zur startseite

weitere infos glaube naturwissenschaft

 

 

Wenn es in der Schule
um Schöpfung, Evolution und Urknall geht …

Naturwissenschaft in der Begegnung mit philosophischen und religiösen Fragen

In welcher Weise nehmen in Sachsen zugelassene Lehrbücher für die Fächer Biologie, Physik, Astronomie und Religion solche Grenzfragen auf ?

 

Teilband 1:

Allgemeine und grundsätzliche Betrachtungen und Feststellungen

 

Hauptband 1:
Allgemeine und grundsätzliche Betrachtungen und Feststellungen

Kapitel

Inhalt

Seite

1

Allgemeine und grundsätzliche Betrachtungen und Feststellungen

5

1.1

Aufgabenstellung und Einführung

6

1.1.1

Die einzelnen Schritte beim Erstellen dieser Studie

8

1.1.2

Hinweise zu redaktionellen Gesichtspunkten

11

1.2

Zusammenstellung von wichtigen Gesichtspunkten und Erkenntnissen

12

1.2.1

Einige Erwartungen und Vorgaben für eine Begegnung zwischen Naturwissenschaft und Religion

12

1.2.2

Zu Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft und zu Wissenschaftstheorie

13

1.2.2.1

Fortschritt durch Naturwissenschaft: in der Erkenntnis der Welt und in der technischen Anwendung

14

1.2.2.2

Erkenntniswege und Erkenntnisgrenzen der Naturwissenschaft

16

1.2.2.3

Eindeutige Begriffe und Beschreibungen

20

1.2.2.4

Wie erkenntnistheoretische Fragen in Schul-Lehrbüchern aufgenommen werden

24

1.2.2.5

Horizonterweiterung: Verweis auf weitere Quellen mit Hintergrundinformationen zur Wissenschaftstheorie

27

1.2.3

Die Begegnung mit der Vielfalt von Religionen, Bibelverständnissen und Schöpfungsvorstellungen

28

1.2.3.1

Zum Begriff „Religion“

28

1.2.3.2

Bibelverständnisse

29

1.2.3.2.1

Wörtliches Bibelverständnis

29

1.2.3.2.2

Eine grundsätzliche Problemanzeige

31

1.2.3.2.3

Historisch-kritisches Bibelverständnis

32

1.2.3.2.4

Es gibt so viele Bibelverständnisse, wie es Christen gibt

34

1.2.3.3

Zum Begriff „Schöpfung“: Schöpfungsvorstellungen und Schöpfungsglaube

34

1.2.3.4

Die Vorstellung von der „Konstanz der Arten“

41

1.2.4

Ideologien mit Alleinerklärungsanspruch

42

1.2.4.1

Zum Begriff „Ideologie“

43

1.2.4.2

„Kreationismus“ und „Intelligent Design“

45

1.2.4.2.1

„Kreationismus“

45

1.2.4.2.2

„Intelligent Design“

50

1.2.4.3

„Evolutionismus“

52

1.2.5

„Schöpfungsvorstellungen“ dürfen nicht als naturwissenschaftliche Konkurrenz  zu „Evolutionstheorien“ verstanden werden

54

1.2.6

Ist die Kirche, ist der christliche Glaube grundsätzlich wissenschaftsfeindlich?

57

1.2.7

Die Unterscheidung der Betrachtungsebenen löst nicht alle Konflikte zwischen Glaube und naturwissenschaftlichem Weltbild

59

1.3

Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube – als Thema im Schulunterricht?!

60


1 Allgemeine und grundsätzliche Betrachtungen
   und Feststellungen

 

1.1 Aufgabenstellung und Einführung

 

In den letzten Jahren erregt ein Thema erneut die Gemüter.
Es geht um den vermeintlichen oder wirklichen Widerspruch von „Schöpfungsglaube“ und „Evolutionstheorie“, von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Glaubensaussagen.

Titel von Büchern, Zeitschriften und Filmen deuten die Kampfstimmung, aber auch die Nachdenklichkeit an, die das Thema auslöst. Hier seien einige Beispiele aus der Fülle von Beiträgen in den letzten Jahren in Erinnerung gerufen:

 

Das Magazin „DER SPIEGEL“ (Heft 52-2005) erscheint mit dem Titel:

„Gott gegen Darwin - Glaubenskrieg um die Evolution“

Ein umstrittener Film darf im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht (mehr) gesendet werden, macht aber als Videofilm die Runde:

„Hat die Bibel doch Recht? Der Evolutionstheorie fehlen die Beweise“
(Fritz Poppenberg, Drei Linden Film, Berlin).

 

Der katholische Theologie-Professor und Biologe Ulrich Lüke veröffentlicht ein Buch mit dem provokanten Titel:

„Das Säugetier von Gottes Gnaden – Evolution, Bewusstsein, Freiheit“
(Herder Verlag Freiburg 2006).

 

Der britische Biologe Richard Dawkins schreibt eine militante Kampfschrift:

„Der Gotteswahn“ (Ullstein Verlag Berlin 2007) und meint, religiöse Menschen durch naturwissenschaftli­che Fakten überzeugen und „heilen“ zu müssen.

 

Die Zeitschrift idea spektrum titelt im April 2002:

„Die Bibel irrt nicht … In sechs Tagen schuf Gott die Welt“

Die dem „Kreationismus“ nahe stehenden Biologen Reinhard Junker und Siegfried Scherer veröffent­li­chen seit 1998 immer wieder aktualisierte Fassungen des Buches
„Evolution – ein kritisches Lehrbuch“ (Weyel Lehrmittelverlag Gießen)

 

2007 erscheint der Ergebnisband einer Tagung, die unter der Themenstellung

„Schöpfung und Evolution“ auf Wunsch und in Anwesenheit von Papst Benedikt XVI. stattfand (St. Ulrich Verlag Augsburg).

 

Aus Hessen berichtete nicht nur die DIE ZEIT im Jahre 2007 von einem „Kulturkampf um den »Kreationismus«“:

 

Die hessische Kultusministerin Karin Wolff hat mit Kreationismus „überhaupt nichts am Hut“ ... Aber sie spricht von „Konvergenzen“ zwischen „Evolution und Schöpfungsgeschichte“, und sie hält es für „sinn­voll“, Schüler nicht allein mit der Evolutionslehre im Biologieunterricht zu konfrontieren. Darwin und Nachfolger dürften nicht getrennt werden von der „Schöpfungslehre der Bibel“, die im Religionsunterricht vermittelt wird. Auch „noch eine andere Sicht“ sei notwendig als nur die der Naturwissenschaft.


(DIE ZEIT 12.7.07 S.42)

 

Das Thema schlug mächtige Wogen, obwohl schon damals im Lehrplan Biologie für den gymnasialen Bildungsgang des Hessischen Kultusministeriums aus dem Jahre 2005 für die 12. Jahrgangsstufe zum Thema Evolution als Aufgabe stand: „Auseinan­dersetzungen mit philosophischen und religiösen Aussagen müssen die naturwissen­schaftliche Diskussion ergänzen und erweitern.“ (zit. nach: Hubert Meisinger: Intelligent Design als Herausforderung an Naturwissenschaften und Theologie, 6.8.2007).

Schöpfungsgedanken im Biologieunterricht? Für die einen ist das eine verlockende und reizvolle Vorstellung, für andere eher ein Albtraum.

Viele Zeitgenossen erinnern sich bei diesem Thema an ihre eigene Schulzeit, an Erfah­rungen, die sie selbst mit guten Lehrern und schlechten Pfarrern oder mit schlechten Lehrern und guten Pfarrern ge­macht haben.

Immer wieder wird auch darauf verwiesen, was „damals“ in den Lehrbüchern stand.

Und es wird vermutet und behauptet, so seien die Bio-Bücher sicher noch heute: ein­seitig, ideologisch befrachtet, glaubensfremd oder glaubensfeindlich …

Andere befürchten vielleicht, dass nach Jahrhunderten mühsam erreichter Aufklärung nun eine Rückkehr zu mittelalterlichen Weltvorstellungen droht.

Ich habe - als betroffener Vater und von Berufs wegen – in den letzten Jahren immer einmal in aktuellen Lehrbüchern geblättert, und ich habe dort Unterschiedliches ent­deckt. Manche Bücher blenden Fragen zu den Grenzen der Naturwissenschaft weitge­hend aus und gehen auf philosophisch-religiöse Aspekte nur sparsam ein. Andere öff­nen sich solchen Fragen in großer Breite und Tiefe.

Lehrer, Schüler und Eltern, die sich für solche Fragen interessieren, haben in der Regel wohl nur das eine Lehrbuch in der Hand, das (wer, nach welchen Kriterien?) für gerade diese Schule ausgewählt hat.
Es könnte deshalb für sie interessant sein, zu erfahren, was an anderer Stelle, in ande­ren Lehrbüchern angeboten wird.

 

 

 


1.1.1 Die einzelnen Schritte beim Erstellen dieser Studie

 

 

A) Auswertung von Schulbüchern

 

Für die hier vorgelegte Ausarbeitung wurden in einem ersten Schritt Schulbücher ein­mal etwas systematischer unter die Lupe genommen.

Dazu wurden Lehrbücher unter folgendem Blickwinkel bzw. mit folgendem Suchraster durchgesehen:

 

·        Es wurden Lehrbücher ausgewertet, die im Freistaat Sachsen im Schuljahr 2007/2008 zugelassen waren und im Unterricht verwendet wurden.

·        Die Auswertung erfasste die naturwissenschaftlichen Unterrichtsfächer Biologie, Phy­sik und Astronomie (in Sachsen bis zu diesem Jahr noch ein eigenständiges Unterrichtsfach).
Zusätzlich wurden auch Lehrbücher für den Religionsunterricht ausgewertet.

·        Die Lehrbücher wurden daraufhin befragt, OB (überhaupt) und WIE (in welcher Art und Weise) sie etwas aussagen zu
+ Arbeitsweise und Erkenntnisgrenzen des Fachgebietes
   (bzw. der Naturwissenschaften im Allgemeinen)
+ Berührungspunkten zu religiösen -
   und im weiteren Sinne zu philosophischen – Fragestellungen

·        NICHT untersucht und behandelt wurden ethische Fragen, die sich aus der An­wendung von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ergeben
(z.B. Atomenergie, Gentechnik), und bei deren Beantwortung auch religiöse und philosophische Überlegungen mit einfließen können.

 

Die ausgewerteten Bücher wurden quergelesen. Hinweise, wo etwas zu den hier inter­essierenden Fragen zu finden sein könnte, ergaben sich aus Inhaltsverzeich­nissen, aber auch durch gezieltes Suchen unter Stich- und Reizworten wie z.B. „Evolu­tion“(stheorie), „Anfang des Lebens“ auf der Erde, „Anfang des Universums“ (Urknall), „Chaosforschung“, „Quantenphysik“ …

Wegen der deutlich erkennbaren Unterschiede der Schulbücher für die
Sekundarstufe 1 (5. bis 10. Schuljahr) und für die
Sekundarstufe 2 (auch: gymnasiale Oberstufe; 11. und 12. Schuljahr)
erfolgt die hier vorgenommene Auswertung in der Regel ge­trennt für diese beiden Bildungs­stufen.

 

In den Teilbänden 2.1 bis 2.3 = Kapitel 2.1 bis 2.3 werden Lehrbücher ausgewertet, die im Freistaat Sachsen im Schuljahr 2007/2008 für den Unterricht in den Fächern Biologie, Physik, Astronomie und Religion zugelassen waren.

Die Auswertung der Schulbücher erfolgt nach Fächern getrennt.
Bevor in den einzelnen Fächern auf die Lehrbücher eingegangen wird, werden zu­nächst wichtige, für die hier behandelte Themenstellung relevante und interessante Zielstellungen aus den Lehrplänen für den Freistaat Sachsen (2004) wiedergegeben.
Danach werden ausführliche Zitate aus aktuellen Schullehrbüchern zur Kenntnis gebracht und kommentiert.

 

Lehrbücher zum Unterrichtsfach BIOLOGIE werden in Teilband 2.1 = Kapitel 2.1 ausgewertet
Dabei geht es in einem ersten Schritt um die Fragestellung, inwieweit die Darstellung von Arbeitsmethoden und Erkenntnisgrenzen der Naturwissenschaft Eingang in die Lehrbücher gefunden haben.
Dazu werden zunächst Bücher ausgewertet, die bis zur 10. Klasse eingesetzt werden (Sekundarstufe1), im Anschluss daran Lehrbücher für die Sekundarstufe 2 (gymnasiale Oberstufe).
In einem zweiten Schritt wird eine Grenzfrage gesondert aufgenommen: Wie stellen Lehrbücher die Erkenntnisse zur Entstehung des Lebens auf der Erde dar? Hier wer­den wieder die Bücher für die Sekundarstufe 1 und die für die Sekundarstufe 2 getrennt betrachtet.
In einem dritten Schritt werden die Lehrbücher daraufhin befragt, ob und in welcher Weise sie auf geschichtliche und aktuelle Aspekte des Verhältnisses zwischen „Schöpfung und Evolution“ eingehen. Für diesen Punkt erschien es sinnvoll, jeweils die Lehrbücher, die aus dem gleichen „Haus“ (Verlag, Autoren) stammen, auch ge­meinsam zu behandeln.

Diesem Kapitel ist ein gesonderter Exkurs zur (Er-)Klärung wichtiger Begriffe voran­gestellt.

 

Im Teilband 2.2 = Kapitel 2.2 werden Lehrbücher für die Unterrichtsfächer PHYSIK und ASTRONOMIE betrachtet.
Grundsätzlich werden die Lehrbücher für die Sekundarstufe 1 zuerst und getrennt von den danach behandelten Lehrbüchern für die Sekundarstufe 2 betrachtet.
Die in diesem Kapitel gestellten Einzelfragen lauten:
Wie werden Erkenntnisgrenzen der Naturwissenschaft bewusst gemacht (Wissen­schaftstheorie), und wie werden philosophische und religiöse Bezüge wahr- und aufgenommen?
Ein zweites Kapitel geht auf die Auseinandersetzung um das kopernikanische Welt­bild ein.
In einem dritten Anlauf geht es um die Annäherung an eine Grenzfrage:„Urknall“.

 

Zitate aus Lehrbüchern zum Unterrichtsfach RELIGION werden in Teilband 2.3 = Kapitel 2.3 zusammengestellt. Hier geht es um die Erkenntnismöglichkeiten der Na­turwissenschaft sowie um die Begegnung von Glaube und Naturwissenschaft.

 

B) Zusammenfassung von wichtigen Gesichtspunkten
    und Erkenntnissen


Bei der Lektüre der Schulbücher wurde deutlich, dass es sinnvoll ist, in einer an wichti­gen Stichworten orientierten Darstellung einige Begriffe zu (er-)klären sowie grundsätz­liche Informationen zu den Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft, aber auch zum Verständnis von Religion und Bibelverständnissen zusammenzufassen, um viel­leicht so manches Missverständnis auszuräumen.
Diese Vorgaben machen dann umgekehrt auch verständlich, unter welchem Blick­winkel für den Autor gerade die Text-Passagen aus den Schulbüchern wichtig waren, die er ausgewählt, gekennzeichnet und kommentiert hat.

 

An dieser Stelle sollen lediglich ein paar ausgewählte inhaltliche Schwerpunkte aus dem hier vorliegenden Teilband 1 (Hauptband) aufgeführt werden.
Zunächst werden grundsätzliche Erwartungen an eine Begegnung zwischen Natur­wissenschaft und Religion benannt (1.2.1).
In Kapitel 1.2.2 werden einige grundlegende Aspekte zu Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft und zu wissenschaftstheoretischen Fragen dargestellt.

Ein weiteres Haupt-Kapitel widmet sich der Vielfalt von Religionen, Bibelverständ­nissen und Schöpfungsvorstellungen (1.2.3).

Anschließend wird auf Ideologien mit Alleinerklärungsanspruch eingegangen (Kreatio­nismus, Evolutionismus – 1.2.4).

Am Ende dieses Bandes werden einige Schlussfolgerungen für den Umgang mit dem Themenkreis „Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube“ im Schulunterricht gezogen (1.3).

 

 

C) Weltall Erde Mensch“ - ideologisierte Naturwissenschaft im Bildungssys­tem der DDR

 

Teilband 3 = Kapitel 3 widmet sich in einer gesonderten Darstellung dem Rückblick auf den weltanschaulich-ideologisch ausgerichteten Biologieunterricht in der DDR und verdeutlicht den Weg von „Weltall Erde Mensch“ (1955) über die „Grund­sätze für die Gestaltung des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems“ (1964) hin zu Lehr­plänen und Lehrbüchern, die in den 1970er und 1980er Jahren verwendet wur­den.

 

D) Horizonterweiterung: Zusammenstellung von ausführlichen Zitaten aus verwendeten Quellen

 

Im Teilband 4 = Kapitel 4 werden ausführliche Zitate aus weiteren Quellen - also nicht aus Schullehrbüchern - dokumentiert, soweit solche „Fremdquellen“ nicht schon bei der Kommentierung der Schulbuchtexte in Kapitel 2 eingebracht wurden. Durch deren Lektüre kann evtl. mancher Aspekt, der bereits in den grundlegenden Darstellun­gen in Band 1 oder auch im Zusammenhang mit dem einen oder anderen Lehrbuch-Zitat angesprochen wurde, noch einmal unter einem anderen Blickwinkel erläutert und vertieft werden.

 

 


1.1.2 Hinweise zu redaktionellen Gesichtspunkten

 

Im Wesentlichen werden ausführliche Zitate aus den ausgewerteten Büchern und Mate­rialien, vor allem aus Schul-Lehrbüchern, wiedergegeben und sparsam kommentiert.

 

(Quelle: XY Namen, Titel, Verlag, Jahr…)

 

Zitate aus Lehrbüchern und anderen Quellen sind in solchen „Kästen“ dargestellt.
Zu Beginn jedes „Zitaten-Kastens“, also am oberen Rand, befindet sich die Quellenangabe (gleiche An­gaben wie im Gesamt-Verzeichnis aller verwendeten Quellen am Ende der Studie). Bei längeren Zitaten-Kästen wird die Quellenangabe noch einmal am Ende des Kastens wiederholt.

(Quelle: XY Namen, Titel, Verlag, Jahr…)

 

Der Leser soll – ohne die Original-Lehrbücher in der Hand zu haben – einen umfassen­den Eindruck davon erhalten, OB auf bestimmte Fragestellungen überhaupt eingegan­gen wird, WAS dazu gesagt wird und WIE es gesagt wird. Dabei sollen die Zitate weit­gehend für sich sprechen. Damit besteht die Chance, dass der Leser selbst an be­stimmten Textstellen oder Formulierungen hängen bleibt oder sich daran stößt.

 

Allerdings hat der Autor kommentierend in die Texte eingegriffen:
Wo es ihm wichtig erschien, etwas hervorzuheben, ist das durch Unterstreichungen geschehen.
Aus der Sicht des Autors diskussionsbedürftige oder bemerkenswerte Aussagen sind in manchen Fällen in Fußnoten
(z.B. 123) noch weiter kommentiert worden.

 

Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es wegen der Auswertung der Lehr­bücher unter verschiedenen Fragestellungen unvermeidlich ist, wenn dem Leser in we­nigen Fällen die gleichen Zitate oder Kommentare mehrmals an unterschiedlichen Stellen begegnen.

 

Aus den gesichteten Quellen wurden (nur) die für die Themenstellung wichtigen Text­stellen als Zitate in die vorliegende Studie übernommen. Die Auswahl der Texte erfolgte nach bestem Wissen und Gewissen. Dennoch sind möglicherweise wichtige Passagen übersehen worden, und auch Missverständnisse oder Fehlinterpretationen seitens des Autors sind nicht auszuschließen.

Wenn kritischen Lesern und Leserinnen Defizite und Fehler auffallen, so mögen sie bitte darauf hinweisen – die notwendigen Daten für die Erreichbarkeit des Autors finden Sie im Impressum auf der letzten Seite.

 


1.2 Zusammenstellung von wichtigen Gesichtspunkten
      und Erkenntnissen

 

1.2.1 Einige Erwartungen und Vorgaben für eine Begegnung
         zwischen Naturwissenschaft und Religion

 

Hier werden zunächst einige Erwartungen und „Spielregeln“ formuliert, die in der Be­gegnung von Naturwissenschaft und Religion beachtet werden sollten.
Ich orientiere mich dabei an einem Vorschlag von Dr. Hans W. Becker.

In der gesamten Thematik geht es um eine Positionsbestimmung von Naturwissenschaft und Religion jeweils für sich wie auch um die Begegnung zwischen ihnen, ihr Verhältnis zueinander.
In unserer säkularen Gesellschaft sind dafür Regeln zu finden, von denen einige mögliche in dem folgenden Kriterienkatalog zusammengestellt sind:

1.      Die beiden Kategorien - Naturwissenschaft und Religion - nähern sich auf unterschiedliche Weise an die Wirklichkeit der Welt an.
Sie sind selbstständig und agieren in erster Linie unabhängig voneinander, jede auf ihrem Territorium, jede mit ihren Maßstäben.

2.      Diese grundsätzliche Selbstständigkeit und Unabhängigkeit wird wechselseitig anerkannt.

3.      De facto muss man zur Kenntnis nehmen, dass Regel 2 längst nicht immer wechselseitig anerkannt ist. Extrempositionen machen das deutlich:
a)  Auf dem Gebiet der Naturwissenschaft(en) gibt es „Alleinvertreter“, die behaupten, Naturwissenschaft könne ALLES erkennen und erklären, religiöse Deutungen seien Unsinn und unnötig.
b)  Auf dem Gebiet der Religion(en) gibt es „Alleinvertreter“, die behaupten, Religion könne ALLES Wesentliche erklären, Naturwissenschaft müsse sich diesem Primat unterordnen oder Naturwissenschaft komme zu falschen Erklärungen / Erkenntnissen.

4.      Aus vielerlei Gründen kann-darf-muss man sich gegenseitig miteinander beschäftigen - etwa wenn es um Grenzfragen der Erkenntnis geht oder wenn die Nutzung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse ethische Fragen aufwirft.

5.      Bei der kritischen Beschäftigung mit der jeweils anderen Kategorie muss die Feststellung unter 3. (s.o.) beachtet und deutlich gemacht werden, von welcher „Spielart“ der anderen Kategorie man redet. Folgerichtig gilt dann:

6.      Wenn man sich mit der „Normalvariante“ der anderen Kategorie befasst, die die Regeln anerkennt, ist ein Hineinreden in die andere Kategorie oder gar Fundamentalkritk unzulässig.

7.      Wenn man sich mit den „Alleinvertretern“ der anderen Kategorie befasst, ist in dem Bereich, wo sie die Argumente der Gegenseite nicht verstehen, ignorieren oder diffamieren, selbstverständlich eine Stellungnahme und Auseinandersetzung zulässig, notwendig und wünschenswert.


1.2.2 Zu Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft
         und zu Wissenschaftstheorie

 

Das Denken gehört zu den
größten Vergnügungen der menschlichen Rasse

 

Die Wissenschaft kennt nur ein Gebot:
den wissenschaftlichen Beitrag


Unsere neue Kunst des Zweifelns
entzückte das große Publikum …


(Q44 Bertolt Brecht: Leben des Galilei, Reclam, Leipzig 1968, S.29,104,105)

 

Brecht beschreibt in seinem „Galilei“ in kaum zu überbietender Kürze und Prägnanz wesentliche Aspekte naturwissenschaftlichen Forschens.

1.      Neugierig zu sein, die uns umgebende Welt verstehen zu wollen und auch – wenigs­tens ein Stück weit – verstehen zu können, das sind großartige Begabungen, mit denen wir Menschen ausgestattet sind. Sie machen uns zu recht stolz, und gleich­zeitig mahnen sie zur Bescheidenheit: Unsere Welterkenntnis ist begrenzt auf die Mittel und Möglichkeiten unseres menschlichen Verstandes.

2.      Naturwissenschaft versucht, mit den Mitteln des menschlichen Verstandes und unter Beachtung der methodischen Vereinbarungen in ihrem Zuständigkeitsbereich (für die uns umgebende „fassbare“ Natur) immer bessere Erklärungen für Natur­vor­gänge zu finden. Sie ist dabei allein an ihre eigenen „Spielregeln“ gebunden und soll sich freihalten: sowohl gegenüber der Bevormundung von „außen“ (Welt­an­schauun­gen, Interessen, Macht, Geld …) wie auch von der Versuchung, All-Erklä­rungs­ansprüche für die ganze Wirklichkeit der Welt zu erheben und Allmachtsphantasien zu erliegen. Dass es nur um den „wissenschaftlichen Beitrag“ geht, deutet aber auch eine andere Gefahr an. Das Forschen allein um des For­schens willen kann die Wis­senschaft im „Elfenbeinturm“ der vermeintlich zweck­freien Grundlagenerkenntnis gefangen nehmen: soziale oder ökologische, ethisch zu verantwortende Neben- und Folgewirkungen werden ausgeblendet und ver­drängt.

3.      Brecht nennt die Arbeitsweise der Naturwissenschaft „Kunst des Zweifelns“. Naturwis­senschaft ist eine Kunst in dem Sinne, dass Begabung und Disziplin im Be­herrschen der handwerklichen Fähigkeiten und in der Einhaltung der vereinbarten „Spielregeln“ (naturwissenschaftliche Methode) wichtige Eigenschaften eines guten Naturforschers sind. Und das Bezweifeln, einmal von überkommenen Überzeugun­gen, aber auch das ständige Infragestellen der eigenen Ansichten, gehört zum Grundansatz auf dem Weg des naturwissenschaftlichen Suchens nach Wahrheit, der nie zu Ende ist.

 


1.2.2.1 Fortschritt durch Naturwissenschaft:

            in der Erkenntnis der Welt
            und in der Anwendung von Technik

 

„Wir verdanken unseren Wohlstand der Entscheidung, Wissenschaft zu betreiben.“

 

(Ernst Peter Fischer, Wissenschaftshistoriker)
(bild der wissenschaft 11-2008 S.10)

 

Angetrieben von seiner unstillbaren Neugier gewinnt der Mensch durch die Anwendung naturwissenschaftlicher Methoden Einsichten darüber, wie die Welt, in der er lebt, auf­gebaut ist und wie sie funktioniert.

In den vergangenen Jahrhunderten sind hier immer mehr Befunde zusammengetragen worden, die ein immer besseres Verständnis der Welt ermöglicht haben. Und die An­wendung dieser Erkenntnisse in Gestalt von Technik hat dem Menschen neue Möglich­keiten eröffnet, sich „die Erde untertan zu machen“ (Bibel, 1. Buch Mose 1,28), die Welt umzugestalten und zu nutzen. Dadurch ist viel tatsächlicher und segensreicher Fort­schritt möglich geworden. Dass heute – eingeschränkt gilt das derzeit leider längst nicht für alle Menschen auf diesem Planeten – Maschinen die körperliche Arbeit erleichtern, Mobilität per Auto und Flugzeug die ganze Welt erreichbar gemacht hat, medizinischer Fortschritt (Operationstechniken, Medikamente) Krankheit und Leid in vielen Fällen hat zurückdrängen können, dass die Nahrungsversorgung (dank Züchtung und Einsatz von Chemikalien und Technik zur Bodenbearbeitung) dauerhaft und zuverlässig gewähr­leistet ist – all das verdanken wir der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung in früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten. Und dass Technik der unterschiedlichsten Art in der Regel zuverlässig funktioniert, ist Ausdruck davon, dass die hier zugrunde lie­genden Einsichten nicht völlig falsch sein können, sondern offenbar eine recht gute An­näherung an die „wirklichen“ (objektiven) Zusammenhänge der Welt darstellen. Auch scheinbar exotische und realitätsferne Naturwissenschaft, die für viele Zeitgenossen weit weg zu sein scheint von ihrem Alltag, prägt diesen inzwischen auf Schritt und Tritt:

 

(Quelle: Q65 Bild der Wissenschaft, Heft 12-2003 S.40)

 

 

Ohne die Maxwellschen Gleichungen der Elektrodynamik hätten wir weder Radio- noch Röntgengeräte, ohne Albert Einsteins Relativitätstheorie weder GPS noch Satelliten-Wetterbilder, und ohne die Schrödin­ger- und Dirac-Gleichung in der Quantenmechanik weder CD-Spieler noch Kernspin- und Positronen-Emissions-Tomografie zur Diagnose von Erkrankungen und zur Abbildung von Hirnaktivitäten. ...

 

Wenn in dieser Studie besonders das „Hypothetische“ und „Theoretische“ in der natur­wissenschaftlichen Erkenntnis thematisiert wird, muss klar sein, dass viele Theorien offenkundig eine recht gute Annäherung an die wirklichen Verhältnisse in der Welt dar­stellen und sie zutreffend beschreiben. Das betrifft vor allem die Wissenschaft, die sich mit regelmäßig ablaufenden, sich ständig wiederholenden Naturvorgängen be­schäftigt oder mit reproduzierbaren und wiederholbaren Experimenten, die eine stän­dige kriti­sche Überprüfung von Hypothesen möglich machen. Deutlich spekulativer und theoreti­scher ist der Gehalt von naturwissenschaftlichen Aussagen zu Fragen, die Grenzsitua­tionen betreffen, z.B. sich mit Ereignissen beschäftigen, die zeitlich oder räumlich ex­trem weit entfernt sind vom normalen irdischen Alltag, oder die evtl. nur einmal in der Geschichte aufgetreten sind, (z.B. Singularitäten wie der Urknall, das Auftreten von ersten Lebensformen oder das Auftauchen von menschlichem Bewusst­sein).
In der Wissenschaftsgeschichte hat sich gezeigt, dass in vielen Fällen eine neue, um­fassendere Theorie die bisherigen Erklärungen nicht überflüssig macht und ersetzt, sondern dass die alte Theorie mit begrenztem Geltungsbereich in der neuen Theorie weiter enthalten ist. So werden heute noch die Bahnberechnungen für Satelliten in erd­nahen Umlaufbahnen nach Newtonschen und Keplerschen physikalischen Gesetzen durchgeführt, die für diese Verhältnisse zuverlässige Ergebnisse erbringen; die Erweite­rungen der Einsteinschen Relativitätstheorie wirken sich erst in wirklich kosmischen Di­mensionen (Massen, Zeiträume, Entfernungen) aus.

 

Diese Würdigung von Naturwissenschaft wurde hier vorangestellt, um wenigstens et­was Balance herzustellen zum folgenden Kapitel, in dem über-deutlich auf die (Er­kenntnis-) Grenzen der Naturwissenschaft eingegangen wird. All das dort Gesagte schließt eben nicht aus, dass wir durch unsere der Natur abgelauschten Erkenntnisse (Anwendung der Naturgesetze) – auch wenn sie nur eine Annäherung an die Wirklich­keit darstellen – die Welt äußerst erfolgreich beschreiben, erklären, prognostizieren und verändern. Dass Technik in unserer Alltagspraxis in der Regel recht zuverlässig funktio­niert, ist Ausdruck der erreichten Leistungsfähigkeit von „Theorien“.

 

Manchmal begegnet heute eine pauschale kritische Bewertung von Naturwissenschaft und Technik – gerade auch unter christlichem Vorzeichen.
Beide werden unter Generalverdacht gestellt, eigentlich nur Schlechtes und Problemati­sches in die Welt gebracht zu haben. Man denkt da an Klone, an Atomkraftwerke, an Umweltbelastungen oder auch an „Gefälligkeitsgutachten“ (und dazu ist ja auch kriti­sches zu sagen!) - aber man vergisst elektrischen Strom und Herzschrittmacher und Insulin und die vielen verantwortungsbewusst tätigen Forscher. In falschen Alternativen wird „künstlich“ gegen „natürlich“ gestellt, werden vermeintliche Heilswege gegen Katastrophen-Szenarien gestellt, gelten „Eingriffe in die Schöpfung“ als grundsätzlich verboten 

Dabei geht es aber meist vorrangig gar nicht um naturwissenschaftliche Grundlagen­forschung als das Suchen nach Erkenntnis, sondern im Fokus stehen vor allem ethi­sche Fragen der technischen Anwendung von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, bei denen dann aber auch weitere menschliche Eigenschaften, Motive und Interessen eine Rolle spielen (Geld, Macht, Ehrgeiz).


1.2.2.2 Erkenntniswege und Erkenntnisgrenzen
            der Naturwissenschaft

 

Im Folgenden sollen zunächst einige grundsätzliche Einsichten zur Arbeitsweise der Naturwissenschaft und zur Reichweite ihrer Erkenntnis zusammengestellt werden. Viele Feststellungen sind dabei aus den ausgewerteten Schullehrbüchern und den anderen aufgeführten Quellen entnommen.

 

Naturwissenschaft hat mit ihrem Suchen und Fragen in den letzten Jahrhunderten beein­druckende Erfolge ge­feiert. Sie hat versucht, in immer neuen Anläufen den mate­riellen Aufbau der Welt und das Funktionieren ih­rer Teile zu erklä­ren, und das Publikum hat die­sen Prozess mit Staunen, Faszination oder auch Verwirrung beglei­tet. Zum an­deren ist es der Naturwissenschaft in ihrer praktischen Umsetzung, in Gestalt der Tech­nik, gelungen, die Welt für den Men­schen in Besitz zu nehmen und diese - oft erfolg­reich, manchmal aber auch mit zwiespältigem Er­gebnis - zu verändern.

Die Erfolge (und Folgen) der Naturwissenschaft sind gewaltig und (ver-)führen viele Zeitge­nossen zu einer regel­rechten Wissenschafts-Gläubigkeit. Gerade für Men­schen, die mit Gott nichts (mehr) anfangen können, sind die mo­derne Na­turwissen­schaft und Medizin („Halbgötter in Weiß“) an seine Stelle getreten. Wo man früher von Gott er­hoffte und er­wartete, dass er die Probleme dieser Welt (auf-)lösen und Not und Leid heilen werde, da wer­den heute über­mächtige Erwartungen an die Naturwis­senschaft herangetragen und von manchen ihrer Vertre­ter auch geschürt: Sie soll nicht nur alle Fragen beantworten, sie soll auch in eine lichte, sorgenfreie Zukunft, in eine heile Welt führen. Und manche Naturwissenschaftler nehmen diese Rolle offensiv an:

 

„Ich will die Welt retten.“

Craig J. Venter; Biochemiker,

(maßgeblich beteiligt an der Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes)

 

Auch wenn Naturwissenschaft von vielen Menschen als allmächtig bestaunt oder be­argwöhnt wird, ist ganz deut­lich zu sagen:
Naturwissenschaft ist weder allwissend noch ist sie allmächtig!
Gute Naturwissen­schaftler haben zu allen Zeiten gewusst, dass sie „kleine Brötchen backen“, dass sie nur zu vorläufig gültigen Einsichten kommen, dass sie nicht für die ganze Wirklichkeit der Welt zuständig sind, und dass sie nicht auf ALLE Fragen eine Antwort ge­ben können (und müssen).

Hier sei beispielhaft auf Aussagen von Darwin und Haeckel verwiesen, die das für ihre Arbeit selbstkritisch, fast schon ironisch reflektiert haben:

 

(Quelle: Q7 Darwin, Ch.: Die Abstammung des Menschen und die Zuchtwahl in geschlechtlicher Beziehung, Reclam, Leipzig o.J., Bd. II, S.409)

 

Charles Darwin:
Manche der vorgebrachten Ansichten sind höchst spekulativer Art und einige werden sich sicherlich als irrig erweisen; aber ich habe in allen Fällen die Gründe angeführt, welche mich mehr zu der einen oder der anderen Ansicht veranlassten. ... unrichtige Ansichten, die einigermaßen von Beweisen unterstützt werden, können nur wenig schaden, denn jedermann findet ein heilsames Vergnügen darin, ihre Unrich­tigkeit zu erproben. Und ist dies geschehen, so wird dadurch der Weg zum Irrtume verlegt und oft auch gleichzeitig ein Weg zur Wahrheit geöffnet.


 

(Quelle: Q17 Haeckel, E.: Die Welträtsel, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart, 1899, S.120)

 

 

Ernst Haeckel:
… das Wissen bleibt immer lückenhaft und unbefriedigend, wenn nicht die Phantasie die ungenügende Kombinationskraft des erkennenden Verstandes ergänzt und... entfernt liegende Erkenntnisse zu einem zusammenhängenden Ganzen verknüpft. Dabei entstehen neue allgemeine Vorstellungs­gebilde, welche erst die wahrgenommenen Tatsachen erklären und das „Kausalitäts-Bedürfnis der Vernunft befriedigen.“ Die Vorstellungen, welche die Lücken des Wissens ausfüllen oder an dessen Stelle treten, kann man im weiteren Sinne als „Glauben“ bezeichnen ... Indessen dürfen in der Wis­senschaft nur solche Hypothesen zugelassen werden, die innerhalb des menschlichen Erkenntnis-Vermögens liegen, und die nicht be­kannten Tatsachen widersprechen. ...
Die Erklärung einer größeren Reihe von zusammenhängenden Erscheinungen durch Annahme einer gemeinsamen Ursache nennen wir Theorie. Auch bei der Theorie, wie bei der Hypothese, ist der Glaube (im wissenschaftlichen Sinne!) unentbehrlich; denn auch hier ergänzt die dichtende Phantasie die Lücke, welche der Verstand in der Erkenntnis des Zusammenhangs der Dinge offen lässt. Die Theorie kann da­her immer nur als eine Annäherung an die Wahrheit betrachtet werden; es muss zugestanden werden, dass sie später durch eine andere, besser begründete Theorie verdrängt wer­den kann.

 

Naturwissenschaft zu betreiben ist eine bestimmte Art, sich mit der Wirklichkeit der Welt auseinanderzusetzen.
Dafür gibt es nicht nur klare Spielregeln (die naturwissen­schaftliche Methode), sondern diesem Zugang zur Welt sind auch Grenzen gesetzt
,
von denen hier einige benannt werden sollen.

·        Die Naturwissenschaft geht in ihrem Tun von Annahmen aus, de­ren Gül­tigkeit und Richtig­keit vor­ausgesetzt werden, die sich aber nicht be­weisen las­sen (Axiome):
So wird – ohne diese Annahme kann Na­turwissen­schaft einfach nicht sinnvoll ar­beiten – vorausgesetzt, dass die Naturge­setze zu allen Zeiten und an je­dem Punkt des Universums in gleicher Weise gelten - so, wie wir sie heute auf der Erde
(er-)kennen.
Oder es wird vorausgesetzt, dass der Kosmos „homogen und isotrop“ ist (d.h. dass Materie etwa gleich­mäßig ver­teilt ist und wir deshalb im uns zugänglichen Nah­bereich typi­sche Verhältnisse vor-finden).

·        Wir wissen nicht, ob im Universum nur die von uns bisher nach­gewiesenen Teilchen existieren. Derzeit ge­hen die meisten Astrophysi­ker davon aus, dass nur etwa 5 Prozent unseres Universums aus Stoff­lichkeiten be­stehen, die wir kennen, und dass 73% aus „dunkler Ener­gie“ und 22% aus „dunkler Materie“ bestehen („dunkel“ steht hier schlicht für das Nicht-Wissen).
Wir wissen auch nicht, ob unser Kosmos nur von den vier uns bekannten Kräften beherrscht wird (diese sind: die starke und die schwache Kraft oder Wechselwirkung im Bereich atoma­rer Dimensionen, die elektromagnetische Kraft und die Schwer­kraft) und ob diese in einer einheitlichen Theorie erklärt werden können.

·        Naturwissenschaft ist von ihrem Anspruch her der Versuch, die Welt mit den Mitteln des menschli­chen Verstandes zu erklären. Es ist sehr fraglich, ob die drei Pfund grauer Gehirnzellen, die unser Schädel ein­schließt, in der Lage sind, das ganze Universum mit der Fülle und Vielfalt seiner Er­scheinungen wahrzuneh­men, zu ver­stehen und umfassend zu erklären. In unseren naturwissen­schaftlichen, von Men­schen erdachten Modellen und Theorien wird die Natur überschaubar (gemacht). Wir wissen jedoch, dass die Struktur, die wir der Welt damit auferlegen, in den Grenzen unserer menschlichen Vorstellungskraft erfolgt und schon deshalb nicht voll­kommen ist.
Außerdem gehen immer subjektive Annahmen/Vorgaben schon in die Planung von Beobachtungen oder Versuchen mit ein. Ohne Beobachter „ist“ die Natur anders, als wenn der Naturwissenschaftler sie untersucht.

 

(Quelle: Q67 Die Bibel, erschlossen und kommentiert von H. Halbfas, Patmos 2001, S.29)

 

 

Werner Heisenberg:
„Der Gegenstand der Forschung ist nicht die Natur an sich, sondern die der menschlichen Fragestel­lung ausgesetzte Natur, und insofern begegnet der Mensch auch hier wieder sich selbst.“

 

(Quelle: Q76 Weber, Thomas P.: Darwin und die neuen Biowissenschaften, DuMont Köln, 2005, S.33)

 

 

Für Soziologen, Historiker, Anthropologen und Ethnologen beginnt das „Soziale“, sobald zwei oder mehr Menschen in Wechselwirkung stehen: Wissenschaft kann daher nicht anders als „sozial“ sein. Für Naturwissenschaftler ist das Soziale dagegen das Ungebändigte, Irrationale, das nie in das Hei­ligtum des Labors eindringen darf.

 

·        Arbeitsgegenstand der Naturwissen­schaft ist seit ihren Anfängen, was man se­hen und anfassen kann, was sich zählen, wiegen und messen lässt. Dabei ist es grund­sätzlich geblieben, auch wenn wir das Leis­tungsvermö­gen unserer Sinnesor­gane mit technischen Hilfsmitteln - z.B. beim Sehen mit Mik­roskopen oder Telesko­pen – deutlich ausweiten konnten. Wir wissen auf der einen Seite, dass das „Netz“, mit dem die Na­turwissenschaft das „Meer der Wirklichkeit“ durchfischt, viele inte­res­sante Funde erfasst und festgehalten hat. Aber manches, was auch zur Wirklichkeit gehört, schlüpft einfach durch die Maschen dieses Netzes, weil die vom Natur­wis­senschaftler gezielt gewählte Maschenweite nur bestimmte „Fische“ sucht und fest­hält.

(Quelle: Q26 Vollmer, G.: Biophilosophie, Reclam, Stuttgart, 1995, S.51)

 

 

Biologie als Naturwissenschaft schließt gewisse Fragen einfach aus, die anderswo gestellt werden. Fragen nach Daseinszielen, nach dem Sinn des Lebens, nach einem Weltenschöpfer oder Welten­lenker, nach Geltungsgründen oder moralischen Rechtfertigungen werden in der Biologie nicht nur nicht beantwortet: Sie werden gar nicht erst gestellt, nicht einmal zugelassen. Als legitim gelten in­nerhalb der Erfahrungswissenschaften nur Fragen, die Tatsachen betreffen und die im Rahmen er­fahrungswissenschaftlicher Methoden wenigstens prinzipiell Aussicht auf Beantwortung haben.

 

Für die Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaften gilt allgemein und ganz grundsätzlich:

Naturwissenschaftliche Erkenntnis führt nicht zu endgültigen Wahrheiten.
Das Wissen bleibt immer unvollkommen, ist vorläufig und ist verbesserungs­bedürftig.
Die Ergebnisse sind Modelle, Hypothesen, Theorien
.

Das schließt nicht aus, dass wir durch unsere der Natur abgelauschten Erkenntnisse (Anwendung der Naturgesetze) – auch wenn sie nur eine Annäherung an die Wirklich­keit darstellen – die Welt äußerst erfolgreich beschreiben, erklären, prognostizieren und verändern. Dass Technik in unserer Alltagspraxis in der Regel recht zuverlässig funktio­niert, ist Ausdruck der erreichten Leistungsfähigkeit von „Theorien“:

 

(Quelle: Q26 Vollmer, G.: Biophilosophie, Reclam, Stuttgart, 1995, S.38,100,111)

 

 

Die Wissenschaftstheorie hat zu interessanten Ergebnissen geführt … Eines ihrer Hauptergebnisse ist die Einsicht in den vorläufigen, hypothetischen oder Vermutungscharakter allen Tatsachenwissens, auch der wissenschaftlichen Erkenntnis
Die realen Objekte werden – durch Licht, Schallwellen, chemische Substanzen, Wärmestrahlung oder Gravitationsfelder – projiziert auf unsere Sinnesorgane, die meist auf der Körperoberfläche liegen. Auch technische Geräte, Beobachtungs- und Messinstrumente, Fernrohre, Mikrophone, Thermometer, Kom­pass oder Geigerzähler, dienen lediglich der Verbreiterung dieses Projektions-„Schirmes“, der Überset­zung von Projektionssignalen in solche, die unser natürlicher Apparat verarbeiten kann. …
Notwendige Merkmale einer guten erfahrungswissenschaftlichen Theorie sind Zirkelfreiheit, Wider­spruchsfreiheit, Erklärungswert, Prüfbarkeit und Testerfolg; wünschbar sind darüber hinaus: Einfachheit, Anschaulichkeit, Breite, Tiefe, Lückenlosigkeit, Präzision, Axiomatisierbarkeit, Anwendbarkeit ...
Alle diese Kriterien reichen zwar nicht aus, die einst erträumte Sicherheit wissenschaftlicher Erkenntnis wiederherzustellen; sie können aber doch dazu dienen, wissenschaftliche Hypothesen als zulässig und bewährt, sogar als zuverlässig oder vertrauenswürdig auszuzeichnen. …

Alles Tatsachenwissen ist hypothetisch

Allerdings sollte man aus dieser Einsicht nicht den Schluss ziehen, wissenschaftliche Erkenntnis sei, weil nicht sicher, im Grunde nur spekulativ und darum wertlos. Zwischen Sicherheit und bloßer Spekulation liegt ein weites Spektrum

 

In der Umgangssprache hat der Begriff „Theorie“ lediglich den Stellenwert einer bisher unbewiesenen, der Bestätigung harrenden Annahme. Es wird unterstellt, dass erst diese Bestätigung sie in den Rang einer endgültig gesicherten „Tatsache“ erhebe. Diese Ansicht ist schlicht falsch: Eine wissenschaftliche Theorie ist weit höherrangig als eine Tatsache. Eine Theorie nimmt Tatsachen nicht nur zur Kenntnis, sie erklärt Tatsachen, indem sie diese in größere Zusammenhänge einordnet und zu anderen Tatsachen und Gesetzmäßigkeiten in Beziehung setzt.

 

(Quelle: Q82 Carroll, S.B.: Die Darwin-DNA, Wie die neueste Forschung die Evolutionstheorie bestätigt, S.Fischer Verlag, Frankfurt/Main, 2008, S.252f.)


Die Nationale Wissenschaftsakademie der Vereinigten Staaten definiert eine wissenschaftliche Theorie als „gut belegte Erklärung für einen Aspekt der Natur, die Tatsachen, Gesetzmäßigkeiten, Schlussfolgerungen und überprüfte Hypothesen beinhalten kann.“ Wenn Wissenschaftler von der Evolutions„theorie“ sprechen, relativieren sie damit also nicht ihre Unterstützung oder ihr Vertrauen … sondern sie richten sich nur nach der fachlichen Definition …
Den Unterschied formulierte Papst Johannes Paul II. im Zusammenhang mit der Evolutionstheorie in einer Aussage, die 1996 in L´Osservatore Romano erschien:
„Neue Befunde haben zu der Erkenntnis geführt, dass Evolution mehr ist als nur eine Hypothese. Es ist in der Tat bemerkenswert, dass diese Theorie nach einer Reihe von Entdeckungen auf verschiedenen Wissenschaftsfeldern von den Forschern zunehmend anerkannt wird. Das weder angestrebte noch künstlich herbeigeführte Zusammentreffen der Ergebnisse von Arbeiten, die unabhängig voneinander durchgeführt wurden, ist schon allein ein bedeutsames Argument zugunsten dieser Theorie.“

 

Hinsichtlich der vorstehend benannten grundsätzlichen Vorläufigkeit und Unsicherheit naturwissenschaftlicher Erkenntnisse ist sicher auch die Unterscheidung hilfreich zwischen
A) „Präsenz-Wissenschaft“, die sich mit dem HIER und HEUTE befasst, in der man aktuelle Naturvorgänge wiederholt beobachten oder im Experiment nachbilden kann,
B) „Fernziel-Wissenschaft“, die sich mit Vorgängen auseinandersetzt, die zeitlich oder räumlich weit entfernt stattgefunden haben (Vergangenheit) oder noch bevorstehen (Zukunft), und
C) Naturwissenschaft, die sich mit einmaligen „singulären“ Ereignissen beschäftigt (Beginn des Universums im „Urknall“, Übergang von unbelebter Materie zu „Leben“, Auftauchen von Selbst-Bewusstsein beim Menschen) oder die es mit einmaligen und nicht wiederholbaren in der Geschichte der Natur abgelaufenen Prozessen zu tun hat (z.B. Evolution).

Und dass in vielen Fällen eine neue, umfassendere Theorie nicht die alten Vorstellun­gen einfach ersetzt, sondern sie als Grenzfall weiter mit enthält (so bleibt z.B. die Newtonsche Himmelsmechanik als weiter gültige Beschreibung für Satellitenbahnen in Geltung, wird jedoch für wahrhaft kosmische Dimensionen um die zusätzlichen Aspekte der Relativitätstheorie erweitert), ist ein starkes Argument für die Verlässlichkeit der naturwissenschaftlichen Methodik und ihrer Ergebnisse

 

Eine letzte Einsicht sei noch genannt:
Aus naturwissenschaftlichen Erkenntnissen kann und darf man keine welt­anschaulichen Deutungen herleiten oder sie damit begründen.
Aus den Erkenntnissen der Biologie oder Physik erge­ben sich keine zwin­genden, „wissenschaft­lich begründeten“ Schlussfolgerungen über den Sinn und das Ziel des menschlichen Daseins oder ethische Kriterien für menschliches Handeln. Diese Be­schränkung gilt für philosophierende Physiker und Biologen generell, unabhängig da­von, ob ihre Äußerungen mir genehm sind (meine Weltsicht bestätigen) oder nicht. Auch Nobelpreisträger äußern sich in phi­losophischen Fragen nur als nachdenkliche Menschen und können ihrer (privaten) Weltdeutung nicht mit der Autorität ihrer natur­wissenschaftlichen Ver­dienste größeres Gewicht verleihen.

 

 

1.2.2.3 Eindeutige Begriffe und Beschreibungen

 

Um naturwissenschaftliche Zusammenhänge oder philosophisch-religiöse Überlegun­gen verständlich kommunizieren zu können, ist es notwendig, sowohl Begriffe genau zu (er-)klären wie auch eindeutige Beschreibungen vorzunehmen.

 

(Quelle: Q46 EKD-Texte 94: Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule; eine Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2008, S.11)

 

 

Ein angemessener Umgang mit Schöpfungsglauben und Evolutionstheorie setzt Einsichten in erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Zusammenhänge vorausAls besonders klärungsbedürftig müssen da­bei häufig von populären Missverständnissen begleitete Begriffe wie „Tatsache“, „Beweis“ und „Wider­le­gung“ (Verifikation und Falsifikation), „Hypothese“, „Theorie“, „Erkenntnisfortschritt“ usw. gelten.

 

Programmatisch wird das z.B. im Lehrplan des Freistaates Sachsen für das Fach RELIGION - in einer sehr anspruchvollen Auflistung von Stichworten - aufgenommen.

 

(Quelle: Lehrplan des Freistaates Sachsen 2004, Fach Evangelische Religion, Gymnasium, Jahrgangsstufe 11 – Leistungskurs, S.41)

 

 

Lernbereich 1: Religion und Wirklichkeit


Kennen des Verhältnisses von Wissenschaft und Religion …
Begriffsklärungen:
Wissenschaft, Religion

Vernunft und Offenbarung

Theologie als Wissenschaft

Verhältnis Theologie und Naturwissenschaft

Wirklichkeit, Richtigkeit, Wahrheit und Perspektivität

Wahrheitstheorien: …

Wissenschafts- und Erkenntnistheorie …

Welterklärung durch Mythos und Logos …
Physik, Metaphysik, Religion in der Antike

Dominanz der Theologie im Mittelalter

Wissenschaftsfeindlichkeit der Kirche

Kirchen- und Religionsfeindlichkeit der Wissenschaft

Nominalismus, Aufklärung …
Glaubensbekenntnisse moderner Naturwissenschaftler …

Pro- und Kontra-Diskussion

(Verweis auf: Interdisziplinarität und Mehrperspektivität; Reflexion und Diskursfähigkeit)

 

Aber warum geschieht das nur im Fach Religion? In den Lehrplänen für Naturwissen­schaften wird eine ähnliche Zielstellung nicht explizit aufgeführt.
Können Religionslehrer das wirklich allein „schultern“, auch von der naturwissen­schaft­lichen Seite her kompetent abdecken?
Und warum ist ein solches anspruchs­volles Programm auch hier nur für den Leistungs­kurs vorgesehen und nicht für alle Schüler verbindlich?

 

 

 

An einigen Begriffen und Aussagen aus dem Bereich der Evolutionsbiologie soll erläu­tert werden, wie deutungsbedürftig schon die Verwendung scheinbar allgemeinver­ständlicher Begriffe sein kann:

Beispiel A) „EVOLUTION“

A1) Der Begriff Evolution wird vom lat. evolvere abgeleitet. Dazu schlagen Wörter­bücher als Übersetzung z.B. vor: hervorwälzen, heraushelfen, hinaustreiben, auseinan­derwickeln, (Bücherrollen) aufschlagen.
Hier wird vom Wortsinne her intendiert: Da ist schon etwas da, war schon immer vor­handen, das nur noch in die Welt eintreten muss. Dieses Verständnis widerspricht aber der Sichtweise der Biologie, derzufolge Lebewesen keinen Plan in sich tragen, Evolu­tion nicht auf ein vorgegebenes Ziel zusteuert.

A2) Der Begriff Evolution sollte nur für die Beschreibung von Entwicklung in der Biologie verwendet werden, da nur hier Faktoren und Mechanismen wie Mutation, Selektion, Einnischung, Doppelfunktionen, Isolation usw. sinnvoll zugeordnet werden können. Im Gegensatz dazu wird aber geradezu inflationär auch von kosmischer, galaktischer, chemischer, molekularer, psychologischer psychosozialer, kultureller und wirtschaftli­cher Evolution gesprochen. Dort wirken aber ganz andere Mechanismen als im Bereich der Lebewesen.
Das kosmische Geschehen, das Werden und Vergehen von Sternen oder Galaxien, wird ausschließlich von physikalischen Naturgesetzen bestimmt. Hier hat man es mit relativ einfa­chen und gleichartigen Objekten zu tun. Deren Entwicklung läuft berechenbar-determi­nistisch ab, auch ihre Zukunft ist klar berechenbar.
Dagegen stellt jedes biologi­sche Lebewesen letztlich ein Unikat, ein so nicht wiederkehrendes Individuum, dar. Und sein Schicksal, wie auch die zukünftige Entwicklung des Lebens auf der Erde, ist offen, gewinnt erst endgültig Gestalt im Wech­selspiel von „Zufall und Notwendigkeit“.
In der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft wirken natürliche Evolutionsfaktoren und –mechanismen nur noch sehr begrenzt. Längst greift der Mensch selbst regulierend in Naturvorgänge ein, steuert seine eigene Fortpflanzung, verhindert die natürliche Selektion von krankem oder be­hindertem Leben.

A3) Es sei weiterhin verwiesen auf die Mehrdeutigkeit des Begriffes „Evolution“ auch im engeren biologischen Sinne. Im einfachsten Fall versteht man darunter die Beobach­tung von Veränderungen, dass nämlich Lebewesen in der Erdgeschichte nicht immer in den gleichen Formen aufgetreten sind. Manche Arten sind schon vor langer Zeit ver­schwunden, neue Arten sind im Laufe der Erdgeschichte neu aufgetaucht. Leben hat sich demnach in einem geschichtlichen Prozess verändert (= entwickelt).
Die Abstammungsforschung versucht diesen Prozess zu rekonstruieren (durch Aus­wertung von Fossilfunden wie auch durch molekularbiologischen Vergleich von Erb­anlagen heute lebender Organismen).
Eine noch einmal ganz andere Aufgabe besteht darin, Evolutions-Theorien aufzustel­len, die erklären können, welche Ursachen die Veränderungen bewirkt haben.

 

Beispiel B) „SELEKTION“

Als Synonyme werden hier z.B. angegeben: Auswahl, Zuchtwahl
(engl. to select = auswählen, aussuchen).

Der Begriff Selektion kann falsche Assoziationen wecken, die den wirklich in der Natur stattfindenden Vorgängen nicht gerecht werden.

Die Auswahl, die ein Züchter vornimmt (und am Vorbild des Züchters orientierte sich Darwin bei seiner ur­sprünglichen Begriffswahl), setzt voraus, dass es einen Akteur, „jemanden“ gibt, der auswählt, und dass er das nach vorgegebenen Kriterien tut, auf ein bestimmtes (Zucht-)Ziel hin orientiert.

Nach den Vorstellungen der Evolutionstheorie hat aber die Entwicklung der Lebewesen kein Ziel - und sie kann und darf es auch nicht haben. Die Umwelt (Klima, Naturkatas­trophen, Einwirkung anderer Lebewesen), in der die Organismen (über-)leben müssen, ändert sich ständig, sodass eine endgültige perfekte Anpassung nicht möglich und auch nicht sinn­voll ist. Die Zukunft der Welt und der Lebewesen ereignet sich einfach und ist in ihren Anforderungen und Ergebnissen offen, nicht festgelegt.

 

Beispiel C) „ANPASSUNG“

(engl. to fit, fitness = Eignung, Zusammenpassen, übereinstimmen, „passen“)

In populärwissenschaftlichen Darstellungen zu Evolutionsvorgängen liest und hört man häufig Formulierungen, die sachlich nicht korrekt sind. Das soll an einigen Beispielen verdeutlich werden.
C1) „Die Lebewesen passen sich an“; „Lebewesen haben sich spezialisiert“

Eine aktive, zielgerichtete Anpassung von Organismen an neue Umwelt-Herausforde­rungen ist nicht möglich. Lebewesen können nicht – bei „Bedarf, unter dem Druck ihrer Umwelt - ihre (Erb-)Eigenschaften oder Verhaltensweisen ändern, zielgenau und mit der erforderlichen Geschwindigkeit.

Lebewesen können sich auch nicht vorausschauend auf neue Gegebenheiten einstel­len. Sie können nicht „ahnen“ oder gar „wissen“, welche Eigenschaften in der Zukunft „gebraucht werden“, morgen von Vorteil wären. Schon buchstäblich am nächsten Tag kann die (Um-)Welt (z.B. nach einer akuten Katastrophe) die Organismen vor völlig an­dere Herausforderungen stellen als heute, kann sie ganz andere Eigenschaften „beloh­nen“, und was eben noch „gut“ war, hat sich überlebt.
Es gibt stets nur – gewissermaßen als Glücksumstand für ein Lebewesen - das recht­zeitige Angepasst-Sein, dass es ihm seine derzeitigen (Erb-)Eigenschaften heute und in der gerade vorhandenen Umgebung ermöglichen, zu (über-)leben. Neue Eigenschaf­ten, die in einer sich verändernden Umwelt vorteilhaft sind, trägt das Lebewesen ent­weder schon in sich (z.B. als bisher nicht genutzte Möglichkeit in seinem Erbgut, oder durch eine völlig ungerichtet aufgetretene Mutation), oder es hat sie nicht, kann sie auch nicht erwerben, und es kommt dann in der veränderten Umwelt eben schlechter zurecht.

C2) „Die Lebewesen werden (durch Selektion) angepasst“

Die „Selektion“ ist kein Akteur, der wie ein Züchter Ziele hätte und der Lebewesen „pas­send“ machen könnte, indem er z.B. Erbeigenschaften gezielt verändert.
Die Verwendung des Begriffes „Selektion“ ist lediglich ein Erklärungsversuch dafür, um (nachträglich) verständlich zu machen, dass die Lebewesen statistisch die besten Überlebenschancen haben, die am besten für die gerade zur Verfügung stehende Um­welt geeignet (fit) sind.

C3) „Die Entwicklungsprozesse in der Natur führen zu immer besserer Anpas­sung“
Anpassung kann nie perfekt sein, weil die Umwelt, in der ein Organismus überleben können muss, morgen schon eine andere sein kann.
Und eine perfekte Anpassung könnte sich auch als gefährlich erweisen. Das ist dann der Fall, wenn eine Art von Lebewesen zwar ideale (Erb-)Eigenschaften für eine be­stimmte Lebenswelt besitzt, die vielleicht über lange Zeiträume stabile Umweltbedin­gungen geboten hat. Wenn sich dann aber die Anforderungen der Lebens-Umwelt (plötzlich) verändern, ist es für das Überleben der Art notwendig, dass wenigstens ein­zelne Individuen Variationen aufweisen (z.B. durch bereits vorhandene Mutationen), durch die sie auch in die neue Umwelt „passen“.

C4) „Der Mensch (oder irgendein anderes Lebewesen) ist die Krone der Schöpfung“

Alle Lebewesen, die wir heute in der Welt finden, sind das derzeit „Beste“, was die Welt zu bieten hat: Jede Art (über-)lebt in einer der vielen Nischen, die in der Natur bereit­stehen. Sie „passen“ dort – gemessen an möglichen Konkurrenten – derzeit am besten hinein.

C5) „Survival of the fittest“
(Überleben des Stärksten; besser: Überleben dessen, der am besten mit der Welt hier und heute zurechtkommt)

Es überlebt nicht immer der Schnellste, der Stärkste, sondern der, welcher die beste Anpassung an die gerade angebotene Umwelt schon mitbringt.
Die Welt kann man sich in diesem Zusammenhang wie ein Puzzle vorzustellen. Viele Steine liegen bereits vor, sind z.T. in festen Zusammenhängen aus der Vergangenheit miteinander verbunden. Ein Lebewesen, das in die vorhandene Welt eintritt, muss sich in die vorhandenen Möglichkeiten einfügen (können), muss in eine der vorhandenen Lücken im Puzzle „passen“. Entweder hat es also „Ausstülpungen“ oder „Einbuchtun­gen“, die sich gut in die bereits vorhandenen Strukturen (Klimabedingungen, Nahrungs­angebot, Feinde, Konkurrenten, Kooperationspartner) einfügen, oder es ist nicht geeig­net für diesen Lebensraum. Eine zusätzliche Herausforderung besteht nun darin, dass die anderen Puzzlesteine sich allmählich oder durch plötzliche Ereignisse (z.B. Natur­katastrophen) auch sehr schnell verändern (können). Da kann ein Puzzlestein, der gestern noch perfekt „gepasst“ hat, plötzlich keinen Halt mehr finden.

C6) „Ein Lebewesen hat sich durch Mimikri (Nachahmen der äußeren Merkmale eines anderen Lebewesens) „getarnt“, um zu überleben.“
Die Formulierung „um zu“ legt nahe, dass das Lebewesen aktiv und gezielt ein Ziel an­streben kann, was nicht der Fall ist. Ebenso problematisch ist die Formulierung, ein Le­bewesen habe eine Eigenschaft geändert, „damit“ es in der neuen Umgebung besser zurecht kommt.

C7) Angepasst-Sein
In diesem Verständnis stellt der Mechanismus des Angepasstseins in der Evolution ein spannendes Wechselspiel dar zwischen Beharrungsvermögen auf der einen Seite (Festhalten der Lebewesen an erprobten Baumustern und Verhaltensweisen, garantiert durch die Vererbung der Gene von Generation zu Generation) und „Neugier“ und Flexi­bilität auf der anderen Seite (Auftreten von neuen Erbeigenschaften in jeder Generation = Mutationen; oder das „Mitschleppen“ bisher nicht genutzter neuer Eigenschaften ge­wissermaßen „auf Verdacht“, „auf Vorrat“).


1.2.2.4 Wie erkenntnistheoretische Fragen
            in Schul-Lehrbüchern aufgenommen werden

 

„Daran erkenn ich den gelehrten Herrn!
Was ihr nicht tastet, steht euch meilenfern,
Was ihr nicht fasst, das fehlt euch ganz und gar,
Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr,
Was ihr nicht wägt, hat für euch kein Gewicht,
Was ihr nicht münzt, das, meint ihr, gelte nicht.“

(J.W.v.Goethe: Faust)

 

Zunächst sei ein Zitat aus einem Lehrbuch für die gymnasiale Oberstufe wiedergege­ben:

(Quelle: (B22 C.C.BUCHNER; Solbach, H.: Vita nova; Biologie für die Sekundarstufe II; Bamberg 2000, S.364f.)

 

 

45.4 Widersprüche und Schwächen der Evolutionstheorie …
Viele Erkenntnisse der Evolutionsforschung werden noch kontrovers diskutiert. Welches Fazit kann man am Ende dieses Kapitels ziehen? – Es ging nicht darum, Sie zu verunsichern und alles, was Sie bisher über Evolution erfahren haben, in Frage zu stellen. Festzuhalten ist aber, dass viele Bereiche der Evolutionsforschung kontrovers beurteilt werden. Für die Ursachen der Evolution gibt es z.B. bisher keine widerspruchsfreie, gültige Theorie. Es ist deshalb vernünftig, auch Erkenntnisse, die als gesichert gelten, mit Umsicht zu beurteilen und zu verwenden.

 

Dieses Lehrbuch, das zuvor selbst kritische Rückfragen zu den Grenzen naturwissen­schaft­licher Erkenntnis aufnimmt, beendet solche Überlegungen mit einer interessanten Erklärung, die wohl Schüler (und Lehrer?) beru­higen soll: Verunsicherung war nicht beabsichtigt!

Aber warum eigentlich diese Scheu? Ist nicht eine Wissenschaft, die ihre Lücken und Grenzen verschweigt und damit – für sich selbst und für Schüler - die Illusion umfas­sender Welt­erkenntnis aufbaut, eine viel problematischere Erfahrung?

Ein Lehrer-Handbuch für das Fach Religion erklärt nun genau dieses ständige Hinter­fragen wissenschaftlicher Theorien zur Aufgabe für Schüler.

 

(Quelle: R1 VANDENHOECK & RUPRECHT; Koretzki, G.-R., Tammeus, R. (Hg.): Werkbuch Religion – entdecken, verstehen, gestalten; Materialien für Lehrerinnen und Lehrer, Göttingen 2002, S.78)

 

 

Intentionen
Die Schüler sollen … das ständige Hinterfragen einer wissenschaftlichen Theorie als Notwendigkeit er­kennen und die Vorläufigkeit aller wissenschaftlichen Theoriebildung reflektieren

 

Auch in einer permanenten Haltung des „alles-ist-vorläufig“ liegt natürlich eine Gefahr: Dann muss ich das ja auch nicht ganz so ernst nehmen.
Schüler sollen ja aber durchaus im Unterricht die aktuell aus der Sicht der Naturwissen­schaft für richtig befundenen Sachverhalte erst einmal kennen-lernen, und sie sollen wissen, das vieles davon sich immer wieder bewährt und bestätigt hat.

Die im Folgenden dargestellten Erwartungen von Schülern und Lehrern an den natur­wissenschaftlichen Unterricht mögen überzeichnet sein:
Ich meine (und hoffe), neugierige Schüler besuchen den Unterricht in naturwissen­schaftlichen Fächern in der Erwartung, nun endlich zu erfahren, wie die Welt wirklich „ist“.
Sie möchten wissen, aus welchen Bausteinen die Natur aufgebaut ist, wie ihre einzel­nen Teile zueinander in Beziehung stehen, wie die Welt geworden ist, wie sie sich ver­ändert hat und wie sie sich verändert.

Der Lehrer soll ihnen die eine große Geschichte der Natur verständlich darbieten, auf­geteilt in viele kleine Geschichten - physikalische, chemische, biologische -, die alles griffig, verständlich und in endgültiger Gewissheit zusammenfassen.

Eindeutige Aussagen werden erwartet. Der Schüler möchte Tatsachen und Regeln mit­geteilt bekommen, die er auswendig lernen kann, möchte Formeln kennen-lernen, die den Lauf der Welt zuverlässig berechenbar machen.

Dieser Erwartungshaltung der Schüler entspricht ein Lehrerbild, in dem der Unterrich­tende ALLES weiß, den Schülern abfragbares, endgültig gesichertes WISSEN vermit­teln, immer klar zwischen RICHTIG und FALSCH unterscheiden kann.

Für beide Seiten könnte sich die Motivation vermindern und Verunsicherung könnte sich ausbreiten, wenn der Lehrer ständig an die Unsicherheiten wissenschaftlicher Erkennt­nis erinnern und seine Darstellungen im Konjunktiv vortragen würde. Warum sollte ein Schüler noch Merksätze und Formeln lernen, wenn doch alles Wissen nur vorläufig ist?

Man sollte also im Unterrichts-Alltag den Vorbehalt von der Vorläufigkeit aller wissen­schaftlichen Erkenntnis im Hinterkopf, aber nicht ständig vor Augen haben.

 

Auf den begrenzenden und begrenzten Möglichkeiten nicht nur der Naturwissenschaf­ten, sondern aller menschlichen Erkenntnis wird jedoch in einigen Schul-Lehrbüchern kaum eingegangen.
Manche Lehrbücher erwecken auch im Jahr 2008 den Eindruck, gesichertes Wissen zu vermitteln. Formulierungen in der Aussageform dominieren. Die Beweisführung erfolgt an einem Modell, auch dort, wo es mehrere konkurrierende gibt. Die geschicht­liche Entwicklung naturwissenschaftlicher Einsichten wird einlinig als gerader Weg von an­fänglichen Irrtümern hin zur „richtigen“ (damit auch als endgültig verstandenen) Er­kenntnis unserer Tage gezeichnet. In dieser vereinfachenden Weise sind die meisten Lehrbücher ge­schrieben, die Schüler bis zur 10. Klasse in die Hand bekommen (Sekundarstufe 1). Traut man Jugendlichen in diesem Alter (noch) nicht zu, sich in ei­ner Welt zurechtzufin­den, die wir Menschen nicht vollständig erkennen können, in der wir (manchmal / noch) keine (endgültigen) Antworten auf alle Fragen gefunden haben?
Auf der einen Seite ist natürlich der Einwand berechtigt, dass die hier zu behandelnden Sachverhalte für Schüler in der Sekundarstufe 1 wirklich noch zu komplex sind.
ABER: Schüler, die nach der Sekundarstufe 1 (10. Klasse) von der Schule abge­hen, oder solche, die Biologie und/oder Physik nach der 10. Klasse „abgewählt“ haben, erfahren unter Umständen nie mehr in ihrem Leben etwas darüber, wie wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen werden und wie sie zu interpretieren sind!

Manchmal werden in den naturwissenschaftlichen Lehrbüchern die bestehenden fach­lichen Unsicherheiten sprachlich deutlich ge­macht. Formulierungen im Konjunktiv zei­gen z.B. an, dass es sich um vorläufige Erkenntnisse (Ver­mutungen), um den derzeiti­gen Stand des Wissens handelt. Auch die Verwendung von Worten wie „glauben“, „möglich“, „Hinweise“, „versuchen“, „Indizien“, „manche“, „Fragezeichen“ usw. deuten auf ungelöste Fragen und / oder auf alternative Deutungsmöglichkeiten hin.

 

Lehrbücher für die gymnasiale Oberstufe (Sekundarstufe 2) gehen mit der Vorläufig­keit und grundsätzlichen Unsicherheit naturwissenschaftlicher Erkenntnis in der Regel deutlich differenzierter um. Sie zeigen den mühsamen Weg in der Geschichte der Na­turwissenschaften auf, der in vielen Fällen zu wirklichem (Erkenntnis-)Fortschritt ge­führt hat, aber immer auch gepflastert war mit Irrtümern und gegangen von (fehlbaren) Men­schen. Hier sind offenere Formulierungen zu lesen, die den Anspruch (das Miss­ver­ständnis) der Ausschließlichkeit und Endgültigkeit vermeiden, manchmal sogar ge­zielt abwehren.

Nur selten jedoch werden der Ansatz der Naturwissenschaften, ihre (methodische) Ar­beits­weise, ihre Erkenntnismöglichkeiten gezielt zum Thema gemacht, wird über die Grenzen menschlicher Erkenntnis grundsätzlich und systematisch reflektiert, wird Wissenschafts- und Erkenntnistheorie vermittelt.

Es gibt positive Ausnahmen, die in den folgenden Teilen dieser Untersuchung (v.a. Teile 2.1 bis 2.3) ausführlich vorgestellt werden.

Wenige Lehrbücher befassen sich ausführlich und in geschlossenen Darstellungen mit den eben angesprochenen erkenntnistheoretischen Fragestellungen.
Vorbildlich erscheint hier das Kapitel „Erkenntniswege der Biologie“, das auf acht Seiten in der Quelle

·        B32 SCHROEDEL; Linder Biologie, Lehrbuch für die Oberstufe, Braunschweig, 2005, S.541ff.


abgedruckt ist (Wiedergabe des vollständigen Textes siehe in Kapitel 2.1.2.2).

 

Weitere Lehrbücher, die ausführlicher auf Aspekte der Erkenntnistheorie und auf philo­sophische Fragestellungen eingehen, sind z.B.

 

·        P13 METZLER; Grehn, J. / Krause, J. (Hrsg.): Physik, Schroedel Verlag, Hannover, 1998, S.566ff.

·        P14 SCHROEDEL; Dorn / Bader: Physik Sek II; Schroedel, Hannover, 2000, S.S.424ff.

·        P16 WESTERMANN; Kuhn, Physik, Band 2 12/13; Braunschweig, 2004, S.512ff.

und

·        P21 PAETEC; Astronomie, Gymnasiale Oberstufe, Paetec, Berlin, 2001, S.5ff.+213ff.

 

Ausführliche Zitate aus den eben aufgeführten Büchern sind in den Teilbänden 2.1 und 2.2 dieser Studie nachzulesen.

 

 

Das andere Extrembeispiel sind Lehrbücher, die knappe Sätze enthalten, in denen eigentlich grundsätzlich die ganze moderne Erkenntnistheorie enthalten ist – bei denen aber zu klären wäre, WIE sie wirklich gemeint sind, und OB sich in dieser Kürze ihr vielleicht tiefer Inhalt für den Schüler tatsächlich erschließt.
Als Beispiel sei hier ein Satz angesprochen, der in der Quelle

 

·        B12 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie, Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin, 2005, S.502

 

steht:

 

„Eine heute anerkannte Theorie ist die Abstammungslehre.“


Man kann hier jedem einzelnen Wort Wichtiges unterstellen:

a) EINE (Theorie): Es gab / gibt demnach offensichtlich noch weitere Theorien als Er­klärungsversuche, die in Konkurrenz standen / stehen und gegeneinander abgewo­gen und bewertet werden können.

 

b) HEUTE (anerkannte Theorie): Sie spiegelt also den Stand des Wissens mit Datum von heute wider. Wie jede Theorie unterliegt sie der Prüfung und kann sich möglicher­weise verändern, vielleicht wird sie sich in Zukunft sogar als falsch erweisen, und sie wird durch eine andere bessere (und wieder nur HEUTE gültige vorläufige) Theorie er­setzt werden oder in einer umfassenderen Theorie als Spezialfall aufgehoben werden.

 

c) ANERKANNTE (Theorie): Neue Theorien (auch wenn sie einen Sachverhalt besser erklären können als bisherige Vorstellungen) müssen sich in der Wissenschafts­geschichte oft mühsam gegen die etablierten Vorstellungen durchsetzen. Erst wenn wichtige Vertreter einer Wissenschaft sich den neuen Gedanken öffnen oder wenn mit den Für-Wahr-Haltern und Bewahrern der althergebrachten Überzeugungen auch die alten Theorien „aussterben“, werden neue Theorien anerkannt. Aber auch eine breite Anerkennung durch die Fachwissenschaft bedeutet nicht die (endgültige, nicht mehr hinterfragbare) Richtigkeit einer Theorie: Mehrheiten müssen auch in der Naturwissen­schaft nicht recht haben!

 

d) THEORIE: Eine Theorie ist im modernen Verständnis ein in sich geschlossenes, widerspruchsfreies Gedankengebäude, das einen Teilaspekt der Wirklichkeit der Welt erklären kann. Theorien haben dabei ein deutlich höheres Gewicht als die Vermutun­gen, Hypothesen, die am Anfang wissenschaftlicher Erkenntnis stehen. Aber auch um­fassende Theorien bleiben Modellvorstellungen, die wir uns von der Welt machen, und sie sind nicht die endgültig verstandene Wirklichkeit selbst.

 

Aber ob der Autor den eben sezierten Satz selbst so komprimiert-tiefgründig gemeint hat und ob der Schüler beim Lesen merkt, was in der Aussage alles enthalten sein könnte?

 

Fazit:

In der Summe hat sich die Lektüre der Lehrbücher in Bezug auf eine differenzierte Wahrnehmung der Möglichkeiten und Grenzen naturwissenschaftlicher Erkenntnis doch als sehr ergiebig erwiesen. Für die Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaften ergibt sich in der Zusammen­schau einzelner (oft verstreuter) Zitate ein Gesamtbild, das letztlich alle Argumente, Prüf-Kriterien und Erkenntnisse enthält, mit denen die moderne Erkenntnistheorie arbeitet.

 

1.2.2.5 Horizonterweiterung: Verweis auf weitere Quellen mit
            Hintergrundinformationen zur Wissenschaftstheorie

Ergänzende Ausführungen zu wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Fragen aus vielen weiteren Quellen sind im „Originalton“ als Zitate in Teilband 4 wiedergegeben.


1.2.3    Die Begegnung mit der Vielfalt der Religionen,
            Bibelverständnisse und Schöpfungsvorstellungen

 

 

1.2.3.1 Zum Begriff „Religion“

 

(Quelle: B12 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie, Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin, 2005, S.511)

 

 

Sind Evolutionsforschung und Religion vereinbar?

 

Die Frage, ob „Evolutionsforschung und Religion vereinbar“ sind, wird in diesem Lehr­buch gleich zu Anfang des entsprechenden Kapitels und damit programmatisch gestellt. Die weiteren Darstellungen sollen darauf offenbar eine Antwort geben.
Es ist festzustellen, dass eine Darstellung und Auseinandersetzung im weiteren Lehr­buch-Text aber nur zu bestimmten Schöpfungsvorstellungen der jüdisch-christlichen Bibel stattfindet.

Der in der zitierten Quelle verwendete Begriff „Religion“ hat aber eine viel weiter rei­chende Bedeutung.

Es gab und gibt viele Formen von Religiosität, die sich in ganz unterschiedlicher Weise zeigen und äußern.
Es geht bei Religionen nicht nur um das Verständnis bestimmter Aussagen in Heiligen Schriften (z.B. der jüdisch-christlichen Bibel), was meist vorrangig im Blick ist.

Religiosität kann sich z.B. auch in Traditionen zeigen (z.B. Brauchtum).

Zu Religionen können ganz unterschiedliche Heilslehren, Symbolsysteme, Kulte und Rituale gehören.
Religion (Religiosität) muss auch überhaupt nicht an die Zugehörigkeit zu einer insti­tutionalisierten Glaubensgemeinschaft, z.B. eine Kirche, oder an Bekenntnisse bzw. Dogmen gebunden sein.

Weiterhin gibt es große Weltreligionen, die überhaupt keinen Gott kennen (! - etwa der Buddhismus), bei denen die Welt keinen Anfang hat und/oder deren Schöpfungsmythen ganz andere Akteure und Akzente enthalten als die christliche Überlieferung. Eine – formale – Konkurrenzsituation zu den Darstellungen der Evolutionstheorie muss sich hier also gar nicht zwingend ergeben.


1.2.3.2 Bibelverständnisse

 

Verschiedene Menschen können die gleichen Bibeltexte in ganz unterschiedlicher Weise lesen, verstehen und auslegen. Es gibt also nicht das eine, für alle Leser oder Hörer gleichermaßen einsichtige, allein gültige und richtige Bibelverständnis. Es gibt viele verschiedene Bibelverständnisse. Der Plural ist hier gezielt gewählt. Und er ist angemessen. Das ist für Außenstehende sicher verwirrend, und auch für manche Christen ist es eine überraschende Erfahrung, dass andere in diesen Texten ganz andere Entdeckungen machen. Diese Vielfalt kann schmerzen, sie kann aber auch als befreiend und bereichernd erfahren werden.

 

1.2.3.2.1 Wörtliches Bibelverständnis

 

Zu Anfang ein Bekenntnis, das mehr eine nüchterne Feststellung ist:
In meinem Lebensalltag lese und verstehe ich Texte nor­malerweise „wörtlich“, nämlich indem ich ihrem Wortlaut folge und vertraue!

Ein wörtliches Verständnis von Texten, die nicht erkennbar poetisch oder fiktiv sein sollen, ist nicht nur nahe liegend, sondern eigentlich im Alltag selbstverständlich.

Wenn Menschen einander etwas Wichtiges mitteilen, dann ist der Adressat gut beraten, sich an den Wortlaut zu halten. Er kann und muss davon ausgehen, dass er die Worte, die er hört oder liest, so ernst nehmen soll, wie sie dastehen: dass an dieser Stelle ein ganz bestimmter Ausdruck gewählt wurde, dass die Worte in einer beabsichtigten Rei­henfolge angeordnet sind, dass Namen von Personen und Orten, Zahlenangaben, ge­schilderte Geschehensabläufe usw. exakt wiedergegeben sind. Dass die Geschichten, die wir einander schon im normalen Alltag erzählen, nicht nur ernst gemeint sind, son­dern auch inhaltlich „stimmen“ (richtige Angaben machen), davon müssen wir ausge­hen. Was man in dieser Weise als wichtige Nachricht erfahren hat, wird man versuchen, in aller Verantwortung und Detailtreue aufzubewahren, und so auch anderen Menschen weiterzusagen, vielleicht über Generationen hinweg.
So gehe ich in meinem Alltag mit Texten um - ich lese und verstehe sie „wörtlich“.

Nun handelt es sich bei der Bibel um eine Sammlung von Texten, die zwei- bis dreitau­send Jahre alt sind. Aber sie liegen uns schriftlich fixiert vor, in Worten, die wir lesen können (in der Regel allerdings nur als Übersetzungen). Und so haben Menschen zu allen Zeiten immer wieder auch diese Texte ganz alltags-normal und unkritisch auf­ge­schlagen und darin gelesen. Und sie haben sie wörtlich verstanden. Das, was sie da lasen, wurde nicht nur (in religiöser Überhöhung) als „wahr“, sondern auch (in seinen irdisch-sachlich-faktischen Angaben) als „richtig“ verstanden. Über viele Jahrhunderte ergaben sich dabei keinerlei Widersprüche zu den allgemein akzeptierten Weltvor­stellungen (was z.B. den zeitlichen Horizont der Erdgeschichte betraf oder die Alltags-Erfahrung einer grundsätzlich unveränderlichen Natur).

Auch heute noch lesen und verstehen viele Juden und Christen die Texte der Bibel als zeitlos gültige Botschaften, die sowohl „wahr“ als auch „richtig“ sind. Da es sich hier um heilige Texte in einer „heiligen Schrift“ (Bibel) handelt, die das Fundament ganzer Reli­gionsgemeinschaften darstellen, ist für sie das Vertrauen auf die Verlässlichkeit der übermittelten Geschehnisse und Fakten nicht nur notwendig, sondern erscheint noch viel bedeutsamer als bei anderen Texten. In dieser Sicht können und müssen biblische Texte auch von uns heute 1 zu 1 im Wortlaut verstanden werden. „Das steht doch ein­deutig so da“ - und warum sonst hätte die ganze religiöse Tradition so lange unverrück­bar an ihnen festhalten sollen?

So verständlich dieses Festhalten am ursprünglichen Wortlaut der Bibeltexte auch ist, es muss sich in unseren Tagen mit einigen Fragen auseinandersetzen:

Voraussetzung für eine ideale fehlerfreie Kommunikation, die über Texte stattfindet, ist natürlich, dass Autor und Leser die „gleiche Sprache“ sprechen, dass sie in der gleichen Zeit und in der gleichen Kultur zu Hause sind, damit ein unterschiedliches Verständnis von Vokabeln, Bildern oder Zusammenhängen (wenigstens weitgehend) ausgeschlos­sen werden kann. Dies ist aber beim Lesen und Verstehen biblischer Texte nicht gege­ben.

Zwischen der Entstehungszeit der Texte und uns liegt ein sehr langer Zeitraum. Im Laufe der vielen Jahrhunderte haben Begriffe ihre Bedeutung verändert, sind damals selbstverständliche Lebenszusammenhänge für uns kaum noch zu verstehen oder wer­den falsch zugeordnet. Natur wurde früher ganz anders erlebt und verstanden (hatte z.B. göttliche Attribute). Da helfen zum „wörtlichen“ Verständnis auch ausführliche Wörterbücher nur begrenzt. Wir haben damals nicht gelebt, und das eigentlich notwen­dige „Sich-Hineinversetzen“ in die Lebensumstände jener Zeit ist nur höchst unvoll­kommen zu leisten.

Man geht heute davon aus, dass viele Texte, die in der Bibel aufbewahrt sind (v.a. im Alten Testament), über mehrere Jahrhunderte ausschließlich mündlich überliefert wur­den, weitererzählt vom Vater auf den Sohn oder innerhalb der Priesterschaft. Solche mündliche Vermittlung kann auf der einen Seite über viele Generationen erstaunlich exakt sein. Aber die ursprüngliche Fassung der Texte verliert sich im Nebel der Ver­gangenheit. Auch die ältesten schriftlichen Aufzeichnungen sind in der Regel nicht er­halten. Das aber wäre ja der eigentliche Wortlaut, auf den man sich beziehen müsste. Die ältesten biblischen Texte liegen oft nur in Gestalt von Fragmenten vor („Schnipsel“, Text-Teile). In der Regel handelt es sich um Abschriften von Abschriften, die Jahrzehnte oder Jahrhunderte nach der Erstfassung erstellt wurden. Die Originale, an denen allein man die Texttreue überprüfen könnte, sind nicht erhalten. Und wo mehrere „Ur-Schrif­ten“ vergleichbaren Alters und vergleichbarer Qualität vorliegen, stehen – z.B. im Zu­sammenhang mit dem Lebensalter konkreter handelnder Personen – manchmal verwir­rend voneinander abweichende Angaben. Welche ist dann würdig, mit ihrem Wortlaut als Bezugsgröße zu dienen?

Ein erhebliches Problem ergibt sich für den „Normal-Christen“ daraus, dass er gar nicht in der Lage ist, frühe Originalquellen zu Rate zu ziehen. Die meisten Texte des Alten Testaments sind ursprünglich in hebräischer Sprache verfasst worden, die des Neuen Testaments in griechisch. Selbst wer des Hebräischen mächtig ist, hat massive Verste­hensprobleme, weil der Originaltext ohne Überschriften, ohne Punkt, Komma oder Fra­gezeichen geschrieben ist, keine Vokale enthält (die dem Wort erst die richtige Bedeu­tung geben), keine Hilfsverben kennt, auch keinen Komparativ und Superlativ, und der andere grammatische Zeitformen verwendet als das Deutsche (das eine gleiche Wort kann bedeuten, dass ein Vorgang sowohl früher stattgefunden hat als auch sich derzeit ereignet und dass er für alle Zukunft stattfinden wird). Die meisten Leser biblischer Texte in Deutschland sind immer auf Übersetzungen angewiesen. Diese bestehen zwar auch aus Worten, aber eben aus deutschen, und die können den im Original gemeinten Inhalt im Idealfall „sinngemäß“ „treffen“, aber sie müssen es nicht. Auch in den in bester Absicht verfassten „wörtlichen“ Übersetzungen ist es unvermeidlich, dass Deutungen oder Interpretationen des Übersetzers mitschwingen und den Text beeinflussen. Das beginnt schon bei der Wahl eines Begriffes aus dem Wörterbuch, wenn dieses mehrere Entsprechungen für einen hebräischen Begriff anbietet – hier wird der Übersetzer aus­wählen und entscheiden, dabei schwingen seine eigenen biografischen Erfahrungen ebenso mit wie seine theologischen Grundüberzeugungen. Der Vergleich von verschie­denen soliden deutschen Bibelübersetzungen macht hier schnell deutlich, wie unter­schiedlich die Übersetzer in manchen Fällen die gleiche Bibelstelle verstanden haben.
Die Frage, die zu klären ist, wenn jemand auf dem „Wortlaut der Bibel“ beharrt, heißt also nüchtern: Auf den Wortlaut in welcher Sprache in welcher Übersetzung beziehe ich mich, und was macht mich so sicher, hier das ursprünglich Gemeinte zu finden?

 

Trotz all dieser Rückfragen vertrauen viele Christen auch heute noch darauf, dass die Bibel, deren Textgehalt sich nicht verändert (hat), im Wortlaut wahr ist und durchgehend „richtige“ Aussagen auch zu naturwissenschaftlichen Fragestellungen macht. Ein „Datum“ der Schöpfung vor etwa 6000 Jahren, Adam und Eva als erste Menschen, das Auftreten einer Sintflut usw. werden (meist wenig reflektiert) als selbstverständlich akzeptiert. Die meisten Menschen mit solchen Glaubensüberzeugungen würden sich selbst nicht als „Kreationisten“ bezeichnen und sollten nicht mit ihnen gleichgesetzt werden – sie teilen mit ihnen lediglich das wörtliche Bibelverständnis (Genaueres zum „Kreationismus“ siehe Kap. 1.2.4.2.1).

 

1.2.3.2.2 Eine grundsätzliche Problemanzeige

Eine ausführliche und differenzierte Einführung, wann und in welchem kulturellen Um­feld biblische Texte entstanden sind und was man beachten müsste, um sie „recht“ zu verstehen, ihrem wirklichen Sinn auf die Spur zu kommen – eine solche Hilfe hat ein Hörer oder Leser im Normalfall NICHT zur Hand.
Wenn ein Kind religiös erzogen werden soll, würde man ihm vielleicht biblische Ge­schichten einfach (im Wortlaut oder leicht „geglättet“) erzählen oder vorlesen.
Wenn ein interessierter Zeitgenosse (der ohne jede religiöse Vorprägung von „außen“ kommt) einfach mal wissen möchte, was Christen denn so glauben – dann würde man ihm vielleicht eine Bibel (Druckdatum 2009) in die Hand drücken, und er würde auf Seite 1 zu lesen beginnen, mit der Geschichte von der „Schöpfung“ …
Es gibt auch Biologie-Lehrbücher, in denen Textstellen aus der Bibel als Randspalte abgedruckt werden.

Darf man biblische Texte in solcher oder ähnlicher Weise einem Leser kommentarlos „zumuten“?

„Bibeltreue“ Christen, die sich auf den Wortlaut der Bibel verlassen, werden sagen: Ja, (nur) so ist ein unmittelbarer, unverfälschter Zugang zum „Wort“ möglich.

Ich halte die unvermittelte Lektüre in mehrfacher Hinsicht für bedenklich.

Wenn z.B. ein munterer Junge in der 2. Klasse in der Christenlehre seiner Kirchge­meinde die Geschichte vom Propheten Jona erzählt bekommt (Bibel, Jona 2,1ff.) – wird er dann nicht begeistert zu Hause davon berichten, was er heute gelernt hat: Dass große Fische (Walfische?) Menschen fressen, dass ein Mensch aber im Bauch eines solchen Fisches drei Tage lang überleben und dann unversehrt wieder ausgespuckt werden kann!
Wenn ein neugieriger Leser in den ersten Kapiteln der Bibel stöbert und dort liest von der Entstehung der Welt vor 6000 Jahren (das müsste er mühsam aus den Angaben in verschiedenen Texten addieren), dass im Ablauf einer Kalenderwoche der gesamte Kosmos, die Erde, alle heutigen Tier- und Pflanzenarten erscheinen, dass die Menschheitsgeschichte mit Adam und Eva beginnt, wenig später eine weltweite Sintflut die gesamte Erde überspült …
Nicht nur ein Kind wird diese eindrücklichen Darstellungen als spannenden Dokumen­tarbericht lesen und lebenslang verinnerlichen („So also war das am Anfang – das berichtet die Bibel!“). Der Schmerz kann tief sein, wenn dann in der Schule (oder in den Medien) ganz andere Vorstellun­gen zum Anfang der Welt vermittelt werden.

Und der neugierige Atheist, der einmal konkreter wissen wollte, was Christen denn so glauben, und dem ich einfach mal eine Bibel in die Hand gedrückt habe – ob er nicht nach Lektüre des ersten Kapitels etwas verwirrt ist und mich fragt: „Und das glaubt ihr, wörtlich?“ Wenn ich nicht spätestens dann erklären kann, was meinen Glauben wirklich und außerdem ausmacht und welche Rolle dabei dann auch die überlieferten Texte spielen, wird er wahrscheinlich an meiner Kompetenz für den Alltag zweifeln. Wenn er nicht längst fassungslos das Buch weggelegt hat und es nie wieder in die Hand nimmt, oder in einen Kampf zieht, um solche – wörtlich eben missverstandenen – Ideen militant zu bekämpfen, wie das z.B. Richard Dawkins tut (Q71 Dawkins, Richard: Der Gottes­wahn, Ullstein, Berlin, 2008)[1]
Viele Pfarrer – ausgebildete Theologen mit dem nötigen Überblick in Bibelkunde und Auslegung biblischer Texte – muten oder trauen ihren „normalen“ Gemeindegliedern einen differenzierten Umgang mit biblischen Texten nicht zu.

 

(Quelle: Q77 Drewermann, Eugen: Glauben in Freiheit, Bd. 3. Religion und Naturwissenschaft, Teil 1. „Der sechste Tag: Die Herkunft des Menschen und die Frage nach Gott“, Walter-Verlag Zürich u. Düsseldorf, 1998, S.56-58)

 

 

„… veröffentlichte die Päpstliche Bibelkommission unter PIUS XII. 1948 eine Erklärung an den Erzbischof von Paris … dass man die Historizität der ersten elf Kapitel der Genesis weder verneinen „noch einfach bejahen könne“, sie gehörten keiner modernen literarischen Gattung an, und wer sage, sie seien „nicht his­torisch“, der lege das Verständnis nahe, sie seien ohne his­torische Bedeutung, „wo sie doch in einfa­chen und bildhaften Worten, die der Fas­sungskraft weniger gebildeter Menschen entsprechen, die fun­damentalen Heilswahr­heiten wie­dergeben und auch in volkstümlicher Weise den Ursprung des Men­schen und des auserwählten Volkes beschreiben.“ …

Papst Johannes Paul II. … erklärte im Weltkatechismus von 1992 (Nr.390), dass die Geschichte vom „Sündenfall“ (Gen. 3,1-7) zwar eine bildhafte Sprache verwende, „aber ein ursprüngliches Ereignis bestä­tigt, eine Tatsache, die am Beginn der Mensch­heitsgeschichte stattgefunden hat.“ …

(Drewermann meint dazu:) „Bildhafte Geschichten“ können sehr tiefsinnig sein, doch nur, wenn man sie nicht dazu benutzt, die ganze Menschheit auf dem Niveau von „Wenigergebildeten“ zu halten!

 

Auch an anderen Stellen in der christlichen Tradition kommen missverständliche und deutungsbedürftige Vokabeln aus dem biblischen Sprachgut vor, z.B. in vielen Liedern, die in den Gesangbüchern stehen, auch in den aktuellsten. Wenn dort von Hölle, Teu­fel, Himmelsthron oder Drachen die Rede ist, muss man sich klar machen, dass die Bedeutung dieser „Worte“ sich in den Jahrhunderten gewandelt hat, und dass sie eigentlich immer erklärt werden müssten.

 

 

1.2.3.2.3 Historisch-kritisches Bibelverständnis

 

In der Theologie der großen christlichen Kirchen in Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten weithin das so genannte „historisch-kritische Bibelverständnis“ durch­ge­setzt.

Im historisch-kritischen Verständnis wird davon ausgegangen, dass man sich mit der Bi­bel auch wissenschaft­lich („kritisch“) als einem Zeitzeugnis („historisch“ überlieferte Text­sammlung aus der Antike) auseinandersetzen kann.

Aus biblischen Texten können die zeitgeschichtlichen Umstände der Entstehung, ihr „Sitz im Leben“ für die damali­gen Menschen, erschlossen werden.

In der Bibel legen verschiedene Menschen Zeugnis ab von ihren persönlichen Glau­benserfahrun­gen. Sie re­den in einer konkreten Zeit und in einer konkreten Si­tuation, die sie erleben und die sie geprägt hat. Sie wollen sich gegenüber anderen Menschen in ihrer Zeit verständlich machen, und sie ver­wenden dabei die damals (selbst-)verständli­chen Weltvorstellungen.

Für das Verstehen der in der Bibel überlieferten Texte kann es hilfreich sein, die ver­schiedenen li­terarischen Ausdrucks-For­men von den übermittelten Glaubens-Inhalten zu unterscheiden. Das Reden von Gott ist für Menschen anders nicht möglich als in der unvollkommenen Sprache von Bil­dern, Meta­phern, Gleichnissen. Die Art der literari­schen Darstellung hat sich im Laufe der Entstehungsgeschichte der Bibel immer wieder gewandelt, es finden sich z.B. Lieder, Chroniken, Parabeln, Paradoxa und Lehrtexte. Der Kern der Glau­bensaussagen, die tiefen Grundwahrheiten, die in immer neuer Weise erlebt und überliefert wurden, blie­ben dennoch zeitlos wichtig.

Die Bibel ist in diesem Verständnis ein Buch des Glaubens, das zum Leben helfen will, das Werte und Orien­tierung vermit­telt. Die Bi­bel ist nicht geschrieben und geeignet als Lehrbuch für den naturwissenschaftlichen Un­terricht.

Hier wird das Reden von Gott als offenes Geschehen verstanden, das nie zu fertigen, endgültigen Ant­worten kommt. Man könnte sagen – vergleiche dazu die Aussa­gen zu den vorläufigen und revidierbaren Ergebnissen naturwissenschaftli­chen For­schens im Kapitel 1.2.2.2 – dass auch der Glaube, auch die Theologie immer neue „Hypothesen über Gott“ [2] bil­den, die stam­melnd und stot­ternd und suchend in Gleichnissen, in (Sprach-)Bildern wiedergegeben und weitergegeben werden, die aber un­voll­kommene Annä­herungen bleiben und nie endgültige Wahr­heiten - verstanden als Gewissheiten über Gott und sein Handeln im Sinne von Defini­tio­nen - dar­stellen. Allerdings gibt es auch hier eine Prüfinstanz: Religiöser Glaube muss sich genauso wie eine physi­kali­sche Theorie im Leben bewähren, er muss zum Leben helfen.

Im historisch-kritischen Verständnis ist der Glaube kein abgeschlossenes, sondern im­mer ein offenes System. Nicht zu jeder Frage, die sich uns Menschen in dieser Welt stellt, steht eine endgül­tige und er­schöpfende Antwort in der Bibel (zum Beispiel zu der Frage, ob wir Gen­technik oder Atomenergie nutzen dürfen). Die Bibel bietet grundsätz­liche Wertmaß­stäbe zur Orientie­rung an – aber der glaubende Mensch darf und muss in seiner konkreten Lebens-Situation selbst nach Ant­worten suchen, Entscheidungen treffen und auch die Ver­antwortung für sein Handeln übernehmen.

 

 

1.2.3.2.4 Es gibt so viele Bibelverständnisse,
               wie es Christen gibt

 

Mit dieser Überschrift soll nur darauf hingewiesen werden, dass die beiden vorstehend behandelten Bibelverständnisse nicht die einzigen sind und dass viele Christen ihre Erfahrungen und Einsichten im Umgang mit biblischen Texten dort nur in Ansätzen oder überhaupt nicht angemessen wiedergegeben finden würden. Manche würden sicher noch ganz andere Aspekte benennen, die ihnen den Zugang zur Bibel ermöglichen. Und viele haben wohl noch nie intensiv darüber nachgedacht, dass sie ein „Bibel­ver­ständnis“ haben und wie sie es charakterisieren würden.

 

 

1.2.3.3 Zum Begriff „Schöpfung“:
            Schöpfungsvorstellungen und Schöpfungsglaube

 

Fritzchen kommt aufgeregt aus der Schule nach Hause. Er berichtet vom Religionsunterricht: „Mutti, jetzt weiß ich, was Gott ist …“ - Die Mutter guckt neugierig. - „Gott ist ein Trichter!“, sagt Fritzchen stolz. - Die Mutter ist ratlos: „Hast du da vielleicht was falsch verstanden?“ Der Sohn erzählt noch ein bisschen, und dann hat sie eine Vermutung: „Hat die Lehrerin vielleicht gesagt, dass Gott ein Schöpfer ist?“ Fritzchen stimmt zu: „Von mir aus Schöpfer, aber irgendetwas aus der Küche war´s doch!“

 

Nicht nur Fritzchen in diesem Witz dürfte seine Schwierigkeiten mit dem Wort und dem Phänomen „Schöpfer“ (und „Schöpfung“) haben. Es ist vor allem für Menschen, die nicht in einer religiös geprägten Umgebung aufgewachsen sind, ein schwieriges, frem­des Wort, es ist erklärungsbedürftig.
Hier dürfte auch mancher erwachsene „Fritz“, z.B. wenn er Biologie-Lehrer ist, zunächst überfordert sein.


„Schaffen“ ist in der Bibel ein Verb (hebräisch „bara“), das allein für das Handeln Gottes vorbehalten ist (daneben wird noch ein zweites Verb verwendet, „asah“, das etwa mit „machen“ im Sinne von handwerklicher Tätigkeit zu verstehen ist). „Bara“ wird nie im Zusammenhang mit Menschen als handelnden Subjekten verwendet - Menschen kön­nen nicht schaffen, sie können letztlich auch nicht verstehen, was sich ereignet, wenn Gott „schaffend“, „schöpferisch“ am Werk ist. Und wenn Menschen dennoch von dem reden oder schreiben, was sie selbst nicht (hervorbringen) können und verstehen, kön­nen sie nur stottern, stammeln, Vermutungen („Hypothesen“!) in menschlichen Bildern äußern. In diesem Sinne sind biblische Darstellungen immer unvollkommene und deut­bare Versuche, Unverstehbares verständlich zu machen.

Das Verb, das im Deutschen zum Substantiv „Schöpfung“ und zum „Schöpfer“ gehört, heißt „schaffen“, und wird heute in diesem Zusammenhang nur noch stark konjugiert: „schuf“, „geschaffen“. Manchmal liest man auch in seriösen Publikationen noch die ver­altete Sprachform, nach der Gott „schöpfte“ oder „geschöpft hat“.

 

Wenn in der Bibel von „Schöpfung“ die Rede ist, dann meint das ein Geschehen, das wohl am (und „im“) Anfang aller Dinge (als tragendes Fundament, als sinngebender Ur­grund) eine Rolle spielt, aber „Schöpfung“ findet auch hier und heute statt und sie wird sich in alle Zukunft hinein weiter ereignen.

Die Vorstellung, dass es nur um einen einmaligen Akt des Hervorbringens in der Ver­gangenheit gehe, und dass seitdem keine grundlegenden Änderungen mehr stattgefun­den haben (z.B. eine „Konstanz der Arten“ bei Lebewesen vorliegt), war in der Vergan­genheit und ist auch heute noch bei vielen Menschen (glaubenden und nicht-glauben­den!) weit verbreitet. Sie verengt jedoch die Weite des Begriffes „Schöpfung“ und führt bestenfalls zu Missverständnissen.

Ein Beispiel:

 

(Quelle: B11 CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Biologie plus, Klasse 10 Gymnasium, Sachsen, Berlin, 2006, S.102ff.)

(Randspalte) Schon gewusst?
Schöpfungslehren gehen davon aus, dass die Lebewesen durch ein oder mehrere höhere Wesen ge­schaffen wurden.

 

Hier wird zunächst ausgesagt, dass (die Lebewesen) geschaffen wurden, Schöpfung demnach als ein Ereignis verstanden, das in der Vergangenheit liegt und abgeschlos­sen ist (zeitlich und im Ergebnis). Eine solche Vorstellung entsprach und entspricht tat­sächlich dem Verständnis, das manche Christen haben und das auch so gelehrt wurde und wird. Aber: Nicht alle Schöpfungsvorstellungen sind in dieser Weise festgelegt. Es gab immer in der Tradition der Kirche auch das Reden von der „creatio continua“, der Schöpfung, die fortdauert, in der Gott in der Geschichte weiter handelt und in der fort­während Neues entsteht.
Es sind auch nicht nur „die Lebewesen“, um die es in der „Schöpfung“ geht, im jüdisch-christlichen Verständnis gehört dazu die gesamte materielle Welt, also auch Wasser und Steine und Himmelskörper (Sonne, Mond und Sterne). Gott hat „Himmel und Erde“ geschaffen, damit ist die ganze Welt gemeint, auch der „Himmel“ gehört zu den Ge­schöpfen.

 

In den folgend wiedergegebenen Zitaten wird als Ursache für manche Missverständ­nisse zwischen Schöpfungsglaube und Naturwissenschaft vermutet, „dass die Natur­wissenschaft wahrscheinlich von Anfang an einen falschen Schöpfungsbegriff“, dass man dort „eine „sehr defiziente Schöpfungstheologie“ hatte.

(Quelle: Q18 Horn, S.O., Wiedenhofer, S. (Hrsg.):Schöpfung und Evolution – Eine Tagung mit Papst Benedikt XVI. in Castel Gandolfo; Sankt Ulrich Verlag, Augsburg, 2007)

 

S.129
(Vincent Twomey in der Diskussion:)
Das Problem ist, glaube ich, dass die Naturwissenschaft wahrscheinlich von Anfang an einen falschen Schöpfungsbegriff hatte , dass nämlich Gott als Lückenbüßer verstanden wurde…

S.133
(Christoph Kardinal Schönborn in der Diskussion:)
Viele der Probleme, die in der jetzigen Diskussion aufgeworfen werden und die schon bei Darwin sehr deutlich zu sehen waren, rühren daher, dass man in diesen Kreisen eine sehr defiziente Schöpfungs­theologie hatte, gegen die man dann zu Felde zog …

 

Abgesehen von dem abschätzigen Tonfall („in diesen Kreisen“ – genannt wird Darwin): Das ist schon starker Toback! Denn wenn jemand für die (Auf-)Klärung des Verständ­nisses von „Schöpfung“ zuständig ist, kann das nur die Theologie sein. Und die Theolo­gie war es doch, die (zu) lange ein wörtliches Schöpfungsverständnis hatte (inklusive Konstanz der Arten), es gelehrt und verteidigt hat, ein Verständnis, von dem sie heute meint, dass es falsch gewesen sei. Dann kann man aber nicht gemäß dem Motto „Haltet den Dieb!“ die Naturwissenschaftler für die Auseinandersetzungen um das neue Weltbild (Kopernikus) oder um die Geschichte der Lebewesen (Darwin) verantwortlich machen! Sie sind den (falschen) Vorgaben der Theologen in deren Zuständigkeits­bereich lange Zeit tapfer gefolgt und haben sich mit schlechtem Gewissen und in müh­samen Kämpfen dagegen zur Wehr gesetzt und das Missverständnis „aufgeklärt“.

 

Ein weit verbreitetes Verständnis, aus dem sich viele Kontroversen herleiten lassen, ist dennoch, dass unter „Schöpfung“ ein Datum verstanden wird, das in der Vergangenheit liegt, und ein Zustand, der von (einem) Gott einmal hergestellt worden ist und der sich grundsätzlich im Laufe der Geschichte nicht mehr ändert, und der auch die „Konstanz der Arten“, die Unveränderlichkeit der biologischen Arten, umfasst. Dieses Verständnis war (auch) unter Theologen lange Zeit weit verbreitet, und es ist von vielen Menschen, auch von Naturwissenschaftlern, von ihnen übernommen und als „sachlich richtig“ ver­standen und akzeptiert worden.
Charles Darwin setzt sich übrigens nur unter diesem Gesichtpunkt kritisch mit den „Schöpfungsgläubigen“ auseinander:

 

(Q7 Darwin, Ch.: Die Abstammung des Menschen und die Zuchtwahl in geschlechtlicher Bezie­hung, Reclam, Leipzig o.J., Bd. II, S.92):

 

„... so habe ich doch wenigstens, ich hoffe es, ein gutes Werk verrichtet, indem ich dazu beigetragen habe, das Dogma der besonderen Schöpfungsakte zu stürzen.“

 

 

(Q8 Darwin, Ch.: Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl, Reclam Leipzig 1980, S174ff.):

 

(Zebra, Esel, Pferderassen) „Wer da glaubt, dass alle Pferdearten unabhängig voneinander erschaffen wur­den ... Dieser Ansicht huldigen, heißt meines Erachtens eine reale Ursache für eine unreale oder wenigstens unbekannte zu opfern. Sie würdigt die Werke Gottes zu Trug und Täuschung herab; ich möchte dann fast ebenso  mit den alten unwissenden Kosmogonisten annehmen, dass die fossilen Muscheln nie Leben bargen, sondern im Stein erschaffen wurden, um die an der Seeküste lebenden Schaltiere nachzuahmen.“

 

Auch ein bedeutender christlicher Theologe der Gegenwart erschließt gerade aus dem Text der ersten „Schöpfungsgeschichte“, dass ein Gegensatz von Schaffen und Entste­hen daraus nicht abzuleiten ist:

 

(Q36 Westermann, Claus: Genesis, Kapitel 1-11, Teil 2, Evangelische Verlagsanstalt Berlin 1985, S.172ff.)

 

 

(Zum ersten Kapitel der Bibel – zum dritten „Schöpfungstag“, an dem die Pflanzen geschaffen werden: Gen1,11):

„Und Gott sprach: Es ergrüne die Erde in Grünem!“ – Gottes Wort gibt jetzt die Schöpfermacht ab, d.h. das Wort wird zur Anordnung an das zuvor Geschaffene, selbst das weitere Neue entstehen zu lassen. … (in Gen.1,12 geschieht es dann: „Und die Erde ließ frisches Grün sprossen …“)
Damit aber, dass an dieser Stelle das Schaffen Gottes für das Entstehen offen ist, ist ein grundsätzlicher Gegensatz von Schaffen und Entstehen nicht mehr möglich und nicht mehr nötig. …

„Die Erde brachte hervor“. Was als Gebot formuliert „es ergrüne die Erde in Grünem“ hieß, wird in der Ausführung mit einem anderen Verb genannt: „die Erde bringe hervor“. Dasselbe Verb wird mit dem glei­chen Subjekt dann noch einmal Gen.1,24 gebraucht, hier in der Formulierung des Befehls: „Die Erde bringe lebende Wesen hervor.“ Dieses „Hervorbringen“[3] ist zunächst einfach so gemeint: „etwas, was darin­nen ist, herauskommen lassen“. Die Pflanzen sind in der Erde, und die Erde lässt sie herauskom­men … Dahinter steht die über die ganze Erde verbreitete Vorstellung von der „Mutter Erde“, der Erde als Gebärerin alles Lebendigen und auch aller Vegetation;
Die beiden Verse können beispielhaft zeigen, wie das Reden von der Schöpfung nur in der Folge ver­schiedener Darstellungsweisen möglich ist; die (in diesem Text) in der Mitte stehende und eigentlich ge­meinte Darstellung der Erschaffung der Pflanzen durch das Wort des Schöpfers schließt weder die uralte Vorstellung des Entstehens (des Lebens) aus der Erde noch das später aufkommende Fragen nach der Art und Weise des Entstehens aus

 

Noch ein letzter interessanter „Zeuge“ sei benannt.
In seinem „Kleinen Katechismus“ von 1529 meditiert und erläutert Martin Luther, was für ihn der erste Artikel im christlichen Glaubensbekenntnis aussagt, der in knapper Form den Inhalt des ersten Kapitels der Bibel zusammenfasst:

 

(Q64 Martin Luther: Der Kleine Katechismus (1529), Erklärung zum ersten Ar­tikel des christlichen Glaubensbekenntnisses)

 

 

Der erste Artikel: Von der Schöpfung

Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.

Was ist das?

 

Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen,
mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält;
dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind, Acker, Vieh und alle Güter;
mit allem, was not tut für Leib und Leben, mich reichlich und täglich versorgt,
in allen Gefahren beschirmt und vor allem Übel behütet und bewahrt;
und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohn all mein Verdienst und Wür­digkeit: für all das ich ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehor­sam zu sein schuldig bin.

 

„Schöpfung“ meint danach nicht, dass ich in einer alten Geschichte nachlesen kann, was sich „damals“ (vor langer Zeit und als einmaliges Geschehen) abgespielt hat (im Sinne einer dokumentarischen Schilderung). „Schöpfung“ ist etwas, was MICH HIER und HEUTE in meiner Existenz betrifft!

Überraschenderweise spielen beim Nachdenken über „Schöpfung“ für Martin Luther Kosmos, Gestirne, Tiere, Pflanzen oder „der“ Mensch überhaupt keine Rolle (wie sich das eigentlich vom Wortlaut des ersten Glaubensartikels her nahe legte).
Das Nachdenken über Schöpfer und Schöpfung beginnt bei Luther mit seiner eigenen Existenz, seinem ICH: „Schöp­fung“ ist überhaupt nur span­nend, weil ich sie er-leben, dabei sein kann, es geht zentral um mich und nicht um große, aber letztlich abstrakte Dinge wie etwa die ganze Welt oder den Anfang von allem.

 

(Q68 Christian Schwarke / Roland Biewald: Weltbilder – Menschenbilder; Themenhefte Religion, Ev. Verlagsanstalt Leipzig, 2003, S.27)

 

 

„Für Luther ist Schöpfung vor allem eine Beziehungskategorie. Die Dinge erweisen sich insofern als Gottes Schöpfung, als sie von Gott für mich geordnet sind. Die Welt wird als Teil einer Dreierbeziehung (Gott – Mensch – Welt) zur „Schöpfung“, insofern ihr ein Sinn zukommt.“

 

Der Glaube bringt mir Vergewisserung, DASS Gott MICH gewollt hat (das ist eine Aus­sage des Vertrauens, des Glaubens – keine naturwissenschaftlich nachweisbare Tatsa­che).

Dann folgt aber gleich die Einordnung in den Zusammenhang. Es geht nicht allein um mich. Gott hat mich neben viele andere Geschöpfe gestellt, ich bin Geschöpf unter Milli­onen Arten von anderem Leben. Der Mensch ist Geschöpf - und kein Halbgott.

Nun folgt noch eine Ergänzung – dass Gott seine Schöpfung auch jetzt noch er­hält. Das macht klar: das Nach­denken über Schöpfung ist nicht vorrangig an der Vergangenheit orientiert, an der Frage nach den Ur­sprüngen, son­dern Schöpfung erlebe ich hier und heute. Schöpfung geschieht ständig neu. Wenn eine Knospe sich öffnet, wenn ein Kind geboren wird, kommt eine neue Farbe in die Welt.

Weiter ist Luther dankbar dafür, dass Gott ihm „Vernunft und alle Sinne gegeben hat“, seinen Verstand und seine Ge­fühle. Die forschende Neugier und der erklärende Verstand sind Begabungen, die auch Christen dankbar nutzen dür­fen. Naturwissen­schaft zu betrei­ben, wenigstens deren Erkenntnissen offen zu begegnen, ist für Chris­ten nicht ver­boten.

Luther sagt, dass Gott ihm auch Kleider und Schuhe gegeben hat. Das ist natürlich Re­den in Bildern, und es wäre in wörtlichem Verständnis miss-verstanden. Sicher wusste Luther, wo sein Schuster wohnt und wer seinen Mantel ge­näht hatte, ihm war klar, dass da menschliche Fertigkeiten unverzichtbar waren. Aber er wollte mit diesem Bild („ge­geben von Gott“) deutlich machen, dass für ihn – in seinem Verständnis, in seiner Erfahrung - die Zuwen­dung Gottes bei allem Lebenswichtigen dazukommen muss, da­mit sein Leben gelingen kann.
Und das Bekenntnis zum Schöpfer mündet bei Luther in Dankbarkeit und Verant­wor­tung - für sein eigenes Leben und für die Welt.

Dieses Schöpfungs-Verständnis Luthers ist bis heute das Verständnis der evangeli­schen Kirche geblieben:

 

(Quelle: Q46 EKD-Texte 94: Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule; eine Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2008, S.10f.)

 

Der Dank für das gegenwärtige Wirken Gottes ist die in der Bibel bei weitem dominante Form des Be­kenntnisses zum Schöpfer. …

Beispielhaft ist die Sicht Martin Luthers in seiner Auslegung des Ersten Artikels im Kleinen Katechismus. Luther denkt – ganz auf der Linie der biblischen Texte – von der Aktualität des göttlichen Schaffens her … die Erhaltung der Welt durch Gott realisiert sich als aktuelles Schaffen in einem nicht einfach als abge­schlossen zu betrachtenden Prozess (creatio continua). …

Dass ich Gottes Geschöpf bin, erfahre ich nicht in Spekulationen über die erste Sekunde des Univer­sums, sondern darin, dass ich mir des Geschenkcharakters meiner eigenen Existenz bewusst werde. …

 

Im folgenden Lehrbuch-Zitat wird darauf aufmerksam gemacht, dass biblische Texte dem Geschehen in der Welt eine (Be-)Deutung geben wollen:

(Quelle: B12 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie, Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin, 2005, S.511)

 


Entstehung des Lebens – ein Rätsel?
Viele Wissenschaftler haben sich bemüht, die Entstehung des Lebens und die Existenz der Vielfalt der Arten aus z.T. sehr unterschiedlichen Ansätzen heraus zu erklären. Auch die in der Bibel dar­gestellte Schöpfungsgeschichte stellt eine Art Deutung dar.

 

Es ist richtig, dass die Schöpfungsgeschichte der Bibel „eine Art Deutung“ der Welt­er­fahrung des Menschen darstellt. Das meint aber, dass mit diesem Text nicht vorran­gig eine naturwissenschaftliche Erklärung der Zusammenhänge und Abläufe in der Natur vermittelt werden soll, sondern dass der Welt eine Bedeutung gegeben wird. Der Mensch erfährt, dass die Existenz der ganzen (wohl geordneten) Welt, aber auch sein eigenes Dasein, einen (tragenden) „Grund“, einen Sinn und ein Ziel haben, und dass ihm eine Aufgabe in dieser Welt zugewiesen ist. Das kann man nur „glauben“, aber nicht „wissen“ und „beweisen“. Eine solche Welt-Erfahrung und Welt-Deutung kann Vertrauen und Geborgenheit vermitteln.

 

(Quelle: Q78 chrismon 4/2008 S.11, Interview mit Friedrich Schweitzer)

 

 

In den Schöpfungserzählungen geht es um das Geschenk, das Gott den Menschen gemacht hat, und darum, dass ich mich Gott als meinem Schöpfer verdanke – nicht nur vor ewigen Zeiten, sondern immer.
(Ist die Schöpfungserzählung also metaphorisch gemeint?)
Nein, sie stimmt so wie die Feststellung: Ich liebe dich. Da ist etwas tatsächlich geschehen, auch wenn es empirisch-rational nicht nachprüfbar ist.

 

Der Satz „Ich liebe dich“ ist grammatisch-logisch korrekt. Er hat ein handelndes Subjekt, einen Adressaten, und der beschreibt eine Beziehung zwischen beiden. Und doch lässt sich sein (objektiver) Wahrheitsgehalt nicht wissenschaftlich überprüfen und beweisen.

Dass in den biblischen Geschichten auch die Weltbildvorstellungen der damaligen Zeit - die biblischen Texte entstanden vor 2500 bis 3000 Jahren - ihren Niederschlag gefun­den haben (müssen), ist klar. Zusätzlich muss man aber wissen, dass auch innerhalb der Bibel ganz unterschiedliche Weltbilder aufbewahrt sind, die nebeneinander stehen bleiben „durften“, eben weil es nicht wichtig war, hier zwi­schen „richtig“ und „falsch“ zu entscheiden, sondern die wichtigeren (Glaubens-)Aspekte auf­zubewahren, die zeitlos gültig blieben, „verpackt“ in den unvollkommenen und zeitbedingten deutenden Erzäh­lungen konkreter Menschen.

Ein Fachtheologe für das Verstehen des „Alten Testaments“ schrieb zu der Frage, wo die Kirche im Aufbruch der Naturwissenschaft versagt habe:

 

(Q48 Westermann, Claus: Schöpfung; Kreuz Verlag Stuttgart 1979, S.13f.)

 

 

Man hatte aus dem Erzählen von der Schöpfung und dem Lob des Schöpfers eine Lehre von der Schöpfung gemacht. Das bedeutete eine Festlegung, etwa auf die sieben Tage des Schöpfungswerkes oder auf bestimmte Vorstellungen, wie etwa des Himmels als eines festen Körpers. Dies war ein schwe­res Missverstehen des Redens von Schöpfer und Schöpfung in der Bibel. Für dieses ist gerade charakte­ristisch, dass es erzählend ist, und zwar von verschiedenen Standorten her, die verschiedene Vorstellun­gen ermöglichen

Niemals wird im Alten Testament vom Glauben an den Schöpfer gesprochen, niemals begegnet ein Satz wie etwa: „Ich glaube, dass die Welt von Gott geschaffen ist“ …
Der Grund dafür ist leicht zu sehen: Eine andere Möglichkeit der Weltentstehung gab es für die Men­schen des Alten Testaments nicht. Die Schöpfung war für sie kein Glaubenssatz, weil es dafür keine Alternative gab. Anders gesagt: Sie hatten darin ein anderes Wirklichkeitsverständnis als wir, dass es für sie eine andere als von Gott gesetzte Wirklichkeit nicht gab. Sie brauchten nicht zu glauben, dass die Welt von Gott geschaffen ist, weil das eine Voraussetzung ihres Denkens war.

 

Dass der biblische Text über „Schöpfung“ in seiner Entstehungszeit durchaus auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft war, wird in folgendem Zitat aus einem Biologie-Lehr­buch in Erinnerung gerufen:

 

(Quelle: B12 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie, Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin, 2005, S.514)

 

 

Der Schöpfungsbericht war aber dennoch für seine Zeit eine enorme Erkenntnis, denn die Rei­henfolge der Schöpfung von Erde und Lebewesen beruht schon auf einer „wissenschaftlichen Auseinanderset­zung“ mit der Entstehung des Lebens (Erde und Gestirne, Atmosphäre und Was­ser, Wasserlebewesen, Lebewesen des Landes, Mensch)

 

Die Abfolge, in der das Schöpfungsgeschehen in der Bibel geschildert wird, erinnert (ahnungsvoll) in groben Zügen durchaus an die Geschichte der Welt, wie sie uns auch die moderne Naturwissenschaft erzählt (Licht, dann Himmel und Erde, später Wasser, Pflanzen, Tiere, Menschen).

 

Das Verständnis von „Schöpfung“ wird in manchen Lehrbüchern verengt auf das wört­liche Verständnis der Darstellun­gen im ersten Kapitel der jüdisch-christlichen Bibel. Dort ist zu lesen, dass Gott im Laufe von sechs Schöpfungs-„Tagen“ am Anfang der Welt zunächst die kosmische Ordnung gestaltet, Lebensräume wie Land und Meer und Luft­raum einrichtet, und dann Lebewesen in die Welt bringt, Pflanzen, Tiere und Menschen, jedes „nach seiner Art“. Aber kann man diesen Text als scheinbaren „Dokumentar­bericht“ direkt in unsere Zeit übertragen?

Man muss z.B. sehr vorsichtig sein, den hier verwendeten Artbegriff gleichzusetzen mit der modernen Definition von „Art“ in der Biologie (die auch heute noch umstritten ist). Und wenn die Bibel vom Rhythmus von „Tagen“ spricht, in denen sich die Schöpfung vollzieht, dann ist auch hier Vor­sicht angesagt: An anderer Stelle in der Bibel, im Psalm 90, steht z.B., dass für Gott „tausend Jahre wie ein Tag“ sind – vielleicht darf hier also auch an lange Epochen in der Welt­geschichte gedacht werden …

Die Ausführungen im ersten Kapitel der Bibel sind nicht alles, was in der Bibel zu „Schöpfung“ gesagt wird. Die Schönheit der Welt und die Bedrohung durch Natur­ge­walten, der Auftrag an den Menschen, die Erde zu erforschen und zu nutzen („Macht euch die Erde untertan“ – das beinhaltet auch die Ermutigung, Naturwissenschaft zu betreiben!), aber auch Verantwortung für die Mitgeschöpfe zu übernehmen - diese und viele andere Aspekte begegne(te)n Men­schen beim Lesen der Bibel und stellen ihnen Fragen im täglichen Leben hier und heute.

Der Begriff „Schöpfung“ wird heute oft auch in einer nicht religiösen Öffentlichkeit in ei­nem sehr allgemeinen Verständnis gebraucht, wenn es etwa um ethische Fragen oder um Umweltverantwortung geht. Dann stellt er oft ein (gehobenes) Synonym dar für das Reden von Natur, Erde, Welt oder Leben.

 

Verfassung des Freistaates Sachsen vom 27.Mai 1992, Präambel

 

..von dem Willen geleitet, der Gerechtigkeit, dem Frieden und der Bewahrung der Schöpfung zu dienen...

 

Die in vielen Lehrbüchern vermittelte Vorstellung von (religiös verstandener) „Schöp­fung“ ist einseitig, geprägt allein aus der Geschichtserfahrung und dem Blickwinkel des christlichen Europas.

Es gibt wichtige Weltreligionen, die nicht von einer (einmaligen) Schöpfung erzählen. Der Lauf der Welt wird zum Beispiel im Hinduismus nicht als eine geschichtliche „Linie“ verstanden, auf der Entwicklung stattfindet (wie etwa im jüdisch-christlich-abendländi­schen Denken), sondern vollzieht sich in ewigen Kreisläufen. Und viele Schöpfungs­erzählungen aus anderen Kulturkreisen und Religionen befassen sich allein mit der Herkunft des Menschen. Das Entstehen der Pflanzen und der Tiere wird nur selten dar­gestellt:

 

(Quelle: Q45 Claus Westermann: Schöpfung und Evolution, Zeitwende 53 (1982) 3, S.146ff.

 

 

… bei den Naturvölkern wird fast nur von der Menschenschöpfung erzählt, die Weltschöpfung kam erst in den Hochkulturen zur Bedeutung. Auf diesem Unterschied beruht die Gliederung in Naturwissenschaften und Humanwissenschaften. …

… ist zu beachten, dass die Gliederung von Pflanzen und Tieren in Arten nicht zu den überkommenen Schöpfungstraditionen gehört; sie begegnet außerhalb der Bibel nirgends. …

 

Pflanzen wurden in den Kulturen des Altertums gar nicht als „richtige“ Lebewesen ver­standen (Sonne, Mond und Sterne dagegen schon, weil sie sich „bewegen“). Und die Fülle der mikroorganismischen Lebewesen ist überhaupt nicht „im Blick“: Sie waren vor der Erfindung des Mikroskops schlicht nicht zu sehen.

 

Der Glaube daran, dass die Welt Schöpfung Gottes ist, von ihm gewollt und getragen ist, das Vertrauen darauf ist im christlichen Glauben tief verwurzelt. WIE Gott wirkt und handelt, können Menschen nicht verstehen und auch naturwissenschaftlich nicht „wis­sen“. Und so stellt der Schöpfungsglaube keine Theorie dar, die eine naturwissen­schaftliche Alternative sein könnte, um die Geschichte der Natur besser und „richtiger“ zu erklären, als das die Biologie in aller Vorläufigkeit und Unsicherheit versucht.

 

(Quelle: Q50 Heller, Bruno: Naturwissenschaft und die Frage nach der Religion; EZW-Texte Im­pulse Nr.28, Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Stuttgart 1989)

 

 

Die Vorstellung von „der Natur“ ist dem Alten Testament völlig fremd; es besitzt nicht einmal ein Wort für das, was die Griechen als „physis“ bezeichneten.        

 

 

 

 

 

1.2.3.4 Die Vorstellung von der „Konstanz der Arten“

 

Unter „Konstanz der Arten“ versteht man die Vorstellung, dass alle ganz unterschied­li­chen Formen („Arten“) in der Tier- und Pflanzenwelt von Anfang an bis heute unverän­dert so existiert haben, wie wir sie heute erleben. Wirkliche Veränderungen oder „Ent­wicklung“ habe es in der Geschichte der Lebewesen nicht gegeben.

Die Vorstellung von der „Konstanz der Arten“ war nie Bestandteil einer spezifischen kirchlichen „Lehre“, eines „Bekenntnisses“ oder ein „Dogma“!
Diese Ansicht war weit verbreitet.

Sie legte sich zum einen von der Alltagserfahrung her nahe: Die Nachkommen von Le­bewesen ähnelten immer mehr oder weniger stark ihren Eltern.

Die Vorstellung von der „Konstanz der Arten“ vertrat die Kirche genauso wie der „heid­nische“ Philosoph Aristoteles, wobei dessen Vorstellungen sicher eigenen Überlegun­gen entstammten und nicht von jüdischen Schöpfungsvorstellungen beeinflusst waren. Diese waren Jahrhunderte älter und in einem ganz anderen Kulturkreis beheimatet.
Und nicht nur die Kirche, sondern auch die Biologen waren bis ins 19.Jahrhundert hin­ein von dieser Vorstellung überzeugt.


 

(Quelle: Q17 Ernst Haeckel: Die Welträthsel, Alfred Kröner Verlag Stuttgart, 1899, S.96)

 

 

Carl von Linné (1735):
„Es gibt so viele verschiedene Arten von Tieren und Pflanzen, als im Anfang verschiedene Formen von dem unendlichen Wesen erschaffen worden sind.“

 

(Quelle: B24 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag; Duden Biologie, Gymnasiale Oberstufe, Berlin, 2005, S.358ff.)

 

 

Bis zu Beginn des 19. Jh. herrschte auch bei Biologen die Lehre von der Konstanz der Arten vor.

 

 

 

1.2.4 Ideologien mit Alleinerklärungsanspruch

 

In der Geschichte der Naturwissenschaft und der Kirchen hat in den letzten 150 Jahren eine Frage immer wieder hohe Wellen geschlagen: Wie begegnen sich christlicher Schöpfungsglaube und die Evolutionstheorie der Naturwissenschaften? Sind sie wie Feuer und Wasser als einander feindliche Elemente, und ist Kampf und Auseinander­setzung unausweichlich? Geht es dabei um die Wahrheit, um die Entscheidung für die richtige Sicht der Welt? Oder können die beiden Erfahrungsbereiche auch nebeneinan­der bestehen und sich in einem sinnvollen (wenn auch manchmal streitbar zu führen­den) Gespräch gegenseitig anregen und bereichern?

Immer wieder wird die Meinung vertreten, hier gebe es nur ein Entweder/Oder, es gehe um einen heiligen Krieg über Gut ODER Böse, Richtig ODER falsch.
Das Thema dieser Auseinandersetzung nimmt auch in den betrachteten Biologie-Lehr­büchern einen relativ breiten Raum ein.
Im Folgenden sollen zwei Extrempositionen, der „Kreationismus“ wie auch sein Wider­part, der „Evolutionismus“, dargestellt und eingeordnet werden.

 

 

Zunächst seien jedoch einige Erläuterungen zum Begriff „Ideologie“ gegeben:

 

1.2.4.1 Zum Begriff „Ideologie“

 

(Quelle: Q51 Ewald, Günter: Naturwissenschaftliche und religiöse Ideologien; EZW-Texte Impulse Nr.35, Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Stuttgart 1993)

 

 

S.2

Die Bezeichnung „Ideologie“ taucht zum ersten Mal in Frankreich zur Zeit der französischen Revolution auf. Eine Gruppe von Gelehrten und Philosophen versuchte im Gefolge der Aufklärung, eine Psychologie des Menschen aus biologischen und physiologischen Tatsachen abzuleiten. Die Bewusstseinsinhalte oder Ideen eines Menschen entstehen danach aus wissenschaftlich beschreibbaren „Empfindungen“, aus bloßer Sinnlichkeit.

Religiöse Bezüge spielen dabei keine Rolle mehr. Von einem der Gelehrten, Destutt des Tracys, stammt die Bezeichnung „Ideologie“. Er nennt Ideologie ausdrücklich einen Teil der Zoologie. Die Gruppe der „Ideologen“ wollte nicht nur eine akademische naturwissenschaftliche Psychologie entwickeln, sondern auch Grundlagen für politisches Handeln schaffen. … Allgemeiner sollte ein Weltbild geschaffen und in das Erziehungswesen eingebracht werden, durch das ein gesellschaftlicher Konsens und soziale Harmo­nie verbürgt wird. …
Marx verstand sich nicht in erster Linie selbst als Ideologe, sondern betrieb Ideologiekritik. Er sagte: Ideologie ist nicht die Bemühung von Einzelpersonen um Natur- und Gesellschaftsverständnis. Sie ist der geistige Überbau einer Klassengesellschaft, die entfremdete Bewusstseinsform, die in der jeweiligen Stufe gesellschaftlicher Entwicklung die sozialen Widersprüche aufrechterhält, begründet und legitimiert. Ideologie ist nicht falsches Bewusstsein eines richtigen Seins, sondern richtiges Bewusstsein eines fal­schen Seins. Geändert werden muss das Sein, dann wird auch das Bewusstsein neu …

Allerdings sieht Marx die Aufgabe der Philosophen nicht nur in einer Interpretation, sondern in der Verän­derung, im Überwinden von ideologischem Überbau, letztlich im Durchsetzen einer Ideologie der klas­senlosen Gesellschaft. Das heißt, er möchte zu einer Art Erlösungsideologie beitragen, die in der Über­windung der Klassengesellschaft zur Identität von Sein und Bewusstsein führt, zur Überwindung der Ent­fremdung des Menschen von den Produkten seiner Arbeit. Ideologie und Wahrheit werden dann identischMarx ist Ideologiekritiker und Ideologe zugleich
Lenin … forderte eine von der Partei verfasste Weltanschauung, nach der sich nicht nur Ökonomie, ge­sellschaftliches Leben und Kultur zu richten hatten, sondern auch die Wissenschaft. Bürgerliche Wissen­schaft ist nach Lenin an den Bewusstseinszustand des Bürgertums gebunden, dialektische Wissenschaft hat dagegen andere Grundlagen und kommt zu anderen Ergebnissen. …

S.4
Ideologie ist der Versuch, Wahrheit in intellektuell verstehbaren Sätzen zu formulieren und die formulierte Wahrheit für absolut und verbindlich zu erklären
Normen, die man setzt, politische Grundsatzentscheidungen, die man trifft, werden auch ohne Ideologie immer Ausdruck von nichtrationalen Überlegungen sein. Ideologisch werden sie erst dann, wenn sie sich auf unabdingbare wissenschaftliche Notwendigkeit berufen. Meist ist das verbunden damit, dass Wissen­schaft selbst als Instrument verstanden wird, mit dem man absolute Wahrheit formulieren kann, das heißt, Wissenschaft wird selbst ideologisiert.

 

S.6
Physiker St. Hawking, 1988 Buch „Eine kurze Geschichte der Zeit“;
Der Untertitel des Buches lautet: „Die Suche nach der Urkraft des Universums“ …
„Mein Ziel“, sagt Hawking, „ist ein vollständiges Verständnis des Universums, warum es so ist, wie es ist, und warum es überhaupt existiert.“ Die Antwort zu finden, „wäre der endgültige Triumph der mensch­li­chen Vernunft.
Mit seiner wissenschaftlichen Autorität strahlt Hawking eine Hoffnung aus, die nicht durch die Physik selbst gedeckt ist. Wendet man radikal kritisches Denken an, so lautet, wie ich meine, das Fazit: Es wird keine Weltformel geben, und die Rede von ihr ist Ideologie. Der erhoffte Triumph, sie zu finden, ist Illu­sion und zeigt eine Hybris, einen Machtanspruch naturwissenschaftlichen Denkens an, der sich nie­mals einlösen lässt.
Penrose
[4] weist zunächst auf die Schwierigkeiten hin, die schon in der mathematischen Seite einer Theo­rie verborgen liegen. Bereits 1931 hatte der österreichische mathematische Logiker Gödel bewiesen, dass jedes formale mathematische System mit ausgefeilten Axiomen und Ableitungsregeln Aussagen hervorbringt, die sich im System weder beweisen noch widerlegen lassen. Dieser Satz ist bereits für die Mathematik eine Katastrophe. Viele ahnen nicht, auf welch wackeligem logischem Fundament die Ma­thematik aufgebaut ist, entgegen der verbreiteten Vorstellung, in der Mathematik sei doch alles klar.

 

S.8
Bemerkenswert ist, wie das fundamentalistisch-kreationistische Wissenschaftsverständnis dem Lenin­schen sehr ähnlich ist. Für Lenin liegt das Paradigma in der Klassenzugehörigkeit, die als Sein das Be­wusstsein bestimmt, für die Kreationisten liegt es in der Zugehörigkeit zur Gruppe der (in ihrem Sinne) Bibelgläubigen bzw. Nichtbibelgläubigen, mit erleuchtetem oder nicht erleuchtetem Bewusstsein. In bei­den Fällen handelt es sich um blanke Ideologie. …

„Ideologie“ ordnen wir zunächst politischen, naturwissenschaftlichen und religiösen Versuchen zu, abso­lute Wahrheiten zu formulieren und Herrschaft daran zu knüpfen. …
Ideologien sind … niemals von vornherein als Unterdrückungsinstrument erfunden worden; sie waren stets vom Willen geprägt, Wahrheit und Klarheit zu schaffen, Wege zum Besseren anzubieten. Die Rigo­rosität aber, mit der sie erschienen, verkehrte die guten Absichten in ihr Gegenteil. Die Mächte, die Hilfe anbieten sollten, begannen ein Zerstörungswerk

(Quelle: Q51 Ewald, Günter: Naturwissenschaftliche und religiöse Ideologien; EZW-Texte Impulse Nr.35, Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Stuttgart 1993)

 

Hier sei noch eine zweite Stimme zur inhaltlichen Bestimmung des Begriffes „Ideologie“ wiedergegeben:

 

(Quelle: Q60 BROCKHAUS ENZYKLOPÄDIE in 24 Bd., 19., völlig neu bearb. Aufl.,
Bd. 10 (Herr – Is), Mannheim: Brockhaus, 1989, S. 374)



Ideologie
... in den allgemeinen Sprachgebrauch aufgenommener Begriff, der in wörtl. Entsprechung zunächst Wis­senschaft von den Ideen, dann aber auch System oder Menge von Ideen, schließlich die Anordnung und das Hervorbringen von Vorstellungen zur Interpretation der Welt in einer bestimmten (z. B. interesse­geleiteten und damit verfälschten) Sichtweise bedeutet.
Schon diese versch. Schattierungen weisen darauf hin, dass es für die Begriffsbestimmung von I. keine eindeutige Definition gibt, dass es sich hierbei vielmehr um ein operatives Konzept handelt, das in jeweils unterschiedlichen histor. und polit. Situationen, in der allgemeinen Sprache und in und in unterschiedl. wiss. Fragestellungen und gesellschaftstheoret. Entwürfen eine jeweils eigene Gestalt, einen eigenen Begriffsumfang und eine je nach Standort versch. Wertzuschreibung erfahren kann. Eine allen Verwen­dungsweisen von I. mag darin bestehen, dass es sich bei der Beschäftigung mit I. jeweils um die Be­trachtung des Verhältnisses einer Vorstellungswelt zu einer  -  wie immer aufgefassten  -  wirklichen Welt handelt; es geht also um die Betrachtung von Ideen, Aussagen, Welt- und Denkmodellen im Hinblick auf ihre gesellschaftl. (gruppenspezifischen) histor., polit. oder ökonom. Grundlagen und Auswirkungen, wo­bei die Zuordnungen und Erklärungen, nicht zuletzt die Bewertungen dieser Relation (anhand von Krite­rien wie Wahrheit, Angemessenheit, Notwendigkeit oder Plausibilität) große Unterschiede aufweisen können. Die Frage nach der I. zielt also auf >den Zusammenhang von Bewusstsein und Gesellschaft< (H.-J. Lieber) ...
Im allgemeinen Sprachgebrauch hat der Begriff I. eine negative Färbung, insoweit als unter I. eine unbe­gründete, willkürl. oder durch Interesse verzerrte, keineswegs also allgemeingültige (gar >richtige<) Deutung der Wirklichkeit im Lichte des jeweils eigenen (also partikularen) Ideensystems verstanden wird. In diesem Sinn werden als I. auch die weltanschaul. Lehren bezeichnet, deren Anerkennung durch die Bevölkerung in totalitären Systemen erzwungen wird. Mitunter dient der Begriff I. auch zur Bez. einer pra­xisfernen, an einer >reinen Lehre< orientierten und deshalb unzureichenden oder verfälschenden Auffas­sung der Wirklichkeit.
Im wissenschaftsorientierten, aber auch im polit. Gebrauch lassen sich dagegen ein krit., ein neutraler und ein positiver I.-Begriff unterscheiden. ...

(Quelle: Q60 BROCKHAUS ENZYKLOPÄDIE in 24 Bd., 19., völlig neu bearb. Aufl.,
Bd. 10 (Herr – Is), Mannheim: Brockhaus, 1989, S. 374)

 

In der hier vorliegenden Studie wird ein kritisches Verständnis von Ideologie zugrunde gelegt.

 

eine Ideologie

·       ist allein zuständig für die Erklärung und Deutung der Wirklichkeit

·       hat erschöpfende und absolut gültige, endgültige Antworten auf alle Fragen, verwaltet ewige Wahrheiten

·       vertritt immer die richtige Sicht der Dinge – das ist für sie eine Frage des „Standpunktes“ (oder es ist z.B. „Glaubenssache“)

·       sieht die ganze Welt als ENTWEDER/ODER,
etwas ist entweder schwarz ODER weiß, etwas kann nur richtig sein ODER es ist falsch

·       hat eine erstarrte Weltanschauung, die nicht (mehr) offen ist für neue Einsichten und Fragen nicht zulässt;
entgegenstehende Tatsachen müssen ausgeblendet, Widersprüche ignoriert werden

 

einige Kennzeichen für Ideologien

·       verräterisch: „...ISMUS“

·       Berufung auf wichtige Schriften, Lehrsätze (Dogmen), Autoritäten (Lehrer, Führer)

·       Feindbilder (gut ODER böse)

·       Kompromisslosigkeit, Polemik, Kampf (Herrschaft, Macht)


1.2.4.2 „Kreationismus“ und „Intelligent Design“

 

 

1.2.4.2.1 Kreationismus

 

Da der Begriff „Kreationismus“ sicher für manche Leser ein Fremdwort ist, sei mit zwei Definitionsversuchen aus Biologielehrbüchern begonnen:

 

Kreationismus (lat. creatio Schöpfung):
Annahme, dass die einzelnen Arten getrennt erschaffen worden seien und eine Evolution nicht stattge­funden habe …
(B32 S.541 Glossar)

 

Kreationismus:
Weltbild, das auf dem Axiom beruht, dass die Schöpfungsgeschichte der Bibel einen tatsächlichen Ablauf beschreibt
(B29 S.453 Glossar)

 

Andere Glossar-Definitionen (B25 S.458; B28 S.482) geben pauschal als Konfliktlinie die Alternative „Evolution“ ODER „Schöpfung“ an. Das geschieht auch in dem folgend zitierten Lehrbuch:

 

(Quelle: B14 DUDEN / PAETEC; Biologie, Gymnasium, 10, Sachsen, Berlin 2007, S.157)

 

 

Gegenwärtig ist in den USA der Kreationismus (als „intelligent design“) weit verbreitet. Er basiert auf der Schöpfungsgeschichte der Bibel.

 

Der amerikanische Kreationismus wird dadurch charakterisiert, dass er „auf der Schöpfungs­geschichte der Bibel basiert“. Genauer müsste aber mitgeteilt werden: Er basiert auf einem bestimmten, am Wortlaut orientierten Bibelverständnis, mit dem Aus­sagen zur Schöpfung in der Bibel gelesen werden. Dies aber nicht etwa das einzig mögli­che Schöpfungs- und Bibelverständnis ist – es handelt sich hier um eine von vie­len Auffassungen (siehe dazu Kapitel 1.2.3), und diese spezielle „Lesart“ ist auch inner­halb der christlichen Kirchen heftig umstritten.

 

Dem „Kreationismus“ wird – in der öffentlichen Diskussion wie auch in vielen Biologie-Lehrbüchern - übermäßig viel Interesse entgegengebracht, was vielleicht auch aus der aktuellen Debatte zu erklären ist.

Dahinter kann übersehen werden, dass christlicher Schöpfungsglaube nicht nur vom Kreationismus vertreten wird und sich viele Christen und die großen Kirchen in Deutschland auch ganz anders zur Evolutionstheorie positionieren.

Der „Kreationismus“ im engeren Sinne ist ein Phänomen vor allem in christlichen und hier der protestantischen Kirchen. Weniger reflektiert gibt es ihn aber auch im Judentum und im Islam.

 

Die Auseinandersetzung mit dem „Kreationismus“ spielte schon vor dreißig Jahren eine ähnliche Rolle wie heute. In der DDR erschien z.B. 1983 eine 60-seitige Ausarbeitung:

 

·        Q69 Boost, Ch., Gensichen, H., Pfeiffer, G.: Ist der Kreationismus haltbar? Thesen gegen einen neuen Anti-Evolutionismus in der Kirche; Kirchliches Forschungsheim Wittenberg, 1983, Selbstverlag

 

In Westdeutschland ging ein für Hochschulen erarbeiteter Lehrbrief des Deutschen Instituts für Fernstudien an der Universität Tübingen zum Thema EVOLUTION (1982) ausführlich mit etwa 40 Druck-Seiten auf das Phänomen ein:

 

·        Q10 Deutsches Institut für Fernstudien der Universität Tübingen, Fernstudium Naturwissenschaften, EVOLUTION, Heft 3: Theoretische Grundlagen der Evo­lution, Tübingen, 1986, S.18ff., 191ff.

 

„Kreationismus“ ist ein „Etikett“, das (zu) schnell allen Menschen „aufgeklebt“  wird, die aus Glaubensgründen (Bibelverständnis) und von ihren theologischen Überzeugungen her kritische Anfragen an das moderne naturwissenschaftliche Weltbild haben.
Nicht alle von ihnen sind aber wirklich „Kreationisten“.
Mit einigen Originalzitaten, die von deutschen (gemäßigten) Kreationisten aufgeschrie­ben wurden, soll zunächst versucht werden, wichtige Charakteristika zu benennen:

 

(Quelle: Q38 Junker, R.; Scherer, S.: Evolution – Ein kritisches Lehrbuch, Weyel-Verlag Gießen, 1998, S.273f.)

 

 

Die Schöpfungslehre („Kreationismus“) ... geht davon aus, dass die Heilige Schrift nicht nur in Fragen Schöpfung, son­dern auch bezüglich des Ursprungs von physischem Tod, Leid und Katastrophen in der Schöpfung für die Rekon­struktion der Geschichte der Lebewesen relevant ist. Die in den ersten 11 Kapi­teln des Genesisbuches (dem ers­ten Buch der Bibel) geschilderte „biblische Urgeschichte“ wird als reale Menschheitsgeschichte verstanden und für das Verständnis der Geschichte des Lebens vorausgesetzt. Demzufolge werden Adam und Eva nicht nur als histo­rische Personen, sondern auch als die Stammeltern der Menschheit aufgefasst. Ebenso werden der Sündenfall und die Sintflut als geschichtliche Ereignisse angesehen....
Die Lebewesen sind in getrennten taxonomischen Einheiten erschaffen worden...
Die Grundtypen wurden (geologisch gesehen) gleichzeitig ins Dasein gerufen....
Den Tod - auch in der Tierwelt - gibt es erst seit dem Sündenfall des Menschen...
Die biblisch bezeugte Sintflut war eine weltumspannende Überflutung ...

 

Wo sich die Bibel konkret äußert (Geschehensabläufe, Zeiträume, naturkundliche Mit­teilungen), ist das nicht nur heilsgeschichtlich verbindliche Wahrheit, die zu glauben ist, sondern solche Angaben sind auch als naturwissenschaftlich zu lesende Aussagen verbindlich. Für alle in der Bibel genannten Fakten können naturwissenschaftliche Be­weise gesucht (und gefunden) werden.
In der Lesart des sogenannten „Kurzzeit-Kreationismus“ beträgt das Alter des Univer­sums etwa 6000 Jahre. Die Errechnung erfolgt anhand der Lebensdaten der Menschen und geschichtlicher Ereignisse, die in der Bibel vorkommen (nach der Berechnung des christlichen Bischofs Ussher fand die Schöpfung der Welt 4004 v.Chr. statt, der jüdische Gelehrte Hillel legte das Datum des Welt-Beginns auf das Jahr 3761 v.Chr. fest.).

Adam und Eva waren die ersten Menschen.
Kosmos, Erde, Pflanzen, Tiere und Menschen sind „am Anfang“ in sechs Kalender­tagen geschaffen worden.
Verschiedentlich wurde (auf diesem Hintergrund konsequent) in den USA gefordert, im Biologie- und Physikunterricht in der Schule alternativ zu den gängigen Theorien zur Entstehung der Welt und des Lebens auch die Schöpfungsgeschichten der Bibel zu be­handeln – als wissenschaftlich aus-gedeutete Vorstellungen.

Die (gemäßigten) deutschen Kreationisten gehen mit ihrem in einem wörtlichen Bibel­verständnis verankerten Denkansatz nicht nur auf Distanz zum Entwicklungsgedanken in der Biologie, sondern auch zum etablierten Bibelverständnis der modernen Universi­tätstheologie und vieler Christen in Kirchgemeinden (andere stehen zumindest in ihrem Bibelverständnis den Kreationisten sehr nahe):


Hier einige aktuelle Aussagen deutscher gemäßigter „Kreationisten“ zu ihrem Verständ­nis von Bibel und Natur:

(Quelle: Q73 Ullrich, Henrik; Junker, Reinhard (Hrsg.): Schöpfung und Wissenschaft – Die Studiengemeinschaft WORT UND WISSEN stellt sich vor; Hänssler Verlag Holzgerlingen 2008)

 

 

Bei WORT UND WISSEN ist die biblische Schöpfungslehre Bestandteil des Fundaments der ersten un­bewiesenen Voraussetzung, der verbindlichen Wahrheit biblischer Gottesoffenbarung. Dieses Fundament steht für sie unverrückbar fest. Hierin kann es keine Annäherung an naturalistische Evolutionslehren ge­ben.

 

Die biblischen Schilderungen der Urgeschichte im Buch Genesis (1.Mose) sind historisch zuverlässig. … Die biblische Urgeschichte beinhaltet allgemeinverständliche, wirkliche Beschreibungen grundlegender Ereignisse der Schöpfung und Urzeit.

 

Biblische Schöpfungsaussagen enthalten naturwissenschaftlich relevante Elemente

Alter des Lebens in der Größenordnung von ca. 10.000 Jahren

 

Wir gehen davon aus, dass Grundtypen aller Lebewesen als klar voneinander getrennte Formen in der Schöpfungswoche erschaffen wurden.

Die Studiengemeinschaft WORT UND WISSEN vertritt eine Schöpfungslehre, die nicht nur gegenüber der Evolutionslehre, sondern darüber hinaus auch gegenüber einer historisch-kritischen Textauslegung der Bibel in der modernen Theologie eine kritische Position einnimmt.
Dadurch sind zwangsläufig viele Konflikte zwischen Theologen und Gemeinde oder zwischen Religions­lehrer und Schüler vorprogrammiert.

 

Einige neuere Äußerungen aus der katholischen und der evangelischen Kirche sollen abschließend deutlich machen, dass hier in der Auseinandersetzung mit dem Kreatio­nismus durchaus kritische Töne überwiegen – und Offenheit gegenüber den Einsichten der Evolutionsforschung da ist.
Zunächst einige Stimmen aus dem katholischen Bereich:

 

(Quelle: Q34 die tageszeitung Berlin 25.10.96)

 

 

Papst Johannes Paul II.:
(Botschaft an die Mitglieder der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften:)

„Neue Erkenntnisse führen zu der Feststellung, dass die Evolutionstheorie mehr als eine Hypothese ist.“

 

(Quelle: P23 PAETEC; Dieter B. Herrmann; Faszinierende Astronomie; Paetec, Berlin, 2000)

 

 

Unter Papst JOHANNES PAUL II. wurde eine Überprüfung des Falls GALILEI eingeleitet, die 1992 – im 350. Todesjahr des Gelehrten – zu dessen Rehabilitation durch die Kirche führte.
Der Papst erklärte in diesem Zusammenhang vor der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, der Fall GALILEI könne der Kirche die bleibend aktuelle Lehre für ähnliche Situationen sein: „Galilei, der praktisch die experimentelle Methode erfunden hat, hat dank seiner genialen Vorstel­lungskraft als Physiker und auf verschiedene Gründe gestützt verstanden, dass nur die Sonne als Zentrum der Welt, wie sie damals be­kannt war, ... infrage kam. Der Irrtum der Theologen von damals bestand dagegen am Festhalten an der Zentralstellung der Erde in der Vorstellung, unsere Kenntnis der Strukturen der physischen Welt wäre ir­gendwie vom Wortsinn der Heiligen Schrift gefordert. ... Tatsächlich beschäftigt sich die Bibel nicht mit den Einzelheiten der physischen Welt, deren Kenntnis der Erfahrung und dem Nachdenken des Men­schen anvertraut wird."

 

(Quelle: Q18 Horn, S.O., Wiedenhofer, S. (Hrsg.):Schöpfung und Evolution – Eine Tagung mit Papst Benedikt XVI. in Castel Gandolfo; Sankt Ulrich Verlag, Augsburg, 2007, S.149)

 

 

Papst Benedikt XVI.:
… zu zeigen, wo die Fragen sind: dass es nicht darum geht, sich entweder für einen  Kreationismus zu entscheiden, der sich der Wissenschaft grundsätzlich verschließt, oder für eine Evolutionstheorie, die ihre eigenen Lücken überspielt und die über die metho­dischen Möglichkeiten der Naturwissenschaft hinaus­reichende Fragen nicht sehen will. Es geht vielmehr um dieses Zusammenspiel von verschiedenen Di­mensionen der Ver­nunft, in dem sich auch der Weg zum Glauben öffnet.“

 

(Quelle: Q18 Horn, S.O., Wiedenhofer, S. (Hrsg.):Schöpfung und Evolution – Eine Tagung mit Papst Benedikt XVI. in Castel Gandolfo; Sankt Ulrich Verlag, Augsburg, 2007, S.84ff.)

 

 

(Vortrag Kardinal Schönborn)[5]
Die „kreationistische“ Position basiert auf einem Bibelverständnis, das die katholische Kirche nicht teilt. Die erste Seite der Bibel ist nicht ein kosmologischer Traktat über die Weltentstehung in sechs Sonnen­tagen.
Die Bibel lehrt uns nicht, „how the heavens go, but how to go to heaven“. …

 

Das im Folgenden zitierte Lehrbuch für den Religionsunterricht, das von der Lehrbuch­kommission der Deutschen Bischofskonferenz zugelassen wurde, stellt gewissermaßen eine „kirchen-amtliche“ katholische Stellungnahme für den Schulgebrauch dar.

 

(Quelle: R3 PATMOS; Zeichen der Hoffnung, Patmos Düsseldorf, 2002, S.40)

 

 

Außer ein paar Fundamentalisten – vor allem in den USA – glaubt heute niemand mehr, dass die Welt vor ca. 6000 Jahren in sechs Tagen geschaffen wurde, dass Gott den Menschen aus Ackerboden ge­formt und Eva aus der Rippe des Adam gebildet hat oder dass der Tod erst durch die Sünde in die Welt gekommen sei. Aber das verlangen die Texte auch nicht. Sie sind nicht das Zeugnis einer restlos veralte­ten Auffassung, die Christen heute noch für richtig ansehen sollen. Sie sind nicht Dokumente vergange­ner Weltbilder, die wider besseres Wissen zu akzeptieren wären. Die biblischen Texte konkurrieren nicht mit den Naturwissenschaften. Sie tun etwas, was die Naturwissenschaften nicht leisten können und wollen. Sie entwerfen Bilder des Glaubens, die nicht Realität exakt beschreiben, sondern Sinn erschlie­ßen. Es geht ihnen nicht um Entstehung, Alter, Größe und Gesetze dieser Welt, sondern um Welt und Mensch in der Perspektive Gottes.

 

Hier seien noch einige Beiträge aus evangelischer Sicht aufgeführt:

 

(Quelle: Q19 Huber, Wolfgang (Bischof und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland), Bericht des Rates der EKD - Teil A, (6. Tagung der 10. Synode der EKD, Dresden, 04. - 07. November 2007)

 

 

Heute hat man manchmal den Eindruck, das Rad solle in die Zeit der Entdeckungen der "Himmelsphysik" zurückgedreht werden. Unter den Namen "Kreationismus" und "Intelli­gent Design" werden Debatten an­gestoßen, die längst überwunden schienen. Dabei wird mit biblischen Texten in einer Weise umgegan­gen, als habe es die Entwicklung der Theologie insbesondere in ihrer durch die Reformation angestoße­nen wissenschaftlichen Gestalt nie gegeben. Das geschieht unter anderem auf die Weise, dass die bibli­schen Schöpfungsberichte zu einer quasiwissenschaftlichen Welterklärungstheorie gemacht werden.
Der "Kreationismus" tritt mit der Forderung auf, dass in den Schulen nicht die Evo­lutionstheorie, sondern eine biblische Weltanschauung unterrichtet wird. Der Glaube an den Schöpfer wird so zu einer pseudo­wissenschaftlichen Weltanschauung; dieser Glaube selbst soll nämlich das zutreffende Wissen über die Entstehung und Entwicklung der Welt vermitteln. Mit dieser Verkehrung des Glaubens an den Schöpfer in eine Form der Welt­erklärung hat die Christenheit immer wieder Schiffbruch erlitten. Indem ein zur Weltan­schauung missdeuteter Glaube an die Stelle der wissenschaftlichen Vernunft treten sollte, wurde in Wahrheit das Bündnis von Glaube und Vernunft aufgekündigt. Deshalb ist aus Gründen des Glaubens ein klarer Widerspruch notwendig, wenn die biblischen Schöpfungserzählungen in einem solchen "kreationistischen" Sinn missbraucht werden. …
ideologischer Missbrauch des christlichen Schöpfungsglaubens, wie er im Kreationis­mus und in der Lehre vom "Intelligent Design" vorliegt

 

(Quelle: Q4 Bohl, Jochen, Bischof der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, Pastor@lbrief Februar 2008)



Im Pastor@lbrief vom vergangenen August hatte ich mich mit dem Verhältnis von Schöpfungsglauben und naturwissenschaftlichen Aussagen zur Entstehung der Welt beschäftigt und geschrieben: „Glaube und Wissenschaft konkurrieren eben nicht in dem Sinne, dass man sich entscheiden müsste, ob man das eine oder das andere zur Grundlage der Welterkenntnis erklärt. Vielmehr geht es um sich ergän­zende Zugänge zu unterschiedlichen Aspekten einer umfassenden Wirklichkeit. Die Wissenschaft sucht sie zu erkennen, der Glaube will sie deuten.“ Diese Formulierung richtete sich gegen eine radi­kale Naturalisie­rung des Menschen, wie sie von einigen Vertretern der Evolutionsbiologie (so z. B. Richard Dawkins, dessen Buch sich seit einigen Monaten sehr gut verkauft) propagiert wird; und gegen die „Mutation“ na­turwissenschaftlicher Erkenntnisse zu einer Weltanschauung.

Nun wird man andererseits aber sagen müssen, dass auch der aus den USA kommende Kreationis­mus die Unterscheidung der Sphären von Glauben und Wissen nicht zu akzeptieren bereit ist. Es gibt ihn in verschiedenen Erscheinungsformen, denen es gemein ist, dass ein unüberwindlicher Gegen­satz zwi­schen dem Schöpfungsglauben und naturwissenschaftlicher Welterkenntnis gesehen wird, weil die bibli­schen Texte über die Erschaffung der Welt als göttliche Offenbarung und zugleich als naturwissenschaft­liche Aussagen verstanden werden. So kommt man zu Behauptungen, die den Erkenntnissen der Natur­wissenschaften, wie sie an den Universitäten getrieben werden, diametral entgegenstehen: die Erde sei weniger als 10000 Jahre alt, die Lebewesen seien von Gott so geschaffen worden, wie sie noch heute sind (evolutionäre Entwicklungsprozesse habe es also nicht gegeben) und die Sintflut sei ein Ereignis in Raum und Zeit gewesen, ein Datum der Erdgeschichte.

Weil der Kreationismus unter unseren Gemeindegliedern in den letzten Jahren einige Aufmerksamkeit gefunden hat, erscheint theologische Klärung nötig.

Die dahinter stehenden Argumente sind m. E. nicht überzeugend und führen in unauflösbare Wider­sprü­che. Überdies würden sie einen Abbruch des Gesprächs mit den Naturwissenschaften bedeuten. Das wäre aber in Anbetracht des konstruktiven Dialogs der letzten Jahrzehnte äußerst bedauerlich - denn ein wichtiges Ergebnis ist ja, dass es mit dem Glauben der Kirche Jesu Christi unvereinbares Naturwissen nicht gibt. …

Nach meiner Auffassung liegt dem Kreationismus eine theologische Fehlentscheidung zugrunde. Der Bibel geht es nicht in erster Linie um Weltwissen; darauf deutet schon die Tatsache hin, dass in Gen. 1 verschiedene Vorstellungen von der Erschaffung der Welt relativ unvermittelt nebeneinander stehen. Wir sehen an dieser Stelle zu Recht keine Spannung, denn die Schrift ist uns ein Zeugnis vom Han­deln Got­tes, das wir im Glauben annehmen. Ihr geht es um den Glauben, dass die Natur von dem Gott geschaf­fen ist, der jedem Menschen eine unverlierbare Würde verleiht, der als ein Gegenüber wahrgenommen werden kann und in Jesus Christus Mensch geworden ist. Dieser Glaube trägt seine Bedeutung in sich; er ist unterschieden von den naturwissenschaftlichen Erklärungen der Welt und also nicht gefährdet oder in Frage gestellt durch deren Fortschritt. Der Glaube steht auch nicht in „Konkurrenz“ zu den Naturwis­senschaften; eine solche kann erst entstehen, wenn diese meinen, die Welt deuten zu müssen – oder wenn Gläubige meinen, deren Erkenntnisse zensieren zu müssen.

Aus der Philosophie wissen wir, dass Gott durch die Vernunft nicht zu beweisen ist – und die Theolo­gie lehrt, dass er eines solchen Beweises auch nicht bedarf; im Gegenteil: er ist „höher als alle Ver­nunft“. Er wohnt nicht in den Lücken menschlicher Erkenntnisse; und ist auch nicht zu finden hinter den Fragen, an deren Beantwortung die Wissenschaften arbeiten. Darum werden dem Gebrauch der menschlichen Ver­nunft im Glauben keine Grenzen gesetzt; wir dürfen wissen wollen, was unserem Erkenntnisvermögen zugänglich ist. ...
Ein Glaubender wird nicht sein wollen wie Gott; aber er ist frei, nach seinen Möglichkeiten einen vernünf­tigen Beitrag zur Erkenntnis der Natur zu leisten und ist – in Verantwortung vor Gott – auch frei, dieses Wissen anzuwenden, lenkend und gestaltend in den natürlichen Gang der Dinge einzugreifen. In dieser Freiheit liegt letztlich der Grund, warum in der westlich-abendländischen Kultur die Wissenschaften die staunenswerten Höhen der Gegenwart erreicht haben. Dass es auch erhebliche Kontroversen und Wi­derstände gegeben hat – „und sie bewegt sich doch“ – gehört in das Bild, ändert aber nicht die Bewer­tung.

Der Anklang an Galilei mag eine Warnung sein: der Kreationismus wechselt den Schöpfungsglauben in allzu kleine Münze und wird der ausgreifenden Dimension des biblischen Zeugnisses nicht gerecht.

Übrigens: schon 1989 hat sich in unserer Landeskirche der Beirat für Glaube und Naturwissenschaft mit dem Kreationismus beschäftigt (vgl. Amtsblatt 1990, B 57 à Text siehe Teilband 4 = Kapitel 4 unter Q37 ). Ich komme heute zu keiner anderen Bewertung.

 

(Quelle: Q4 Bohl, Jochen, Bischof der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, Pastor@lbrief Februar 2008)

 

(Quelle: Q46 EKD-Texte 94: Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule; eine Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2008)

 

S.7
Es wäre … unangemessen, die Erforschung von Evolutionsprozessen als Bekenntnis zum Atheismus zu verstehen, wie es umgekehrt verfehlt wäre, den in den USA verbreiteten Kreationismus einfach mit dem christlichen Schöpfungsglauben gleichzusetzen. Der Kreationismus ist vielmehr eine Verkehrung des Glaubens an den Schöpfer in eine Form der Welterklärung, die letztlich dazu führt, dass das Bündnis von Glaube und Vernunft aufgekündigt wird …

 

S.13
Das Realitätsfeld der Naturwissenschaften ist so aufgebaut, dass sich hier die Gottesfrage weder wis­senschaftlich stellen noch wissenschaftlich beantworten lässt. Das eröffnete der Theologie die Möglich­keit, die freie Entwicklung der Naturwissenschaften und die damit verbundenen Erkenntnisfortschritte be­wusst zu bejahen. …

 

S.14
2.5. Die Irrwege des Kreationismus

„Kreationismus“ ist eine Sammelbezeichnung für – von Minderheiten im Christentum vertretene – Auffas­sungen, die sich vehement gegen die Annahmen der Evolutionstheorie wenden. Ausgehend von der wörtlichen Inspiriertheit der biblischen Texte verteidigt der Kreationismus die Irrtumslosigkeit der bibli­schen Texte. …
Der Kreationismus stützt sich auf die ungeklärten Fragen der Evolutionstheorie und ist auf den Nachweis von Ungereimtheiten bedacht … Indem der Kreationismus auf die weltanschauliche Ideologisierung evo­lutionstheoretischer Annahmen reagiert, wie sie ein antikirchlicher „Ultradarwinismus“ verfochten hat, nimmt auch er den Charakter einer Wissenschaftsideologie an …

 

S.15
Wie jede ernstzunehmende wissenschaftliche Hypothese muss natürlich auch die Evolutionstheorie der Kritik zugänglich bleiben. Viele ihrer Annahmen sind auch nach den Maßstäben der Biologie weniger ge­sichert, als es in populärwissenschaftlichen Darstellungen zum Ausdruck kommt. Die Evolutionstheorie ist freilich nicht dadurch widerlegt, dass man ihre offenen Stellen aufzeigt. Es gibt starke Argumente, die für sie sprechen. Als wissenschaftlicher Erklärungsversuch zur Entstehung des Lebens, der Arten und der Artenvielfalt besitzt sie höchste Wahrscheinlichkeit und Erschließungskapazität …

S.20
Im Religionsunterricht hat das christliche Bekenntnis eine grundlegend andere Bedeutung als in anderen Fächern. Zu diesem Bekenntnis gehört der Glaube an Gott, den Schöpfer, nicht jedoch der Kreationis­mus. Ein evangelischer Religionsunterricht … kann deshalb den Kreationismus zwar thematisieren, ihn jedoch nicht vertreten

 

(Quelle: Q46 EKD-Texte 94: Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule; eine Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2008)

 

 

 

1.2.4.2.2 „Intelligent Design“

 

Vertreter der Idee des „Intelligent Design“ gehen etwa von folgender These aus:
„Die Komplexität im Aufbau von Lebewesen und in der Funktion von Lebensprozessen ist so groß, dass es dafür keine innerweltliche naturwissenschaftliche Erklärung gibt. Das ist der Beweis dafür, dass ein intelligenter Designer die Welt nach einem Plan gestaltet hat.“ Der postulierte Designer muss nicht unbedingt religiös und als Gott ge­dacht werden, darunter kann auch abstrakter eine kosmische Intelligenz, ein universa­les Prinzip verstanden werden.

Die hier zugrunde liegenden Vorstellungen wurden schon vor 200 Jahren vertreten.

 

(Quelle: Q55 Steinmüller,A., Steinmüller,K.: Charles Darwin – vom Käfersammler zum Natur­forscher, Verlag Neues Leben Berlin, 1985, S.86f.)

 

 

Zu Charles Darwins Pflichtlektüre (während seines Theologiestudiums in Cambridge ab 1827) gehören die theologischen Werke des 1805 verstorbenen Archidiakonus William Paley. …
Besonders beeindruckt Charles die „Natürliche Theologie“ von Paley. … eine Auffassung, die Gottes Wir­ken überall in der belebten Natur sehen will und durch die Zweckmäßigkeit der Organismen begründet. Paley benutzt dabei das althergebrachte Bild von der Uhr und dem Uhrmacher, um die Existenz Gottes zu beweisen. Angenommen, wir finden eine Uhr auf dem Wege liegen, argumentiert er, „wenn wir die Uhr aufheben und genau betrachten, bemerken wir …, dass ihre Teile für einen speziellen Zweck erfunden und zusammengefügt wurden … Der Mechanismus lässt unausweichlich darauf schließen, dass die Uhr einen Konstrukteur hat … der sie für diesen Zweck entworfen hat.“
Genauso, lehrt Paley, stehe es mit der belebten Natur. All ihre Teile griffen ineinander, jedes einzelne sei der Umwelt und den anderen Teilen sinnvoll angepasst. Allein durch die Weisheit und Güte ihres Schöp­fers, sagt Paley, könne man die Zweckmäßigkeit der Organismen erklären.

Darwin selbst schreibt: „Ich war von Paleys Argumentation … begeistert … überzeugt
(Quelle: Q72 Darwin, Charles: Mein Leben, Insel Taschenbuch, Frankfurt/Main, 2008, S.67f.)

 

Zu diesem Denkansatz ist kritisch anzumerken:


1.
Die Anhänger der Idee machen indirekt eine Aussage über sich selbst: „Ich kann mir einen bestimmten Zusammenhang nicht erklären, ich verstehe das nicht.“ Und daraus wird geschlussfolgert: „Es gibt keine natürliche Erklärung dafür (z.B. mit den Mitteln und Methoden der Naturwissenschaft), es gibt sie heute nicht und kann und wird sie auch nie geben!“ Hier ist zu etwas mehr Bescheidenheit bei der Verallgemeinerung zu mah­nen, und es ist zu erinnern an die Beschränktheit menschlicher Erkenntnis. Wieso muss ich als Mensch die Natur umfassend verstehen können? Was ist von zukünftiger For­schung zu erwarten? Wird Gott (der „Designer“) in dieser Denkweise vielleicht zu schnell und immer wieder als „Lückenbüßer“ dort eingesetzt, wo ich mir etwas nicht er­klären kann; und damit „klein“ gemacht?
Eine in der Vergangenheit oft in schmerzlichen Prozessen immer wieder gewonnene Einsicht für Christen lautet, dass Gott nicht zum „Lückenbüßer“ gemacht werden darf, als Erklärung immer dort herhalten soll, wo die Naturwissenschaft (vermeintlich) keine rationale Erklärung für einen Sachverhalt geben kann.

 

2. Zum zweiten wird aus meiner Unfähigkeit, einen bestimmten Zusammenhang zu ver­stehen und zu erklären, zwingend die Existenz eines „Designers“ abgeleitet. Diese Aus­sage ist grundsätzlich nicht „verboten“, denn die Frage nach einer letzten Ursache geht über den Geltungsbereich der Naturwissenschaften hinaus. ABER: Es gibt keine Be­weiskette, dass naturwissenschaftliche Befunde (oder das – bisherige - Scheitern na­turwissenschaftlicher Erklärungen) zwingend auf GOTT verweisen. Die Existenz GOTTES lässt sich mit naturwissenschaftlichen Mitteln und Methoden nicht widerlegen, seine Existenz lässt sich aber ebenso wenig beweisen! Gott gehört nicht zum Arbeits­gegenstand der Naturwissenschaften.

 

3. Eine letzte Schlussfolgerung: Ein „Designer“ wäre natürlich nicht nur für das Kom­plexe und Staunenswerte, das Gute und Schöne in der Welt verantwortlich. In dieser Denkweise wäre ein perfekter „Designer“ (der gleiche?) auch „haftbar“ zu machen für alle unzulänglichen oder zerstörerischen und leidbringenden „Konstruktionen“ in der Welt („perfekt“ arbeitende Killerbakterien, ideal angepasste Parasiten …).
Auch hier begegnet also eine alte und immer schmerzliche Frage für glaubende Menschen (Theodizee): „Wenn Gott doch ein guter Gott ist – warum lässt er all das Leid, all die Krankheit, all die Naturkatastrophen zu?“

 

 

1.2.4.3 „Evolutionismus“

 

Während dem Phänomen des „Kreationismus“ in vielen Lehrbüchern breiter Raum ein­geräumt wird, habe ich nur an einer Stelle einen Hinweis darauf gefunden, dass es auch einen intoleranten, oft atheistisch orientierten „Evolutionismus“ gibt. Er wird im fol­genden Text beschrieben und charakterisiert.

 

(Quelle: B22 C.C.BUCHNER; Solbach, H.: Vita nova; Biologie für die Sekundarstufe II; Bamberg 2000, S.344f.)

 

 

… dass die Antworten auf die Fragen nach dem Ursprung und der Ent­wicklung des Lebens sehr unter­schiedlich  ausfallen, beeinflusst vom religiösen, weltanschaulichen und philosophischen Standpunkt des Antwortenden. Die Palette reicht von der völligen Ablehnung jeglicher naturwissenschaftlichen Erklärung auf diesem Gebiet durch Menschen mit bestimmten, festgefügten religiösen Überzeugungen bis zur into­lerant atheistischen Argumentation anderer, in deren Vorstellungswelt kein Platz für einen Gott, eine übergeordnete Macht ist und die (deshalb?) in einem naturwissenschaftlichen Machbarkeitsglauben da­nach streben, alles Geschehen in der Welt ausschließlich durch die Gesetze der Physik zu erklären

 

Diese „wissenschafts-gläubige“, mit Allein-Erklärungs-Anspruch auftretende, darauf be­harrende Weltsicht, allein „recht zu haben“ – sie ist eine genauso problematische Ideo­logie wie der „Kreationismus“. Ihr Glaubenssatz „Es gibt keinen Gott!“ ist genauso wenig beweisbar oder widerlegbar wie der Satz „Es gibt Gott!“. Manche Anhänger dieses „Aufklärungs-Fundamentalismus“ (Der Spiegel 22/07 S.56ff) haben von moderner Wis­senschaftstheorie wohl wenig verstanden! Und wenn sich dann ein ähnlich kämpferi­scher Ideologe auf der Gegenseite findet, dann kann schnell ein heftiger „Glaubens­krieg“ ausbrechen.

 

(Quelle: Q19 Huber, Wolfgang (Bischof und Ratsvorsitzender der Ev. Kirche in Deutschland), Be­richt des Rates der EKD - Teil A, (6. Tagung der 10. Synode der EKD, Dresden, 04. - 07. November 2007)

 

 

„Es kann nicht verwundern, dass dem ideologischen Missbrauch des christlichen Schöpfungsglaubens, wie er im Kreationismus und in der Lehre vom "Intelligent Design" vorliegt, spiegelbildlich ein Missbrauch entspricht, der meint, aus den Einsichten der modernen Naturwissenschaften zwingend eine Leugnung Gottes und die Verpflichtung auf einen kämpferischen Atheismus ableiten zu können. Beispielhaft ist da­für der Evolutionsbiologe Richard Dawkins, der sich mit seinem Buch "Der Gotteswahn" ("The God Delu­sion") an die Spitze dieser Bewegung gesetzt hat. Dawkins restauriert ein Weltbild, nach welchem Reli­gion einem vorwissenschaftlichen Zeitalter angehört und mit dem Siegeszug des wissenschaftlichen Be­wusstseins zum Verschwinden kommt. Weil sich dieses Verschwinden nicht von selbst einstellt, muss es durch einen weltanschaulichen Kampf vorangetrieben werden, für den man sich der Unterstützung durch vermeintlich wissenschaftliches Handeln zu versichern versucht. Das Gottesverständnis soll auf dem Weg destruiert werden, dass danach gefragt wird, ob man auf die Gotteshypothese angewiesen sei, um die Entstehung der Welt und des Lebens zu erklären. Die Auseinandersetzung mit dem Gottesbegriff wird also ganz und gar auf dem Missverständnis eines "Lückenbüßergottes" ("God of the gaps") aufge­baut. Dafür sind Kreationismus und "Intelligent Design" willkommene Gegner; Richard Dawkins überhöht deren Vertreter deshalb zu den maßgeblichen Repräsentanten des Christentums, ja der Religion über­haupt. Er verbindet – ebenso wie Hitchens – das zugleich mit einer maßlosen Polemik, die religiöse Er­ziehung mit Kindesmisshandlung gleichsetzt und das alttestamentliche Gottesbild in einer Weise be­schimpft, die his­torischen Sinn und moralische Proportion in gleicher Weise vermissen lässt.“

 

„Evolutionismus“ muss sich nicht deutlich als militante antireligiöse Ideologie zeigen. Er kann auch versteckter auftreten in der Einseitigkeit und Arroganz, mit der manche Na­turwissenschaftler darauf beharren, dass allein ihr Blick auf die Natur sinnvolle Fragen ermöglicht, und dass alle Fragen, die für Menschen wichtig sind, von der Naturwissen­schaft (wenn auch vielleicht erst in Zukunft) erschöpfend beantworten können.

 

Charles Darwin kann übrigens nicht als Kronzeuge dafür aufgerufen werden, dass das Vertreten der naturwissenschaftlichen Evolutionstheorie folgerichtig und zwangsläufig hin zum Atheismus führen muss:

 

(Quelle: Q75 Charles Darwin: Mein Leben, Insel TB S.102f.)

 

 

„Ein anderer Grund für den Glauben an die Existenz Gottes, der mit der Vernunft, nicht mit Gefühlen zu­sammenhängt, scheint mir mehr ins Gewicht zu fallen. Dieser Grund ergibt sich aus der extremen Schwierigkeit oder eigentlich Unmöglichkeit, sich vorzustellen, dieses gewaltige, wunderbare Universum einschließlich des Menschen mitsamt seiner Fähigkeit, weit zurück in die Vergangenheit und weit voraus in die Zukunft zu blicken, sei nur das Ergebnis blinden Zufalls oder blinder Notwendigkeit. Wenn ich dar­über nachdenke, sehe ich mich gezwungen, auf eine Erste Ursache zu zählen, die einen denkenden Geist hat, gewissermaßen dem menschlichen Verstand analog; und ich sollte mich wohl einen Theisten nennen. Wenn ich mich recht erinnere, beherrschte diese Schlussfolgerung mein Denken in der Zeit, als ich Über die Entstehung der Arten schrieb; seither schien sie mir ganz allmählich immer weniger über­zeugend; ich schwankte jedoch sehr …
Das Mysterium vom Anfang aller Dinge können wir nicht aufklären; und ich jedenfalls muss mich damit zufrieden geben, Agnostiker zu bleiben.“

 

Agnostizismus

Der Agnostizismus ist eine Weltanschauung, die insbesondere die prinzipielle Begrenztheit menschlichen Wissens betont. Die Möglichkeit der Existenz transzendenter Wesen oder Prinzipien wird vom Agnosti­zismus nicht bestritten. Agnostizismus ist sowohl mit Theismus als auch mit Atheismus vereinbar, da der Glaube an Gott möglich ist, selbst wenn man die Möglichkeit der rationalen Erkenntnis Gottes verneint.
Die Frage „Gibt es einen Gott?“ wird vom Agnostizismus dementsprechend nicht mit „Ja“ oder „Nein“ be­antwortet, sondern mit „Es ist nicht geklärt“, „Es ist nicht beantwortbar“.
Unabhängig davon ist die Frage „Glauben Sie an einen Gott?“. Diese ist auch von einem Agnostiker mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortbar.

(Quelle: Wikipedia 23.2.2009)

 

 

 


1.2.5 „Schöpfungsvorstellungen“
         dürfen nicht als naturwissenschaftliche Konkurrenz
         zu „Evolutionstheorien“ verstanden werden

 

Ein verbreitetes Missverständnis, das auch in manchen Lehrbüchern seinen Nieder­schlag gefunden hat, ist die Behandlung von „Schöpfungsmythen“ als konkurrierende „wissenschaftliche“ Erklärungsmodelle zur Evolutionstheorie.

 

(Quelle: B16 SCHROEDEL; Netzwerk Biologie 10, Braunschweig, 2006, S.140)

 

 

Aufgabe 3
Es gibt verschiedene Theorien zur Evolution

1. Die von den Vorfahren erworbenen Eigenschaften werden von Generation zu Generation wei­tergege­ben.
2. Durch natürliche Auslese verändern sich die Arten im Laufe der Generationen.
3. Alle Lebewesen, die heute leben, sind durch einen Schöpfungsakt von Gott geschaffen worden.
a) Wie heißen die zitierten Theorien?
b) Welche der genannten Theorien ist heute allgemein anerkannt?

 

Hier begegnen gleich einige Missverständnisse:
+ unter Punkt 3. wird unterstellt, Schöpfungsglaube sei gleichzusetzen mit der Ansicht, die Welt und alle Lebewesen seien in einem einmaligen Schöpfungsakt ins Dasein ge­bracht worden und die damals geschaffe­nen Arten hätten sich seitdem nicht verän­dert.
Oben wurde schon deutlich gemacht, dass man das wohl aus dem Wortlaut des Bibel­textes so herauslesen kann, dass aber die großen Kirchen und viele Christen heute die Schöpfungsdarstellungen nicht (mehr) als einen historisch und im sachlichen Detail zu­treffenden Dokumentarbericht verstehen, sondern in ihnen Begründung und Orientie­rung und Maßstäbe für ihre Existenz hier und heute suchen.
+ Der Schöpfungsglaube – konkreter: das hier vorausgesetzte wörtliche Verständnis des Bibeltextes in 1.Buch Mose 1 - wird zu einer naturwissenschaftlich zu lesenden Theorie gemacht, die mit den beiden hier vorgestellten Theorien aus der Biologie vergli­chen werden und gegen sie abgewogen werden kann. Dabei ist auch das Ergebnis ei­gentlich schon vorgegeben mit der Formulierung der Frage: „Welche der genannten Theorien ist heute allgemein anerkannt?“ Die Anerkennung einer naturwissenschaft­lichen Theorie (auch durch Mehrheiten) ist keine Garantie für ihre Richtigkeit! Das Wörtchen „heute“ deutet immerhin auf das fließende Verfallsdatum aller naturwissen­schaftlichen Erkenntnis hin …

 

In diesem Lehrbuch wird – fahrlässig oder bewusst? - die Schöpfungsvorstellung zu einer „Evolutionstheorie“ gemacht!

Ähnlich geschieht das auch anderswo:

Der Verlag Duden/Paetec brachte in den Jahren 2005 bis 2007 drei Biologie-Lehrbü­cher in neuer Bearbeitung heraus.

 

·        B12 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie, Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin, 2005 (S.514f.)

·        B14 DUDEN / PAETEC; Biologie, Gymnasium, 10, Sachsen, Berlin 2007 (S.86f.,102)

·        B24 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag; Duden Biologie, Gymnasiale Ober­stufe, Berlin, 2005 (S.358ff.,381)

 

In diesen Büchern wird die „Schöpfungsgeschichte“ (gemeint ist damit exklusiv das erste Kapitel der jüdisch-christlichen Bibel, die Darstellungen werden z.T. auch als „Schöpfungsmythen“ bezeich­net) unter der Hauptüberschrift „Evolutionstheorien“ be­handelt.

Diese Ein- und Zuordnung ist in mehrfacher Hinsicht irreführend!

Einmal gehen ja die - zur Erläuterung auch dargestellten - Ansichten von der „Konstanz der Arten“ gerade davon aus, dass sich in der Natur nichts verändert und entwickelt (hat). Damit wären sie bestenfalls als Gegenentwurf zum Entwicklungsgedanken einzu­ord­nen, als „Anti-Evolutions-Theorie“ zu betrachten und zu behandeln.
Zum zweiten wird in den gleichen Lehrbüchern an anderer Stelle durch­aus angedeutet, dass die biblischen Texte die Welterfahrung des Menschen nicht rational erklä­ren wol­len („Mythen … sind keine wissenschaftlichen Theorien“), sondern eine „Deutung“ an­bieten, Antworten versuchen auf die Fragen nach dem Sinn und dem Ziel des mensch­lichen Daseins. Das Buch B24 wählt zwar zunächst die zutreffende Überschrift „Zur Geschichte des Evolutionsgedankens“, behandelt dann aber doch im weiteren Text Schöpfungsmythen (falsch) als Unterpunkt zu „Evolutionstheorien im Wandel der Zei­ten“, und stellt damit den „Kreationismus“ in eine Reihe mit (anderen) naturwissenschaftlichen Theorien zur Entwicklung des Lebens. Das entspricht zwar der Rolle, die der Kreatio­nismus nach seinem Selbstverständnis einnehmen möchte, aber es könnte so der – falsche - Eindruck entstehen, der Kreationismus stelle eine typische oder gar die einzig mögliche Lesart und Interpretation biblischer Schöpfungsvorstellungen dar.


Wenn in diesen Lehrbüchern „Schöpfungsgeschichten“ auf der gleichen Ebene wie die naturwissenschaft­lichen Vorstellungen und Erkenntnisse etwa von Lamarck und Darwin als „Evolutions­theorien“ abgehandelt werden, beruht das vielleicht auf einem gravieren­den Missverständ­nis - es ist in jedem Fall ein gewichtiger Kategorienfehler.

Es gibt weitere Beispiele dafür.


Im Biologielehrbuch

 

·        B22 C.C.BUCHNER; Solbach, H.: Vita nova; Biologie für die Sekundarstufe II; Bamberg 2000, S.344f.)

 

wird gefragt: „War das Werden des Lebens ein Schöpfungsakt Gottes oder doch eine Art Urzeugung?“

Auch hier wird die Fragestellung im Raster ENTWEDER – ODER, als Alternativen ste­hen "Schöpfung Gottes" oder "naturwissenschaftlich erklärbare Entwicklung" zu Aus­wahl, den unterschiedlichen Kategorien nicht gerecht.

Aber auch ein Lehrbuch für den Religionsunterricht „tappt“ in die gleiche Falle:

 

·        R2    VANDENHOECK & RUPRECHT; Koretzki, G.-R., Tammeus, R. (Hg.): Reli­gion – entdecken, verstehen, gestalten - 9/10; Ein Unterrichtswerk für den evangelischen Religionsunterricht, Göttingen 2002 (S.89)

 

Dort stehen auf einer Druck-Seite zwei Texte, zum einen das „Bekenntnis der Creation Research Society“ (es handelt sich hier um ein sehr verengtes, am Wortlaut der Bibel festhaltendes christliches Schöpfungsverständnis) und zum anderen eine naturwissen­schaftliche Zusammenfassung von „Grundzügen der Evolutionstheorie“. Im zugehörigen Lehrerhandbuch (Quelle R1, S.79) wird vorgeschlagen, die beiden auf dieser Seite (ohne weiteren Kommentar) abgedruckten Texte zu vergleichen. Die Schüler sollen Po­sitionen erarbeiten. Aber – abgesehen davon, dass der „kreationistische“ Text ohnehin polarisiert und der „evolutionsbiologische“ Text (ohne Quellengabe) fachlich ungenau formuliert ist: Sollten Schüler im Religionsunterricht sich nicht sinnvoller mit unter­schiedlichen theologischen Ansichten auseinandersetzen?

Mit dem „Vergleichen“ von Bekenntnis-Aussagen und einer naturwissenschaftlichen Theorie werden „Apfel mit Birnen“ verglichen. Das ist genau der gleiche Kategorien­fehler, der in den oben erwähnten Biologielehrbüchern gemacht wird, indem man die Schöpfungsgeschichte Gen.1 als konkurrierende Theorie zu Evolutionstheorien behan­delt.

In dieser Gegenüberstellung sind Missverständnisse vorgegeben und Konflikte vorpro­grammiert!

 

Im Jahre 2000 war ein Buch aus dem Verlagshaus Paetec/Duden für die Sekundarstufe 1 herausgegeben worden. Darin wurden den Schülern folgende Aufgaben gestellt:

 

(Quelle: B15 PAETEC; Biologie 10, Sachsen, Gymnasium, Berlin, 2000, S.91)

 

„Aufgaben"
1. Inwieweit hatte die Kirche Einfluss auf die Vorstellung über die Artenentstehung?
2. Lies die nachstehenden Aussagen über die Evolution und stelle diese den Aussagen der dar­winschen Abstammungstheorie gegenüber!
“Die natürliche Zuchtwahl oder das Überleben des Tüchtigsten kann im besten Falle nur die Tren­nung der Starken von den Schwachen bedeuten. Aber niemals entsteht allein als Folge des Über­lebens des Tüchtigsten eine neue Pflanzen- oder Tierart.
Und da auch durch Mutationen keine neuen Arten entstehen, fehlen der Evolution die Mechanis­men, mit denen sie erklärt werden könnte.“
“Die wahren wissenschaftlichen Tatsachen weisen nicht auf eine Entwicklung des Menschen aus dem Tier hin, sondern darauf, dass der Mensch als eine Art erschaffen wurde, die sich von Tieren klar und deutlich unterscheidet.“
(Aus: Wachtturm, Bibel- und Traktatgesellschaft 1968)“

 

Die Aufgabenstellung soll knapp kommentiert werden:
Zu 1.
Die Kirche“ des Mittelalters hatte sich zwar die damals allgemein akzeptierte Vorstel­lung von der Konstanz der Arten zu eigen gemacht und sah sie auch im (wörtlich ver­standenen) Text der Bibel bestätigt. Ob und wie sie dabei aber gezielt Einfluss ausüben musste und wollte und ihn auch ausgeübt hat, ist fraglich. Auf jeden Fall ist es ein Miss­verständnis, wenn durch die Fragestellung nahegelegt werden soll, „die Kirche“ sei auch heute noch dieser Ansicht – das trifft für die großen christlichen Kirchen in Deutschland und für viele Christen nicht zu
Zu 2.
In Aufgabe 2 soll ein Text gelesen und seine Aussagen der darwinschen Abstammungs­theorie gegenübergestellt werden.
Im Anschluss an Aufgabe 1 legt sich nahe, hier eine Stimme aus dem kirchlichen Be­reich zu vermuten. Tatsächlich steht ja darunter in der Quellenangabe etwas von „Bibel“. Dass zusätz­lich auch noch das altertümlich anmutende Wort „Traktat“ auftaucht, verstärkt den muffigen Eindruck, bestätigt wird das auch durch eine mehr als 30 Jahre zurück­liegende Jahreszahl (1968). Der Begriff „Wachtturm“ dürfte nur Eingeweihten etwas sagen. Daraus wird nämlich deutlich, dass es sich hier um ein Pamphlet der „Zeugen Jehovas“ handelt. Deren hier abgedruckte Aussa­gen könnten nun in diesem  Kontext – fahrlässig oder bewusst – als aktuelle Argumente „der Kirche“ missverstan­den werden.


1.2.6 Ist Kirche, ist der christliche Glaube
         grundsätzlich wissenschaftsfeindlich?

 

Ist Kirche, ist der christliche Glaube vom Grundsatz her wissenschaftsfeindlich?
Glaube und Naturwissenschaft schließen einander nicht automatisch aus.

Jedoch wird in den Lehrbüchern nur selten darauf hingewiesen, dass viele Wissen­schaftler glaubende Menschen waren und sind – wenn auch mit sehr unterschiedlichen Gottesvorstellungen - und dass auch in kirchlichen Einrichtungen naturwissenschaft­liche Forschung betrieben und gefördert wurde:

 

(Quelle: B31 SCHROEDEL; Hoff, P. / Miram, W.: Evolution, Materialien für den Sekundarbereich II, Biologie, Hannover, 1993, S.10f.)

 

 

Die Klöster erwiesen sich als besonders fruchtbare Zentren des geistigen Lebens.

 

Die Klöster – Einrichtungen der (mittelalterlichen) Kir­che! – waren über viele Jahrhun­derte hinweg wichtige Orte wissenschaftlicher Arbeit. Bedeutsame Entdeckungen in den Naturwissenschaften wurden von Christen gemacht: Nikolaus Kopernikus stand als Domherr im Dienst der Kirche, Galileo Galilei schrieb, dass er Gott für seine Entde­ckungen dankbar war, für Johannes Kepler war Wissenschaft nur „eine andere Form von Gottesdienst“, Isaac Newton meinte, in der Ordnung des Weltalls den Plan Got­tes zu finden, der Mönch Gregor Mendel entdeckte die Regeln der Vererbung, der katholi­sche Priester Lamaitre be­gründete die Theorie vom kosmischen Urknall …
Diese „wissenschaftsfreundliche“ Seite der biblisch-kirchlichen Tradition wird manchmal unter­schätzt oder schlicht vergessen. Hier einige weitere Hinweise:

a) Schon im ersten Kapitel der Bibel steht die Auftrag Gottes an den Menschen, sich „die Erde untertan“ zu machen. Wenige Zeilen weiter ist der Auftrag zu lesen, dass er die Erde (sie wird im Bild eines fruchtbaren Gartens vorgestellt) „bebauen und bewah­ren“ solle. Das aber beinhaltet die Ermutigung und die Aufgabe, dass der Mensch seine Begabungen, seine Neugier nutzt, um die Welt zu erkun­den, sie zu verstehen und sie auch zu verändern – der glaubende Mensch darf nicht nur, er soll sogar Natur-Wissen­schaft betreiben!

b) Wenn im ersten Kapitel der Bibel mitgeteilt wird, dass der Himmel und die Erde, die anderen Lebe­wesen und der Mensch Geschöpfe sind, zur (natürlichen) „Welt“ gehören, dann geschieht in der Bibel etwas ganz Neuartiges für das antike Weltverständnis: In den dem Volk Israel benachbarten Kulturen wur­den Sonne, Mond und Sterne, Blitz und Donner, Tiere und Steine als Götter verehrt. Damit verbunden waren Ehrfurcht und die Angst, sich ihnen zu nähern, sie zu untersuchen, sie zu „hin­ter“-fragen. Im jüdisch-christlichen Verständnis ist die Welt, die Natur „entgöttert“, sie ist damit frei für die angstfreie Annäherung, Untersuchung, Inbesitznahme durch den Menschen. Gerade erst dieses Den­ken – niedergelegt in den uralten Texten z.B. in den ersten Kapiteln der Bibel - hat später den Aufbruch der Naturwissenschaft im christlichen Abendland mög­lich gemacht!

c) Des weiteren sei daran erinnert, dass das Schulwesen in Deutschland im 19. Jahr­hundert maßgeblich von den Kirchen mit begründet und getragen wurde, und dass dort selbstverständlich modernste Naturwissen­schaft vermittelt wurde.

 

d) Und zuletzt soll darauf hingewiesen werden, dass im Auftrag des Papstes seit Jahr­hunderten zwei leistungsfähige Sternwarten betrieben werden, eine in der Nähe von Rom, die andere in Nordamerika.

 

Manchmal wird der Weg zur naturwissenschaftlichen Denkweise als mühsamer Fort­schritt beschrieben:

(Quelle: P8 WESTERMANN; Kuhn: Physik 1.1, Braunschweig, 2002, S.5ff.)

 

 

Die erkannten Regelmäßigkeiten im Ablauf der Naturerscheinungen schrieben die Menschen damals Göttern, Geistern und Dämonen zu, deren Absichten und Launen man erkennen musste. Sie suchten nicht nach „physikalischen“ Erklärungen, d.h. nach grundlegenden Naturgesetzen.
Der erste Schritt zu einer physikalischen Denkweise vollzog sich im 6. Jahrhundert v.Chr. bei den griechi­schen Naturforschern. Naturbeobachtung und Sammeln von Erfahrungen allein genügten ihnen aber nicht. Die tieferen Zusammenhänge wollten sie verstehen. Dabei hatten sie die kühne Idee, dass nicht dunkle und unergründliche Mächte, sondern unveränderliche Naturgesetze die Natur regieren, und dass es dem Menschen möglich wäre, diese durch den Gebrauch seines Verstandes herauszufinden

 

Diese Sichtweise, die einen Kontrast und Widerspruch zwischen „altem“ (falschem) und „neuem“ (richtigen) Denken nahe legt, muss ergänzt werden um den Hinweis, dass schon in alten Texten der Bibel Forscherdrang und das Verstehen-Wollen und Verste­hen-Können von Naturzusammenhängen durchaus positiv gesehen wurden, und sie wurden in eins gedacht mit dem Glauben an einen (Schöpfer-)Gott.

 

(Quelle: Die Bibel, Buch der Weisheit 7,15.17-20; 13,5)

 

 

„Mir aber gewähre Gott, nach meiner Einsicht zu sprechen
und zu denken, wie die empfangenen Gaben es wert sind ...

Gott verlieh mir untrügliche Kenntnis der Dinge,
sodass ich den Aufbau der Welt und das Wirken der Elemente verstehe,
Anfang und Ende und Mitte der Zeiten,
die Abfolge der Sonnenwenden und den Wandel der Jahreszeiten,
den Kreislauf der Jahre und die Stellung der Sterne,
die Natur der Tiere und die Wild­heit der Raubtiere,
die Gewalt der Geister und die Gedanken der Menschen,
die Ver­schiedenheit der Pflanzen und die Kräfte der Wurzeln ...

Denn von der Größe und Schönheit der Geschöpfe lässt sich auf ihren Schöpfer schlie­ßen“

 

Im Mittelteil dieses Textes ist der Stolz des Autors deutlich zu spüren auf die großarti­gen Entdeckungen, die ihm in der Beschäftigung mit der Natur möglich geworden sind (hier spricht der Natur-„Forscher“). Gerahmt werden diese Aussagen aber zum einen im „Vorspruch“ durch einen Dank an Gott, der ihm die Begabungen seines Verstandes ge­schenkt hat, verbunden mit der Aufgabe und dem Auftrag, sie auch zu nutzen, und zum zweiten macht der Autor im „Nachsatz“ deutlich, dass die Beschäftigung mit Zusam­menhängen in der Natur ihn nicht etwa von Gott weg, sondern näher zu ihm hingeführt hat.

 

Die notwendige Trennung der Ebenen – die Ebene der Beobachtung und des Experi­ments von der ganz anderen der Deutung und Bewertung der Dinge – war schon zu Beginn der Neuzeit klar bewusst:

Die „Royal Society of London“, eine der ältesten naturwissenschaftlichen Akademien (gegründet 1660), hat sich den Wahlspruch gegeben: „nullius in verba“. Das wäre etwa zu übersetzen mit: „nach niemandes Worten“ oder „auf niemandes Worte schwö­ren“ (nullius in verba iurare). Dahinter steht zum einen der stolze Anspruch, sich von jetzt an nicht mehr nur damit zu begnügen, nur in würdiger Verehrung die von Autoritä­ten ererbte Weltsicht zu zitieren (was etwa der verehrte Aristoteles oder die Bibel dazu sagen), sondern durch eigene Erkenntnis Sachverhalte zu hinterfragen, durch eigenes Vermögen und eigene Anstrengung selbst ein besseres Verständnis der Zusammen­hänge erlangen.
Aber damit legt die Naturwissenschaft auch eine Grenze ihrer Zuständigkeit fest: Sie vertraut fortan ausschließlich auf die Mittel und Möglichkeiten des menschlichen Ver­standes und beschränkt sich auf die Untersuchung der durch Beobachtungen und Mes­sungen fassbaren Natur. Das Fragen nach Gründen und Bedeutungen gehört nicht zu ihrem Arbeitsbereich – dieses Feld bleibt den Philosophen und Theologen überlassen.

 

Die so vorgenommene Trennung der „Zuständigkeiten“ ist manchmal wichtig, um unnö­tige Konflikte zu vermeiden.

 

 

1.2.7 Die Unterscheidung der Betrachtungsebenen
         löst nicht alle Konflikte zwischen Glaube
         und naturwissenschaftlichem Weltbild

 

Man muss aber auch darauf achten, dass nicht zu schnell eine „Schein-Harmonie“ her­gestellt wird. Auch dafür ein Beispiel:

 

(Quelle: B25 KLETT; Biologie für Gymnasien, Oberstufe, Stuttgart, 2005, S.412ff.)

 

 

Die Evolutionstheorie versucht, die Entwicklung der Lebewesen allein durch natürliche Vorgänge zu er­klären. Dieser Naturalismus, der u.a. mithilfe von zufälligen Mutationen und Selektions­vorgängen die Entwicklung beschreibt, ist auf gegenwärtige und vergangene Ursachen bezogen und verzichtet auf ein zukünftiges Entwicklungsziel. Dies schließt menschliche Evolution mit ein und gesteht ihm keine Sonder­rolle zu. Dies wird vielfach als Verletzung menschlicher Würde gese­hen und widerspricht dem gewohnten Selbstverständnis, denn in einer Entwicklung auf ein Ziel hin wird vielfach ein Sinn gesehen und der Weg dorthin kann dann nicht auf Zufall gegründet sein. Die Evolutionstheorie gerät damit leicht in Konflikt mit der Religion.
Die großen christlichen Kirchen sehen sich auf einer anderen Ebene als die Naturwissenschaften, näm­lich einer geistigen. Insofern besteht heutzutage kein Widerspruch zur Evolutionslehre, solange die Wis­senschaft ihre materielle Domäne und die Theologie ihre geistige nicht verlassen.

 

Der Konflikt zwischen einer Evolution des Lebens, für die aus naturwissenschaftlicher Sicht kein Ziel angegeben werden kann, und dem religiösen Verständnis, dass alles Geschehen in der Welt gewollt, gelenkt und auf ein Ziel hin orientiert ist (auf Gott hin, auf die Vollendung der Welt), bleibt. Die Argumentation mit zwei unterschiedlichen Ebe­nen des Zugangs zur Wirklichkeit führt hier nicht zu einer Lösung, denn die Wirklichkeit des Glaubens kann nur die gleiche Welt meinen wie die Naturwissenschaft. Hier gibt es Klärungsbedarf für die Theologie!

 


1.3 Weltentstehung, Evolutionstheorie und
      Schöpfungsglaube – als Thema im Schulunterricht ?!


 

Wer im christlich geprägten Abendland aufwächst und lebt, begegnet nicht nur in der Schule, sondern überall in seinem Alltag sowohl religiösen Bezügen als auch dem Komplex Naturwissenschaft/Technik.
Um sich in diesem Umfeld wenigstens einigermaßen zurechtzufinden, ist es unverzicht­bar, sich mit diesen beiden Erfahrungsbereichen - ihrer geschichtlichen Entwicklung und ihrer gegenwärtigen Bedeutung – auseinanderzusetzen.

Oft werden Glaube und Naturwissenschaft als Bereiche betrachtet (und behandelt), die vermeintlich nichts miteinander zu tun haben. Oder ihre Einsichten und Erfahrungen werden (etwas gewaltsam) auf einer Ebene verhandelt, mit der Konsequenz, dass ent­weder die Evolutionstheorie dem Schöpfungsglauben oder der Schöpfungsglaube der Evolutionstheorie weichen müsse. Dieses Entweder-Oder wird jedoch der – durchaus konfliktreichen – Beziehung zwischen den beiden Parteien nicht gerecht. Es geht um ein Gespräch, um gegenseitiges Akzeptieren, Verstehen (was tut, was will der andere wirklich) und wie ich meine, sogar um eine sinnvolle und notwendige wechselseitige Er­gänzung. Dieses Gespräch sollte auch in der Schule gesucht und geführt wer­den.

Die Evangelische Kirche in Deutschland hat kürzlich eine „Orientierungshilfe“ zu diesem Themenbereich herausgegeben, in der unter anderem Folgendes ausgeführt wird (Kommentare dazu siehe in den Fußnoten):

 

(Quelle: Q46 EKD-Texte 94: Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule; eine Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2008)

 

S.6

So wird auch hierzulande die Frage erörtert, ob im Biologieunterricht auf den biblischen Schöpfungsglau­ben und ob im Religionsunterricht auf die Evolutionstheorie Bezug zu nehmen sei. Auf der Linie der hier vorgelegten Überlegungen liegt es, das Verhältnis zwischen beiden Betrachtungsweisen vorzugsweise in interdisziplinären Unterrichtsprojekten[6] zu klären …
es wird deutlich, dass man die Beziehung zwischen diesen beiden Betrachtungsweisen nur dann zurei­chend bestimmen kann, wenn man zuvor gelernt hat, sie voneinander zu unterscheiden.. Das setzt aber voraus, dass sowohl hinsichtlich der biologischen
[7] als auch hinsichtlich der theologischen Fragen die gebo­tene Sachkenntnis[8] gegeben ist und in den Schulen auf angemessene Weise zum Ausdruck kommt. Das gilt auch für die Fälle, in denen im Biologie- oder im Religionsunterricht über das Verhältnis von Schöpfungsglauben und Evolutionstheorie gesprochen werden soll. …

 

S.18
Nach evangelischem Verständnis ist Bildung mehr als Wissen oder Können. Bildung umfasst auch die Fragen nach dem Grund allen Wissens sowie nach dem Ziel allen Erkennens. Wissenschaftstheoretische und erkenntnistheoretische Fragen gehören deshalb ebenso zur Bildung wie die nach dem Woher und Wohin des menschlichen Lebens. Wissen und Wissenschaft tragen nur dann zur Bildung bei, wenn sie auch im ethischen Horizont wahrgenommen werden. Bildung bedeutet Wertschätzung von Wissen, Er­kenntnis und Vernunft, schließt aber auch die Einsicht in deren Grenzen ein
[9]

 

S.19
Die Einrichtung spezialisierter Unterrichtsfächer beispielsweise für Biologie, Physik und Religion gewähr­leistet die Wahrnehmung entsprechender Perspektiven auf die Wirklichkeit, kann jedoch auch zu einer (Selbst-)Isolierung der verschiedenen Weltzugänge führen. Für eine nach Fächern organisierte Schule sind fächerverbindende Einheiten oder Arbeitsweisen deshalb besonders wichtig. …

 

Bei der bildungstheoretisch und schulisch wünschenswerten Auseinandersetzung mit Schöpfungs­glau­ben und Evolutionstheorie, aber auch mit dem Kreationismus sowie deren Verhältnis zueinander stoßen die einzelnen Unterrichtsfächer notwendigerweise an die Grenzen ihrer Kompetenz … In der Regel emp­fiehlt sich … ein fächerverbindender Unterricht, in den zwei oder mehr Lehrkräfte ihre unter­schiedlichen Kompetenzen einbringen können

 

S.21
Ein angemessener Umgang mit Schöpfungsglauben und Evolutionstheorie setzt Einsichten in erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Zusammenhänge vorausAls besonders klärungsbedürftig müssen da­bei häufig von populären Missverständnissen begleitete Begriffe wie „Tatsache“, „Beweis“ und „Widerle­gung“ (Verifikation und Falsifikation), „Hypothese“, „Theorie“, „Erkenntnisfortschritt“ usw. gelten
[10]. Darüber hinaus sollten die unterschiedlichen Zuordnungsmodelle für unterschiedliche Weltzugänge, ins­besondere im Sinne eines komplementären Denkens, eingeführt werden.

 

Weiterführende Klärungen lassen sich nur erzielen, wenn beide, Schöpfungsglaube und Evolutions­theorie, nicht von ihren problematischen Verzerrungen, sondern von einem ihnen jeweils angemessenen differenzierten Verständnis her aufgenommen werden. Der Bezug auf den Ultradarwinismus oder auf den Sozialdarwinismus eignet sich dazu ebenso wenig wie der auf den Kreationismus, so wichtig die kritische Auseinandersetzung mit ihnen im Übrigen ist. Ähnlich verhindert eine Einführung der Evolutionstheorie als wissenschaftliche Kritik am Schöpfungsglauben oder gar als Ersatz für diesen von vornherein ein sachliches Verständnis der Eigenart beider Weltzugänge in ihrer Unterschiedenheit[11].

 

S.22
Die Auseinandersetzungen zwischen Evolutionstheorie und Kreationismus sowie ihre Auswirkungen auf die Schule haben in der Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit gefunden. Darüber sollte nicht übersehen werden, dass tatsächlich andere Probleme, vor die sich Naturwissenschaften und Schöpfungstheologie gestellt sehen, eine weit höhere Dringlichkeit besitzen. Die Frage, ob und wie Leben und Überleben in ei­ner auf viele Weisen gefährdeten Welt gesichert werden können, mit welchen Mitteln etwa den Folgen ei­nes durch menschliches Handeln mitverursachten Klimawandels begegnet werden soll und wie die Rechte zukünftiger Generationen im Blick auf endliche Ressourcen gewahrt werden können, ist ebenso offen wie die Frage nach den Grenzen für menschliche Eingriffe im Bereich der Humangenetik. Diese und viele andere Herausforderungen betreffen Naturwissenschaften und Theologie gleichermaßen; die größte Herausforderung besteht darin, wie sie gemeinsam zu einem Leben und Überleben in Humanität beitra­gen können
[12]

 

(Quelle: Q46 EKD-Texte 94: Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule; eine Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2008)

 

Aus der Auswertung der Lehrbücher in dieser Studie sollen nur noch wenige weitere Schlussfolgerungen ergänzt werden.

 

·        Die Beschäftigung mit erkenntnistheoretischen Fragen sollte in den naturwissenschaft­lichen Fächern auch schon gegenüber Schülern bis zur Klassen­stufe 10 erfolgen. Die meisten Lehrbücher für die Sekundarstufe 1 gehen darauf nicht oder nur an wenigen Punkten ein.
Die Beschäftigung mit solchen Fragen wird in Lehrplänen und Lehrbüchern für die gymnasiale Oberstufe zwar viel ausführlicher aufgenommen (manchmal nur in „An­hängen“ oder für Leistungskurse) – aber solche Einsichten sind wichtig für alle Men­schen, die sich in unserer von Naturwissenschaft und Technik so nachhaltig ge­prägten Welt zurechtfinden sollen, nicht nur für eine Elite.

 

·        In den naturwissenschaftlichen Fächern werden manchmal Vorstellungen von Reli­gion im Allgemeinen und von christlichem Glauben im Besonderen vermittelt, die falsch, einseitig oder nicht aktuell sind. So besteht die Gefahr, dass Missverständ­nisse bestehen bleiben oder aufgebaut werden, die ein echtes Gespräch erschwe­ren.

·        Manche wichtigen Ereignisse aus der Vergangenheit (verbunden z.B. mit den Na­men Kopernikus, Galilei, Darwin) sollten im Lichte neuer Erkenntnisse differen­zierter dargestellt werden – ohne dabei auf die notwendige (selbst-)kritische Auseinander­setzung zu verzichten.

 

 

 



[1] Um nachvollziehen zu können, welche Assoziationen und Empfindungen ein Außenstehender (Atheist, Naturwissen­schaftler) bei der wörtlichen Lektüre von Bibeltexten hat, sollte man Dawkins Buch doch einmal selbst gelesen haben. Er bringt in seiner schrillen Darstellung manchen von Christen verdrängten Aspekt biblischer Dar­stellungen erneut ins Bewusstsein – und das kann für das eigene Nachdenken nur förderlich sein.

[2] Der Gedanke, dass religiöse Menschen in ihrem Glauben „Hypothesen über Gott“ bilden, ist nicht neu. Der Theo­loge Heinz Zahrnt hat ihn schon vor Jahren zum Titel eines Buches gemacht:

„Soll ich meinen Glauben als Christ auf einen kurzen Satz bringen, so kann ich sagen: Ich habe eine gute Ver­mutung zu Gott. Denke ich aber über diese gute Vermutung nach, so ergeben sich nur Mutmaßungen über Gott. Das geht jedoch nicht allein dem Theologen so, sondern jedem Christen, der über seinen Glauben nachdenkt - und wer täte dies nicht? …

Dem Anliegen des Buches entspricht sein Titel »Mut­maßungen über Gott«. Der Ausdruck geht nicht auf Uwe Johnsons Roman »Mutmaßungen über Jakob« zurück, sondern stammt von Nikolaus von Kues (»coniecturae Dei«). Für den Kusaner ist Gott in seinem Wesen vom Menschen nicht zu erkennen und zu benennen. Weil er un­sichtbar ist, gibt es nur Ansichten von ihm - Projektio­nen, je aus der Perspektive des Betrachters verschieden und entsprechend vielfältig und ungenau. Die Vielfalt und Ungenauigkeit bedeutet jedoch keine Beliebigkeit! Weil das Unendliche im endlichen Erkennen gegenwärtig ist, gibt die Welt dem Menschen Anhaltspunkte für seine Bil­der von Gott an die Hand.
Mutmaßungen über Gott sind demnach keine grundlo­sen Behauptungen, sondern Aussagen mit Wahrheitsge­halt. Bieten sie auch keine endgültige Erkenntnis Gottes, so gewähren sie doch Teilhabe an seiner Wahrheit. Diese ständige Unfertigkeit aller Gotteserkenntnis versetzt den Menschen in Unruhe; sie nötigt ihn zu immer neuen Revi­sionen. Es gibt keine abgeschlossene kartographische Er­fassung des Wesens Gottes - das Gelände muss immer neu erkundet und vermessen werden. …“

(Quelle: Q56 Zahrnt, Heinz: Mutmaßungen über Gott, Piper Verlag München Zürich, Taschenbuch 1997, S.11ff.)

[3] Zum Wort „Hervorbringen“: Im Lateinischen bedeutet „evolvere“: „herauswälzen, herauswickeln, entströmen“ à hier ergibt sich eine interessante sprachliche und inhaltliche Nähe zwischen dem biblischen Text und dem Begriff „Evolution“!

[4] Lehrer und Physiker-Kollege von Hawking

[5] Kardinal Schönborn war nach einem Zeitungsinterview von Medien als „Kreationist“ verstanden worden – er selbst sieht das offenbar anders.

[6] Verweise auf andere Unterrichtsfächer finden sich in den Lehrplänen des Freistaates Sachsen immer wieder (z.B. für das Fach RELIGION auf BIOLOGIE oder PHYSIK – und umgekehrt). Die Frage ist nur, ob ein Biologie-Lehrer sich mit manchen philosophisch-weltanschaulichen Fragestellungen nicht überfordert sieht und der Verweis auf die Behandlung solcher Fragen in einem anderen Fach nicht auch eine Form der „Verdrängung“ ist. Die Betonung müsste wirklich auf „interdisziplinären Projekten“ liegen, also auf von Vertretern verschiedener Unterrichtsfächer gemeinsam konzipierten, vorbereiteten und durchgeführten Veranstaltungen. Für solche Projekte, die den Rahmen des normalen Stundenrasters im schulischen Alltag sprengen, müsste gezielt Raum vorgesehen werden (Block-Wo­chen u.ä.).

[7] Hier muss ergänzt werden: es geht nicht nur um biologische, sondern auch um physikalische und astronomische Fra­gestellungen

[8] Es ist kaum zu erwarten, dass ein Fachlehrer für PHYSIK auch ausreichend „fit“ ist, um befriedigende Auskünfte zu Geschichte und Stand von RELIGION zu geben, genauso wie von seinem Kollegen im Fach RELIGION nicht verlangt werden kann, sich in Detailfragen der Urknall-Hypothese(n) sicher zu bewegen.
Hier müssten Lehrer zum einen zwar zugestehen, dass sie nicht ALLES wissen können (und wissen müssen), dass aber das Gespräch über Fachgrenzen hinweg hier eine wichtige Ergänzung und Bereicherung darstellen kann.

[9] Das hier - aus evangelischer Sicht - skizzierte Bildungsverständnis könnte auch das einer modernen, auf Allgemein­bil­dung und Lebenstauglichkeit orientierten Schule sein. Naturwissenschaftliche Fächer sollten neben der Vermittlung von Fachwissen immer auch erkenntnistheoretische Fragen und ethische Implikationen des Fachgebie­tes aufnehmen und mit behandeln.

[10] Wenn man sich wechselseitig verstehen will, sind solche „Klärungen“ zu missverständlichen, missverstandenen oder mehrfach deutbaren Begriffen eine unverzichtbare Voraussetzung. Das sollte dann aber in allen Fächern ange­gangen werden.

[11] Extreme Positionen, Irrwege und Entgleisungen können erst dann sinnvoll eingeordnet und behandelt werden, wenn man sich zunächst mit den Positionen, die die meisten glaubenden Menschen und Naturwissenschaftler tat­sächlich vertreten, bekannt gemacht und nüchtern und kritisch auseinandergesetzt hat.

[12] Hier wird noch einmal in wünschenswerter Klarheit dargelegt, wo die wirklich dringlichen Prioritäten liegen, Fra­gen, zu denen Naturwissenschaft und Theologie versuchen müssen, gemeinsame Antworten zu finden.