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(Joachim Krause)

© Joachim Krause 2006

 

 

 

Schöpfungstheologie

Religion und Naturwissenschaft

 

Zitatensammlung aus drei Büchern von Eugen Drewermann

zum Verhältnis von Glaube und Naturwissenschaft

 

Eugen Drewermann hat von 1998 bis 2002 in drei Bänden seine Erkenntnisse und Gedanken zu „Religion und Naturwissenschaft“ veröffentlicht.

Auf 2.800 Seiten nimmt er nicht nur viele Stimmen aus der theologischen Diskussion der vergan­genen 2000 Jahre auf. Er bietet zusätzlich eine sehr detaillierte Darstellung des aktuellen Wis­sensstandes aus Biologie (einschließlich der Evolution des Menschen) und Kosmologie. daraus entwickelt er seine „Schöpfungstheologie“ (er verwendet diese Bezeichnung in Teil 2 auf Seite 821).

 

Im Folgenden sind einige Zitate zusammengefasst, die zwar eine subjektive Auswahl des Lesers darstellen, aber auch wichtige Argumentationslinien von Drewermann nachvollziehen lassen.

Am Anfang jedes neuen Absatzes steht dabei links in Klammern die Seitenangabe im jeweiligen Band.

 

·        Drewermann, Eugen: Glauben in Freiheit, Bd. 3. Religion und Naturwissenschaft,
Teil 1. Der sechste Tag: Die Herkunft des Menschen und die Frage nach Gott,
Walter-Verlag Zürich u. Düsseldorf, 1998, 544 Seiten

·        Drewermann, Eugen: Glauben in Freiheit, Bd. 3. Religion und Naturwissenschaft,
Teil 2. Biologie und Theologie; ... und es geschah so: Die moderne Biologie und die Frage nach Gott,
Walter-Verlag Zürich u. Düsseldorf, 1999, 969 Seiten

·        Drewermann, Eugen: Glauben in Freiheit, Bd. 3. Religion und Naturwissenschaft,
Teil 3. Kosmologie und Theologie; Im Anfang ...: die moderne Kosmologie und die Frage nach Gott,
Walter-Verlag Zürich u. Düsseldorf, 2002, 1287 Seiten

 

 

 

 

Eugen Drewermann: Schöpfungstheologie – Teil 1

(Drewermann, Eugen: Glauben in Freiheit,
Bd. 3. Religion und Naturwissenschaft,
Teil 1. „Der sechste Tag: Die Herkunft des Menschen und die Frage nach Gott“,
Walter-Verlag Zürich u. Düsseldorf, 1998)

(Seite 17:) Ob Gott „wirklich“ „ist“ oder nicht, entschied sich für ihn (Jesus JK) einzig daran, ob und wie er sich im Leben von Menschen auswirkte.

(25:) Bereits die Gnostiker der ersten nachchristlichen Jahrhunderte erkannten die Un­vereinbarkeit der Lehre Jesu von einem Gott der Güte und der Liebe mit jener eher gleichgültigen und grausamen Einrichtung der Natur, die ein so ganz anderer Gott als Weltenbaumeister (als „Demiurg“) geschaffen haben musste.

(28:) bis in die Gegenwart macht sie (die katholische Kirche JK) den Glauben an die Botschaft Jesu von der Vorstel­lung eines Gottes abhängig, der „allmächtig“ in dem Sinne sein soll, dass er tun kann, was er will, wann er will und wie er es will; immer noch verteidigt sie jede Lücke unserer Naturerkenntnis als Bastion eines unerklärli­chen „Eingreifens“ Gottes: Die Entstehung des Menschen, die Entstehung des Lebens auf diesem Planeten, die Entstehung des Kosmos insgesamt - ... nur ... als Planungen einer unendlich überlegenen göttlichen Weisheit verstehen ließen ... weigert sich schlechtweg zu begreifen, dass die naturwissenschaftliche Methode selbst keine Lü­cken des Unerklärlichen zulässt ...
Wir werden im folgenden viel Mühe auf den Nachweis verwenden, dass die Rede von Gott auf einer grundsätzlich an­deren Ebene angesiedelt ist als auf der Ebene naturwis­senschaftlichen Fragens. ... bereits Kant ... wusste, dass Gott ein Ideal der Vernunft, nicht eine Kategorie des Verstandes sein kann

(33:) „Wie konnte Gott das zulassen?“ oder: Die Frage nach der „Rechtfertigung Got­tes“ angesichts eines Meeres von Leid

(36) Ein Gott, der alles kann und doch nichts tut, verdient, wenn er so viel des Unheils tatenlos mitanschaut, wohl  nicht für gütig gehalten zu werden; oder umgekehrt: wäre er gütig, doch könnte selbst er es nicht hindern, so wäre er wohl nicht allmächtig; beide Eigenschaften vereinbaren sich nicht miteinander, solange die Welt so ist, wie sie ist: ein Jammertal. Beide Eigenschaften, die Allmacht ebenso wie die Güte, gehö­ren indessen laut christlicher Theologie un­abdingbar dem Göttlichen zu.

(37) Leibniz 18. Jahrhundert: Gott, meinte er, habe die „Übel“ der Welt in Kauf neh­men müssen, um des höheren Gutes willen, das die Harmonie im Gesamtzusammen­hang auszeichne: „in der großen Ordnung ... herrscht stellen­weise auch etwas Unord­nung, und diese kleine Unordnung bedeutet für das Ganze nur Schein“ ... Missgebur­ten, tek­tonische Verschiebungen der Erdrinde – all das also sind nur „Unordnungen“, denen wir „unsern Reichtum und unsere Bequemlichkeit schulden ... all das sind, wür­den wir heute sagen, nur „chaotische Schwankungen“, die notwendig sind, um den Bau des Kosmos in seiner ganzen Weisheit und Schönheit zu errichten. ...
Von einem Gott, der so vorgestellt wird, wie die jüdisch-christliche Glaubenswelt ihn bis heute gelehrt hat, erwartet man Besseres, Menschlicheres als „Unordnungen“, die in jedem Einzelfalle ein ungeheures Meer von Leiden bedeu­ten.

(38) Dostojewskis Argument: die Unschuld der Kinder! Sie zumindest leiden immer zu Unrecht. ...
nicht nur, dass viele Übel die Unschuldigen ganz unabhängig von menschlichem Han­deln durch die blinde Mechanik der Natur treffen ...
(40) widerlegt sich die ... Logik der Bibel  mit ihrem ... Schema von Lohn und Strafe aus den Händen eines gerechten, rächenden Gottes nicht wie von selbst? ...
selbst wenn ... Seuchen wie Pest und Cholera für den Erhalt der Harmonie der Welt notwendig gewesen wären ... Gott hätte sie einfach deswegen zulassen müssen, um die Zahl der Menschen auf Erden „kurz“ zu halten ... was für eine „Harmonie“ wäre das dann, die zu ihrer Herstellung sich derart unmenschlicher Mittel bediente? ...

(41) Medizinstudent: „ein Gott ... der sich’s anschaut, und er täte rein gar nichts -  die­sen Gott wegen unterlassener Hilfeleistung verklagen“

(42) Marie Noel: „primitive Religionen ... klagen den Menschen an, um das Geschick zu entschuldigen. Um Gott zu rechtfertigen. ... nehmen Adam und Pandora das Böse der Welt auf ihre Rechnung und rufen: ... Das ist meine Schuld ... Wenn aber der Mensch die Ursache des Bösen ist, ist dann nicht die Erbsünde schöpferisch, genauso wie der Schöpfer selbst?“
Mythos Persiens: es sei da ein guter Gott, Ahura Mazda, dessen Werke nur leider durch das Wirken eines bösen Geistes, Ahriman, der sich des Menschen bemächtigte, in Unordnung geraten seien ...
Marie Noel: „Tbc-Bazillus ... ebenso Geschöpf Gottes wie der Mensch und die Engel ... frisst in der Brust einer jungen Mutter ... sagt „Gott ist gut“ ... spricht ... sein Tisch­gebet. – Dasselbe Tischgebet, das wir am Ende unserer Mahlzeit sprechen, nachdem wir das Huhn oder das Lamm gegessen haben.“

(43) Wozu beten, wenn die „Erhörung“ des einen Gebetes identisch ist mit der Nicht­erhörung eines anderen ebenso wohlbegründeten Flehens? ...
ständiges Plus und Minus zwischen Gebären und Töten, zwischen Fressen und Gefres­senwerden, zwischen Hervor­bringen und Zurücknehmen ...

(44) Die klassische „christliche“ Antwort auf Erschütterungen dieser Art besteht in dem Hinweis auf das Zitat aus dem Römerbrief ... „die ganze Schöpfung“ seufze „bis zu diesem Augenblick mit uns“ und ängstige sich und warte darauf, „dass die Kinder Gottes offenbar werden“ (Röm. 8, 19.22). Da soll das Leid der Welt „erklärt“ werden mit dem Mythos vom „Sündenfall“ Adams, so als sei es immer noch möglich, den Menschen in den Mittelpunkt der Schicksalsbestim­mung des Universums zu stellen, so als sei es immer noch möglich, die Gesetze der Natur als ein Malheur der „Wil­lens­freiheit“ des Menschen zu betrachten, so als sei es immer noch möglich, die ganze Natur, gleich, ob schuldig, ob unschuldig, um den „Abfall“ und „Aufstieg“ des Men­schen herumkreisen zu lassen ...

(47) Reinhold Schneider: „Der schönste Vogel hascht im Flug den schönsten Schmet­terling ... auch ist zur Zerstörung der Rose, wie es scheint, eigens ein grüngoldschim­mernder Käfer erschaffen worden ...“

(49) F.Stier: „Verlautet nicht aus allem, was da leibt und lebt, frisst und gefressen wird, eine Kunde von Gott, der mir, wenn er die Liebe ist, als amor terribilis (schreck­liche Liebe ED), und wenn er der Vater ist, als pater tremendus (furchtbarer Vater ED) begegnet.?“

(51) F. Stier: „Ist der Mensch ... vielleicht nur eines der Experimente auf dem als „Evolution“ gedachten Wege zu einer höheren Stufe ... ein noch nicht ausgereiftes ... Modell einer Art, die nur um einer Endgestalt willen, auf die hin sie ausgelegt ist, nicht um ihrer selbst willen, besteht? Wäre also - vom Sechstagewerk aus gesehen – Adam nicht der „nach seinem Bilde“ (schon) Erschaffene, das „lasst uns machen ...!“ nicht als Akt, sondern als actio, als facere (tun ED), nicht als fecisse (getan haben ED), als faciendum (noch zu Schaffendes ED), nicht als factum (schon Geschaffe­nes ED) zu verstehen?“
[„Wir wollen Menschen machen“ als Fernziel, „er schuf Menschen“ als 1. Schritt JK]

(55) solange wir uns für den Weg der Menschwerdung theologisch nicht interessieren, solange werden wir die Wege Gottes mit „seiner“ „Schöpfung“ „natürlich“ nicht be­greifen!

(56) Päpstliche Bibelkommission 1948: Historizität der ersten 11 Kapitel der Genesis – wer sage, sie seien „nicht his­torisch“, lege das Verständnis nahe, sie seien ohne his­torische Bedeutung, „wo sie doch in einfachen und bildhaften Worten, die der Fas­sungskraft weniger gebildeter Menschen entsprechen, die fundamentalen Heilswahr­heiten wie­dergeben und auch in volkstümlicher Weise den Ursprung des Menschen und des auserwählten Volkes beschreiben.“

(57) Papst Johannes Paul II. erklärte im Weltkatechismus von 1992 (Nr.390): dass die Geschichte vom „Sündenfall“ (Gen. 3,1-7) zwar eine bildhafte Sprache verwende, „aber ein ursprüngliches Ereignis bestätigt, eine Tatsache, die am Beginn der Mensch­heitsgeschichte stattgefunden hat.“

(58) „Bildhafte Geschichten“ können sehr tiefsinnig sein, doch nur, wenn man sie nicht dazu benutzt, die ganze Menschheit auf dem Niveau von „Wenigergebildeten“ zu halten!

(59) schon rein zeitlich konzipiert die Bibel die Welt allein auf den Menschen hin; für sie ist die ganze Erde nichts als die Bühne seines Auftritts, und selbst von der menschlichen Geschichte interessiert sie sich einzig für den Mythos der besonderen Erwählung eines einzigen, des eigenen Volkes. ... kann die Welt in Raum und Zeit in der Tat wohl nicht allzu große Maße aufweisen ...

(60) Akzeptiert man die evolutive Sicht der Welt, so kann der Mensch nicht länger mehr als das Zentrum und das Ziel aller kosmischen Veranstaltungen betrachtet wer­den; so kann es nicht die „Sünde“ „Adams“ gewesen sein, die uns die „Übel“ der Welt beschert hat; so kann mithin auch von einer „Erlösung“ der „Welt“ durch Jesus „Christus“ ehrlicher­weise keine Rede mehr sein; so muss man vielmehr alle Aussagen über die „Welt“ prinzipiell und strikt zurückbezie­hen allein auf die Menschenwelt – man muss sie lösen von allen naturphilosophischen und metaphysischen Spekula­tio­nen ...

(62) Wenn der Mensch den Dimensionen von Raum und Zeit entsprechend ganz of­fensichtlich nicht dazu eingesetzt wurde, über die Welt und den Kosmos zu „herr­schen“, sondern wenn er, wie die Bibel doch auch sagt, lieber die Erde, der er ent­stammt, „bedienen und bewahren“ sollte (Gen. 2, 15), dann ist die Welt wohl zu groß, um anthropozentrisch erklärt werden zu können; dann aber ist das ganze Schema von „Sündenfall“ und „Erlösung“ nichts weiter als eine symbolisch-mythische Anthropolo­gie; dann erhält es durchaus keine „objektive“ Information zu Fragen der Kosmolo­gie; dann besitzt auch die Kirche (und auch das Volk Israel) keinerlei irgendwie ausge­zeichnete Stellung im Wel­ten„plan“, und ihre „Bedeutung“ beschränkt sich einzig dar­auf, das menschliche Dasein zu deuten und nach Möglich­keit „menschlicher“ zu ges­talten als bisher.

(83) dogmatische Manie der Kirche Roms, bildhafte Aussagen über das „Wesen“ bzw. über die „Bestimmung“ des Menschen in einen „historischen“ Anfang zu projizieren, der alle weitere Geschichte für Jahrmillionen unter einen gött­lichen Fluch gestellt habe (einem indischen Theologen wurde (1997?) ein vatikanisches Glaubensbekenntnis ul­timativ zur Unterschrift vorgelegt: durch die von Adam begangene Erbsünde ... ist die menschliche Natur eine gefallene Na­tur, beraubt der Gnade, die sie ursprünglich be­kleidete ... „Ich glaube ... dass die Erbsünde nicht durch Nachahmung, sondern durch Fortpflanzung auf die menschliche Natur übertragen wird ...“)

(120) indem sie antike Mythen, die, bildlich genommen, als Aussagen über die menschliche Existenz wohl Sinn ma­chen mögen, als konkrete Informationen über die menschliche Geschichte missdeuten

(121) wenn der Gedanke einer „Schöpfung“ des Menschen durch Gott zur Deutung der historischen Anfänge des menschlichen Daseins Sinn machen soll ... dass Gott selbst ...  die „Schuld“ daran trägt, dass der Mensch so ist, wie er ist ...
Wunder nimmt es, dass der Mensch ... eine gewisse Ahnung doch bereits in sich trägt, was ein „Gott“ für ihn selbst und er selber für sich als ein „Mensch“ überhaupt sein könnte.

(122) Es ist die Natur selber, die wir in gewissem Sinne überwinden müssen, um „Menschen“ zu werden. Sind wir es denn, können wir es denn schon sein, nach diesem Weg der Herkunft? Und können wir, dürfen wir wirklich diesen Weg schon als Wir­ken und Wirklichkeit Gottes bezeichnen?

(199) dass wir von drei Gedanken, die dem biblischen Schöpfungsglauben zentral sind, ein für allemal werden Ab­schied nehmen müssen, und zwar:
a) von der Idee eines „planend“ „handelnden“ Gottes, der als allgütig, allmächtig und allweise die Welt dazu bestimmt habe uns Menschen hervorzubringen;
b) von der Idee einer „teuflischen“ oder menschlichen „Sünde“ am Anfang der Schöp­fung, die den Weltzustand als ganzen „verschlechtert“ habe, und
c) von der Idee einer einmaligen und endgültigen Offenbarung Gottes in einem Men­schen, der so ist wie wir: in Jesus von Nazareth als einem Mitglied der Spezies homo sapiens sapiens.
Alle drei Vorstellungen besitzen ... einen bestimmten symbolischen Sinn, den wir in­dessen erst erfahren werden, wenn wir die „wörtliche“, dogmatisch formulierte Be­deutung dieser Chiffren aufsprengen. ...
unhaltbar gewordene Vorstellung, die Geschichte der Erde, ja, des gesamten Kosmos, sei wesentlich zu dem Zweck konzipiert, dass Gott selber in dem Menschen Jesus von Nazareth habe „inkarnieren“ und sich als Mensch, als menschgewordener Gott seiner Schöpfung habe mitteilen wollen.

(201) es ist gewiss möglich, den Menschen als den vorläufigen „Endpunkt“ an einem bestimmten „Ast“ am Stamm­baum der Evolution der Arten zu betrachten, doch bilden in gewissem Sinne alle heute lebenden Arten einen solchen „Endpunkt“, stellen auch sie auf ihre Weise eine „Krönung“ in der Geschichte des Lebens dar.

(202) Der Mensch entwirft sich ein menschliches Bild von der Gottheit, um alsdann zu verkünden, dass er als einziger auf Erden diesem Bild ähnlich sehe; um aber die „Gottähnlichkeit“ des Menschen, das heißt die „Repräsentanz“ der Gottheit in der Gestalt des Menschen zu „begründen“, führt er das Dogma an, dass ein Mensch, Jesus Christus, sel­ber Gott (gewesen) sei.

(207) Kant: „Wenn man ... für die Naturwissenschaft und in ihren Kontext den Begriff von Gott hineinbringt, um sich die Zweckmäßigkeit der Natur erklärlich zu machen, und hernach diese Zweckmäßigkeit wiederum braucht, um zu bewei­sen, dass ein Gott sei, so ist in keiner von beiden Wissenschaften innerer Bestand.“

(208) „christologisches“ Dogma von der „Menschwerdung“ Gottes“: läuft darauf hin­aus, den jetzt lebenden Menschen, uns selbst, als die lebenden Exemplare des homo sapiens sapiens zum Endergebnis und damit zum Endzweck der Evolution zu erheben ... biologisch gesehen war Jesus ein Vertreter der Spezies homo sapiens sapiens. Nicht der Mensch als solcher, die Gattung homo, einzig der homo sapiens sapiens soll nach theologischem Urteil die „Krone“ der „Schöpfung“ darstellen ... nicht der homo erec­tus, nicht der Neanderthaler ...

(209) es ist im Gefüge der Natur unmöglich, einen bestimmten Ist-Zustand als Endzu­stand zu betrachten. Alles in der Natur ist im Fluss, alles geht immer weiter, solange es lebt ... auch über den homo sapiens sapiens wird die Entwick­lung hinausgehen ... schon in weit weniger als 35.000 Jahren werden unsere Nachkommen von uns weiter entfernt sein als wir Heutige vom Neanderthaler. Alles, was irgend wir heute als „Re­ligion“ bezeichnen, ist beschränkt auf die Vorstellungswelt unserer Spezies ... es könnte sein, dass, in geologischen Maßstäben bald schon, die Geschichte der Mensch­heit zu Ende geht ... die Geschichte des Lebens auf diesem Planeten aber würde damit durchaus nicht zu Ende sein. ... selbst nach dem Ende des Experiments Mensch könnte (die Natur) durchaus noch einmal oder gar mehrfach den Versuch starten, intelligente Lebensformen auf der Erde hervorzubringen. Die Vertreter einer solchen ganz anderen „Menschheit“ würden durchaus nichts mehr wissen von der Existenz eines Jesus von Nazareth ...

(212) Die Anthropozentrik des Alten Testaments wird zur Christozentrik des Neuen Testaments, und diese wiederum gerät in der abendländischen Theologie zu einer pu­ren Eurozentrik.

(214) „Adam“ brachte durch seinen „Ungehorsam“, seine „Sünde“ Unheil über sich selbst, über die ganze Erde, über den ganzen Kosmos ... seither, so will es das römi­sche Dogma, ist die Natur „verderbt“, ihre Ordnung „gestört“, die Welt „erlösungsbe­dürftig“ ... das kann man nach Theologenmeinung ganz einfach schon daran erkennen, dass seither Krankheit und Tod das menschliche Dasein heimsuchen, dass die Frauen nur noch mit Schmerzen Kinder gebären, dass sich die Menschen ihrer Nacktheit, ver­standen als sexuelle Ungeschütztheit, schämen (müssen).
Das Missliche an Vorstellungen dieser Art ist nicht allein die falsche „Wörtlich­nahme“ der Symbolsprache mythischer Texte in wichtigen Teilen der Bibel, auch nicht allein die kindliche Phantasterei von einer Welt, in der es „am Anfang“ Alter, Krankheit und Tod als kreatürliche Mitgift der Lebewesen schlechterdings nicht gege­ben hätte, das wirklich Schlimme an derartigen Anschauungen besteht in der konse­quenten Moralisierung aller natürlichen Lebenszusam­menhänge.

(215) unannehmbar ist das Kirchendogma, ... man habe die Hypothek der Endlichkeit des irdischen Daseins: den Tod, und seine Vorboten: Alter und Krankheit, für eine Strafe Gottes zu halten, die seit „Adams“ „Sünde“ „gerechterweise“ über der Mensch­heit lasteten und erst durch den „Sühnetod“ Jesu als des „Sohnes Gottes“ hätten „hin­weggenommen“ werden können. Denn mit einem solchen Verständnis der Welt wird nicht nur die Ordnung der Natur für eine „teufli­sche“ Verwirrtheit erklärt, es werden zudem die Gesetze der Physik, Chemnie und Biologie als die Erscheinungen einer „tieferen“ moralischen Gesetzmäßigkeit von Lohn und Strafe in den Händen des gött­lichen Weltenlenkers ge­deutet.. Gott selber, so soll da geglaubt werden, bediene sich zu seinem kosmischen Regiment der Boshaftigkeit und Böswilligkeit seines teufli­schen Widersachers, dessen Herr und Meister er zwar immerhin bleibe, doch den zu über­winden ihm erst durch die „Menschwerdung“ seines „Sohnes“ und dessen Hin­richtung am Kreuz möglich geworden sei. ...
Ein Gott, der um seine Macht kämpfen muss, kann nicht allmächtig sein. ...
Zweifel an der Allgüte: ein Gott, der zum Zeugen des unsäglichen Leidens der Welt wird und der durch sein „Eingrei­fen“ aller Qual auf Erden ein baldiges Ende bereiten könnte ... schaut lange zu, opfert dann zur Erlösung der Mensch­heit und aller Welt sich selber in seinem Sohne ... und danach bleibt die Geschichte der Menschheit, bleibt die Welt ganz wie sie ist (war JK). Nicht eine Krankheit, nicht irgendein Leid, nicht einmal die Geißeln von Krieg und Gewalt sind seither von der Erde verschwun­den; das Verhalten der Menschen gegenüber den Tieren und der Tiere unterein­ander hat sich nicht im Sinne des „Paradiesfriedens“ (Jes.11) geändert ...

(223) Frage nach der „Rechtfertigung Gottes“ angesichts seiner Schöpfung (Theodi­zeeproblem) erweist sich als eine perspektivische Verzerrung ... der Glaube erscheint als eine Folge der anthropozentrischen Anmaßung, die Gottheit müsste verpflichtet sein, alle Gesetze der Natur just so zu gestalten, dass sie einzig und wesentlich der Förderung und dem Wohlergehen des Menschen auf dem Planeten Erde am Rande ei­nes mittleren Spiralarms einer mittelgroßen Galaxis ... im Kosmos dienlich sei.

(225) KANT: Hört der Mensch auf die Stimme seiner Vernunft, so redet nach Mei­nung Kants die Gottheit selber in ihm, so „offenbart“ sie sich in ihm selber als eine vernünftige, so sagt sie ihm alles, was er zu wissen nötig hat, um sich auf Erden zu­rechtzufinden. Indem Gott den Menschen als einen vernünftigen „schuf“, offenbarte er sich mithin von Anfang an in der einzigen Sphäre, die des Göttlichen würdig ist: in der Sphäre von Geist, Vernünftigkeit und Freiheit ...

(227) zur Vermenschlichung der menschlichen Religion bedarf es ... einer menschli­chen Person, die in ihrer Mensch­lichkeit die Verheißungen lebt, die in den religiösen Bildern aufscheinen ... als eine solche Person erscheint in der Bibel Jesus von Naza­reth ... seine wesentliche Bedeutung liegt ... ganz und gar in der Art und Weise, mit der er in seiner Person das Vertrauen zu einem „väterlichen“ Gott lebte ...

(228) Jesus vertraute auf Gott. Er machte ihn nicht im griechischen Sinne zum obers­ten Prinzip der Welterklärung. ... auf Gott hin zu leben war sein Bemühen, aber nicht, von Gott her die Welt zu befragen ...

(229) Die Frage lautet fortan nicht länger: Wie „gerecht“ oder wie „gütig“ erscheint der Schöpfer seiner Schöpfung, sondern: Wie bewahrt und bewährt der Mensch seine Menschlichkeit und seine Güte angesichts einer Welt, die menschlich, gütig nicht sein kann? ... eine mündige Menschlichkeit, welche es wagt, die Last der Verantwortung für das eigene Tun selber zu übernehmen ...

(233) SPINOZA: Gott und Welt werden ununterscheidbar identisch; Gott selber ist nicht vor seinen Beschlüssen ge­wesen noch kann er ohne sie sein,

(241) Spinoza: Identitätslehre, deus sive natura (Gott gleich Natur)

(236) KANT: nicht als Ursprung der Welt, nur als Grundlage der Moral wird Gott noch benötigt ... Wir bedürfen subjek­tiv notwendig der Idee eines Gottes, um über­haupt den Begriff der Gerechtigkeit, der aller empirischen Ordnung widerstreitet, ge­gen die Natur aufrechtzuerhalten ...
was von der Religion bleibt, ist nicht länger mehr eine Hilfe zur Erkenntnis der Natur, sondern allein zur Ermöglichung der Moralität ... Religion erklärt uns nicht länger mehr, wie beschaffen die Welt ist ... bezeichnet lediglich eine Bedin­gung, derer wir Menschen subjektiv bedürfen, um Menschen zu werden oder zu bleiben.

(238) Kant-Laplace´sches Weltbild: Gott „tut“ in dieser Welt nichts, er „greift nicht ein“, es genügt, dass er vorweg ge­tan hat, was die Physiker ihm nachzumachen versu­chen: er hat „richtig“ gerechnet. ... Vorstellung von der „Vorse­hung“ Gottes verwan­delt sich in die nüchterne Form der Berechenbarkeit der Naturgesetze

(243) Moltmann: Gott schuf die Welt, indem er auf seine Allmacht freiwillig verzich­tete. ... Selbstbeschränkung Gottes ... auch in der Entscheidung für eine von vielen (theoretisch möglichen) Welten

(245) Moltmann: das Böse ist möglich, weil Gott ihm Raum gegeben hat, geben musste, um die Schöpfung zu ermöglichen

(247f) Die „Gott-leidet-mit“-Theorie

(250) Bultmann: dass das Wort „Welt“ im Neuen Testament „nicht ein kosmologi­scher, sondern ein geschichtlicher Begriff ... im Sinne von „Menschenwelt“, „Menschheit“ sei; „Welt“ im Sprachgebrauch der Bibel heiße nicht „der kosmi­sche Raum“, sondern die Sphäre der menschlichen Beziehungen.“ Dementsprechend müs­sen natürlich auch alle Aussagen der Bibel von der „Schöpfung“ und „Erlösung“ der Welt eben nicht als Aussage über den „Kosmos“ an sich verstanden werden, sie müs­sen vielmehr als mythische Bilder ... zurückgeholt und als symbolische Chiffren zum Ver­ständnis des menschlichen Daseins ausgelegt werden.

(255) Das Ergebnis einer Entwicklung muss das Ziel der Entwicklung sein? Genau das gilt für die Heraufkunft des Menschen nicht.

(257f) Allweisheit – Allmacht – Allgüte als Beziehungsdreieck;
als Erklärungshintergrund der Welt, die wir vor uns sehen und in der wir leben, sind ihre Widersprüche unüberwindlich: Es ist möglich, in der Schöpfung eine unendlich überlegene Macht und Weisheit anzuerkennen, doch mutet ihre ma­thematische Strenge alles andere als menschlich und gütig an ... ein Gott, der so gut ist, unendlich mit sei­nen leiden­den Kreaturen zu leiden, erscheint weder weise noch mächtig, eher als un­vermögend und unbesonnen

(258ff) Die „Gott-befreit-uns-von-der-Natur“-Theorie
Theissen: Die christliche Botschaft besteht in der Überwindung eben der Mechanis­men, die in der biologischen Evolu­tion gültig sind. ... Kultur hat einen selektionsmin­dernden Effekt (z.B. Verringerung der Kindersterblichkeit); Religion ist ein Aufstand gegen das Selektionsprinzip (jeder Mensch hat unendlichen Wert und ist absolut gleich);

(268) Die Frage kann nicht länger lauten, was Gott sich gedacht hat, als er dies und das „machte“; es kommt vielmehr darauf an (zu fragen JK): Was macht es mit uns, wenn wir sagen, Gott habe dies und das gemacht? Was sagt es über uns selber aus, wenn wir und wie wir von „Gott“ sprechen?

(271) Nicht Gott braucht Religion; es sind wir Menschen, die (vielleicht!) der Religion bedürfen. Alle Aussagen der Re­ligion von Gott dienen als erstes der Selbstbegründung des Menschen inmitten einer Welt, die sich nicht länger mit dem Willen Gottes erklä­ren lässt.

(282) Das Problem des Marcion bzw. das Problem der modernen Naturwissenschaften löst sich erst, wenn wir die Sphäre des Göttlichen ganz und gar aus dem Bereich des Verstandes heraushalten. ...
Nicht die Gottheit hat sich vor dem Menschen zu rechtfertigen angesichts dieser Welt, es ist der Mensch, der sich fra­gen muss, wie er seine Menschlichkeit durchhält trotz und inmitten dieser Welt, der er selber entstammt.

(283) Von Gott zu sprechen heißt nicht, die Welt zu erklären (oder zu verklären), es heißt, dem Menschen einen Grund zu geben, dieser Welt standzuhalten und ihr gegen­über seine Menschlichkeit zu erhalten. ...
Gott als „Grund“ der menschlichen Existenz – nicht Tat vor einigen Millionen Jahren, sondern ein Grund dafür, menschlich zu sein und zu bleiben ...
Nicht um die physische Existenz des Menschen zu begründen, bedarf es der Vorstel­lung eines Gottes – allenfalls um die Menschlichkeit seiner Existenz zu begründen, braucht ein Mensch Gott.

(287) Nicht um die Ordnung der Welt zu erklären, sondern um die Unordnung des menschlichen Herzens zu heilen, sprach Jesus von Gott.
... die vom Chaos bedrohte Welt des Menschen in Gott festzumachen ...

(289) Nicht die Welt als (griechischer) Kosmos, sondern die „Welt“ als Existenzial des Menschen wird in dem Glauben Jesu (neu) „geschaffen“ (Vertrauen statt Angst, Güte statt Gewalt, Liebe statt Hass) – [der andere Weg: die Welt von der Natur her verstehen: Sozialdarwinismus, Selektionismus, Recht des Stärkeren JK]

(290) Gott ist der Ermöglichungsgrund unserer Menschlichkeit.

(291) dass „Gott“ ein Begriff ist, der uns hilft, das menschliche Dasein zu deuten und seine Menschlichkeit im Gegen­über der Welt zu begründen, der aber nicht dazu taugt, die Welt zu erklären.

(294f) Selektion der Gottesidee – Religion bildete Überlebensvorteil

(297) gerade das unerlässliche Scheitern des Verstandes ... ist ... die erste und unbe­dingte Voraussetzung einer wah­ren Form des Religiösen

(310) Nicht um durch seinen Tod die Menschheit zu „erlösen“, ging Jesus ans Kreuz, umgekehrt: Für das, was er als Freiheit vor sich sah, ging er aufs Äußerste!

(311) Meister Eckhart: Gott muss schlechthin ich werden und ich schlechthin Gott.
Die LEERE, die LIEBE und der AUGENBLICK

(331) die jüdische Mystik ... setzt die Urgottheit mit „Jahwe“, dem „Sein“ selber, der persönlichen Gottheit gleich, wäh­rend „Gott“ (elohim) für sie eher der unpersönlichen Gottesvorstellung des SPINOZA entspricht.
(336) dass wir zu Gott (oder richtiger jetzt: zur „Gottheit“) nur kommen können, wenn wir von der Welt absehen (LEERE)

(337) im Sinne Jesu glauben: im eigenen Inneren eine Entdeckung zu machen, die uns hilft, Menschen zu bleiben in dieser Welt und entgegen dieser Welt

(347) LIEBE als äußerster Widerspruch zu sich selbst

(349) Die erste Frage der Menschen gilt nicht dem Grund des Seienden, sondern dem Sinn von Sein überhaupt.

(350) Nur wenn es gut ist und war, dass es ihn (einen Menschen JK) gibt, wird er die Güte der Welt zu glauben ver­mögen; nur wenn sein Leben eine eigene Bedeutung be­sitzt, wird er einer religiösen Deutung der Welt als einer gött­lichen „Schöpfung“ zu­stimmen können.

(351) Nur die Liebe ist es deshalb, die einen anderen als etwas Göttliches wahrnimmt und es ihm damit ermöglicht, an einen Gott zu glauben, der selber die Liebe ist.

(358) Nur als Duwelt wird der Kosmos uns Menschen zur Heimat, und nur in einer heimisch gewordenen Welt ver­mag uns Gott als „Person“ zu erscheinen.

(359) Wenn wir sagen, Gott habe uns geschaffen nach seinem Bildnis, so meinen wir damit ganz sicher als erstes, wir sollten und wollten uns selber betrachten als „Men­schen“ im Licht reiner Menschlichkeit; sie allein sei der Grund unserer wahren und wirklichen Existenz. Nur der Mensch konnte die Menschlichkeit und mit ihr das, was wir Liebe heißen, hervorbringen, und er hat mit seiner Liebe und Menschlichkeit zugleich auch Gott als die Liebe selber hervor­gebracht.

(360) wenn die Liebe Gott ist bzw. Gott die Liebe, so gehört der Mensch endgültig auf, ein bloßer Teil der Natur, ein bloßes Ensemble der Es-Welt zu sein. Alles in der Natur belehrt uns, wie vergänglich wir sind, wie wenig wir in dieser Welt „beabsichtigt“ oder „gemeint“ sind – ermöglicht und geduldet ist viel! Was immer wir aber als „Menschlichkeit“ und „Liebe“ bezeichnen, besteht gerade darin, etwas einzelnes: die­sen Kiesel am Bach, diese Muschel am Strand, dieses Blatt an der Hecke als etwas Be­sonderes für sich selbst zu entdecken.

(361) der Geliebte ... er selber in der Nähe des Liebenden beginnt, sich die Geschichte seines Lebens zu erzählen .... der in sich eine Art „Kunstwerk“ darstellt

(366) Menschlichkeit ist nicht, wenn sie nicht ausnahmslos allen gilt; eine Humanität, die dazu zwingt, Menschen aus­zuschließen, weil sie nicht des gleichen Glaubens, der gleichen Rasse, desselben Volkes usw. sind, ist nichts weiter als die ideologische Ver­brämung bestimmter Partikularinteressen

(367f) Wo irgend wir können, werden wir unsere allmählich wachsende Kenntnis der Naturzusammenhänge dazu verwenden, die Ergebnisse dieser Gesetze zu unserem Vorteil zu manipulieren; Schritt für Schritt werden wir somit die Kluft zwischen Mensch und Welt im Namen der Menschlichkeit vertiefen. Statt uns noch länger mit Bitten und Klagen an einen unbegreiflicherweise untätigen Gott zu wenden, werden wir die Sache der Menschlichkeit selbst in die Hand nehmen, schon weil wir wissen: die Natur hat weder die Möglichkeit noch die Notwendigkeit, menschlich zu sein; was es an Menschlichkeit geben kann, vermögen nur wir selber als Menschen in diese Welt hineinzutragen ... Statt einen Gott der Liebe als „Schöpfer“ vorauszusetzen, um die Welt zu erklären, müssen wir vielmehr die Liebe als göttlich vor­aussetzen, um uns als Menschen zu finden und uns gegen den Einspruch der Welt in unserer Mensch­lichkeit bewah­ren zu können ... nur in dieser Revolte gegen die „Ordnung“, die uns umgibt, ist Menschlichkeit möglich ...
Idee eines Gottes der Liebe ... Wir haben diese Idee in der Geschichte der Religionen hervorgebracht, um im Lichte dieser „Offenbarung“ uns selber auf einer höheren Stufe des Menschseins hervorzubringen. Wir können auch sagen: in dieser Idee haben wir unser eigenes Wesen gefunden; es ist in uns in Erscheinung getreten als etwas, das all die Zeiten zuvor als eine uns selber ermöglichende Tendenz in uns schlummerte und das wir in gewissem Sinne der Natur selber verdanken; je deutlicher aber wir uns sel­ber von der Natur unterscheiden, desto deutlicher unterscheidet sich auch der Gedanke an einen Gott der Liebe von der Wirklichkeit dieser Welt; und trotzdem, ja, gerade deshalb glauben wir an diesen „unseren“ Gott, um mehr und mehr werden zu können, was wir immerhin wie von ferne schon ahnen: wirkliche Menschen. ...
in gewissem Sinne die Umkehrung der Theodizeeproblematik: nicht mehr um die Rechtfertigung Gottes im Angesicht der Welt geht es jetzt, sondern ... um die Recht­fertigung der Menschlichkeit im Angesicht einer notwendigerweise nicht menschli­chen Naturordnung.

(369) All die Menschlichkeit, die wir für uns gegenüber der Natur erhalten möchten, gründet darin, aus dem Denken in Nutzen und Zwecken herauszutreten; dann aber kann es nicht richtig sein, weiterhin Menschsein als Herrsein zu defi­nieren ... auf uns selbst zu besinnen und die Natur sein zu lassen, wie sie ist

(370) dass wir Menschen Frieden finden in uns selber und dann die Natur tunlichst in Frieden lassen

(371) Jesus als der „Sohn Gottes“ ... dass er „von Gott her“ auf die Menschen zuging ... von dem Hintergrund Gott her gewann er die Freiheit, in die jeweilige Situation hi­neinzugehen und sie überraschend anders, als es sonst denkbar gewesen wäre, auf eine neue Möglichkeit hin zu gestalten ...
Gleichnis vom verlorenen Schaf (Lukas 15, 1-7): Jesus will sagen: jeder von den Hö­rern würde sich in ähnlicher Lage so verhalten [wie es Gott tut]

(372) für Jesus ist Gott die subjektivste aller möglichen Erfahrungen, das Gegenüber einer Begegnung, die das gesamte Leben verändert, doch eben: diese neue Form des Daseins kann sich nicht auf lehrbare, „objektive“ Inhalte beziehen ... lebt man sie, ge­winnt das menschliche Dasein sich ganz ...
was der Gott Jesu redete, das sagte er jedem einzelnen unmittelbar in der menschlich einzig gültigen Sprache des Mitleids, so wie er in dem Samariter redete (Lukas 10,25-37) ...
Jesus gewann die Idee seines Gottes nicht durch die „Betrachtung“ der „Welt“, auch nicht durch die Lektüre der „Heili­gen“ Schrift oder aus dem Studium der Geschichte seines eigenen Volkes (Gewalt, Hass, Sadismus, Rache, Nationa­lismus, Fanatismus, bornierter Traditionalismus ...)

(373) Nicht aus der Welt, nicht aus der Geschichte, sondern gegen alle Welt, entgegen aller Geschichte lernte Jesus „seinen“ Gott kennen. Er fand ihn so, wie ein Arzt bei der Erforschung bestimmter Erkrankungen ein Medikament fin­det – als einen Wirkstoff, der all dem „widerspricht“, was den Menschen leiden macht. ... Jesus lehnt die „Ord­nung“ der „Welt“ zutiefst ab ... „Systemveränderung“ total

(374) menschliche Liebe unvollkommen und ungeschützt ... Notwendig ist deshalb dem Menschen ein Gegenüber, das, unendlich liebevoller, als je ein Kind seine Mutter ... ihm entgegentritt und ihn bei der Hand nimmt ... um all die(se) Angst zu heilen ... fand oder erfand Jesus einen durch und durch „väterlichen“ („mütterlichen“) Gott, und er selber redete zu ihm wie ein kleines Kind ... Abba, lieber Vater ...
Gott ist nur gut, und der Mensch ist einzig dazu bestimmt, so gütig und weit zu wer­den wie Gott selber ... nicht ein schöpfungstheologisches Theorem bedeutete für Jesus die „Gottesebenbildlichkeit“ des Menschen in Gen. 1,26-27; er nahm diese Abbild­lichkeit Gottes im Menschen zur Grundlage einer neuen Existenzform

(376) Was also hat Jesus mit seinem Glauben an einen „väterlichen“ Gott den Men­schen, der Menschheit geschenkt? Die Antwort kann nur lauten: Er verdichtete in sei­ner Person das Vertrauen seines eigenen Volkes so weit, dass es sich freisetzte für alle und dadurch „allgemeingültig“ wurde. ...
Wort eines chassidischen Rabbi, Schlomo von Karlin: „Was ist die schlimmste Tat ei­nes bösen Triebs? – Wenn der Mensch vergisst, dass er ein Königssohn ist.“ In der Tat gibt es für einen Menschen keine größere Gefahr, als sich seine eigene Würdelosigkeit zu glauben ...

(378) Jesus  ... „bewies“ nicht die Existenz Gottes als des „Vaters“, aber er bewies durch sein Leben, dass es möglich ist, mit dem Glauben an einen „väterlichen“ Gott die Existenz des Menschen zu vermenschlichen. Indem er in Gott an die Liebe glaubte, lebte er die Liebe

(379) Es „gibt“ keinen Gott, „den es gibt“ – diese Kritik D. Bonhoeffers bleibt in Gül­tigkeit; doch was es „gibt“, ist unsere Menschlichkeit, und zu ihr gehört, dass wir an die Liebe glauben. ...
In streng Kantianischem Sinne ist Gott demnach nicht mehr und nicht weniger als die Bedingung der Möglichkeit unserer Vermenschlichung. In theoretischer Absicht ist und bleibt es für alle Zeiten unbeweisbar, dass „es Gott gibt“; aber wir selber, um an die Liebe zu glauben, müssen in praktischer Absicht einen „väterlichen“ Gott als existierend voraussetzen.
Die ganze Vorstellung dieses Gottes ist ... durch und durch subjektiv. Da „ist“ keine allmächtige, allweise, und allgütige „Person“, die im „Himmel“ säße und durch unser Treiben auf Erden vor das Problem gestellt würde, wie sie durch ihr „Eingreifen“ in den Weltenlauf für ein bisschen mehr „Gerechtigkeit“, „Güte“ und „Wahrheit“ auf Er­den sorgen könnte; da ist einzig eine sehr menschliche, allzu menschliche Vorstellung, die wir als Menschen uns bilden, um nicht an der Möglichkeit unserer Menschwer­dung zu verzweifeln – eine „Projektion“, die uns hilft, bei uns selber anzukommen ... und die ihre Wahrheit eben darin beweist, dass an ihr der entscheidende Unterschied sichtbar wird, der uns zu Men­schen oder Unmenschen macht ...
Wir können uns daher ... sehr wohl einen Gott denken, den „es nicht gibt“, aber wir können die Liebe nicht denken, ohne dass da eine „Person“ „ist“, die „liebt“, und wir müssen, um absolut an die Liebe zu glauben, die Liebe selbst ab­solut setzen. Nicht das „Sein“ Gottes, sondern das „Personsein“ Gottes ist es deshalb, was wir als Menschen um der Menschlichkeit willen nicht als nicht-existent denken können.

(380) Wir (heutigen) Menschen sind nur ein Übergang (in der Evolution) ... alle Menschheit, die nach uns kommen wird, steht genetisch wie kulturell in unserer Nach­folge -, was die menschliche Spezies angeht, kann es nur noch mit uns weitergehen oder, eines Tages, mit uns zu Ende gehen; deutlich aber ist doch bereits die Kurzlebig­keit all dessen, was wir heute an religiösen Aussagen treffen können ...

(381) Alles jedenfalls, was wir heute religiös zu sagen vermögen, dient unserer Ver­menschlichung heute, ... eine Reli­gion ... besitzt ... keinen Anspruch auf Unsterblich­keit ...
Liebe ... ein Gottesbild, dass sich auf solche Gefühle gründet, kann nie etwas anderes sein als der Versuch, die Be­dingungen zu beschreiben, die es uns ermöglichen, zu denjenigen Menschen zu werden, die wir im gegenwärtigen Moment der Geschichte „im Grunde“ sein möchten ...

(391) Allein aus der Liebe lebt der Mensch, und alle Sakramente und Gebete, alle Ri­ten und Formeln der Kirche hat­ten und haben nur den Sinn, dich des Vertrauens zu versichern, dass diese Liebe dich niemals verlassen werde. Diese Liebe bestraft nie­mals, noch richtet sie, sie lenkt nicht, noch greift sie ein, sie ist einfach da, wie die Sonne, wel­che mit ihren Strahlen die Blumen des Feldes wärmt und ernährt. – Die einzelne Blume mag welken, doch die Sonne hört nie auf zu scheinen, und auch die Blume hört niemals auf, eine Tochter des Lichtes zu sein. ...
Eltern lehren schon lange ihre Kinder keine Gebete zum Einschlafen mehr ... sitzen des Abends an ihrem Bett, er­zählen ihnen noch eine kleine Geschichte, streicheln ih­nen über den Kopf und flüstern ihnen ins Ohr: „Hab keine Angst, ich bin bei dir.“ Sie denken nicht daran, dieses Streicheln wie ein verstohlenes Segnen und ihre Gute-Nacht-Geschichte wie ein Gebet und ihre Worte zum Abschied wie ein Bekenntnis zu Gott zu verstehen; und doch handelt es sich genau darum.

(401) Entweder ist der Mensch frei, dann kann Gott nicht allwissend sein, oder Gott ist allwissend, dann ist die Freiheit des Menschen eine Illusion.

(402f) Auch Gott, so lehren inzwischen gerade die besten unter den Theologen, kann nicht die Zukunft der Welt vor­hersagen; denn gerade indem er diese Welt absichtlich als ein Gemenge von Zufällen und Unwägbarkeiten erschuf, riskierte er sich selbst in der eigenen Schöpfung. ... Es ist, um der Freiheit des Menschen willen, nicht voll­kommen unmöglich, dass ein vernunftbegabtes Wesen wie der Mensch eines Tages die Lust daran verliert, die trübsinnigen Spiele der Evolution weiterzuspielen ... an seiner Vernunft verrückt wird und einfach den Willen zum Leben verliert. Was aber machte dann Gott? Das Ziel, auf das hin er nach Theologenmeinung den ganzen Kos­mos ausgerichtet hat, würde verfehlt! ...
Gott, so verkünden mittlerweile zahlreiche Theologen ... habe eine offene Welt ge­wollt, innerhalb deren auch er selbst immer wieder neugierig sein müsse, wie es nun weitergehe. ... Bild jenes alles wagenden Gottes ...
wenn Gott auf jeglichen Plan Verzicht getan hätte, eben weil er die Freiheit seiner Ge­schöpfe und seiner Schöpfung gewollt hätte ... lebte in ständiger Spannung, wie seine Geschöpfe entscheiden würden ... Der „zuschauende“ Gott wohnte einer stets dramati­schen Aufführung bei  ... hätte sich in einen göttlichen „Mitspieler“ verwandelt; die Bibel „bewiese“ jetzt zwar nicht länger, dass „alles sehr gut war, was Gott gemacht hatte“ (Gen. 1,31), doch „bewiese“ sie nunmehr, wie „ganz menschlich“ der Gott ist, der sie schuf ...

(404) Jesus hoffte auf die baldige „Ankunft“ der „Gottesherrschaft“; er scheiterte mit dieser Hoffnung, weil die Struktu­ren der Angst sich als stärker erwiesen - .... nur in Bezug darauf konnte Jesus uns „erlösen“: indem er trotz der Nähe des Todes sich von seiner Wahrheit nicht abbringen ließ ... zeigte ... in der Haltung seines Vertrauens, ... dass es keine „Ort“ geben muss, an dem Gott uns nicht nahe wäre ...
dass die Umformung des alles wissenden in den alles wagenden Gott das alte Übel der „Christologie“ nur verlän­gert: Nach wie vor wird hier von Gott her die Welt konzipiert ...

(405) „Gott nimmt den Menschen als sein Geschöpf und die ganze Welt als seine Schöpfung in ihrer Eigenart und Freiheit derartig ernst, dass er sie in ihrer Eigenge­setzlichkeit und Selbstbestimmung respektiert“, so lautet heute die Gemeinschaftser­klärung aufgeklärter Theologie ...
ABER damit alle im Dogma aufrechterhaltenen Aussagen außer Kraft gesetzt (Menschwerdung seines Sohnes, Offenbarungen an Abraham, Isaak, Jakob, Moses, Elias, Jesaja, usw. - Eingreifen in die menschliche Geschichte seit 3800 Jahren; den Gang der Dinge nicht respektvoll sich selbst überlassen ...) ... Gottheit wird im Grunde lächerlich gemacht, indem hier ein sehr sinnvolles Bild zur Deutung des menschlichen Daseins in die Behauptung einer an und für sich bestehenden Tatsache verwandelt wird ...

(411) Das Geld selber, indem es die Form von Edelmetall, von Silber und Gold, an­nahm, verheißt, als toter Stoff, in­zwischen unsterbliches Leben, während die Men­schen sich in das vergängliche Material der Planungen der Geld­besitzer und „Unter­nehmer“ verwandelt haben.

(414) Kierkegaard: was er „Glauben“ nannte, war nicht mehr der Kirchenglaube .... es war für ihn der Gegenbegriff zur Verzweiflung; „Glauben“ bedeutete für ihn die alles verändernde Haltung eines angstüberwindenden Vertrauens ... er meinet, Vertrauen „wählen“ zu können ... Vertrauen ist aber ... niemals das Ergebnis einer „Entschei­dung“, es ist ... das Ergebnis der Erfahrung einer Liebe, die tragend genug ist, den Ab­grund der Freiheit erträglich zu finden.

(416) Dasein im Augenblick. Einmal die „Hände“ zu spüren, die uns umfangen, wenn wir uns wie Versinkende fühlen, einmal den Worten der Liebe lauschen, die uns für immer sagen, wer wir sind und wofür wir in unserer Freiheit uns einsetzen sollten, das bedeutet es, dass der Himmel die Erde berührt, das erschafft das Wunder des Augen­blicks.

(419) Jesus ... nur drei Jahre lang in der Öffentlichkeit sich mitzuteilen – so sehr stand, was er sagte und tat, all dem entgegen, was in der menschlichen Geschichte Ansehen und Anerkennung genießt ...
die Wahrheit des Religiösen wird allen erreicht im Übersprung über die Geschichte – durch die existenzielle Gleichzei­tigkeit zuwischen dem „Lehrer“ (Jesus) und dem „Schüler“ (dem Menschen, der ein Christ werden möchte)

(420) Kierkegaard: „das geistlich entwickelte Individuum nimmt im Tode seine Ent­wicklung mit sich; soll ein späteres Individuum sie erlangen, so muss dies durch seine Selbstwirksamkeit geschehen.“ Die geistige „Selbstwirksamkeit“ besteht darin, nicht ein fremdes Vorbild nachzubeten oder anzubeten, sondern aus dem gleichen Impuls heraus zu leben wie dieses

(421) Geschichte Jesu: nicht Entscheidung der Menge ... er war allein gegenüber der Menge ... Geschichte wird stets von ihrem bekannten Ausgang her erzählt ... verhin­dert, dass diese Geschichte jemals in Wirklichkeit [neu] anfängt: denn eben: anzufan­gen – das bedeutet gerade nicht zu wissen, wie die Sache ausgehen wird ...
dass es nur eine Dimension der Zeit geben kann, die religiös relevant ist: das ist der Augenblick

(425) Ein Ereignis gilt mithin dann für „göttlich“ bzw. für eine „Offenbarung“ Gottes, wenn sich auf der Erlebnisseite des Menschen eine geschichtlich bedingte Situation mit einem archetypisch vorgeprägten Deutungsmuster verbindet ... dass die „Samen­körner“ der religiösen Erfahrung längst ausgesät in der Seele des Menschen schlum­merten, ehe sie nun, zur rechten Zeit des beginnenden Frühlings, sich aus der Erde hervortrauen ... dass „Gottes“ „Offenbarung“ nicht etwas ist, das reinweg von außen, ohne jegliche Vorbereitung noch Voraussetzung, an den Menschen herantritt, sondern ein Geschehen darstellt, bei dem bestimmte Fähigkeiten und Möglichkeiten freigesetzt werden, die zutiefst in der Seele des Menschen angelegt sind

(426) welche Kräfte sich im Menschen zu regen beginnen, sobald er die Liebe zu glauben beginnt. Endlich werden seine geheimen Sehnsüchte und Träume buchstäb­lich „wahr“ ... durch das, was theologisch „Offenbarung“ genannt wird, werden nicht fremde, an und für sich unerkennbare, weil unerhörte Tatsachen geschaffen oder Tat­sachen­behauptungen über gewisse Ereignisse in Raum und Zeit an den Menschen he­rangetragen, die er fortan für „wahr“ „glauben“ müsste, vielmehr tritt das menschliche Dasein selber endlich in seine Wahrheit und wird sich durchsichtig bis auf den Grund, die Liebe

(427) Jesus nimmt den kühnsten Traum der Propheten, ein „Reich Gottes“ sei mög­lich, nicht länger für eine ferne Vision ... er verkündet: „Das Himmelreich hat sich ge­naht“ (= es ist da!) (Mk 1,15) ... nicht länger warten, „heute“, jetzt, „sogleich“ ... im Augenblick jetzt das „Reich Gottes“, die Wirklichkeit der Liebe, zu erleben ... Noch sein Bäumchen zu pflanzen

(428) Frage, wie es möglich sei, die Menschlichkeit des Gottesbildes mit der Un­menschlichkeit der „Schöpfung“ zu vereinbaren ... unbeantwortbar, solange wir das Urteil des Verstandes in Geltung lassen; - der Verstand ist es, der vor allem in Gestalt der modernen Naturwissenschaften ein Bild der Weltwirklichkeit zeichnet, der sich mit den religiösen Erwartungen von einem „mitfühlenden“, „gütigen“ Gott durchaus nicht vereinbaren lässt. ... Folgerung, ... die Wurzeln der Religion nicht länger in der Logik des Verstandes zu suchen, sondern in dem, was KANT als „Vernunft“ bezeich­nete; und so kamen wir zu der Leere als dem Ausblenden der Welt des Verstandes, zu der Liebe als einer Haltung der Selbstbegründung der Menschlichkeit aus dem Abso­luten, und eben jetzt: zu dem Dasein im Augenblick als der Ab­wesenheit des Zwangs der Vergangenheit und des Schauderns vor der Zukunft ...
für Theologie außerordentlich schwierig ... auf den Verstand zu verzichten ... ein Problem lösen, dass „christliche“ Theologie als „Wissenschaft“ sich selber geschaffen hat. Lässt man den Verstand an die Bibel heran, beginnt er sogleich die Vergangenheit „historisch-kritisch“ zu erforschen ...

(430) Leere, Liebe, Augenblick ... wovon wir sprechen, sind lediglich Erfahrungswei­sen des Göttlichen, „Orte“ der Existenz, die das „Dasein“ von Göttlichem als „gege­ben“ erscheinen lassen. All diese Erfahrungen sind so sehr mit dem menschlichen Be­wusstsein verknüpft, dass sie nur Sinn machen innerhalb der evolutiv vorgegebenen Struktur­bedingungen dieses Bewusstseins auf gerade dem Niveau, bis zu dem die Evolution mit uns Menschen gegenwärtig gelangt ist ... nicht „ewig“ und „endgültig“

(453) Das Göttliche lässt sich nicht begrifflich definieren, sagt die „Leere“; es lässt sich nur erfahren in der Irrationa­lität der Menschlichkeit, sagt die „Liebe“; es wird nur zugänglich in der Unplanbarkeit der Zeit, sagt der „Augenblick“. Das „Was“, das „Wie“ und das „Wann“ des Göttlichen beschreiben diese Aspekte am besten, einfach indem man die Fragen des Verstandes nach dem „Warum“ und „Wozu“ hinter sich lässt.

(433) nicht etwas als „gegeben“ zu „erkennen“, sondern Erfahrungen im Raum einer reifenden Menschlichkeit zu er­möglichen, ist der Sinn und das Anliegen der Religion

(439) Gott als ein Antrieb in der Seele des Menschen, Gott als ein Grund, mehr zu wollen und zu ersehnen, als in den unmittelbaren Zielsetzungen der Biologie vorgese­hen ist, - eine solche Auffassung allein besitzt im Gespräch mit den Naturwissen­schaften eine gewisse Plausibilität und Berechtigung.

(443) Biologe E.O. WILSON: fest steht für ihn, dass die „Prädisposition zu religiösem Glauben ... die komplexeste und mächtigste Kraft des menschlichen Geistes“ darstellt

(446) Religion hält das Instrument der symbolischen Verwandtschaft bereit (Vater – Kinder)

(447ff) Religion allem Anschein nach tief in der Evolution verankert ... Religiosität somit Anpassung an eine (nicht existierende???) Realität ? ...
wirksame Faktoren zur Herausbildung des menschlichen Geistes lagen wesentlich in der innerartlichen Kommunika­tion und Kooperation (Familie, Arbeitsteilung, Fühlen, Denken, Sprache) ... Überzeugung des „Im-ganzen-gut“ (positi­ves Denken) als sub­jektiver Überlebensvorteil

(454) Die Gottheit zeigt sich uns so, wie wir sie jeweils zu sehen vermögen ... Die Wirklichkeit des Lichtes ist, wie sie ist; wir Menschen aber nähern uns ihr im Erbe der Evolution des Wirbeltierauges mit Hilfe von drei sich überlagernden Grundfarben.

(462) Die Erfahrung der Einheit von allem ... die Verschmelzung des Bewusstseins mit einer Unendlichkeit, die schlechterdings „fraglos“ ist, indem sie „Fragen“ weder zulässt noch beantwortet – das bildet eine religiöse Haltung, mit der die meisten Na­turwissenschaftler heute, wenn irgend sie überhaupt für religiöse Fragen sich aufge­schlossen erklären, wohl ihr Auskommen und Einverständnis finden können. Jeder Blick durch Fernrohr, Mikroskop, auf die Struktur ihrer Formeln ...

(464) niemals dürfe ein Mensch mit einem Menschen so verfahren, wie die Natur es täglich tue ... schon das Reden von „dürfen“ verrät ein neues „Prinzip“, das im Verlauf der menschlichen Evolution aus der Natur herausgewachsen sei, das aber nun in Ges­talt des Menschen etwas Neues, Andersartiges, geradezu Gefährliches begründe: das Ver­mögen, ja, den Anspruch, das einzelne Leben zu schützen, das Schwache zu scho­nen, das Hilflose zu unterstützen – und ins Grenzenlose zu lieben.

(467) dass es erst die Vorstellung der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Schönheit und der Liebe ist, die den Menschen als Menschen hervorbringt, sodass der Mensch an un­endlich viel mehr glauben muss, als er selbst ist, um er selber zu sein.

(477f) Gott wird (in der Sicht des Menschen) zu einem „Vater“ in der Nähe eines Menschen, der vertrauensvoll und gütig genug lebt, um uns mit uns selbst und dem Ursprung des Daseins als einem gütigen zu versöhnen. ...
Jemand, der sich auf die Haltung vertrauender Liebe in der Person und Botschaft Jesu einlässt, wird als Grund dieser Haltung und als Hintergrund seiner „Welt“ etwas fin­den, das dieses Vertrauen ermöglicht und dieses Vertrauens wert ist ... Gottheit erlangt väterliche mütterliche Züge ... Da ist es nicht der „Vater“, der den „Sohn“ „zeugt“, sondern es ist das „Zeugnis“ ... das die Gottheit „väterlich“ erscheinen lässt ... In der „Trinitätslehre“ beschreiben wir demnach nicht die Geheimnisse des Göttlichen, wie es an und für sich besteht, wir bezeichnen lediglich die „Orte“ grundlegender Er­fah­rungen, die Menschen mit dem Geheimnis des Göttlichen machen können.

(480) Nicht an Jesus als den Christus (den „König“) zu glauben war das, was der Mann aus Nazareth die Menschen lehren wollte, sondern mit ihm, wie er, Gott als die einzige bestimmende Macht im Leben (als den „König“) gelten zu lassen ...
“Ich bin der Weg“ (Joh 14,6) – nicht „Ich bin das Ziel“

(481) Die Wahrnehmung des Weltenhintergrundes als „väterlich“ ... „geht aus“ von der Person des Mannes aus Naza­reth, der dadurch selber als das „Wort Gottes“ emp­funden wird ...
nicht theologisch Beginn mit der „Schöpfung“, danach „Menschwerdung“ ... umge­kehrt: erst in der Erfahrung einer Liebe, wie Jesus sie lebte, wird der Gedanke einer „Schöpfung“ durch eine gütige Macht überhaupt erst möglich ...
“Die Lilien des Feldes“ (Mt 6,28-29) – erst jemand, der sie durch seine Zuwendung in ein Gleichnis für die Schönheit und Kostbarkeit des eigenen Daseins verwandelt, macht uns glauben, der Weltengrund selber sei gütig und schön.

(483f) Da gibt es endlich im Geiste Jesu eine Erlaubnis zum Sein, die nicht länger „verdient“ werden will ... Geist: die äußere Loslösung von der Person des historischen Jesus und die innere Verschmelzung mit ihm

(492) Alles Sprechen von Gott oder Gottheit bedeutet den Eintrag menschlicher Erfah­rungen in die Wahrnehmung einer Wirklichkeit, die wir erfahren, aber nicht denken können

(493) Die Religion ist nicht „objektiv“ ... es sind einzig wir Menschen, die „Religion haben, gar brauchen.

 

Eugen Drewermann: Schöpfungstheologie – Teil 2

(Drewermann, Eugen: Glauben in Freiheit,
Bd. 3. Religion und Naturwissenschaft,
Teil 2. Biologie und Theologie;

„... und es geschah so: Die moderne Biologie und die Frage nach Gott“,
Walter-Verlag Zürich u. Düsseldorf, 1999, 969 Seiten)

(Seite 5)
„Was wär´ ein Gott, der nur von außen stieße,
Im Kreis das All am Finger laufen ließe!
Ihm ziemt´s, die Welt im Innern zu bewegen,
Natur in Sich, Sich in Natur zu hegen,
So dass, was in Ihm lebt und webt und ist,
Nie Seine Kraft, nie Seinen Geist vermisst.“
(J.W. von Goethe)

(13) Wir (Menschen) haben aufgehört, im Mittelpunkt der Welt zu stehen, und die Religion hat nicht mehr die Aufgabe, uns mit Hilfe des Glaubens die Welt zu erklären; es genügte, hülfe sie uns, ein Stück Menschlichkeit in dieser Welt zu bewahren.

(14) Theologen begreifen für gewöhnlich sofort, dass man drei tote Sprachen erlernen muss: Lateinisch, Griechisch und Hebräisch, um Gott zu „verstehen“, weil Gott ja sich selbst vor ein paar tausend Jahren in einer bestimmten Kultur vermeintlich „ein für allemal“ „geoffenbart“ hat; wenn aber Gott, selbst nach Theologenmeinung, sich auch und gerade in der Natur „(ge)offenbart (hat)“, sollten wir dann nicht zumindest mit vergleichbarem Fleiß die Milliarden von Jahren alte Sprache des Lebens erlernen?

(29) kirchliche Apologetik nur noch zwei Zonen, in denen sie nach wie vor in altbe­währter Weise die Lücken gegen­wärtiger Naturerkenntnis als „Beweis“ für die Not­wendigkeit eines Schöpfers zu interpretieren sucht: das ist die Frage nach der Entste­hung des Lebens auf dieser Erde sowie die Frage nach der Entstehung des Kosmos selber.
[wenn mir jemand die Existenz Gottes bewiese – was würde das an meinem Verhalten ändern?]

(30) Wie ist es möglich, inmitten einer radikal gleichgültigen Welt nicht gleichgültig zu bleiben; wie ist es möglich, an­gesichts der völligen Beliebigkeit aller Dinge zur Liebe zu finden; wie ist es möglich, in Anbetracht der Unmenschlich­keit des blinden Spiels von Zwängen und Zufällen, in das wir geworfen sind, Menschlichkeit, Freiheit und Sinn zu be­gründen?
Wie ist es möglich, ein Mensch zu sein unter einem so offensichtlich unmenschlichen Himmel?

(43) bei allen Lebensvorgängen kommt auf die Länge der Zeit etwas „Vernünftiges“ heraus, nur ist das, was da als Resultat entsteht, eben nicht ein beabsichtigtes Ziel, sondern ein bloßes Ergebnis

(45) Dawkins: Hätte die Evolution sich auf die Ein-Schritt-Selektion verlassen müs­sen, wäre sie niemals irgendwohin gelangt. Wenn es jedoch irgendwie möglich war, dass die blinden Kräfte der Natur die erforderlichen Voraussetzungen für eine kumu­lative Selektion geschaffen haben, so könnten die Folgen seltsam und großartig sein. ... Die Evolution hat kein Langzeitziel ... In der Realität ist das Kriterium der Auslese immer kurzfristig, entweder einfaches Überleben oder, häufiger, Fortpflanzungserfolg.

(62) Rupert Riedl: „synthetische Theorie“ der Evolution, in der die „Mechanismen der Selektion (Darwinismus), Muta­tion (Neo-Darwinismus) und Populationsdynamik“ „einen fundamentalen Erklärungswert“ besitzen

(113) Dawkins: Von der natürlichen Auslese werden die Gene immer wegen ihrer Fä­higkeit ausgelesen, in ihrer Um­gebung zu gedeihen. Wir denken uns diese Umwelt häufig als die Außenwelt, die Welt von Räubern und Klima. Aber vom Standpunkt je­des einzelnen Gens aus gesehen, besteht der vielleicht wichtigste Teil seiner Umge­bung aus all den anderen Genen, auf die es trifft ... Jedes Gen wird wegen seiner Fähig­keit ausgelesen, erfolgreich mit der Popu­lation anderer Gene zusammenzuarbeiten. ...
dass der Genpool mit einem ungeheuren Archiv-Material von Genen gefüllt ist, die akut nicht mehr gebraucht werden, jedoch bei entsprechender Konstellation aktiviert werden können. In der „Gen-Bibliothek“ sind ... viele Hinweise auf vorhandene In­formationen ... in der Kartei der Verleihstelle ... gelöscht worden, sodass sie nicht „ausgeliehen“ und gelesen werden können; sie lagern aber nach wie vor in den „Re­galen“ und besitzen an sich jederzeit die Möglichkeit zu neuen vielfältigen Verknüp­fungen.

(123) Die Evolution wird vorangetrieben durch zufällige richtungslose Mutationen.

(128) jede Ordnung ... wirkt auf ihre eigenen Entstehungsbedingungen zurück ...
Riedl: „Die Harmonie der Schöpfung folgt einem Naturgesetz; nur sind dessen Konse­quenzen nicht vorgegeben ... sondern mit ihr entstanden. Die Ordnung der Evolution ist eine Konsequenz nicht prä-, sondern poststabilisierter Har­monie.“

(130) Schöpfer gepriesen ob der Größe, Fülle, Schönheit und Weisheit seiner Werke ... der Teufel – den Gott gewäh­ren lässt – bringt Leid, Schmerz und Tod, Verwirrung, Unordnung, Bosheit und Destruktion in die Welt (???)

(131) Was wir zu sehen bekommen, ist eine Kumulation zufälliger, richtungsloser Mutationen, aus deren Angebot sich nach und nach „Ordnung“ gestaltet. Das „Chaos“ ist anscheinend nicht das Vermeidbare, das Nicht-Sein-Sollende, das „Teuflische“ – es ist die Palette der Farben, mit denen zu malen ist!

(132) in der Evolution entstehen Gebilde, die so lange existieren wollen oder müssen, wie es ihre Konsistenz, ihre Reproduktionsrate und ihre Umgebung gestatten

(135) Mitleid? Sorgfalt? Gerechtigkeit? Planung? Das alles sind Vorstellungen, die in die Natur nicht hineingehören!

(136) Das „Geistige“ ist nicht das einem toten Stoff von einem Schöpfer „Einge­hauchte“, es ist die sich entwickelnde Struktur immer höherer Komplexitätsgrade ... ist das Ende jeder Art von metaphysischem Dualismus

(137) Deismus (Ditfurth): Wenn überhaupt Gott und das Universum nicht im „pan­theistischen“ Sinne ein und dasselbe sein sollen, so ist zu denken, dass Gott als der Schöpfer seine Welt von Anfang an mit all den Möglichkeiten ausge­stattet hat, die im Verlaufe der Zeit dann nach und nach sich realisieren werden ...

(140) Was tun, wenn es „Subjekte“ gibt, deren Leben nicht länger mehr in den „ob­jektiven“ Zielsetzungen der Natur sich erfüllen kann

(144) Ich glaube an Gott, um den Glauben an die Liebe nicht zu verlieren.

(152) All die grausamen und grässlichen Erscheinungen des Lebens wären überflüssig und vermeidbar, herrschte auf dieser Erde nicht ein chronischer Energiemangel. Nicht das Wirken eines „Teufels“ hat dazu geführt, dass ein Tier das andere frisst und dass alle Tiere mittelbar oder unmittelbar von Pflanzen leben, die ihrerseits wieder sich untereinan­der den Platz an der Sonne streitig machen ... alles was lebt, braucht Energie ... und vermag sich im Falle des Man­gels diese Energie nur im Wettkampf mit anderen Lebewesen zu beschaffen

(240) In der Natur sind Lebewesen immer wieder überzählig, überflüssig, schädlich ... Natur verleiht einer solchen Feststellung den nötigen Nachdruck ... Die Natur „darf“ das, schon weil sie gar nicht anders zu handeln vermag. Sie hat keinen Willen; sie ist, wie sie ist. ... Jemand indessen, der, sei er ein Mensch, sei er ein Gott, über einen wirklichen Willen, das heißt über das Vermögen der Entscheidung zwischen alternati­ven Möglichkeiten verfügt, „darf“ so nicht tun. Ihm obliegt es unter allen Umständen. die Vergleichgültigung des Leids unzähliger Individuen zu bloßen Rechen­einheiten zu verhindern.

(258) die Welt nicht im Bild eines harmonischen Symphoniekonzerts ... eher als Jazz­konzert (Vorgabe von Themen, auf die Antworten gesucht werden, die anregen zur Weiterführung, zur Improvisation)

(320f) Neukombination von 23 mütterlichen und 23 väterlichen Chromosomen beim Menschen: 2n 223=8,4 Mill. Kom­binationen, zusätzlich legen sich Chromosomen an­einander und tauschen Stücke aus (2-3 je Chromosomenpaar)

(345) Ei- und Samenzellen keine Lebewesen? haploide Einzeller

(398) Bei Vögeln, bei Schmetterlingen, aber auch bei einigen Amphibien, Reptilien und etlichen Fischen erfolgt die Geschlechtsfestlegung gerade umgekehrt: der Geno­typ des Männchen ist bei ihnen XX, der des Weibchens XY.

(416f) Paradoxie ... dass wir existenzphilosophisch eben den Glauben voraussetzen („Postulieren“), den wir ... in naturphilosophischer Absicht als unhaltbar erkannt haben ...
Den Widerspruch zwischen dem Gott der „Schöpfung“ und dem Gott der „Erlösung“ ... deuten wir als Chiffre für den Gegensatz von Natur und Mensch. ...
Als Naturwissenschaftler wollen wir kausal begründend erklären, was ist; als Men­schen wollen und müssen wir existenziell fragend den Sinn dessen, was uns erscheint, soweit zu enträtseln versuchen, dass wir auf die Infrage­stellung unseres Daseins eine Antwort erhalten, mit der wir leben können.

(418) Was wir als Individuen sind, ist unendlich viel mehr als das Programm unserer Gene; es ist die Geschichte unseres Bewusstseins, es ist die Sammlung all der Kompo­sitionen, die jemals auf dem „Klavier“ der „Neuronen­maschine“ unseres Gehirns ge­spielt und aufgeführt wurden.

(419) Religion ... ist mithin ein Sieg des Heute über das Gestern, ein Überhang der Zukunft über die Vergangenheit, ein Triumph der Planung über die Notwendigkeit, eine schrittweise Ersetzung des Zwangs durch die Freiheit, eine all­mähliche Überwin­dung blinder Grausamkeit durch eine erkennende Liebe und durch eine liebevolle Er­kenntnis. ...
Alles, was das Individuum ausmacht, lässt sich als eine geistige, personale Größe nicht auf biologischem Wege wei­tergeben.

(514) von Gott sprechen ... zu dem Zweck, um einen Grund dafür zu finden, dass wir als Menschen uns lebenden Wese gegenüber anders verhalten, als die Natur es mit uns tut

(563) Gott ... ist nicht im Hintergrund dieser Welt. Er kommt allererst mit uns Men­schen zur Welt. Wir Menschen sind es, die Sinn und Willen und Mitleid voraussetzen müssen, um Menschen zu sein oder, besser wohl, um allmählich Menschen zu werden

(585) Vögel konnten sich auf der Erde erst ausbreiten, als Blütenpflanzen sich entwi­ckelt hatten und davon Insekten sich ernähren konnten (Koevolution)

(612) [Meteoriten-Einschläge, Vulkanausbrüche, Klimawechsel, Supernova-Explosio­nen ermöglichen Leben, eröffnen neue Chancen, aber bedrohen Leben auch grundle­gend; Mutationen als Chance und „Krankheit“ - nicht nur Verdun, Auschwitz, Hiro­shima stellen Fragen]

(630) Naturwissenschaften haben einen Mittelweg gefunden zwischen den Alternati­ven Materialismus und Idealismus, Mechanismus und Vitalismus, Determinismus und Chaos, Theismus und Atheismus – „Selbstorganisation“ (Autopoi­ese) ... das Leben entwickelte sich nicht nach Plan, es ergab sich aus Prozessen, die sich die Vorausset­zungen zu seiner Entstehung und Weiterentwicklung „schufen“. Das „sich“ ist dabei wesentlich; denn die Art dieser Prozesse be­steht in ihrer „Selbstbezüglichkeit“ ... in dem Aufbau von Strukturen, die den Wert von Informationen besitzen

(654) Der Mensch hat in seinem Zentralnervensystem mehr Nervenzellen als Infor­mationssymbole in seinem Genom. Das bedeutet, dass die Kontakte, die Milliarden von Zellen miteinander verbinden, nicht im einzelnen vorprogrammiert sein können

(714) genetischer Code nicht universell: AAA codiert in den Mitochondrien von Plattwürmern und Stachelhäutern nicht wie üblich die Aminosäure Lysin, sondern Asparagin

(720) Wächtershäuser: „Ur-Pizza“ - Entstehung des Lebens auf Pyrit

(769) Naturwissenschaftler können .. in etwa erklären, wie und warum das Leben ent­stand ... auch der Mensch ... Was aber soll aus uns werden? Das sagen die Naturwis­senschaftler uns nicht und können es uns auch nicht sagen.

(770) verlangt wird eine Antwort, die aus der Sicht des fühlenden, leidenden, hoffen­den, denkenden Subjekts Orientie­rung und Halt bietet

(771) Kiergegaard erst hat diesen radikal subjektiven, das heißt personalen, existen­tiellen Charakter des Religiösen wiederentdeckt ...
Was ... geschieht eigentlich, wenn Menschen sagen, sie glaubten (an) Gott? ... sie le­gen mit einem solchen Bekennt­nis nahe, das Insgesamt möglicher Welterkenntnis auf eine bestimmte Weise zu deuten. ... Gott zu glauben hat damit zu tun, eben die Worte zum Sein zu vernehmen, die einem Menschen die Natur nicht zu sagen vermag.

(772) in der Geschichte der Religionen hat es niemals das Wort „Gott“ als „Symbol an sich“ gegeben ... immer durch personhafte Symbole verdichtet und damit dem menschlichen Fühlen und Vorstellen näher gebracht

(811) Gott mit dem Insgesamt der Evolutionsdynamik gleichsetzen = Spinozistischer Gott („Gott oder die Natur“ = deus sive natura), das komplexe Zusammenspiel der Naturkräfte und Naturgesetze wird mit Gott identifiziert ...
Gott mit dem Prozess der Selbstorganisation gleichsetzen, Prozesstheologie (Paul Da­vies) ...

(813) was sich hinter dem Marcionitischen Problem verbirgt, ist in Wirklichkeit der Unterschied zwischen der Welt, wie sie uns „objektiv“ erscheint, das heißt, wie wir sie mit den Kategorien des Verstandes, naturwissenschaftlich, zu erfas­sen versuchen, und einer Betrachtungsweise,, die vom „subjektiven“ Erleben her geprägt wird und seiner Erfassung dient.

(814) Mit dem Bewusstsein ist etwas in die Welt getreten, das den Zusammenhang der Welt durchbricht: es wird nicht mehr durch Kausalität gesetzt, es ist selbst das Ver­mögen, Kausalität durch eigene Entscheidung setzen zu können. ... in die Sphäre der Notwendigkeit ist Neues ... ein Moment der Freiheit getreten

(817) So ist es an sich – so bist du für mich

(822) die Richtigkeiten naturwissenschaftlicher Erkenntnisse ... erklären stets nur bis zur Erklärung hin: sie sagen im besten Falle, wie und warum etwas notwendigerweise so wurde, wie es ist, und sie sagen, was (wahrscheinlich) wer­den wird, wenn alles so ist, wie es ist; sie sagen gerade nicht, was im Raum des Möglichen wählbar sein könnte, und noch weniger sagen sie, welch eine Wahl unter dem Wählbaren wirklich zu treffen wäre

(827) Wer mich sieht, sieht den Vater (Joh. 14,9) ... versteht man den Satz existentiell, so bietet er die klarste und beste, ja, die einzig mögliche Auflösung des Problems der Gottesfrage: der Glaube an einen persönlichen Gott lässt sich ... nicht gewinnen aus der Betrachtung der durch und durch unpersönlichen Natur, er findet seinen Grund letztlich in nichts anderem als in der Evidenz der Menschlichkeit einer Person, die bis ins Innerste von ihrem Glauben an die Personalität Gottes selbst durchdrungen und ge­formt ist ...
christlicher Glaube als Ermutigung, anders zu existieren, ... als es die „Strategien der Genesis“ vorsehen

(831) Bibel-Religion ist die erste in der Geschichte der Menschheit, die Gott als eine Person jenseits der Naturmächte vorstellt ... Gott kann eben deswegen nicht die „Mut­ter Natur“ sein

(854, 852) Gott als „Vater“, Weltentwurf der Güte, Geborgenheit vom „Ursprung“ her, der Mensch ist gemeint,  gewollt, berechtigt, geliebt

(836, 839) Gott als „Hirte , begleitender Schutz, Geführtwerden, ... dass (auch) wir als Menschen mit uns selbst und mit den Lebewesen an unserer Seite behutsam umgehen

(841, 845, 852) Gott als „Richter“, unsere Freiheit verantworten, Begreifen der Motive des eigenen Handelns, keine „Hinrichtung“, eher „Aufrichtung“, „Ausrichtung“, „richtige“ Richtung, Absichten, Lernen aus Fehlern,
väterlicher, behütender, aufrichtender Gott

(848) einer Religion als einer Form des Glaubens an einen persönlichen Gott bedürftig ist einzig der Mensch; und so beschreibt denn der „Schöpfungsglaube“ im Grunde nichts weiter als die Ausdehnung des Vertrauens, das ein Mensch zum Leben braucht, auf die Welt, in der erlebt ... „Ich glaube an Gott den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde“ bedeutet in diesem Zusammenhang so viel wie: „Ich entwerfe eine „Welt“, die nicht getragen ist von Angst und Aggression, von Kampf und Konkurrenz, von Regeneration und Degeneration, son­dern die bestimmt ist von Vertrauen und Versöhnung, von Mitleid mit Leid und von der Wertsetzung und Wertschät­zung der Persönlichkeit eines jeden einzelnen ...“

(854) Feuerbach: „Der Wunsch ist der Ursprung, ist das Wesen selbst der Religion.“
entscheidende Frage, ob nicht zum Menschen eine ganze Reihe von „Wünschen“, also von geistigen und emotionalen Bedürfnissen, ebenso gehören wie die Vielzahl seiner leiblichen und sinnlichen Bedürfnisse.

(856) dass Gott unserem Erkennen nicht als ein Erkenntnis“gegenstand“ zur besseren Erklärung der Welt gegenüber­stehe, sondern sich gewissermaßen in unserem „Rü­cken“ befinde, sodass wir „von ihm her“ in diese Welt hinein­gingen

(863) Was uns im Gespräch mit den modernen Naturwissenschaften verbleibt, ist ein sehr behutsames Künden davon, trotz allem „vielleicht behütet“ zu sein.

 

Eugen Drewermann: Schöpfungstheologie – Teil 3

(Drewermann, Eugen: Glauben in Freiheit,
Bd. 3. Religion und Naturwissenschaft,
Teil 3. Kosmologie und Theologie;

„Im Anfang ...: die moderne Kosmologie und die Frage nach Gott“,
Walter-Verlag Zürich u. Düsseldorf, 2002, 1287 Seiten)

(Seite 52f) der Mond übt wegen der Gezeitenbewegung eine Bremswirkung auf die Erde aus – 0,00164 Sekunden werden die Tage in 100 Jahren länger – vor 400 Millionen Jahren, im Devon, 1 Jahr = 405 Tage zu je 21,5 Stunden – Korallen bilden ihren Panzer im Rhythmus von Tagen und Jahren aus, bei 370 Millionen Jahren alten Korallen 395 Tage

(64) Aufheizung der jungen Erde: Meteoriteneinschläge, Wirkung des Eigengewichts (Kompression) und Radioaktivität

(75) Mond 30.000 Meteoritenkrater >1km

(649) Aristoteles und Ptolemäus: Erde als Kugel im Zentrum von konzentrisch ange­ordneten kristallinen Sphären, die Sonne, Mond und Planeten tragen und führen, äu­ßerste Grenze: Fixsterne jenseits der äußersten Sphäre begann für die Theologen das Empyreum, der höchste Himmel, in dem Gott wohnt ...
Das „Reich Gottes“, das in der Botschaft Jesu eine zeitliche Größe darstellt, deren „Kommen“ er ansagt (Mk 1,15), ist in der mittelalterlichen Theologie zu einer räumli­chen Sphäre geworden, zu der die Seligen nach ihrem Tode gelangen ... das Empy­reum besteht nicht aus den 4 Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde, sondern aus der Quinta essentia, die man sich als reines Licht vorstellte

(675) es muss den „Himmel“ geben, wenn die Erde keine „Hölle“ werden soll

(680) Mensch hineingeworfen in eine „Welt“, die ihm „Heimat“ nie sein kann...“Himmel“ als Bild, worin Heimatlosigkeit, Ungeborgenheit aufgefangen wer­den

(686) Räumlichkeit des Innerweltlichen – und eine ganz andere Sphäre [res cogitans und res extensa]

(688) die religiöse Chiffre vom Himmel leistet bei uns Menschen gerade das, was im Erleben wandernder Tiere die Flugunruhe ... in Gang setzt: da ist ein Land jenseits ge­frorener Tundren (von Gebirgsketten, von Meeren, von Wüsten ...)

(715) die Hoffnung auf ein „ewiges“ Leben ... schenkt ... die Kraft, das Leben auf Er­den „richtig“ anzugehen

(718) Der Himmel ... ist die Sammlung all der Augenblicke, in denen wir so waren, wie wir hätten sein sollen, verbun­den mit dem Wunsch und der Gewissheit, nur noch so sein und bleiben zu dürfen

(723) Deismus: ein Gott, der nach der Fertigstellung „seiner“ „Schöpfung“ niemals mehr in irgend einen natürlichen Ablauf „eingreifen“ muss ... Schöpfer einer voll­kommenen Welt ... Gott des 17. Jh.

(726, 725, 728) Einstein 1927: „Ich glaube an Spinozas Gott, der sich in der gesetzli­chen Harmonie des Seienden offenbart, nicht an einen Gott, der sich mit den Schick­salen und dem Handeln der Menschen abgibt.“
“kosmische Religiosität“
“... dass der Weg zu wahrer Religiosität nicht über Daseinsfurcht, Todesfurcht und blinden Glauben, sondern über das Streben nach vernünftiger Erkenntnis führt“

(735) „Gott ist die Liebe“ (1. Johannesbrief 4,8) ...
eine ethische Überzeugung ... gegen die Natur zu stellen

(736) Beides ist nötig: den Zusammenhang aller Dinge zu denken und mit dem Leiden jedes Lebewesens zu fühlen, um wahrhaft Mensch zu sein – um wahrhaft religiös zu sein.

(738) Das Individuum ... stellt die wirkliche Herausforderung für Philosophie, Reli­gion und Wissenschaft dar. ...
Wie ist es möglich, ein Leben sinnvoll zu finden, dessen Beginn absolut nicht notwen­dig, dessen Dauer jederzeit be­droht und dessen Ende ebenso zufällig wie unabänder­lich ist?

(739) Gerade die Unvollendbarkeit des irdischen Daseins stellt ... ein gewichtiges Ar­gument zugunsten des religiösen Glaubens an ein ewiges Leben dar.

(886) Theismus: Glauben an einen Gott, der persönlich in die Naturordnung, die er in der „Schöpfung“ etabliert hat, „eingreift“ und sich darin als „Person“ zu erkennen gibt;
Deismus: Glauben an einen Gott, der eine vollendete, nach Gesetzen geordnete Welt geschaffen hat, die in allem einem „Plan“ folgt, der ihren kausal bedingten, im Prinzip vollständig erkennbaren Abläufen zugrunde liegt; (Gott greift nie ein)
Pantheismus: Glaube, dass „Gott“ mit der Naturordnung identisch ist

(887) Einstein/Infeld: „Die Quantenphysik bringt Gesetze, die für Kollektive und nicht mehr für Individuen gelten.“

(898) Zeilinger: das wirklich Neue an der Quantenphysik ist die Tatsache, dass erst­mals „der objektive und reine Zufall“ auftritt, „bei dem für den Ausgang eines Einzel­ereignisses nicht einmal eine verborgene Ursache gefunden werden kann. Im Gegen­satz dazu ist der Zufall der klassischen Physik subjektiv ... das heißt, lediglich ein Ausdruck der Unwissenheit.“

(891) keineswegs ist Freiheit identisch mit Indeterminiertheit, sie basiert vielmehr umgekehrt auf der Determiniertheit jener kausalen Zusammenhänge, als deren Anfang in die Ablaufreihe sie sich selber setzt. Hegel: man kann in den Kausalzusammenhang der Naturabläufe nur „eingreifen“, wenn ihr Mechanismus bekannt ist.

(892) Es ist nicht ... das Spiel des Zufalls, die Indeterminiertheit, die Freiheit ermög­lichte; gerade umgekehrt: Freiheit kommt nur zustande als ein Bewusstseinsvorgang, der in der Erkenntnis der kausalen Zusammenhänge gründet; Freiheit ist gebunden an ein erkennendes Subjekt, das einer Welt, die nach objektiven Gesetzen geordnet ist, gegen­übersteht. ...
Die Eigentümlichkeit der Quantenphysik liegt gerade darin, dass sie auf der Basis von Wahrscheinlichkeitsaussagen im Mikroskopischen exakte Aussagen im Makroskopi­schen erstellt.

(893) Chaosphänomene ... weil wir bereits die Anfangsbedingungen nicht genau ge­nug anzugeben wissen. Die Quantenphysik hat ... lediglich die Gewissheit hinzuge­fügt, dass die Ungenauigkeit in der Bestimmung der Ausgangs­bedingungen (nach der Heisenbergschen Unschärferelation) nicht nur etwa auf einem technischen Mangel un­serer Messgeräte beruht, sondern ... „naturgegeben“, also prinzipieller Art ist. So be­trachtet, existiert eine erkennbare Kau­salität überhaupt nur in einem charakteristischen Zwischenbereich der Wirklichkeit. Sie existiert „objektiv“ nicht in der Quantenwelt; darüber aber lagert sich die makroskopische Welt, in der die statistischen Gesetze des Mikrokosmos zu formulierbaren Gesetzen im Sinne der klassischen Mechanik gerin­nen;

(895) Heisenberg 1927: „Wenn schließlich vom Eingreifen Gottes die Rede ist, so wird offenbar nicht von der natur­wissenschaftlichen Bedingtheit des Ereignisses ge­sprochen, sondern von dem Sinnzusammenhang, der das Ereignis mit anderen oder mit dem Denken der Menschen verbindet.“ ...
damit Religion als Hermeneutik (= Auslegung) des Daseins

(915) Heisenberg: „An der scharfen Formulierung des Kausalitätsgesetzes , „wenn wir die Gegenwart genau kennen, können wir die Zukunft berechnen“, ist nicht der Nach­satz, sondern die Voraussetzung falsch.“

(942) Jedes naturwissenschaftlich entworfene Weltbild ist und bleibt ein menschlich entworfenes Bild von der Welt und ist niemals eine Offenbarung der Wirklichkeit an sich.

(1035) Vatikan ... ein jesuitischer Astronom an der römischen Gregoriana 2000: „In einer typischen Galaxie mit min­destens einer Milliarde Sternen könnten Mengen von Planeten ähnlich unserer Erde mit Lebewesen existieren. Ich glaube, dass die Außerir­dischen unsere Brüder ... sind.“

(1067) für einen Physiker, der seine Arbeit ernst nimmt, ist es nicht erlaubt, eine Frage nach einer Ursache von etwas oder von allem mit „Gott“ beantworten zu wollen. ...
ein religiöser Glaube, der sich in Alternative oder Konkurrenz zu den Naturwissen­schaften formuliert, missversteht sich selber; er bringt einerseits die ständige Gefahr der Ideologisierung naturwissenschaftlicher Methoden und Ein­sichten mit sich; ande­rerseits macht er sich selbst stets abhängig von dem jeweils neuesten Stand von For­schung und Wissen, so als stehe oder falle der Gottesglaube mit dem Erfolg oder Misserfolg der jeweils neuesten Modelle in der Elementarteilchenphysik oder der Astrophysik.

(1084) Der Unterschied von Erklären und Verstehen, von naturwissenschaftlichem Begreifen und geisteswissen­schaftlichem Deuten der Welt

(1086) Wenn wir tatsächlich am Anfang der Welt eine unendliche Intelligenz voraus­setzen müssten, um die Feinjustie­rung der Parameter der Teilchenphysik zu erklären, so sollten wir eine vergleichbare Sorge und Sorgfalt auch bei allem weiteren Fortgang der Welt gewärtigen dürfen ...

(1094) an jeder Stelle muss die Physik von den Fragen abstrahieren, die zum Ver­ständnis der menschlichen Existenz von Belang sind

(1101) dass Gott nirgendwo in „seiner“ „Schöpfung“ ... „eingreifen“ wird noch „ein­gegriffen“ hat; es gibt ganz einfach kein Ereignis in Raum und Zeit, das ein solches „Eingreifen“ demonstrieren würde; es gibt im Gegenteil so viele Geschehnisse, die ein göttliches „Eingreifen“ als ratsam oder notwendig sollten erscheinen lassen, dass schon ihr Stattfinden das Nicht-Eingreifen Gottes eklatant macht.  ... die „Sprache „ eines sich „offenbarenden“ Gottes in der Welt nicht vernehmbar ist ...

(1108) kardinaler Fehler der tradierten Theologie darin, dass sie den Glauben partout als eine andere Seite des Wis­sens im Gegenüber zum Sein verstehen mochte, statt in Glauben und Wissen zwei unterschiedliche Weisen des Da­seins (der menschlichen Existenz ) zu erblicken.
Kierkegaard: der Konflikt zwischen Theologie und Naturwissenschaft ist unvermeid­bar, weil und solange die Theologie selber als „Wissenschaft“, das heißt als ein Sys­tem von objektiv gültigen, mit Vernunftgründen zu beweisendes Aus­sagen über Gott auftreten will; daraus ergeben sich naturphilosophische Behauptungen über die Natur und Streit mit der Naturwissenschaft ...
nur ein Mittel, durch das Gott mit dem Menschen in Verbindung treten könne: das Einzige, worüber er mit dem Men­schen sprechen will, ist das Ethische.

(1114) „Schöpfungstheologie“ erweist sich als Daseinshermeneutik ...
“Schöpfung“ ist kein Begriff des Verstandes ... ist ein Ausdruck reinen „Glaubens“, eine poetische Darstellung der menschlichen Existenz im Vertrauen zu Gott

(1125) Wenn die ganze Welt das Werk eines Gottes ist, der den Menschen in Ähnlich­keit zu sich selbst „gemacht“ hat, so muss man den Menschen sehen, um Gott zu schauen, und es lässt sich die Welt begreifen als die „gnädige Gabe“ eines dem Men­schen „gütigen“, ja, ihm verwandten Gottes.

(1130) Was kein Stern, kein Mond, keine Sonne einem Menschen zu sagen vermag, kann einzig ein Mensch einem anderen Menschen vermitteln und schenken: sein Sein als Person.

(1138) Für einen Menschen, der an der Seite Jesu Gott als den „Vater“ „erkannt“ hat (Joh 5,19-24; 14,9-11) und der darin zu sich selbst zurückgefunden hat, taucht in ge­wisser Weise die Welt als möglicher Erfahrungsraum Gottes überhaupt erst auf.

(1139) sich dem Kampf ums Dasein verweigern, und seine Menschlichkeit zu leben, die nicht länger das „Schwache“ selektiert, sondern schützt, die das „Geknickte“ nicht „bricht“, sondern aufrichtet (Jes 42,3), und die das „Verlorene“ nicht als „Verlust“ „abbucht“, sondern sucht und zurückholt (Lk 15,4) ...
erst von diesem Moment an vermag auch die Natur als ein stummes Liebesgedicht vernehmbar zu werden ...

(1144) den naturwissenschaftlichen Zugang zur Wirklichkeit als ergänzungsbedürftig betrachten und neben ihm komplementär einen anderen, in gewissem Sinne entgegen­gesetzten Zugangsweg postulieren, der vom Subjekt des Menschen seinen Ausgang nimmt und der die Bedürfnisse und Erfordernisse der Subjektivität der menschlichen Existenz als eine eigene Wirklichkeit jenseits der „Natur“ berücksichtigt

(1145) Esoterik: Beschreibung psychischer Sachverhalte durch den (fälschlichen) Gebrauch naturwissenschaftlicher Begriffe (wie Energie, Feld, Strahlung usw.)

(1149) der Mensch verhält sich entweder objektiv-erkennend oder subjektiv-sinnsu­chend zur Wirklichkeit

(1156) Medizin : Erklären und Verstehen, Naturwissenschaft und Daseinsauslegung (Hermeneutik), objektive Be­trachtung und subjektive Einfühlung müssen zusammen­kommen, um der Not eines Menschen gerecht zu werden

(1174) So wie Jesus die Liebe zu den Menschen an die Liebe zu Gott knüpfte, so ist es möglich, von Gott her die Liebe zur Welt (zurück) zu gewinnen

(1175) gar nicht möglich ist, irgendeinen Teil der „Welt“ liebzugewinnen, ohne dass sich diese Liebe ausdehnt auf im­mer weitere Zonen der Wirklichkeit, von den Men­schen zu den Sterne, von den Schneekristallen zu den Blumen, von den Steinen zu den Tieren

(1184) wir müssen an die Liebe glauben, um sie in die Welt zu bringen, und wir müs­sen auf die Menschlichkeit hoffen, um sie zu leben ...
Beispiel Jesu zeigt, dass es möglich ist, im äußeren (politischen, kirchlichen, wirt­schaftlichen, biologischen ...) Sinne vollkommen zu scheitern, weil man alles richtig macht – „richtig“ im Sinne gelebter Menschlichkeit ...
Indem wir aber Gott die Liebe selber nennen, erweist er sich als allmächtig nicht in der freien Verfügbarkeit der Welt, wohl aber indem er zu der einzigen Macht wird, die unser ganzes Leben zu durchwalten vermag und für die einzig sich zu leben lohnt; da erweist er sich als gütig, nicht in einer erkennbaren Fürsorge gegenüber den leidenden Kreatu­ren, wohl aber indem er unser eigenes Herz, allen Anfeindungen der Welt ge­genüber, trotz allem zu Verstehen, Mitleid und Schonung bestimmt; da erweist er sich als weise, nicht in einer erkennbaren Planung und Vorsehung des Natur­geschehens, wohl aber indem wir es lernen, der leisen Stimme der Vernunft folgsamer uns zu fü­gen als dem lauten Diktat des pragmatischen Augenblicksangebots.

 

 

Ahnungen?

 

Charles Darwin: Der Mensch kann aus Naturgegebenheiten „aussteigen“ und wird dadurch zum Menschen ...

... So wie der Mensch in der Zivilisation vorschreitet und kleine Stämme zu größeren Gemeinschaften sich vereinen, wird die schlichteste Vernunft jedem Einzelwesen sagen, dass es seine geselligen Instinkte und Sympathien auf alle Mitglieder des Volkes ausdehnen müsse, mögen sie ihm auch persönlich unbekannt sein. Ist dieser Punkt einmal erreicht, so ist es nur noch eine künstliche Schranke, die verhindert, dass er seine Sympathie auf alle Menschen aller Völker und Rassen erstrecke. Wenn auch tatsächlich solche Leute von ihm durch bedeutende Unterschiede im Aus­sehen oder in der Gewohnheit gesondert sind, so brauchte es leider, wie uns die Erfahrung lehrt, gar lange Zeit, bis wir sie als Mitmenschen betrachteten. Sympathie über die Grenzen der Menschheit hinaus, d.h. Humanität gegenüber den niedrigeren Tieren, dürfte eine der spätesten moralischen Erwerbungen sein. ... diese Tugend, eine der edelsten, mit denen der Mensch begabt ist ... wird zarter, umfassender, bis sie sich auf alle fühlenden Wesen erstreckt. ... (Seite 183)

 

... Bei Wilden werden die an Körper oder Geist Schwachen bald entfernt sein, und die Überlebenden weisen gewöhn­lich einen kräftigen Gesundheitszustand auf. Wir zivilisierten Menschen dagegen tun das Möglichste, um diesen Ent­fernungsprozess zu hemmen; wir bauen Asyle für Blödsinnige, Krüppel und Kranke; wir erlassen Armengesetze und unsere Ärzte wenden ihre ganze Geschicklichkeit an, um das Leben jedes Menschen so lang wie nur möglich zu er­halten. Es lässt sich mit Grund annehmen, dass die Impfung Tausenden das Leben erhalten habe, die infolge ihrer schwachen Konstitution früher den Pocken erlegen wären. Dermaßen können die schwachen Mitglieder der zivilisier­ten Gesellschaft ihre Art fortpflanzen. Niemand, der die Züchtung von Haustieren beobachtet hat, wird zweifeln, dass das erwähnte Vorgehen für die menschliche Rasse höchst schädlich sein muss. ...
Der Beistand, den wir uns genötigt fühlen, den Hilflosen zu leisten, ist hauptsächlich ein incendentales Ergebnis des Instinkts der Sympathie, der ursprünglich als ein Teil der geselligen Instinkte erworben worden war, in der Folge je­doch, ... zarter und verbreiteter wurde. Auch können wir unsre Sympathie nicht hemmen, selbst dann nicht, wenn starke Vernunftgründe dawider sind, ohne den edelsten Teil unserer Naturheit zu verletzen ... wollten wir die Schwa­chen und Hilflosen vernachlässigen, so würden wir nur einen ungewissen Vorteil mit einem überwältigenden gegen­wärtigen Übel erwerben. ... (Seite 200f)

(Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die Zuchtwahl in geschlechtlicher Beziehung, Reclam Leipzig o.J., Bd. I)