosomen, wo nach Bauplan Proteine hergestellt
werden. Andere RNS-Moleküle bestimmen, welche Gene gerade jetzt abgelesen werden
sollen. Wieder andere RNS verhindert, dass Gene ihren Platz im Chromosom
verändern. Es gibt auch kleine RNS-Schnipsel, die unerwünschte („fremde“) m-RNS
in der Zelle erkennen und unwirksam machen.
Das m-RNS-Molekül wird nun in der Zelle zum Boten, es
überträgt die Botschaft aus dem Zellkern zur „Werkstatt“, zu den RIBOSOMEN.
6.3.2. TRANSLATION - die Botschaft der Gene wird übersetzt
Die Erb-Information ist in den Nukleinsäuren DNS bzw. RNS
gespeichert und durch die Reihenfolge der Basen-Bausteine (Nukleotide)
verschlüsselt.
An den Ribosomen erfolgt die Übersetzung (= TRANSLATION) der Botschaft in die chemische „Sprache“ der EIWEISSE (= Proteine).
Eiweiße bestehen chemisch aus Grundbausteinen, den AMINOSÄUREN, die wie in einer Perlenkette aneinander gereiht
sind. In Lebewesen kommen (normalerweise) 20 verschiedene Aminosäuren vor.
6.3.2.1.
Der genetische Code wird gelesen
Zu übersetzen ist nun zunächst der so genannte „GENETISCHE CODE“.
Wir haben jetzt auf dem m-RNS-Molekül einen Buchstabensalat
vor uns, z.B. in der Form: ....AUUGCUCCAGAAUCG ....., für uns nicht verstehbar
und lesbar, wenn wir den dahinter verborgenen Sinn, die Verschlüsselung, den
Code nicht kennen.
Die
Aufgabe beim „Code des Lebens“ besteht darin, mit vier Buchstaben (den
Nukleotid-Basen) 20 Bausteine für Eiweißmoleküle (die Aminosäuren) eindeutig
zu kennzeichnen, zuzuordnen, zu verschlüsseln.
Der genetische Code: Wie
lassen sich 20 Bausteine mit vier Buchstaben verschlüsseln?
Wir probieren:
1. Versuch: einem Buchstaben
soll jeweils ein Aminosäure-Baustein zugeordnet werden. Mit diesem Ansatz lassen
sich höchstens vier Aminosäuren eindeutig zuweisen (41
Möglichkeiten).
2. Versuch: „Worte“, die aus
jeweils zwei Buchstaben bestehen, werden einem bestimmten Aminosäure-Baustein
zugeordnet. Mit diesem Ansatz können (bei Nutzung der vier zur Verfügung
stehenden Buchstaben) 16 Aminosäuren eindeutig verschlüsselt werden (42 Möglichkeiten)
3. Versuch: Jetzt werden
„Worte“ aus jeweils drei Buchstaben gebildet und jeweils einem Aminosäure-Baustein
zugeordnet. Jetzt ergeben sich 64 Zuweisungs-Möglichkeiten (43). Das
heißt: mit Kombinationen aus drei Buchstaben kann man 64 „Wörter“ bilden; das
reicht für die Verschlüsselung von 20 Aminosäuren reichlich aus.
Tatsächlich sieht der genetische Code so aus, dass
Dreier-Kombinationen von Basen (sie werden „TRIPLETTS“ genannt) jeweils den Einbau einer bestimmten Aminosäure
in das Eiweißmolekül veranlassen.
Da in Lebewesen nur 20 Aminosäuren als Eiweißbausteine vorkommen, aber 64
mögliche Codes zur Verfügung stehen, gibt es in der Praxis für jede Aminosäure
mehrere „Code-Worte“, zusätzlich werden auch Tripletts als Start- und
Stopp-Signale verwendet.
Der genetische Code ist universell, das heißt für alle Lebewesen gleichermaßen
gültig (damit sind auch art-fremde Informationen lesbar).
Der genetische Code lässt
sich etwa mit dem Morse-Code vergleichen, der aus drei Symbolen besteht (Punkt,
Strich und Zwischenraum; dabei dürfen auch 1 und 2 Zeichen als Einzel-Code
genutzt werden), während der Nukleinsäure-Code aus vier Symbolen besteht (von
denen immer drei zusammen eine Einheit bilden).
Der genetische Code ist nicht ganz universell: in manchen Zell-Organellen, den MITOCHONDRIEN und den CHLOROPLASTEN (Plastiden) kommt eigenständige DNS vor, dort gilt z.B. ein anderes Stopp-Signal. Manchmal erfolgt die Ablesung des Codes auch nicht in säuberlichen Dreier-Schritten - dann ergeben sich Verschiebungen beim Ablesen der Botschaft im Ribosom.
6.3.2.2.
Die Botschaft der Gene wird in die Sprache der Eiweiße
übersetzt
Im nächsten Schritt geht es um den Zusammenbau von Eiweiß-Molekülen in der
richtigen Reihenfolge.
Der Molekül-Faden der Boten-RNS fädelt sich in das RIBOSOM ein und wird Schritt um Schritt
hindurchgezogen.
Parallel werden aus dem Zell-Inneren Aminosäuren heran
transportiert. Für den Transport zuständig ist eine weitere Art RNS, die t-RNS genannt wird (t für Transfer-,
Transport-RNS). Für jede der 20 Aminosäuren gibt es eine spezifische
t-RNS, die nur jeweils „ihre“ Aminosäure transportiert. Beim Molekül der t-RNS
zeigen an einer bestimmten Stelle drei Basenbausteine nach außen. Diese Dreierfolge
ist der Code für den Einbau einer bestimmten Aminosäure. Dieser Dreier-Code
passt genau wie Schlüssel und Schloss nur zu einem ganz bestimmten Dreiermuster
auf der Gegenseite bei der m-RNS, die als Schablone im Ribosom wartet.
Die t-RNS-Moleküle lagern sich nun, gesteuert von den
passenden Gegen-Worten der m-RNS, eines nach dem anderen dort an, die
mitgeführten Aminosäuren werden chemisch miteinander verbunden und bilden ein
Eiweißmolekül (siehe Abb.).
Damit hat die theoretische Botschaft, die im
„Buchstabenmuster“ eines Gens verschlüsselt war, nun materielle Gestalt
angenommen.
Zum Schluss erfolgt noch der Transport der Proteine an den
richtigen Bestimmungsort in der Zelle. Die Ribosomen sitzen in der Zelle auf
dem endoplasmatischen Retikulum. Dort werden die gebildeten Proteine mit einem
„Adress-Aufkleber“ abgeliefert und in einer Art „Rohrpost-System“ gezielt an
ihren Bestimmungsort gebracht.