weitere infos glaube naturwissenschaft
Wenn es in
der Schule
um Schöpfung, Evolution und Urknall geht …
Naturwissenschaft in
der Begegnung mit philosophischen und religiösen Fragen
In welcher Weise nehmen in Sachsen zugelassene
Lehrbücher für die Fächer Biologie, Physik, Astronomie und Religion solche
Grenzfragen auf ?
Teilband 1:
Allgemeine und
grundsätzliche Betrachtungen und Feststellungen
Hauptband 1: |
||
Kapitel |
Inhalt |
Seite |
1 |
Allgemeine und
grundsätzliche Betrachtungen und Feststellungen |
5 |
1.1 |
6 |
|
1.1.1 |
8 |
|
1.1.2 |
11 |
|
1.2 |
Zusammenstellung von
wichtigen Gesichtspunkten und Erkenntnissen |
12 |
1.2.1 |
Einige Erwartungen
und Vorgaben für eine Begegnung zwischen Naturwissenschaft und Religion |
12 |
1.2.2 |
Zu
Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft und zu Wissenschaftstheorie |
13 |
1.2.2.1 |
Fortschritt
durch Naturwissenschaft: in der Erkenntnis der Welt und in der technischen
Anwendung |
14 |
1.2.2.2 |
Erkenntniswege
und Erkenntnisgrenzen der Naturwissenschaft |
16 |
1.2.2.3 |
Eindeutige
Begriffe und Beschreibungen |
20 |
1.2.2.4 |
Wie
erkenntnistheoretische Fragen in Schul-Lehrbüchern aufgenommen werden |
24 |
1.2.2.5 |
Horizonterweiterung:
Verweis auf weitere Quellen mit Hintergrundinformationen zur
Wissenschaftstheorie |
27 |
1.2.3 |
Die Begegnung mit
der Vielfalt von Religionen, Bibelverständnissen und Schöpfungsvorstellungen |
28 |
1.2.3.1 |
Zum
Begriff „Religion“ |
28 |
1.2.3.2 |
Bibelverständnisse |
29 |
1.2.3.2.1 |
Wörtliches
Bibelverständnis |
29 |
1.2.3.2.2 |
Eine
grundsätzliche Problemanzeige |
31 |
1.2.3.2.3 |
Historisch-kritisches
Bibelverständnis |
32 |
1.2.3.2.4 |
Es gibt so
viele Bibelverständnisse, wie es Christen gibt |
34 |
1.2.3.3 |
Zum Begriff
„Schöpfung“: Schöpfungsvorstellungen und Schöpfungsglaube |
34 |
1.2.3.4 |
Die
Vorstellung von der „Konstanz der Arten“ |
41 |
1.2.4 |
42 |
|
1.2.4.1 |
Zum
Begriff „Ideologie“ |
43 |
1.2.4.2 |
„Kreationismus“
und „Intelligent Design“ |
45 |
1.2.4.2.1 |
„Kreationismus“ |
45 |
1.2.4.2.2 |
„Intelligent Design“ |
50 |
1.2.4.3 |
„Evolutionismus“ |
52 |
1.2.5 |
54 |
|
1.2.6 |
Ist die Kirche, ist
der christliche Glaube grundsätzlich wissenschaftsfeindlich? |
57 |
1.2.7 |
59 |
|
1.3 |
Weltentstehung,
Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube – als Thema im Schulunterricht?! |
60 |
1 Allgemeine und
grundsätzliche Betrachtungen
und Feststellungen
1.1 Aufgabenstellung
und Einführung
In den letzten Jahren erregt
ein Thema erneut die Gemüter.
Es geht um den vermeintlichen oder wirklichen Widerspruch von
„Schöpfungsglaube“ und „Evolutionstheorie“, von wissenschaftlichen
Erkenntnissen und Glaubensaussagen.
Titel
von Büchern, Zeitschriften und Filmen deuten die Kampfstimmung, aber auch die
Nachdenklichkeit an, die das Thema auslöst. Hier seien einige Beispiele aus der
Fülle von Beiträgen in den letzten Jahren in Erinnerung gerufen:
Das Magazin „DER SPIEGEL“
(Heft 52-2005) erscheint mit dem Titel:
„Gott gegen Darwin - Glaubenskrieg um die Evolution“
Ein umstrittener Film darf
im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht (mehr) gesendet werden, macht aber
als Videofilm die Runde:
„Hat die Bibel doch Recht? Der Evolutionstheorie
fehlen die Beweise“
(Fritz Poppenberg, Drei Linden Film, Berlin).
Der katholische
Theologie-Professor und Biologe Ulrich Lüke veröffentlicht ein Buch mit dem
provokanten Titel:
„Das Säugetier von Gottes Gnaden – Evolution,
Bewusstsein, Freiheit“
(Herder Verlag Freiburg 2006).
Der britische Biologe
Richard Dawkins schreibt eine militante Kampfschrift:
„Der Gotteswahn“ (Ullstein Verlag Berlin
2007) und meint, religiöse Menschen durch naturwissenschaftliche Fakten
überzeugen und „heilen“ zu müssen.
Die Zeitschrift idea
spektrum titelt im April 2002:
„Die Bibel irrt nicht … In sechs Tagen schuf Gott die
Welt“
Die dem „Kreationismus“
nahe stehenden Biologen Reinhard Junker und Siegfried Scherer veröffentlichen
seit 1998 immer wieder aktualisierte Fassungen des Buches
„Evolution – ein kritisches Lehrbuch“ (Weyel Lehrmittelverlag Gießen)
2007 erscheint der
Ergebnisband einer Tagung, die unter der Themenstellung
„Schöpfung und Evolution“ auf Wunsch
und in Anwesenheit von Papst Benedikt XVI. stattfand (St. Ulrich Verlag
Augsburg).
Aus
Hessen berichtete nicht nur die DIE ZEIT im Jahre 2007 von einem „Kulturkampf
um den »Kreationismus«“:
Die hessische
Kultusministerin Karin Wolff hat mit Kreationismus „überhaupt nichts am Hut“
... Aber sie spricht von „Konvergenzen“ zwischen „Evolution und
Schöpfungsgeschichte“, und sie hält es für „sinnvoll“, Schüler nicht allein
mit der Evolutionslehre im Biologieunterricht zu konfrontieren. Darwin und
Nachfolger dürften nicht getrennt werden von der „Schöpfungslehre der Bibel“,
die im Religionsunterricht vermittelt wird. Auch „noch eine andere Sicht“ sei
notwendig als nur die der Naturwissenschaft.
(DIE ZEIT 12.7.07 S.42)
Das
Thema schlug mächtige Wogen, obwohl schon damals im Lehrplan Biologie für den
gymnasialen Bildungsgang des Hessischen Kultusministeriums aus dem Jahre 2005
für die 12. Jahrgangsstufe zum Thema Evolution als Aufgabe stand: „Auseinandersetzungen
mit philosophischen und religiösen Aussagen müssen die naturwissenschaftliche
Diskussion ergänzen und erweitern.“ (zit.
nach: Hubert Meisinger: Intelligent Design als Herausforderung an
Naturwissenschaften und Theologie, 6.8.2007).
Schöpfungsgedanken im
Biologieunterricht? Für die einen ist das eine verlockende und reizvolle
Vorstellung, für andere eher ein Albtraum.
Viele Zeitgenossen erinnern
sich bei diesem Thema an ihre eigene Schulzeit, an Erfahrungen, die sie selbst
mit guten Lehrern und schlechten Pfarrern oder mit schlechten Lehrern und guten
Pfarrern gemacht haben.
Immer wieder wird auch
darauf verwiesen, was „damals“ in den Lehrbüchern stand.
Und es wird vermutet und
behauptet, so seien die Bio-Bücher sicher noch heute: einseitig, ideologisch befrachtet,
glaubensfremd oder glaubensfeindlich …
Andere befürchten
vielleicht, dass nach Jahrhunderten mühsam erreichter Aufklärung nun eine
Rückkehr zu mittelalterlichen Weltvorstellungen droht.
Ich habe - als betroffener
Vater und von Berufs wegen – in den letzten Jahren immer einmal in aktuellen
Lehrbüchern geblättert, und ich habe dort Unterschiedliches entdeckt. Manche
Bücher blenden Fragen zu den Grenzen der Naturwissenschaft weitgehend aus und
gehen auf philosophisch-religiöse Aspekte nur sparsam ein. Andere öffnen sich
solchen Fragen in großer Breite und Tiefe.
Lehrer, Schüler und Eltern,
die sich für solche Fragen interessieren, haben in der Regel wohl nur das eine Lehrbuch in der Hand, das (wer,
nach welchen Kriterien?) für gerade diese Schule ausgewählt hat.
Es könnte deshalb für sie interessant sein, zu erfahren, was an anderer Stelle,
in anderen Lehrbüchern angeboten wird.
1.1.1 Die einzelnen Schritte beim
Erstellen dieser Studie
A) Auswertung von Schulbüchern
Für die hier vorgelegte
Ausarbeitung wurden in einem ersten Schritt Schulbücher einmal etwas
systematischer unter die Lupe genommen.
Dazu wurden Lehrbücher unter
folgendem Blickwinkel bzw. mit folgendem Suchraster durchgesehen:
·
Es wurden
Lehrbücher ausgewertet, die im Freistaat
Sachsen im Schuljahr 2007/2008 zugelassen waren und im Unterricht verwendet
wurden.
·
Die Auswertung
erfasste die naturwissenschaftlichen Unterrichtsfächer Biologie, Physik und Astronomie (in Sachsen bis zu diesem
Jahr noch ein eigenständiges Unterrichtsfach).
Zusätzlich wurden auch Lehrbücher für den Religionsunterricht
ausgewertet.
·
Die Lehrbücher
wurden daraufhin befragt, OB (überhaupt) und WIE (in welcher Art und Weise) sie
etwas aussagen zu
+ Arbeitsweise und Erkenntnisgrenzen des
Fachgebietes
(bzw. der Naturwissenschaften im
Allgemeinen)
+ Berührungspunkten zu religiösen -
und im weiteren Sinne zu
philosophischen – Fragestellungen
·
NICHT untersucht und behandelt wurden ethische
Fragen, die sich aus der Anwendung von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen
ergeben
(z.B. Atomenergie, Gentechnik), und bei deren Beantwortung auch religiöse und
philosophische Überlegungen mit einfließen können.
Die ausgewerteten Bücher
wurden quergelesen. Hinweise, wo etwas zu den hier interessierenden Fragen zu
finden sein könnte, ergaben sich aus Inhaltsverzeichnissen, aber auch durch
gezieltes Suchen unter Stich- und Reizworten wie z.B. „Evolution“(stheorie),
„Anfang des Lebens“ auf der Erde, „Anfang des Universums“ (Urknall),
„Chaosforschung“, „Quantenphysik“ …
Wegen der deutlich
erkennbaren Unterschiede der Schulbücher für die
Sekundarstufe 1 (5. bis 10. Schuljahr)
und für die
Sekundarstufe 2 (auch: gymnasiale
Oberstufe; 11. und 12. Schuljahr)
erfolgt die hier vorgenommene Auswertung in der Regel getrennt für diese
beiden Bildungsstufen.
In den Teilbänden 2.1 bis 2.3 = Kapitel 2.1 bis 2.3 werden Lehrbücher
ausgewertet, die im Freistaat Sachsen im
Schuljahr 2007/2008 für den Unterricht in den Fächern Biologie, Physik, Astronomie und Religion zugelassen waren.
Die Auswertung der
Schulbücher erfolgt nach Fächern getrennt.
Bevor in den einzelnen Fächern auf die Lehrbücher eingegangen wird, werden zunächst
wichtige, für die hier behandelte Themenstellung relevante und interessante
Zielstellungen aus den Lehrplänen für
den Freistaat Sachsen (2004) wiedergegeben.
Danach werden ausführliche Zitate aus
aktuellen Schullehrbüchern zur Kenntnis gebracht und kommentiert.
Lehrbücher zum Unterrichtsfach BIOLOGIE werden in Teilband
2.1 = Kapitel 2.1 ausgewertet
Dabei geht es in einem ersten Schritt um die Fragestellung, inwieweit die
Darstellung von Arbeitsmethoden und
Erkenntnisgrenzen der Naturwissenschaft Eingang in die Lehrbücher gefunden
haben.
Dazu werden zunächst Bücher ausgewertet, die bis zur 10. Klasse eingesetzt
werden (Sekundarstufe1), im Anschluss daran Lehrbücher für die Sekundarstufe 2
(gymnasiale Oberstufe).
In einem zweiten Schritt wird eine Grenzfrage gesondert aufgenommen: Wie
stellen Lehrbücher die Erkenntnisse zur Entstehung
des Lebens auf der Erde dar? Hier werden wieder die Bücher für die
Sekundarstufe 1 und die für die Sekundarstufe 2 getrennt betrachtet.
In einem dritten Schritt werden die Lehrbücher daraufhin befragt, ob und in
welcher Weise sie auf geschichtliche und
aktuelle Aspekte des Verhältnisses zwischen „Schöpfung und Evolution“
eingehen. Für diesen Punkt erschien es sinnvoll, jeweils die Lehrbücher, die
aus dem gleichen „Haus“ (Verlag, Autoren) stammen, auch gemeinsam zu behandeln.
Diesem Kapitel ist ein
gesonderter Exkurs zur (Er-)Klärung
wichtiger Begriffe vorangestellt.
Im Teilband 2.2 = Kapitel 2.2 werden Lehrbücher für die Unterrichtsfächer PHYSIK und ASTRONOMIE
betrachtet.
Grundsätzlich werden die Lehrbücher für die Sekundarstufe 1 zuerst und getrennt
von den danach behandelten Lehrbüchern für die Sekundarstufe 2 betrachtet.
Die in diesem Kapitel gestellten Einzelfragen lauten:
Wie werden Erkenntnisgrenzen der
Naturwissenschaft bewusst gemacht (Wissenschaftstheorie), und wie werden philosophische und religiöse Bezüge
wahr- und aufgenommen?
Ein zweites Kapitel geht auf die Auseinandersetzung
um das kopernikanische Weltbild ein.
In einem dritten Anlauf geht es um die Annäherung
an eine Grenzfrage:„Urknall“.
Zitate aus Lehrbüchern zum Unterrichtsfach RELIGION
werden in Teilband 2.3 = Kapitel 2.3
zusammengestellt. Hier geht es um die Erkenntnismöglichkeiten
der Naturwissenschaft sowie um die Begegnung
von Glaube und Naturwissenschaft.
B) Zusammenfassung von
wichtigen Gesichtspunkten
und Erkenntnissen
Bei der Lektüre der Schulbücher wurde deutlich, dass es sinnvoll ist, in einer
an wichtigen Stichworten orientierten Darstellung einige Begriffe zu
(er-)klären sowie grundsätzliche Informationen zu den Erkenntnismöglichkeiten
der Naturwissenschaft, aber auch zum Verständnis von Religion und
Bibelverständnissen zusammenzufassen, um vielleicht so manches Missverständnis
auszuräumen.
Diese Vorgaben machen dann umgekehrt auch verständlich, unter welchem Blickwinkel
für den Autor gerade die Text-Passagen aus den Schulbüchern wichtig waren, die
er ausgewählt, gekennzeichnet und kommentiert hat.
An dieser Stelle sollen
lediglich ein paar ausgewählte inhaltliche Schwerpunkte aus dem hier
vorliegenden Teilband 1 (Hauptband)
aufgeführt werden.
Zunächst werden grundsätzliche Erwartungen
an eine Begegnung zwischen Naturwissenschaft und Religion benannt (1.2.1).
In Kapitel 1.2.2 werden einige grundlegende Aspekte zu
Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft und zu wissenschaftstheoretischen
Fragen dargestellt.
Ein weiteres Haupt-Kapitel
widmet sich der Vielfalt von Religionen,
Bibelverständnissen und Schöpfungsvorstellungen (1.2.3).
Anschließend wird auf Ideologien mit Alleinerklärungsanspruch
eingegangen (Kreationismus, Evolutionismus – 1.2.4).
Am Ende dieses Bandes werden
einige Schlussfolgerungen für den Umgang mit dem Themenkreis „Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube“ im
Schulunterricht gezogen (1.3).
C) „Weltall Erde Mensch“ - ideologisierte Naturwissenschaft im
Bildungssystem der DDR
Teilband 3 = Kapitel 3 widmet sich in einer gesonderten Darstellung dem
Rückblick auf den weltanschaulich-ideologisch
ausgerichteten Biologieunterricht in der DDR und verdeutlicht den Weg von
„Weltall Erde Mensch“ (1955) über die „Grundsätze für die Gestaltung des
einheitlichen sozialistischen Bildungssystems“ (1964) hin zu Lehrplänen und
Lehrbüchern, die in den 1970er und 1980er Jahren verwendet wurden.
D) Horizonterweiterung:
Zusammenstellung von ausführlichen Zitaten aus verwendeten Quellen
Im Teilband 4 = Kapitel 4 werden ausführliche
Zitate aus weiteren Quellen - also nicht aus Schullehrbüchern -
dokumentiert, soweit solche „Fremdquellen“ nicht schon bei der Kommentierung der Schulbuchtexte in
Kapitel 2 eingebracht wurden. Durch deren Lektüre kann evtl. mancher Aspekt,
der bereits in den grundlegenden Darstellungen in Band 1 oder auch im
Zusammenhang mit dem einen oder anderen Lehrbuch-Zitat angesprochen wurde, noch
einmal unter einem anderen Blickwinkel erläutert und vertieft werden.
1.1.2 Hinweise zu redaktionellen
Gesichtspunkten
Im Wesentlichen werden
ausführliche Zitate aus den ausgewerteten Büchern und Materialien, vor allem
aus Schul-Lehrbüchern, wiedergegeben und sparsam kommentiert.
(Quelle: XY Namen, Titel,
Verlag, Jahr…)
Zitate aus Lehrbüchern
und anderen Quellen
sind in solchen „Kästen“ dargestellt.
Zu Beginn jedes „Zitaten-Kastens“, also am oberen Rand, befindet sich die
Quellenangabe (gleiche Angaben wie im Gesamt-Verzeichnis aller verwendeten Quellen
am Ende der Studie). Bei längeren Zitaten-Kästen wird die Quellenangabe noch
einmal am Ende des Kastens wiederholt.
(Quelle: XY Namen, Titel, Verlag, Jahr…)
Der Leser soll – ohne die
Original-Lehrbücher in der Hand zu haben – einen umfassenden Eindruck davon
erhalten, OB auf bestimmte
Fragestellungen überhaupt eingegangen wird, WAS dazu gesagt wird und WIE
es gesagt wird. Dabei sollen die Zitate weitgehend für sich sprechen. Damit besteht
die Chance, dass der Leser selbst an bestimmten Textstellen oder
Formulierungen hängen bleibt oder sich daran stößt.
Allerdings hat der Autor kommentierend in die Texte eingegriffen:
Wo es ihm wichtig erschien, etwas hervorzuheben, ist das durch Unterstreichungen geschehen.
Aus der Sicht des Autors diskussionsbedürftige oder bemerkenswerte Aussagen
sind in manchen Fällen in Fußnoten(z.B. 123) noch weiter kommentiert worden.
Es sei an dieser Stelle
darauf hingewiesen, dass es wegen der Auswertung der Lehrbücher unter
verschiedenen Fragestellungen unvermeidlich ist, wenn dem Leser in wenigen
Fällen die gleichen Zitate oder Kommentare mehrmals an unterschiedlichen
Stellen begegnen.
Aus den gesichteten Quellen
wurden (nur) die für die Themenstellung wichtigen Textstellen als Zitate in
die vorliegende Studie übernommen. Die Auswahl der Texte erfolgte nach bestem
Wissen und Gewissen. Dennoch sind möglicherweise wichtige Passagen übersehen
worden, und auch Missverständnisse oder Fehlinterpretationen seitens des Autors
sind nicht auszuschließen.
Wenn kritischen Lesern und
Leserinnen Defizite und Fehler auffallen, so mögen sie bitte darauf hinweisen –
die notwendigen Daten für die Erreichbarkeit des Autors finden Sie im Impressum
auf der letzten Seite.
1.2 Zusammenstellung von wichtigen
Gesichtspunkten
und Erkenntnissen
1.2.1 Einige Erwartungen und
Vorgaben für eine Begegnung
zwischen Naturwissenschaft und
Religion
In der
gesamten Thematik geht es um eine Positionsbestimmung von Naturwissenschaft und
Religion jeweils für sich wie auch um die Begegnung zwischen ihnen, ihr
Verhältnis zueinander.
In unserer säkularen Gesellschaft sind dafür Regeln zu finden, von denen einige
mögliche in dem folgenden Kriterienkatalog zusammengestellt sind:
1. Die beiden Kategorien -
Naturwissenschaft und Religion - nähern sich auf unterschiedliche Weise an die
Wirklichkeit der Welt an.
Sie sind selbstständig und agieren in erster Linie unabhängig voneinander, jede
auf ihrem Territorium, jede mit ihren Maßstäben.
2. Diese grundsätzliche
Selbstständigkeit und Unabhängigkeit wird wechselseitig anerkannt.
3. De facto muss man zur Kenntnis
nehmen, dass Regel 2 längst nicht immer wechselseitig anerkannt ist.
Extrempositionen machen das deutlich:
a) Auf dem Gebiet der
Naturwissenschaft(en) gibt es „Alleinvertreter“, die behaupten,
Naturwissenschaft könne ALLES erkennen und erklären, religiöse Deutungen seien
Unsinn und unnötig.
b) Auf dem Gebiet der Religion(en) gibt
es „Alleinvertreter“, die behaupten, Religion könne ALLES Wesentliche erklären,
Naturwissenschaft müsse sich diesem Primat unterordnen oder Naturwissenschaft
komme zu falschen Erklärungen / Erkenntnissen.
4. Aus vielerlei Gründen kann-darf-muss
man sich gegenseitig miteinander beschäftigen - etwa wenn es um Grenzfragen der
Erkenntnis geht oder wenn die Nutzung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse
ethische Fragen aufwirft.
5. Bei der kritischen Beschäftigung mit
der jeweils anderen Kategorie muss die Feststellung unter 3. (s.o.) beachtet
und deutlich gemacht werden, von welcher „Spielart“ der anderen Kategorie man
redet. Folgerichtig gilt dann:
6. Wenn man sich mit der
„Normalvariante“ der anderen Kategorie befasst, die die Regeln anerkennt, ist
ein Hineinreden in die andere Kategorie oder gar Fundamentalkritk unzulässig.
7. Wenn man sich mit den
„Alleinvertretern“ der anderen Kategorie befasst, ist in dem Bereich, wo sie
die Argumente der Gegenseite nicht verstehen, ignorieren oder diffamieren,
selbstverständlich eine Stellungnahme und Auseinandersetzung zulässig,
notwendig und wünschenswert.
1.2.2 Zu Erkenntnismöglichkeiten der
Naturwissenschaft
und zu Wissenschaftstheorie
Das
Denken gehört zu den
größten Vergnügungen der menschlichen Rasse …
Die
Wissenschaft kennt nur ein Gebot:
den wissenschaftlichen Beitrag …
Unsere neue Kunst des Zweifelns
entzückte das große Publikum …
(Q44 Bertolt Brecht: Leben des Galilei, Reclam, Leipzig 1968, S.29,104,105)
Brecht
beschreibt in seinem „Galilei“ in kaum zu überbietender Kürze und Prägnanz
wesentliche Aspekte naturwissenschaftlichen Forschens.
1.
Neugierig
zu sein, die uns umgebende Welt verstehen zu wollen und auch – wenigstens ein
Stück weit – verstehen zu können, das sind großartige Begabungen, mit denen wir
Menschen ausgestattet sind. Sie machen uns zu recht stolz, und gleichzeitig
mahnen sie zur Bescheidenheit: Unsere Welterkenntnis ist begrenzt auf die
Mittel und Möglichkeiten unseres menschlichen Verstandes.
2.
Naturwissenschaft
versucht, mit den Mitteln des menschlichen Verstandes und unter Beachtung der
methodischen Vereinbarungen in ihrem Zuständigkeitsbereich (für die uns
umgebende „fassbare“ Natur) immer bessere Erklärungen für Naturvorgänge zu
finden. Sie ist dabei allein an ihre eigenen „Spielregeln“ gebunden und soll
sich freihalten: sowohl gegenüber der Bevormundung von „außen“ (Weltanschauungen,
Interessen, Macht, Geld …) wie auch von der Versuchung, All-Erklärungsansprüche
für die ganze Wirklichkeit der Welt zu erheben und Allmachtsphantasien zu
erliegen. Dass es nur um den „wissenschaftlichen Beitrag“ geht, deutet aber
auch eine andere Gefahr an. Das Forschen allein um des Forschens willen kann
die Wissenschaft im „Elfenbeinturm“ der vermeintlich zweckfreien Grundlagenerkenntnis
gefangen nehmen: soziale oder ökologische, ethisch zu verantwortende Neben- und
Folgewirkungen werden ausgeblendet und verdrängt.
3.
Brecht
nennt die Arbeitsweise der Naturwissenschaft „Kunst des Zweifelns“. Naturwissenschaft
ist eine Kunst in dem Sinne, dass Begabung und Disziplin im Beherrschen der
handwerklichen Fähigkeiten und in der Einhaltung der vereinbarten „Spielregeln“
(naturwissenschaftliche Methode) wichtige Eigenschaften eines guten
Naturforschers sind. Und das Bezweifeln, einmal von überkommenen Überzeugungen,
aber auch das ständige Infragestellen der eigenen Ansichten, gehört zum
Grundansatz auf dem Weg des naturwissenschaftlichen Suchens nach Wahrheit, der
nie zu Ende ist.
1.2.2.1 Fortschritt durch
Naturwissenschaft:
in der Erkenntnis der
Welt
und in der Anwendung von
Technik
„Wir
verdanken unseren Wohlstand der Entscheidung, Wissenschaft zu betreiben.“
(Ernst
Peter Fischer, Wissenschaftshistoriker)
(bild der wissenschaft 11-2008 S.10)
Angetrieben
von seiner unstillbaren Neugier gewinnt der Mensch durch die Anwendung
naturwissenschaftlicher Methoden Einsichten darüber, wie die Welt, in der er
lebt, aufgebaut ist und wie sie funktioniert.
In den
vergangenen Jahrhunderten sind hier immer mehr Befunde zusammengetragen worden,
die ein immer besseres Verständnis der Welt ermöglicht haben. Und die Anwendung
dieser Erkenntnisse in Gestalt von Technik hat dem Menschen neue Möglichkeiten
eröffnet, sich „die Erde untertan zu machen“ (Bibel, 1. Buch Mose 1,28), die
Welt umzugestalten und zu nutzen. Dadurch ist viel tatsächlicher und
segensreicher Fortschritt möglich geworden. Dass heute – eingeschränkt gilt
das derzeit leider längst nicht für alle Menschen auf diesem Planeten –
Maschinen die körperliche Arbeit erleichtern, Mobilität per Auto und Flugzeug
die ganze Welt erreichbar gemacht hat, medizinischer Fortschritt
(Operationstechniken, Medikamente) Krankheit und Leid in vielen Fällen hat
zurückdrängen können, dass die Nahrungsversorgung (dank Züchtung und Einsatz
von Chemikalien und Technik zur Bodenbearbeitung) dauerhaft und zuverlässig
gewährleistet ist – all das verdanken wir der naturwissenschaftlichen
Grundlagenforschung in früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten. Und dass Technik
der unterschiedlichsten Art in der Regel zuverlässig funktioniert, ist Ausdruck
davon, dass die hier zugrunde liegenden Einsichten nicht völlig falsch sein
können, sondern offenbar eine recht gute Annäherung an die „wirklichen“
(objektiven) Zusammenhänge der Welt darstellen. Auch scheinbar exotische und
realitätsferne Naturwissenschaft, die für viele Zeitgenossen weit weg zu sein
scheint von ihrem Alltag, prägt diesen inzwischen auf Schritt und Tritt:
(Quelle: Q65 Bild der Wissenschaft, Heft 12-2003 S.40)
Ohne die Maxwellschen
Gleichungen der Elektrodynamik hätten wir weder Radio- noch Röntgengeräte, ohne
Albert Einsteins Relativitätstheorie weder GPS noch Satelliten-Wetterbilder,
und ohne die Schrödinger- und Dirac-Gleichung in der Quantenmechanik weder
CD-Spieler noch Kernspin- und Positronen-Emissions-Tomografie zur Diagnose von
Erkrankungen und zur Abbildung von Hirnaktivitäten. ...
Wenn
in dieser Studie besonders das „Hypothetische“ und „Theoretische“ in der naturwissenschaftlichen
Erkenntnis thematisiert wird, muss klar sein, dass viele Theorien offenkundig
eine recht gute Annäherung an die wirklichen Verhältnisse in der Welt darstellen
und sie zutreffend beschreiben. Das betrifft vor allem die Wissenschaft, die
sich mit regelmäßig ablaufenden, sich ständig wiederholenden Naturvorgängen beschäftigt
oder mit reproduzierbaren und wiederholbaren Experimenten, die eine ständige
kritische Überprüfung von Hypothesen möglich machen. Deutlich spekulativer und
theoretischer ist der Gehalt von naturwissenschaftlichen Aussagen zu Fragen,
die Grenzsituationen betreffen, z.B. sich mit Ereignissen beschäftigen, die
zeitlich oder räumlich extrem weit entfernt sind vom normalen irdischen
Alltag, oder die evtl. nur einmal in der Geschichte aufgetreten sind, (z.B.
Singularitäten wie der Urknall, das Auftreten von ersten Lebensformen oder das
Auftauchen von menschlichem Bewusstsein).
In der Wissenschaftsgeschichte hat sich gezeigt, dass in vielen Fällen eine
neue, umfassendere Theorie die bisherigen Erklärungen nicht überflüssig macht
und ersetzt, sondern dass die alte Theorie mit begrenztem Geltungsbereich in
der neuen Theorie weiter enthalten ist. So werden heute noch die
Bahnberechnungen für Satelliten in erdnahen Umlaufbahnen nach Newtonschen und
Keplerschen physikalischen Gesetzen durchgeführt, die für diese Verhältnisse
zuverlässige Ergebnisse erbringen; die Erweiterungen der Einsteinschen
Relativitätstheorie wirken sich erst in wirklich kosmischen Dimensionen
(Massen, Zeiträume, Entfernungen) aus.
Diese
Würdigung von Naturwissenschaft wurde hier vorangestellt, um wenigstens etwas
Balance herzustellen zum folgenden Kapitel, in dem über-deutlich auf die (Erkenntnis-)
Grenzen der Naturwissenschaft eingegangen wird. All das dort Gesagte schließt
eben nicht aus, dass wir durch unsere der Natur abgelauschten Erkenntnisse
(Anwendung der Naturgesetze) – auch wenn sie nur eine Annäherung an die
Wirklichkeit darstellen – die Welt äußerst erfolgreich beschreiben, erklären,
prognostizieren und verändern. Dass Technik in unserer Alltagspraxis in der
Regel recht zuverlässig funktioniert, ist Ausdruck der erreichten
Leistungsfähigkeit von „Theorien“.
Manchmal begegnet heute eine
pauschale kritische Bewertung von Naturwissenschaft und Technik – gerade auch
unter christlichem Vorzeichen.
Beide werden unter Generalverdacht gestellt, eigentlich nur Schlechtes und
Problematisches in die Welt gebracht zu haben. Man denkt da an Klone, an
Atomkraftwerke, an Umweltbelastungen oder auch an „Gefälligkeitsgutachten“ (und
dazu ist ja auch kritisches zu sagen!) - aber man vergisst elektrischen Strom
und Herzschrittmacher und Insulin und die vielen verantwortungsbewusst tätigen
Forscher. In falschen Alternativen wird „künstlich“ gegen „natürlich“ gestellt,
werden vermeintliche Heilswege gegen Katastrophen-Szenarien gestellt, gelten
„Eingriffe in die Schöpfung“ als grundsätzlich verboten …
Dabei geht es aber meist
vorrangig gar nicht um naturwissenschaftliche Grundlagenforschung als das
Suchen nach Erkenntnis, sondern im Fokus stehen vor allem ethische Fragen der
technischen Anwendung von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, bei denen dann
aber auch weitere menschliche Eigenschaften, Motive und Interessen eine Rolle
spielen (Geld, Macht, Ehrgeiz).
1.2.2.2 Erkenntniswege und
Erkenntnisgrenzen
der Naturwissenschaft
Im Folgenden sollen zunächst
einige grundsätzliche Einsichten zur Arbeitsweise der Naturwissenschaft und zur
Reichweite ihrer Erkenntnis zusammengestellt werden. Viele Feststellungen sind
dabei aus den ausgewerteten Schullehrbüchern und den anderen aufgeführten
Quellen entnommen.
Naturwissenschaft hat mit
ihrem Suchen und Fragen in den letzten Jahrhunderten beeindruckende Erfolge gefeiert.
Sie hat versucht, in immer neuen Anläufen den materiellen Aufbau der Welt und
das Funktionieren ihrer Teile zu erklären, und das Publikum hat diesen
Prozess mit Staunen, Faszination oder auch Verwirrung begleitet. Zum anderen
ist es der Naturwissenschaft in ihrer praktischen Umsetzung, in Gestalt der
Technik, gelungen, die Welt für den Menschen in Besitz zu nehmen und diese -
oft erfolgreich, manchmal aber auch mit zwiespältigem Ergebnis - zu
verändern.
Die Erfolge (und Folgen)
der Naturwissenschaft sind gewaltig und (ver-)führen viele Zeitgenossen zu
einer regelrechten Wissenschafts-Gläubigkeit. Gerade für Menschen, die mit
Gott nichts (mehr) anfangen können, sind die moderne Naturwissenschaft und
Medizin („Halbgötter in Weiß“) an seine Stelle getreten. Wo man früher von Gott
erhoffte und erwartete, dass er die Probleme dieser Welt (auf-)lösen und Not
und Leid heilen werde, da werden heute übermächtige Erwartungen an die
Naturwissenschaft herangetragen und von manchen ihrer Vertreter auch
geschürt: Sie soll nicht nur alle Fragen beantworten, sie soll auch in eine
lichte, sorgenfreie Zukunft, in eine heile Welt führen. Und manche
Naturwissenschaftler nehmen diese Rolle offensiv an:
„Ich will
die Welt retten.“
Craig J. Venter; Biochemiker,
(maßgeblich beteiligt an der Entschlüsselung des
menschlichen Erbgutes)
Auch wenn Naturwissenschaft
von vielen Menschen als allmächtig bestaunt oder beargwöhnt wird, ist ganz
deutlich zu sagen:
Naturwissenschaft ist weder allwissend noch ist sie allmächtig!
Gute Naturwissenschaftler haben zu allen Zeiten gewusst, dass sie „kleine
Brötchen backen“, dass sie nur zu vorläufig gültigen Einsichten kommen, dass
sie nicht für die ganze Wirklichkeit der Welt zuständig sind, und dass sie
nicht auf ALLE Fragen eine Antwort geben können (und müssen).
Hier sei beispielhaft auf
Aussagen von Darwin und Haeckel verwiesen, die das für ihre Arbeit
selbstkritisch, fast schon ironisch reflektiert haben:
(Quelle: Q7 Darwin,
Ch.: Die Abstammung des Menschen und die Zuchtwahl in geschlechtlicher
Beziehung, Reclam, Leipzig o.J., Bd. II, S.409)
Charles Darwin:
Manche der vorgebrachten Ansichten sind höchst spekulativer Art und einige
werden sich sicherlich als irrig erweisen; aber ich habe in allen Fällen die
Gründe angeführt, welche mich mehr zu der einen oder der anderen Ansicht
veranlassten. ... unrichtige Ansichten, die einigermaßen von Beweisen
unterstützt werden, können nur wenig schaden, denn jedermann findet ein
heilsames Vergnügen darin, ihre Unrichtigkeit zu erproben. Und ist dies
geschehen, so wird dadurch der Weg zum Irrtume verlegt und oft auch
gleichzeitig ein Weg zur Wahrheit geöffnet.
(Quelle: Q17 Haeckel,
E.: Die Welträtsel, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart, 1899, S.120)
Ernst Haeckel:
… das Wissen
bleibt immer lückenhaft und unbefriedigend, wenn nicht die Phantasie
die ungenügende Kombinationskraft des erkennenden Verstandes ergänzt
und... entfernt liegende Erkenntnisse zu einem zusammenhängenden Ganzen
verknüpft. Dabei entstehen neue allgemeine Vorstellungsgebilde, welche erst
die wahrgenommenen Tatsachen erklären und das „Kausalitäts-Bedürfnis der
Vernunft befriedigen.“ Die Vorstellungen, welche die Lücken des Wissens
ausfüllen oder an dessen Stelle treten, kann man im weiteren Sinne als
„Glauben“ bezeichnen ... Indessen dürfen in der Wissenschaft nur solche
Hypothesen zugelassen werden, die innerhalb des menschlichen
Erkenntnis-Vermögens liegen, und die nicht bekannten Tatsachen widersprechen.
...
Die Erklärung einer größeren Reihe von zusammenhängenden Erscheinungen durch
Annahme einer gemeinsamen Ursache nennen wir Theorie. Auch bei der Theorie,
wie bei der Hypothese, ist der Glaube (im wissenschaftlichen Sinne!)
unentbehrlich; denn auch hier ergänzt die dichtende Phantasie die Lücke, welche
der Verstand in der Erkenntnis des Zusammenhangs der Dinge offen lässt. Die
Theorie kann daher immer nur als eine Annäherung an die Wahrheit betrachtet
werden; es muss zugestanden werden, dass sie später durch eine andere, besser
begründete Theorie verdrängt werden kann.
Naturwissenschaft zu betreiben ist eine bestimmte
Art, sich mit der Wirklichkeit der Welt auseinanderzusetzen.
Dafür gibt es nicht nur klare Spielregeln (die naturwissenschaftliche
Methode), sondern diesem Zugang zur Welt sind auch Grenzen gesetzt,
von denen hier einige benannt werden sollen.
·
Die Naturwissenschaft geht in ihrem Tun von Annahmen aus, deren Gültigkeit
und Richtigkeit vorausgesetzt werden, die sich aber nicht beweisen lassen
(Axiome):
So wird – ohne diese Annahme kann Naturwissenschaft einfach nicht sinnvoll arbeiten
– vorausgesetzt, dass die Naturgesetze zu allen Zeiten und an jedem Punkt des
Universums in gleicher Weise gelten - so, wie wir sie heute auf der Erde
(er-)kennen.
Oder es wird vorausgesetzt, dass der Kosmos „homogen und isotrop“ ist (d.h.
dass Materie etwa gleichmäßig verteilt ist und wir deshalb im uns
zugänglichen Nahbereich typische Verhältnisse vor-finden).
·
Wir wissen nicht, ob im Universum nur die von uns bisher nachgewiesenen
Teilchen existieren. Derzeit gehen die meisten Astrophysiker davon aus, dass
nur etwa 5 Prozent unseres Universums aus Stofflichkeiten bestehen, die wir
kennen, und dass 73% aus „dunkler Energie“ und 22% aus „dunkler Materie“ bestehen
(„dunkel“ steht hier schlicht für das Nicht-Wissen).
Wir wissen auch nicht, ob unser Kosmos nur von den vier uns bekannten Kräften
beherrscht wird (diese sind: die starke und die schwache Kraft oder
Wechselwirkung im Bereich atomarer Dimensionen, die elektromagnetische Kraft
und die Schwerkraft) und ob diese in einer einheitlichen Theorie erklärt
werden können.
·
Naturwissenschaft ist von ihrem Anspruch her der Versuch, die Welt mit
den Mitteln des menschlichen Verstandes zu erklären. Es ist sehr fraglich, ob
die drei Pfund grauer Gehirnzellen, die unser Schädel einschließt, in der Lage
sind, das ganze Universum mit der Fülle und Vielfalt seiner Erscheinungen
wahrzunehmen, zu verstehen und umfassend zu erklären. In unseren naturwissenschaftlichen,
von Menschen erdachten Modellen und Theorien wird die Natur überschaubar
(gemacht). Wir wissen jedoch, dass die Struktur, die wir der Welt damit
auferlegen, in den Grenzen unserer menschlichen Vorstellungskraft erfolgt und
schon deshalb nicht vollkommen ist.
Außerdem gehen immer subjektive Annahmen/Vorgaben schon in die Planung von
Beobachtungen oder Versuchen mit ein. Ohne Beobachter „ist“ die Natur anders,
als wenn der Naturwissenschaftler sie untersucht.
(Quelle: Q67 Die Bibel, erschlossen
und kommentiert von H. Halbfas, Patmos 2001, S.29)
Werner
Heisenberg:
„Der Gegenstand der Forschung ist nicht die Natur an sich, sondern die der
menschlichen Fragestellung ausgesetzte Natur, und insofern begegnet der
Mensch auch hier wieder sich selbst.“
(Quelle:
Q76 Weber, Thomas P.: Darwin und die neuen Biowissenschaften, DuMont Köln,
2005, S.33)
Für Soziologen, Historiker, Anthropologen und Ethnologen
beginnt das „Soziale“, sobald zwei oder mehr Menschen in Wechselwirkung stehen:
Wissenschaft kann daher nicht anders als „sozial“ sein. Für
Naturwissenschaftler ist das Soziale dagegen das Ungebändigte, Irrationale, das
nie in das Heiligtum des Labors eindringen darf.
·
Arbeitsgegenstand
der Naturwissenschaft ist seit ihren Anfängen, was man sehen und anfassen
kann, was sich zählen, wiegen und messen lässt. Dabei ist es grundsätzlich
geblieben, auch wenn wir das Leistungsvermögen unserer Sinnesorgane mit
technischen Hilfsmitteln - z.B. beim Sehen mit Mikroskopen oder Teleskopen –
deutlich ausweiten konnten. Wir wissen auf der einen Seite, dass das „Netz“,
mit dem die Naturwissenschaft das „Meer der Wirklichkeit“ durchfischt, viele
interessante Funde erfasst und festgehalten hat. Aber manches, was auch zur
Wirklichkeit gehört, schlüpft einfach durch die Maschen dieses Netzes, weil die
vom Naturwissenschaftler gezielt gewählte Maschenweite nur bestimmte „Fische“
sucht und festhält.
(Quelle: Q26 Vollmer, G.:
Biophilosophie, Reclam, Stuttgart, 1995, S.51)
Biologie als Naturwissenschaft schließt gewisse Fragen
einfach aus, die anderswo gestellt werden. Fragen nach Daseinszielen, nach dem
Sinn des Lebens, nach einem Weltenschöpfer oder Weltenlenker, nach
Geltungsgründen oder moralischen Rechtfertigungen werden in der Biologie nicht
nur nicht beantwortet: Sie werden gar nicht erst gestellt, nicht einmal
zugelassen. Als legitim gelten innerhalb der Erfahrungswissenschaften nur
Fragen, die Tatsachen betreffen und die im Rahmen erfahrungswissenschaftlicher
Methoden wenigstens prinzipiell Aussicht auf Beantwortung haben.
Für die
Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaften gilt allgemein und ganz
grundsätzlich:
Naturwissenschaftliche Erkenntnis führt nicht zu
endgültigen Wahrheiten.
Das Wissen bleibt immer unvollkommen, ist vorläufig und ist verbesserungsbedürftig.
Die Ergebnisse sind Modelle, Hypothesen, Theorien.
Das
schließt nicht aus, dass wir durch unsere der Natur abgelauschten Erkenntnisse
(Anwendung der Naturgesetze) – auch wenn sie nur eine Annäherung an die
Wirklichkeit darstellen – die Welt äußerst erfolgreich beschreiben, erklären,
prognostizieren und verändern. Dass Technik in unserer Alltagspraxis in der
Regel recht zuverlässig funktioniert, ist Ausdruck der erreichten
Leistungsfähigkeit von „Theorien“:
(Quelle: Q26 Vollmer,
G.: Biophilosophie, Reclam, Stuttgart, 1995, S.38,100,111)
Die Wissenschaftstheorie hat zu interessanten
Ergebnissen geführt … Eines ihrer Hauptergebnisse ist die Einsicht in den
vorläufigen, hypothetischen oder Vermutungscharakter
allen Tatsachenwissens, auch der wissenschaftlichen Erkenntnis …
Die realen Objekte werden – durch Licht, Schallwellen, chemische Substanzen,
Wärmestrahlung oder Gravitationsfelder – projiziert auf unsere Sinnesorgane,
die meist auf der Körperoberfläche liegen. Auch technische Geräte,
Beobachtungs- und Messinstrumente, Fernrohre, Mikrophone, Thermometer, Kompass
oder Geigerzähler, dienen lediglich der Verbreiterung dieses
Projektions-„Schirmes“, der Übersetzung von Projektionssignalen in solche, die
unser natürlicher Apparat verarbeiten kann. …
Notwendige Merkmale einer guten erfahrungswissenschaftlichen Theorie sind
Zirkelfreiheit, Widerspruchsfreiheit, Erklärungswert, Prüfbarkeit und
Testerfolg; wünschbar sind darüber hinaus: Einfachheit, Anschaulichkeit,
Breite, Tiefe, Lückenlosigkeit, Präzision, Axiomatisierbarkeit, Anwendbarkeit
...
Alle diese Kriterien reichen zwar nicht aus, die einst erträumte Sicherheit
wissenschaftlicher Erkenntnis wiederherzustellen; sie können aber doch dazu
dienen, wissenschaftliche Hypothesen als zulässig und bewährt, sogar als
zuverlässig oder vertrauenswürdig auszuzeichnen. …
Alles Tatsachenwissen
ist hypothetisch …
Allerdings sollte man aus dieser Einsicht nicht den Schluss
ziehen, wissenschaftliche Erkenntnis sei, weil nicht sicher, im Grunde nur
spekulativ und darum wertlos. Zwischen Sicherheit und bloßer Spekulation liegt
ein weites Spektrum
…
In
der Umgangssprache hat der Begriff „Theorie“
lediglich den Stellenwert einer bisher unbewiesenen, der Bestätigung harrenden
Annahme. Es wird unterstellt, dass erst diese Bestätigung sie in den Rang einer
endgültig gesicherten „Tatsache“
erhebe. Diese Ansicht ist schlicht falsch: Eine wissenschaftliche Theorie ist
weit höherrangig als eine Tatsache. Eine Theorie nimmt Tatsachen nicht nur zur
Kenntnis, sie erklärt Tatsachen, indem sie diese in größere Zusammenhänge
einordnet und zu anderen Tatsachen und Gesetzmäßigkeiten in Beziehung setzt.
(Quelle: Q82 Carroll, S.B.: Die Darwin-DNA, Wie die neueste
Forschung die Evolutionstheorie bestätigt, S.Fischer Verlag, Frankfurt/Main,
2008, S.252f.)
Die Nationale Wissenschaftsakademie der Vereinigten Staaten definiert eine
wissenschaftliche Theorie als „gut belegte Erklärung für einen Aspekt der
Natur, die Tatsachen, Gesetzmäßigkeiten, Schlussfolgerungen und überprüfte
Hypothesen beinhalten kann.“ Wenn Wissenschaftler von der Evolutions„theorie“
sprechen, relativieren sie damit also nicht ihre Unterstützung oder ihr
Vertrauen … sondern sie richten sich nur nach der fachlichen Definition …
Den Unterschied formulierte Papst Johannes Paul II. im Zusammenhang mit der
Evolutionstheorie in einer Aussage, die 1996 in L´Osservatore Romano erschien:
„Neue Befunde haben zu der Erkenntnis geführt, dass Evolution mehr ist als nur
eine Hypothese. Es ist in der Tat bemerkenswert, dass diese Theorie nach einer
Reihe von Entdeckungen auf verschiedenen Wissenschaftsfeldern von den Forschern
zunehmend anerkannt wird. Das weder angestrebte noch künstlich herbeigeführte
Zusammentreffen der Ergebnisse von Arbeiten, die unabhängig voneinander
durchgeführt wurden, ist schon allein ein bedeutsames Argument zugunsten dieser
Theorie.“
Hinsichtlich
der vorstehend benannten grundsätzlichen Vorläufigkeit und Unsicherheit
naturwissenschaftlicher Erkenntnisse ist sicher auch die Unterscheidung
hilfreich zwischen
A) „Präsenz-Wissenschaft“, die sich
mit dem HIER und HEUTE befasst, in der man aktuelle Naturvorgänge wiederholt
beobachten oder im Experiment nachbilden kann,
B) „Fernziel-Wissenschaft“, die sich
mit Vorgängen auseinandersetzt, die zeitlich oder räumlich weit entfernt
stattgefunden haben (Vergangenheit) oder noch bevorstehen (Zukunft), und
C) Naturwissenschaft, die sich mit einmaligen „singulären“ Ereignissen beschäftigt (Beginn des Universums im
„Urknall“, Übergang von unbelebter Materie zu „Leben“, Auftauchen von
Selbst-Bewusstsein beim Menschen) oder die es mit einmaligen und nicht
wiederholbaren in der Geschichte der
Natur abgelaufenen Prozessen zu tun hat (z.B. Evolution).
Und
dass in vielen Fällen eine neue, umfassendere Theorie nicht die alten
Vorstellungen einfach ersetzt, sondern sie als Grenzfall weiter mit enthält
(so bleibt z.B. die Newtonsche Himmelsmechanik als weiter gültige Beschreibung
für Satellitenbahnen in Geltung, wird jedoch für wahrhaft kosmische Dimensionen
um die zusätzlichen Aspekte der Relativitätstheorie erweitert), ist ein starkes
Argument für die Verlässlichkeit der naturwissenschaftlichen Methodik und ihrer
Ergebnisse
Eine letzte Einsicht sei
noch genannt:
Aus naturwissenschaftlichen
Erkenntnissen kann und darf man keine weltanschaulichen Deutungen herleiten
oder sie damit begründen.
Aus den Erkenntnissen der Biologie oder Physik ergeben sich keine zwingenden,
„wissenschaftlich begründeten“ Schlussfolgerungen über den Sinn und das Ziel
des menschlichen Daseins oder ethische Kriterien für menschliches Handeln.
Diese Beschränkung gilt für philosophierende Physiker und Biologen generell,
unabhängig davon, ob ihre Äußerungen mir genehm sind (meine Weltsicht
bestätigen) oder nicht. Auch Nobelpreisträger äußern sich in philosophischen
Fragen nur als nachdenkliche Menschen und können ihrer (privaten) Weltdeutung
nicht mit der Autorität ihrer naturwissenschaftlichen Verdienste größeres
Gewicht verleihen.
1.2.2.3 Eindeutige Begriffe und
Beschreibungen
Um naturwissenschaftliche
Zusammenhänge oder philosophisch-religiöse Überlegungen verständlich
kommunizieren zu können, ist es notwendig, sowohl Begriffe genau zu (er-)klären
wie auch eindeutige Beschreibungen vorzunehmen.
(Quelle: Q46 EKD-Texte
94: Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule; eine
Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover
2008, S.11)
Ein angemessener Umgang mit Schöpfungsglauben und
Evolutionstheorie setzt Einsichten in erkenntnis- und wissenschaftstheoretische
Zusammenhänge voraus
… Als besonders klärungsbedürftig müssen dabei häufig von populären Missverständnissen
begleitete Begriffe wie „Tatsache“, „Beweis“ und „Widerlegung“ (Verifikation
und Falsifikation), „Hypothese“, „Theorie“, „Erkenntnisfortschritt“ usw. gelten.
Programmatisch wird das z.B.
im Lehrplan des Freistaates Sachsen für das Fach RELIGION - in einer sehr
anspruchvollen Auflistung von Stichworten - aufgenommen.
(Quelle: Lehrplan des
Freistaates Sachsen 2004, Fach Evangelische Religion, Gymnasium,
Jahrgangsstufe 11 – Leistungskurs, S.41)
Lernbereich 1:
Religion und Wirklichkeit
… Kennen des Verhältnisses von Wissenschaft und Religion …
Begriffsklärungen:
Wissenschaft, Religion
Vernunft und Offenbarung
Theologie als Wissenschaft
Verhältnis Theologie und Naturwissenschaft
Wirklichkeit, Richtigkeit, Wahrheit und
Perspektivität
Wahrheitstheorien: …
Wissenschafts- und Erkenntnistheorie …
Welterklärung durch Mythos und Logos …
Physik, Metaphysik, Religion in der Antike
Dominanz der Theologie im Mittelalter
Wissenschaftsfeindlichkeit der Kirche
Kirchen- und Religionsfeindlichkeit der Wissenschaft
Nominalismus, Aufklärung …
Glaubensbekenntnisse moderner Naturwissenschaftler …
Pro- und Kontra-Diskussion
(Verweis auf: Interdisziplinarität und
Mehrperspektivität; Reflexion und Diskursfähigkeit)
Aber warum geschieht das nur
im Fach Religion? In den Lehrplänen für Naturwissenschaften wird eine ähnliche
Zielstellung nicht explizit aufgeführt.
Können Religionslehrer das wirklich allein „schultern“, auch von der
naturwissenschaftlichen Seite her kompetent abdecken?
Und warum ist ein solches anspruchsvolles Programm auch hier nur für den
Leistungskurs vorgesehen und nicht für alle Schüler verbindlich?
An
einigen Begriffen und Aussagen aus dem Bereich der Evolutionsbiologie soll
erläutert werden, wie deutungsbedürftig schon die Verwendung scheinbar
allgemeinverständlicher Begriffe sein kann:
Beispiel A) „EVOLUTION“
A1) Der Begriff Evolution
wird vom lat. evolvere abgeleitet. Dazu schlagen Wörterbücher als Übersetzung z.B.
vor: hervorwälzen, heraushelfen, hinaustreiben, auseinanderwickeln,
(Bücherrollen) aufschlagen.
Hier wird vom Wortsinne her intendiert: Da ist schon etwas da, war schon immer
vorhanden, das nur noch in die Welt eintreten muss. Dieses Verständnis widerspricht
aber der Sichtweise der Biologie, derzufolge Lebewesen keinen Plan in sich
tragen, Evolution nicht auf ein vorgegebenes Ziel zusteuert.
A2) Der Begriff Evolution
sollte nur für die Beschreibung von Entwicklung in der Biologie verwendet
werden, da nur hier Faktoren und Mechanismen wie Mutation, Selektion,
Einnischung, Doppelfunktionen, Isolation usw. sinnvoll zugeordnet werden
können. Im Gegensatz dazu wird aber geradezu inflationär auch von kosmischer,
galaktischer, chemischer, molekularer, psychologischer psychosozialer,
kultureller und wirtschaftlicher Evolution gesprochen. Dort wirken aber ganz
andere Mechanismen als im Bereich der Lebewesen.
Das kosmische Geschehen, das Werden und Vergehen von Sternen oder Galaxien,
wird ausschließlich von physikalischen Naturgesetzen bestimmt. Hier hat man es
mit relativ einfachen und gleichartigen Objekten zu tun. Deren Entwicklung
läuft berechenbar-deterministisch ab, auch ihre Zukunft ist klar berechenbar.
Dagegen stellt jedes biologische Lebewesen letztlich ein Unikat, ein so nicht
wiederkehrendes Individuum, dar. Und sein Schicksal, wie auch die zukünftige
Entwicklung des Lebens auf der Erde, ist offen, gewinnt erst endgültig Gestalt
im Wechselspiel von „Zufall und Notwendigkeit“.
In der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft wirken natürliche
Evolutionsfaktoren und –mechanismen nur noch sehr begrenzt. Längst greift der
Mensch selbst regulierend in Naturvorgänge ein, steuert seine eigene
Fortpflanzung, verhindert die natürliche Selektion von krankem oder behindertem
Leben.
A3)
Es sei weiterhin verwiesen auf die Mehrdeutigkeit des Begriffes „Evolution“
auch im engeren biologischen Sinne. Im einfachsten Fall versteht man darunter
die Beobachtung von Veränderungen,
dass nämlich Lebewesen in der Erdgeschichte nicht immer in den gleichen Formen
aufgetreten sind. Manche Arten sind schon vor langer Zeit verschwunden, neue
Arten sind im Laufe der Erdgeschichte neu aufgetaucht. Leben hat sich demnach
in einem geschichtlichen Prozess verändert (= entwickelt).
Die Abstammungsforschung versucht
diesen Prozess zu rekonstruieren (durch Auswertung von Fossilfunden wie auch
durch molekularbiologischen Vergleich von Erbanlagen heute lebender
Organismen).
Eine noch einmal ganz andere Aufgabe besteht darin, Evolutions-Theorien aufzustellen, die erklären können, welche
Ursachen die Veränderungen bewirkt haben.
Beispiel B) „SELEKTION“
Als Synonyme werden hier
z.B. angegeben: Auswahl, Zuchtwahl
(engl. to select = auswählen, aussuchen).
Der Begriff Selektion kann falsche
Assoziationen wecken, die den wirklich in der Natur stattfindenden Vorgängen
nicht gerecht werden.
Die Auswahl, die ein Züchter
vornimmt (und am Vorbild des Züchters orientierte sich Darwin bei seiner ursprünglichen
Begriffswahl), setzt voraus, dass es einen Akteur, „jemanden“ gibt, der auswählt, und dass er das nach vorgegebenen
Kriterien tut, auf ein bestimmtes (Zucht-)Ziel
hin orientiert.
Nach den Vorstellungen der
Evolutionstheorie hat aber die Entwicklung der Lebewesen kein Ziel - und sie
kann und darf es auch nicht haben. Die Umwelt (Klima, Naturkatastrophen,
Einwirkung anderer Lebewesen), in der die Organismen (über-)leben müssen,
ändert sich ständig, sodass eine endgültige perfekte Anpassung nicht möglich
und auch nicht sinnvoll ist. Die Zukunft der Welt und der Lebewesen ereignet
sich einfach und ist in ihren Anforderungen und Ergebnissen offen, nicht
festgelegt.
Beispiel C) „ANPASSUNG“
(engl. to fit, fitness =
Eignung, Zusammenpassen, übereinstimmen, „passen“)
In populärwissenschaftlichen
Darstellungen zu Evolutionsvorgängen liest und hört man häufig Formulierungen,
die sachlich nicht korrekt sind. Das soll an einigen Beispielen verdeutlich
werden.
C1) „Die Lebewesen passen sich an“; „Lebewesen haben sich spezialisiert“
Eine aktive, zielgerichtete Anpassung von Organismen an neue Umwelt-Herausforderungen
ist nicht möglich. Lebewesen können nicht – bei „Bedarf, unter dem Druck ihrer
Umwelt - ihre (Erb-)Eigenschaften oder Verhaltensweisen ändern, zielgenau und
mit der erforderlichen Geschwindigkeit.
Lebewesen können sich auch
nicht vorausschauend auf neue Gegebenheiten einstellen. Sie können nicht
„ahnen“ oder gar „wissen“, welche Eigenschaften in der Zukunft „gebraucht
werden“, morgen von Vorteil wären. Schon buchstäblich am nächsten Tag kann die
(Um-)Welt (z.B. nach einer akuten Katastrophe) die Organismen vor völlig andere
Herausforderungen stellen als heute, kann sie ganz andere Eigenschaften „belohnen“,
und was eben noch „gut“ war, hat sich überlebt.
Es gibt stets nur – gewissermaßen als Glücksumstand für ein Lebewesen - das
rechtzeitige Angepasst-Sein, dass es ihm seine derzeitigen (Erb-)Eigenschaften
heute und in der gerade vorhandenen Umgebung ermöglichen, zu (über-)leben. Neue
Eigenschaften, die in einer sich verändernden Umwelt vorteilhaft sind, trägt
das Lebewesen entweder schon in sich (z.B. als bisher nicht genutzte
Möglichkeit in seinem Erbgut, oder durch eine völlig ungerichtet aufgetretene
Mutation), oder es hat sie nicht, kann sie auch nicht erwerben, und es kommt
dann in der veränderten Umwelt eben schlechter zurecht.
C2) „Die Lebewesen werden (durch Selektion)
angepasst“
Die „Selektion“ ist kein
Akteur, der wie ein Züchter Ziele hätte und der Lebewesen „passend“ machen
könnte, indem er z.B. Erbeigenschaften gezielt verändert.
Die Verwendung des Begriffes „Selektion“ ist lediglich ein Erklärungsversuch
dafür, um (nachträglich) verständlich zu machen, dass die Lebewesen statistisch
die besten Überlebenschancen haben, die am besten für die gerade zur Verfügung
stehende Umwelt geeignet (fit) sind.
C3) „Die Entwicklungsprozesse in der Natur führen zu
immer besserer Anpassung“
Anpassung kann nie perfekt sein, weil die Umwelt, in der ein Organismus
überleben können muss, morgen schon eine andere sein kann.
Und eine perfekte Anpassung könnte sich auch als gefährlich erweisen. Das ist
dann der Fall, wenn eine Art von Lebewesen zwar ideale (Erb-)Eigenschaften für
eine bestimmte Lebenswelt besitzt, die vielleicht über lange Zeiträume stabile
Umweltbedingungen geboten hat. Wenn sich dann aber die Anforderungen der
Lebens-Umwelt (plötzlich) verändern, ist es für das Überleben der Art
notwendig, dass wenigstens einzelne Individuen Variationen aufweisen (z.B.
durch bereits vorhandene Mutationen), durch die sie auch in die neue Umwelt
„passen“.
C4) „Der Mensch (oder irgendein anderes Lebewesen)
ist die Krone der Schöpfung“
Alle Lebewesen, die wir
heute in der Welt finden, sind das derzeit „Beste“, was die Welt zu bieten hat:
Jede Art (über-)lebt in einer der vielen Nischen, die in der Natur bereitstehen.
Sie „passen“ dort – gemessen an möglichen Konkurrenten – derzeit am besten
hinein.
C5) „Survival of the fittest“
(Überleben des Stärksten; besser: Überleben dessen, der am besten mit der Welt
hier und heute zurechtkommt)
Es überlebt nicht immer der
Schnellste, der Stärkste, sondern der, welcher die beste Anpassung an die
gerade angebotene Umwelt schon mitbringt.
Die Welt kann man sich in diesem Zusammenhang wie ein Puzzle vorzustellen.
Viele Steine liegen bereits vor, sind z.T. in festen Zusammenhängen aus der
Vergangenheit miteinander verbunden. Ein Lebewesen, das in die vorhandene Welt
eintritt, muss sich in die vorhandenen Möglichkeiten einfügen (können), muss in
eine der vorhandenen Lücken im Puzzle „passen“. Entweder hat es also
„Ausstülpungen“ oder „Einbuchtungen“, die sich gut in die bereits vorhandenen
Strukturen (Klimabedingungen, Nahrungsangebot, Feinde, Konkurrenten,
Kooperationspartner) einfügen, oder es ist nicht geeignet für diesen
Lebensraum. Eine zusätzliche Herausforderung besteht nun darin, dass die
anderen Puzzlesteine sich allmählich oder durch plötzliche Ereignisse (z.B.
Naturkatastrophen) auch sehr schnell verändern (können). Da kann ein
Puzzlestein, der gestern noch perfekt „gepasst“ hat, plötzlich keinen Halt mehr
finden.
C6) „Ein Lebewesen hat sich durch Mimikri (Nachahmen
der äußeren Merkmale eines anderen Lebewesens) „getarnt“, um zu überleben.“
Die Formulierung „um zu“ legt nahe,
dass das Lebewesen aktiv und gezielt ein Ziel anstreben kann, was nicht der
Fall ist. Ebenso problematisch ist die Formulierung, ein Lebewesen habe eine
Eigenschaft geändert, „damit“ es in
der neuen Umgebung besser zurecht kommt.
C7) Angepasst-Sein
In diesem Verständnis stellt der
Mechanismus des Angepasstseins in der Evolution ein spannendes Wechselspiel dar
zwischen Beharrungsvermögen auf der einen Seite (Festhalten der Lebewesen an
erprobten Baumustern und Verhaltensweisen, garantiert durch die Vererbung der
Gene von Generation zu Generation) und „Neugier“ und Flexibilität auf der
anderen Seite (Auftreten von neuen Erbeigenschaften in jeder Generation =
Mutationen; oder das „Mitschleppen“ bisher nicht genutzter neuer Eigenschaften
gewissermaßen „auf Verdacht“, „auf Vorrat“).
1.2.2.4 Wie erkenntnistheoretische
Fragen
in Schul-Lehrbüchern
aufgenommen werden
„Daran
erkenn ich den gelehrten Herrn!
Was ihr nicht tastet, steht euch meilenfern,
Was ihr nicht fasst, das fehlt euch ganz und gar,
Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr,
Was ihr nicht wägt, hat für euch kein Gewicht,
Was ihr nicht münzt, das, meint ihr, gelte nicht.“
(J.W.v.Goethe: Faust)
Zunächst sei ein Zitat aus
einem Lehrbuch für die gymnasiale Oberstufe wiedergegeben:
(Quelle: (B22
C.C.BUCHNER; Solbach, H.: Vita nova; Biologie für die Sekundarstufe II; Bamberg
2000, S.364f.)
45.4 Widersprüche und
Schwächen der Evolutionstheorie …
Viele Erkenntnisse der
Evolutionsforschung werden noch kontrovers diskutiert. Welches Fazit kann
man am Ende dieses Kapitels ziehen? – Es ging nicht darum, Sie zu
verunsichern und alles, was Sie bisher über Evolution erfahren haben, in Frage
zu stellen. Festzuhalten ist aber, dass viele Bereiche der
Evolutionsforschung kontrovers beurteilt werden. Für die Ursachen der Evolution
gibt es z.B. bisher keine widerspruchsfreie, gültige Theorie. Es ist deshalb
vernünftig, auch Erkenntnisse, die als gesichert gelten, mit Umsicht zu
beurteilen und zu verwenden.
Dieses Lehrbuch, das zuvor
selbst kritische Rückfragen zu den Grenzen naturwissenschaftlicher Erkenntnis
aufnimmt, beendet solche Überlegungen mit einer interessanten Erklärung, die
wohl Schüler (und Lehrer?) beruhigen soll: Verunsicherung war nicht
beabsichtigt!
Aber warum eigentlich diese
Scheu? Ist nicht eine Wissenschaft, die ihre Lücken und Grenzen verschweigt und
damit – für sich selbst und für Schüler - die Illusion umfassender Welterkenntnis
aufbaut, eine viel problematischere Erfahrung?
Ein Lehrer-Handbuch für das
Fach Religion erklärt nun genau dieses ständige Hinterfragen wissenschaftlicher
Theorien zur Aufgabe für Schüler.
(Quelle: R1
VANDENHOECK & RUPRECHT; Koretzki, G.-R., Tammeus, R. (Hg.): Werkbuch
Religion – entdecken, verstehen, gestalten; Materialien für Lehrerinnen und
Lehrer, Göttingen 2002, S.78)
Intentionen
Die Schüler sollen … das ständige Hinterfragen einer wissenschaftlichen
Theorie als Notwendigkeit erkennen und die Vorläufigkeit aller
wissenschaftlichen Theoriebildung reflektieren …
Auch in einer permanenten
Haltung des „alles-ist-vorläufig“ liegt natürlich eine Gefahr: Dann muss ich
das ja auch nicht ganz so ernst nehmen.
Schüler sollen ja aber durchaus im Unterricht die aktuell aus der Sicht der
Naturwissenschaft für richtig befundenen Sachverhalte erst einmal
kennen-lernen, und sie sollen wissen, das vieles davon sich immer wieder
bewährt und bestätigt hat.
Die im Folgenden
dargestellten Erwartungen von Schülern und Lehrern an den naturwissenschaftlichen
Unterricht mögen überzeichnet sein:
Ich meine (und hoffe), neugierige Schüler besuchen den Unterricht in
naturwissenschaftlichen Fächern in der Erwartung, nun endlich zu erfahren, wie
die Welt wirklich „ist“.
Sie möchten wissen, aus welchen Bausteinen die Natur aufgebaut ist, wie ihre
einzelnen Teile zueinander in Beziehung stehen, wie die Welt geworden ist, wie
sie sich verändert hat und wie sie sich verändert.
Der Lehrer soll ihnen die
eine große Geschichte der Natur verständlich darbieten, aufgeteilt in viele
kleine Geschichten - physikalische, chemische, biologische -, die alles
griffig, verständlich und in endgültiger Gewissheit zusammenfassen.
Eindeutige Aussagen werden
erwartet. Der Schüler möchte Tatsachen und Regeln mitgeteilt bekommen, die er
auswendig lernen kann, möchte Formeln kennen-lernen, die den Lauf der Welt
zuverlässig berechenbar machen.
Dieser Erwartungshaltung der
Schüler entspricht ein Lehrerbild, in dem der Unterrichtende ALLES weiß, den
Schülern abfragbares, endgültig gesichertes WISSEN vermitteln, immer klar
zwischen RICHTIG und FALSCH unterscheiden kann.
Für beide Seiten könnte sich
die Motivation vermindern und Verunsicherung könnte sich ausbreiten, wenn der
Lehrer ständig an die Unsicherheiten wissenschaftlicher Erkenntnis erinnern
und seine Darstellungen im Konjunktiv vortragen würde. Warum sollte ein Schüler
noch Merksätze und Formeln lernen, wenn doch alles Wissen nur vorläufig ist?
Man sollte also im
Unterrichts-Alltag den Vorbehalt von der Vorläufigkeit aller wissenschaftlichen
Erkenntnis im Hinterkopf, aber nicht ständig vor Augen haben.
Auf den begrenzenden und
begrenzten Möglichkeiten nicht nur der Naturwissenschaften, sondern aller
menschlichen Erkenntnis wird jedoch in einigen Schul-Lehrbüchern kaum
eingegangen.
Manche Lehrbücher erwecken auch im Jahr 2008 den Eindruck, gesichertes Wissen
zu vermitteln. Formulierungen in der Aussageform dominieren. Die Beweisführung
erfolgt an einem Modell, auch dort,
wo es mehrere konkurrierende gibt. Die geschichtliche Entwicklung
naturwissenschaftlicher Einsichten wird einlinig als gerader Weg von anfänglichen
Irrtümern hin zur „richtigen“ (damit auch als endgültig verstandenen) Erkenntnis
unserer Tage gezeichnet. In dieser vereinfachenden Weise sind die meisten
Lehrbücher geschrieben, die Schüler bis zur 10. Klasse in die Hand bekommen (Sekundarstufe 1). Traut man
Jugendlichen in diesem Alter (noch) nicht zu, sich in einer Welt zurechtzufinden,
die wir Menschen nicht vollständig erkennen können, in der wir (manchmal /
noch) keine (endgültigen) Antworten auf alle Fragen gefunden haben?
Auf der einen Seite ist natürlich der Einwand berechtigt, dass die hier zu
behandelnden Sachverhalte für Schüler in der Sekundarstufe 1 wirklich noch zu
komplex sind.
ABER: Schüler, die nach der
Sekundarstufe 1 (10. Klasse) von der Schule abgehen, oder solche, die Biologie
und/oder Physik nach der 10. Klasse „abgewählt“ haben, erfahren unter Umständen
nie mehr in ihrem Leben etwas darüber, wie wissenschaftliche Erkenntnisse
gewonnen werden und wie sie zu interpretieren sind!
Manchmal werden in den
naturwissenschaftlichen Lehrbüchern die bestehenden fachlichen Unsicherheiten
sprachlich deutlich gemacht. Formulierungen im Konjunktiv zeigen z.B. an,
dass es sich um vorläufige Erkenntnisse (Vermutungen), um den derzeitigen
Stand des Wissens handelt. Auch die Verwendung von Worten wie „glauben“,
„möglich“, „Hinweise“, „versuchen“, „Indizien“, „manche“, „Fragezeichen“ usw.
deuten auf ungelöste Fragen und / oder auf alternative Deutungsmöglichkeiten
hin.
Lehrbücher für die
gymnasiale Oberstufe (Sekundarstufe 2)
gehen mit der Vorläufigkeit und grundsätzlichen Unsicherheit
naturwissenschaftlicher Erkenntnis in der Regel deutlich differenzierter um.
Sie zeigen den mühsamen Weg in der Geschichte der Naturwissenschaften auf, der
in vielen Fällen zu wirklichem (Erkenntnis-)Fortschritt geführt hat, aber
immer auch gepflastert war mit Irrtümern und gegangen von (fehlbaren) Menschen.
Hier sind offenere Formulierungen zu lesen, die den Anspruch (das Missverständnis)
der Ausschließlichkeit und Endgültigkeit vermeiden, manchmal sogar gezielt
abwehren.
Nur selten jedoch werden der
Ansatz der Naturwissenschaften, ihre (methodische) Arbeitsweise, ihre
Erkenntnismöglichkeiten gezielt zum Thema gemacht, wird über die Grenzen
menschlicher Erkenntnis grundsätzlich und systematisch reflektiert, wird
Wissenschafts- und Erkenntnistheorie vermittelt.
Es gibt positive Ausnahmen,
die in den folgenden Teilen dieser Untersuchung (v.a. Teile 2.1 bis 2.3)
ausführlich vorgestellt werden.
Wenige Lehrbücher befassen
sich ausführlich und in geschlossenen Darstellungen mit den eben angesprochenen
erkenntnistheoretischen Fragestellungen.
Vorbildlich erscheint hier das Kapitel „Erkenntniswege der Biologie“, das auf
acht Seiten in der Quelle
·
B32 SCHROEDEL; Linder Biologie, Lehrbuch für die
Oberstufe, Braunschweig, 2005, S.541ff.
abgedruckt ist (Wiedergabe des vollständigen Textes siehe in Kapitel 2.1.2.2).
Weitere Lehrbücher, die
ausführlicher auf Aspekte der Erkenntnistheorie und auf philosophische
Fragestellungen eingehen, sind z.B.
·
P13 METZLER; Grehn, J. / Krause, J. (Hrsg.): Physik,
Schroedel Verlag, Hannover, 1998, S.566ff.
·
P14 SCHROEDEL; Dorn / Bader: Physik Sek II;
Schroedel, Hannover, 2000, S.S.424ff.
·
P16 WESTERMANN; Kuhn, Physik, Band 2 12/13;
Braunschweig, 2004, S.512ff.
und
·
P21 PAETEC; Astronomie, Gymnasiale Oberstufe, Paetec, Berlin, 2001, S.5ff.+213ff.
Ausführliche
Zitate aus den eben aufgeführten Büchern sind in den Teilbänden 2.1 und 2.2
dieser Studie nachzulesen.
Das andere Extrembeispiel
sind Lehrbücher, die knappe Sätze enthalten, in denen eigentlich grundsätzlich
die ganze moderne Erkenntnistheorie enthalten ist – bei denen aber zu klären
wäre, WIE sie wirklich gemeint sind, und OB sich in dieser Kürze ihr vielleicht
tiefer Inhalt für den Schüler tatsächlich erschließt.
Als Beispiel sei hier ein Satz angesprochen, der in der Quelle
·
B12 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie,
Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin, 2005, S.502
steht:
„Eine heute anerkannte
Theorie ist die Abstammungslehre.“
Man kann hier jedem einzelnen Wort Wichtiges unterstellen:
a) EINE (Theorie): Es
gab / gibt demnach offensichtlich noch weitere Theorien als Erklärungsversuche,
die in Konkurrenz standen / stehen und gegeneinander abgewogen und bewertet
werden können.
b) HEUTE (anerkannte
Theorie): Sie spiegelt also den Stand des Wissens mit Datum von heute wider.
Wie jede Theorie unterliegt sie der Prüfung und kann sich möglicherweise
verändern, vielleicht wird sie sich in Zukunft sogar als falsch erweisen, und
sie wird durch eine andere bessere (und wieder nur HEUTE gültige vorläufige)
Theorie ersetzt werden oder in einer umfassenderen Theorie als Spezialfall
aufgehoben werden.
c) ANERKANNTE
(Theorie): Neue Theorien (auch wenn sie einen Sachverhalt besser erklären
können als bisherige Vorstellungen) müssen sich in der Wissenschaftsgeschichte
oft mühsam gegen die etablierten Vorstellungen durchsetzen. Erst wenn wichtige
Vertreter einer Wissenschaft sich den neuen Gedanken öffnen oder wenn mit den
Für-Wahr-Haltern und Bewahrern der althergebrachten Überzeugungen auch die
alten Theorien „aussterben“, werden neue Theorien anerkannt. Aber auch eine
breite Anerkennung durch die Fachwissenschaft bedeutet nicht die (endgültige,
nicht mehr hinterfragbare) Richtigkeit einer Theorie: Mehrheiten müssen auch in
der Naturwissenschaft nicht recht haben!
d) THEORIE: Eine
Theorie ist im modernen Verständnis ein in sich geschlossenes,
widerspruchsfreies Gedankengebäude, das einen Teilaspekt der Wirklichkeit der
Welt erklären kann. Theorien haben dabei ein deutlich höheres Gewicht als die
Vermutungen, Hypothesen, die am Anfang wissenschaftlicher Erkenntnis stehen.
Aber auch umfassende Theorien bleiben Modellvorstellungen, die wir uns von der
Welt machen, und sie sind nicht die endgültig verstandene Wirklichkeit selbst.
Aber ob der Autor den eben
sezierten Satz selbst so komprimiert-tiefgründig gemeint hat und ob der Schüler
beim Lesen merkt, was in der Aussage alles enthalten sein könnte?
Fazit:
In der Summe hat sich die Lektüre
der Lehrbücher in Bezug auf eine differenzierte Wahrnehmung der Möglichkeiten
und Grenzen naturwissenschaftlicher Erkenntnis doch als sehr ergiebig erwiesen.
Für die Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaften ergibt sich in der
Zusammenschau einzelner (oft verstreuter) Zitate ein Gesamtbild, das letztlich
alle Argumente, Prüf-Kriterien und Erkenntnisse enthält, mit denen die moderne
Erkenntnistheorie arbeitet.
1.2.2.5 Horizonterweiterung: Verweis auf weitere
Quellen mit
Hintergrundinformationen zur
Wissenschaftstheorie
Ergänzende Ausführungen zu
wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Fragen aus vielen weiteren Quellen
sind im „Originalton“ als Zitate in
Teilband 4 wiedergegeben.
1.2.3 Die Begegnung mit der Vielfalt der Religionen,
Bibelverständnisse und
Schöpfungsvorstellungen
1.2.3.1 Zum Begriff „Religion“
(Quelle: B12 DUDEN /
PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie, Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin,
2005, S.511)
Sind Evolutionsforschung und Religion vereinbar?
Die Frage, ob
„Evolutionsforschung und Religion vereinbar“ sind, wird in diesem Lehrbuch
gleich zu Anfang des entsprechenden Kapitels und damit programmatisch gestellt.
Die weiteren Darstellungen sollen darauf offenbar eine Antwort geben.
Es ist festzustellen, dass eine Darstellung und Auseinandersetzung im weiteren
Lehrbuch-Text aber nur zu bestimmten Schöpfungsvorstellungen der
jüdisch-christlichen Bibel stattfindet.
Der in der zitierten Quelle
verwendete Begriff „Religion“ hat aber eine viel weiter reichende Bedeutung.
Es gab und gibt viele Formen
von Religiosität, die sich in ganz unterschiedlicher Weise zeigen und äußern.
Es geht bei Religionen nicht nur um das Verständnis bestimmter Aussagen in
Heiligen Schriften (z.B. der jüdisch-christlichen Bibel), was meist vorrangig
im Blick ist.
Religiosität kann sich z.B.
auch in Traditionen zeigen (z.B. Brauchtum).
Zu Religionen können ganz
unterschiedliche Heilslehren, Symbolsysteme, Kulte und Rituale gehören.
Religion (Religiosität) muss auch überhaupt nicht an die Zugehörigkeit zu einer
institutionalisierten Glaubensgemeinschaft, z.B. eine Kirche, oder an
Bekenntnisse bzw. Dogmen gebunden sein.
Weiterhin gibt es große
Weltreligionen, die überhaupt keinen Gott kennen (! - etwa der Buddhismus), bei
denen die Welt keinen Anfang hat und/oder deren Schöpfungsmythen ganz andere
Akteure und Akzente enthalten als die christliche Überlieferung. Eine – formale
– Konkurrenzsituation zu den Darstellungen der Evolutionstheorie muss sich hier
also gar nicht zwingend ergeben.
1.2.3.2 Bibelverständnisse
Verschiedene Menschen können
die gleichen Bibeltexte in ganz unterschiedlicher Weise lesen, verstehen und
auslegen. Es gibt also nicht das eine, für alle Leser oder Hörer gleichermaßen einsichtige,
allein gültige und richtige Bibelverständnis. Es gibt viele verschiedene
Bibelverständnisse. Der Plural ist hier gezielt gewählt. Und er ist angemessen.
Das ist für Außenstehende sicher verwirrend, und auch für manche Christen ist
es eine überraschende Erfahrung, dass andere in diesen Texten ganz andere
Entdeckungen machen. Diese Vielfalt kann schmerzen, sie kann aber auch als
befreiend und bereichernd erfahren werden.
1.2.3.2.1 Wörtliches
Bibelverständnis
Zu Anfang ein Bekenntnis, das
mehr eine nüchterne Feststellung ist:
In meinem Lebensalltag lese und verstehe ich Texte normalerweise „wörtlich“,
nämlich indem ich ihrem Wortlaut folge und vertraue!
Ein wörtliches Verständnis
von Texten, die nicht erkennbar poetisch oder fiktiv sein sollen, ist nicht nur
nahe liegend, sondern eigentlich im Alltag selbstverständlich.
Wenn Menschen einander etwas
Wichtiges mitteilen, dann ist der Adressat gut beraten, sich an den Wortlaut zu
halten. Er kann und muss davon ausgehen, dass er die Worte, die er hört oder
liest, so ernst nehmen soll, wie sie dastehen: dass an dieser Stelle ein ganz
bestimmter Ausdruck gewählt wurde, dass die Worte in einer beabsichtigten Reihenfolge
angeordnet sind, dass Namen von Personen und Orten, Zahlenangaben, geschilderte
Geschehensabläufe usw. exakt wiedergegeben sind. Dass die Geschichten, die wir
einander schon im normalen Alltag erzählen, nicht nur ernst gemeint sind, sondern
auch inhaltlich „stimmen“ (richtige Angaben machen), davon müssen wir ausgehen.
Was man in dieser Weise als wichtige Nachricht erfahren hat, wird man
versuchen, in aller Verantwortung und Detailtreue aufzubewahren, und so auch
anderen Menschen weiterzusagen, vielleicht über Generationen hinweg.
So gehe ich in meinem Alltag mit Texten um - ich lese und verstehe sie
„wörtlich“.
Nun handelt es sich bei der
Bibel um eine Sammlung von Texten, die zwei- bis dreitausend Jahre alt sind.
Aber sie liegen uns schriftlich fixiert vor, in Worten, die wir lesen können
(in der Regel allerdings nur als Übersetzungen). Und so haben Menschen zu allen
Zeiten immer wieder auch diese Texte ganz alltags-normal und unkritisch aufgeschlagen
und darin gelesen. Und sie haben sie wörtlich verstanden. Das, was sie da
lasen, wurde nicht nur (in religiöser Überhöhung) als „wahr“, sondern auch (in
seinen irdisch-sachlich-faktischen Angaben) als „richtig“ verstanden. Über
viele Jahrhunderte ergaben sich dabei keinerlei Widersprüche zu den allgemein
akzeptierten Weltvorstellungen (was z.B. den zeitlichen Horizont der Erdgeschichte
betraf oder die Alltags-Erfahrung einer grundsätzlich unveränderlichen Natur).
Auch heute noch lesen und
verstehen viele Juden und Christen die Texte der Bibel als zeitlos gültige
Botschaften, die sowohl „wahr“ als auch „richtig“ sind. Da es sich hier um
heilige Texte in einer „heiligen Schrift“ (Bibel) handelt, die das Fundament
ganzer Religionsgemeinschaften darstellen, ist für sie das Vertrauen auf die
Verlässlichkeit der übermittelten Geschehnisse und Fakten nicht nur notwendig,
sondern erscheint noch viel bedeutsamer als bei anderen Texten. In dieser Sicht
können und müssen biblische Texte auch von uns heute 1 zu 1 im Wortlaut
verstanden werden. „Das steht doch eindeutig so da“ - und warum sonst hätte
die ganze religiöse Tradition so lange unverrückbar an ihnen festhalten
sollen?
So verständlich dieses
Festhalten am ursprünglichen Wortlaut der Bibeltexte auch ist, es muss sich in
unseren Tagen mit einigen Fragen auseinandersetzen:
Voraussetzung für eine
ideale fehlerfreie Kommunikation, die über Texte stattfindet, ist natürlich,
dass Autor und Leser die „gleiche Sprache“ sprechen, dass sie in der gleichen
Zeit und in der gleichen Kultur zu Hause sind, damit ein unterschiedliches
Verständnis von Vokabeln, Bildern oder Zusammenhängen (wenigstens weitgehend)
ausgeschlossen werden kann. Dies ist aber beim Lesen und Verstehen biblischer
Texte nicht gegeben.
Zwischen der Entstehungszeit
der Texte und uns liegt ein sehr langer Zeitraum. Im Laufe der vielen
Jahrhunderte haben Begriffe ihre Bedeutung verändert, sind damals
selbstverständliche Lebenszusammenhänge für uns kaum noch zu verstehen oder werden
falsch zugeordnet. Natur wurde früher ganz anders erlebt und verstanden (hatte
z.B. göttliche Attribute). Da helfen zum „wörtlichen“ Verständnis auch
ausführliche Wörterbücher nur begrenzt. Wir haben damals nicht gelebt, und das
eigentlich notwendige „Sich-Hineinversetzen“ in die Lebensumstände jener Zeit
ist nur höchst unvollkommen zu leisten.
Man geht heute davon aus,
dass viele Texte, die in der Bibel aufbewahrt sind (v.a. im Alten Testament),
über mehrere Jahrhunderte ausschließlich mündlich überliefert wurden,
weitererzählt vom Vater auf den Sohn oder innerhalb der Priesterschaft. Solche
mündliche Vermittlung kann auf der einen Seite über viele Generationen
erstaunlich exakt sein. Aber die ursprüngliche Fassung der Texte verliert sich
im Nebel der Vergangenheit. Auch die ältesten schriftlichen Aufzeichnungen
sind in der Regel nicht erhalten. Das aber wäre ja der eigentliche Wortlaut,
auf den man sich beziehen müsste. Die ältesten biblischen Texte liegen oft nur
in Gestalt von Fragmenten vor („Schnipsel“, Text-Teile). In der Regel handelt
es sich um Abschriften von Abschriften, die Jahrzehnte oder Jahrhunderte nach
der Erstfassung erstellt wurden. Die Originale, an denen allein man die
Texttreue überprüfen könnte, sind nicht erhalten. Und wo mehrere „Ur-Schriften“
vergleichbaren Alters und vergleichbarer Qualität vorliegen, stehen – z.B. im
Zusammenhang mit dem Lebensalter konkreter handelnder Personen – manchmal
verwirrend voneinander abweichende Angaben. Welche ist dann würdig, mit ihrem
Wortlaut als Bezugsgröße zu dienen?
Ein erhebliches Problem
ergibt sich für den „Normal-Christen“ daraus, dass er gar nicht in der Lage
ist, frühe Originalquellen zu Rate zu ziehen. Die meisten Texte des Alten
Testaments sind ursprünglich in hebräischer Sprache verfasst worden, die des
Neuen Testaments in griechisch. Selbst wer des Hebräischen mächtig ist, hat
massive Verstehensprobleme, weil der Originaltext ohne Überschriften, ohne
Punkt, Komma oder Fragezeichen geschrieben ist, keine Vokale enthält (die dem
Wort erst die richtige Bedeutung geben), keine Hilfsverben kennt, auch keinen
Komparativ und Superlativ, und der andere grammatische Zeitformen verwendet als
das Deutsche (das eine gleiche Wort kann bedeuten, dass ein Vorgang sowohl
früher stattgefunden hat als auch sich derzeit ereignet und dass er für alle
Zukunft stattfinden wird). Die meisten Leser biblischer Texte in Deutschland
sind immer auf Übersetzungen angewiesen. Diese bestehen zwar auch aus Worten,
aber eben aus deutschen, und die können den im Original gemeinten Inhalt im
Idealfall „sinngemäß“ „treffen“, aber sie müssen es nicht. Auch in den in
bester Absicht verfassten „wörtlichen“ Übersetzungen ist es unvermeidlich, dass
Deutungen oder Interpretationen des Übersetzers mitschwingen und den Text
beeinflussen. Das beginnt schon bei der Wahl eines Begriffes aus dem
Wörterbuch, wenn dieses mehrere Entsprechungen für einen hebräischen Begriff
anbietet – hier wird der Übersetzer auswählen und entscheiden, dabei schwingen
seine eigenen biografischen Erfahrungen ebenso mit wie seine theologischen
Grundüberzeugungen. Der Vergleich von verschiedenen soliden deutschen
Bibelübersetzungen macht hier schnell deutlich, wie unterschiedlich die
Übersetzer in manchen Fällen die gleiche Bibelstelle verstanden haben.
Die Frage, die zu klären ist, wenn jemand auf dem „Wortlaut der Bibel“ beharrt,
heißt also nüchtern: Auf den Wortlaut in welcher Sprache in welcher Übersetzung
beziehe ich mich, und was macht mich so sicher, hier das ursprünglich Gemeinte
zu finden?
Trotz all dieser Rückfragen
vertrauen viele Christen auch heute noch darauf, dass die Bibel, deren
Textgehalt sich nicht verändert (hat), im Wortlaut wahr ist und durchgehend
„richtige“ Aussagen auch zu naturwissenschaftlichen Fragestellungen macht. Ein
„Datum“ der Schöpfung vor etwa 6000 Jahren, Adam und Eva als erste Menschen,
das Auftreten einer Sintflut usw. werden (meist wenig reflektiert) als
selbstverständlich akzeptiert. Die meisten Menschen mit solchen
Glaubensüberzeugungen würden sich selbst nicht als „Kreationisten“ bezeichnen
und sollten nicht mit ihnen gleichgesetzt werden – sie teilen mit ihnen
lediglich das wörtliche Bibelverständnis (Genaueres zum „Kreationismus“ siehe
Kap. 1.2.4.2.1).
1.2.3.2.2 Eine grundsätzliche
Problemanzeige
Eine ausführliche und
differenzierte Einführung, wann und in welchem kulturellen Umfeld biblische
Texte entstanden sind und was man beachten müsste, um sie „recht“ zu verstehen,
ihrem wirklichen Sinn auf die Spur zu kommen – eine solche Hilfe hat ein Hörer
oder Leser im Normalfall NICHT zur Hand.
Wenn ein Kind religiös erzogen werden soll, würde man ihm vielleicht biblische
Geschichten einfach (im Wortlaut oder leicht „geglättet“) erzählen oder
vorlesen.
Wenn ein interessierter Zeitgenosse (der ohne jede religiöse Vorprägung von
„außen“ kommt) einfach mal wissen möchte, was Christen denn so glauben – dann
würde man ihm vielleicht eine Bibel (Druckdatum 2009) in die Hand drücken, und
er würde auf Seite 1 zu lesen beginnen, mit der Geschichte von der „Schöpfung“
…
Es gibt auch Biologie-Lehrbücher, in denen Textstellen aus der Bibel als
Randspalte abgedruckt werden.
Darf man biblische Texte in
solcher oder ähnlicher Weise einem Leser kommentarlos „zumuten“?
„Bibeltreue“ Christen, die
sich auf den Wortlaut der Bibel verlassen, werden sagen: Ja, (nur) so ist ein
unmittelbarer, unverfälschter Zugang zum „Wort“ möglich.
Ich halte die unvermittelte
Lektüre in mehrfacher Hinsicht für bedenklich.
Wenn z.B. ein munterer Junge
in der 2. Klasse in der Christenlehre seiner Kirchgemeinde die Geschichte vom
Propheten Jona erzählt bekommt (Bibel, Jona 2,1ff.) – wird er dann nicht
begeistert zu Hause davon berichten, was er heute gelernt hat: Dass große
Fische (Walfische?) Menschen fressen, dass ein Mensch aber im Bauch eines
solchen Fisches drei Tage lang überleben und dann unversehrt wieder ausgespuckt
werden kann!
Wenn ein neugieriger Leser in den ersten Kapiteln der Bibel stöbert und dort
liest von der Entstehung der Welt vor 6000 Jahren (das müsste er mühsam aus den
Angaben in verschiedenen Texten addieren), dass im Ablauf einer Kalenderwoche
der gesamte Kosmos, die Erde, alle heutigen Tier- und Pflanzenarten erscheinen,
dass die Menschheitsgeschichte mit Adam und Eva beginnt, wenig später eine
weltweite Sintflut die gesamte Erde überspült …
Nicht nur ein Kind wird diese eindrücklichen Darstellungen als spannenden
Dokumentarbericht lesen und lebenslang verinnerlichen („So also war das am
Anfang – das berichtet die Bibel!“). Der Schmerz kann tief sein, wenn dann in
der Schule (oder in den Medien) ganz andere Vorstellungen zum Anfang der Welt
vermittelt werden.
Und
der neugierige Atheist, der einmal konkreter wissen wollte, was Christen denn
so glauben, und dem ich einfach mal eine Bibel in die Hand gedrückt habe – ob
er nicht nach Lektüre des ersten Kapitels etwas verwirrt ist und mich fragt:
„Und das glaubt ihr, wörtlich?“ Wenn ich nicht spätestens dann erklären kann, was
meinen Glauben wirklich und außerdem ausmacht und welche Rolle dabei dann auch
die überlieferten Texte spielen, wird er wahrscheinlich an meiner Kompetenz für
den Alltag zweifeln. Wenn er nicht längst fassungslos das Buch weggelegt hat
und es nie wieder in die Hand nimmt, oder in einen Kampf zieht, um solche –
wörtlich eben missverstandenen – Ideen militant zu bekämpfen, wie das z.B.
Richard Dawkins tut (Q71 Dawkins, Richard: Der Gotteswahn,
Ullstein, Berlin, 2008)[1]
Viele Pfarrer – ausgebildete Theologen mit dem nötigen Überblick in Bibelkunde
und Auslegung biblischer Texte – muten oder trauen ihren „normalen“
Gemeindegliedern einen differenzierten Umgang mit biblischen Texten nicht zu.
(Quelle: Q77 Drewermann, Eugen: Glauben in Freiheit, Bd. 3. Religion
und Naturwissenschaft, Teil 1. „Der sechste Tag: Die Herkunft des Menschen und
die Frage nach Gott“, Walter-Verlag Zürich u. Düsseldorf, 1998, S.56-58)
„… veröffentlichte die Päpstliche Bibelkommission
unter PIUS XII. 1948 eine Erklärung an den Erzbischof von Paris … dass man die
Historizität der ersten elf Kapitel der Genesis weder verneinen „noch einfach
bejahen könne“, sie gehörten keiner modernen literarischen Gattung an, und wer
sage, sie seien „nicht historisch“, der lege das Verständnis nahe, sie seien
ohne historische Bedeutung, „wo sie doch in einfachen und bildhaften
Worten, die der Fassungskraft weniger gebildeter Menschen entsprechen, die fundamentalen
Heilswahrheiten wiedergeben und auch in volkstümlicher Weise den Ursprung des
Menschen und des auserwählten Volkes beschreiben.“ …
Papst Johannes Paul II. … erklärte im Weltkatechismus
von 1992 (Nr.390), dass die Geschichte vom „Sündenfall“ (Gen. 3,1-7) zwar eine
bildhafte Sprache verwende, „aber ein ursprüngliches Ereignis bestätigt, eine
Tatsache, die am Beginn der Menschheitsgeschichte stattgefunden hat.“ …
(Drewermann meint
dazu:) „Bildhafte
Geschichten“ können sehr tiefsinnig sein, doch nur, wenn man sie nicht dazu benutzt,
die ganze Menschheit auf dem Niveau von „Wenigergebildeten“ zu halten!
Auch an anderen Stellen in
der christlichen Tradition kommen missverständliche und deutungsbedürftige
Vokabeln aus dem biblischen Sprachgut vor, z.B. in vielen Liedern, die in den
Gesangbüchern stehen, auch in den aktuellsten. Wenn dort von Hölle, Teufel,
Himmelsthron oder Drachen die Rede ist, muss man sich klar machen, dass die
Bedeutung dieser „Worte“ sich in den Jahrhunderten gewandelt hat, und dass sie
eigentlich immer erklärt werden müssten.
1.2.3.2.3 Historisch-kritisches
Bibelverständnis
In der Theologie der großen
christlichen Kirchen in Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten weithin
das so genannte „historisch-kritische Bibelverständnis“ durchgesetzt.
Im historisch-kritischen
Verständnis wird davon ausgegangen, dass man sich mit der Bibel auch
wissenschaftlich („kritisch“) als einem Zeitzeugnis („historisch“ überlieferte
Textsammlung aus der Antike) auseinandersetzen kann.
Aus biblischen Texten
können die zeitgeschichtlichen Umstände der Entstehung, ihr „Sitz im Leben“ für
die damaligen Menschen, erschlossen werden.
In der Bibel legen
verschiedene Menschen Zeugnis ab von ihren persönlichen Glaubenserfahrungen.
Sie reden in einer konkreten Zeit und in einer konkreten Situation, die sie
erleben und die sie geprägt hat. Sie wollen sich gegenüber anderen Menschen in
ihrer Zeit verständlich machen, und sie verwenden dabei die damals
(selbst-)verständlichen Weltvorstellungen.
Für das Verstehen der in der
Bibel überlieferten Texte kann es hilfreich sein, die verschiedenen literarischen
Ausdrucks-Formen von den übermittelten Glaubens-Inhalten zu
unterscheiden. Das Reden von Gott ist für Menschen anders nicht möglich als in
der unvollkommenen Sprache von Bildern, Metaphern, Gleichnissen. Die Art der
literarischen Darstellung hat sich im Laufe der Entstehungsgeschichte der
Bibel immer wieder gewandelt, es finden sich z.B. Lieder, Chroniken, Parabeln,
Paradoxa und Lehrtexte. Der Kern der Glaubensaussagen, die tiefen
Grundwahrheiten, die in immer neuer Weise erlebt und überliefert wurden, blieben
dennoch zeitlos wichtig.
Die Bibel ist in diesem
Verständnis ein Buch des Glaubens, das zum Leben helfen will, das Werte und
Orientierung vermittelt. Die Bibel ist nicht geschrieben und geeignet als
Lehrbuch für den naturwissenschaftlichen Unterricht.
Hier wird das Reden von
Gott als offenes Geschehen verstanden, das nie zu fertigen, endgültigen Antworten
kommt. Man könnte sagen – vergleiche dazu die Aussagen zu den vorläufigen und
revidierbaren Ergebnissen naturwissenschaftlichen Forschens im Kapitel
1.2.2.2 – dass auch der Glaube, auch die Theologie immer neue „Hypothesen über
Gott“ [2] bilden, die stammelnd und stotternd und suchend
in Gleichnissen, in (Sprach-)Bildern wiedergegeben und weitergegeben werden,
die aber unvollkommene Annäherungen bleiben und nie endgültige Wahrheiten -
verstanden als Gewissheiten über Gott und sein Handeln im Sinne von Definitionen
- darstellen. Allerdings gibt es auch hier eine Prüfinstanz: Religiöser Glaube
muss sich genauso wie eine physikalische Theorie im Leben bewähren, er muss
zum Leben helfen.
Im historisch-kritischen
Verständnis ist der Glaube kein abgeschlossenes, sondern immer ein offenes
System. Nicht zu jeder Frage, die sich uns Menschen in dieser Welt stellt,
steht eine endgültige und erschöpfende Antwort in der Bibel (zum Beispiel zu
der Frage, ob wir Gentechnik oder Atomenergie nutzen dürfen). Die Bibel bietet
grundsätzliche Wertmaßstäbe zur Orientierung an – aber der glaubende Mensch
darf und muss in seiner konkreten Lebens-Situation selbst nach Antworten
suchen, Entscheidungen treffen und auch die Verantwortung für sein Handeln
übernehmen.
1.2.3.2.4 Es gibt so viele
Bibelverständnisse,
wie es Christen gibt
Mit dieser Überschrift soll
nur darauf hingewiesen werden, dass die beiden vorstehend behandelten
Bibelverständnisse nicht die einzigen sind und dass viele Christen ihre Erfahrungen
und Einsichten im Umgang mit biblischen Texten dort nur in Ansätzen oder
überhaupt nicht angemessen wiedergegeben finden würden. Manche würden sicher
noch ganz andere Aspekte benennen, die ihnen den Zugang zur Bibel ermöglichen.
Und viele haben wohl noch nie intensiv darüber nachgedacht, dass sie ein „Bibelverständnis“
haben und wie sie es charakterisieren würden.
1.2.3.3 Zum Begriff „Schöpfung“:
Schöpfungsvorstellungen und
Schöpfungsglaube
Fritzchen
kommt aufgeregt aus der Schule nach Hause. Er berichtet vom
Religionsunterricht: „Mutti, jetzt weiß ich, was Gott ist …“ - Die Mutter guckt
neugierig. - „Gott ist ein Trichter!“, sagt Fritzchen stolz. - Die Mutter ist
ratlos: „Hast du da vielleicht was falsch verstanden?“ Der Sohn erzählt noch
ein bisschen, und dann hat sie eine Vermutung: „Hat die Lehrerin vielleicht
gesagt, dass Gott ein Schöpfer ist?“ Fritzchen stimmt zu: „Von mir aus
Schöpfer, aber irgendetwas aus der Küche war´s doch!“
Nicht
nur Fritzchen in diesem Witz dürfte seine Schwierigkeiten mit dem Wort und dem
Phänomen „Schöpfer“ (und „Schöpfung“) haben. Es ist vor allem für Menschen, die
nicht in einer religiös geprägten Umgebung aufgewachsen sind, ein schwieriges,
fremdes Wort, es ist erklärungsbedürftig.
Hier dürfte auch mancher erwachsene „Fritz“, z.B. wenn er Biologie-Lehrer ist,
zunächst überfordert sein.
„Schaffen“ ist in der Bibel ein Verb (hebräisch „bara“), das allein für das
Handeln Gottes vorbehalten ist (daneben wird noch ein zweites Verb verwendet,
„asah“, das etwa mit „machen“ im Sinne von handwerklicher Tätigkeit zu
verstehen ist). „Bara“ wird nie im Zusammenhang mit Menschen als handelnden
Subjekten verwendet - Menschen können nicht schaffen, sie können letztlich
auch nicht verstehen, was sich ereignet, wenn Gott „schaffend“, „schöpferisch“
am Werk ist. Und wenn Menschen dennoch von dem reden oder schreiben, was sie
selbst nicht (hervorbringen) können und verstehen, können sie nur stottern,
stammeln, Vermutungen („Hypothesen“!) in menschlichen Bildern äußern. In diesem
Sinne sind biblische Darstellungen immer unvollkommene und deutbare Versuche,
Unverstehbares verständlich zu machen.
Das
Verb, das im Deutschen zum Substantiv „Schöpfung“ und zum „Schöpfer“ gehört,
heißt „schaffen“, und wird heute in diesem Zusammenhang nur noch stark
konjugiert: „schuf“, „geschaffen“. Manchmal liest man auch in seriösen
Publikationen noch die veraltete Sprachform, nach der Gott „schöpfte“ oder
„geschöpft hat“.
Wenn in der Bibel von
„Schöpfung“ die Rede ist, dann meint das ein Geschehen, das wohl am (und „im“)
Anfang aller Dinge (als tragendes Fundament, als sinngebender Urgrund) eine
Rolle spielt, aber „Schöpfung“ findet auch hier und heute statt und sie wird
sich in alle Zukunft hinein weiter ereignen.
Die Vorstellung, dass es nur
um einen einmaligen Akt des Hervorbringens in der Vergangenheit gehe, und dass
seitdem keine grundlegenden Änderungen mehr stattgefunden haben (z.B. eine
„Konstanz der Arten“ bei Lebewesen vorliegt), war in der Vergangenheit und ist
auch heute noch bei vielen Menschen (glaubenden und nicht-glaubenden!) weit
verbreitet. Sie verengt jedoch die Weite des Begriffes „Schöpfung“ und führt
bestenfalls zu Missverständnissen.
Ein Beispiel:
(Quelle: B11 CORNELSEN
/ VOLK UND WISSEN; Biologie plus, Klasse 10 Gymnasium, Sachsen, Berlin, 2006,
S.102ff.)
(Randspalte) Schon gewusst?
Schöpfungslehren gehen davon aus, dass die Lebewesen durch ein
oder mehrere höhere Wesen geschaffen wurden.
Hier wird zunächst
ausgesagt, dass (die Lebewesen) geschaffen wurden, Schöpfung demnach als
ein Ereignis verstanden, das in der Vergangenheit liegt und abgeschlossen ist
(zeitlich und im Ergebnis). Eine solche Vorstellung entsprach und entspricht
tatsächlich dem Verständnis, das manche Christen haben und das auch so gelehrt
wurde und wird. Aber: Nicht alle Schöpfungsvorstellungen sind in dieser Weise
festgelegt. Es gab immer in der Tradition der Kirche auch das Reden von der
„creatio continua“, der Schöpfung, die fortdauert, in der Gott in der
Geschichte weiter handelt und in der fortwährend Neues entsteht.
Es sind auch nicht nur „die Lebewesen“, um die es in der „Schöpfung“ geht, im
jüdisch-christlichen Verständnis gehört dazu die gesamte materielle Welt, also
auch Wasser und Steine und Himmelskörper (Sonne, Mond und Sterne). Gott hat
„Himmel und Erde“ geschaffen, damit ist die ganze Welt gemeint, auch der
„Himmel“ gehört zu den Geschöpfen.
In den folgend
wiedergegebenen Zitaten wird als Ursache für manche Missverständnisse zwischen
Schöpfungsglaube und Naturwissenschaft vermutet, „dass die Naturwissenschaft
wahrscheinlich von Anfang an einen falschen Schöpfungsbegriff“, dass man dort
„eine „sehr defiziente Schöpfungstheologie“ hatte.
(Quelle: Q18 Horn,
S.O., Wiedenhofer, S. (Hrsg.):Schöpfung und Evolution – Eine Tagung mit Papst
Benedikt XVI. in Castel Gandolfo; Sankt Ulrich Verlag, Augsburg, 2007)
S.129
(Vincent Twomey in der Diskussion:)
Das Problem ist, glaube ich, dass die Naturwissenschaft wahrscheinlich von
Anfang an einen falschen Schöpfungsbegriff hatte , dass nämlich Gott als
Lückenbüßer verstanden wurde…
S.133
(Christoph Kardinal Schönborn in der
Diskussion:)
Viele der Probleme, die in der jetzigen Diskussion aufgeworfen werden und die
schon bei Darwin sehr deutlich zu sehen waren, rühren daher, dass man in
diesen Kreisen eine sehr defiziente Schöpfungstheologie hatte,
gegen die man dann zu Felde zog …
Abgesehen von dem abschätzigen Tonfall („in diesen Kreisen“ – genannt wird Darwin): Das ist schon starker Toback! Denn wenn jemand für die (Auf-)Klärung des Verständnisses von „Schöpfung“ zuständig ist, kann das nur die Theologie sein. Und die Theologie war es doch, die (zu) lange ein wörtliches Schöpfungsverständnis hatte (inklusive Konstanz der Arten), es gelehrt und verteidigt hat, ein Verständnis, von dem sie heute meint, dass es falsch gewesen sei. Dann kann man aber nicht gemäß dem Motto „Haltet den Dieb!“ die Naturwissenschaftler für die Auseinandersetzungen um das neue Weltbild (Kopernikus) oder um die Geschichte der Lebewesen (Darwin) verantwortlich machen! Sie sind den (falschen) Vorgaben der Theologen in deren Zuständigkeitsbereich lange Zeit tapfer gefolgt und haben sich mit schlechtem Gewissen und in mühsamen Kämpfen dagegen zur Wehr gesetzt und das Missverständnis „aufgeklärt“.
Ein
weit verbreitetes Verständnis, aus dem sich viele Kontroversen herleiten
lassen, ist dennoch, dass unter „Schöpfung“ ein Datum verstanden
wird, das in der Vergangenheit liegt, und ein Zustand, der von (einem)
Gott einmal hergestellt worden ist und der sich grundsätzlich im Laufe der
Geschichte nicht mehr ändert, und der auch die „Konstanz der Arten“, die
Unveränderlichkeit der biologischen Arten, umfasst. Dieses Verständnis war
(auch) unter Theologen lange Zeit weit verbreitet, und es ist von vielen
Menschen, auch von Naturwissenschaftlern, von ihnen übernommen und als
„sachlich richtig“ verstanden und akzeptiert worden.
Charles Darwin setzt sich übrigens nur unter diesem Gesichtpunkt kritisch mit
den „Schöpfungsgläubigen“ auseinander:
(Q7 Darwin, Ch.: Die Abstammung des
Menschen und die Zuchtwahl in geschlechtlicher Beziehung, Reclam, Leipzig
o.J., Bd. II, S.92):
„... so habe ich doch
wenigstens, ich hoffe es, ein gutes Werk verrichtet, indem ich dazu beigetragen
habe, das Dogma der besonderen Schöpfungsakte zu stürzen.“
(Q8 Darwin, Ch.: Die Entstehung der
Arten durch natürliche Zuchtwahl, Reclam Leipzig 1980, S174ff.):
(Zebra, Esel, Pferderassen)
„Wer da glaubt, dass alle Pferdearten unabhängig voneinander erschaffen wurden
... Dieser Ansicht huldigen, heißt meines Erachtens eine reale Ursache für eine
unreale oder wenigstens unbekannte zu opfern. Sie würdigt die Werke Gottes
zu Trug und Täuschung herab; ich möchte dann fast ebenso mit den alten unwissenden Kosmogonisten
annehmen, dass die fossilen Muscheln nie Leben bargen, sondern im Stein
erschaffen wurden, um die an der Seeküste lebenden Schaltiere nachzuahmen.“
Auch ein bedeutender christlicher
Theologe der Gegenwart erschließt gerade aus dem Text der ersten
„Schöpfungsgeschichte“, dass ein Gegensatz von Schaffen und Entstehen daraus
nicht abzuleiten ist:
(Q36 Westermann,
Claus: Genesis, Kapitel 1-11, Teil 2, Evangelische Verlagsanstalt Berlin 1985, S.172ff.)
(Zum ersten Kapitel der Bibel – zum dritten „Schöpfungstag“, an dem die
Pflanzen geschaffen werden: Gen1,11):
„Und Gott sprach: Es
ergrüne die Erde in Grünem!“ – Gottes Wort gibt jetzt die Schöpfermacht ab,
d.h. das Wort wird zur Anordnung an das zuvor Geschaffene, selbst das weitere
Neue entstehen zu lassen. … (in Gen.1,12 geschieht es dann: „Und die Erde
ließ frisches Grün sprossen …“)
Damit aber, dass an dieser Stelle das Schaffen Gottes für das Entstehen
offen ist, ist ein grundsätzlicher Gegensatz von Schaffen und Entstehen nicht
mehr möglich und nicht mehr nötig. …
„Die Erde brachte hervor“.
Was als Gebot formuliert „es ergrüne die Erde in Grünem“ hieß, wird in der
Ausführung mit einem anderen Verb genannt: „die Erde bringe hervor“. Dasselbe
Verb wird mit dem gleichen Subjekt dann noch einmal Gen.1,24 gebraucht, hier
in der Formulierung des Befehls: „Die Erde bringe lebende Wesen hervor.“ Dieses
„Hervorbringen“[3] ist
zunächst einfach so gemeint: „etwas, was darinnen ist, herauskommen lassen“. Die
Pflanzen sind in der Erde, und die Erde lässt sie herauskommen … Dahinter
steht die über die ganze Erde verbreitete Vorstellung von der „Mutter Erde“,
der Erde als Gebärerin alles Lebendigen und auch aller Vegetation;
Die beiden Verse können beispielhaft zeigen, wie das Reden von der Schöpfung
nur in der Folge verschiedener Darstellungsweisen möglich ist; die (in diesem
Text) in der Mitte stehende und eigentlich gemeinte Darstellung der Erschaffung
der Pflanzen durch das Wort des Schöpfers schließt weder die uralte
Vorstellung des Entstehens (des Lebens) aus der Erde noch das später
aufkommende Fragen nach der Art und Weise des Entstehens aus
Noch ein letzter
interessanter „Zeuge“ sei benannt.
In seinem „Kleinen Katechismus“ von 1529 meditiert und erläutert Martin Luther,
was für ihn der erste Artikel im christlichen Glaubensbekenntnis aussagt, der
in knapper Form den Inhalt des ersten Kapitels der Bibel zusammenfasst:
(Q64
Martin Luther: Der Kleine Katechismus (1529), Erklärung zum ersten Artikel des
christlichen Glaubensbekenntnisses)
Der erste Artikel: Von der Schöpfung
Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und
der Erde.
Was
ist das?
Ich glaube, dass mich Gott
geschaffen hat samt allen Kreaturen,
mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne
gegeben hat und noch erhält;
dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind,
Acker, Vieh und alle Güter;
mit allem, was not tut für Leib und Leben, mich reichlich und täglich
versorgt,
in allen Gefahren beschirmt und vor allem Übel behütet und bewahrt;
und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohn
all mein Verdienst und Würdigkeit: für all das ich ihm zu danken und zu
loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin.
„Schöpfung“ meint danach
nicht, dass ich in einer alten Geschichte nachlesen kann, was sich „damals“
(vor langer Zeit und als einmaliges Geschehen) abgespielt hat (im Sinne einer
dokumentarischen Schilderung). „Schöpfung“ ist etwas, was MICH HIER
und HEUTE in meiner Existenz betrifft!
Überraschenderweise spielen
beim Nachdenken über „Schöpfung“ für Martin Luther Kosmos, Gestirne, Tiere,
Pflanzen oder „der“ Mensch überhaupt keine Rolle (wie sich das eigentlich vom
Wortlaut des ersten Glaubensartikels her nahe legte).
Das Nachdenken über Schöpfer und Schöpfung beginnt bei Luther mit seiner
eigenen Existenz, seinem ICH: „Schöpfung“ ist überhaupt nur spannend, weil
ich sie er-leben, dabei sein kann, es geht zentral um mich und nicht um große,
aber letztlich abstrakte Dinge wie etwa die ganze Welt oder den Anfang von
allem.
(Q68
Christian Schwarke / Roland Biewald: Weltbilder – Menschenbilder; Themenhefte
Religion, Ev. Verlagsanstalt Leipzig, 2003, S.27)
„Für Luther ist Schöpfung vor allem eine
Beziehungskategorie. Die Dinge erweisen sich insofern als Gottes Schöpfung,
als sie von Gott für mich geordnet sind. Die Welt wird als Teil einer
Dreierbeziehung (Gott – Mensch – Welt) zur „Schöpfung“, insofern ihr ein Sinn
zukommt.“
Der Glaube bringt mir
Vergewisserung, DASS Gott MICH gewollt hat (das ist eine Aussage des
Vertrauens, des Glaubens – keine naturwissenschaftlich nachweisbare Tatsache).
Dann folgt aber gleich die
Einordnung in den Zusammenhang. Es geht nicht allein um mich. Gott hat mich
neben viele andere Geschöpfe gestellt, ich bin Geschöpf unter Millionen Arten
von anderem Leben. Der Mensch ist Geschöpf - und kein Halbgott.
Nun folgt noch eine
Ergänzung – dass Gott seine Schöpfung auch jetzt noch erhält. Das macht klar:
das Nachdenken über Schöpfung ist nicht vorrangig an der Vergangenheit
orientiert, an der Frage nach den Ursprüngen, sondern Schöpfung erlebe ich
hier und heute. Schöpfung geschieht ständig neu. Wenn eine Knospe sich öffnet,
wenn ein Kind geboren wird, kommt eine neue Farbe in die Welt.
Weiter ist Luther dankbar
dafür, dass Gott ihm „Vernunft und alle Sinne gegeben hat“, seinen Verstand und
seine Gefühle. Die forschende Neugier und der erklärende Verstand sind
Begabungen, die auch Christen dankbar nutzen dürfen. Naturwissenschaft zu
betreiben, wenigstens deren Erkenntnissen offen zu begegnen, ist für Christen
nicht verboten.
Luther sagt, dass Gott ihm
auch Kleider und Schuhe gegeben hat. Das ist natürlich Reden in Bildern, und
es wäre in wörtlichem Verständnis miss-verstanden. Sicher wusste Luther, wo
sein Schuster wohnt und wer seinen Mantel genäht hatte, ihm war klar, dass da
menschliche Fertigkeiten unverzichtbar waren. Aber er wollte mit diesem Bild
(„gegeben von Gott“) deutlich machen, dass für ihn – in seinem Verständnis, in
seiner Erfahrung - die Zuwendung Gottes bei allem Lebenswichtigen dazukommen
muss, damit sein Leben gelingen kann.
Und das Bekenntnis zum Schöpfer mündet bei Luther in Dankbarkeit und Verantwortung
- für sein eigenes Leben und für die Welt.
Dieses
Schöpfungs-Verständnis Luthers ist bis heute das Verständnis der evangelischen
Kirche geblieben:
(Quelle: Q46 EKD-Texte 94: Weltentstehung,
Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule; eine Orientierungshilfe
des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2008, S.10f.)
Der Dank für das gegenwärtige Wirken Gottes ist die in der Bibel bei weitem
dominante Form des Bekenntnisses zum Schöpfer. …
Beispielhaft ist die Sicht Martin Luthers in seiner
Auslegung des Ersten Artikels im Kleinen Katechismus. Luther denkt – ganz auf
der Linie der biblischen Texte – von der Aktualität des göttlichen Schaffens
her … die Erhaltung der Welt durch Gott realisiert sich als aktuelles Schaffen
in einem nicht einfach als abgeschlossen zu betrachtenden Prozess (creatio
continua). …
Dass ich Gottes Geschöpf bin, erfahre ich nicht in
Spekulationen über die erste Sekunde des Universums, sondern darin, dass ich
mir des Geschenkcharakters meiner eigenen Existenz bewusst werde. …
Im folgenden Lehrbuch-Zitat
wird darauf aufmerksam gemacht, dass biblische Texte dem Geschehen in der Welt
eine (Be-)Deutung geben wollen:
(Quelle: B12 DUDEN /
PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie, Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin,
2005, S.511)
Entstehung des Lebens – ein Rätsel?
Viele Wissenschaftler haben sich bemüht, die Entstehung des Lebens und die
Existenz der Vielfalt der Arten aus z.T. sehr unterschiedlichen Ansätzen heraus
zu erklären. Auch die in der Bibel dargestellte Schöpfungsgeschichte stellt
eine Art Deutung dar.
Es
ist richtig, dass die Schöpfungsgeschichte der Bibel „eine Art Deutung“ der
Welterfahrung des Menschen darstellt. Das meint aber, dass mit diesem Text
nicht vorrangig eine naturwissenschaftliche Erklärung der Zusammenhänge und
Abläufe in der Natur vermittelt werden soll, sondern dass der Welt eine
Bedeutung gegeben wird. Der Mensch erfährt, dass die Existenz der ganzen (wohl
geordneten) Welt, aber auch sein eigenes Dasein, einen (tragenden) „Grund“,
einen Sinn und ein Ziel haben, und dass ihm eine Aufgabe in dieser Welt
zugewiesen ist. Das kann man nur „glauben“, aber nicht „wissen“ und „beweisen“.
Eine solche Welt-Erfahrung und Welt-Deutung kann Vertrauen und Geborgenheit
vermitteln.
(Quelle: Q78 chrismon 4/2008 S.11, Interview mit Friedrich Schweitzer)
In den
Schöpfungserzählungen geht es um das Geschenk, das Gott den Menschen gemacht
hat, und darum, dass ich mich Gott als meinem Schöpfer verdanke – nicht nur vor
ewigen Zeiten, sondern immer.
(Ist die Schöpfungserzählung also metaphorisch gemeint?)
Nein, sie stimmt so wie die Feststellung: Ich liebe dich. Da ist etwas
tatsächlich geschehen, auch wenn es empirisch-rational nicht nachprüfbar ist.
Der Satz
„Ich liebe dich“ ist grammatisch-logisch korrekt. Er hat ein handelndes
Subjekt, einen Adressaten, und der beschreibt eine Beziehung zwischen beiden.
Und doch lässt sich sein (objektiver) Wahrheitsgehalt nicht wissenschaftlich
überprüfen und beweisen.
Dass
in den biblischen Geschichten auch die Weltbildvorstellungen der damaligen Zeit
- die biblischen Texte entstanden vor 2500 bis 3000 Jahren - ihren Niederschlag
gefunden haben (müssen), ist klar. Zusätzlich muss man aber wissen, dass auch
innerhalb der Bibel ganz unterschiedliche Weltbilder aufbewahrt sind, die
nebeneinander stehen bleiben „durften“, eben weil es nicht wichtig war, hier
zwischen „richtig“ und „falsch“ zu entscheiden, sondern die wichtigeren
(Glaubens-)Aspekte aufzubewahren, die zeitlos gültig blieben, „verpackt“ in
den unvollkommenen und zeitbedingten deutenden Erzählungen konkreter Menschen.
Ein
Fachtheologe für das Verstehen des „Alten Testaments“ schrieb zu der Frage, wo die
Kirche im Aufbruch der Naturwissenschaft versagt habe:
(Q48 Westermann,
Claus: Schöpfung; Kreuz Verlag Stuttgart 1979, S.13f.)
Man hatte aus dem Erzählen von der Schöpfung
und dem Lob des Schöpfers eine Lehre von der Schöpfung gemacht. Das
bedeutete eine Festlegung, etwa auf die sieben Tage des Schöpfungswerkes oder
auf bestimmte Vorstellungen, wie etwa des Himmels als eines festen Körpers. Dies
war ein schweres Missverstehen des Redens von Schöpfer und Schöpfung in der
Bibel. Für dieses ist gerade charakteristisch, dass es erzählend ist, und
zwar von verschiedenen Standorten her, die verschiedene Vorstellungen
ermöglichen …
Niemals wird im Alten Testament vom Glauben an den
Schöpfer gesprochen, niemals begegnet ein Satz wie etwa: „Ich glaube, dass die
Welt von Gott geschaffen ist“ …
Der Grund dafür ist leicht zu sehen: Eine andere Möglichkeit der Weltentstehung
gab es für die Menschen des Alten Testaments nicht. Die Schöpfung war für sie
kein Glaubenssatz, weil es dafür keine Alternative gab. Anders gesagt: Sie
hatten darin ein anderes Wirklichkeitsverständnis als wir, dass es für sie eine
andere als von Gott gesetzte Wirklichkeit nicht gab. Sie brauchten nicht zu
glauben, dass die Welt von Gott geschaffen ist, weil das eine Voraussetzung
ihres Denkens war.
Dass der biblische Text über
„Schöpfung“ in seiner Entstehungszeit durchaus auf dem aktuellen Stand der
Wissenschaft war, wird in folgendem Zitat aus einem Biologie-Lehrbuch in
Erinnerung gerufen:
(Quelle: B12 DUDEN /
PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie, Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin,
2005, S.514)
Der Schöpfungsbericht war aber dennoch für seine Zeit eine enorme
Erkenntnis, denn die Reihenfolge der Schöpfung von Erde und Lebewesen beruht
schon auf einer „wissenschaftlichen Auseinandersetzung“ mit der Entstehung des
Lebens (Erde und Gestirne, Atmosphäre und Wasser, Wasserlebewesen, Lebewesen
des Landes, Mensch)
Die
Abfolge, in der das Schöpfungsgeschehen in der Bibel geschildert wird, erinnert
(ahnungsvoll) in groben Zügen durchaus an die Geschichte der Welt, wie sie uns
auch die moderne Naturwissenschaft erzählt (Licht, dann Himmel und Erde, später
Wasser, Pflanzen, Tiere, Menschen).
Das Verständnis von
„Schöpfung“ wird in manchen Lehrbüchern verengt auf das wörtliche Verständnis
der Darstellungen im ersten Kapitel der jüdisch-christlichen Bibel. Dort ist
zu lesen, dass Gott im Laufe von sechs Schöpfungs-„Tagen“ am Anfang der Welt
zunächst die kosmische Ordnung gestaltet, Lebensräume wie Land und Meer und
Luftraum einrichtet, und dann Lebewesen in die Welt bringt, Pflanzen, Tiere
und Menschen, jedes „nach seiner Art“. Aber kann man diesen Text als
scheinbaren „Dokumentarbericht“ direkt in unsere Zeit übertragen?
Man muss z.B. sehr
vorsichtig sein, den hier verwendeten Artbegriff gleichzusetzen mit der
modernen Definition von „Art“ in der Biologie (die auch heute noch umstritten
ist). Und wenn die Bibel vom Rhythmus von „Tagen“ spricht, in denen sich die
Schöpfung vollzieht, dann ist auch hier Vorsicht angesagt: An anderer Stelle
in der Bibel, im Psalm 90, steht z.B., dass für Gott „tausend Jahre wie ein
Tag“ sind – vielleicht darf hier also auch an lange Epochen in der Weltgeschichte
gedacht werden …
Die Ausführungen im ersten
Kapitel der Bibel sind nicht alles, was in der Bibel zu „Schöpfung“ gesagt
wird. Die Schönheit der Welt und die Bedrohung durch Naturgewalten, der
Auftrag an den Menschen, die Erde zu erforschen und zu nutzen („Macht euch die
Erde untertan“ – das beinhaltet auch die Ermutigung, Naturwissenschaft zu
betreiben!), aber auch Verantwortung für die Mitgeschöpfe zu übernehmen - diese
und viele andere Aspekte begegne(te)n Menschen beim Lesen der Bibel und
stellen ihnen Fragen im täglichen Leben hier und heute.
Der Begriff „Schöpfung“ wird
heute oft auch in einer nicht religiösen Öffentlichkeit in einem sehr
allgemeinen Verständnis gebraucht, wenn es etwa um ethische Fragen oder um
Umweltverantwortung geht. Dann stellt er oft ein (gehobenes) Synonym dar für
das Reden von Natur, Erde, Welt oder Leben.
Verfassung des
Freistaates Sachsen vom 27.Mai 1992, Präambel
..von dem Willen geleitet, der Gerechtigkeit, dem
Frieden und der Bewahrung der Schöpfung zu dienen...
Die
in vielen Lehrbüchern vermittelte Vorstellung von (religiös verstandener)
„Schöpfung“ ist einseitig, geprägt allein aus der Geschichtserfahrung und dem
Blickwinkel des christlichen Europas.
Es
gibt wichtige Weltreligionen, die nicht von einer (einmaligen) Schöpfung
erzählen. Der Lauf der Welt wird zum Beispiel im Hinduismus nicht als eine
geschichtliche „Linie“ verstanden, auf der Entwicklung stattfindet (wie etwa im
jüdisch-christlich-abendländischen Denken), sondern vollzieht sich in ewigen
Kreisläufen. Und viele Schöpfungserzählungen aus anderen Kulturkreisen und
Religionen befassen sich allein mit der Herkunft des Menschen. Das Entstehen
der Pflanzen und der Tiere wird nur selten dargestellt:
(Quelle: Q45 Claus Westermann: Schöpfung und
Evolution, Zeitwende 53 (1982) 3, S.146ff.
… bei den Naturvölkern wird fast nur von der
Menschenschöpfung erzählt, die Weltschöpfung kam erst in den Hochkulturen zur
Bedeutung. Auf diesem Unterschied beruht die Gliederung in Naturwissenschaften
und Humanwissenschaften. …
… ist zu beachten, dass die Gliederung von
Pflanzen und Tieren in Arten nicht zu den überkommenen
Schöpfungstraditionen gehört; sie begegnet außerhalb der Bibel nirgends.
…
Pflanzen wurden in den
Kulturen des Altertums gar nicht als „richtige“ Lebewesen verstanden (Sonne, Mond
und Sterne dagegen schon, weil sie sich „bewegen“). Und die Fülle der
mikroorganismischen Lebewesen ist überhaupt nicht „im Blick“: Sie waren vor der
Erfindung des Mikroskops schlicht nicht zu sehen.
Der Glaube daran, dass die
Welt Schöpfung Gottes ist, von ihm gewollt und getragen ist, das Vertrauen
darauf ist im christlichen Glauben tief verwurzelt. WIE Gott wirkt und handelt,
können Menschen nicht verstehen und auch naturwissenschaftlich nicht „wissen“.
Und so stellt der Schöpfungsglaube keine Theorie dar, die eine naturwissenschaftliche
Alternative sein könnte, um die Geschichte der Natur besser und „richtiger“ zu
erklären, als das die Biologie in aller Vorläufigkeit und Unsicherheit
versucht.
(Quelle: Q50 Heller, Bruno:
Naturwissenschaft und die Frage nach der Religion; EZW-Texte Impulse Nr.28, Evangelische Zentralstelle für
Weltanschauungsfragen, Stuttgart 1989)
Die Vorstellung von „der Natur“ ist dem Alten Testament völlig fremd; es
besitzt nicht einmal ein Wort für das, was die Griechen als „physis“
bezeichneten.
1.2.3.4 Die Vorstellung von der
„Konstanz der Arten“
Unter
„Konstanz der Arten“ versteht man die Vorstellung, dass alle ganz unterschiedlichen
Formen („Arten“) in der Tier- und Pflanzenwelt von Anfang an bis heute unverändert
so existiert haben, wie wir sie heute erleben. Wirkliche Veränderungen oder
„Entwicklung“ habe es in der Geschichte der Lebewesen nicht gegeben.
Die
Vorstellung von der „Konstanz der Arten“ war nie Bestandteil einer spezifischen
kirchlichen „Lehre“, eines „Bekenntnisses“ oder ein „Dogma“!
Diese Ansicht war weit verbreitet.
Sie
legte sich zum einen von der Alltagserfahrung her nahe: Die Nachkommen von Lebewesen
ähnelten immer mehr oder weniger stark ihren Eltern.
Die
Vorstellung von der „Konstanz der Arten“ vertrat die Kirche genauso wie der
„heidnische“ Philosoph Aristoteles, wobei dessen Vorstellungen sicher eigenen
Überlegungen entstammten und nicht
von jüdischen Schöpfungsvorstellungen beeinflusst waren. Diese waren
Jahrhunderte älter und in einem ganz anderen Kulturkreis beheimatet.
Und nicht nur die Kirche, sondern auch die Biologen waren bis ins
19.Jahrhundert hinein von dieser Vorstellung überzeugt.
(Quelle: Q17 Ernst Haeckel: Die Welträthsel,
Alfred Kröner Verlag Stuttgart, 1899, S.96)
Carl von Linné (1735):
„Es gibt so viele verschiedene Arten von Tieren und Pflanzen, als im Anfang
verschiedene Formen von dem unendlichen Wesen erschaffen worden sind.“
(Quelle: B24 DUDEN /
PAETEC Schulbuchverlag; Duden Biologie, Gymnasiale Oberstufe, Berlin, 2005,
S.358ff.)
Bis zu Beginn des 19. Jh. herrschte auch bei
Biologen die Lehre von der Konstanz der
Arten vor.
1.2.4 Ideologien mit
Alleinerklärungsanspruch
In der Geschichte der Naturwissenschaft
und der Kirchen hat in den letzten 150 Jahren eine Frage immer wieder hohe
Wellen geschlagen: Wie begegnen sich christlicher Schöpfungsglaube und die
Evolutionstheorie der Naturwissenschaften? Sind sie wie Feuer und Wasser als
einander feindliche Elemente, und ist Kampf und Auseinandersetzung
unausweichlich? Geht es dabei um die Wahrheit,
um die Entscheidung für die richtige
Sicht der Welt? Oder können die beiden Erfahrungsbereiche auch nebeneinander
bestehen und sich in einem sinnvollen (wenn auch manchmal streitbar zu führenden)
Gespräch gegenseitig anregen und bereichern?
Immer wieder wird die
Meinung vertreten, hier gebe es nur ein Entweder/Oder, es gehe um einen
heiligen Krieg über Gut ODER Böse, Richtig ODER falsch.
Das Thema dieser Auseinandersetzung nimmt auch in den betrachteten
Biologie-Lehrbüchern einen relativ breiten Raum ein.
Im Folgenden sollen zwei Extrempositionen, der „Kreationismus“ wie auch sein
Widerpart, der „Evolutionismus“, dargestellt und eingeordnet werden.
Zunächst seien jedoch einige
Erläuterungen zum Begriff „Ideologie“ gegeben:
1.2.4.1 Zum Begriff „Ideologie“
(Quelle: Q51 Ewald,
Günter: Naturwissenschaftliche und religiöse Ideologien; EZW-Texte Impulse
Nr.35, Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen,
Stuttgart 1993)
S.2
Die Bezeichnung „Ideologie“ taucht zum ersten Mal in
Frankreich zur Zeit der französischen Revolution auf. Eine Gruppe von Gelehrten
und Philosophen versuchte im Gefolge der Aufklärung, eine Psychologie des Menschen
aus biologischen und physiologischen Tatsachen abzuleiten. Die Bewusstseinsinhalte
oder Ideen eines Menschen entstehen danach aus wissenschaftlich
beschreibbaren „Empfindungen“, aus bloßer Sinnlichkeit.
Religiöse Bezüge spielen dabei keine Rolle mehr. Von einem der Gelehrten, Destutt
des Tracys, stammt die Bezeichnung „Ideologie“. Er nennt Ideologie
ausdrücklich einen Teil der Zoologie. Die Gruppe der „Ideologen“ wollte
nicht nur eine akademische naturwissenschaftliche Psychologie entwickeln,
sondern auch Grundlagen für politisches Handeln schaffen. … Allgemeiner sollte
ein Weltbild geschaffen und in das Erziehungswesen eingebracht werden,
durch das ein gesellschaftlicher Konsens und soziale Harmonie verbürgt wird. …
Marx verstand sich nicht in erster Linie selbst als Ideologe, sondern betrieb
Ideologiekritik. Er sagte: Ideologie ist nicht die Bemühung von Einzelpersonen
um Natur- und Gesellschaftsverständnis. Sie ist der geistige Überbau einer
Klassengesellschaft, die entfremdete Bewusstseinsform, die in der jeweiligen
Stufe gesellschaftlicher Entwicklung die sozialen Widersprüche aufrechterhält,
begründet und legitimiert. Ideologie ist nicht falsches Bewusstsein eines
richtigen Seins, sondern richtiges Bewusstsein eines falschen Seins. Geändert
werden muss das Sein, dann wird auch das Bewusstsein neu …
Allerdings sieht Marx die Aufgabe der
Philosophen nicht nur in einer Interpretation, sondern in der Veränderung, im
Überwinden von ideologischem Überbau, letztlich im Durchsetzen einer
Ideologie der klassenlosen Gesellschaft. Das heißt, er möchte zu einer
Art Erlösungsideologie beitragen, die in der Überwindung der
Klassengesellschaft zur Identität von Sein und Bewusstsein führt, zur
Überwindung der Entfremdung des Menschen von den Produkten seiner Arbeit. Ideologie
und Wahrheit werden dann identisch … Marx ist Ideologiekritiker und
Ideologe zugleich …
Lenin … forderte eine von der Partei verfasste Weltanschauung,
nach der sich nicht nur Ökonomie, gesellschaftliches Leben und Kultur zu
richten hatten, sondern auch die Wissenschaft. Bürgerliche Wissenschaft
ist nach Lenin an den Bewusstseinszustand des Bürgertums gebunden, dialektische
Wissenschaft hat dagegen andere Grundlagen und kommt zu anderen Ergebnissen.
…
S.4
Ideologie ist der Versuch, Wahrheit in intellektuell verstehbaren Sätzen zu
formulieren und die formulierte Wahrheit für absolut und verbindlich zu
erklären …
Normen, die man setzt, politische Grundsatzentscheidungen, die
man trifft, werden auch ohne Ideologie immer Ausdruck von nichtrationalen
Überlegungen sein. Ideologisch werden sie erst dann, wenn sie sich auf
unabdingbare wissenschaftliche Notwendigkeit berufen. Meist ist das
verbunden damit, dass Wissenschaft selbst als Instrument verstanden wird, mit
dem man absolute Wahrheit formulieren kann, das heißt, Wissenschaft wird selbst
ideologisiert.
S.6
Physiker St. Hawking, 1988 Buch
„Eine kurze Geschichte der Zeit“;
Der Untertitel des Buches lautet: „Die Suche nach der Urkraft des Universums“ …
„Mein Ziel“, sagt Hawking, „ist ein vollständiges Verständnis des
Universums, warum es so ist, wie es ist, und warum es überhaupt existiert.“
Die Antwort zu finden, „wäre der endgültige Triumph der menschlichen
Vernunft.“
Mit seiner wissenschaftlichen Autorität strahlt Hawking eine Hoffnung
aus, die nicht durch die Physik selbst gedeckt ist. Wendet man radikal
kritisches Denken an, so lautet, wie ich meine, das Fazit: Es wird keine
Weltformel geben, und die Rede von ihr ist Ideologie. Der erhoffte Triumph,
sie zu finden, ist Illusion und zeigt eine Hybris, einen Machtanspruch
naturwissenschaftlichen Denkens an, der sich niemals einlösen lässt.
Penrose[4] weist zunächst auf die Schwierigkeiten
hin, die schon in der mathematischen Seite einer Theorie verborgen liegen.
Bereits 1931 hatte der österreichische mathematische Logiker Gödel bewiesen,
dass jedes formale mathematische System mit ausgefeilten Axiomen und
Ableitungsregeln Aussagen hervorbringt, die sich im System weder beweisen noch
widerlegen lassen. Dieser Satz ist bereits für die Mathematik eine Katastrophe.
Viele ahnen nicht, auf welch wackeligem logischem Fundament die Mathematik
aufgebaut ist, entgegen der verbreiteten Vorstellung, in der Mathematik sei
doch alles klar.
S.8
Bemerkenswert ist, wie das fundamentalistisch-kreationistische
Wissenschaftsverständnis dem Leninschen sehr ähnlich ist. Für Lenin liegt das
Paradigma in der Klassenzugehörigkeit, die als Sein das Bewusstsein bestimmt,
für die Kreationisten liegt es in der Zugehörigkeit zur Gruppe der (in ihrem
Sinne) Bibelgläubigen bzw. Nichtbibelgläubigen, mit erleuchtetem oder nicht
erleuchtetem Bewusstsein. In beiden Fällen handelt es sich um blanke
Ideologie. …
„Ideologie“ ordnen wir zunächst politischen,
naturwissenschaftlichen und religiösen Versuchen zu, absolute Wahrheiten zu
formulieren und Herrschaft daran zu knüpfen. …
Ideologien sind … niemals von vornherein als Unterdrückungsinstrument
erfunden worden; sie waren stets vom Willen geprägt, Wahrheit und Klarheit zu
schaffen, Wege zum Besseren anzubieten. Die Rigorosität aber, mit der sie
erschienen, verkehrte die guten Absichten in ihr Gegenteil. Die Mächte, die
Hilfe anbieten sollten, begannen ein Zerstörungswerk …
(Quelle: Q51 Ewald, Günter:
Naturwissenschaftliche und religiöse Ideologien; EZW-Texte Impulse Nr.35, Evangelische Zentralstelle für
Weltanschauungsfragen, Stuttgart 1993)
Hier sei noch eine zweite
Stimme zur inhaltlichen Bestimmung des Begriffes „Ideologie“ wiedergegeben:
(Quelle: Q60 BROCKHAUS
ENZYKLOPÄDIE in 24 Bd., 19., völlig neu bearb. Aufl.,
Bd. 10 (Herr – Is), Mannheim: Brockhaus, 1989, S. 374)
Ideologie
... in den
allgemeinen Sprachgebrauch aufgenommener Begriff, der in wörtl. Entsprechung
zunächst Wissenschaft von den Ideen, dann aber auch System oder Menge von
Ideen, schließlich die Anordnung und das Hervorbringen von Vorstellungen zur
Interpretation der Welt in einer bestimmten (z. B. interessegeleiteten und
damit verfälschten) Sichtweise bedeutet.
Schon diese versch. Schattierungen weisen darauf hin, dass es für die
Begriffsbestimmung von I. keine eindeutige Definition gibt, dass es sich
hierbei vielmehr um ein operatives Konzept handelt, das in jeweils
unterschiedlichen histor. und polit. Situationen, in der allgemeinen Sprache und
in und in unterschiedl. wiss. Fragestellungen und gesellschaftstheoret.
Entwürfen eine jeweils eigene Gestalt, einen eigenen Begriffsumfang und eine je
nach Standort versch. Wertzuschreibung erfahren kann. Eine allen Verwendungsweisen
von I. mag darin bestehen, dass es sich bei der Beschäftigung mit I. jeweils um
die Betrachtung des Verhältnisses einer Vorstellungswelt zu einer - wie
immer aufgefassten - wirklichen Welt handelt; es geht also um die
Betrachtung von Ideen, Aussagen, Welt- und Denkmodellen im Hinblick auf ihre
gesellschaftl. (gruppenspezifischen) histor., polit. oder ökonom. Grundlagen
und Auswirkungen, wobei die Zuordnungen und Erklärungen, nicht zuletzt die
Bewertungen dieser Relation (anhand von Kriterien wie Wahrheit, Angemessenheit,
Notwendigkeit oder Plausibilität) große Unterschiede aufweisen können. Die
Frage nach der I. zielt also auf >den Zusammenhang von Bewusstsein und
Gesellschaft< (H.-J. Lieber) ...
Im allgemeinen Sprachgebrauch hat der Begriff I. eine negative Färbung, insoweit
als unter I. eine unbegründete, willkürl. oder durch Interesse verzerrte,
keineswegs also allgemeingültige (gar >richtige<) Deutung der
Wirklichkeit im Lichte des jeweils eigenen (also partikularen) Ideensystems
verstanden wird. In diesem Sinn werden als I. auch die weltanschaul. Lehren
bezeichnet, deren Anerkennung durch die Bevölkerung in totalitären Systemen
erzwungen wird. Mitunter dient der Begriff I. auch zur Bez. einer praxisfernen,
an einer >reinen Lehre< orientierten und deshalb unzureichenden oder
verfälschenden Auffassung der Wirklichkeit.
Im wissenschaftsorientierten, aber auch im polit. Gebrauch lassen sich
dagegen ein krit., ein neutraler und ein positiver I.-Begriff unterscheiden.
...
(Quelle: Q60 BROCKHAUS ENZYKLOPÄDIE in
24 Bd., 19., völlig neu bearb. Aufl.,
Bd. 10 (Herr – Is), Mannheim: Brockhaus, 1989, S. 374)
In der hier vorliegenden
Studie wird ein kritisches Verständnis von Ideologie zugrunde gelegt.
eine Ideologie
·
ist allein zuständig für die Erklärung und Deutung der Wirklichkeit
·
hat erschöpfende und absolut gültige, endgültige Antworten auf alle
Fragen, verwaltet ewige Wahrheiten
·
vertritt immer die richtige Sicht der Dinge – das ist für sie
eine Frage des „Standpunktes“ (oder es ist z.B. „Glaubenssache“)
·
sieht die ganze Welt als ENTWEDER/ODER,
etwas ist entweder schwarz ODER weiß, etwas kann nur richtig sein ODER es ist
falsch
·
hat eine erstarrte Weltanschauung, die nicht (mehr) offen ist für
neue Einsichten und Fragen nicht zulässt;
entgegenstehende Tatsachen müssen ausgeblendet, Widersprüche ignoriert werden
einige Kennzeichen für Ideologien
·
verräterisch: „...ISMUS“
·
Berufung auf wichtige Schriften, Lehrsätze (Dogmen), Autoritäten
(Lehrer, Führer)
· Feindbilder (gut ODER böse)
· Kompromisslosigkeit, Polemik, Kampf
(Herrschaft, Macht)
1.2.4.2 „Kreationismus“ und
„Intelligent Design“
1.2.4.2.1 Kreationismus
Da der Begriff
„Kreationismus“ sicher für manche Leser ein Fremdwort ist, sei mit zwei
Definitionsversuchen aus Biologielehrbüchern begonnen:
Kreationismus (lat. creatio Schöpfung):
Annahme, dass die einzelnen Arten getrennt erschaffen worden seien und eine
Evolution nicht stattgefunden habe …
(B32 S.541 Glossar)
Kreationismus:
Weltbild, das auf dem Axiom beruht, dass die Schöpfungsgeschichte der Bibel
einen tatsächlichen Ablauf beschreibt
(B29 S.453 Glossar)
Andere Glossar-Definitionen (B25 S.458; B28 S.482) geben pauschal
als Konfliktlinie die Alternative „Evolution“ ODER „Schöpfung“ an. Das
geschieht auch in dem folgend zitierten Lehrbuch:
(Quelle: B14 DUDEN /
PAETEC; Biologie, Gymnasium, 10, Sachsen, Berlin 2007, S.157)
Gegenwärtig ist in den USA der Kreationismus (als „intelligent
design“) weit verbreitet. Er basiert auf der Schöpfungsgeschichte der Bibel.
Der amerikanische
Kreationismus wird dadurch charakterisiert, dass er „auf der Schöpfungsgeschichte
der Bibel basiert“. Genauer müsste aber mitgeteilt werden: Er basiert auf einem
bestimmten, am Wortlaut orientierten Bibelverständnis, mit dem Aussagen zur
Schöpfung in der Bibel gelesen werden. Dies aber nicht etwa das einzig mögliche
Schöpfungs- und Bibelverständnis ist – es handelt sich hier um eine von vielen
Auffassungen (siehe dazu Kapitel 1.2.3), und diese spezielle „Lesart“ ist auch
innerhalb der christlichen Kirchen heftig umstritten.
Dem „Kreationismus“ wird –
in der öffentlichen Diskussion wie auch in vielen Biologie-Lehrbüchern -
übermäßig viel Interesse entgegengebracht, was vielleicht auch aus der
aktuellen Debatte zu erklären ist.
Dahinter kann übersehen
werden, dass christlicher Schöpfungsglaube nicht nur vom Kreationismus
vertreten wird und sich viele Christen und die großen Kirchen in Deutschland
auch ganz anders zur Evolutionstheorie positionieren.
Der „Kreationismus“ im
engeren Sinne ist ein Phänomen vor allem in christlichen und hier der
protestantischen Kirchen. Weniger reflektiert gibt es ihn aber auch im Judentum
und im Islam.
Die
Auseinandersetzung mit dem „Kreationismus“ spielte schon vor dreißig Jahren
eine ähnliche Rolle wie heute. In der DDR erschien z.B. 1983 eine 60-seitige
Ausarbeitung:
·
Q69 Boost, Ch., Gensichen, H., Pfeiffer, G.: Ist der
Kreationismus haltbar? Thesen gegen einen neuen Anti-Evolutionismus in der Kirche;
Kirchliches Forschungsheim Wittenberg, 1983, Selbstverlag
In
Westdeutschland ging ein für Hochschulen erarbeiteter Lehrbrief des Deutschen
Instituts für Fernstudien an der Universität Tübingen zum Thema EVOLUTION
(1982) ausführlich mit etwa 40 Druck-Seiten auf das Phänomen ein:
·
Q10 Deutsches Institut für Fernstudien der
Universität Tübingen, Fernstudium Naturwissenschaften, EVOLUTION, Heft 3:
Theoretische Grundlagen der Evolution, Tübingen, 1986, S.18ff., 191ff.
„Kreationismus“ ist ein
„Etikett“, das (zu) schnell allen Menschen „aufgeklebt“ wird, die aus Glaubensgründen
(Bibelverständnis) und von ihren theologischen Überzeugungen her kritische
Anfragen an das moderne naturwissenschaftliche Weltbild haben.
Nicht alle von ihnen sind aber wirklich „Kreationisten“.
Mit einigen Originalzitaten, die von deutschen (gemäßigten) Kreationisten
aufgeschrieben wurden, soll zunächst versucht werden, wichtige Charakteristika
zu benennen:
(Quelle: Q38 Junker,
R.; Scherer, S.: Evolution – Ein kritisches Lehrbuch, Weyel-Verlag Gießen,
1998, S.273f.)
Die Schöpfungslehre
(„Kreationismus“) ... geht davon aus, dass die Heilige Schrift nicht nur
in Fragen Schöpfung, sondern auch bezüglich des Ursprungs von physischem Tod,
Leid und Katastrophen in der Schöpfung für die Rekonstruktion der
Geschichte der Lebewesen relevant ist. Die in den ersten 11 Kapiteln des
Genesisbuches (dem ersten Buch der Bibel) geschilderte „biblische
Urgeschichte“ wird als reale Menschheitsgeschichte verstanden und für das
Verständnis der Geschichte des Lebens vorausgesetzt. Demzufolge werden Adam
und Eva nicht nur als historische Personen, sondern auch als die Stammeltern
der Menschheit aufgefasst. Ebenso werden der Sündenfall und die Sintflut
als geschichtliche Ereignisse angesehen....
Die Lebewesen sind in getrennten taxonomischen Einheiten erschaffen worden...
Die Grundtypen wurden (geologisch gesehen) gleichzeitig ins Dasein gerufen....
Den Tod - auch in der Tierwelt - gibt es erst seit dem Sündenfall des
Menschen...
Die biblisch bezeugte Sintflut war eine weltumspannende Überflutung ...
Wo sich die Bibel konkret
äußert (Geschehensabläufe, Zeiträume, naturkundliche Mitteilungen), ist das
nicht nur heilsgeschichtlich verbindliche Wahrheit, die zu glauben ist, sondern
solche Angaben sind auch als naturwissenschaftlich zu lesende Aussagen
verbindlich. Für alle in der Bibel genannten Fakten können
naturwissenschaftliche Beweise gesucht (und gefunden) werden.
In der Lesart des sogenannten „Kurzzeit-Kreationismus“ beträgt das Alter des
Universums etwa 6000 Jahre. Die Errechnung erfolgt anhand der Lebensdaten der
Menschen und geschichtlicher Ereignisse, die in der Bibel vorkommen (nach der
Berechnung des christlichen Bischofs Ussher fand die Schöpfung der Welt 4004
v.Chr. statt, der jüdische Gelehrte Hillel legte das Datum des Welt-Beginns auf
das Jahr 3761 v.Chr. fest.).
Adam und Eva waren die
ersten Menschen.
Kosmos, Erde, Pflanzen, Tiere und Menschen sind „am Anfang“ in sechs Kalendertagen
geschaffen worden.
Verschiedentlich wurde (auf diesem Hintergrund konsequent) in den USA
gefordert, im Biologie- und Physikunterricht in der Schule alternativ zu den
gängigen Theorien zur Entstehung der Welt und des Lebens auch die
Schöpfungsgeschichten der Bibel zu behandeln – als wissenschaftlich
aus-gedeutete Vorstellungen.
Die (gemäßigten) deutschen
Kreationisten gehen mit ihrem in einem wörtlichen Bibelverständnis verankerten
Denkansatz nicht nur auf Distanz zum Entwicklungsgedanken in der Biologie,
sondern auch zum etablierten Bibelverständnis der modernen Universitätstheologie
und vieler Christen in Kirchgemeinden (andere stehen zumindest in ihrem
Bibelverständnis den Kreationisten sehr nahe):
Hier einige
aktuelle Aussagen deutscher gemäßigter „Kreationisten“ zu ihrem Verständnis
von Bibel und Natur:
(Quelle: Q73 Ullrich,
Henrik; Junker, Reinhard (Hrsg.): Schöpfung und Wissenschaft – Die
Studiengemeinschaft WORT UND WISSEN stellt sich vor; Hänssler Verlag
Holzgerlingen 2008)
Bei WORT UND WISSEN ist die
biblische Schöpfungslehre Bestandteil des Fundaments der ersten unbewiesenen
Voraussetzung, der verbindlichen Wahrheit biblischer Gottesoffenbarung. Dieses Fundament
steht für sie unverrückbar fest. Hierin kann es keine Annäherung an naturalistische
Evolutionslehren geben.
Die biblischen
Schilderungen der Urgeschichte im Buch Genesis (1.Mose) sind historisch
zuverlässig. … Die biblische Urgeschichte beinhaltet
allgemeinverständliche, wirkliche Beschreibungen grundlegender Ereignisse
der Schöpfung und Urzeit.
Biblische
Schöpfungsaussagen enthalten naturwissenschaftlich relevante Elemente …
… Alter des Lebens in
der Größenordnung von ca. 10.000 Jahren
Wir gehen davon aus, dass Grundtypen
aller Lebewesen als klar voneinander getrennte Formen in der Schöpfungswoche
erschaffen wurden.
Die Studiengemeinschaft
WORT UND WISSEN vertritt
eine Schöpfungslehre, die nicht nur gegenüber der Evolutionslehre, sondern
darüber hinaus auch gegenüber einer historisch-kritischen Textauslegung der Bibel
in der modernen Theologie eine kritische Position einnimmt.
Dadurch sind zwangsläufig viele Konflikte zwischen Theologen und Gemeinde
oder zwischen Religionslehrer und Schüler vorprogrammiert.
Einige neuere Äußerungen aus
der katholischen und der evangelischen Kirche sollen abschließend deutlich
machen, dass hier in der Auseinandersetzung mit dem Kreationismus durchaus
kritische Töne überwiegen – und Offenheit gegenüber den Einsichten der
Evolutionsforschung da ist.
Zunächst einige Stimmen aus dem katholischen Bereich:
(Quelle: Q34 die tageszeitung Berlin 25.10.96)
Papst Johannes Paul II.:
(Botschaft an
die Mitglieder der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften:)
„Neue
Erkenntnisse führen zu der Feststellung, dass die Evolutionstheorie mehr als
eine Hypothese ist.“
(Quelle:
P23 PAETEC; Dieter B. Herrmann; Faszinierende Astronomie; Paetec, Berlin, 2000)
Unter Papst JOHANNES PAUL II. wurde
eine Überprüfung des Falls GALILEI eingeleitet, die 1992 – im 350. Todesjahr
des Gelehrten – zu dessen Rehabilitation durch die Kirche führte.
Der Papst erklärte in diesem Zusammenhang vor der Päpstlichen Akademie der
Wissenschaften, der Fall GALILEI könne der Kirche die bleibend aktuelle
Lehre für ähnliche Situationen sein: „Galilei, der praktisch die experimentelle
Methode erfunden hat, hat dank seiner genialen Vorstellungskraft als Physiker
und auf verschiedene Gründe gestützt verstanden, dass nur die Sonne als Zentrum
der Welt, wie sie damals bekannt war, ... infrage kam. Der Irrtum der
Theologen von damals bestand dagegen am Festhalten an der Zentralstellung der
Erde in der Vorstellung, unsere Kenntnis der Strukturen der physischen Welt
wäre irgendwie vom Wortsinn der Heiligen Schrift gefordert. ... Tatsächlich
beschäftigt sich die Bibel nicht mit den Einzelheiten der physischen Welt,
deren Kenntnis der Erfahrung und dem Nachdenken des Menschen anvertraut
wird."
(Quelle: Q18 Horn, S.O.,
Wiedenhofer, S. (Hrsg.):Schöpfung und Evolution – Eine Tagung mit Papst
Benedikt XVI. in Castel Gandolfo; Sankt Ulrich Verlag, Augsburg, 2007, S.149)
Papst Benedikt XVI.:
… zu zeigen, wo die Fragen sind: dass es nicht darum geht, sich entweder für
einen Kreationismus zu entscheiden, der
sich der Wissenschaft grundsätzlich verschließt, oder für eine
Evolutionstheorie, die ihre eigenen Lücken überspielt und die über die methodischen
Möglichkeiten der Naturwissenschaft hinausreichende Fragen nicht sehen will.
Es geht vielmehr um dieses Zusammenspiel von verschiedenen Dimensionen der Vernunft,
in dem sich auch der Weg zum Glauben
öffnet.“
(Quelle: Q18 Horn,
S.O., Wiedenhofer, S. (Hrsg.):Schöpfung und Evolution – Eine Tagung mit Papst
Benedikt XVI. in Castel Gandolfo; Sankt Ulrich Verlag, Augsburg, 2007, S.84ff.)
(Vortrag Kardinal
Schönborn)[5]
Die „kreationistische“ Position basiert auf einem Bibelverständnis, das die
katholische Kirche nicht teilt. Die erste Seite der Bibel ist nicht ein
kosmologischer Traktat über die Weltentstehung in sechs Sonnentagen. Die
Bibel lehrt uns nicht, „how the heavens go, but how to go to heaven“. …
Das im Folgenden zitierte
Lehrbuch für den Religionsunterricht, das von der Lehrbuchkommission der
Deutschen Bischofskonferenz zugelassen wurde, stellt gewissermaßen eine „kirchen-amtliche“
katholische Stellungnahme für den Schulgebrauch dar.
(Quelle: R3 PATMOS;
Zeichen der Hoffnung, Patmos Düsseldorf, 2002, S.40)
Außer ein paar Fundamentalisten – vor allem in den
USA – glaubt heute niemand mehr, dass die Welt vor ca. 6000 Jahren in sechs
Tagen geschaffen wurde, dass Gott den Menschen aus Ackerboden geformt und Eva aus der Rippe
des Adam gebildet hat oder dass der Tod erst durch die Sünde in die Welt
gekommen sei. Aber das verlangen die Texte auch nicht. Sie sind nicht das
Zeugnis einer restlos veralteten
Auffassung, die Christen heute noch für richtig ansehen sollen. Sie sind
nicht Dokumente vergangener Weltbilder, die wider besseres Wissen zu
akzeptieren wären. Die biblischen Texte konkurrieren nicht mit den Naturwissenschaften. Sie tun etwas,
was die Naturwissenschaften nicht leisten können und wollen. Sie entwerfen Bilder des Glaubens, die nicht Realität
exakt beschreiben, sondern Sinn erschließen. Es geht ihnen nicht um
Entstehung, Alter, Größe und Gesetze dieser Welt, sondern um Welt und Mensch in
der Perspektive Gottes.
Hier seien noch einige
Beiträge aus evangelischer Sicht aufgeführt:
(Quelle: Q19 Huber, Wolfgang (Bischof
und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland), Bericht des
Rates der EKD - Teil A, (6. Tagung der 10. Synode der EKD, Dresden, 04. - 07.
November 2007)
Heute hat man manchmal den Eindruck, das Rad solle in die Zeit der
Entdeckungen der "Himmelsphysik" zurückgedreht werden. Unter den
Namen "Kreationismus" und "Intelligent Design" werden Debatten
angestoßen, die längst überwunden schienen. Dabei wird mit biblischen
Texten in einer Weise umgegangen, als habe es die Entwicklung der Theologie
insbesondere in ihrer durch die Reformation angestoßenen wissenschaftlichen
Gestalt nie gegeben. Das geschieht unter anderem auf die Weise, dass die
biblischen Schöpfungsberichte zu einer quasiwissenschaftlichen
Welterklärungstheorie gemacht werden. …
Der "Kreationismus" tritt mit der Forderung auf, dass in den Schulen
nicht die Evolutionstheorie, sondern eine biblische Weltanschauung
unterrichtet wird. Der Glaube an den Schöpfer wird so zu einer pseudowissenschaftlichen
Weltanschauung; dieser Glaube selbst soll nämlich das zutreffende Wissen
über die Entstehung und Entwicklung der Welt vermitteln. Mit dieser
Verkehrung des Glaubens an den Schöpfer in eine Form der Welterklärung hat die
Christenheit immer wieder Schiffbruch erlitten. Indem ein zur Weltanschauung
missdeuteter Glaube an die Stelle der wissenschaftlichen Vernunft treten sollte,
wurde in Wahrheit das Bündnis von Glaube und Vernunft aufgekündigt.
Deshalb ist aus Gründen des Glaubens ein klarer Widerspruch notwendig, wenn
die biblischen Schöpfungserzählungen in einem solchen
"kreationistischen" Sinn missbraucht werden. …
… ideologischer Missbrauch des christlichen Schöpfungsglaubens, wie er im
Kreationismus und in der Lehre vom "Intelligent Design" vorliegt
…
(Quelle: Q4 Bohl,
Jochen, Bischof der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, Pastor@lbrief Februar
2008)
Im Pastor@lbrief vom vergangenen August hatte ich
mich mit dem Verhältnis von Schöpfungsglauben und naturwissenschaftlichen
Aussagen zur Entstehung der Welt beschäftigt und geschrieben: „Glaube und
Wissenschaft konkurrieren eben nicht in dem Sinne, dass man sich entscheiden
müsste, ob man das eine oder das andere zur Grundlage der Welterkenntnis
erklärt. Vielmehr geht es um sich ergänzende Zugänge zu unterschiedlichen
Aspekten einer umfassenden Wirklichkeit. Die Wissenschaft sucht sie zu
erkennen, der Glaube will sie deuten.“ Diese Formulierung richtete sich
gegen eine radikale Naturalisierung des Menschen, wie sie von einigen
Vertretern der Evolutionsbiologie (so z. B. Richard Dawkins, dessen Buch sich
seit einigen Monaten sehr gut verkauft) propagiert wird; und gegen die
„Mutation“ naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zu einer Weltanschauung.
Nun wird man andererseits aber sagen müssen, dass
auch der aus den USA kommende Kreationismus die Unterscheidung der Sphären
von Glauben und Wissen nicht zu akzeptieren bereit ist. Es gibt ihn in
verschiedenen Erscheinungsformen, denen es gemein ist, dass ein
unüberwindlicher Gegensatz zwischen dem Schöpfungsglauben und
naturwissenschaftlicher Welterkenntnis gesehen wird, weil die biblischen Texte
über die Erschaffung der Welt als göttliche Offenbarung und zugleich als
naturwissenschaftliche Aussagen verstanden werden. So kommt man zu
Behauptungen, die den Erkenntnissen der Naturwissenschaften, wie sie an den
Universitäten getrieben werden, diametral entgegenstehen: die Erde sei weniger
als 10000 Jahre alt, die Lebewesen seien von Gott so geschaffen worden, wie sie
noch heute sind (evolutionäre Entwicklungsprozesse habe es also nicht gegeben)
und die Sintflut sei ein Ereignis in Raum und Zeit gewesen, ein Datum der
Erdgeschichte.
Weil der Kreationismus unter unseren Gemeindegliedern
in den letzten Jahren einige Aufmerksamkeit gefunden hat, erscheint
theologische Klärung nötig.
Die dahinter stehenden Argumente sind m. E. nicht
überzeugend und führen in unauflösbare Widersprüche. Überdies würden sie
einen Abbruch des Gesprächs mit den Naturwissenschaften bedeuten. Das wäre aber
in Anbetracht des konstruktiven Dialogs der letzten Jahrzehnte äußerst
bedauerlich - denn ein wichtiges Ergebnis ist ja, dass es mit dem Glauben
der Kirche Jesu Christi unvereinbares Naturwissen nicht gibt. …
Nach meiner Auffassung liegt dem Kreationismus
eine theologische Fehlentscheidung zugrunde. Der Bibel geht es nicht in
erster Linie um Weltwissen; darauf deutet schon die Tatsache hin, dass in Gen. 1
verschiedene Vorstellungen von der Erschaffung der Welt relativ unvermittelt
nebeneinander stehen. Wir sehen an dieser Stelle zu Recht keine Spannung, denn
die Schrift ist uns ein Zeugnis vom Handeln Gottes, das wir im Glauben
annehmen. Ihr geht es um den Glauben, dass die Natur von dem Gott geschaffen
ist, der jedem Menschen eine unverlierbare Würde verleiht, der als ein
Gegenüber wahrgenommen werden kann und in Jesus Christus Mensch geworden ist.
Dieser Glaube trägt seine Bedeutung in sich; er ist unterschieden von den
naturwissenschaftlichen Erklärungen der Welt und also nicht gefährdet oder in
Frage gestellt durch deren Fortschritt. Der Glaube steht auch nicht in
„Konkurrenz“ zu den Naturwissenschaften; eine solche kann erst entstehen, wenn
diese meinen, die Welt deuten zu müssen – oder wenn Gläubige meinen, deren
Erkenntnisse zensieren zu müssen.
Aus der Philosophie wissen wir, dass Gott durch die
Vernunft nicht zu beweisen ist – und die Theologie lehrt, dass er eines
solchen Beweises auch nicht bedarf; im Gegenteil: er ist „höher als alle Vernunft“.
Er wohnt nicht in den Lücken menschlicher Erkenntnisse; und ist auch nicht zu
finden hinter den Fragen, an deren Beantwortung die Wissenschaften arbeiten.
Darum werden dem Gebrauch der menschlichen Vernunft im Glauben keine
Grenzen gesetzt; wir dürfen wissen wollen, was unserem Erkenntnisvermögen
zugänglich ist. ...
Ein Glaubender wird nicht sein wollen wie Gott; aber er ist frei, nach
seinen Möglichkeiten einen vernünftigen Beitrag zur Erkenntnis der Natur zu
leisten und ist – in Verantwortung vor Gott – auch frei, dieses Wissen
anzuwenden, lenkend und gestaltend in den natürlichen Gang der Dinge
einzugreifen. In dieser Freiheit liegt letztlich der Grund, warum in der
westlich-abendländischen Kultur die Wissenschaften die staunenswerten Höhen der
Gegenwart erreicht haben. Dass es auch erhebliche Kontroversen und Widerstände
gegeben hat – „und sie bewegt sich doch“ – gehört in das Bild, ändert aber
nicht die Bewertung.
Der Anklang an Galilei mag eine Warnung sein: der
Kreationismus wechselt den Schöpfungsglauben in allzu kleine Münze und wird der
ausgreifenden Dimension des biblischen Zeugnisses nicht gerecht.
Übrigens: schon 1989 hat sich in unserer Landeskirche
der Beirat für Glaube und Naturwissenschaft mit dem Kreationismus beschäftigt
(vgl. Amtsblatt 1990, B 57 à Text siehe Teilband 4 = Kapitel 4
unter Q37 ). Ich komme heute zu keiner anderen Bewertung.
(Quelle: Q4 Bohl,
Jochen, Bischof der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, Pastor@lbrief Februar
2008)
(Quelle: Q46 EKD-Texte 94: Weltentstehung,
Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule; eine Orientierungshilfe
des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2008)
S.7
Es wäre … unangemessen, die Erforschung von Evolutionsprozessen als
Bekenntnis zum Atheismus zu verstehen, wie es umgekehrt verfehlt wäre, den in
den USA verbreiteten Kreationismus einfach mit dem christlichen
Schöpfungsglauben gleichzusetzen. Der Kreationismus ist vielmehr eine
Verkehrung des Glaubens an den Schöpfer in eine Form der Welterklärung, die
letztlich dazu führt, dass das Bündnis von Glaube und Vernunft aufgekündigt
wird …
S.13
Das Realitätsfeld der Naturwissenschaften ist so aufgebaut, dass sich hier
die Gottesfrage weder wissenschaftlich stellen noch wissenschaftlich
beantworten lässt. Das eröffnete der Theologie die Möglichkeit, die freie
Entwicklung der Naturwissenschaften und die damit verbundenen
Erkenntnisfortschritte bewusst zu bejahen. …
S.14
2.5. Die Irrwege des Kreationismus
„Kreationismus“ ist eine Sammelbezeichnung für – von
Minderheiten im Christentum vertretene – Auffassungen, die sich vehement gegen
die Annahmen der Evolutionstheorie wenden. Ausgehend von der wörtlichen
Inspiriertheit der biblischen Texte verteidigt der Kreationismus die
Irrtumslosigkeit der biblischen Texte. …
Der Kreationismus stützt sich auf die ungeklärten Fragen der Evolutionstheorie
und ist auf den Nachweis von Ungereimtheiten bedacht … Indem der Kreationismus
auf die weltanschauliche Ideologisierung evolutionstheoretischer Annahmen
reagiert, wie sie ein antikirchlicher „Ultradarwinismus“ verfochten hat,
nimmt auch er den Charakter einer Wissenschaftsideologie an …
S.15
Wie jede ernstzunehmende wissenschaftliche Hypothese muss natürlich auch die
Evolutionstheorie der Kritik zugänglich bleiben. Viele ihrer Annahmen sind auch
nach den Maßstäben der Biologie weniger gesichert, als es in
populärwissenschaftlichen Darstellungen zum Ausdruck kommt. Die
Evolutionstheorie ist freilich nicht dadurch widerlegt, dass man ihre offenen
Stellen aufzeigt. Es gibt starke Argumente, die für sie sprechen. Als
wissenschaftlicher Erklärungsversuch zur Entstehung des Lebens, der Arten und
der Artenvielfalt besitzt sie höchste Wahrscheinlichkeit und
Erschließungskapazität …
S.20
Im Religionsunterricht hat das christliche Bekenntnis eine grundlegend andere
Bedeutung als in anderen Fächern. Zu diesem Bekenntnis gehört der Glaube an
Gott, den Schöpfer, nicht jedoch der Kreationismus. Ein evangelischer
Religionsunterricht … kann deshalb den Kreationismus zwar thematisieren, ihn
jedoch nicht vertreten …
(Quelle: Q46 EKD-Texte 94: Weltentstehung,
Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule; eine Orientierungshilfe
des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2008)
1.2.4.2.2
„Intelligent Design“
Vertreter
der Idee des „Intelligent Design“ gehen etwa von folgender These aus:
„Die Komplexität im Aufbau von Lebewesen und in der Funktion von
Lebensprozessen ist so groß, dass es dafür keine innerweltliche
naturwissenschaftliche Erklärung gibt. Das ist der Beweis dafür, dass ein
intelligenter Designer die Welt nach einem Plan gestaltet hat.“ Der postulierte
Designer muss nicht unbedingt religiös und als Gott gedacht werden, darunter
kann auch abstrakter eine kosmische Intelligenz, ein universales Prinzip
verstanden werden.
Die
hier zugrunde liegenden Vorstellungen wurden schon vor 200 Jahren vertreten.
(Quelle: Q55
Steinmüller,A., Steinmüller,K.: Charles Darwin – vom Käfersammler zum Naturforscher,
Verlag Neues Leben Berlin, 1985, S.86f.)
Zu Charles Darwins
Pflichtlektüre (während seines Theologiestudiums in Cambridge ab 1827) gehören
die theologischen Werke des 1805 verstorbenen Archidiakonus William Paley. …
Besonders beeindruckt Charles die „Natürliche Theologie“ von Paley. … eine
Auffassung, die Gottes Wirken überall in der belebten Natur sehen will und
durch die Zweckmäßigkeit der Organismen begründet. Paley benutzt dabei das
althergebrachte Bild von der Uhr und dem Uhrmacher, um die Existenz Gottes zu
beweisen. Angenommen, wir finden eine Uhr auf dem Wege liegen, argumentiert er,
„wenn wir die Uhr aufheben und genau betrachten, bemerken wir …, dass ihre
Teile für einen speziellen Zweck erfunden und zusammengefügt wurden … Der
Mechanismus lässt unausweichlich darauf schließen, dass die Uhr einen
Konstrukteur hat … der sie für diesen Zweck entworfen hat.“
Genauso, lehrt Paley, stehe es mit der belebten Natur. All ihre Teile griffen
ineinander, jedes einzelne sei der Umwelt und den anderen Teilen sinnvoll
angepasst. Allein durch die Weisheit und Güte ihres Schöpfers, sagt Paley,
könne man die Zweckmäßigkeit der Organismen erklären.
Darwin selbst schreibt:
„Ich war von Paleys Argumentation … begeistert … überzeugt“
(Quelle: Q72 Darwin, Charles: Mein
Leben, Insel Taschenbuch, Frankfurt/Main, 2008, S.67f.)
Zu
diesem Denkansatz ist kritisch anzumerken:
1. Die Anhänger der Idee machen indirekt
eine Aussage über sich selbst: „Ich kann mir einen bestimmten Zusammenhang
nicht erklären, ich verstehe das nicht.“ Und daraus wird geschlussfolgert: „Es
gibt keine natürliche Erklärung dafür (z.B. mit den Mitteln und Methoden der
Naturwissenschaft), es gibt sie heute nicht und kann und wird sie auch nie
geben!“ Hier ist zu etwas mehr Bescheidenheit bei der Verallgemeinerung zu mahnen,
und es ist zu erinnern an die Beschränktheit menschlicher Erkenntnis. Wieso
muss ich als Mensch die Natur umfassend verstehen können? Was ist von
zukünftiger Forschung zu erwarten? Wird Gott (der „Designer“) in dieser
Denkweise vielleicht zu schnell und immer wieder als „Lückenbüßer“ dort
eingesetzt, wo ich mir etwas nicht erklären kann; und damit „klein“ gemacht?
Eine in der Vergangenheit oft in schmerzlichen Prozessen immer wieder gewonnene
Einsicht für Christen lautet, dass Gott
nicht zum „Lückenbüßer“ gemacht werden darf, als Erklärung immer dort
herhalten soll, wo die Naturwissenschaft (vermeintlich) keine rationale Erklärung
für einen Sachverhalt geben kann.
2. Zum zweiten wird aus
meiner Unfähigkeit, einen bestimmten Zusammenhang zu verstehen und zu
erklären, zwingend die Existenz eines „Designers“ abgeleitet. Diese Aussage
ist grundsätzlich nicht „verboten“, denn die Frage nach einer letzten Ursache
geht über den Geltungsbereich der Naturwissenschaften hinaus. ABER: Es gibt
keine Beweiskette, dass naturwissenschaftliche Befunde (oder das – bisherige -
Scheitern naturwissenschaftlicher Erklärungen) zwingend auf GOTT verweisen.
Die Existenz GOTTES lässt sich mit naturwissenschaftlichen Mitteln und Methoden
nicht widerlegen, seine Existenz lässt sich aber ebenso wenig beweisen! Gott
gehört nicht zum Arbeitsgegenstand der Naturwissenschaften.
3.
Eine letzte Schlussfolgerung: Ein
„Designer“ wäre natürlich nicht nur für das Komplexe und Staunenswerte, das
Gute und Schöne in der Welt verantwortlich. In dieser Denkweise wäre ein
perfekter „Designer“ (der gleiche?) auch „haftbar“ zu machen für alle
unzulänglichen oder zerstörerischen und leidbringenden „Konstruktionen“ in der
Welt („perfekt“ arbeitende Killerbakterien, ideal angepasste Parasiten …).
Auch hier begegnet also eine alte und
immer schmerzliche Frage für glaubende Menschen (Theodizee): „Wenn Gott doch
ein guter Gott ist – warum lässt er all das Leid, all die Krankheit, all die
Naturkatastrophen zu?“
1.2.4.3 „Evolutionismus“
Während dem Phänomen des
„Kreationismus“ in vielen Lehrbüchern breiter Raum eingeräumt wird, habe ich nur
an einer Stelle einen Hinweis darauf gefunden, dass es auch einen intoleranten,
oft atheistisch orientierten „Evolutionismus“ gibt. Er wird im folgenden Text
beschrieben und charakterisiert.
(Quelle: B22
C.C.BUCHNER; Solbach, H.: Vita nova; Biologie für die Sekundarstufe II; Bamberg
2000, S.344f.)
… dass die Antworten auf die Fragen nach dem
Ursprung und der Entwicklung des Lebens sehr unterschiedlich ausfallen, beeinflusst vom religiösen,
weltanschaulichen und philosophischen Standpunkt des Antwortenden. Die
Palette reicht von der völligen Ablehnung jeglicher naturwissenschaftlichen
Erklärung auf diesem Gebiet durch Menschen mit bestimmten, festgefügten
religiösen Überzeugungen bis zur intolerant atheistischen Argumentation
anderer, in deren Vorstellungswelt kein Platz für einen Gott, eine
übergeordnete Macht ist und die (deshalb?) in einem naturwissenschaftlichen
Machbarkeitsglauben danach streben, alles Geschehen in der Welt ausschließlich
durch die Gesetze der Physik zu erklären …
Diese „wissenschafts-gläubige“,
mit Allein-Erklärungs-Anspruch auftretende, darauf beharrende Weltsicht,
allein „recht zu haben“ – sie ist eine genauso problematische Ideologie wie
der „Kreationismus“. Ihr Glaubenssatz „Es gibt keinen Gott!“ ist genauso wenig
beweisbar oder widerlegbar wie der Satz „Es gibt Gott!“. Manche Anhänger dieses
„Aufklärungs-Fundamentalismus“ (Der Spiegel 22/07 S.56ff) haben von
moderner Wissenschaftstheorie wohl wenig verstanden! Und wenn sich dann ein
ähnlich kämpferischer Ideologe auf der Gegenseite findet, dann kann schnell
ein heftiger „Glaubenskrieg“ ausbrechen.
(Quelle: Q19 Huber, Wolfgang (Bischof
und Ratsvorsitzender der Ev. Kirche in Deutschland), Bericht des Rates der EKD
- Teil A, (6. Tagung der 10. Synode der EKD, Dresden, 04. - 07. November 2007)
„Es kann nicht verwundern, dass dem ideologischen Missbrauch des
christlichen Schöpfungsglaubens, wie er im Kreationismus und in der Lehre vom
"Intelligent Design" vorliegt, spiegelbildlich ein Missbrauch
entspricht, der meint, aus den Einsichten der modernen Naturwissenschaften
zwingend eine Leugnung Gottes und die Verpflichtung auf einen kämpferischen
Atheismus ableiten zu können. Beispielhaft ist dafür der Evolutionsbiologe
Richard Dawkins, der sich mit seinem Buch "Der Gotteswahn" ("The
God Delusion") an die Spitze dieser Bewegung gesetzt hat. Dawkins
restauriert ein Weltbild, nach welchem Religion einem vorwissenschaftlichen
Zeitalter angehört und mit dem Siegeszug des wissenschaftlichen Bewusstseins
zum Verschwinden kommt. Weil sich dieses Verschwinden nicht von selbst
einstellt, muss es durch einen weltanschaulichen Kampf vorangetrieben werden,
für den man sich der Unterstützung durch vermeintlich wissenschaftliches
Handeln zu versichern versucht. Das Gottesverständnis soll auf dem Weg
destruiert werden, dass danach gefragt wird, ob man auf die Gotteshypothese
angewiesen sei, um die Entstehung der Welt und des Lebens zu erklären. Die
Auseinandersetzung mit dem Gottesbegriff wird also ganz und gar auf dem
Missverständnis eines "Lückenbüßergottes" ("God of the
gaps") aufgebaut. Dafür sind Kreationismus und "Intelligent
Design" willkommene Gegner; Richard Dawkins überhöht deren Vertreter
deshalb zu den maßgeblichen Repräsentanten des Christentums, ja der Religion
überhaupt. Er verbindet – ebenso wie Hitchens – das zugleich mit einer
maßlosen Polemik, die religiöse Erziehung mit Kindesmisshandlung gleichsetzt
und das alttestamentliche Gottesbild in einer Weise beschimpft, die historischen
Sinn und moralische Proportion in gleicher Weise vermissen lässt.“
„Evolutionismus“ muss sich
nicht deutlich als militante antireligiöse Ideologie zeigen. Er kann auch
versteckter auftreten in der Einseitigkeit und Arroganz, mit der manche Naturwissenschaftler
darauf beharren, dass allein ihr Blick auf die Natur sinnvolle Fragen
ermöglicht, und dass alle Fragen, die für Menschen wichtig sind, von der
Naturwissenschaft (wenn auch vielleicht erst in Zukunft) erschöpfend
beantworten können.
Charles Darwin kann übrigens
nicht als Kronzeuge dafür aufgerufen werden, dass das Vertreten der
naturwissenschaftlichen Evolutionstheorie folgerichtig und zwangsläufig hin zum
Atheismus führen muss:
(Quelle: Q75 Charles
Darwin: Mein Leben, Insel TB S.102f.)
„Ein anderer Grund für den Glauben an die Existenz
Gottes, der mit der Vernunft, nicht mit Gefühlen zusammenhängt, scheint mir
mehr ins Gewicht zu fallen. Dieser Grund ergibt sich aus der extremen
Schwierigkeit oder eigentlich Unmöglichkeit, sich vorzustellen, dieses
gewaltige, wunderbare Universum einschließlich des Menschen mitsamt seiner
Fähigkeit, weit zurück in die Vergangenheit und weit voraus in die Zukunft zu
blicken, sei nur das Ergebnis blinden Zufalls oder blinder Notwendigkeit. Wenn
ich darüber nachdenke, sehe ich mich gezwungen, auf eine Erste Ursache zu
zählen, die einen denkenden Geist hat, gewissermaßen dem menschlichen Verstand
analog; und ich sollte mich wohl einen Theisten nennen. Wenn ich mich recht
erinnere, beherrschte diese Schlussfolgerung mein Denken in der Zeit, als ich Über
die Entstehung der Arten schrieb; seither schien sie mir ganz allmählich
immer weniger überzeugend; ich schwankte jedoch sehr …
Das Mysterium vom Anfang aller Dinge können wir nicht aufklären; und ich
jedenfalls muss mich damit zufrieden geben, Agnostiker zu bleiben.“
Agnostizismus
Der Agnostizismus ist eine Weltanschauung, die
insbesondere die prinzipielle Begrenztheit menschlichen Wissens betont. Die
Möglichkeit der Existenz transzendenter Wesen oder Prinzipien wird vom Agnostizismus
nicht bestritten. Agnostizismus ist sowohl mit Theismus als auch mit
Atheismus vereinbar, da der Glaube an Gott möglich ist, selbst wenn man die
Möglichkeit der rationalen Erkenntnis Gottes verneint.
Die Frage „Gibt es einen Gott?“ wird vom Agnostizismus dementsprechend nicht
mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet, sondern mit „Es ist nicht geklärt“, „Es ist
nicht beantwortbar“.
Unabhängig davon ist die Frage „Glauben Sie an einen Gott?“. Diese ist auch von
einem Agnostiker mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortbar.
(Quelle: Wikipedia
23.2.2009)
Ein verbreitetes
Missverständnis, das auch in manchen Lehrbüchern seinen Niederschlag gefunden
hat, ist die Behandlung von „Schöpfungsmythen“ als konkurrierende
„wissenschaftliche“ Erklärungsmodelle zur Evolutionstheorie.
(Quelle: B16
SCHROEDEL; Netzwerk Biologie 10, Braunschweig, 2006, S.140)
Aufgabe 3
Es gibt verschiedene Theorien zur Evolution
1. Die von den Vorfahren erworbenen Eigenschaften
werden von Generation zu Generation weitergegeben.
2. Durch natürliche Auslese verändern sich die Arten im Laufe der Generationen.
3. Alle Lebewesen, die heute leben, sind durch einen Schöpfungsakt
von Gott geschaffen worden.
a) Wie heißen die zitierten Theorien?
b) Welche der genannten Theorien ist heute allgemein anerkannt?
Hier begegnen gleich einige
Missverständnisse:
+ unter Punkt 3. wird unterstellt, Schöpfungsglaube sei gleichzusetzen mit der
Ansicht, die Welt und alle Lebewesen seien in einem einmaligen Schöpfungsakt
ins Dasein gebracht worden und die damals geschaffenen Arten hätten sich
seitdem nicht verändert.
Oben wurde schon deutlich gemacht, dass man das wohl aus dem Wortlaut des Bibeltextes
so herauslesen kann, dass aber die großen Kirchen und viele Christen heute die
Schöpfungsdarstellungen nicht (mehr) als einen historisch und im sachlichen
Detail zutreffenden Dokumentarbericht verstehen, sondern in ihnen Begründung
und Orientierung und Maßstäbe für ihre Existenz hier und heute suchen.
+ Der Schöpfungsglaube – konkreter: das hier vorausgesetzte wörtliche
Verständnis des Bibeltextes in 1.Buch Mose 1 - wird zu einer
naturwissenschaftlich zu lesenden Theorie gemacht, die mit den beiden hier
vorgestellten Theorien aus der Biologie verglichen werden und gegen sie
abgewogen werden kann. Dabei ist auch das Ergebnis eigentlich schon vorgegeben
mit der Formulierung der Frage: „Welche der genannten Theorien ist heute
allgemein anerkannt?“ Die Anerkennung einer naturwissenschaftlichen Theorie
(auch durch Mehrheiten) ist keine Garantie für ihre Richtigkeit! Das Wörtchen
„heute“ deutet immerhin auf das fließende Verfallsdatum aller naturwissenschaftlichen
Erkenntnis hin …
In
diesem Lehrbuch wird – fahrlässig oder bewusst? - die Schöpfungsvorstellung zu
einer „Evolutionstheorie“ gemacht!
Ähnlich geschieht das auch
anderswo:
Der Verlag Duden/Paetec brachte
in den Jahren 2005 bis 2007 drei Biologie-Lehrbücher in neuer Bearbeitung
heraus.
·
B12 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie,
Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin, 2005 (S.514f.)
·
B14 DUDEN / PAETEC; Biologie, Gymnasium, 10, Sachsen,
Berlin 2007 (S.86f.,102)
·
B24 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag; Duden Biologie,
Gymnasiale Oberstufe, Berlin, 2005 (S.358ff.,381)
In
diesen Büchern wird die „Schöpfungsgeschichte“ (gemeint ist damit exklusiv das
erste Kapitel der jüdisch-christlichen Bibel, die Darstellungen werden z.T.
auch als „Schöpfungsmythen“ bezeichnet) unter der Hauptüberschrift
„Evolutionstheorien“ behandelt.
Diese
Ein- und Zuordnung ist in mehrfacher Hinsicht irreführend!
Einmal
gehen ja die - zur Erläuterung auch dargestellten - Ansichten von der „Konstanz
der Arten“ gerade davon aus, dass sich in der Natur nichts verändert und
entwickelt (hat). Damit wären sie bestenfalls als Gegenentwurf zum
Entwicklungsgedanken einzuordnen, als „Anti-Evolutions-Theorie“ zu betrachten
und zu behandeln.
Zum zweiten wird in den gleichen Lehrbüchern an anderer Stelle durchaus
angedeutet, dass die biblischen Texte die Welterfahrung des Menschen nicht
rational erklären wollen („Mythen … sind keine wissenschaftlichen Theorien“),
sondern eine „Deutung“ anbieten, Antworten versuchen auf die Fragen nach dem
Sinn und dem Ziel des menschlichen Daseins. Das Buch B24 wählt zwar zunächst
die zutreffende Überschrift „Zur Geschichte des Evolutionsgedankens“, behandelt
dann aber doch im weiteren Text Schöpfungsmythen (falsch) als Unterpunkt zu
„Evolutionstheorien im Wandel der Zeiten“, und stellt damit den
„Kreationismus“ in eine Reihe mit (anderen) naturwissenschaftlichen Theorien
zur Entwicklung des Lebens. Das entspricht zwar der Rolle, die der Kreationismus
nach seinem Selbstverständnis einnehmen möchte, aber es könnte so der – falsche
- Eindruck entstehen, der Kreationismus stelle eine typische oder gar die
einzig mögliche Lesart und Interpretation biblischer Schöpfungsvorstellungen
dar.
Wenn in diesen Lehrbüchern „Schöpfungsgeschichten“ auf der gleichen Ebene wie
die naturwissenschaftlichen Vorstellungen und Erkenntnisse etwa von Lamarck
und Darwin als „Evolutionstheorien“ abgehandelt werden, beruht das vielleicht
auf einem gravierenden Missverständnis - es ist in jedem Fall ein gewichtiger
Kategorienfehler.
Es gibt weitere Beispiele
dafür.
Im Biologielehrbuch
·
B22 C.C.BUCHNER; Solbach, H.: Vita nova; Biologie für
die Sekundarstufe II; Bamberg 2000, S.344f.)
wird gefragt: „War das
Werden des Lebens ein Schöpfungsakt Gottes oder doch eine Art Urzeugung?“
Auch
hier wird die Fragestellung im Raster ENTWEDER – ODER, als Alternativen stehen
"Schöpfung Gottes" oder "naturwissenschaftlich erklärbare
Entwicklung" zu Auswahl, den unterschiedlichen Kategorien nicht gerecht.
Aber
auch ein Lehrbuch für den Religionsunterricht „tappt“ in die gleiche Falle:
·
R2
VANDENHOECK & RUPRECHT; Koretzki, G.-R., Tammeus, R. (Hg.): Religion
– entdecken, verstehen, gestalten - 9/10; Ein Unterrichtswerk für den evangelischen
Religionsunterricht, Göttingen 2002 (S.89)
Dort stehen auf einer Druck-Seite zwei Texte, zum einen das „Bekenntnis
der Creation Research Society“ (es handelt sich hier um ein sehr verengtes, am
Wortlaut der Bibel festhaltendes christliches Schöpfungsverständnis) und zum
anderen eine naturwissenschaftliche Zusammenfassung von „Grundzügen der
Evolutionstheorie“. Im zugehörigen Lehrerhandbuch (Quelle R1, S.79) wird
vorgeschlagen, die beiden auf dieser Seite (ohne weiteren Kommentar)
abgedruckten Texte zu vergleichen. Die Schüler sollen Positionen erarbeiten.
Aber – abgesehen davon, dass der „kreationistische“ Text ohnehin polarisiert
und der „evolutionsbiologische“ Text (ohne Quellengabe) fachlich ungenau
formuliert ist: Sollten Schüler im Religionsunterricht sich nicht sinnvoller
mit unterschiedlichen theologischen Ansichten auseinandersetzen?
Mit dem „Vergleichen“ von Bekenntnis-Aussagen und einer naturwissenschaftlichen
Theorie werden „Apfel mit Birnen“ verglichen. Das ist genau der gleiche
Kategorienfehler, der in den oben erwähnten Biologielehrbüchern gemacht wird,
indem man die Schöpfungsgeschichte Gen.1 als konkurrierende Theorie zu
Evolutionstheorien behandelt.
In dieser Gegenüberstellung sind Missverständnisse vorgegeben und
Konflikte vorprogrammiert!
Im Jahre 2000 war ein Buch
aus dem Verlagshaus Paetec/Duden für die Sekundarstufe 1 herausgegeben worden.
Darin wurden den Schülern folgende Aufgaben gestellt:
(Quelle: B15 PAETEC;
Biologie 10, Sachsen, Gymnasium, Berlin, 2000, S.91)
„Aufgaben"
1. Inwieweit hatte die Kirche Einfluss auf die Vorstellung über
die Artenentstehung?
2. Lies die nachstehenden Aussagen über die Evolution und stelle diese den
Aussagen der darwinschen Abstammungstheorie gegenüber!
“Die natürliche Zuchtwahl oder das Überleben des Tüchtigsten kann im besten
Falle nur die Trennung der Starken von den Schwachen bedeuten. Aber niemals
entsteht allein als Folge des Überlebens des Tüchtigsten eine neue Pflanzen-
oder Tierart.
Und da auch durch Mutationen keine neuen Arten entstehen, fehlen der Evolution
die Mechanismen, mit denen sie erklärt werden könnte.“
“Die wahren wissenschaftlichen Tatsachen weisen nicht auf eine Entwicklung des
Menschen aus dem Tier hin, sondern darauf, dass der Mensch als eine Art
erschaffen wurde, die sich von Tieren klar und deutlich unterscheidet.“
(Aus: Wachtturm, Bibel- und Traktatgesellschaft 1968)“
Die Aufgabenstellung soll
knapp kommentiert werden:
Zu 1.
„Die Kirche“ des Mittelalters hatte sich zwar die damals allgemein
akzeptierte Vorstellung von der Konstanz der Arten zu eigen gemacht und sah
sie auch im (wörtlich verstandenen) Text der Bibel bestätigt. Ob und wie sie
dabei aber gezielt Einfluss ausüben musste und wollte und ihn auch
ausgeübt hat, ist fraglich. Auf jeden Fall ist es ein Missverständnis, wenn
durch die Fragestellung nahegelegt werden soll, „die Kirche“ sei auch heute
noch dieser Ansicht – das trifft für die großen christlichen Kirchen in
Deutschland und für viele Christen nicht zu
Zu 2.
In Aufgabe 2 soll ein Text gelesen und seine Aussagen der darwinschen
Abstammungstheorie gegenübergestellt werden.
Im Anschluss an Aufgabe 1 legt sich nahe, hier eine Stimme aus dem
kirchlichen Bereich zu vermuten. Tatsächlich steht ja darunter in der
Quellenangabe etwas von „Bibel“. Dass zusätzlich auch noch das
altertümlich anmutende Wort „Traktat“ auftaucht, verstärkt den muffigen
Eindruck, bestätigt wird das auch durch eine mehr als 30 Jahre zurückliegende
Jahreszahl (1968). Der Begriff „Wachtturm“ dürfte nur
Eingeweihten etwas sagen. Daraus wird nämlich deutlich, dass es sich hier um
ein Pamphlet der „Zeugen Jehovas“ handelt. Deren hier abgedruckte Aussagen
könnten nun in diesem Kontext –
fahrlässig oder bewusst – als aktuelle Argumente „der Kirche“ missverstanden
werden.
1.2.6 Ist Kirche, ist der
christliche Glaube
grundsätzlich
wissenschaftsfeindlich?
Ist Kirche, ist der
christliche Glaube vom Grundsatz her wissenschaftsfeindlich?
Glaube und Naturwissenschaft schließen einander nicht automatisch aus.
Jedoch wird in den
Lehrbüchern nur selten darauf hingewiesen, dass viele Wissenschaftler
glaubende Menschen waren und sind – wenn auch mit sehr unterschiedlichen
Gottesvorstellungen - und dass auch in kirchlichen Einrichtungen
naturwissenschaftliche Forschung betrieben und gefördert wurde:
(Quelle: B31
SCHROEDEL; Hoff, P. / Miram, W.: Evolution, Materialien für den Sekundarbereich
II, Biologie, Hannover, 1993, S.10f.)
Die Klöster erwiesen sich als besonders fruchtbare
Zentren des geistigen Lebens.
Die Klöster – Einrichtungen
der (mittelalterlichen) Kirche! – waren über viele Jahrhunderte hinweg
wichtige Orte wissenschaftlicher Arbeit. Bedeutsame Entdeckungen in den
Naturwissenschaften wurden von Christen gemacht: Nikolaus Kopernikus stand als
Domherr im Dienst der Kirche, Galileo Galilei schrieb, dass er Gott für seine
Entdeckungen dankbar war, für Johannes Kepler war Wissenschaft nur „eine
andere Form von Gottesdienst“, Isaac Newton meinte, in der Ordnung des Weltalls
den Plan Gottes zu finden, der Mönch Gregor Mendel entdeckte die Regeln der
Vererbung, der katholische Priester Lamaitre begründete die Theorie vom
kosmischen Urknall …
Diese „wissenschaftsfreundliche“ Seite der biblisch-kirchlichen Tradition wird
manchmal unterschätzt oder schlicht vergessen. Hier einige weitere Hinweise:
a) Schon im ersten Kapitel
der Bibel steht die Auftrag Gottes an den Menschen, sich „die Erde untertan“ zu
machen. Wenige Zeilen weiter ist der Auftrag zu lesen, dass er die Erde (sie
wird im Bild eines fruchtbaren Gartens vorgestellt) „bebauen und bewahren“
solle. Das aber beinhaltet die Ermutigung und die Aufgabe, dass der Mensch
seine Begabungen, seine Neugier nutzt, um die Welt zu erkunden, sie zu
verstehen und sie auch zu verändern – der glaubende Mensch darf nicht nur, er
soll sogar Natur-Wissenschaft betreiben!
b) Wenn im ersten Kapitel
der Bibel mitgeteilt wird, dass der Himmel und die Erde, die anderen Lebewesen
und der Mensch Geschöpfe sind, zur (natürlichen) „Welt“ gehören, dann geschieht
in der Bibel etwas ganz Neuartiges für das antike Weltverständnis: In den dem
Volk Israel benachbarten Kulturen wurden Sonne, Mond und Sterne, Blitz und
Donner, Tiere und Steine als Götter verehrt. Damit verbunden waren Ehrfurcht
und die Angst, sich ihnen zu nähern, sie zu untersuchen, sie zu „hinter“-fragen.
Im jüdisch-christlichen Verständnis ist die Welt, die Natur „entgöttert“, sie
ist damit frei für die angstfreie Annäherung, Untersuchung, Inbesitznahme durch
den Menschen. Gerade erst dieses Denken – niedergelegt in den uralten Texten
z.B. in den ersten Kapiteln der Bibel - hat später den Aufbruch der
Naturwissenschaft im christlichen Abendland möglich gemacht!
c) Des weiteren sei daran
erinnert, dass das Schulwesen in Deutschland im 19. Jahrhundert maßgeblich von
den Kirchen mit begründet und getragen wurde, und dass dort selbstverständlich
modernste Naturwissenschaft vermittelt wurde.
d) Und zuletzt soll darauf
hingewiesen werden, dass im Auftrag des Papstes seit Jahrhunderten zwei
leistungsfähige Sternwarten betrieben werden, eine in der Nähe von Rom, die
andere in Nordamerika.
Manchmal wird der Weg zur
naturwissenschaftlichen Denkweise als mühsamer Fortschritt beschrieben:
(Quelle: P8
WESTERMANN; Kuhn: Physik 1.1, Braunschweig, 2002, S.5ff.)
Die erkannten Regelmäßigkeiten im Ablauf der
Naturerscheinungen schrieben die Menschen damals Göttern, Geistern und
Dämonen zu, deren Absichten und Launen man erkennen musste. Sie suchten
nicht nach „physikalischen“ Erklärungen, d.h. nach grundlegenden Naturgesetzen.
Der erste Schritt zu einer physikalischen Denkweise vollzog sich im 6.
Jahrhundert v.Chr. bei den griechischen Naturforschern. Naturbeobachtung und
Sammeln von Erfahrungen allein genügten ihnen aber nicht. Die tieferen
Zusammenhänge wollten sie verstehen. Dabei hatten sie die kühne Idee, dass
nicht dunkle und unergründliche Mächte, sondern unveränderliche Naturgesetze
die Natur regieren, und dass es dem Menschen möglich wäre, diese durch den
Gebrauch seines Verstandes herauszufinden
Diese
Sichtweise, die einen Kontrast und Widerspruch zwischen „altem“ (falschem) und
„neuem“ (richtigen) Denken nahe legt, muss ergänzt werden um den Hinweis, dass
schon in alten Texten der Bibel Forscherdrang und das Verstehen-Wollen und
Verstehen-Können von Naturzusammenhängen durchaus positiv gesehen wurden, und
sie wurden in eins gedacht mit dem Glauben an einen (Schöpfer-)Gott.
(Quelle: Die Bibel, Buch der Weisheit
7,15.17-20; 13,5)
„Mir aber
gewähre Gott, nach meiner Einsicht zu sprechen
und zu denken, wie die empfangenen Gaben es wert sind ...
Gott verlieh
mir untrügliche Kenntnis der Dinge,
sodass ich den Aufbau der Welt und das Wirken der Elemente verstehe,
Anfang und Ende und Mitte der Zeiten,
die Abfolge der Sonnenwenden und den Wandel der Jahreszeiten,
den Kreislauf der Jahre und die Stellung der Sterne,
die Natur der Tiere und die Wildheit der Raubtiere,
die Gewalt der Geister und die Gedanken der Menschen,
die Verschiedenheit der Pflanzen und die Kräfte der Wurzeln ...
Denn von der
Größe und Schönheit der Geschöpfe lässt sich auf ihren Schöpfer schließen“
Im Mittelteil dieses Textes
ist der Stolz des Autors deutlich zu spüren auf die großartigen Entdeckungen,
die ihm in der Beschäftigung mit der Natur möglich geworden sind (hier spricht
der Natur-„Forscher“). Gerahmt werden diese Aussagen aber zum einen im
„Vorspruch“ durch einen Dank an Gott, der ihm die Begabungen seines Verstandes
geschenkt hat, verbunden mit der Aufgabe und dem Auftrag, sie auch zu nutzen,
und zum zweiten macht der Autor im „Nachsatz“ deutlich, dass die Beschäftigung
mit Zusammenhängen in der Natur ihn nicht etwa von Gott weg, sondern näher zu
ihm hingeführt hat.
Die
notwendige Trennung der Ebenen – die Ebene der Beobachtung und des Experiments
von der ganz anderen der Deutung und Bewertung der Dinge – war schon zu Beginn
der Neuzeit klar bewusst:
Die „Royal Society of
London“, eine der ältesten naturwissenschaftlichen Akademien (gegründet 1660),
hat sich den Wahlspruch gegeben: „nullius in verba“. Das wäre etwa zu
übersetzen mit: „nach niemandes Worten“ oder „auf niemandes Worte schwören“
(nullius in verba iurare). Dahinter steht zum einen der stolze Anspruch, sich
von jetzt an nicht mehr nur damit zu begnügen, nur in würdiger Verehrung die
von Autoritäten ererbte Weltsicht zu zitieren (was etwa der verehrte
Aristoteles oder die Bibel dazu sagen), sondern durch eigene Erkenntnis
Sachverhalte zu hinterfragen, durch eigenes Vermögen und eigene Anstrengung
selbst ein besseres Verständnis der Zusammenhänge erlangen.
Aber damit legt die Naturwissenschaft auch eine Grenze ihrer Zuständigkeit
fest: Sie vertraut fortan ausschließlich auf die Mittel und Möglichkeiten des
menschlichen Verstandes und beschränkt sich auf die Untersuchung der durch
Beobachtungen und Messungen fassbaren Natur. Das Fragen nach Gründen und
Bedeutungen gehört nicht zu ihrem Arbeitsbereich – dieses Feld bleibt den
Philosophen und Theologen überlassen.
Die so vorgenommene Trennung
der „Zuständigkeiten“ ist manchmal wichtig, um unnötige Konflikte zu
vermeiden.
Man muss aber auch darauf achten,
dass nicht zu schnell eine „Schein-Harmonie“ hergestellt wird. Auch dafür ein
Beispiel:
(Quelle: B25 KLETT;
Biologie für Gymnasien, Oberstufe, Stuttgart, 2005, S.412ff.)
Die Evolutionstheorie versucht, die Entwicklung
der Lebewesen allein durch natürliche Vorgänge zu erklären. Dieser
Naturalismus, der u.a. mithilfe von zufälligen Mutationen und Selektionsvorgängen
die Entwicklung beschreibt, ist auf gegenwärtige und vergangene Ursachen
bezogen und verzichtet auf ein zukünftiges Entwicklungsziel. Dies schließt
menschliche Evolution mit ein und gesteht ihm keine Sonderrolle zu. Dies wird
vielfach als Verletzung menschlicher Würde gesehen und widerspricht dem
gewohnten Selbstverständnis, denn in einer Entwicklung auf ein Ziel hin wird
vielfach ein Sinn gesehen und der Weg dorthin kann dann nicht auf Zufall
gegründet sein. Die Evolutionstheorie gerät damit leicht in Konflikt mit der
Religion.
Die großen christlichen Kirchen sehen sich auf einer anderen Ebene als die
Naturwissenschaften, nämlich einer geistigen. Insofern besteht heutzutage kein
Widerspruch zur Evolutionslehre, solange die Wissenschaft ihre materielle
Domäne und die Theologie ihre geistige nicht verlassen.
Der Konflikt zwischen einer
Evolution des Lebens, für die aus naturwissenschaftlicher Sicht kein Ziel
angegeben werden kann, und dem religiösen Verständnis, dass alles Geschehen in
der Welt gewollt, gelenkt und auf ein Ziel hin orientiert ist (auf Gott hin,
auf die Vollendung der Welt), bleibt. Die Argumentation mit zwei unterschiedlichen
Ebenen des Zugangs zur Wirklichkeit führt hier nicht zu einer Lösung, denn die
Wirklichkeit des Glaubens kann nur die gleiche Welt meinen wie die
Naturwissenschaft. Hier gibt es Klärungsbedarf für die Theologie!
1.3 Weltentstehung, Evolutionstheorie
und
Schöpfungsglaube – als Thema im
Schulunterricht ?!
Wer
im christlich geprägten Abendland aufwächst und lebt, begegnet nicht nur in der
Schule, sondern überall in seinem Alltag sowohl religiösen Bezügen als auch dem
Komplex Naturwissenschaft/Technik.
Um sich in diesem Umfeld wenigstens einigermaßen zurechtzufinden, ist es
unverzichtbar, sich mit diesen beiden Erfahrungsbereichen - ihrer
geschichtlichen Entwicklung und ihrer gegenwärtigen Bedeutung –
auseinanderzusetzen.
Oft
werden Glaube und Naturwissenschaft als Bereiche betrachtet (und behandelt),
die vermeintlich nichts miteinander zu tun haben. Oder ihre Einsichten und
Erfahrungen werden (etwas gewaltsam) auf einer Ebene verhandelt, mit der
Konsequenz, dass entweder die Evolutionstheorie dem Schöpfungsglauben oder der
Schöpfungsglaube der Evolutionstheorie weichen müsse. Dieses Entweder-Oder wird
jedoch der – durchaus konfliktreichen – Beziehung zwischen den beiden Parteien
nicht gerecht. Es geht um ein Gespräch, um gegenseitiges Akzeptieren, Verstehen
(was tut, was will der andere wirklich) und wie ich meine, sogar um eine
sinnvolle und notwendige wechselseitige Ergänzung. Dieses Gespräch sollte auch
in der Schule gesucht und geführt werden.
Die
Evangelische Kirche in Deutschland hat kürzlich eine „Orientierungshilfe“ zu
diesem Themenbereich herausgegeben, in
der unter anderem Folgendes ausgeführt wird (Kommentare dazu siehe in den
Fußnoten):
(Quelle: Q46 EKD-Texte 94: Weltentstehung,
Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule; eine Orientierungshilfe
des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2008)
S.6
So wird auch hierzulande die Frage erörtert, ob im
Biologieunterricht auf den biblischen Schöpfungsglauben und ob im Religionsunterricht
auf die Evolutionstheorie Bezug zu nehmen sei. Auf der Linie der hier
vorgelegten Überlegungen liegt es, das Verhältnis zwischen beiden
Betrachtungsweisen vorzugsweise in interdisziplinären Unterrichtsprojekten[6] zu klären …
es wird deutlich, dass man die Beziehung zwischen diesen beiden
Betrachtungsweisen nur dann zureichend bestimmen kann, wenn man zuvor gelernt
hat, sie voneinander zu unterscheiden.. Das setzt aber voraus, dass
sowohl hinsichtlich der biologischen[7] als auch hinsichtlich der
theologischen Fragen die gebotene Sachkenntnis[8] gegeben ist und in den
Schulen auf angemessene Weise zum Ausdruck kommt. Das gilt auch für die Fälle,
in denen im Biologie- oder im Religionsunterricht über das Verhältnis von
Schöpfungsglauben und Evolutionstheorie gesprochen werden soll. …
S.18
Nach evangelischem Verständnis ist Bildung mehr als Wissen oder Können. Bildung
umfasst auch die Fragen nach dem Grund allen Wissens sowie nach dem Ziel allen
Erkennens. Wissenschaftstheoretische und erkenntnistheoretische Fragen gehören
deshalb ebenso zur Bildung wie die nach dem Woher und Wohin des menschlichen
Lebens. Wissen und Wissenschaft tragen nur dann zur Bildung bei, wenn sie auch
im ethischen Horizont wahrgenommen werden. Bildung bedeutet Wertschätzung von
Wissen, Erkenntnis und Vernunft, schließt aber auch die Einsicht in deren
Grenzen ein[9] …
S.19
Die Einrichtung spezialisierter Unterrichtsfächer beispielsweise für
Biologie, Physik und Religion gewährleistet die Wahrnehmung entsprechender
Perspektiven auf die Wirklichkeit, kann jedoch auch zu einer
(Selbst-)Isolierung der verschiedenen Weltzugänge führen. Für eine nach
Fächern organisierte Schule sind fächerverbindende Einheiten oder Arbeitsweisen
deshalb besonders wichtig. …
Bei der bildungstheoretisch und schulisch
wünschenswerten Auseinandersetzung mit Schöpfungsglauben und
Evolutionstheorie, aber auch mit dem Kreationismus sowie deren Verhältnis
zueinander stoßen die einzelnen Unterrichtsfächer notwendigerweise an die
Grenzen ihrer Kompetenz … In der Regel empfiehlt sich … ein
fächerverbindender Unterricht, in den zwei oder mehr Lehrkräfte ihre unterschiedlichen
Kompetenzen einbringen können …
S.21
Ein angemessener Umgang mit Schöpfungsglauben und Evolutionstheorie setzt
Einsichten in erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Zusammenhänge voraus
… Als besonders klärungsbedürftig müssen dabei häufig von populären
Missverständnissen begleitete Begriffe wie „Tatsache“, „Beweis“ und „Widerlegung“
(Verifikation und Falsifikation), „Hypothese“, „Theorie“,
„Erkenntnisfortschritt“ usw. gelten[10]. Darüber hinaus sollten die
unterschiedlichen Zuordnungsmodelle für unterschiedliche Weltzugänge, insbesondere
im Sinne eines komplementären Denkens, eingeführt werden.
Weiterführende Klärungen lassen sich nur erzielen,
wenn beide, Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie, nicht von ihren
problematischen Verzerrungen, sondern von einem ihnen jeweils angemessenen
differenzierten Verständnis her aufgenommen werden. Der Bezug auf den
Ultradarwinismus oder auf den Sozialdarwinismus eignet sich dazu ebenso wenig
wie der auf den Kreationismus, so wichtig die kritische Auseinandersetzung mit
ihnen im Übrigen ist. Ähnlich verhindert eine Einführung der
Evolutionstheorie als wissenschaftliche Kritik am Schöpfungsglauben oder gar
als Ersatz für diesen von vornherein ein sachliches Verständnis der Eigenart
beider Weltzugänge in ihrer Unterschiedenheit[11].
S.22
Die Auseinandersetzungen zwischen Evolutionstheorie und Kreationismus sowie
ihre Auswirkungen auf die Schule haben in der Öffentlichkeit große
Aufmerksamkeit gefunden. Darüber sollte nicht übersehen werden, dass
tatsächlich andere Probleme, vor die sich Naturwissenschaften und
Schöpfungstheologie gestellt sehen, eine weit höhere Dringlichkeit besitzen. Die
Frage, ob und wie Leben und Überleben in einer auf viele Weisen gefährdeten
Welt gesichert werden können, mit welchen Mitteln etwa den Folgen eines durch
menschliches Handeln mitverursachten Klimawandels begegnet werden soll und wie
die Rechte zukünftiger Generationen im Blick auf endliche Ressourcen gewahrt
werden können, ist ebenso offen wie die Frage nach den Grenzen für menschliche
Eingriffe im Bereich der Humangenetik. Diese und viele andere
Herausforderungen betreffen Naturwissenschaften und Theologie gleichermaßen;
die größte Herausforderung besteht darin, wie sie gemeinsam zu einem Leben und
Überleben in Humanität beitragen können[12] …
(Quelle: Q46 EKD-Texte 94: Weltentstehung,
Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule; eine Orientierungshilfe
des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2008)
Aus
der Auswertung der Lehrbücher in dieser Studie sollen nur noch wenige weitere
Schlussfolgerungen ergänzt werden.
·
Die
Beschäftigung mit erkenntnistheoretischen Fragen sollte in den
naturwissenschaftlichen Fächern auch schon gegenüber Schülern bis zur Klassenstufe
10 erfolgen. Die meisten Lehrbücher für die Sekundarstufe 1 gehen darauf nicht
oder nur an wenigen Punkten ein.
Die Beschäftigung mit solchen Fragen wird in Lehrplänen und Lehrbüchern für die
gymnasiale Oberstufe zwar viel ausführlicher aufgenommen (manchmal nur in „Anhängen“
oder für Leistungskurse) – aber solche Einsichten sind wichtig für alle Menschen,
die sich in unserer von Naturwissenschaft und Technik so nachhaltig geprägten
Welt zurechtfinden sollen, nicht nur für eine Elite.
·
In den
naturwissenschaftlichen Fächern werden manchmal Vorstellungen von Religion im
Allgemeinen und von christlichem Glauben im Besonderen vermittelt, die falsch, einseitig
oder nicht aktuell sind. So besteht die Gefahr, dass Missverständnisse
bestehen bleiben oder aufgebaut werden, die ein echtes Gespräch erschweren.
·
Manche wichtigen
Ereignisse aus der Vergangenheit (verbunden z.B. mit den Namen Kopernikus, Galilei,
Darwin) sollten im Lichte neuer Erkenntnisse differenzierter dargestellt
werden – ohne dabei auf die notwendige (selbst-)kritische Auseinandersetzung
zu verzichten.
[1] Um nachvollziehen zu können, welche Assoziationen und Empfindungen ein Außenstehender (Atheist, Naturwissenschaftler) bei der wörtlichen Lektüre von Bibeltexten hat, sollte man Dawkins Buch doch einmal selbst gelesen haben. Er bringt in seiner schrillen Darstellung manchen von Christen verdrängten Aspekt biblischer Darstellungen erneut ins Bewusstsein – und das kann für das eigene Nachdenken nur förderlich sein.
[2] Der Gedanke, dass religiöse Menschen in ihrem Glauben „Hypothesen über Gott“ bilden, ist nicht neu. Der Theologe Heinz Zahrnt hat ihn schon vor Jahren zum Titel eines Buches gemacht:
„Soll ich meinen Glauben als
Christ auf einen kurzen Satz bringen, so kann ich sagen: Ich habe eine gute Vermutung
zu Gott. Denke ich aber über diese gute Vermutung nach, so ergeben sich nur
Mutmaßungen über Gott. Das geht jedoch nicht allein dem Theologen so, sondern
jedem Christen, der über seinen Glauben nachdenkt - und wer täte dies nicht? …
Dem Anliegen des Buches entspricht sein Titel »Mutmaßungen
über Gott«. Der Ausdruck geht nicht auf Uwe Johnsons Roman »Mutmaßungen
über Jakob« zurück, sondern stammt von Nikolaus von Kues (»coniecturae Dei«).
Für den Kusaner ist Gott in seinem Wesen vom Menschen nicht zu erkennen und
zu benennen. Weil er unsichtbar ist, gibt es nur Ansichten von ihm - Projektionen,
je aus der Perspektive des Betrachters verschieden und entsprechend vielfältig
und ungenau. Die Vielfalt und Ungenauigkeit bedeutet jedoch keine
Beliebigkeit! Weil das Unendliche im endlichen Erkennen gegenwärtig ist, gibt
die Welt dem Menschen Anhaltspunkte für seine Bilder von Gott an die Hand.
Mutmaßungen über Gott sind demnach keine grundlosen Behauptungen, sondern
Aussagen mit Wahrheitsgehalt. Bieten sie auch keine endgültige Erkenntnis
Gottes, so gewähren sie doch Teilhabe an seiner Wahrheit. Diese ständige
Unfertigkeit aller Gotteserkenntnis versetzt den Menschen in Unruhe; sie nötigt
ihn zu immer neuen Revisionen. Es gibt keine abgeschlossene
kartographische Erfassung des Wesens Gottes - das Gelände muss immer neu
erkundet und vermessen werden. …“
(Quelle: Q56 Zahrnt, Heinz: Mutmaßungen
über Gott, Piper Verlag München Zürich, Taschenbuch 1997, S.11ff.)
[3] Zum Wort „Hervorbringen“: Im Lateinischen bedeutet
„evolvere“: „herauswälzen, herauswickeln, entströmen“ à hier ergibt sich eine interessante sprachliche und inhaltliche
Nähe zwischen dem biblischen Text und dem Begriff „Evolution“!
[4] Lehrer und Physiker-Kollege von Hawking
[5] Kardinal Schönborn war nach einem Zeitungsinterview von Medien als „Kreationist“ verstanden worden – er selbst sieht das offenbar anders.
[6] Verweise auf andere Unterrichtsfächer finden sich in den Lehrplänen des Freistaates Sachsen immer wieder (z.B. für das Fach RELIGION auf BIOLOGIE oder PHYSIK – und umgekehrt). Die Frage ist nur, ob ein Biologie-Lehrer sich mit manchen philosophisch-weltanschaulichen Fragestellungen nicht überfordert sieht und der Verweis auf die Behandlung solcher Fragen in einem anderen Fach nicht auch eine Form der „Verdrängung“ ist. Die Betonung müsste wirklich auf „interdisziplinären Projekten“ liegen, also auf von Vertretern verschiedener Unterrichtsfächer gemeinsam konzipierten, vorbereiteten und durchgeführten Veranstaltungen. Für solche Projekte, die den Rahmen des normalen Stundenrasters im schulischen Alltag sprengen, müsste gezielt Raum vorgesehen werden (Block-Wochen u.ä.).
[7] Hier muss ergänzt werden: es geht nicht nur um biologische, sondern auch um physikalische und astronomische Fragestellungen
[8] Es ist kaum zu erwarten,
dass ein Fachlehrer für PHYSIK auch ausreichend „fit“ ist, um befriedigende
Auskünfte zu Geschichte und Stand von RELIGION zu geben, genauso wie von seinem
Kollegen im Fach RELIGION nicht verlangt werden kann, sich in Detailfragen der
Urknall-Hypothese(n) sicher zu bewegen.
Hier müssten Lehrer zum einen zwar zugestehen, dass sie nicht ALLES wissen
können (und wissen müssen), dass aber das Gespräch über Fachgrenzen hinweg
hier eine wichtige Ergänzung und Bereicherung darstellen kann.
[9] Das hier - aus evangelischer Sicht - skizzierte Bildungsverständnis könnte auch das einer modernen, auf Allgemeinbildung und Lebenstauglichkeit orientierten Schule sein. Naturwissenschaftliche Fächer sollten neben der Vermittlung von Fachwissen immer auch erkenntnistheoretische Fragen und ethische Implikationen des Fachgebietes aufnehmen und mit behandeln.
[10] Wenn man sich wechselseitig verstehen will, sind solche „Klärungen“ zu missverständlichen, missverstandenen oder mehrfach deutbaren Begriffen eine unverzichtbare Voraussetzung. Das sollte dann aber in allen Fächern angegangen werden.
[11] Extreme Positionen, Irrwege und Entgleisungen können erst dann sinnvoll eingeordnet und behandelt werden, wenn man sich zunächst mit den Positionen, die die meisten glaubenden Menschen und Naturwissenschaftler tatsächlich vertreten, bekannt gemacht und nüchtern und kritisch auseinandergesetzt hat.
[12] Hier wird noch einmal in wünschenswerter Klarheit dargelegt, wo die wirklich dringlichen Prioritäten liegen, Fragen, zu denen Naturwissenschaft und Theologie versuchen müssen, gemeinsame Antworten zu finden.