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Schulbuchanalyse
Wenn es in der Schule um
Schöpfung, Evolution und Urknall geht …
Naturwissenschaft
in der Begegnung mit philosophischen und religiösen Fragen
In welcher Weise nehmen in Sachsen zugelassene Lehrbücher für die Fächer Biologie,
Physik, Astronomie und Religion solche Grenzfragen auf
eine kommentierte Material-Sammlung
© Joachim Krause 2009
Inhaltsverzeichnis
(mit LINKS zu einzelnen Kapiteln)
Teilband 1: |
||
Kapitel |
Inhalt |
Seite |
1 |
Allgemeine und grundsätzliche
Betrachtungen und Feststellungen |
5 |
1.1 |
6 |
|
1.1.1 |
Die
einzelnen Schritte beim Erstellen dieser Studie |
8 |
1.1.2 |
Hinweise zu
redaktionellen Gesichtspunkten |
11 |
|
|
|
1.2 |
Zusammenstellung von wichtigen
Gesichtspunkten und Erkenntnissen |
12 |
1.2.1 |
Einige Erwartungen und
Vorgaben für eine Begegnung zwischen Naturwissenschaft und Religion |
12 |
1.2.2 |
Zu
Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft und zu Wissenschaftstheorie |
13 |
1.2.2.1 |
Fortschritt
durch Naturwissenschaft: in der Erkenntnis der Welt und in der technischen
Anwendung |
14 |
1.2.2.2 |
Erkenntniswege
und Erkenntnisgrenzen der Naturwissenschaft |
16 |
1.2.2.3 |
Eindeutige
Begriffe und Beschreibungen |
20 |
1.2.2.4 |
Wie erkenntnistheoretische
Fragen in Schul-Lehrbüchern aufgenommen werden |
24 |
1.2.2.5 |
Horizonterweiterung:
Verweis auf weitere Quellen mit Hintergrundinformationen zur
Wissenschaftstheorie |
27 |
1.2.3 |
Die Begegnung mit der
Vielfalt von Religionen, Bibelverständnissen und Schöpfungsvorstellungen |
28 |
1.2.3.1 |
Zum
Begriff „Religion“ |
28 |
1.2.3.2 |
Bibelverständnisse |
29 |
1.2.3.2.1 |
Wörtliches
Bibelverständnis |
29 |
1.2.3.2.2 |
Eine grundsätzliche
Problemanzeige |
31 |
1.2.3.2.3 |
Historisch-kritisches
Bibelverständnis |
32 |
1.2.3.2.4 |
Es gibt so
viele Bibelverständnisse, wie es Christen gibt |
34 |
1.2.3.3 |
Zum
Begriff „Schöpfung“: Schöpfungsvorstellungen und Schöpfungsglaube |
34 |
1.2.3.4 |
Die
Vorstellung von der „Konstanz der Arten“ |
41 |
1.2.4 |
42 |
|
1.2.4.1 |
Zum
Begriff „Ideologie“ |
43 |
1.2.4.2 |
„Kreationismus“
und „Intelligent Design“ |
45 |
1.2.4.2.1 |
„Kreationismus“ |
45 |
1.2.4.2.2 |
„Intelligent Design“ |
50 |
1.2.4.3 |
„Evolutionismus“ |
52 |
1.2.5 |
54 |
|
1.2.6 |
Ist die Kirche, ist
der christliche Glaube grundsätzlich wissenschaftsfeindlich? |
57 |
1.2.7 |
59 |
|
1.3 |
Weltentstehung,
Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube – als Thema im Schulunterricht?! |
60 |
Teilband 2.1: |
||
Kapitel |
Inhalt |
Seite |
2.1 |
Der Umgang mit Erkenntnisgrenzen
der Naturwissenschaft sowie die Darstellung und Behandlung von
philosophischen und religiösen Fragen in Schullehrbüchern für das
Unterrichtsfach BIOLOGIE im Freistaat Sachsen - 2007/2008 |
63 |
2.1.1 |
64 |
|
2.1.1.1 |
Grundsätzliches
zu den Lehrplänen |
64 |
2.1.1.2 |
Lehrpläne
für den Freistaat Sachsen 2004 (BIOLOGIE) |
65 |
2.1.2 |
Zu Erkenntnismöglichkeiten
der Naturwissenschaft und zu Wissenschaftstheorie |
68 |
2.1.2.1 |
Darstellung
in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach BIOLOGIE für die Sekundarstufe 1 |
68 |
2.1.2.2 |
Darstellung
in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach BIOLOGIE für die Sekundarstufe 2 |
69 |
2.1.3 |
Annäherung an eine
Grenzfrage: Die Entstehung des Lebens auf der Erde |
83 |
2.1.3.1 |
Darstellung
in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach BIOLOGIE für die Sekundarstufe 1 |
83 |
2.1.3.2 |
Darstellung
in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach BIOLOGIE für die Sekundarstufe |
86 |
2.1.4 |
Schöpfung contra Evolution
? Umgang mit Schöpfungsvorstellungen in BIOLOGIE-Lehrbüchern |
90 |
2.1.4.1 |
Exkurs: Zur
Verwendung von Begriffen aus der religiösen und theologischen Tradition in
Biologie-Lehrbüchern |
90 |
2.1.4.2 |
Lehrbücher
aus dem Verlag PAETEC / Duden |
94 |
2.1.4.3 |
Lehrbücher
aus dem Verlag SCHROEDEL |
99 |
2.1.4.4 |
Lehrbücher
aus dem Verlag KLETT |
107 |
2.1.4.5 |
Lehrbücher
aus dem Verlag CORNELSEN / VOLK UND WISSEN |
109 |
2.1.4.6 |
Lehrbücher
aus weiteren Verlagen (BSV, C.C.BUCHNER) |
110 |
Teilband 2.2: |
||
Kapitel |
Inhalt |
Seite |
2.2 |
Der Umgang mit Erkenntnisgrenzen der
Naturwissenschaft sowie die Darstellung und Behandlung von philosophischen und religiösen Fragen in
Schullehrbüchern für die Unterrichtsfächer PHYSIK und ASTRONOMIE im Freistaat
Sachsen - 2007/2008 |
113 |
2.2.1 |
Lehrpläne für den
Freistaat Sachsen 2004 (PHYSIK und ASTRONOMIE) |
114 |
2.2.2 |
Zu
Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft und zu Wissenschaftstheorie
|
119 |
2.2.2.1 |
Darstellung
in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach PHYSIK für die Sekundarstufe 1 |
119 |
2.2.2.2 |
Darstellung
in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach PHYSIK für die Sekundarstufe 2 |
122 |
2.2.2.3 |
Darstellung
in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach ASTRONOMIE |
137 |
2.2.3 |
139 |
|
2.2.3.1 |
Exkurs:
Ein Konflikt wird aufgebaut |
139 |
2.2.3.2 |
Darstellung
in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach PHYSIK für die Sekundarstufe 1 |
142 |
2.2.3.3 |
Darstellung
in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach PHYSIK für die Sekundarstufe 2 |
144 |
2.2.3.4 |
Darstellung
in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach ASTRONOMIE |
145 |
2.2.4 |
150 |
|
2.2.4.1 |
Darstellung
in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach PHYSIK für die Sekundarstufe 1 |
150 |
2.2.4.2 |
Darstellung
in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach PHYSIK für die Sekundarstufe 2 |
150 |
Teilband 2.3: |
||
Kapitel |
Inhalt |
Seite |
2.3 |
Der Umgang mit Erkenntnisgrenzen
der Naturwissenschaft sowie die Darstellung und Behandlung von
philosophischen und religiösen Fragen in Schullehrbüchern für das
Unterrichtsfach RELIGION im Freistaat Sachsen - 2007/2008 |
157 |
2.3.1 |
Lehrpläne für den Freistaat Sachsen
2004 (RELIGION) |
158 |
2.3.2 |
Zu Erkenntnismöglichkeiten der
Naturwissenschaft und zu Wissenschaftstheorie - |
163 |
2.3.3 |
Zum Verhältnis zwischen Glaube und
Naturwissenschaft - |
165 |
„Weltall Erde Mensch“ - Ideologisierte
Naturwissenschaft im Bildungssystem der DDR (Fach BIOLOGIE) |
||
Kapitel |
Inhalt |
Seite |
3 |
Ein Blick zurück: Ideologisierte
Naturwissenschaft im Bildungssystem der DDR (Fach BIOLOGIE) |
169 |
3.1 |
Eine „wissenschaftliche
Weltanschauung“ als ideologisches Fundament von Bildung und Erziehung . |
170 |
3.2 |
„Weltall Erde Mensch“ (1955) |
170 |
3.3 |
Die „Grundsätze für die Gestaltung
des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems“ (1964) |
178 |
3.4 |
Schulunterricht im Fach BIOLOGIE in
der DDR in den 1970er und 1980er Jahren |
181 |
3.4.1 |
Die Unterrichtshilfen für Lehrer im
Unterrichtsfach BIOLOGIE Klasse 10 |
181 |
3.4.2 |
Das Lehrbuch für Schüler im
Unterrichtsfach BIOLOGIE Klasse 10 |
185 |
Teilband 4: |
||
Kapitel |
Inhalt |
Seite |
4 |
Horizonterweiterung: Weitere
Stimmen zum Thema in ausführlichen Zitaten
. |
191 |
4.1 |
Zu
Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft und zu Wissenschaftstheorie |
192 |
4.2 |
Zum Verhältnis von
(Schöpfungs-)Glaube und Naturwissenschaft |
208 |
Anhang A: |
||
Kapitel |
|
Seite |
A1 |
225 |
|
A2 |
228 |
Wenn es in der Schule
um Schöpfung, Evolution und Urknall geht …
Naturwissenschaft in der Begegnung
mit philosophischen und religiösen Fragen
In welcher
Weise nehmen in Sachsen zugelassene Lehrbücher für die Fächer Biologie, Physik,
Astronomie und Religion solche Grenzfragen auf ?
Allgemeine und grundsätzliche Betrachtungen und
Feststellungen
Hauptband 1: |
||
Kapitel |
Inhalt |
Seite |
1 |
Allgemeine und grundsätzliche Betrachtungen
und Feststellungen |
5 |
1.1 |
Aufgabenstellung und Einführung |
6 |
1.1.1 |
Die
einzelnen Schritte beim Erstellen dieser Studie |
8 |
1.1.2 |
Hinweise
zu redaktionellen Gesichtspunkten |
11 |
1.2 |
Zusammenstellung von wichtigen Gesichtspunkten
und Erkenntnissen |
12 |
1.2.1 |
Einige Erwartungen und Vorgaben für
eine Begegnung zwischen Naturwissenschaft und Religion |
12 |
1.2.2 |
Zu Erkenntnismöglichkeiten der
Naturwissenschaft und zu Wissenschaftstheorie |
13 |
1.2.2.1 |
Fortschritt
durch Naturwissenschaft: in der Erkenntnis der Welt und in der technischen
Anwendung |
14 |
1.2.2.2 |
Erkenntniswege
und Erkenntnisgrenzen der Naturwissenschaft |
16 |
1.2.2.3 |
Eindeutige
Begriffe und Beschreibungen |
20 |
1.2.2.4 |
Wie erkenntnistheoretische
Fragen in Schul-Lehrbüchern aufgenommen werden |
24 |
1.2.2.5 |
Horizonterweiterung:
Verweis auf weitere Quellen mit Hintergrundinformationen zur
Wissenschaftstheorie |
27 |
1.2.3 |
Die Begegnung mit der Vielfalt von Religionen,
Bibelverständnissen und Schöpfungsvorstellungen |
28 |
1.2.3.1 |
Zum
Begriff „Religion“ |
28 |
1.2.3.2 |
Bibelverständnisse |
29 |
1.2.3.2.1 |
Wörtliches
Bibelverständnis |
29 |
1.2.3.2.2 |
Eine
grundsätzliche Problemanzeige |
31 |
1.2.3.2.3 |
Historisch-kritisches
Bibelverständnis |
32 |
1.2.3.2.4 |
Es gibt so
viele Bibelverständnisse, wie es Christen gibt |
34 |
1.2.3.3 |
Zum
Begriff „Schöpfung“: Schöpfungsvorstellungen und Schöpfungsglaube |
34 |
1.2.3.4 |
Die Vorstellung
von der „Konstanz der Arten“ |
41 |
1.2.4 |
Ideologien mit
Alleinerklärungsanspruch |
42 |
1.2.4.1 |
Zum
Begriff „Ideologie“ |
43 |
1.2.4.2 |
„Kreationismus“
und „Intelligent Design“ |
45 |
1.2.4.2.1 |
„Kreationismus“ |
45 |
1.2.4.2.2 |
„Intelligent Design“ |
50 |
1.2.4.3 |
„Evolutionismus“ |
52 |
1.2.5 |
„Schöpfungsvorstellungen“ dürfen
nicht als naturwissenschaftliche Konkurrenz
zu „Evolutionstheorien“ verstanden werden |
54 |
1.2.6 |
Ist die Kirche, ist der christliche
Glaube grundsätzlich wissenschaftsfeindlich? |
57 |
1.2.7 |
Die Unterscheidung der
Betrachtungsebenen löst nicht alle Konflikte zwischen Glaube und
naturwissenschaftlichem Weltbild |
59 |
1.3 |
Weltentstehung, Evolutionstheorie und
Schöpfungsglaube – als Thema im Schulunterricht?! |
60 |
1 Allgemeine und grundsätzliche
Betrachtungen
und Feststellungen
1.1 Aufgabenstellung
und Einführung
In den letzten Jahren erregt
ein Thema erneut die Gemüter.
Es geht um den vermeintlichen oder wirklichen Widerspruch von
„Schöpfungsglaube“ und „Evolutionstheorie“, von wissenschaftlichen
Erkenntnissen und Glaubensaussagen.
Titel
von Büchern, Zeitschriften und Filmen deuten die Kampfstimmung, aber auch die
Nachdenklichkeit an, die das Thema auslöst. Hier seien einige Beispiele aus der
Fülle von Beiträgen in den letzten Jahren in Erinnerung gerufen:
Das Magazin „DER SPIEGEL“
(Heft 52-2005) erscheint mit dem Titel:
„Gott gegen Darwin - Glaubenskrieg um die Evolution“
Ein umstrittener Film darf
im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht (mehr) gesendet werden, macht aber
als Videofilm die Runde:
„Hat die Bibel doch Recht? Der Evolutionstheorie
fehlen die Beweise“
(Fritz Poppenberg, Drei Linden Film, Berlin).
Der katholische
Theologie-Professor und Biologe Ulrich Lüke veröffentlicht ein Buch mit dem
provokanten Titel:
„Das Säugetier von Gottes Gnaden – Evolution,
Bewusstsein, Freiheit“
(Herder Verlag Freiburg 2006).
Der britische Biologe
Richard Dawkins schreibt eine militante Kampfschrift:
„Der Gotteswahn“ (Ullstein Verlag Berlin
2007) und meint, religiöse Menschen durch naturwissenschaftliche Fakten
überzeugen und „heilen“ zu müssen.
Die Zeitschrift idea
spektrum titelt im April 2002:
„Die Bibel irrt nicht … In sechs Tagen schuf Gott die
Welt“
Die dem „Kreationismus“
nahe stehenden Biologen Reinhard Junker und Siegfried Scherer veröffentlichen
seit 1998 immer wieder aktualisierte Fassungen des Buches
„Evolution – ein kritisches Lehrbuch“ (Weyel Lehrmittelverlag Gießen)
2007 erscheint der
Ergebnisband einer Tagung, die unter der Themenstellung
„Schöpfung und Evolution“ auf
Wunsch und in Anwesenheit von Papst Benedikt XVI. stattfand (St. Ulrich Verlag
Augsburg).
Aus
Hessen berichtete nicht nur die DIE ZEIT im Jahre 2007 von einem „Kulturkampf
um den »Kreationismus«“:
Die hessische
Kultusministerin Karin Wolff hat mit Kreationismus „überhaupt nichts am Hut“
... Aber sie spricht von „Konvergenzen“ zwischen „Evolution und
Schöpfungsgeschichte“, und sie hält es für „sinnvoll“, Schüler nicht allein
mit der Evolutionslehre im Biologieunterricht zu konfrontieren. Darwin und
Nachfolger dürften nicht getrennt werden von der „Schöpfungslehre der Bibel“,
die im Religionsunterricht vermittelt wird. Auch „noch eine andere Sicht“ sei
notwendig als nur die der Naturwissenschaft.
(DIE ZEIT 12.7.07 S.42)
Das
Thema schlug mächtige Wogen, obwohl schon damals im Lehrplan Biologie für den
gymnasialen Bildungsgang des Hessischen Kultusministeriums aus dem Jahre 2005
für die 12. Jahrgangsstufe zum Thema Evolution als Aufgabe stand: „Auseinandersetzungen
mit philosophischen und religiösen Aussagen müssen die naturwissenschaftliche
Diskussion ergänzen und erweitern.“ (zit.
nach: Hubert Meisinger: Intelligent Design als Herausforderung an
Naturwissenschaften und Theologie, 6.8.2007).
Schöpfungsgedanken im
Biologieunterricht? Für die einen ist das eine verlockende und reizvolle
Vorstellung, für andere eher ein Albtraum.
Viele Zeitgenossen erinnern
sich bei diesem Thema an ihre eigene Schulzeit, an Erfahrungen, die sie selbst
mit guten Lehrern und schlechten Pfarrern oder mit schlechten Lehrern und guten
Pfarrern gemacht haben.
Immer wieder wird auch darauf
verwiesen, was „damals“ in den Lehrbüchern stand.
Und es wird vermutet und
behauptet, so seien die Bio-Bücher sicher noch heute: einseitig, ideologisch
befrachtet, glaubensfremd oder glaubensfeindlich …
Andere befürchten
vielleicht, dass nach Jahrhunderten mühsam erreichter Aufklärung nun eine
Rückkehr zu mittelalterlichen Weltvorstellungen droht.
Ich habe - als betroffener
Vater und von Berufs wegen – in den letzten Jahren immer einmal in aktuellen
Lehrbüchern geblättert, und ich habe dort Unterschiedliches entdeckt. Manche
Bücher blenden Fragen zu den Grenzen der Naturwissenschaft weitgehend aus und
gehen auf philosophisch-religiöse Aspekte nur sparsam ein. Andere öffnen sich
solchen Fragen in großer Breite und Tiefe.
Lehrer, Schüler und Eltern,
die sich für solche Fragen interessieren, haben in der Regel wohl nur das eine Lehrbuch in der Hand, das (wer,
nach welchen Kriterien?) für gerade diese Schule ausgewählt hat.
Es könnte deshalb für sie interessant sein, zu erfahren, was an anderer Stelle,
in anderen Lehrbüchern angeboten wird.
1.1.1 Die einzelnen Schritte beim
Erstellen dieser Studie
A) Auswertung von Schulbüchern
Für die hier vorgelegte
Ausarbeitung wurden in einem ersten Schritt Schulbücher einmal etwas systematischer
unter die Lupe genommen.
Dazu wurden Lehrbücher unter
folgendem Blickwinkel bzw. mit folgendem Suchraster durchgesehen:
·
Es wurden
Lehrbücher ausgewertet, die im Freistaat
Sachsen im Schuljahr 2007/2008 zugelassen waren und im Unterricht verwendet
wurden.
·
Die Auswertung
erfasste die naturwissenschaftlichen Unterrichtsfächer Biologie, Physik und Astronomie (in Sachsen bis zu diesem
Jahr noch ein eigenständiges Unterrichtsfach).
Zusätzlich wurden auch Lehrbücher für den Religionsunterricht
ausgewertet.
·
Die Lehrbücher
wurden daraufhin befragt, OB (überhaupt) und WIE (in welcher Art und Weise) sie
etwas aussagen zu
+ Arbeitsweise und Erkenntnisgrenzen des
Fachgebietes
(bzw. der Naturwissenschaften im
Allgemeinen)
+ Berührungspunkten zu religiösen -
und im weiteren Sinne zu
philosophischen – Fragestellungen
·
NICHT untersucht und behandelt wurden ethische
Fragen, die sich aus der Anwendung von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen
ergeben
(z.B. Atomenergie, Gentechnik), und bei deren Beantwortung auch religiöse und
philosophische Überlegungen mit einfließen können.
Die ausgewerteten Bücher
wurden quergelesen. Hinweise, wo etwas zu den hier interessierenden Fragen zu
finden sein könnte, ergaben sich aus Inhaltsverzeichnissen, aber auch durch
gezieltes Suchen unter Stich- und Reizworten wie z.B. „Evolution“(stheorie),
„Anfang des Lebens“ auf der Erde, „Anfang des Universums“ (Urknall),
„Chaosforschung“, „Quantenphysik“ …
Wegen der deutlich
erkennbaren Unterschiede der Schulbücher für die
Sekundarstufe 1 (5. bis 10. Schuljahr)
und für die
Sekundarstufe 2 (auch: gymnasiale
Oberstufe; 11. und 12. Schuljahr)
erfolgt die hier vorgenommene Auswertung in der Regel getrennt für diese
beiden Bildungsstufen.
In den Teilbänden 2.1 bis 2.3 = Kapitel 2.1 bis 2.3 werden Lehrbücher
ausgewertet, die im Freistaat Sachsen im
Schuljahr 2007/2008 für den Unterricht in den Fächern Biologie, Physik, Astronomie und Religion zugelassen waren.
Die Auswertung der
Schulbücher erfolgt nach Fächern getrennt.
Bevor in den einzelnen Fächern auf die Lehrbücher eingegangen wird, werden zunächst
wichtige, für die hier behandelte Themenstellung relevante und interessante
Zielstellungen aus den Lehrplänen für
den Freistaat Sachsen (2004) wiedergegeben.
Danach werden ausführliche Zitate aus
aktuellen Schullehrbüchern zur Kenntnis gebracht und kommentiert.
Lehrbücher zum Unterrichtsfach BIOLOGIE werden in Teilband
2.1 = Kapitel 2.1 ausgewertet
Dabei geht es in einem ersten Schritt um die Fragestellung, inwieweit die Darstellung
von Arbeitsmethoden und
Erkenntnisgrenzen der Naturwissenschaft Eingang in die Lehrbücher gefunden
haben.
Dazu werden zunächst Bücher ausgewertet, die bis zur 10. Klasse eingesetzt
werden (Sekundarstufe1), im Anschluss daran Lehrbücher für die Sekundarstufe 2
(gymnasiale Oberstufe).
In einem zweiten Schritt wird eine Grenzfrage gesondert aufgenommen: Wie
stellen Lehrbücher die Erkenntnisse zur Entstehung
des Lebens auf der Erde dar? Hier werden wieder die Bücher für die
Sekundarstufe 1 und die für die Sekundarstufe 2 getrennt betrachtet.
In einem dritten Schritt werden die Lehrbücher daraufhin befragt, ob und in
welcher Weise sie auf geschichtliche und
aktuelle Aspekte des Verhältnisses zwischen „Schöpfung und Evolution“
eingehen. Für diesen Punkt erschien es sinnvoll, jeweils die Lehrbücher, die
aus dem gleichen „Haus“ (Verlag, Autoren) stammen, auch gemeinsam zu behandeln.
Diesem Kapitel ist ein
gesonderter Exkurs zur (Er-)Klärung
wichtiger Begriffe vorangestellt.
Im Teilband 2.2 = Kapitel 2.2 werden Lehrbücher für die Unterrichtsfächer PHYSIK und ASTRONOMIE
betrachtet.
Grundsätzlich werden die Lehrbücher für die Sekundarstufe 1 zuerst und getrennt
von den danach behandelten Lehrbüchern für die Sekundarstufe 2 betrachtet.
Die in diesem Kapitel gestellten Einzelfragen lauten:
Wie werden Erkenntnisgrenzen der
Naturwissenschaft bewusst gemacht (Wissenschaftstheorie), und wie werden philosophische und religiöse Bezüge
wahr- und aufgenommen?
Ein zweites Kapitel geht auf die Auseinandersetzung
um das kopernikanische Weltbild ein.
In einem dritten Anlauf geht es um die Annäherung
an eine Grenzfrage:„Urknall“.
Zitate aus Lehrbüchern zum Unterrichtsfach RELIGION
werden in Teilband 2.3 = Kapitel 2.3
zusammengestellt. Hier geht es um die Erkenntnismöglichkeiten
der Naturwissenschaft sowie um die Begegnung
von Glaube und Naturwissenschaft.
B) Zusammenfassung von
wichtigen Gesichtspunkten
und Erkenntnissen
Bei der Lektüre der Schulbücher wurde deutlich, dass es sinnvoll ist, in einer
an wichtigen Stichworten orientierten Darstellung einige Begriffe zu
(er-)klären sowie grundsätzliche Informationen zu den Erkenntnismöglichkeiten
der Naturwissenschaft, aber auch zum Verständnis von Religion und
Bibelverständnissen zusammenzufassen, um vielleicht so manches Missverständnis
auszuräumen.
Diese Vorgaben machen dann umgekehrt auch verständlich, unter welchem Blickwinkel
für den Autor gerade die Text-Passagen aus den Schulbüchern wichtig waren, die
er ausgewählt, gekennzeichnet und kommentiert hat.
An dieser Stelle sollen
lediglich ein paar ausgewählte inhaltliche Schwerpunkte aus dem hier
vorliegenden Teilband 1 (Hauptband)
aufgeführt werden.
Zunächst werden grundsätzliche Erwartungen
an eine Begegnung zwischen Naturwissenschaft und Religion benannt (1.2.1).
In Kapitel 1.2.2 werden einige grundlegende Aspekte zu
Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft und zu wissenschaftstheoretischen
Fragen dargestellt.
Ein weiteres Haupt-Kapitel
widmet sich der Vielfalt von Religionen,
Bibelverständnissen und Schöpfungsvorstellungen (1.2.3).
Anschließend wird auf Ideologien mit Alleinerklärungsanspruch
eingegangen (Kreationismus, Evolutionismus – 1.2.4).
Am Ende dieses Bandes werden
einige Schlussfolgerungen für den Umgang mit dem Themenkreis „Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube“ im
Schulunterricht gezogen (1.3).
C) „Weltall Erde Mensch“ - ideologisierte Naturwissenschaft im
Bildungssystem der DDR
Teilband 3 = Kapitel 3 widmet sich in einer gesonderten Darstellung dem
Rückblick auf den weltanschaulich-ideologisch
ausgerichteten Biologieunterricht in der DDR und verdeutlicht den Weg von
„Weltall Erde Mensch“ (1955) über die „Grundsätze für die Gestaltung des
einheitlichen sozialistischen Bildungssystems“ (1964) hin zu Lehrplänen und
Lehrbüchern, die in den 1970er und 1980er Jahren verwendet wurden.
D) Horizonterweiterung:
Zusammenstellung von ausführlichen Zitaten aus verwendeten Quellen
Im Teilband 4 = Kapitel 4 werden ausführliche
Zitate aus weiteren Quellen - also nicht aus Schullehrbüchern -
dokumentiert, soweit solche „Fremdquellen“ nicht schon bei der Kommentierung der Schulbuchtexte in
Kapitel 2 eingebracht wurden. Durch deren Lektüre kann evtl. mancher Aspekt,
der bereits in den grundlegenden Darstellungen in Band 1 oder auch im
Zusammenhang mit dem einen oder anderen Lehrbuch-Zitat angesprochen wurde, noch
einmal unter einem anderen Blickwinkel erläutert und vertieft werden.
1.1.2 Hinweise zu redaktionellen
Gesichtspunkten
Im Wesentlichen werden
ausführliche Zitate aus den ausgewerteten Büchern und Materialien, vor allem
aus Schul-Lehrbüchern, wiedergegeben und sparsam kommentiert.
(Quelle: XY Namen,
Titel, Verlag, Jahr…)
Zitate aus Lehrbüchern
und anderen Quellen
sind in solchen „Kästen“ dargestellt.
Zu Beginn jedes „Zitaten-Kastens“, also am oberen Rand, befindet sich die
Quellenangabe (gleiche Angaben wie im Gesamt-Verzeichnis aller verwendeten
Quellen am Ende der Studie). Bei längeren Zitaten-Kästen wird die Quellenangabe
noch einmal am Ende des Kastens wiederholt.
(Quelle: XY Namen, Titel, Verlag, Jahr…)
Der Leser soll – ohne die
Original-Lehrbücher in der Hand zu haben – einen umfassenden Eindruck davon
erhalten, OB auf bestimmte
Fragestellungen überhaupt eingegangen wird, WAS dazu gesagt wird und WIE
es gesagt wird. Dabei sollen die Zitate weitgehend für sich sprechen. Damit
besteht die Chance, dass der Leser selbst an bestimmten Textstellen oder
Formulierungen hängen bleibt oder sich daran stößt.
Allerdings hat der Autor kommentierend in die Texte eingegriffen:
Wo es ihm wichtig erschien, etwas hervorzuheben, ist das durch Unterstreichungen geschehen.
Aus der Sicht des Autors diskussionsbedürftige oder bemerkenswerte Aussagen
sind in manchen Fällen in Fußnoten(z.B. 123) noch weiter kommentiert worden.
Es sei an dieser Stelle
darauf hingewiesen, dass es wegen der Auswertung der Lehrbücher unter
verschiedenen Fragestellungen unvermeidlich ist, wenn dem Leser in wenigen
Fällen die gleichen Zitate oder Kommentare mehrmals an unterschiedlichen
Stellen begegnen.
Aus den gesichteten Quellen
wurden (nur) die für die Themenstellung wichtigen Textstellen als Zitate in
die vorliegende Studie übernommen. Die Auswahl der Texte erfolgte nach bestem
Wissen und Gewissen. Dennoch sind möglicherweise wichtige Passagen übersehen
worden, und auch Missverständnisse oder Fehlinterpretationen seitens des Autors
sind nicht auszuschließen.
Wenn kritischen Lesern und
Leserinnen Defizite und Fehler auffallen, so mögen sie bitte darauf hinweisen –
die notwendigen Daten für die Erreichbarkeit des Autors finden Sie im Impressum
auf der letzten Seite.
1.2 Zusammenstellung von wichtigen
Gesichtspunkten
und Erkenntnissen
1.2.1 Einige Erwartungen und
Vorgaben für eine Begegnung
zwischen Naturwissenschaft und
Religion
In der
gesamten Thematik geht es um eine Positionsbestimmung von Naturwissenschaft und
Religion jeweils für sich wie auch um die Begegnung zwischen ihnen, ihr
Verhältnis zueinander.
In unserer säkularen Gesellschaft sind dafür Regeln zu finden, von denen einige
mögliche in dem folgenden Kriterienkatalog zusammengestellt sind:
1. Die beiden Kategorien -
Naturwissenschaft und Religion - nähern sich auf unterschiedliche Weise an die
Wirklichkeit der Welt an.
Sie sind selbstständig und agieren in erster Linie unabhängig voneinander, jede
auf ihrem Territorium, jede mit ihren Maßstäben.
2. Diese grundsätzliche
Selbstständigkeit und Unabhängigkeit wird wechselseitig anerkannt.
3. De facto muss man zur Kenntnis
nehmen, dass Regel 2 längst nicht immer wechselseitig anerkannt ist.
Extrempositionen machen das deutlich:
a) Auf dem Gebiet der
Naturwissenschaft(en) gibt es „Alleinvertreter“, die behaupten,
Naturwissenschaft könne ALLES erkennen und erklären, religiöse Deutungen seien
Unsinn und unnötig.
b) Auf dem Gebiet der Religion(en) gibt
es „Alleinvertreter“, die behaupten, Religion könne ALLES Wesentliche erklären,
Naturwissenschaft müsse sich diesem Primat unterordnen oder Naturwissenschaft
komme zu falschen Erklärungen / Erkenntnissen.
4. Aus vielerlei Gründen kann-darf-muss
man sich gegenseitig miteinander beschäftigen - etwa wenn es um Grenzfragen der
Erkenntnis geht oder wenn die Nutzung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse
ethische Fragen aufwirft.
5. Bei der kritischen Beschäftigung mit
der jeweils anderen Kategorie muss die Feststellung unter 3. (s.o.) beachtet
und deutlich gemacht werden, von welcher „Spielart“ der anderen Kategorie man
redet. Folgerichtig gilt dann:
6. Wenn man sich mit der
„Normalvariante“ der anderen Kategorie befasst, die die Regeln anerkennt, ist
ein Hineinreden in die andere Kategorie oder gar Fundamentalkritk unzulässig.
7. Wenn man sich mit den
„Alleinvertretern“ der anderen Kategorie befasst, ist in dem Bereich, wo sie
die Argumente der Gegenseite nicht verstehen, ignorieren oder diffamieren,
selbstverständlich eine Stellungnahme und Auseinandersetzung zulässig,
notwendig und wünschenswert.
1.2.2 Zu Erkenntnismöglichkeiten der
Naturwissenschaft
und zu Wissenschaftstheorie
Das
Denken gehört zu den
größten Vergnügungen der menschlichen Rasse …
Die
Wissenschaft kennt nur ein Gebot:
den wissenschaftlichen Beitrag …
Unsere neue Kunst des Zweifelns
entzückte das große Publikum …
(Q44 Bertolt Brecht: Leben des Galilei, Reclam, Leipzig 1968, S.29,104,105)
Brecht
beschreibt in seinem „Galilei“ in kaum zu überbietender Kürze und Prägnanz
wesentliche Aspekte naturwissenschaftlichen Forschens.
1.
Neugierig
zu sein, die uns umgebende Welt verstehen zu wollen und auch – wenigstens ein Stück
weit – verstehen zu können, das sind großartige Begabungen, mit denen wir
Menschen ausgestattet sind. Sie machen uns zu recht stolz, und gleichzeitig
mahnen sie zur Bescheidenheit: Unsere Welterkenntnis ist begrenzt auf die
Mittel und Möglichkeiten unseres menschlichen Verstandes.
2.
Naturwissenschaft
versucht, mit den Mitteln des menschlichen Verstandes und unter Beachtung der
methodischen Vereinbarungen in ihrem Zuständigkeitsbereich (für die uns umgebende
„fassbare“ Natur) immer bessere Erklärungen für Naturvorgänge zu finden. Sie
ist dabei allein an ihre eigenen „Spielregeln“ gebunden und soll sich
freihalten: sowohl gegenüber der Bevormundung von „außen“ (Weltanschauungen,
Interessen, Macht, Geld …) wie auch von der Versuchung, All-Erklärungsansprüche
für die ganze Wirklichkeit der Welt zu erheben und Allmachtsphantasien zu
erliegen. Dass es nur um den „wissenschaftlichen Beitrag“ geht, deutet aber
auch eine andere Gefahr an. Das Forschen allein um des Forschens willen kann
die Wissenschaft im „Elfenbeinturm“ der vermeintlich zweckfreien
Grundlagenerkenntnis gefangen nehmen: soziale oder ökologische, ethisch zu
verantwortende Neben- und Folgewirkungen werden ausgeblendet und verdrängt.
3.
Brecht
nennt die Arbeitsweise der Naturwissenschaft „Kunst des Zweifelns“. Naturwissenschaft
ist eine Kunst in dem Sinne, dass Begabung und Disziplin im Beherrschen der
handwerklichen Fähigkeiten und in der Einhaltung der vereinbarten „Spielregeln“
(naturwissenschaftliche Methode) wichtige Eigenschaften eines guten
Naturforschers sind. Und das Bezweifeln, einmal von überkommenen Überzeugungen,
aber auch das ständige Infragestellen der eigenen Ansichten, gehört zum
Grundansatz auf dem Weg des naturwissenschaftlichen Suchens nach Wahrheit, der
nie zu Ende ist.
1.2.2.1 Fortschritt durch
Naturwissenschaft:
in der Erkenntnis der Welt
und in der Anwendung von
Technik
„Wir
verdanken unseren Wohlstand der Entscheidung, Wissenschaft zu betreiben.“
(Ernst
Peter Fischer, Wissenschaftshistoriker)
(bild der wissenschaft 11-2008 S.10)
Angetrieben
von seiner unstillbaren Neugier gewinnt der Mensch durch die Anwendung
naturwissenschaftlicher Methoden Einsichten darüber, wie die Welt, in der er
lebt, aufgebaut ist und wie sie funktioniert.
In den
vergangenen Jahrhunderten sind hier immer mehr Befunde zusammengetragen worden,
die ein immer besseres Verständnis der Welt ermöglicht haben. Und die Anwendung
dieser Erkenntnisse in Gestalt von Technik hat dem Menschen neue Möglichkeiten
eröffnet, sich „die Erde untertan zu machen“ (Bibel, 1. Buch Mose 1,28), die
Welt umzugestalten und zu nutzen. Dadurch ist viel tatsächlicher und
segensreicher Fortschritt möglich geworden. Dass heute – eingeschränkt gilt
das derzeit leider längst nicht für alle Menschen auf diesem Planeten –
Maschinen die körperliche Arbeit erleichtern, Mobilität per Auto und Flugzeug
die ganze Welt erreichbar gemacht hat, medizinischer Fortschritt
(Operationstechniken, Medikamente) Krankheit und Leid in vielen Fällen hat
zurückdrängen können, dass die Nahrungsversorgung (dank Züchtung und Einsatz
von Chemikalien und Technik zur Bodenbearbeitung) dauerhaft und zuverlässig
gewährleistet ist – all das verdanken wir der naturwissenschaftlichen
Grundlagenforschung in früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten. Und dass Technik
der unterschiedlichsten Art in der Regel zuverlässig funktioniert, ist Ausdruck
davon, dass die hier zugrunde liegenden Einsichten nicht völlig falsch sein
können, sondern offenbar eine recht gute Annäherung an die „wirklichen“
(objektiven) Zusammenhänge der Welt darstellen. Auch scheinbar exotische und
realitätsferne Naturwissenschaft, die für viele Zeitgenossen weit weg zu sein
scheint von ihrem Alltag, prägt diesen inzwischen auf Schritt und Tritt:
(Quelle: Q65 Bild der Wissenschaft, Heft 12-2003 S.40)
Ohne die Maxwellschen
Gleichungen der Elektrodynamik hätten wir weder Radio- noch Röntgengeräte, ohne
Albert Einsteins Relativitätstheorie weder GPS noch Satelliten-Wetterbilder,
und ohne die Schrödinger- und Dirac-Gleichung in der Quantenmechanik weder
CD-Spieler noch Kernspin- und Positronen-Emissions-Tomografie zur Diagnose von
Erkrankungen und zur Abbildung von Hirnaktivitäten. ...
Wenn
in dieser Studie besonders das „Hypothetische“ und „Theoretische“ in der naturwissenschaftlichen
Erkenntnis thematisiert wird, muss klar sein, dass viele Theorien offenkundig
eine recht gute Annäherung an die wirklichen Verhältnisse in der Welt darstellen
und sie zutreffend beschreiben. Das betrifft vor allem die Wissenschaft, die
sich mit regelmäßig ablaufenden, sich ständig wiederholenden Naturvorgängen beschäftigt
oder mit reproduzierbaren und wiederholbaren Experimenten, die eine ständige
kritische Überprüfung von Hypothesen möglich machen. Deutlich spekulativer und
theoretischer ist der Gehalt von naturwissenschaftlichen Aussagen zu Fragen,
die Grenzsituationen betreffen, z.B. sich mit Ereignissen beschäftigen, die
zeitlich oder räumlich extrem weit entfernt sind vom normalen irdischen
Alltag, oder die evtl. nur einmal in der Geschichte aufgetreten sind, (z.B.
Singularitäten wie der Urknall, das Auftreten von ersten Lebensformen oder das
Auftauchen von menschlichem Bewusstsein).
In der Wissenschaftsgeschichte hat sich gezeigt, dass in vielen Fällen eine
neue, umfassendere Theorie die bisherigen Erklärungen nicht überflüssig macht
und ersetzt, sondern dass die alte Theorie mit begrenztem Geltungsbereich in
der neuen Theorie weiter enthalten ist. So werden heute noch die
Bahnberechnungen für Satelliten in erdnahen Umlaufbahnen nach Newtonschen und
Keplerschen physikalischen Gesetzen durchgeführt, die für diese Verhältnisse
zuverlässige Ergebnisse erbringen; die Erweiterungen der Einsteinschen Relativitätstheorie
wirken sich erst in wirklich kosmischen Dimensionen (Massen, Zeiträume,
Entfernungen) aus.
Diese
Würdigung von Naturwissenschaft wurde hier vorangestellt, um wenigstens etwas
Balance herzustellen zum folgenden Kapitel, in dem über-deutlich auf die (Erkenntnis-)
Grenzen der Naturwissenschaft eingegangen wird. All das dort Gesagte schließt
eben nicht aus, dass wir durch unsere der Natur abgelauschten Erkenntnisse
(Anwendung der Naturgesetze) – auch wenn sie nur eine Annäherung an die Wirklichkeit
darstellen – die Welt äußerst erfolgreich beschreiben, erklären,
prognostizieren und verändern. Dass Technik in unserer Alltagspraxis in der
Regel recht zuverlässig funktioniert, ist Ausdruck der erreichten
Leistungsfähigkeit von „Theorien“.
Manchmal begegnet heute eine
pauschale kritische Bewertung von Naturwissenschaft und Technik – gerade auch
unter christlichem Vorzeichen.
Beide werden unter Generalverdacht gestellt, eigentlich nur Schlechtes und
Problematisches in die Welt gebracht zu haben. Man denkt da an Klone, an
Atomkraftwerke, an Umweltbelastungen oder auch an „Gefälligkeitsgutachten“ (und
dazu ist ja auch kritisches zu sagen!) - aber man vergisst elektrischen Strom
und Herzschrittmacher und Insulin und die vielen verantwortungsbewusst tätigen
Forscher. In falschen Alternativen wird „künstlich“ gegen „natürlich“ gestellt,
werden vermeintliche Heilswege gegen Katastrophen-Szenarien gestellt, gelten
„Eingriffe in die Schöpfung“ als grundsätzlich verboten …
Dabei geht es aber meist vorrangig
gar nicht um naturwissenschaftliche Grundlagenforschung als das Suchen nach
Erkenntnis, sondern im Fokus stehen vor allem ethische Fragen der technischen
Anwendung von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, bei denen dann aber auch
weitere menschliche Eigenschaften, Motive und Interessen eine Rolle spielen
(Geld, Macht, Ehrgeiz).
1.2.2.2 Erkenntniswege und
Erkenntnisgrenzen
der Naturwissenschaft
Im Folgenden sollen zunächst
einige grundsätzliche Einsichten zur Arbeitsweise der Naturwissenschaft und zur
Reichweite ihrer Erkenntnis zusammengestellt werden. Viele Feststellungen sind
dabei aus den ausgewerteten Schullehrbüchern und den anderen aufgeführten
Quellen entnommen.
Naturwissenschaft hat mit
ihrem Suchen und Fragen in den letzten Jahrhunderten beeindruckende Erfolge gefeiert.
Sie hat versucht, in immer neuen Anläufen den materiellen Aufbau der Welt und
das Funktionieren ihrer Teile zu erklären, und das Publikum hat diesen
Prozess mit Staunen, Faszination oder auch Verwirrung begleitet. Zum anderen
ist es der Naturwissenschaft in ihrer praktischen Umsetzung, in Gestalt der
Technik, gelungen, die Welt für den Menschen in Besitz zu nehmen und diese -
oft erfolgreich, manchmal aber auch mit zwiespältigem Ergebnis - zu verändern.
Die Erfolge (und Folgen)
der Naturwissenschaft sind gewaltig und (ver-)führen viele Zeitgenossen zu
einer regelrechten Wissenschafts-Gläubigkeit. Gerade für Menschen, die mit
Gott nichts (mehr) anfangen können, sind die moderne Naturwissenschaft und
Medizin („Halbgötter in Weiß“) an seine Stelle getreten. Wo man früher von Gott
erhoffte und erwartete, dass er die Probleme dieser Welt (auf-)lösen und Not
und Leid heilen werde, da werden heute übermächtige Erwartungen an die
Naturwissenschaft herangetragen und von manchen ihrer Vertreter auch
geschürt: Sie soll nicht nur alle Fragen beantworten, sie soll auch in eine
lichte, sorgenfreie Zukunft, in eine heile Welt führen. Und manche
Naturwissenschaftler nehmen diese Rolle offensiv an:
„Ich will
die Welt retten.“
Craig J. Venter; Biochemiker,
(maßgeblich beteiligt an der Entschlüsselung des
menschlichen Erbgutes)
Auch wenn Naturwissenschaft
von vielen Menschen als allmächtig bestaunt oder beargwöhnt wird, ist ganz
deutlich zu sagen:
Naturwissenschaft ist weder allwissend noch ist sie allmächtig!
Gute Naturwissenschaftler haben zu allen Zeiten gewusst, dass sie „kleine
Brötchen backen“, dass sie nur zu vorläufig gültigen Einsichten kommen, dass
sie nicht für die ganze Wirklichkeit der Welt zuständig sind, und dass sie
nicht auf ALLE Fragen eine Antwort geben können (und müssen).
Hier sei beispielhaft auf
Aussagen von Darwin und Haeckel verwiesen, die das für ihre Arbeit
selbstkritisch, fast schon ironisch reflektiert haben:
(Quelle: Q7 Darwin,
Ch.: Die Abstammung des Menschen und die Zuchtwahl in geschlechtlicher
Beziehung, Reclam, Leipzig o.J., Bd. II, S.409)
Charles Darwin:
Manche der vorgebrachten Ansichten sind höchst spekulativer Art und einige
werden sich sicherlich als irrig erweisen; aber ich habe in allen Fällen die
Gründe angeführt, welche mich mehr zu der einen oder der anderen Ansicht
veranlassten. ... unrichtige Ansichten, die einigermaßen von Beweisen
unterstützt werden, können nur wenig schaden, denn jedermann findet ein
heilsames Vergnügen darin, ihre Unrichtigkeit zu erproben. Und ist dies
geschehen, so wird dadurch der Weg zum Irrtume verlegt und oft auch
gleichzeitig ein Weg zur Wahrheit geöffnet.
(Quelle: Q17 Haeckel,
E.: Die Welträtsel, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart, 1899, S.120)
Ernst Haeckel:
… das Wissen
bleibt immer lückenhaft und unbefriedigend, wenn nicht die Phantasie
die ungenügende Kombinationskraft des erkennenden Verstandes ergänzt
und... entfernt liegende Erkenntnisse zu einem zusammenhängenden Ganzen
verknüpft. Dabei entstehen neue allgemeine Vorstellungsgebilde, welche erst
die wahrgenommenen Tatsachen erklären und das „Kausalitäts-Bedürfnis der
Vernunft befriedigen.“ Die Vorstellungen, welche die Lücken des Wissens
ausfüllen oder an dessen Stelle treten, kann man im weiteren Sinne als
„Glauben“ bezeichnen ... Indessen dürfen in der Wissenschaft nur solche
Hypothesen zugelassen werden, die innerhalb des menschlichen
Erkenntnis-Vermögens liegen, und die nicht bekannten Tatsachen widersprechen.
...
Die Erklärung einer größeren Reihe von zusammenhängenden Erscheinungen durch
Annahme einer gemeinsamen Ursache nennen wir Theorie. Auch bei der Theorie,
wie bei der Hypothese, ist der Glaube (im wissenschaftlichen Sinne!)
unentbehrlich; denn auch hier ergänzt die dichtende Phantasie die Lücke, welche
der Verstand in der Erkenntnis des Zusammenhangs der Dinge offen lässt. Die
Theorie kann daher immer nur als eine Annäherung an die Wahrheit betrachtet
werden; es muss zugestanden werden, dass sie später durch eine andere, besser
begründete Theorie verdrängt werden kann.
Naturwissenschaft zu betreiben ist eine bestimmte
Art, sich mit der Wirklichkeit der Welt auseinanderzusetzen.
Dafür gibt es nicht nur klare Spielregeln (die naturwissenschaftliche Methode),
sondern diesem Zugang zur Welt sind auch Grenzen gesetzt,
von denen hier einige benannt werden sollen.
·
Die Naturwissenschaft geht in ihrem Tun von Annahmen aus, deren Gültigkeit
und Richtigkeit vorausgesetzt werden, die sich aber nicht beweisen lassen
(Axiome):
So wird – ohne diese Annahme kann Naturwissenschaft einfach nicht sinnvoll arbeiten
– vorausgesetzt, dass die Naturgesetze zu allen Zeiten und an jedem Punkt des
Universums in gleicher Weise gelten - so, wie wir sie heute auf der Erde
(er-)kennen.
Oder es wird vorausgesetzt, dass der Kosmos „homogen und isotrop“ ist (d.h.
dass Materie etwa gleichmäßig verteilt ist und wir deshalb im uns
zugänglichen Nahbereich typische Verhältnisse vor-finden).
·
Wir wissen nicht, ob im Universum nur die von uns bisher nachgewiesenen
Teilchen existieren. Derzeit gehen die meisten Astrophysiker davon aus, dass
nur etwa 5 Prozent unseres Universums aus Stofflichkeiten bestehen, die wir
kennen, und dass 73% aus „dunkler Energie“ und 22% aus „dunkler Materie“
bestehen („dunkel“ steht hier schlicht für das Nicht-Wissen).
Wir wissen auch nicht, ob unser Kosmos nur von den vier uns bekannten Kräften
beherrscht wird (diese sind: die starke und die schwache Kraft oder
Wechselwirkung im Bereich atomarer Dimensionen, die elektromagnetische Kraft
und die Schwerkraft) und ob diese in einer einheitlichen Theorie erklärt
werden können.
·
Naturwissenschaft ist von ihrem Anspruch her der Versuch, die Welt mit
den Mitteln des menschlichen Verstandes zu erklären. Es ist sehr fraglich, ob
die drei Pfund grauer Gehirnzellen, die unser Schädel einschließt, in der Lage
sind, das ganze Universum mit der Fülle und Vielfalt seiner Erscheinungen wahrzunehmen,
zu verstehen und umfassend zu erklären. In unseren naturwissenschaftlichen,
von Menschen erdachten Modellen und Theorien wird die Natur überschaubar
(gemacht). Wir wissen jedoch, dass die Struktur, die wir der Welt damit
auferlegen, in den Grenzen unserer menschlichen Vorstellungskraft erfolgt und
schon deshalb nicht vollkommen ist.
Außerdem gehen immer subjektive Annahmen/Vorgaben schon in die Planung von
Beobachtungen oder Versuchen mit ein. Ohne Beobachter „ist“ die Natur anders,
als wenn der Naturwissenschaftler sie untersucht.
(Quelle: Q67 Die Bibel, erschlossen
und kommentiert von H. Halbfas, Patmos 2001, S.29)
Werner
Heisenberg:
„Der Gegenstand der Forschung ist nicht die Natur an sich, sondern die der
menschlichen Fragestellung ausgesetzte Natur, und insofern begegnet der
Mensch auch hier wieder sich selbst.“
(Quelle:
Q76 Weber, Thomas P.: Darwin und die neuen Biowissenschaften, DuMont Köln,
2005, S.33)
Für Soziologen, Historiker, Anthropologen und Ethnologen
beginnt das „Soziale“, sobald zwei oder mehr Menschen in Wechselwirkung stehen:
Wissenschaft kann daher nicht anders als „sozial“ sein. Für
Naturwissenschaftler ist das Soziale dagegen das Ungebändigte, Irrationale, das
nie in das Heiligtum des Labors eindringen darf.
·
Arbeitsgegenstand
der Naturwissenschaft ist seit ihren Anfängen, was man sehen und anfassen
kann, was sich zählen, wiegen und messen lässt. Dabei ist es grundsätzlich
geblieben, auch wenn wir das Leistungsvermögen unserer Sinnesorgane mit
technischen Hilfsmitteln - z.B. beim Sehen mit Mikroskopen oder Teleskopen –
deutlich ausweiten konnten. Wir wissen auf der einen Seite, dass das „Netz“,
mit dem die Naturwissenschaft das „Meer der Wirklichkeit“ durchfischt, viele
interessante Funde erfasst und festgehalten hat. Aber manches, was auch zur
Wirklichkeit gehört, schlüpft einfach durch die Maschen dieses Netzes, weil die
vom Naturwissenschaftler gezielt gewählte Maschenweite nur bestimmte „Fische“
sucht und festhält.
(Quelle: Q26 Vollmer, G.: Biophilosophie,
Reclam, Stuttgart, 1995, S.51)
Biologie als Naturwissenschaft schließt gewisse Fragen
einfach aus, die anderswo gestellt werden. Fragen nach Daseinszielen, nach dem
Sinn des Lebens, nach einem Weltenschöpfer oder Weltenlenker, nach Geltungsgründen
oder moralischen Rechtfertigungen werden in der Biologie nicht nur nicht
beantwortet: Sie werden gar nicht erst gestellt, nicht einmal zugelassen. Als
legitim gelten innerhalb der Erfahrungswissenschaften nur Fragen, die
Tatsachen betreffen und die im Rahmen erfahrungswissenschaftlicher Methoden
wenigstens prinzipiell Aussicht auf Beantwortung haben.
Für die
Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaften gilt allgemein und ganz
grundsätzlich:
Naturwissenschaftliche Erkenntnis führt nicht zu
endgültigen Wahrheiten.
Das Wissen bleibt immer unvollkommen, ist vorläufig und ist verbesserungsbedürftig.
Die Ergebnisse sind Modelle, Hypothesen, Theorien.
Das
schließt nicht aus, dass wir durch unsere der Natur abgelauschten Erkenntnisse
(Anwendung der Naturgesetze) – auch wenn sie nur eine Annäherung an die
Wirklichkeit darstellen – die Welt äußerst erfolgreich beschreiben, erklären,
prognostizieren und verändern. Dass Technik in unserer Alltagspraxis in der
Regel recht zuverlässig funktioniert, ist Ausdruck der erreichten
Leistungsfähigkeit von „Theorien“:
(Quelle: Q26 Vollmer,
G.: Biophilosophie, Reclam, Stuttgart, 1995, S.38,100,111)
Die Wissenschaftstheorie hat zu interessanten
Ergebnissen geführt … Eines ihrer Hauptergebnisse ist die Einsicht in den
vorläufigen, hypothetischen oder Vermutungscharakter
allen Tatsachenwissens, auch der wissenschaftlichen Erkenntnis …
Die realen Objekte werden – durch Licht, Schallwellen, chemische Substanzen, Wärmestrahlung
oder Gravitationsfelder – projiziert auf unsere Sinnesorgane, die meist auf der
Körperoberfläche liegen. Auch technische Geräte, Beobachtungs- und
Messinstrumente, Fernrohre, Mikrophone, Thermometer, Kompass oder
Geigerzähler, dienen lediglich der Verbreiterung dieses Projektions-„Schirmes“,
der Übersetzung von Projektionssignalen in solche, die unser natürlicher
Apparat verarbeiten kann. …
Notwendige Merkmale einer guten erfahrungswissenschaftlichen Theorie sind
Zirkelfreiheit, Widerspruchsfreiheit, Erklärungswert, Prüfbarkeit und
Testerfolg; wünschbar sind darüber hinaus: Einfachheit, Anschaulichkeit,
Breite, Tiefe, Lückenlosigkeit, Präzision, Axiomatisierbarkeit, Anwendbarkeit
...
Alle diese Kriterien reichen zwar nicht aus, die einst erträumte Sicherheit
wissenschaftlicher Erkenntnis wiederherzustellen; sie können aber doch dazu
dienen, wissenschaftliche Hypothesen als zulässig und bewährt, sogar als
zuverlässig oder vertrauenswürdig auszuzeichnen. …
Alles Tatsachenwissen
ist hypothetisch …
Allerdings sollte man aus dieser Einsicht nicht den
Schluss ziehen, wissenschaftliche Erkenntnis sei, weil nicht sicher, im Grunde
nur spekulativ und darum wertlos. Zwischen Sicherheit und bloßer Spekulation
liegt ein weites Spektrum …
In
der Umgangssprache hat der Begriff „Theorie“
lediglich den Stellenwert einer bisher unbewiesenen, der Bestätigung harrenden
Annahme. Es wird unterstellt, dass erst diese Bestätigung sie in den Rang einer
endgültig gesicherten „Tatsache“
erhebe. Diese Ansicht ist schlicht falsch: Eine wissenschaftliche Theorie ist
weit höherrangig als eine Tatsache. Eine Theorie nimmt Tatsachen nicht nur zur
Kenntnis, sie erklärt Tatsachen, indem sie diese in größere Zusammenhänge
einordnet und zu anderen Tatsachen und Gesetzmäßigkeiten in Beziehung setzt.
(Quelle: Q82 Carroll, S.B.: Die Darwin-DNA, Wie die neueste
Forschung die Evolutionstheorie bestätigt, S.Fischer Verlag, Frankfurt/Main,
2008, S.252f.)
Die Nationale Wissenschaftsakademie der Vereinigten Staaten definiert eine
wissenschaftliche Theorie als „gut belegte Erklärung für einen Aspekt der
Natur, die Tatsachen, Gesetzmäßigkeiten, Schlussfolgerungen und überprüfte
Hypothesen beinhalten kann.“ Wenn Wissenschaftler von der Evolutions„theorie“
sprechen, relativieren sie damit also nicht ihre Unterstützung oder ihr
Vertrauen … sondern sie richten sich nur nach der fachlichen Definition …
Den Unterschied formulierte Papst Johannes Paul II. im Zusammenhang mit der
Evolutionstheorie in einer Aussage, die 1996 in L´Osservatore Romano erschien:
„Neue Befunde haben zu der Erkenntnis geführt, dass Evolution mehr ist als nur
eine Hypothese. Es ist in der Tat bemerkenswert, dass diese Theorie nach einer
Reihe von Entdeckungen auf verschiedenen Wissenschaftsfeldern von den Forschern
zunehmend anerkannt wird. Das weder angestrebte noch künstlich herbeigeführte
Zusammentreffen der Ergebnisse von Arbeiten, die unabhängig voneinander
durchgeführt wurden, ist schon allein ein bedeutsames Argument zugunsten dieser
Theorie.“
Hinsichtlich
der vorstehend benannten grundsätzlichen Vorläufigkeit und Unsicherheit
naturwissenschaftlicher Erkenntnisse ist sicher auch die Unterscheidung
hilfreich zwischen
A) „Präsenz-Wissenschaft“, die sich
mit dem HIER und HEUTE befasst, in der man aktuelle Naturvorgänge wiederholt
beobachten oder im Experiment nachbilden kann,
B) „Fernziel-Wissenschaft“, die sich
mit Vorgängen auseinandersetzt, die zeitlich oder räumlich weit entfernt
stattgefunden haben (Vergangenheit) oder noch bevorstehen (Zukunft), und
C) Naturwissenschaft, die sich mit einmaligen „singulären“ Ereignissen beschäftigt (Beginn des Universums im
„Urknall“, Übergang von unbelebter Materie zu „Leben“, Auftauchen von
Selbst-Bewusstsein beim Menschen) oder die es mit einmaligen und nicht
wiederholbaren in der Geschichte der
Natur abgelaufenen Prozessen zu tun hat (z.B. Evolution).
Und
dass in vielen Fällen eine neue, umfassendere Theorie nicht die alten
Vorstellungen einfach ersetzt, sondern sie als Grenzfall weiter mit enthält
(so bleibt z.B. die Newtonsche Himmelsmechanik als weiter gültige Beschreibung
für Satellitenbahnen in Geltung, wird jedoch für wahrhaft kosmische Dimensionen
um die zusätzlichen Aspekte der Relativitätstheorie erweitert), ist ein starkes
Argument für die Verlässlichkeit der naturwissenschaftlichen Methodik und ihrer
Ergebnisse
Eine letzte Einsicht sei
noch genannt:
Aus naturwissenschaftlichen
Erkenntnissen kann und darf man keine weltanschaulichen Deutungen herleiten
oder sie damit begründen.
Aus den Erkenntnissen der Biologie oder Physik ergeben sich keine zwingenden,
„wissenschaftlich begründeten“ Schlussfolgerungen über den Sinn und das Ziel
des menschlichen Daseins oder ethische Kriterien für menschliches Handeln.
Diese Beschränkung gilt für philosophierende Physiker und Biologen generell,
unabhängig davon, ob ihre Äußerungen mir genehm sind (meine Weltsicht
bestätigen) oder nicht. Auch Nobelpreisträger äußern sich in philosophischen
Fragen nur als nachdenkliche Menschen und können ihrer (privaten) Weltdeutung
nicht mit der Autorität ihrer naturwissenschaftlichen Verdienste größeres
Gewicht verleihen.
1.2.2.3 Eindeutige Begriffe und
Beschreibungen
Um naturwissenschaftliche
Zusammenhänge oder philosophisch-religiöse Überlegungen verständlich
kommunizieren zu können, ist es notwendig, sowohl Begriffe genau zu (er-)klären
wie auch eindeutige Beschreibungen vorzunehmen.
(Quelle: Q46 EKD-Texte
94: Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule; eine
Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover
2008, S.11)
Ein angemessener Umgang mit Schöpfungsglauben und
Evolutionstheorie setzt Einsichten in erkenntnis- und wissenschaftstheoretische
Zusammenhänge voraus
… Als besonders klärungsbedürftig müssen dabei häufig von populären
Missverständnissen begleitete Begriffe wie „Tatsache“, „Beweis“ und „Widerlegung“
(Verifikation und Falsifikation), „Hypothese“, „Theorie“,
„Erkenntnisfortschritt“ usw. gelten.
Programmatisch wird das z.B.
im Lehrplan des Freistaates Sachsen für das Fach RELIGION - in einer sehr
anspruchvollen Auflistung von Stichworten - aufgenommen.
(Quelle: Lehrplan des
Freistaates Sachsen 2004, Fach Evangelische Religion, Gymnasium,
Jahrgangsstufe 11 – Leistungskurs, S.41)
Lernbereich 1:
Religion und Wirklichkeit
… Kennen des Verhältnisses von Wissenschaft und Religion …
Begriffsklärungen:
Wissenschaft, Religion
Vernunft und Offenbarung
Theologie als Wissenschaft
Verhältnis Theologie und Naturwissenschaft
Wirklichkeit, Richtigkeit, Wahrheit und
Perspektivität
Wahrheitstheorien: …
Wissenschafts- und Erkenntnistheorie …
Welterklärung durch Mythos und Logos …
Physik, Metaphysik, Religion in der Antike
Dominanz der Theologie im Mittelalter
Wissenschaftsfeindlichkeit der Kirche
Kirchen- und Religionsfeindlichkeit der Wissenschaft
Nominalismus, Aufklärung …
Glaubensbekenntnisse moderner Naturwissenschaftler …
Pro- und Kontra-Diskussion
(Verweis auf: Interdisziplinarität und
Mehrperspektivität; Reflexion und Diskursfähigkeit)
Aber warum geschieht das nur
im Fach Religion? In den Lehrplänen für Naturwissenschaften wird eine ähnliche
Zielstellung nicht explizit aufgeführt.
Können Religionslehrer das wirklich allein „schultern“, auch von der
naturwissenschaftlichen Seite her kompetent abdecken?
Und warum ist ein solches anspruchsvolles Programm auch hier nur für den
Leistungskurs vorgesehen und nicht für alle Schüler verbindlich?
An
einigen Begriffen und Aussagen aus dem Bereich der Evolutionsbiologie soll
erläutert werden, wie deutungsbedürftig schon die Verwendung scheinbar
allgemeinverständlicher Begriffe sein kann:
Beispiel A) „EVOLUTION“
A1) Der Begriff Evolution
wird vom lat. evolvere abgeleitet. Dazu schlagen Wörterbücher als Übersetzung
z.B. vor: hervorwälzen, heraushelfen, hinaustreiben, auseinanderwickeln,
(Bücherrollen) aufschlagen.
Hier wird vom Wortsinne her intendiert: Da ist schon etwas da, war schon immer
vorhanden, das nur noch in die Welt eintreten muss. Dieses Verständnis
widerspricht aber der Sichtweise der Biologie, derzufolge Lebewesen keinen Plan
in sich tragen, Evolution nicht auf ein vorgegebenes Ziel zusteuert.
A2) Der Begriff Evolution
sollte nur für die Beschreibung von Entwicklung in der Biologie verwendet
werden, da nur hier Faktoren und Mechanismen wie Mutation, Selektion,
Einnischung, Doppelfunktionen, Isolation usw. sinnvoll zugeordnet werden
können. Im Gegensatz dazu wird aber geradezu inflationär auch von kosmischer,
galaktischer, chemischer, molekularer, psychologischer psychosozialer,
kultureller und wirtschaftlicher Evolution gesprochen. Dort wirken aber ganz
andere Mechanismen als im Bereich der Lebewesen.
Das kosmische Geschehen, das Werden und Vergehen von Sternen oder Galaxien,
wird ausschließlich von physikalischen Naturgesetzen bestimmt. Hier hat man es
mit relativ einfachen und gleichartigen Objekten zu tun. Deren Entwicklung
läuft berechenbar-deterministisch ab, auch ihre Zukunft ist klar berechenbar.
Dagegen stellt jedes biologische Lebewesen letztlich ein Unikat, ein so nicht
wiederkehrendes Individuum, dar. Und sein Schicksal, wie auch die zukünftige
Entwicklung des Lebens auf der Erde, ist offen, gewinnt erst endgültig Gestalt
im Wechselspiel von „Zufall und Notwendigkeit“.
In der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft wirken natürliche
Evolutionsfaktoren und –mechanismen nur noch sehr begrenzt. Längst greift der
Mensch selbst regulierend in Naturvorgänge ein, steuert seine eigene Fortpflanzung,
verhindert die natürliche Selektion von krankem oder behindertem Leben.
A3)
Es sei weiterhin verwiesen auf die Mehrdeutigkeit des Begriffes „Evolution“
auch im engeren biologischen Sinne. Im einfachsten Fall versteht man darunter
die Beobachtung von Veränderungen,
dass nämlich Lebewesen in der Erdgeschichte nicht immer in den gleichen Formen
aufgetreten sind. Manche Arten sind schon vor langer Zeit verschwunden, neue
Arten sind im Laufe der Erdgeschichte neu aufgetaucht. Leben hat sich demnach in
einem geschichtlichen Prozess verändert (= entwickelt).
Die Abstammungsforschung versucht
diesen Prozess zu rekonstruieren (durch Auswertung von Fossilfunden wie auch
durch molekularbiologischen Vergleich von Erbanlagen heute lebender
Organismen).
Eine noch einmal ganz andere Aufgabe besteht darin, Evolutions-Theorien aufzustellen, die erklären können, welche
Ursachen die Veränderungen bewirkt haben.
Beispiel B) „SELEKTION“
Als Synonyme werden hier
z.B. angegeben: Auswahl, Zuchtwahl
(engl. to select = auswählen, aussuchen).
Der Begriff Selektion kann
falsche Assoziationen wecken, die den wirklich in der Natur stattfindenden
Vorgängen nicht gerecht werden.
Die Auswahl, die ein Züchter
vornimmt (und am Vorbild des Züchters orientierte sich Darwin bei seiner ursprünglichen
Begriffswahl), setzt voraus, dass es einen Akteur, „jemanden“ gibt, der auswählt, und dass er das nach vorgegebenen
Kriterien tut, auf ein bestimmtes (Zucht-)Ziel
hin orientiert.
Nach den Vorstellungen der
Evolutionstheorie hat aber die Entwicklung der Lebewesen kein Ziel - und sie
kann und darf es auch nicht haben. Die Umwelt (Klima, Naturkatastrophen,
Einwirkung anderer Lebewesen), in der die Organismen (über-)leben müssen,
ändert sich ständig, sodass eine endgültige perfekte Anpassung nicht möglich
und auch nicht sinnvoll ist. Die Zukunft der Welt und der Lebewesen ereignet
sich einfach und ist in ihren Anforderungen und Ergebnissen offen, nicht
festgelegt.
Beispiel C) „ANPASSUNG“
(engl. to fit, fitness =
Eignung, Zusammenpassen, übereinstimmen, „passen“)
In populärwissenschaftlichen
Darstellungen zu Evolutionsvorgängen liest und hört man häufig Formulierungen,
die sachlich nicht korrekt sind. Das soll an einigen Beispielen verdeutlich
werden.
C1) „Die Lebewesen passen sich an“; „Lebewesen haben sich spezialisiert“
Eine aktive, zielgerichtete Anpassung von Organismen an neue Umwelt-Herausforderungen
ist nicht möglich. Lebewesen können nicht – bei „Bedarf, unter dem Druck ihrer
Umwelt - ihre (Erb-)Eigenschaften oder Verhaltensweisen ändern, zielgenau und
mit der erforderlichen Geschwindigkeit.
Lebewesen können sich auch
nicht vorausschauend auf neue Gegebenheiten einstellen. Sie können nicht
„ahnen“ oder gar „wissen“, welche Eigenschaften in der Zukunft „gebraucht
werden“, morgen von Vorteil wären. Schon buchstäblich am nächsten Tag kann die
(Um-)Welt (z.B. nach einer akuten Katastrophe) die Organismen vor völlig andere
Herausforderungen stellen als heute, kann sie ganz andere Eigenschaften „belohnen“,
und was eben noch „gut“ war, hat sich überlebt.
Es gibt stets nur – gewissermaßen als Glücksumstand für ein Lebewesen - das
rechtzeitige Angepasst-Sein, dass es ihm seine derzeitigen (Erb-)Eigenschaften
heute und in der gerade vorhandenen Umgebung ermöglichen, zu (über-)leben. Neue
Eigenschaften, die in einer sich verändernden Umwelt vorteilhaft sind, trägt
das Lebewesen entweder schon in sich (z.B. als bisher nicht genutzte
Möglichkeit in seinem Erbgut, oder durch eine völlig ungerichtet aufgetretene
Mutation), oder es hat sie nicht, kann sie auch nicht erwerben, und es kommt
dann in der veränderten Umwelt eben schlechter zurecht.
C2) „Die Lebewesen werden (durch Selektion)
angepasst“
Die „Selektion“ ist kein
Akteur, der wie ein Züchter Ziele hätte und der Lebewesen „passend“ machen
könnte, indem er z.B. Erbeigenschaften gezielt verändert.
Die Verwendung des Begriffes „Selektion“ ist lediglich ein Erklärungsversuch
dafür, um (nachträglich) verständlich zu machen, dass die Lebewesen statistisch
die besten Überlebenschancen haben, die am besten für die gerade zur Verfügung
stehende Umwelt geeignet (fit) sind.
C3) „Die Entwicklungsprozesse in der Natur führen zu
immer besserer Anpassung“
Anpassung kann nie perfekt sein, weil die Umwelt, in der ein Organismus überleben
können muss, morgen schon eine andere sein kann.
Und eine perfekte Anpassung könnte sich auch als gefährlich erweisen. Das ist
dann der Fall, wenn eine Art von Lebewesen zwar ideale (Erb-)Eigenschaften für
eine bestimmte Lebenswelt besitzt, die vielleicht über lange Zeiträume stabile
Umweltbedingungen geboten hat. Wenn sich dann aber die Anforderungen der
Lebens-Umwelt (plötzlich) verändern, ist es für das Überleben der Art
notwendig, dass wenigstens einzelne Individuen Variationen aufweisen (z.B.
durch bereits vorhandene Mutationen), durch die sie auch in die neue Umwelt
„passen“.
C4) „Der Mensch (oder irgendein anderes Lebewesen)
ist die Krone der Schöpfung“
Alle Lebewesen, die wir
heute in der Welt finden, sind das derzeit „Beste“, was die Welt zu bieten hat:
Jede Art (über-)lebt in einer der vielen Nischen, die in der Natur bereitstehen.
Sie „passen“ dort – gemessen an möglichen Konkurrenten – derzeit am besten
hinein.
C5) „Survival of the fittest“
(Überleben des Stärksten; besser: Überleben dessen, der am besten mit der Welt
hier und heute zurechtkommt)
Es überlebt nicht immer der
Schnellste, der Stärkste, sondern der, welcher die beste Anpassung an die
gerade angebotene Umwelt schon mitbringt.
Die Welt kann man sich in diesem Zusammenhang wie ein Puzzle vorzustellen.
Viele Steine liegen bereits vor, sind z.T. in festen Zusammenhängen aus der
Vergangenheit miteinander verbunden. Ein Lebewesen, das in die vorhandene Welt
eintritt, muss sich in die vorhandenen Möglichkeiten einfügen (können), muss in
eine der vorhandenen Lücken im Puzzle „passen“. Entweder hat es also
„Ausstülpungen“ oder „Einbuchtungen“, die sich gut in die bereits vorhandenen
Strukturen (Klimabedingungen, Nahrungsangebot, Feinde, Konkurrenten,
Kooperationspartner) einfügen, oder es ist nicht geeignet für diesen
Lebensraum. Eine zusätzliche Herausforderung besteht nun darin, dass die
anderen Puzzlesteine sich allmählich oder durch plötzliche Ereignisse (z.B.
Naturkatastrophen) auch sehr schnell verändern (können). Da kann ein
Puzzlestein, der gestern noch perfekt „gepasst“ hat, plötzlich keinen Halt mehr
finden.
C6) „Ein Lebewesen hat sich durch Mimikri (Nachahmen
der äußeren Merkmale eines anderen Lebewesens) „getarnt“, um zu überleben.“
Die Formulierung „um zu“ legt nahe,
dass das Lebewesen aktiv und gezielt ein Ziel anstreben kann, was nicht der
Fall ist. Ebenso problematisch ist die Formulierung, ein Lebewesen habe eine
Eigenschaft geändert, „damit“ es in
der neuen Umgebung besser zurecht kommt.
C7) Angepasst-Sein
In diesem Verständnis stellt der
Mechanismus des Angepasstseins in der Evolution ein spannendes Wechselspiel dar
zwischen Beharrungsvermögen auf der einen Seite (Festhalten der Lebewesen an
erprobten Baumustern und Verhaltensweisen, garantiert durch die Vererbung der
Gene von Generation zu Generation) und „Neugier“ und Flexibilität auf der
anderen Seite (Auftreten von neuen Erbeigenschaften in jeder Generation =
Mutationen; oder das „Mitschleppen“ bisher nicht genutzter neuer Eigenschaften
gewissermaßen „auf Verdacht“, „auf Vorrat“).
1.2.2.4 Wie erkenntnistheoretische
Fragen
in Schul-Lehrbüchern
aufgenommen werden
„Daran
erkenn ich den gelehrten Herrn!
Was ihr nicht tastet, steht euch meilenfern,
Was ihr nicht fasst, das fehlt euch ganz und gar,
Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr,
Was ihr nicht wägt, hat für euch kein Gewicht,
Was ihr nicht münzt, das, meint ihr, gelte nicht.“
(J.W.v.Goethe: Faust)
Zunächst sei ein Zitat aus
einem Lehrbuch für die gymnasiale Oberstufe wiedergegeben:
(Quelle: (B22
C.C.BUCHNER; Solbach, H.: Vita nova; Biologie für die Sekundarstufe II; Bamberg
2000, S.364f.)
45.4 Widersprüche und
Schwächen der Evolutionstheorie …
Viele Erkenntnisse der
Evolutionsforschung werden noch kontrovers diskutiert. Welches Fazit kann
man am Ende dieses Kapitels ziehen? – Es ging nicht darum, Sie zu
verunsichern und alles, was Sie bisher über Evolution erfahren haben, in Frage
zu stellen. Festzuhalten ist aber, dass viele Bereiche der Evolutionsforschung
kontrovers beurteilt werden. Für die Ursachen der Evolution gibt es z.B. bisher
keine widerspruchsfreie, gültige Theorie. Es ist deshalb vernünftig, auch
Erkenntnisse, die als gesichert gelten, mit Umsicht zu beurteilen und zu
verwenden.
Dieses Lehrbuch, das zuvor
selbst kritische Rückfragen zu den Grenzen naturwissenschaftlicher Erkenntnis
aufnimmt, beendet solche Überlegungen mit einer interessanten Erklärung, die
wohl Schüler (und Lehrer?) beruhigen soll: Verunsicherung war nicht beabsichtigt!
Aber warum eigentlich diese
Scheu? Ist nicht eine Wissenschaft, die ihre Lücken und Grenzen verschweigt und
damit – für sich selbst und für Schüler - die Illusion umfassender Welterkenntnis
aufbaut, eine viel problematischere Erfahrung?
Ein Lehrer-Handbuch für das
Fach Religion erklärt nun genau dieses ständige Hinterfragen
wissenschaftlicher Theorien zur Aufgabe für Schüler.
(Quelle: R1
VANDENHOECK & RUPRECHT; Koretzki, G.-R., Tammeus, R. (Hg.): Werkbuch Religion
– entdecken, verstehen, gestalten; Materialien für Lehrerinnen und Lehrer,
Göttingen 2002, S.78)
Intentionen
Die Schüler sollen … das ständige Hinterfragen einer wissenschaftlichen
Theorie als Notwendigkeit erkennen und die Vorläufigkeit aller wissenschaftlichen
Theoriebildung reflektieren …
Auch in einer permanenten
Haltung des „alles-ist-vorläufig“ liegt natürlich eine Gefahr: Dann muss ich
das ja auch nicht ganz so ernst nehmen.
Schüler sollen ja aber durchaus im Unterricht die aktuell aus der Sicht der
Naturwissenschaft für richtig befundenen Sachverhalte erst einmal
kennen-lernen, und sie sollen wissen, das vieles davon sich immer wieder
bewährt und bestätigt hat.
Die im Folgenden
dargestellten Erwartungen von Schülern und Lehrern an den naturwissenschaftlichen
Unterricht mögen überzeichnet sein:
Ich meine (und hoffe), neugierige Schüler besuchen den Unterricht in
naturwissenschaftlichen Fächern in der Erwartung, nun endlich zu erfahren, wie
die Welt wirklich „ist“.
Sie möchten wissen, aus welchen Bausteinen die Natur aufgebaut ist, wie ihre
einzelnen Teile zueinander in Beziehung stehen, wie die Welt geworden ist, wie
sie sich verändert hat und wie sie sich verändert.
Der Lehrer soll ihnen die
eine große Geschichte der Natur verständlich darbieten, aufgeteilt in viele
kleine Geschichten - physikalische, chemische, biologische -, die alles
griffig, verständlich und in endgültiger Gewissheit zusammenfassen.
Eindeutige Aussagen werden
erwartet. Der Schüler möchte Tatsachen und Regeln mitgeteilt bekommen, die er
auswendig lernen kann, möchte Formeln kennen-lernen, die den Lauf der Welt
zuverlässig berechenbar machen.
Dieser Erwartungshaltung der
Schüler entspricht ein Lehrerbild, in dem der Unterrichtende ALLES weiß, den
Schülern abfragbares, endgültig gesichertes WISSEN vermitteln, immer klar
zwischen RICHTIG und FALSCH unterscheiden kann.
Für beide Seiten könnte sich
die Motivation vermindern und Verunsicherung könnte sich ausbreiten, wenn der
Lehrer ständig an die Unsicherheiten wissenschaftlicher Erkenntnis erinnern
und seine Darstellungen im Konjunktiv vortragen würde. Warum sollte ein Schüler
noch Merksätze und Formeln lernen, wenn doch alles Wissen nur vorläufig ist?
Man sollte also im
Unterrichts-Alltag den Vorbehalt von der Vorläufigkeit aller wissenschaftlichen
Erkenntnis im Hinterkopf, aber nicht ständig vor Augen haben.
Auf den begrenzenden und
begrenzten Möglichkeiten nicht nur der Naturwissenschaften, sondern aller
menschlichen Erkenntnis wird jedoch in einigen Schul-Lehrbüchern kaum
eingegangen.
Manche Lehrbücher erwecken auch im Jahr 2008 den Eindruck, gesichertes Wissen
zu vermitteln. Formulierungen in der Aussageform dominieren. Die Beweisführung
erfolgt an einem Modell, auch dort,
wo es mehrere konkurrierende gibt. Die geschichtliche Entwicklung
naturwissenschaftlicher Einsichten wird einlinig als gerader Weg von anfänglichen
Irrtümern hin zur „richtigen“ (damit auch als endgültig verstandenen) Erkenntnis
unserer Tage gezeichnet. In dieser vereinfachenden Weise sind die meisten
Lehrbücher geschrieben, die Schüler bis zur 10. Klasse in die Hand bekommen (Sekundarstufe 1). Traut man
Jugendlichen in diesem Alter (noch) nicht zu, sich in einer Welt zurechtzufinden,
die wir Menschen nicht vollständig erkennen können, in der wir (manchmal /
noch) keine (endgültigen) Antworten auf alle Fragen gefunden haben?
Auf der einen Seite ist natürlich der Einwand berechtigt, dass die hier zu
behandelnden Sachverhalte für Schüler in der Sekundarstufe 1 wirklich noch zu
komplex sind.
ABER: Schüler, die nach der
Sekundarstufe 1 (10. Klasse) von der Schule abgehen, oder solche, die Biologie
und/oder Physik nach der 10. Klasse „abgewählt“ haben, erfahren unter Umständen
nie mehr in ihrem Leben etwas darüber, wie wissenschaftliche Erkenntnisse
gewonnen werden und wie sie zu interpretieren sind!
Manchmal werden in den
naturwissenschaftlichen Lehrbüchern die bestehenden fachlichen Unsicherheiten
sprachlich deutlich gemacht. Formulierungen im Konjunktiv zeigen z.B. an,
dass es sich um vorläufige Erkenntnisse (Vermutungen), um den derzeitigen
Stand des Wissens handelt. Auch die Verwendung von Worten wie „glauben“,
„möglich“, „Hinweise“, „versuchen“, „Indizien“, „manche“, „Fragezeichen“ usw.
deuten auf ungelöste Fragen und / oder auf alternative Deutungsmöglichkeiten
hin.
Lehrbücher für die
gymnasiale Oberstufe (Sekundarstufe 2)
gehen mit der Vorläufigkeit und grundsätzlichen Unsicherheit
naturwissenschaftlicher Erkenntnis in der Regel deutlich differenzierter um.
Sie zeigen den mühsamen Weg in der Geschichte der Naturwissenschaften auf, der
in vielen Fällen zu wirklichem (Erkenntnis-)Fortschritt geführt hat, aber
immer auch gepflastert war mit Irrtümern und gegangen von (fehlbaren) Menschen.
Hier sind offenere Formulierungen zu lesen, die den Anspruch (das Missverständnis)
der Ausschließlichkeit und Endgültigkeit vermeiden, manchmal sogar gezielt
abwehren.
Nur selten jedoch werden der
Ansatz der Naturwissenschaften, ihre (methodische) Arbeitsweise, ihre
Erkenntnismöglichkeiten gezielt zum Thema gemacht, wird über die Grenzen
menschlicher Erkenntnis grundsätzlich und systematisch reflektiert, wird
Wissenschafts- und Erkenntnistheorie vermittelt.
Es gibt positive Ausnahmen,
die in den folgenden Teilen dieser Untersuchung (v.a. Teile 2.1 bis 2.3)
ausführlich vorgestellt werden.
Wenige Lehrbücher befassen
sich ausführlich und in geschlossenen Darstellungen mit den eben angesprochenen
erkenntnistheoretischen Fragestellungen.
Vorbildlich erscheint hier das Kapitel „Erkenntniswege der Biologie“, das auf
acht Seiten in der Quelle
·
B32 SCHROEDEL; Linder Biologie, Lehrbuch für die
Oberstufe, Braunschweig, 2005, S.541ff.
abgedruckt ist (Wiedergabe des vollständigen Textes siehe in Kapitel 2.1.2.2).
Weitere Lehrbücher, die ausführlicher
auf Aspekte der Erkenntnistheorie und auf philosophische Fragestellungen
eingehen, sind z.B.
·
P13 METZLER; Grehn, J. / Krause, J. (Hrsg.): Physik,
Schroedel Verlag, Hannover, 1998, S.566ff.
·
P14 SCHROEDEL; Dorn / Bader: Physik Sek II; Schroedel,
Hannover, 2000, S.S.424ff.
·
P16 WESTERMANN; Kuhn, Physik, Band 2 12/13;
Braunschweig, 2004, S.512ff.
und
·
P21 PAETEC; Astronomie, Gymnasiale Oberstufe, Paetec, Berlin, 2001, S.5ff.+213ff.
Ausführliche
Zitate aus den eben aufgeführten Büchern sind in den Teilbänden 2.1 und 2.2
dieser Studie nachzulesen.
Das andere Extrembeispiel
sind Lehrbücher, die knappe Sätze enthalten, in denen eigentlich grundsätzlich
die ganze moderne Erkenntnistheorie enthalten ist – bei denen aber zu klären
wäre, WIE sie wirklich gemeint sind, und OB sich in dieser Kürze ihr vielleicht
tiefer Inhalt für den Schüler tatsächlich erschließt.
Als Beispiel sei hier ein Satz angesprochen, der in der Quelle
·
B12 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie,
Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin, 2005, S.502
steht:
„Eine heute anerkannte
Theorie ist die Abstammungslehre.“
Man kann hier jedem einzelnen Wort Wichtiges unterstellen:
a) EINE (Theorie): Es
gab / gibt demnach offensichtlich noch weitere Theorien als Erklärungsversuche,
die in Konkurrenz standen / stehen und gegeneinander abgewogen und bewertet
werden können.
b) HEUTE (anerkannte
Theorie): Sie spiegelt also den Stand des Wissens mit Datum von heute wider.
Wie jede Theorie unterliegt sie der Prüfung und kann sich möglicherweise
verändern, vielleicht wird sie sich in Zukunft sogar als falsch erweisen, und
sie wird durch eine andere bessere (und wieder nur HEUTE gültige vorläufige)
Theorie ersetzt werden oder in einer umfassenderen Theorie als Spezialfall
aufgehoben werden.
c) ANERKANNTE
(Theorie): Neue Theorien (auch wenn sie einen Sachverhalt besser erklären
können als bisherige Vorstellungen) müssen sich in der Wissenschaftsgeschichte
oft mühsam gegen die etablierten Vorstellungen durchsetzen. Erst wenn wichtige
Vertreter einer Wissenschaft sich den neuen Gedanken öffnen oder wenn mit den
Für-Wahr-Haltern und Bewahrern der althergebrachten Überzeugungen auch die
alten Theorien „aussterben“, werden neue Theorien anerkannt. Aber auch eine
breite Anerkennung durch die Fachwissenschaft bedeutet nicht die (endgültige,
nicht mehr hinterfragbare) Richtigkeit einer Theorie: Mehrheiten müssen auch in
der Naturwissenschaft nicht recht haben!
d) THEORIE: Eine
Theorie ist im modernen Verständnis ein in sich geschlossenes, widerspruchsfreies
Gedankengebäude, das einen Teilaspekt der Wirklichkeit der Welt erklären kann.
Theorien haben dabei ein deutlich höheres Gewicht als die Vermutungen,
Hypothesen, die am Anfang wissenschaftlicher Erkenntnis stehen. Aber auch umfassende
Theorien bleiben Modellvorstellungen, die wir uns von der Welt machen, und sie
sind nicht die endgültig verstandene Wirklichkeit selbst.
Aber ob der Autor den eben
sezierten Satz selbst so komprimiert-tiefgründig gemeint hat und ob der Schüler
beim Lesen merkt, was in der Aussage alles enthalten sein könnte?
Fazit:
In der Summe hat sich die
Lektüre der Lehrbücher in Bezug auf eine differenzierte Wahrnehmung der
Möglichkeiten und Grenzen naturwissenschaftlicher Erkenntnis doch als sehr
ergiebig erwiesen. Für die Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaften
ergibt sich in der Zusammenschau einzelner (oft verstreuter) Zitate ein
Gesamtbild, das letztlich alle Argumente, Prüf-Kriterien und Erkenntnisse
enthält, mit denen die moderne Erkenntnistheorie arbeitet.
1.2.2.5 Horizonterweiterung: Verweis auf weitere
Quellen mit
Hintergrundinformationen zur
Wissenschaftstheorie
Ergänzende Ausführungen zu
wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Fragen aus vielen weiteren Quellen
sind im „Originalton“ als Zitate in
Teilband 4 wiedergegeben.
1.2.3 Die Begegnung mit der Vielfalt der
Religionen,
Bibelverständnisse und
Schöpfungsvorstellungen
1.2.3.1 Zum Begriff „Religion“
(Quelle: B12 DUDEN /
PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie, Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin,
2005, S.511)
Sind Evolutionsforschung und Religion vereinbar?
Die Frage, ob
„Evolutionsforschung und Religion vereinbar“ sind, wird in diesem Lehrbuch gleich
zu Anfang des entsprechenden Kapitels und damit programmatisch gestellt. Die
weiteren Darstellungen sollen darauf offenbar eine Antwort geben.
Es ist festzustellen, dass eine Darstellung und Auseinandersetzung im weiteren
Lehrbuch-Text aber nur zu bestimmten Schöpfungsvorstellungen der
jüdisch-christlichen Bibel stattfindet.
Der in der zitierten Quelle
verwendete Begriff „Religion“ hat aber eine viel weiter reichende Bedeutung.
Es gab und gibt viele Formen
von Religiosität, die sich in ganz unterschiedlicher Weise zeigen und äußern.
Es geht bei Religionen nicht nur um das Verständnis bestimmter Aussagen in
Heiligen Schriften (z.B. der jüdisch-christlichen Bibel), was meist vorrangig
im Blick ist.
Religiosität kann sich z.B.
auch in Traditionen zeigen (z.B. Brauchtum).
Zu Religionen können ganz
unterschiedliche Heilslehren, Symbolsysteme, Kulte und Rituale gehören.
Religion (Religiosität) muss auch überhaupt nicht an die Zugehörigkeit zu einer
institutionalisierten Glaubensgemeinschaft, z.B. eine Kirche, oder an
Bekenntnisse bzw. Dogmen gebunden sein.
Weiterhin gibt es große
Weltreligionen, die überhaupt keinen Gott kennen (! - etwa der Buddhismus), bei
denen die Welt keinen Anfang hat und/oder deren Schöpfungsmythen ganz andere
Akteure und Akzente enthalten als die christliche Überlieferung. Eine – formale
– Konkurrenzsituation zu den Darstellungen der Evolutionstheorie muss sich hier
also gar nicht zwingend ergeben.
1.2.3.2 Bibelverständnisse
Verschiedene Menschen können
die gleichen Bibeltexte in ganz unterschiedlicher Weise lesen, verstehen und
auslegen. Es gibt also nicht das eine, für alle Leser oder Hörer gleichermaßen
einsichtige, allein gültige und richtige Bibelverständnis. Es gibt viele
verschiedene Bibelverständnisse. Der Plural ist hier gezielt gewählt. Und er
ist angemessen. Das ist für Außenstehende sicher verwirrend, und auch für
manche Christen ist es eine überraschende Erfahrung, dass andere in diesen
Texten ganz andere Entdeckungen machen. Diese Vielfalt kann schmerzen, sie kann
aber auch als befreiend und bereichernd erfahren werden.
1.2.3.2.1 Wörtliches
Bibelverständnis
Zu Anfang ein Bekenntnis,
das mehr eine nüchterne Feststellung ist:
In meinem Lebensalltag lese und verstehe ich Texte normalerweise „wörtlich“,
nämlich indem ich ihrem Wortlaut folge und vertraue!
Ein wörtliches Verständnis
von Texten, die nicht erkennbar poetisch oder fiktiv sein sollen, ist nicht nur
nahe liegend, sondern eigentlich im Alltag selbstverständlich.
Wenn Menschen einander etwas
Wichtiges mitteilen, dann ist der Adressat gut beraten, sich an den Wortlaut zu
halten. Er kann und muss davon ausgehen, dass er die Worte, die er hört oder
liest, so ernst nehmen soll, wie sie dastehen: dass an dieser Stelle ein ganz
bestimmter Ausdruck gewählt wurde, dass die Worte in einer beabsichtigten Reihenfolge
angeordnet sind, dass Namen von Personen und Orten, Zahlenangaben, geschilderte
Geschehensabläufe usw. exakt wiedergegeben sind. Dass die Geschichten, die wir
einander schon im normalen Alltag erzählen, nicht nur ernst gemeint sind, sondern
auch inhaltlich „stimmen“ (richtige Angaben machen), davon müssen wir ausgehen.
Was man in dieser Weise als wichtige Nachricht erfahren hat, wird man
versuchen, in aller Verantwortung und Detailtreue aufzubewahren, und so auch
anderen Menschen weiterzusagen, vielleicht über Generationen hinweg.
So gehe ich in meinem Alltag mit Texten um - ich lese und verstehe sie
„wörtlich“.
Nun handelt es sich bei der
Bibel um eine Sammlung von Texten, die zwei- bis dreitausend Jahre alt sind.
Aber sie liegen uns schriftlich fixiert vor, in Worten, die wir lesen können
(in der Regel allerdings nur als Übersetzungen). Und so haben Menschen zu allen
Zeiten immer wieder auch diese Texte ganz alltags-normal und unkritisch aufgeschlagen
und darin gelesen. Und sie haben sie wörtlich verstanden. Das, was sie da
lasen, wurde nicht nur (in religiöser Überhöhung) als „wahr“, sondern auch (in
seinen irdisch-sachlich-faktischen Angaben) als „richtig“ verstanden. Über viele
Jahrhunderte ergaben sich dabei keinerlei Widersprüche zu den allgemein
akzeptierten Weltvorstellungen (was z.B. den zeitlichen Horizont der
Erdgeschichte betraf oder die Alltags-Erfahrung einer grundsätzlich
unveränderlichen Natur).
Auch heute noch lesen und
verstehen viele Juden und Christen die Texte der Bibel als zeitlos gültige
Botschaften, die sowohl „wahr“ als auch „richtig“ sind. Da es sich hier um
heilige Texte in einer „heiligen Schrift“ (Bibel) handelt, die das Fundament
ganzer Religionsgemeinschaften darstellen, ist für sie das Vertrauen auf die
Verlässlichkeit der übermittelten Geschehnisse und Fakten nicht nur notwendig,
sondern erscheint noch viel bedeutsamer als bei anderen Texten. In dieser Sicht
können und müssen biblische Texte auch von uns heute 1 zu 1 im Wortlaut
verstanden werden. „Das steht doch eindeutig so da“ - und warum sonst hätte
die ganze religiöse Tradition so lange unverrückbar an ihnen festhalten
sollen?
So verständlich dieses
Festhalten am ursprünglichen Wortlaut der Bibeltexte auch ist, es muss sich in
unseren Tagen mit einigen Fragen auseinandersetzen:
Voraussetzung für eine
ideale fehlerfreie Kommunikation, die über Texte stattfindet, ist natürlich,
dass Autor und Leser die „gleiche Sprache“ sprechen, dass sie in der gleichen
Zeit und in der gleichen Kultur zu Hause sind, damit ein unterschiedliches
Verständnis von Vokabeln, Bildern oder Zusammenhängen (wenigstens weitgehend)
ausgeschlossen werden kann. Dies ist aber beim Lesen und Verstehen biblischer
Texte nicht gegeben.
Zwischen der Entstehungszeit
der Texte und uns liegt ein sehr langer Zeitraum. Im Laufe der vielen
Jahrhunderte haben Begriffe ihre Bedeutung verändert, sind damals
selbstverständliche Lebenszusammenhänge für uns kaum noch zu verstehen oder werden
falsch zugeordnet. Natur wurde früher ganz anders erlebt und verstanden (hatte
z.B. göttliche Attribute). Da helfen zum „wörtlichen“ Verständnis auch
ausführliche Wörterbücher nur begrenzt. Wir haben damals nicht gelebt, und das
eigentlich notwendige „Sich-Hineinversetzen“ in die Lebensumstände jener Zeit
ist nur höchst unvollkommen zu leisten.
Man geht heute davon aus,
dass viele Texte, die in der Bibel aufbewahrt sind (v.a. im Alten Testament),
über mehrere Jahrhunderte ausschließlich mündlich überliefert wurden,
weitererzählt vom Vater auf den Sohn oder innerhalb der Priesterschaft. Solche
mündliche Vermittlung kann auf der einen Seite über viele Generationen
erstaunlich exakt sein. Aber die ursprüngliche Fassung der Texte verliert sich
im Nebel der Vergangenheit. Auch die ältesten schriftlichen Aufzeichnungen
sind in der Regel nicht erhalten. Das aber wäre ja der eigentliche Wortlaut,
auf den man sich beziehen müsste. Die ältesten biblischen Texte liegen oft nur
in Gestalt von Fragmenten vor („Schnipsel“, Text-Teile). In der Regel handelt
es sich um Abschriften von Abschriften, die Jahrzehnte oder Jahrhunderte nach
der Erstfassung erstellt wurden. Die Originale, an denen allein man die
Texttreue überprüfen könnte, sind nicht erhalten. Und wo mehrere „Ur-Schriften“
vergleichbaren Alters und vergleichbarer Qualität vorliegen, stehen – z.B. im
Zusammenhang mit dem Lebensalter konkreter handelnder Personen – manchmal
verwirrend voneinander abweichende Angaben. Welche ist dann würdig, mit ihrem
Wortlaut als Bezugsgröße zu dienen?
Ein erhebliches Problem
ergibt sich für den „Normal-Christen“ daraus, dass er gar nicht in der Lage
ist, frühe Originalquellen zu Rate zu ziehen. Die meisten Texte des Alten
Testaments sind ursprünglich in hebräischer Sprache verfasst worden, die des
Neuen Testaments in griechisch. Selbst wer des Hebräischen mächtig ist, hat
massive Verstehensprobleme, weil der Originaltext ohne Überschriften, ohne
Punkt, Komma oder Fragezeichen geschrieben ist, keine Vokale enthält (die dem
Wort erst die richtige Bedeutung geben), keine Hilfsverben kennt, auch keinen
Komparativ und Superlativ, und der andere grammatische Zeitformen verwendet als
das Deutsche (das eine gleiche Wort kann bedeuten, dass ein Vorgang sowohl
früher stattgefunden hat als auch sich derzeit ereignet und dass er für alle
Zukunft stattfinden wird). Die meisten Leser biblischer Texte in Deutschland
sind immer auf Übersetzungen angewiesen. Diese bestehen zwar auch aus Worten,
aber eben aus deutschen, und die können den im Original gemeinten Inhalt im
Idealfall „sinngemäß“ „treffen“, aber sie müssen es nicht. Auch in den in
bester Absicht verfassten „wörtlichen“ Übersetzungen ist es unvermeidlich, dass
Deutungen oder Interpretationen des Übersetzers mitschwingen und den Text
beeinflussen. Das beginnt schon bei der Wahl eines Begriffes aus dem
Wörterbuch, wenn dieses mehrere Entsprechungen für einen hebräischen Begriff
anbietet – hier wird der Übersetzer auswählen und entscheiden, dabei schwingen
seine eigenen biografischen Erfahrungen ebenso mit wie seine theologischen
Grundüberzeugungen. Der Vergleich von verschiedenen soliden deutschen
Bibelübersetzungen macht hier schnell deutlich, wie unterschiedlich die
Übersetzer in manchen Fällen die gleiche Bibelstelle verstanden haben.
Die Frage, die zu klären ist, wenn jemand auf dem „Wortlaut der Bibel“ beharrt,
heißt also nüchtern: Auf den Wortlaut in welcher Sprache in welcher Übersetzung
beziehe ich mich, und was macht mich so sicher, hier das ursprünglich Gemeinte
zu finden?
Trotz all dieser Rückfragen
vertrauen viele Christen auch heute noch darauf, dass die Bibel, deren
Textgehalt sich nicht verändert (hat), im Wortlaut wahr ist und durchgehend
„richtige“ Aussagen auch zu naturwissenschaftlichen Fragestellungen macht. Ein
„Datum“ der Schöpfung vor etwa 6000 Jahren, Adam und Eva als erste Menschen,
das Auftreten einer Sintflut usw. werden (meist wenig reflektiert) als
selbstverständlich akzeptiert. Die meisten Menschen mit solchen
Glaubensüberzeugungen würden sich selbst nicht als „Kreationisten“ bezeichnen
und sollten nicht mit ihnen gleichgesetzt werden – sie teilen mit ihnen
lediglich das wörtliche Bibelverständnis (Genaueres zum „Kreationismus“ siehe
Kap. 1.2.4.2.1).
1.2.3.2.2 Eine grundsätzliche
Problemanzeige
Eine ausführliche und
differenzierte Einführung, wann und in welchem kulturellen Umfeld biblische
Texte entstanden sind und was man beachten müsste, um sie „recht“ zu verstehen,
ihrem wirklichen Sinn auf die Spur zu kommen – eine solche Hilfe hat ein Hörer
oder Leser im Normalfall NICHT zur Hand.
Wenn ein Kind religiös erzogen werden soll, würde man ihm vielleicht biblische
Geschichten einfach (im Wortlaut oder leicht „geglättet“) erzählen oder
vorlesen.
Wenn ein interessierter Zeitgenosse (der ohne jede religiöse Vorprägung von
„außen“ kommt) einfach mal wissen möchte, was Christen denn so glauben – dann
würde man ihm vielleicht eine Bibel (Druckdatum 2009) in die Hand drücken, und
er würde auf Seite 1 zu lesen beginnen, mit der Geschichte von der „Schöpfung“
…
Es gibt auch Biologie-Lehrbücher, in denen Textstellen aus der Bibel als
Randspalte abgedruckt werden.
Darf man biblische Texte in
solcher oder ähnlicher Weise einem Leser kommentarlos „zumuten“?
„Bibeltreue“ Christen, die
sich auf den Wortlaut der Bibel verlassen, werden sagen: Ja, (nur) so ist ein
unmittelbarer, unverfälschter Zugang zum „Wort“ möglich.
Ich halte die unvermittelte
Lektüre in mehrfacher Hinsicht für bedenklich.
Wenn z.B. ein munterer Junge
in der 2. Klasse in der Christenlehre seiner Kirchgemeinde die Geschichte vom
Propheten Jona erzählt bekommt (Bibel, Jona 2,1ff.) – wird er dann nicht
begeistert zu Hause davon berichten, was er heute gelernt hat: Dass große
Fische (Walfische?) Menschen fressen, dass ein Mensch aber im Bauch eines solchen
Fisches drei Tage lang überleben und dann unversehrt wieder ausgespuckt werden
kann!
Wenn ein neugieriger Leser in den ersten Kapiteln der Bibel stöbert und dort
liest von der Entstehung der Welt vor 6000 Jahren (das müsste er mühsam aus den
Angaben in verschiedenen Texten addieren), dass im Ablauf einer Kalenderwoche
der gesamte Kosmos, die Erde, alle heutigen Tier- und Pflanzenarten erscheinen,
dass die Menschheitsgeschichte mit Adam und Eva beginnt, wenig später eine
weltweite Sintflut die gesamte Erde überspült …
Nicht nur ein Kind wird diese eindrücklichen Darstellungen als spannenden
Dokumentarbericht lesen und lebenslang verinnerlichen („So also war das am
Anfang – das berichtet die Bibel!“). Der Schmerz kann tief sein, wenn dann in
der Schule (oder in den Medien) ganz andere Vorstellungen zum Anfang der Welt
vermittelt werden.
Und
der neugierige Atheist, der einmal konkreter wissen wollte, was Christen denn
so glauben, und dem ich einfach mal eine Bibel in die Hand gedrückt habe – ob
er nicht nach Lektüre des ersten Kapitels etwas verwirrt ist und mich fragt:
„Und das glaubt ihr, wörtlich?“ Wenn ich nicht spätestens dann erklären kann,
was meinen Glauben wirklich und außerdem ausmacht und welche Rolle dabei dann
auch die überlieferten Texte spielen, wird er wahrscheinlich an meiner
Kompetenz für den Alltag zweifeln. Wenn er nicht längst fassungslos das Buch
weggelegt hat und es nie wieder in die Hand nimmt, oder in einen Kampf zieht,
um solche – wörtlich eben missverstandenen – Ideen militant zu bekämpfen, wie
das z.B. Richard Dawkins tut (Q71 Dawkins, Richard: Der Gotteswahn,
Ullstein, Berlin, 2008)[1]
Viele Pfarrer – ausgebildete Theologen mit dem nötigen Überblick in Bibelkunde
und Auslegung biblischer Texte – muten oder trauen ihren „normalen“
Gemeindegliedern einen differenzierten Umgang mit biblischen Texten nicht zu.
(Quelle: Q77 Drewermann, Eugen: Glauben in Freiheit, Bd. 3. Religion
und Naturwissenschaft, Teil 1. „Der sechste Tag: Die Herkunft des Menschen und die
Frage nach Gott“, Walter-Verlag Zürich u. Düsseldorf, 1998, S.56-58)
„… veröffentlichte die Päpstliche Bibelkommission
unter PIUS XII. 1948 eine Erklärung an den Erzbischof von Paris … dass man die
Historizität der ersten elf Kapitel der Genesis weder verneinen „noch einfach
bejahen könne“, sie gehörten keiner modernen literarischen Gattung an, und wer
sage, sie seien „nicht historisch“, der lege das Verständnis nahe, sie seien
ohne historische Bedeutung, „wo sie doch in einfachen und bildhaften Worten,
die der Fassungskraft weniger gebildeter Menschen entsprechen, die fundamentalen
Heilswahrheiten wiedergeben und auch in volkstümlicher Weise den Ursprung des
Menschen und des auserwählten Volkes beschreiben.“ …
Papst Johannes Paul II. … erklärte im Weltkatechismus
von 1992 (Nr.390), dass die Geschichte vom „Sündenfall“ (Gen. 3,1-7) zwar eine
bildhafte Sprache verwende, „aber ein ursprüngliches Ereignis bestätigt, eine
Tatsache, die am Beginn der Menschheitsgeschichte stattgefunden hat.“ …
(Drewermann meint
dazu:) „Bildhafte
Geschichten“ können sehr tiefsinnig sein, doch nur, wenn man sie nicht dazu
benutzt, die ganze Menschheit auf dem Niveau von „Wenigergebildeten“ zu halten!
Auch an anderen Stellen in
der christlichen Tradition kommen missverständliche und deutungsbedürftige
Vokabeln aus dem biblischen Sprachgut vor, z.B. in vielen Liedern, die in den
Gesangbüchern stehen, auch in den aktuellsten. Wenn dort von Hölle, Teufel,
Himmelsthron oder Drachen die Rede ist, muss man sich klar machen, dass die
Bedeutung dieser „Worte“ sich in den Jahrhunderten gewandelt hat, und dass sie
eigentlich immer erklärt werden müssten.
1.2.3.2.3 Historisch-kritisches
Bibelverständnis
In der Theologie der großen
christlichen Kirchen in Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten weithin
das so genannte „historisch-kritische Bibelverständnis“ durchgesetzt.
Im historisch-kritischen
Verständnis wird davon ausgegangen, dass man sich mit der Bibel auch
wissenschaftlich („kritisch“) als einem Zeitzeugnis („historisch“ überlieferte
Textsammlung aus der Antike) auseinandersetzen kann.
Aus biblischen Texten
können die zeitgeschichtlichen Umstände der Entstehung, ihr „Sitz im Leben“ für
die damaligen Menschen, erschlossen werden.
In der Bibel legen
verschiedene Menschen Zeugnis ab von ihren persönlichen Glaubenserfahrungen.
Sie reden in einer konkreten Zeit und in einer konkreten Situation, die sie
erleben und die sie geprägt hat. Sie wollen sich gegenüber anderen Menschen in
ihrer Zeit verständlich machen, und sie verwenden dabei die damals
(selbst-)verständlichen Weltvorstellungen.
Für das Verstehen der in
der Bibel überlieferten Texte kann es hilfreich sein, die verschiedenen literarischen
Ausdrucks-Formen von den übermittelten Glaubens-Inhalten zu
unterscheiden. Das Reden von Gott ist für Menschen anders nicht möglich als in
der unvollkommenen Sprache von Bildern, Metaphern, Gleichnissen. Die Art der
literarischen Darstellung hat sich im Laufe der Entstehungsgeschichte der
Bibel immer wieder gewandelt, es finden sich z.B. Lieder, Chroniken, Parabeln,
Paradoxa und Lehrtexte. Der Kern der Glaubensaussagen, die tiefen
Grundwahrheiten, die in immer neuer Weise erlebt und überliefert wurden, blieben
dennoch zeitlos wichtig.
Die Bibel ist in diesem Verständnis
ein Buch des Glaubens, das zum Leben helfen will, das Werte und Orientierung
vermittelt. Die Bibel ist nicht geschrieben und geeignet als Lehrbuch für den
naturwissenschaftlichen Unterricht.
Hier wird das Reden von
Gott als offenes Geschehen verstanden, das nie zu fertigen, endgültigen Antworten
kommt. Man könnte sagen – vergleiche dazu die Aussagen zu den vorläufigen und
revidierbaren Ergebnissen naturwissenschaftlichen Forschens im Kapitel
1.2.2.2 – dass auch der Glaube, auch die Theologie immer neue „Hypothesen über
Gott“ [2] bilden, die stammelnd und stotternd und
suchend in Gleichnissen, in (Sprach-)Bildern wiedergegeben und weitergegeben
werden, die aber unvollkommene Annäherungen bleiben und nie endgültige Wahrheiten
- verstanden als Gewissheiten über Gott und sein Handeln im Sinne von Definitionen
- darstellen. Allerdings gibt es auch hier eine Prüfinstanz: Religiöser Glaube
muss sich genauso wie eine physikalische Theorie im Leben bewähren, er muss
zum Leben helfen.
Im historisch-kritischen
Verständnis ist der Glaube kein abgeschlossenes, sondern immer ein offenes
System. Nicht zu jeder Frage, die sich uns Menschen in dieser Welt stellt,
steht eine endgültige und erschöpfende Antwort in der Bibel (zum Beispiel zu
der Frage, ob wir Gentechnik oder Atomenergie nutzen dürfen). Die Bibel bietet
grundsätzliche Wertmaßstäbe zur Orientierung an – aber der glaubende Mensch
darf und muss in seiner konkreten Lebens-Situation selbst nach Antworten
suchen, Entscheidungen treffen und auch die Verantwortung für sein Handeln
übernehmen.
1.2.3.2.4 Es gibt so viele
Bibelverständnisse,
wie es Christen gibt
Mit dieser Überschrift soll
nur darauf hingewiesen werden, dass die beiden vorstehend behandelten Bibelverständnisse
nicht die einzigen sind und dass viele Christen ihre Erfahrungen und Einsichten
im Umgang mit biblischen Texten dort nur in Ansätzen oder überhaupt nicht
angemessen wiedergegeben finden würden. Manche würden sicher noch ganz andere
Aspekte benennen, die ihnen den Zugang zur Bibel ermöglichen. Und viele haben
wohl noch nie intensiv darüber nachgedacht, dass sie ein „Bibelverständnis“
haben und wie sie es charakterisieren würden.
1.2.3.3 Zum Begriff „Schöpfung“:
Schöpfungsvorstellungen und
Schöpfungsglaube
Fritzchen
kommt aufgeregt aus der Schule nach Hause. Er berichtet vom
Religionsunterricht: „Mutti, jetzt weiß ich, was Gott ist …“ - Die Mutter guckt
neugierig. - „Gott ist ein Trichter!“, sagt Fritzchen stolz. - Die Mutter ist
ratlos: „Hast du da vielleicht was falsch verstanden?“ Der Sohn erzählt noch
ein bisschen, und dann hat sie eine Vermutung: „Hat die Lehrerin vielleicht
gesagt, dass Gott ein Schöpfer ist?“ Fritzchen stimmt zu: „Von mir aus
Schöpfer, aber irgendetwas aus der Küche war´s doch!“
Nicht
nur Fritzchen in diesem Witz dürfte seine Schwierigkeiten mit dem Wort und dem
Phänomen „Schöpfer“ (und „Schöpfung“) haben. Es ist vor allem für Menschen, die
nicht in einer religiös geprägten Umgebung aufgewachsen sind, ein schwieriges,
fremdes Wort, es ist erklärungsbedürftig.
Hier dürfte auch mancher erwachsene „Fritz“, z.B. wenn er Biologie-Lehrer ist,
zunächst überfordert sein.
„Schaffen“ ist in der Bibel ein Verb (hebräisch „bara“), das allein für das
Handeln Gottes vorbehalten ist (daneben wird noch ein zweites Verb verwendet,
„asah“, das etwa mit „machen“ im Sinne von handwerklicher Tätigkeit zu
verstehen ist). „Bara“ wird nie im Zusammenhang mit Menschen als handelnden
Subjekten verwendet - Menschen können nicht schaffen, sie können letztlich
auch nicht verstehen, was sich ereignet, wenn Gott „schaffend“, „schöpferisch“
am Werk ist. Und wenn Menschen dennoch von dem reden oder schreiben, was sie
selbst nicht (hervorbringen) können und verstehen, können sie nur stottern,
stammeln, Vermutungen („Hypothesen“!) in menschlichen Bildern äußern. In diesem
Sinne sind biblische Darstellungen immer unvollkommene und deutbare Versuche,
Unverstehbares verständlich zu machen.
Das
Verb, das im Deutschen zum Substantiv „Schöpfung“ und zum „Schöpfer“ gehört,
heißt „schaffen“, und wird heute in diesem Zusammenhang nur noch stark
konjugiert: „schuf“, „geschaffen“. Manchmal liest man auch in seriösen
Publikationen noch die veraltete Sprachform, nach der Gott „schöpfte“ oder „geschöpft
hat“.
Wenn in der Bibel von
„Schöpfung“ die Rede ist, dann meint das ein Geschehen, das wohl am (und „im“)
Anfang aller Dinge (als tragendes Fundament, als sinngebender Urgrund) eine
Rolle spielt, aber „Schöpfung“ findet auch hier und heute statt und sie wird
sich in alle Zukunft hinein weiter ereignen.
Die Vorstellung, dass es nur
um einen einmaligen Akt des Hervorbringens in der Vergangenheit gehe, und dass
seitdem keine grundlegenden Änderungen mehr stattgefunden haben (z.B. eine
„Konstanz der Arten“ bei Lebewesen vorliegt), war in der Vergangenheit und ist
auch heute noch bei vielen Menschen (glaubenden und nicht-glaubenden!) weit
verbreitet. Sie verengt jedoch die Weite des Begriffes „Schöpfung“ und führt
bestenfalls zu Missverständnissen.
Ein Beispiel:
(Quelle: B11 CORNELSEN
/ VOLK UND WISSEN; Biologie plus, Klasse 10 Gymnasium, Sachsen, Berlin, 2006,
S.102ff.)
(Randspalte) Schon gewusst?
Schöpfungslehren gehen davon aus, dass die Lebewesen durch ein
oder mehrere höhere Wesen geschaffen wurden.
Hier wird zunächst
ausgesagt, dass (die Lebewesen) geschaffen wurden, Schöpfung demnach als
ein Ereignis verstanden, das in der Vergangenheit liegt und abgeschlossen ist (zeitlich
und im Ergebnis). Eine solche Vorstellung entsprach und entspricht tatsächlich
dem Verständnis, das manche Christen haben und das auch so gelehrt wurde und
wird. Aber: Nicht alle Schöpfungsvorstellungen sind in dieser Weise festgelegt.
Es gab immer in der Tradition der Kirche auch das Reden von der „creatio
continua“, der Schöpfung, die fortdauert, in der Gott in der Geschichte weiter
handelt und in der fortwährend Neues entsteht.
Es sind auch nicht nur „die Lebewesen“, um die es in der „Schöpfung“ geht, im
jüdisch-christlichen Verständnis gehört dazu die gesamte materielle Welt, also
auch Wasser und Steine und Himmelskörper (Sonne, Mond und Sterne). Gott hat
„Himmel und Erde“ geschaffen, damit ist die ganze Welt gemeint, auch der
„Himmel“ gehört zu den Geschöpfen.
In den folgend
wiedergegebenen Zitaten wird als Ursache für manche Missverständnisse zwischen
Schöpfungsglaube und Naturwissenschaft vermutet, „dass die Naturwissenschaft
wahrscheinlich von Anfang an einen falschen Schöpfungsbegriff“, dass man dort
„eine „sehr defiziente Schöpfungstheologie“ hatte.
(Quelle: Q18 Horn,
S.O., Wiedenhofer, S. (Hrsg.):Schöpfung und Evolution – Eine Tagung mit Papst
Benedikt XVI. in Castel Gandolfo; Sankt Ulrich Verlag, Augsburg, 2007)
S.129
(Vincent Twomey in der Diskussion:)
Das Problem ist, glaube ich, dass die Naturwissenschaft wahrscheinlich von
Anfang an einen falschen Schöpfungsbegriff hatte , dass nämlich Gott als
Lückenbüßer verstanden wurde…
S.133
(Christoph Kardinal Schönborn in der
Diskussion:)
Viele der Probleme, die in der jetzigen Diskussion aufgeworfen werden und die
schon bei Darwin sehr deutlich zu sehen waren, rühren daher, dass man in
diesen Kreisen eine sehr defiziente Schöpfungstheologie hatte,
gegen die man dann zu Felde zog …
Abgesehen von dem abschätzigen Tonfall („in diesen Kreisen“ – genannt wird Darwin): Das ist schon starker Toback! Denn wenn jemand für die (Auf-)Klärung des Verständnisses von „Schöpfung“ zuständig ist, kann das nur die Theologie sein. Und die Theologie war es doch, die (zu) lange ein wörtliches Schöpfungsverständnis hatte (inklusive Konstanz der Arten), es gelehrt und verteidigt hat, ein Verständnis, von dem sie heute meint, dass es falsch gewesen sei. Dann kann man aber nicht gemäß dem Motto „Haltet den Dieb!“ die Naturwissenschaftler für die Auseinandersetzungen um das neue Weltbild (Kopernikus) oder um die Geschichte der Lebewesen (Darwin) verantwortlich machen! Sie sind den (falschen) Vorgaben der Theologen in deren Zuständigkeitsbereich lange Zeit tapfer gefolgt und haben sich mit schlechtem Gewissen und in mühsamen Kämpfen dagegen zur Wehr gesetzt und das Missverständnis „aufgeklärt“.
Ein
weit verbreitetes Verständnis, aus dem sich viele Kontroversen herleiten
lassen, ist dennoch, dass unter „Schöpfung“ ein Datum verstanden
wird, das in der Vergangenheit liegt, und ein Zustand, der von (einem)
Gott einmal hergestellt worden ist und der sich grundsätzlich im Laufe der
Geschichte nicht mehr ändert, und der auch die „Konstanz der Arten“, die
Unveränderlichkeit der biologischen Arten, umfasst. Dieses Verständnis war
(auch) unter Theologen lange Zeit weit verbreitet, und es ist von vielen
Menschen, auch von Naturwissenschaftlern, von ihnen übernommen und als
„sachlich richtig“ verstanden und akzeptiert worden.
Charles Darwin setzt sich übrigens nur unter diesem Gesichtpunkt kritisch mit
den „Schöpfungsgläubigen“ auseinander:
(Q7 Darwin, Ch.: Die Abstammung des
Menschen und die Zuchtwahl in geschlechtlicher Beziehung, Reclam, Leipzig
o.J., Bd. II, S.92):
„... so habe ich doch
wenigstens, ich hoffe es, ein gutes Werk verrichtet, indem ich dazu beigetragen
habe, das Dogma der besonderen Schöpfungsakte zu stürzen.“
(Q8 Darwin, Ch.: Die Entstehung der
Arten durch natürliche Zuchtwahl, Reclam Leipzig 1980, S174ff.):
(Zebra, Esel, Pferderassen)
„Wer da glaubt, dass alle Pferdearten unabhängig voneinander erschaffen wurden
... Dieser Ansicht huldigen, heißt meines Erachtens eine reale Ursache für eine
unreale oder wenigstens unbekannte zu opfern. Sie würdigt die Werke Gottes
zu Trug und Täuschung herab; ich möchte dann fast ebenso mit den alten unwissenden Kosmogonisten
annehmen, dass die fossilen Muscheln nie Leben bargen, sondern im Stein
erschaffen wurden, um die an der Seeküste lebenden Schaltiere nachzuahmen.“
Auch ein bedeutender
christlicher Theologe der Gegenwart erschließt gerade aus dem Text der ersten
„Schöpfungsgeschichte“, dass ein Gegensatz von Schaffen und Entstehen daraus
nicht abzuleiten ist:
(Q36 Westermann, Claus:
Genesis, Kapitel 1-11, Teil 2, Evangelische Verlagsanstalt Berlin 1985, S.172ff.)
(Zum ersten Kapitel der Bibel – zum dritten „Schöpfungstag“, an dem die
Pflanzen geschaffen werden: Gen1,11):
„Und Gott sprach: Es
ergrüne die Erde in Grünem!“ – Gottes Wort gibt jetzt die Schöpfermacht ab,
d.h. das Wort wird zur Anordnung an das zuvor Geschaffene, selbst das weitere
Neue entstehen zu lassen. … (in Gen.1,12 geschieht es dann: „Und die Erde
ließ frisches Grün sprossen …“)
Damit aber, dass an dieser Stelle das Schaffen Gottes für das Entstehen
offen ist, ist ein grundsätzlicher Gegensatz von Schaffen und Entstehen nicht
mehr möglich und nicht mehr nötig. …
„Die Erde brachte hervor“.
Was als Gebot formuliert „es ergrüne die Erde in Grünem“ hieß, wird in der
Ausführung mit einem anderen Verb genannt: „die Erde bringe hervor“. Dasselbe
Verb wird mit dem gleichen Subjekt dann noch einmal Gen.1,24 gebraucht, hier
in der Formulierung des Befehls: „Die Erde bringe lebende Wesen hervor.“ Dieses
„Hervorbringen“[3] ist
zunächst einfach so gemeint: „etwas, was darinnen ist, herauskommen lassen“. Die
Pflanzen sind in der Erde, und die Erde lässt sie herauskommen … Dahinter
steht die über die ganze Erde verbreitete Vorstellung von der „Mutter Erde“,
der Erde als Gebärerin alles Lebendigen und auch aller Vegetation;
Die beiden Verse können beispielhaft zeigen, wie das Reden von der Schöpfung
nur in der Folge verschiedener Darstellungsweisen möglich ist; die (in diesem
Text) in der Mitte stehende und eigentlich gemeinte Darstellung der Erschaffung
der Pflanzen durch das Wort des Schöpfers schließt weder die uralte
Vorstellung des Entstehens (des Lebens) aus der Erde noch das später
aufkommende Fragen nach der Art und Weise des Entstehens aus
Noch ein letzter interessanter
„Zeuge“ sei benannt.
In seinem „Kleinen Katechismus“ von 1529 meditiert und erläutert Martin Luther,
was für ihn der erste Artikel im christlichen Glaubensbekenntnis aussagt, der
in knapper Form den Inhalt des ersten Kapitels der Bibel zusammenfasst:
(Q64
Martin Luther: Der Kleine Katechismus (1529), Erklärung zum ersten Artikel des
christlichen Glaubensbekenntnisses)
Der erste Artikel: Von der Schöpfung
Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und
der Erde.
Was
ist das?
Ich glaube, dass mich Gott
geschaffen hat samt allen Kreaturen,
mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne
gegeben hat und noch erhält;
dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind, Acker,
Vieh und alle Güter;
mit allem, was not tut für Leib und Leben, mich reichlich und täglich
versorgt,
in allen Gefahren beschirmt und vor allem Übel behütet und bewahrt;
und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohn all
mein Verdienst und Würdigkeit: für all das ich ihm zu danken und zu loben
und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin.
„Schöpfung“ meint danach
nicht, dass ich in einer alten Geschichte nachlesen kann, was sich „damals“
(vor langer Zeit und als einmaliges Geschehen) abgespielt hat (im Sinne einer
dokumentarischen Schilderung). „Schöpfung“ ist etwas, was MICH HIER
und HEUTE in meiner Existenz betrifft!
Überraschenderweise spielen
beim Nachdenken über „Schöpfung“ für Martin Luther Kosmos, Gestirne, Tiere,
Pflanzen oder „der“ Mensch überhaupt keine Rolle (wie sich das eigentlich vom
Wortlaut des ersten Glaubensartikels her nahe legte).
Das Nachdenken über Schöpfer und Schöpfung beginnt bei Luther mit seiner
eigenen Existenz, seinem ICH: „Schöpfung“ ist überhaupt nur spannend, weil
ich sie er-leben, dabei sein kann, es geht zentral um mich und nicht um große,
aber letztlich abstrakte Dinge wie etwa die ganze Welt oder den Anfang von
allem.
(Q68
Christian Schwarke / Roland Biewald: Weltbilder – Menschenbilder; Themenhefte
Religion, Ev. Verlagsanstalt Leipzig, 2003, S.27)
„Für Luther ist Schöpfung vor allem eine
Beziehungskategorie. Die Dinge erweisen sich insofern als Gottes Schöpfung,
als sie von Gott für mich geordnet sind. Die Welt wird als Teil einer
Dreierbeziehung (Gott – Mensch – Welt) zur „Schöpfung“, insofern ihr ein Sinn
zukommt.“
Der Glaube bringt mir
Vergewisserung, DASS Gott MICH gewollt hat (das ist eine Aussage des
Vertrauens, des Glaubens – keine naturwissenschaftlich nachweisbare Tatsache).
Dann folgt aber gleich die
Einordnung in den Zusammenhang. Es geht nicht allein um mich. Gott hat mich
neben viele andere Geschöpfe gestellt, ich bin Geschöpf unter Millionen Arten
von anderem Leben. Der Mensch ist Geschöpf - und kein Halbgott.
Nun folgt noch eine
Ergänzung – dass Gott seine Schöpfung auch jetzt noch erhält. Das macht klar:
das Nachdenken über Schöpfung ist nicht vorrangig an der Vergangenheit
orientiert, an der Frage nach den Ursprüngen, sondern Schöpfung erlebe ich
hier und heute. Schöpfung geschieht ständig neu. Wenn eine Knospe sich öffnet,
wenn ein Kind geboren wird, kommt eine neue Farbe in die Welt.
Weiter ist Luther dankbar
dafür, dass Gott ihm „Vernunft und alle Sinne gegeben hat“, seinen Verstand und
seine Gefühle. Die forschende Neugier und der erklärende Verstand sind
Begabungen, die auch Christen dankbar nutzen dürfen. Naturwissenschaft zu
betreiben, wenigstens deren Erkenntnissen offen zu begegnen, ist für Christen
nicht verboten.
Luther sagt, dass Gott ihm
auch Kleider und Schuhe gegeben hat. Das ist natürlich Reden in Bildern, und
es wäre in wörtlichem Verständnis miss-verstanden. Sicher wusste Luther, wo
sein Schuster wohnt und wer seinen Mantel genäht hatte, ihm war klar, dass da
menschliche Fertigkeiten unverzichtbar waren. Aber er wollte mit diesem Bild
(„gegeben von Gott“) deutlich machen, dass für ihn – in seinem Verständnis, in
seiner Erfahrung - die Zuwendung Gottes bei allem Lebenswichtigen dazukommen
muss, damit sein Leben gelingen kann.
Und das Bekenntnis zum Schöpfer mündet bei Luther in Dankbarkeit und Verantwortung
- für sein eigenes Leben und für die Welt.
Dieses
Schöpfungs-Verständnis Luthers ist bis heute das Verständnis der evangelischen
Kirche geblieben:
(Quelle: Q46 EKD-Texte 94: Weltentstehung,
Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule; eine Orientierungshilfe
des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2008, S.10f.)
Der Dank für das gegenwärtige Wirken Gottes ist die in der Bibel bei weitem
dominante Form des Bekenntnisses zum Schöpfer. …
Beispielhaft ist die Sicht Martin Luthers in seiner
Auslegung des Ersten Artikels im Kleinen Katechismus. Luther denkt – ganz auf
der Linie der biblischen Texte – von der Aktualität des göttlichen Schaffens
her … die Erhaltung der Welt durch Gott realisiert sich als aktuelles Schaffen
in einem nicht einfach als abgeschlossen zu betrachtenden Prozess (creatio
continua). …
Dass ich Gottes Geschöpf bin, erfahre ich nicht in
Spekulationen über die erste Sekunde des Universums, sondern darin, dass ich
mir des Geschenkcharakters meiner eigenen Existenz bewusst werde. …
Im folgenden Lehrbuch-Zitat
wird darauf aufmerksam gemacht, dass biblische Texte dem Geschehen in der Welt
eine (Be-)Deutung geben wollen:
(Quelle: B12 DUDEN /
PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie, Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin,
2005, S.511)
Entstehung des Lebens – ein Rätsel?
Viele Wissenschaftler haben sich bemüht, die Entstehung des Lebens und die
Existenz der Vielfalt der Arten aus z.T. sehr unterschiedlichen Ansätzen heraus
zu erklären. Auch die in der Bibel dargestellte Schöpfungsgeschichte stellt
eine Art Deutung dar.
Es
ist richtig, dass die Schöpfungsgeschichte der Bibel „eine Art Deutung“ der
Welterfahrung des Menschen darstellt. Das meint aber, dass mit diesem Text
nicht vorrangig eine naturwissenschaftliche Erklärung der Zusammenhänge und
Abläufe in der Natur vermittelt werden soll, sondern dass der Welt eine
Bedeutung gegeben wird. Der Mensch erfährt, dass die Existenz der ganzen (wohl
geordneten) Welt, aber auch sein eigenes Dasein, einen (tragenden) „Grund“,
einen Sinn und ein Ziel haben, und dass ihm eine Aufgabe in dieser Welt
zugewiesen ist. Das kann man nur „glauben“, aber nicht „wissen“ und „beweisen“.
Eine solche Welt-Erfahrung und Welt-Deutung kann Vertrauen und Geborgenheit
vermitteln.
(Quelle: Q78 chrismon 4/2008 S.11, Interview mit Friedrich Schweitzer)
In den Schöpfungserzählungen
geht es um das Geschenk, das Gott den Menschen gemacht hat, und darum, dass ich
mich Gott als meinem Schöpfer verdanke – nicht nur vor ewigen Zeiten, sondern
immer.
(Ist die Schöpfungserzählung also metaphorisch gemeint?)
Nein, sie stimmt so wie die Feststellung: Ich liebe dich. Da ist etwas
tatsächlich geschehen, auch wenn es empirisch-rational nicht nachprüfbar ist.
Der
Satz „Ich liebe dich“ ist grammatisch-logisch korrekt. Er hat ein handelndes
Subjekt, einen Adressaten, und der beschreibt eine Beziehung zwischen beiden.
Und doch lässt sich sein (objektiver) Wahrheitsgehalt nicht wissenschaftlich
überprüfen und beweisen.
Dass
in den biblischen Geschichten auch die Weltbildvorstellungen der damaligen Zeit
- die biblischen Texte entstanden vor 2500 bis 3000 Jahren - ihren Niederschlag
gefunden haben (müssen), ist klar. Zusätzlich muss man aber wissen, dass auch
innerhalb der Bibel ganz unterschiedliche Weltbilder aufbewahrt sind, die
nebeneinander stehen bleiben „durften“, eben weil es nicht wichtig war, hier
zwischen „richtig“ und „falsch“ zu entscheiden, sondern die wichtigeren
(Glaubens-)Aspekte aufzubewahren, die zeitlos gültig blieben, „verpackt“ in
den unvollkommenen und zeitbedingten deutenden Erzählungen konkreter Menschen.
Ein
Fachtheologe für das Verstehen des „Alten Testaments“ schrieb zu der Frage, wo
die Kirche im Aufbruch der Naturwissenschaft versagt habe:
(Q48 Westermann,
Claus: Schöpfung; Kreuz Verlag Stuttgart 1979, S.13f.)
Man hatte aus dem Erzählen von der Schöpfung
und dem Lob des Schöpfers eine Lehre von der Schöpfung gemacht. Das
bedeutete eine Festlegung, etwa auf die sieben Tage des Schöpfungswerkes oder
auf bestimmte Vorstellungen, wie etwa des Himmels als eines festen Körpers. Dies
war ein schweres Missverstehen des Redens von Schöpfer und Schöpfung in der
Bibel. Für dieses ist gerade charakteristisch, dass es erzählend ist, und
zwar von verschiedenen Standorten her, die verschiedene Vorstellungen
ermöglichen …
Niemals wird im Alten Testament vom Glauben an den
Schöpfer gesprochen, niemals begegnet ein Satz wie etwa: „Ich glaube, dass die
Welt von Gott geschaffen ist“ …
Der Grund dafür ist leicht zu sehen: Eine andere Möglichkeit der Weltentstehung
gab es für die Menschen des Alten Testaments nicht. Die Schöpfung war für sie
kein Glaubenssatz, weil es dafür keine Alternative gab. Anders gesagt: Sie
hatten darin ein anderes Wirklichkeitsverständnis als wir, dass es für sie eine
andere als von Gott gesetzte Wirklichkeit nicht gab. Sie brauchten nicht zu
glauben, dass die Welt von Gott geschaffen ist, weil das eine Voraussetzung
ihres Denkens war.
Dass der biblische Text über
„Schöpfung“ in seiner Entstehungszeit durchaus auf dem aktuellen Stand der
Wissenschaft war, wird in folgendem Zitat aus einem Biologie-Lehrbuch in
Erinnerung gerufen:
(Quelle: B12 DUDEN /
PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie, Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin,
2005, S.514)
Der Schöpfungsbericht war aber dennoch für seine Zeit eine enorme
Erkenntnis, denn die Reihenfolge der Schöpfung von Erde und Lebewesen beruht
schon auf einer „wissenschaftlichen Auseinandersetzung“ mit der Entstehung des
Lebens (Erde und Gestirne, Atmosphäre und Wasser, Wasserlebewesen, Lebewesen
des Landes, Mensch)
Die Abfolge,
in der das Schöpfungsgeschehen in der Bibel geschildert wird, erinnert
(ahnungsvoll) in groben Zügen durchaus an die Geschichte der Welt, wie sie uns
auch die moderne Naturwissenschaft erzählt (Licht, dann Himmel und Erde, später
Wasser, Pflanzen, Tiere, Menschen).
Das Verständnis von
„Schöpfung“ wird in manchen Lehrbüchern verengt auf das wörtliche Verständnis
der Darstellungen im ersten Kapitel der jüdisch-christlichen Bibel. Dort ist
zu lesen, dass Gott im Laufe von sechs Schöpfungs-„Tagen“ am Anfang der Welt
zunächst die kosmische Ordnung gestaltet, Lebensräume wie Land und Meer und
Luftraum einrichtet, und dann Lebewesen in die Welt bringt, Pflanzen, Tiere
und Menschen, jedes „nach seiner Art“. Aber kann man diesen Text als
scheinbaren „Dokumentarbericht“ direkt in unsere Zeit übertragen?
Man muss z.B. sehr
vorsichtig sein, den hier verwendeten Artbegriff gleichzusetzen mit der
modernen Definition von „Art“ in der Biologie (die auch heute noch umstritten
ist). Und wenn die Bibel vom Rhythmus von „Tagen“ spricht, in denen sich die
Schöpfung vollzieht, dann ist auch hier Vorsicht angesagt: An anderer Stelle
in der Bibel, im Psalm 90, steht z.B., dass für Gott „tausend Jahre wie ein
Tag“ sind – vielleicht darf hier also auch an lange Epochen in der Weltgeschichte
gedacht werden …
Die Ausführungen im ersten
Kapitel der Bibel sind nicht alles, was in der Bibel zu „Schöpfung“ gesagt
wird. Die Schönheit der Welt und die Bedrohung durch Naturgewalten, der
Auftrag an den Menschen, die Erde zu erforschen und zu nutzen („Macht euch die
Erde untertan“ – das beinhaltet auch die Ermutigung, Naturwissenschaft zu
betreiben!), aber auch Verantwortung für die Mitgeschöpfe zu übernehmen - diese
und viele andere Aspekte begegne(te)n Menschen beim Lesen der Bibel und
stellen ihnen Fragen im täglichen Leben hier und heute.
Der Begriff „Schöpfung“ wird
heute oft auch in einer nicht religiösen Öffentlichkeit in einem sehr
allgemeinen Verständnis gebraucht, wenn es etwa um ethische Fragen oder um
Umweltverantwortung geht. Dann stellt er oft ein (gehobenes) Synonym dar für
das Reden von Natur, Erde, Welt oder Leben.
Verfassung des
Freistaates Sachsen vom 27.Mai 1992, Präambel
..von dem Willen geleitet, der Gerechtigkeit, dem
Frieden und der Bewahrung der Schöpfung zu dienen...
Die
in vielen Lehrbüchern vermittelte Vorstellung von (religiös verstandener)
„Schöpfung“ ist einseitig, geprägt allein aus der Geschichtserfahrung und dem
Blickwinkel des christlichen Europas.
Es
gibt wichtige Weltreligionen, die nicht von einer (einmaligen) Schöpfung
erzählen. Der Lauf der Welt wird zum Beispiel im Hinduismus nicht als eine
geschichtliche „Linie“ verstanden, auf der Entwicklung stattfindet (wie etwa im
jüdisch-christlich-abendländischen Denken), sondern vollzieht sich in ewigen
Kreisläufen. Und viele Schöpfungserzählungen aus anderen Kulturkreisen und
Religionen befassen sich allein mit der Herkunft des Menschen. Das Entstehen
der Pflanzen und der Tiere wird nur selten dargestellt:
(Quelle: Q45 Claus Westermann: Schöpfung und
Evolution, Zeitwende 53 (1982) 3, S.146ff.
… bei den Naturvölkern wird fast nur von der
Menschenschöpfung erzählt, die Weltschöpfung kam erst in den Hochkulturen zur
Bedeutung. Auf diesem Unterschied beruht die Gliederung in Naturwissenschaften
und Humanwissenschaften. …
… ist zu beachten, dass die Gliederung von
Pflanzen und Tieren in Arten nicht zu den überkommenen
Schöpfungstraditionen gehört; sie begegnet außerhalb der Bibel nirgends.
…
Pflanzen wurden in den Kulturen
des Altertums gar nicht als „richtige“ Lebewesen verstanden (Sonne, Mond und
Sterne dagegen schon, weil sie sich „bewegen“). Und die Fülle der
mikroorganismischen Lebewesen ist überhaupt nicht „im Blick“: Sie waren vor der
Erfindung des Mikroskops schlicht nicht zu sehen.
Der Glaube daran, dass die
Welt Schöpfung Gottes ist, von ihm gewollt und getragen ist, das Vertrauen
darauf ist im christlichen Glauben tief verwurzelt. WIE Gott wirkt und handelt,
können Menschen nicht verstehen und auch naturwissenschaftlich nicht „wissen“.
Und so stellt der Schöpfungsglaube keine Theorie dar, die eine naturwissenschaftliche
Alternative sein könnte, um die Geschichte der Natur besser und „richtiger“ zu
erklären, als das die Biologie in aller Vorläufigkeit und Unsicherheit
versucht.
(Quelle: Q50 Heller, Bruno:
Naturwissenschaft und die Frage nach der Religion; EZW-Texte Impulse Nr.28, Evangelische Zentralstelle für
Weltanschauungsfragen, Stuttgart 1989)
Die Vorstellung von „der Natur“ ist dem Alten Testament völlig fremd; es
besitzt nicht einmal ein Wort für das, was die Griechen als „physis“
bezeichneten.
1.2.3.4 Die Vorstellung von der
„Konstanz der Arten“
Unter
„Konstanz der Arten“ versteht man die Vorstellung, dass alle ganz unterschiedlichen
Formen („Arten“) in der Tier- und Pflanzenwelt von Anfang an bis heute unverändert
so existiert haben, wie wir sie heute erleben. Wirkliche Veränderungen oder
„Entwicklung“ habe es in der Geschichte der Lebewesen nicht gegeben.
Die
Vorstellung von der „Konstanz der Arten“ war nie Bestandteil einer spezifischen
kirchlichen „Lehre“, eines „Bekenntnisses“ oder ein „Dogma“!
Diese Ansicht war weit verbreitet.
Sie
legte sich zum einen von der Alltagserfahrung her nahe: Die Nachkommen von Lebewesen
ähnelten immer mehr oder weniger stark ihren Eltern.
Die
Vorstellung von der „Konstanz der Arten“ vertrat die Kirche genauso wie der
„heidnische“ Philosoph Aristoteles, wobei dessen Vorstellungen sicher eigenen
Überlegungen entstammten und nicht
von jüdischen Schöpfungsvorstellungen beeinflusst waren. Diese waren
Jahrhunderte älter und in einem ganz anderen Kulturkreis beheimatet.
Und nicht nur die Kirche, sondern auch die Biologen waren bis ins
19.Jahrhundert hinein von dieser Vorstellung überzeugt.
(Quelle: Q17 Ernst Haeckel: Die
Welträthsel, Alfred Kröner Verlag Stuttgart, 1903, S.33)
Carl von Linné (1735):
„Es gibt so viele verschiedene Arten von Tieren und Pflanzen, als im Anfang von
dem unendlichen Wesen erschaffen worden sind."
(Quelle: B24 DUDEN /
PAETEC Schulbuchverlag; Duden Biologie, Gymnasiale Oberstufe, Berlin, 2005,
S.358ff.)
Bis zu Beginn des 19. Jh. herrschte auch bei
Biologen die Lehre von der Konstanz der
Arten vor.
1.2.4 Ideologien mit
Alleinerklärungsanspruch
In der Geschichte der
Naturwissenschaft und der Kirchen hat in den letzten 150 Jahren eine Frage
immer wieder hohe Wellen geschlagen: Wie begegnen sich christlicher
Schöpfungsglaube und die Evolutionstheorie der Naturwissenschaften? Sind sie
wie Feuer und Wasser als einander feindliche Elemente, und ist Kampf und
Auseinandersetzung unausweichlich? Geht es dabei um die Wahrheit, um die Entscheidung für die richtige Sicht der Welt? Oder können die beiden Erfahrungsbereiche
auch nebeneinander bestehen und sich in einem sinnvollen (wenn auch manchmal
streitbar zu führenden) Gespräch gegenseitig anregen und bereichern?
Immer wieder wird die
Meinung vertreten, hier gebe es nur ein Entweder/Oder, es gehe um einen
heiligen Krieg über Gut ODER Böse, Richtig ODER falsch.
Das Thema dieser Auseinandersetzung nimmt auch in den betrachteten
Biologie-Lehrbüchern einen relativ breiten Raum ein.
Im Folgenden sollen zwei Extrempositionen, der „Kreationismus“ wie auch sein
Widerpart, der „Evolutionismus“, dargestellt und eingeordnet werden.
Zunächst seien jedoch einige
Erläuterungen zum Begriff „Ideologie“ gegeben:
1.2.4.1 Zum Begriff „Ideologie“
(Quelle: Q51 Ewald,
Günter: Naturwissenschaftliche und religiöse Ideologien; EZW-Texte Impulse
Nr.35, Evangelische Zentralstelle für
Weltanschauungsfragen, Stuttgart 1993)
S.2
Die Bezeichnung „Ideologie“ taucht zum ersten Mal in
Frankreich zur Zeit der französischen Revolution auf. Eine Gruppe von Gelehrten
und Philosophen versuchte im Gefolge der Aufklärung, eine Psychologie des
Menschen aus biologischen und physiologischen Tatsachen abzuleiten. Die Bewusstseinsinhalte
oder Ideen eines Menschen entstehen danach aus wissenschaftlich
beschreibbaren „Empfindungen“, aus bloßer Sinnlichkeit.
Religiöse Bezüge spielen dabei keine Rolle mehr. Von einem der Gelehrten, Destutt
des Tracys, stammt die Bezeichnung „Ideologie“. Er nennt Ideologie
ausdrücklich einen Teil der Zoologie. Die Gruppe der „Ideologen“ wollte
nicht nur eine akademische naturwissenschaftliche Psychologie entwickeln,
sondern auch Grundlagen für politisches Handeln schaffen. … Allgemeiner sollte
ein Weltbild geschaffen und in das Erziehungswesen eingebracht werden,
durch das ein gesellschaftlicher Konsens und soziale Harmonie verbürgt wird. …
Marx verstand sich nicht in erster Linie selbst als Ideologe, sondern betrieb
Ideologiekritik. Er sagte: Ideologie ist nicht die Bemühung von Einzelpersonen
um Natur- und Gesellschaftsverständnis. Sie ist der geistige Überbau einer
Klassengesellschaft, die entfremdete Bewusstseinsform, die in der jeweiligen
Stufe gesellschaftlicher Entwicklung die sozialen Widersprüche aufrechterhält,
begründet und legitimiert. Ideologie ist nicht falsches Bewusstsein eines
richtigen Seins, sondern richtiges Bewusstsein eines falschen Seins. Geändert
werden muss das Sein, dann wird auch das Bewusstsein neu …
Allerdings sieht Marx die Aufgabe der
Philosophen nicht nur in einer Interpretation, sondern in der Veränderung, im
Überwinden von ideologischem Überbau, letztlich im Durchsetzen einer
Ideologie der klassenlosen Gesellschaft. Das heißt, er möchte zu einer
Art Erlösungsideologie beitragen, die in der Überwindung der
Klassengesellschaft zur Identität von Sein und Bewusstsein führt, zur
Überwindung der Entfremdung des Menschen von den Produkten seiner Arbeit. Ideologie
und Wahrheit werden dann identisch … Marx ist Ideologiekritiker und
Ideologe zugleich …
Lenin … forderte eine von der Partei verfasste Weltanschauung,
nach der sich nicht nur Ökonomie, gesellschaftliches Leben und Kultur zu
richten hatten, sondern auch die Wissenschaft. Bürgerliche Wissenschaft
ist nach Lenin an den Bewusstseinszustand des Bürgertums gebunden, dialektische
Wissenschaft hat dagegen andere Grundlagen und kommt zu anderen Ergebnissen.
…
S.4
Ideologie ist der Versuch, Wahrheit in intellektuell verstehbaren Sätzen zu
formulieren und die formulierte Wahrheit für absolut und verbindlich zu
erklären …
Normen, die man setzt, politische Grundsatzentscheidungen, die
man trifft, werden auch ohne Ideologie immer Ausdruck von nichtrationalen
Überlegungen sein. Ideologisch werden sie erst dann, wenn sie sich auf
unabdingbare wissenschaftliche Notwendigkeit berufen. Meist ist das
verbunden damit, dass Wissenschaft selbst als Instrument verstanden wird, mit
dem man absolute Wahrheit formulieren kann, das heißt, Wissenschaft wird selbst
ideologisiert.
S.6
Physiker St. Hawking, 1988 Buch
„Eine kurze Geschichte der Zeit“;
Der Untertitel des Buches lautet: „Die Suche nach der Urkraft des Universums“ …
„Mein Ziel“, sagt Hawking, „ist ein vollständiges Verständnis des
Universums, warum es so ist, wie es ist, und warum es überhaupt existiert.“
Die Antwort zu finden, „wäre der endgültige Triumph der menschlichen
Vernunft.“
Mit seiner wissenschaftlichen Autorität strahlt Hawking eine Hoffnung
aus, die nicht durch die Physik selbst gedeckt ist. Wendet man radikal
kritisches Denken an, so lautet, wie ich meine, das Fazit: Es wird keine
Weltformel geben, und die Rede von ihr ist Ideologie. Der erhoffte Triumph,
sie zu finden, ist Illusion und zeigt eine Hybris, einen Machtanspruch
naturwissenschaftlichen Denkens an, der sich niemals einlösen lässt.
Penrose[4] weist zunächst auf die Schwierigkeiten
hin, die schon in der mathematischen Seite einer Theorie verborgen liegen.
Bereits 1931 hatte der österreichische mathematische Logiker Gödel bewiesen,
dass jedes formale mathematische System mit ausgefeilten Axiomen und
Ableitungsregeln Aussagen hervorbringt, die sich im System weder beweisen noch
widerlegen lassen. Dieser Satz ist bereits für die Mathematik eine Katastrophe.
Viele ahnen nicht, auf welch wackeligem logischem Fundament die Mathematik
aufgebaut ist, entgegen der verbreiteten Vorstellung, in der Mathematik sei
doch alles klar.
S.8
Bemerkenswert ist, wie das fundamentalistisch-kreationistische
Wissenschaftsverständnis dem Leninschen sehr ähnlich ist. Für Lenin liegt das
Paradigma in der Klassenzugehörigkeit, die als Sein das Bewusstsein bestimmt,
für die Kreationisten liegt es in der Zugehörigkeit zur Gruppe der (in ihrem
Sinne) Bibelgläubigen bzw. Nichtbibelgläubigen, mit erleuchtetem oder nicht
erleuchtetem Bewusstsein. In beiden Fällen handelt es sich um blanke
Ideologie. …
„Ideologie“ ordnen wir zunächst politischen,
naturwissenschaftlichen und religiösen Versuchen zu, absolute Wahrheiten zu
formulieren und Herrschaft daran zu knüpfen. …
Ideologien sind … niemals von vornherein als Unterdrückungsinstrument
erfunden worden; sie waren stets vom Willen geprägt, Wahrheit und Klarheit zu
schaffen, Wege zum Besseren anzubieten. Die Rigorosität aber, mit der sie
erschienen, verkehrte die guten Absichten in ihr Gegenteil. Die Mächte, die
Hilfe anbieten sollten, begannen ein Zerstörungswerk …
(Quelle: Q51 Ewald, Günter:
Naturwissenschaftliche und religiöse Ideologien; EZW-Texte Impulse Nr.35, Evangelische Zentralstelle für
Weltanschauungsfragen, Stuttgart 1993)
Hier sei noch eine zweite
Stimme zur inhaltlichen Bestimmung des Begriffes „Ideologie“ wiedergegeben:
(Quelle: Q60 BROCKHAUS
ENZYKLOPÄDIE in 24 Bd., 19., völlig neu bearb. Aufl.,
Bd. 10 (Herr – Is), Mannheim: Brockhaus, 1989, S. 374)
Ideologie
... in den
allgemeinen Sprachgebrauch aufgenommener Begriff, der in wörtl. Entsprechung
zunächst Wissenschaft von den Ideen, dann aber auch System oder Menge von
Ideen, schließlich die Anordnung und das Hervorbringen von Vorstellungen zur
Interpretation der Welt in einer bestimmten (z. B. interessegeleiteten und
damit verfälschten) Sichtweise bedeutet.
Schon diese versch. Schattierungen weisen darauf hin, dass es für die
Begriffsbestimmung von I. keine eindeutige Definition gibt, dass es sich
hierbei vielmehr um ein operatives Konzept handelt, das in jeweils
unterschiedlichen histor. und polit. Situationen, in der allgemeinen Sprache und
in und in unterschiedl. wiss. Fragestellungen und gesellschaftstheoret.
Entwürfen eine jeweils eigene Gestalt, einen eigenen Begriffsumfang und eine je
nach Standort versch. Wertzuschreibung erfahren kann. Eine allen Verwendungsweisen
von I. mag darin bestehen, dass es sich bei der Beschäftigung mit I. jeweils um
die Betrachtung des Verhältnisses einer Vorstellungswelt zu einer - wie
immer aufgefassten - wirklichen Welt handelt; es geht also um die
Betrachtung von Ideen, Aussagen, Welt- und Denkmodellen im Hinblick auf ihre
gesellschaftl. (gruppenspezifischen) histor., polit. oder ökonom. Grundlagen
und Auswirkungen, wobei die Zuordnungen und Erklärungen, nicht zuletzt die
Bewertungen dieser Relation (anhand von Kriterien wie Wahrheit, Angemessenheit,
Notwendigkeit oder Plausibilität) große Unterschiede aufweisen können. Die
Frage nach der I. zielt also auf >den Zusammenhang von Bewusstsein und
Gesellschaft< (H.-J. Lieber) ...
Im allgemeinen Sprachgebrauch hat der Begriff I. eine negative Färbung, insoweit
als unter I. eine unbegründete, willkürl. oder durch Interesse verzerrte,
keineswegs also allgemeingültige (gar >richtige<) Deutung der
Wirklichkeit im Lichte des jeweils eigenen (also partikularen) Ideensystems
verstanden wird. In diesem Sinn werden als I. auch die weltanschaul. Lehren
bezeichnet, deren Anerkennung durch die Bevölkerung in totalitären Systemen
erzwungen wird. Mitunter dient der Begriff I. auch zur Bez. einer praxisfernen,
an einer >reinen Lehre< orientierten und deshalb unzureichenden oder
verfälschenden Auffassung der Wirklichkeit.
Im wissenschaftsorientierten, aber auch im polit. Gebrauch lassen sich
dagegen ein krit., ein neutraler und ein positiver I.-Begriff unterscheiden.
...
(Quelle: Q60 BROCKHAUS ENZYKLOPÄDIE in
24 Bd., 19., völlig neu bearb. Aufl.,
Bd. 10 (Herr – Is), Mannheim: Brockhaus, 1989, S. 374)
In der hier vorliegenden
Studie wird ein kritisches Verständnis von Ideologie zugrunde gelegt.
eine Ideologie
·
ist allein zuständig für die Erklärung und Deutung der Wirklichkeit
·
hat erschöpfende und absolut gültige, endgültige Antworten auf alle
Fragen, verwaltet ewige Wahrheiten
·
vertritt immer die richtige Sicht der Dinge – das ist für sie
eine Frage des „Standpunktes“ (oder es ist z.B. „Glaubenssache“)
·
sieht die ganze Welt als ENTWEDER/ODER,
etwas ist entweder schwarz ODER weiß, etwas kann nur richtig sein ODER es ist
falsch
·
hat eine erstarrte Weltanschauung, die nicht (mehr) offen ist für
neue Einsichten und Fragen nicht zulässt;
entgegenstehende Tatsachen müssen ausgeblendet, Widersprüche ignoriert werden
einige Kennzeichen für Ideologien
·
verräterisch: „...ISMUS“
·
Berufung auf wichtige Schriften, Lehrsätze (Dogmen), Autoritäten
(Lehrer, Führer)
· Feindbilder (gut ODER böse)
· Kompromisslosigkeit, Polemik, Kampf
(Herrschaft, Macht)
1.2.4.2 „Kreationismus“ und
„Intelligent Design“
1.2.4.2.1 Kreationismus
Da der Begriff
„Kreationismus“ sicher für manche Leser ein Fremdwort ist, sei mit zwei Definitionsversuchen
aus Biologielehrbüchern begonnen:
Kreationismus (lat. creatio Schöpfung):
Annahme, dass die einzelnen Arten getrennt erschaffen worden seien und eine
Evolution nicht stattgefunden habe …
(B32 S.541 Glossar)
Kreationismus:
Weltbild, das auf dem Axiom beruht, dass die Schöpfungsgeschichte der Bibel
einen tatsächlichen Ablauf beschreibt
(B29 S.453 Glossar)
Andere Glossar-Definitionen (B25 S.458; B28 S.482) geben pauschal
als Konfliktlinie die Alternative „Evolution“ ODER „Schöpfung“ an. Das
geschieht auch in dem folgend zitierten Lehrbuch:
(Quelle: B14 DUDEN /
PAETEC; Biologie, Gymnasium, 10, Sachsen, Berlin 2007, S.157)
Gegenwärtig ist in den USA der Kreationismus (als „intelligent
design“) weit verbreitet. Er basiert auf der Schöpfungsgeschichte der Bibel.
Der amerikanische
Kreationismus wird dadurch charakterisiert, dass er „auf der Schöpfungsgeschichte
der Bibel basiert“. Genauer müsste aber mitgeteilt werden: Er basiert auf einem
bestimmten, am Wortlaut orientierten Bibelverständnis, mit dem Aussagen zur
Schöpfung in der Bibel gelesen werden. Dies aber nicht etwa das einzig mögliche
Schöpfungs- und Bibelverständnis ist – es handelt sich hier um eine von vielen
Auffassungen (siehe dazu Kapitel 1.2.3), und diese spezielle „Lesart“ ist auch
innerhalb der christlichen Kirchen heftig umstritten.
Dem „Kreationismus“ wird –
in der öffentlichen Diskussion wie auch in vielen Biologie-Lehrbüchern -
übermäßig viel Interesse entgegengebracht, was vielleicht auch aus der
aktuellen Debatte zu erklären ist.
Dahinter kann übersehen
werden, dass christlicher Schöpfungsglaube nicht nur vom Kreationismus
vertreten wird und sich viele Christen und die großen Kirchen in Deutschland
auch ganz anders zur Evolutionstheorie positionieren.
Der „Kreationismus“ im
engeren Sinne ist ein Phänomen vor allem in christlichen und hier der
protestantischen Kirchen. Weniger reflektiert gibt es ihn aber auch im Judentum
und im Islam.
Die
Auseinandersetzung mit dem „Kreationismus“ spielte schon vor dreißig Jahren
eine ähnliche Rolle wie heute. In der DDR erschien z.B. 1983 eine 60-seitige
Ausarbeitung:
·
Q69 Boost, Ch., Gensichen, H., Pfeiffer, G.: Ist der
Kreationismus haltbar? Thesen gegen einen neuen Anti-Evolutionismus in der
Kirche; Kirchliches Forschungsheim Wittenberg, 1983, Selbstverlag
In
Westdeutschland ging ein für Hochschulen erarbeiteter Lehrbrief des Deutschen
Instituts für Fernstudien an der Universität Tübingen zum Thema EVOLUTION
(1982) ausführlich mit etwa 40 Druck-Seiten auf das Phänomen ein:
·
Q10 Deutsches Institut für Fernstudien der
Universität Tübingen, Fernstudium Naturwissenschaften, EVOLUTION, Heft 3:
Theoretische Grundlagen der Evolution, Tübingen, 1986, S.18ff., 191ff.
„Kreationismus“ ist ein
„Etikett“, das (zu) schnell allen Menschen „aufgeklebt“ wird, die aus Glaubensgründen
(Bibelverständnis) und von ihren theologischen Überzeugungen her kritische
Anfragen an das moderne naturwissenschaftliche Weltbild haben.
Nicht alle von ihnen sind aber wirklich „Kreationisten“.
Mit einigen Originalzitaten, die von deutschen (gemäßigten) Kreationisten
aufgeschrieben wurden, soll zunächst versucht werden, wichtige Charakteristika
zu benennen:
(Quelle: Q38 Junker,
R.; Scherer, S.: Evolution – Ein kritisches Lehrbuch, Weyel-Verlag Gießen,
1998, S.273f.)
Die Schöpfungslehre
(„Kreationismus“) ... geht davon aus, dass die Heilige Schrift nicht nur
in Fragen Schöpfung, sondern auch bezüglich des Ursprungs von physischem Tod,
Leid und Katastrophen in der Schöpfung für die Rekonstruktion der
Geschichte der Lebewesen relevant ist. Die in den ersten 11 Kapiteln des
Genesisbuches (dem ersten Buch der Bibel) geschilderte „biblische
Urgeschichte“ wird als reale Menschheitsgeschichte verstanden und für das
Verständnis der Geschichte des Lebens vorausgesetzt. Demzufolge werden Adam
und Eva nicht nur als historische Personen, sondern auch als die Stammeltern
der Menschheit aufgefasst. Ebenso werden der Sündenfall und die Sintflut
als geschichtliche Ereignisse angesehen....
Die Lebewesen sind in getrennten taxonomischen Einheiten erschaffen worden...
Die Grundtypen wurden (geologisch gesehen) gleichzeitig ins Dasein gerufen....
Den Tod - auch in der Tierwelt - gibt es erst seit dem Sündenfall des
Menschen...
Die biblisch bezeugte Sintflut war eine weltumspannende Überflutung ...
Wo sich die Bibel konkret
äußert (Geschehensabläufe, Zeiträume, naturkundliche Mitteilungen), ist das
nicht nur heilsgeschichtlich verbindliche Wahrheit, die zu glauben ist, sondern
solche Angaben sind auch als naturwissenschaftlich zu lesende Aussagen
verbindlich. Für alle in der Bibel genannten Fakten können
naturwissenschaftliche Beweise gesucht (und gefunden) werden.
In der Lesart des sogenannten „Kurzzeit-Kreationismus“ beträgt das Alter des
Universums etwa 6000 Jahre. Die Errechnung erfolgt anhand der Lebensdaten der
Menschen und geschichtlicher Ereignisse, die in der Bibel vorkommen (nach der
Berechnung des christlichen Bischofs Ussher fand die Schöpfung der Welt 4004
v.Chr. statt, der jüdische Gelehrte Hillel legte das Datum des Welt-Beginns auf
das Jahr 3761 v.Chr. fest.).
Adam und Eva waren die
ersten Menschen.
Kosmos, Erde, Pflanzen, Tiere und Menschen sind „am Anfang“ in sechs Kalendertagen
geschaffen worden.
Verschiedentlich wurde (auf diesem Hintergrund konsequent) in den USA
gefordert, im Biologie- und Physikunterricht in der Schule alternativ zu den
gängigen Theorien zur Entstehung der Welt und des Lebens auch die
Schöpfungsgeschichten der Bibel zu behandeln – als wissenschaftlich aus-gedeutete
Vorstellungen.
Die (gemäßigten) deutschen
Kreationisten gehen mit ihrem in einem wörtlichen Bibelverständnis verankerten
Denkansatz nicht nur auf Distanz zum Entwicklungsgedanken in der Biologie,
sondern auch zum etablierten Bibelverständnis der modernen Universitätstheologie
und vieler Christen in Kirchgemeinden (andere stehen zumindest in ihrem
Bibelverständnis den Kreationisten sehr nahe):
Hier einige
aktuelle Aussagen deutscher gemäßigter „Kreationisten“ zu ihrem Verständnis
von Bibel und Natur:
(Quelle: Q73 Ullrich,
Henrik; Junker, Reinhard (Hrsg.): Schöpfung und Wissenschaft – Die
Studiengemeinschaft WORT UND WISSEN stellt sich vor; Hänssler Verlag
Holzgerlingen 2008)
Bei WORT UND WISSEN ist die
biblische Schöpfungslehre Bestandteil des Fundaments der ersten unbewiesenen
Voraussetzung, der verbindlichen Wahrheit biblischer Gottesoffenbarung. Dieses Fundament
steht für sie unverrückbar fest. Hierin kann es keine Annäherung an naturalistische
Evolutionslehren geben.
Die biblischen
Schilderungen der Urgeschichte im Buch Genesis (1.Mose) sind historisch
zuverlässig. … Die biblische Urgeschichte beinhaltet
allgemeinverständliche, wirkliche Beschreibungen grundlegender Ereignisse
der Schöpfung und Urzeit.
Biblische
Schöpfungsaussagen enthalten naturwissenschaftlich relevante Elemente …
… Alter des Lebens in
der Größenordnung von ca. 10.000 Jahren
Wir gehen davon aus, dass Grundtypen
aller Lebewesen als klar voneinander getrennte Formen in der Schöpfungswoche
erschaffen wurden.
Die Studiengemeinschaft
WORT UND WISSEN vertritt
eine Schöpfungslehre, die nicht nur gegenüber der Evolutionslehre, sondern
darüber hinaus auch gegenüber einer historisch-kritischen Textauslegung der
Bibel in der modernen Theologie eine kritische Position einnimmt.
Dadurch sind zwangsläufig viele Konflikte zwischen Theologen und Gemeinde
oder zwischen Religionslehrer und Schüler vorprogrammiert.
Einige neuere Äußerungen aus
der katholischen und der evangelischen Kirche sollen abschließend deutlich
machen, dass hier in der Auseinandersetzung mit dem Kreationismus durchaus
kritische Töne überwiegen – und Offenheit gegenüber den Einsichten der
Evolutionsforschung da ist.
Zunächst einige Stimmen aus dem katholischen Bereich:
(Quelle: Q34 die tageszeitung Berlin 25.10.96)
Papst Johannes Paul II.:
(Botschaft an
die Mitglieder der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften:)
„Neue
Erkenntnisse führen zu der Feststellung, dass die Evolutionstheorie mehr als eine
Hypothese ist.“
(Quelle:
P23 PAETEC; Dieter B. Herrmann; Faszinierende Astronomie; Paetec, Berlin, 2000)
Unter Papst JOHANNES PAUL II. wurde
eine Überprüfung des Falls GALILEI eingeleitet, die 1992 – im 350. Todesjahr
des Gelehrten – zu dessen Rehabilitation durch die Kirche führte.
Der Papst erklärte in diesem Zusammenhang vor der Päpstlichen Akademie der
Wissenschaften, der Fall GALILEI könne der Kirche die bleibend aktuelle
Lehre für ähnliche Situationen sein: „Galilei, der praktisch die experimentelle
Methode erfunden hat, hat dank seiner genialen Vorstellungskraft als Physiker
und auf verschiedene Gründe gestützt verstanden, dass nur die Sonne als Zentrum
der Welt, wie sie damals bekannt war, ... infrage kam. Der Irrtum der
Theologen von damals bestand dagegen am Festhalten an der Zentralstellung der
Erde in der Vorstellung, unsere Kenntnis der Strukturen der physischen Welt
wäre irgendwie vom Wortsinn der Heiligen Schrift gefordert. ... Tatsächlich
beschäftigt sich die Bibel nicht mit den Einzelheiten der physischen Welt,
deren Kenntnis der Erfahrung und dem Nachdenken des Menschen anvertraut
wird."
(Quelle: Q18 Horn, S.O.,
Wiedenhofer, S. (Hrsg.):Schöpfung und Evolution – Eine Tagung mit Papst
Benedikt XVI. in Castel Gandolfo; Sankt Ulrich Verlag, Augsburg, 2007, S.149)
Papst Benedikt XVI.:
… zu zeigen, wo die Fragen sind: dass es nicht darum geht, sich entweder für
einen Kreationismus zu entscheiden, der
sich der Wissenschaft grundsätzlich verschließt, oder für eine
Evolutionstheorie, die ihre eigenen Lücken überspielt und die über die methodischen
Möglichkeiten der Naturwissenschaft hinausreichende Fragen nicht sehen will.
Es geht vielmehr um dieses Zusammenspiel von verschiedenen Dimensionen der Vernunft,
in dem sich auch der Weg zum Glauben
öffnet.“
(Quelle: Q18 Horn,
S.O., Wiedenhofer, S. (Hrsg.):Schöpfung und Evolution – Eine Tagung mit Papst
Benedikt XVI. in Castel Gandolfo; Sankt Ulrich Verlag, Augsburg, 2007, S.84ff.)
(Vortrag Kardinal
Schönborn)[5]
Die „kreationistische“ Position basiert auf einem Bibelverständnis, das die
katholische Kirche nicht teilt. Die erste Seite der Bibel ist nicht ein
kosmologischer Traktat über die Weltentstehung in sechs Sonnentagen. Die
Bibel lehrt uns nicht, „how the heavens go, but how to go to heaven“. …
Das im Folgenden zitierte
Lehrbuch für den Religionsunterricht, das von der Lehrbuchkommission der
Deutschen Bischofskonferenz zugelassen wurde, stellt gewissermaßen eine
„kirchen-amtliche“ katholische Stellungnahme für den Schulgebrauch dar.
(Quelle: R3 PATMOS;
Zeichen der Hoffnung, Patmos Düsseldorf, 2002, S.40)
Außer ein paar Fundamentalisten – vor allem in den
USA – glaubt heute niemand mehr, dass die Welt vor ca. 6000 Jahren in sechs Tagen
geschaffen wurde,
dass Gott den Menschen aus Ackerboden geformt und Eva aus der Rippe des Adam
gebildet hat oder dass der Tod erst durch die Sünde in die Welt gekommen sei.
Aber das verlangen die Texte auch nicht. Sie sind nicht das Zeugnis einer restlos
veralteten Auffassung, die Christen
heute noch für richtig ansehen sollen. Sie sind nicht Dokumente vergangener
Weltbilder, die wider besseres Wissen zu akzeptieren wären. Die
biblischen Texte konkurrieren nicht mit den Naturwissenschaften. Sie tun etwas, was die Naturwissenschaften
nicht leisten können und wollen. Sie entwerfen Bilder des Glaubens, die nicht Realität exakt beschreiben, sondern
Sinn erschließen. Es geht ihnen nicht um Entstehung, Alter, Größe und Gesetze
dieser Welt, sondern um Welt und Mensch in der Perspektive Gottes.
Hier seien noch einige
Beiträge aus evangelischer Sicht aufgeführt:
(Quelle: Q19 Huber, Wolfgang (Bischof
und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland), Bericht des
Rates der EKD - Teil A, (6. Tagung der 10. Synode der EKD, Dresden, 04. - 07.
November 2007)
Heute hat man manchmal den Eindruck, das Rad solle in die Zeit der
Entdeckungen der "Himmelsphysik" zurückgedreht werden. Unter den
Namen "Kreationismus" und "Intelligent Design" werden Debatten
angestoßen, die längst überwunden schienen. Dabei wird mit biblischen
Texten in einer Weise umgegangen, als habe es die Entwicklung der Theologie
insbesondere in ihrer durch die Reformation angestoßenen wissenschaftlichen
Gestalt nie gegeben. Das geschieht unter anderem auf die Weise, dass die
biblischen Schöpfungsberichte zu einer quasiwissenschaftlichen
Welterklärungstheorie gemacht werden. …
Der "Kreationismus" tritt mit der Forderung auf, dass in den Schulen
nicht die Evolutionstheorie, sondern eine biblische Weltanschauung
unterrichtet wird. Der Glaube an den Schöpfer wird so zu einer pseudowissenschaftlichen
Weltanschauung; dieser Glaube selbst soll nämlich das zutreffende Wissen
über die Entstehung und Entwicklung der Welt vermitteln. Mit dieser
Verkehrung des Glaubens an den Schöpfer in eine Form der Welterklärung hat die
Christenheit immer wieder Schiffbruch erlitten. Indem ein zur Weltanschauung
missdeuteter Glaube an die Stelle der wissenschaftlichen Vernunft treten
sollte, wurde in Wahrheit das Bündnis von Glaube und Vernunft aufgekündigt.
Deshalb ist aus Gründen des Glaubens ein klarer Widerspruch notwendig, wenn
die biblischen Schöpfungserzählungen in einem solchen
"kreationistischen" Sinn missbraucht werden. …
… ideologischer Missbrauch des christlichen Schöpfungsglaubens, wie er im
Kreationismus und in der Lehre vom "Intelligent Design" vorliegt
…
(Quelle: Q4 Bohl,
Jochen, Bischof der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, Pastor@lbrief Februar
2008)
Im Pastor@lbrief vom vergangenen August hatte ich
mich mit dem Verhältnis von Schöpfungsglauben und naturwissenschaftlichen
Aussagen zur Entstehung der Welt beschäftigt und geschrieben: „Glaube und
Wissenschaft konkurrieren eben nicht in dem Sinne, dass man sich
entscheiden müsste, ob man das eine oder das andere zur Grundlage der
Welterkenntnis erklärt. Vielmehr geht es um sich ergänzende Zugänge zu
unterschiedlichen Aspekten einer umfassenden Wirklichkeit. Die Wissenschaft
sucht sie zu erkennen, der Glaube will sie deuten.“ Diese Formulierung
richtete sich gegen eine radikale Naturalisierung des Menschen, wie sie von
einigen Vertretern der Evolutionsbiologie (so z. B. Richard Dawkins, dessen
Buch sich seit einigen Monaten sehr gut verkauft) propagiert wird; und gegen
die „Mutation“ naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zu einer Weltanschauung.
Nun wird man andererseits aber sagen müssen, dass
auch der aus den USA kommende Kreationismus die Unterscheidung der Sphären
von Glauben und Wissen nicht zu akzeptieren bereit ist. Es gibt ihn in verschiedenen
Erscheinungsformen, denen es gemein ist, dass ein unüberwindlicher Gegensatz
zwischen dem Schöpfungsglauben und naturwissenschaftlicher Welterkenntnis
gesehen wird, weil die biblischen Texte über die Erschaffung der Welt als
göttliche Offenbarung und zugleich als naturwissenschaftliche Aussagen
verstanden werden. So kommt man zu Behauptungen, die den Erkenntnissen der
Naturwissenschaften, wie sie an den Universitäten getrieben werden, diametral
entgegenstehen: die Erde sei weniger als 10000 Jahre alt, die Lebewesen seien
von Gott so geschaffen worden, wie sie noch heute sind (evolutionäre
Entwicklungsprozesse habe es also nicht gegeben) und die Sintflut sei ein
Ereignis in Raum und Zeit gewesen, ein Datum der Erdgeschichte.
Weil der Kreationismus unter unseren Gemeindegliedern
in den letzten Jahren einige Aufmerksamkeit gefunden hat, erscheint
theologische Klärung nötig.
Die dahinter stehenden Argumente sind m. E. nicht
überzeugend und führen in unauflösbare Widersprüche. Überdies würden sie
einen Abbruch des Gesprächs mit den Naturwissenschaften bedeuten. Das wäre aber
in Anbetracht des konstruktiven Dialogs der letzten Jahrzehnte äußerst
bedauerlich - denn ein wichtiges Ergebnis ist ja, dass es mit dem Glauben
der Kirche Jesu Christi unvereinbares Naturwissen nicht gibt. …
Nach meiner Auffassung liegt dem Kreationismus
eine theologische Fehlentscheidung zugrunde. Der Bibel geht es nicht in
erster Linie um Weltwissen; darauf deutet schon die Tatsache hin, dass in Gen.
1 verschiedene Vorstellungen von der Erschaffung der Welt relativ unvermittelt
nebeneinander stehen. Wir sehen an dieser Stelle zu Recht keine Spannung, denn
die Schrift ist uns ein Zeugnis vom Handeln Gottes, das wir im Glauben
annehmen. Ihr geht es um den Glauben, dass die Natur von dem Gott geschaffen
ist, der jedem Menschen eine unverlierbare Würde verleiht, der als ein
Gegenüber wahrgenommen werden kann und in Jesus Christus Mensch geworden ist.
Dieser Glaube trägt seine Bedeutung in sich; er ist unterschieden von den
naturwissenschaftlichen Erklärungen der Welt und also nicht gefährdet oder in
Frage gestellt durch deren Fortschritt. Der Glaube steht auch nicht in
„Konkurrenz“ zu den Naturwissenschaften; eine solche kann erst entstehen, wenn
diese meinen, die Welt deuten zu müssen – oder wenn Gläubige meinen, deren
Erkenntnisse zensieren zu müssen.
Aus der Philosophie wissen wir, dass Gott durch die
Vernunft nicht zu beweisen ist – und die Theologie lehrt, dass er eines
solchen Beweises auch nicht bedarf; im Gegenteil: er ist „höher als alle Vernunft“.
Er wohnt nicht in den Lücken menschlicher Erkenntnisse; und ist auch nicht zu
finden hinter den Fragen, an deren Beantwortung die Wissenschaften arbeiten.
Darum werden dem Gebrauch der menschlichen Vernunft im Glauben keine
Grenzen gesetzt; wir dürfen wissen wollen, was unserem Erkenntnisvermögen
zugänglich ist. ...
Ein Glaubender wird nicht sein wollen wie Gott; aber er ist frei, nach
seinen Möglichkeiten einen vernünftigen Beitrag zur Erkenntnis der Natur zu
leisten und ist – in Verantwortung vor Gott – auch frei, dieses Wissen
anzuwenden, lenkend und gestaltend in den natürlichen Gang der Dinge
einzugreifen. In dieser Freiheit liegt letztlich der Grund, warum in der
westlich-abendländischen Kultur die Wissenschaften die staunenswerten Höhen der
Gegenwart erreicht haben. Dass es auch erhebliche Kontroversen und Widerstände
gegeben hat – „und sie bewegt sich doch“ – gehört in das Bild, ändert aber
nicht die Bewertung.
Der Anklang an Galilei mag eine Warnung sein: der
Kreationismus wechselt den Schöpfungsglauben in allzu kleine Münze und wird der
ausgreifenden Dimension des biblischen Zeugnisses nicht gerecht.
Übrigens: schon 1989 hat sich in unserer Landeskirche
der Beirat für Glaube und Naturwissenschaft mit dem Kreationismus beschäftigt
(vgl. Amtsblatt 1990, B 57 à Text siehe Teilband 4 = Kapitel 4
unter Q37 ). Ich komme heute zu keiner anderen Bewertung.
(Quelle: Q4 Bohl,
Jochen, Bischof der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, Pastor@lbrief Februar 2008)
(Quelle: Q46 EKD-Texte 94: Weltentstehung,
Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule; eine Orientierungshilfe
des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2008)
S.7
Es wäre … unangemessen, die Erforschung von Evolutionsprozessen als
Bekenntnis zum Atheismus zu verstehen, wie es umgekehrt verfehlt wäre, den in
den USA verbreiteten Kreationismus einfach mit dem christlichen
Schöpfungsglauben gleichzusetzen. Der Kreationismus ist vielmehr eine
Verkehrung des Glaubens an den Schöpfer in eine Form der Welterklärung, die
letztlich dazu führt, dass das Bündnis von Glaube und Vernunft aufgekündigt
wird …
S.13
Das Realitätsfeld der Naturwissenschaften ist so aufgebaut, dass sich hier
die Gottesfrage weder wissenschaftlich stellen noch wissenschaftlich
beantworten lässt. Das eröffnete der Theologie die Möglichkeit, die freie
Entwicklung der Naturwissenschaften und die damit verbundenen
Erkenntnisfortschritte bewusst zu bejahen. …
S.14
2.5. Die Irrwege des Kreationismus
„Kreationismus“ ist eine Sammelbezeichnung für – von
Minderheiten im Christentum vertretene – Auffassungen, die sich vehement gegen
die Annahmen der Evolutionstheorie wenden. Ausgehend von der wörtlichen
Inspiriertheit der biblischen Texte verteidigt der Kreationismus die
Irrtumslosigkeit der biblischen Texte. …
Der Kreationismus stützt sich auf die ungeklärten Fragen der Evolutionstheorie
und ist auf den Nachweis von Ungereimtheiten bedacht … Indem der Kreationismus
auf die weltanschauliche Ideologisierung evolutionstheoretischer Annahmen
reagiert, wie sie ein antikirchlicher „Ultradarwinismus“ verfochten hat,
nimmt auch er den Charakter einer Wissenschaftsideologie an …
S.15
Wie jede ernstzunehmende wissenschaftliche Hypothese muss natürlich auch die
Evolutionstheorie der Kritik zugänglich bleiben. Viele ihrer Annahmen sind auch
nach den Maßstäben der Biologie weniger gesichert, als es in
populärwissenschaftlichen Darstellungen zum Ausdruck kommt. Die
Evolutionstheorie ist freilich nicht dadurch widerlegt, dass man ihre offenen
Stellen aufzeigt. Es gibt starke Argumente, die für sie sprechen. Als
wissenschaftlicher Erklärungsversuch zur Entstehung des Lebens, der Arten und
der Artenvielfalt besitzt sie höchste Wahrscheinlichkeit und
Erschließungskapazität …
S.20
Im Religionsunterricht hat das christliche Bekenntnis eine grundlegend andere
Bedeutung als in anderen Fächern. Zu diesem Bekenntnis gehört der Glaube an
Gott, den Schöpfer, nicht jedoch der Kreationismus. Ein evangelischer
Religionsunterricht … kann deshalb den Kreationismus zwar thematisieren, ihn
jedoch nicht vertreten …
(Quelle: Q46 EKD-Texte 94: Weltentstehung,
Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule; eine Orientierungshilfe
des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2008)
1.2.4.2.2
„Intelligent Design“
Vertreter
der Idee des „Intelligent Design“ gehen etwa von folgender These aus:
„Die Komplexität im Aufbau von Lebewesen und in der Funktion von
Lebensprozessen ist so groß, dass es dafür keine innerweltliche naturwissenschaftliche
Erklärung gibt. Das ist der Beweis dafür, dass ein intelligenter Designer die
Welt nach einem Plan gestaltet hat.“ Der postulierte Designer muss nicht
unbedingt religiös und als Gott gedacht werden, darunter kann auch abstrakter
eine kosmische Intelligenz, ein universales Prinzip verstanden werden.
Die
hier zugrunde liegenden Vorstellungen wurden schon vor 200 Jahren vertreten.
(Quelle: Q55
Steinmüller,A., Steinmüller,K.: Charles Darwin – vom Käfersammler zum Naturforscher,
Verlag Neues Leben Berlin, 1985, S.86f.)
Zu Charles Darwins
Pflichtlektüre (während seines Theologiestudiums in Cambridge ab 1827) gehören
die theologischen Werke des 1805 verstorbenen Archidiakonus William Paley. …
Besonders beeindruckt Charles die „Natürliche Theologie“ von Paley. … eine
Auffassung, die Gottes Wirken überall in der belebten Natur sehen will und
durch die Zweckmäßigkeit der Organismen begründet. Paley benutzt dabei das
althergebrachte Bild von der Uhr und dem Uhrmacher, um die Existenz Gottes zu
beweisen. Angenommen, wir finden eine Uhr auf dem Wege liegen, argumentiert er,
„wenn wir die Uhr aufheben und genau betrachten, bemerken wir …, dass ihre
Teile für einen speziellen Zweck erfunden und zusammengefügt wurden … Der
Mechanismus lässt unausweichlich darauf schließen, dass die Uhr einen
Konstrukteur hat … der sie für diesen Zweck entworfen hat.“
Genauso, lehrt Paley, stehe es mit der belebten Natur. All ihre Teile griffen
ineinander, jedes einzelne sei der Umwelt und den anderen Teilen sinnvoll
angepasst. Allein durch die Weisheit und Güte ihres Schöpfers, sagt Paley,
könne man die Zweckmäßigkeit der Organismen erklären.
Darwin selbst schreibt:
„Ich war von Paleys Argumentation … begeistert … überzeugt“
(Quelle: Q72 Darwin, Charles: Mein Leben,
Insel Taschenbuch, Frankfurt/Main, 2008,
S.67f.)
Zu
diesem Denkansatz ist kritisch anzumerken:
1. Die Anhänger der Idee machen indirekt
eine Aussage über sich selbst: „Ich kann mir einen bestimmten Zusammenhang nicht
erklären, ich verstehe das nicht.“ Und daraus wird geschlussfolgert: „Es gibt
keine natürliche Erklärung dafür (z.B. mit den Mitteln und Methoden der
Naturwissenschaft), es gibt sie heute nicht und kann und wird sie auch nie
geben!“ Hier ist zu etwas mehr Bescheidenheit bei der Verallgemeinerung zu mahnen,
und es ist zu erinnern an die Beschränktheit menschlicher Erkenntnis. Wieso
muss ich als Mensch die Natur umfassend verstehen können? Was ist von
zukünftiger Forschung zu erwarten? Wird Gott (der „Designer“) in dieser
Denkweise vielleicht zu schnell und immer wieder als „Lückenbüßer“ dort
eingesetzt, wo ich mir etwas nicht erklären kann; und damit „klein“ gemacht?
Eine in der Vergangenheit oft in schmerzlichen Prozessen immer wieder gewonnene
Einsicht für Christen lautet, dass Gott
nicht zum „Lückenbüßer“ gemacht werden darf, als Erklärung immer dort
herhalten soll, wo die Naturwissenschaft (vermeintlich) keine rationale
Erklärung für einen Sachverhalt geben kann.
2. Zum zweiten wird aus
meiner Unfähigkeit, einen bestimmten Zusammenhang zu verstehen und zu
erklären, zwingend die Existenz eines „Designers“ abgeleitet. Diese Aussage
ist grundsätzlich nicht „verboten“, denn die Frage nach einer letzten Ursache
geht über den Geltungsbereich der Naturwissenschaften hinaus. ABER: Es gibt
keine Beweiskette, dass naturwissenschaftliche Befunde (oder das – bisherige -
Scheitern naturwissenschaftlicher Erklärungen) zwingend auf GOTT verweisen.
Die Existenz GOTTES lässt sich mit naturwissenschaftlichen Mitteln und Methoden
nicht widerlegen, seine Existenz lässt sich aber ebenso wenig beweisen! Gott
gehört nicht zum Arbeitsgegenstand der Naturwissenschaften.
3.
Eine letzte Schlussfolgerung: Ein
„Designer“ wäre natürlich nicht nur für das Komplexe und Staunenswerte, das
Gute und Schöne in der Welt verantwortlich. In dieser Denkweise wäre ein
perfekter „Designer“ (der gleiche?) auch „haftbar“ zu machen für alle
unzulänglichen oder zerstörerischen und leidbringenden „Konstruktionen“ in der
Welt („perfekt“ arbeitende Killerbakterien, ideal angepasste Parasiten …).
Auch hier begegnet also eine alte und
immer schmerzliche Frage für glaubende Menschen (Theodizee): „Wenn Gott doch
ein guter Gott ist – warum lässt er all das Leid, all die Krankheit, all die
Naturkatastrophen zu?“
1.2.4.3 „Evolutionismus“
Während dem Phänomen des
„Kreationismus“ in vielen Lehrbüchern breiter Raum eingeräumt wird, habe ich
nur an einer Stelle einen Hinweis darauf gefunden, dass es auch einen
intoleranten, oft atheistisch orientierten „Evolutionismus“ gibt. Er wird im
folgenden Text beschrieben und charakterisiert.
(Quelle: B22
C.C.BUCHNER; Solbach, H.: Vita nova; Biologie für die Sekundarstufe II; Bamberg
2000, S.344f.)
… dass die Antworten auf die Fragen nach dem
Ursprung und der Entwicklung des Lebens sehr unterschiedlich ausfallen, beeinflusst vom religiösen,
weltanschaulichen und philosophischen Standpunkt des Antwortenden. Die
Palette reicht von der völligen Ablehnung jeglicher naturwissenschaftlichen
Erklärung auf diesem Gebiet durch Menschen mit bestimmten, festgefügten
religiösen Überzeugungen bis zur intolerant atheistischen Argumentation
anderer, in deren Vorstellungswelt kein Platz für einen Gott, eine
übergeordnete Macht ist und die (deshalb?) in einem naturwissenschaftlichen
Machbarkeitsglauben danach streben, alles Geschehen in der Welt ausschließlich
durch die Gesetze der Physik zu erklären …
Diese
„wissenschafts-gläubige“, mit Allein-Erklärungs-Anspruch auftretende, darauf beharrende
Weltsicht, allein „recht zu haben“ – sie ist eine genauso problematische Ideologie
wie der „Kreationismus“. Ihr Glaubenssatz „Es gibt keinen Gott!“ ist genauso
wenig beweisbar oder widerlegbar wie der Satz „Es gibt Gott!“. Manche Anhänger
dieses „Aufklärungs-Fundamentalismus“ (Der Spiegel 22/07 S.56ff) haben von
moderner Wissenschaftstheorie wohl wenig verstanden! Und wenn sich dann ein
ähnlich kämpferischer Ideologe auf der Gegenseite findet, dann kann schnell
ein heftiger „Glaubenskrieg“ ausbrechen.
(Quelle: Q19 Huber, Wolfgang (Bischof
und Ratsvorsitzender der Ev. Kirche in Deutschland), Bericht des Rates der EKD
- Teil A, (6. Tagung der 10. Synode der EKD, Dresden, 04. - 07. November 2007)
„Es kann nicht verwundern, dass dem ideologischen Missbrauch des
christlichen Schöpfungsglaubens, wie er im Kreationismus und in der Lehre vom
"Intelligent Design" vorliegt, spiegelbildlich ein Missbrauch
entspricht, der meint, aus den Einsichten der modernen Naturwissenschaften
zwingend eine Leugnung Gottes und die Verpflichtung auf einen kämpferischen
Atheismus ableiten zu können. Beispielhaft ist dafür der Evolutionsbiologe
Richard Dawkins, der sich mit seinem Buch "Der Gotteswahn" ("The
God Delusion") an die Spitze dieser Bewegung gesetzt hat. Dawkins restauriert
ein Weltbild, nach welchem Religion einem vorwissenschaftlichen Zeitalter
angehört und mit dem Siegeszug des wissenschaftlichen Bewusstseins zum
Verschwinden kommt. Weil sich dieses Verschwinden nicht von selbst einstellt,
muss es durch einen weltanschaulichen Kampf vorangetrieben werden, für den man
sich der Unterstützung durch vermeintlich wissenschaftliches Handeln zu
versichern versucht. Das Gottesverständnis soll auf dem Weg destruiert werden,
dass danach gefragt wird, ob man auf die Gotteshypothese angewiesen sei, um die
Entstehung der Welt und des Lebens zu erklären. Die Auseinandersetzung mit dem
Gottesbegriff wird also ganz und gar auf dem Missverständnis eines
"Lückenbüßergottes" ("God of the gaps") aufgebaut. Dafür
sind Kreationismus und "Intelligent Design" willkommene Gegner;
Richard Dawkins überhöht deren Vertreter deshalb zu den maßgeblichen
Repräsentanten des Christentums, ja der Religion überhaupt. Er verbindet –
ebenso wie Hitchens – das zugleich mit einer maßlosen Polemik, die religiöse Erziehung
mit Kindesmisshandlung gleichsetzt und das alttestamentliche Gottesbild in
einer Weise beschimpft, die historischen Sinn und moralische Proportion in
gleicher Weise vermissen lässt.“
„Evolutionismus“ muss sich
nicht deutlich als militante antireligiöse Ideologie zeigen. Er kann auch
versteckter auftreten in der Einseitigkeit und Arroganz, mit der manche Naturwissenschaftler
darauf beharren, dass allein ihr Blick auf die Natur sinnvolle Fragen
ermöglicht, und dass alle Fragen, die für Menschen wichtig sind, von der
Naturwissenschaft (wenn auch vielleicht erst in Zukunft) erschöpfend
beantworten können.
Charles Darwin kann übrigens
nicht als Kronzeuge dafür aufgerufen werden, dass das Vertreten der
naturwissenschaftlichen Evolutionstheorie folgerichtig und zwangsläufig hin zum
Atheismus führen muss:
(Quelle: Q75 Charles
Darwin: Mein Leben, Insel TB S.102f.)
„Ein anderer Grund für den Glauben an die Existenz Gottes,
der mit der Vernunft, nicht mit Gefühlen zusammenhängt, scheint mir mehr ins
Gewicht zu fallen. Dieser Grund ergibt sich aus der extremen Schwierigkeit oder
eigentlich Unmöglichkeit, sich vorzustellen, dieses gewaltige, wunderbare
Universum einschließlich des Menschen mitsamt seiner Fähigkeit, weit zurück in
die Vergangenheit und weit voraus in die Zukunft zu blicken, sei nur das
Ergebnis blinden Zufalls oder blinder Notwendigkeit. Wenn ich darüber
nachdenke, sehe ich mich gezwungen, auf eine Erste Ursache zu zählen, die einen
denkenden Geist hat, gewissermaßen dem menschlichen Verstand analog; und ich
sollte mich wohl einen Theisten nennen. Wenn ich mich recht erinnere,
beherrschte diese Schlussfolgerung mein Denken in der Zeit, als ich Über die
Entstehung der Arten schrieb; seither schien sie mir ganz allmählich immer
weniger überzeugend; ich schwankte jedoch sehr …
Das Mysterium vom Anfang aller Dinge können wir nicht aufklären; und ich
jedenfalls muss mich damit zufrieden geben, Agnostiker zu bleiben.“
Agnostizismus
Der Agnostizismus ist eine Weltanschauung, die
insbesondere die prinzipielle Begrenztheit menschlichen Wissens betont. Die
Möglichkeit der Existenz transzendenter Wesen oder Prinzipien wird vom Agnostizismus
nicht bestritten. Agnostizismus ist sowohl mit Theismus als auch mit
Atheismus vereinbar, da der Glaube an Gott möglich ist, selbst wenn man die
Möglichkeit der rationalen Erkenntnis Gottes verneint.
Die Frage „Gibt es einen Gott?“ wird vom Agnostizismus dementsprechend nicht mit
„Ja“ oder „Nein“ beantwortet, sondern mit „Es ist nicht geklärt“, „Es ist
nicht beantwortbar“.
Unabhängig davon ist die Frage „Glauben Sie an einen Gott?“. Diese ist auch von
einem Agnostiker mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortbar.
(Quelle: Wikipedia
23.2.2009)
Ein verbreitetes
Missverständnis, das auch in manchen Lehrbüchern seinen Niederschlag gefunden
hat, ist die Behandlung von „Schöpfungsmythen“ als konkurrierende
„wissenschaftliche“ Erklärungsmodelle zur Evolutionstheorie.
(Quelle: B16
SCHROEDEL; Netzwerk Biologie 10, Braunschweig, 2006, S.140)
Aufgabe 3
Es gibt verschiedene Theorien zur Evolution
1. Die von den Vorfahren erworbenen Eigenschaften
werden von Generation zu Generation weitergegeben.
2. Durch natürliche Auslese verändern sich die Arten im Laufe der Generationen.
3. Alle Lebewesen, die heute leben, sind durch einen Schöpfungsakt
von Gott geschaffen worden.
a) Wie heißen die zitierten Theorien?
b) Welche der genannten Theorien ist heute allgemein anerkannt?
Hier begegnen gleich einige
Missverständnisse:
+ unter Punkt 3. wird unterstellt, Schöpfungsglaube sei gleichzusetzen mit der
Ansicht, die Welt und alle Lebewesen seien in einem einmaligen Schöpfungsakt
ins Dasein gebracht worden und die damals geschaffenen Arten hätten sich
seitdem nicht verändert.
Oben wurde schon deutlich gemacht, dass man das wohl aus dem Wortlaut des Bibeltextes
so herauslesen kann, dass aber die großen Kirchen und viele Christen heute die
Schöpfungsdarstellungen nicht (mehr) als einen historisch und im sachlichen
Detail zutreffenden Dokumentarbericht verstehen, sondern in ihnen Begründung
und Orientierung und Maßstäbe für ihre Existenz hier und heute suchen.
+ Der Schöpfungsglaube – konkreter: das hier vorausgesetzte wörtliche
Verständnis des Bibeltextes in 1.Buch Mose 1 - wird zu einer
naturwissenschaftlich zu lesenden Theorie gemacht, die mit den beiden hier
vorgestellten Theorien aus der Biologie verglichen werden und gegen sie
abgewogen werden kann. Dabei ist auch das Ergebnis eigentlich schon vorgegeben
mit der Formulierung der Frage: „Welche der genannten Theorien ist heute
allgemein anerkannt?“ Die Anerkennung einer naturwissenschaftlichen Theorie
(auch durch Mehrheiten) ist keine Garantie für ihre Richtigkeit! Das Wörtchen
„heute“ deutet immerhin auf das fließende Verfallsdatum aller naturwissenschaftlichen
Erkenntnis hin …
In
diesem Lehrbuch wird – fahrlässig oder bewusst? - die Schöpfungsvorstellung zu
einer „Evolutionstheorie“ gemacht!
Ähnlich geschieht das auch
anderswo:
Der Verlag Duden/Paetec
brachte in den Jahren 2005 bis 2007 drei Biologie-Lehrbücher in neuer
Bearbeitung heraus.
·
B12 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie,
Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin, 2005 (S.514f.)
·
B14 DUDEN / PAETEC; Biologie, Gymnasium, 10, Sachsen,
Berlin 2007 (S.86f.,102)
·
B24 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag; Duden Biologie,
Gymnasiale Oberstufe, Berlin, 2005 (S.358ff.,381)
In
diesen Büchern wird die „Schöpfungsgeschichte“ (gemeint ist damit exklusiv das
erste Kapitel der jüdisch-christlichen Bibel, die Darstellungen werden z.T.
auch als „Schöpfungsmythen“ bezeichnet) unter der Hauptüberschrift „Evolutionstheorien“
behandelt.
Diese
Ein- und Zuordnung ist in mehrfacher Hinsicht irreführend!
Einmal
gehen ja die - zur Erläuterung auch dargestellten - Ansichten von der „Konstanz
der Arten“ gerade davon aus, dass sich in der Natur nichts verändert und
entwickelt (hat). Damit wären sie bestenfalls als Gegenentwurf zum
Entwicklungsgedanken einzuordnen, als „Anti-Evolutions-Theorie“ zu betrachten
und zu behandeln.
Zum zweiten wird in den gleichen Lehrbüchern an anderer Stelle durchaus
angedeutet, dass die biblischen Texte die Welterfahrung des Menschen nicht
rational erklären wollen („Mythen … sind keine wissenschaftlichen Theorien“),
sondern eine „Deutung“ anbieten, Antworten versuchen auf die Fragen nach dem
Sinn und dem Ziel des menschlichen Daseins. Das Buch B24 wählt zwar zunächst
die zutreffende Überschrift „Zur Geschichte des Evolutionsgedankens“, behandelt
dann aber doch im weiteren Text Schöpfungsmythen (falsch) als Unterpunkt zu
„Evolutionstheorien im Wandel der Zeiten“, und stellt damit den
„Kreationismus“ in eine Reihe mit (anderen) naturwissenschaftlichen Theorien
zur Entwicklung des Lebens. Das entspricht zwar der Rolle, die der Kreationismus
nach seinem Selbstverständnis einnehmen möchte, aber es könnte so der – falsche
- Eindruck entstehen, der Kreationismus stelle eine typische oder gar die
einzig mögliche Lesart und Interpretation biblischer Schöpfungsvorstellungen
dar.
Wenn in diesen Lehrbüchern „Schöpfungsgeschichten“ auf der gleichen Ebene wie
die naturwissenschaftlichen Vorstellungen und Erkenntnisse etwa von Lamarck
und Darwin als „Evolutionstheorien“ abgehandelt werden, beruht das vielleicht
auf einem gravierenden Missverständnis - es ist in jedem Fall ein gewichtiger
Kategorienfehler.
Es gibt weitere Beispiele
dafür.
Im Biologielehrbuch
·
B22 C.C.BUCHNER; Solbach, H.: Vita nova; Biologie für
die Sekundarstufe II; Bamberg 2000, S.344f.)
wird gefragt: „War das
Werden des Lebens ein Schöpfungsakt Gottes oder doch eine Art Urzeugung?“
Auch
hier wird die Fragestellung im Raster ENTWEDER – ODER, als Alternativen stehen
"Schöpfung Gottes" oder "naturwissenschaftlich erklärbare
Entwicklung" zu Auswahl, den unterschiedlichen Kategorien nicht gerecht.
Aber
auch ein Lehrbuch für den Religionsunterricht „tappt“ in die gleiche Falle:
·
R2
VANDENHOECK & RUPRECHT; Koretzki, G.-R., Tammeus, R. (Hg.): Religion
– entdecken, verstehen, gestalten - 9/10; Ein Unterrichtswerk für den
evangelischen Religionsunterricht, Göttingen 2002 (S.89)
Dort stehen auf einer Druck-Seite zwei Texte, zum einen das „Bekenntnis
der Creation Research Society“ (es handelt sich hier um ein sehr verengtes, am
Wortlaut der Bibel festhaltendes christliches Schöpfungsverständnis) und zum
anderen eine naturwissenschaftliche Zusammenfassung von „Grundzügen der
Evolutionstheorie“. Im zugehörigen Lehrerhandbuch (Quelle R1, S.79) wird
vorgeschlagen, die beiden auf dieser Seite (ohne weiteren Kommentar)
abgedruckten Texte zu vergleichen. Die Schüler sollen Positionen erarbeiten.
Aber – abgesehen davon, dass der „kreationistische“ Text ohnehin polarisiert
und der „evolutionsbiologische“ Text (ohne Quellengabe) fachlich ungenau
formuliert ist: Sollten Schüler im Religionsunterricht sich nicht sinnvoller
mit unterschiedlichen theologischen Ansichten auseinandersetzen?
Mit dem „Vergleichen“ von Bekenntnis-Aussagen und einer naturwissenschaftlichen
Theorie werden „Apfel mit Birnen“ verglichen. Das ist genau der gleiche
Kategorienfehler, der in den oben erwähnten Biologielehrbüchern gemacht wird,
indem man die Schöpfungsgeschichte Gen.1 als konkurrierende Theorie zu
Evolutionstheorien behandelt.
In dieser Gegenüberstellung sind Missverständnisse vorgegeben und
Konflikte vorprogrammiert!
Im Jahre 2000 war ein Buch aus
dem Verlagshaus Paetec/Duden für die Sekundarstufe 1 herausgegeben worden.
Darin wurden den Schülern folgende Aufgaben gestellt:
(Quelle: B15 PAETEC;
Biologie 10, Sachsen, Gymnasium, Berlin, 2000, S.91)
„Aufgaben"
1. Inwieweit hatte die Kirche Einfluss auf die Vorstellung über
die Artenentstehung?
2. Lies die nachstehenden Aussagen über die Evolution und stelle diese den
Aussagen der darwinschen Abstammungstheorie gegenüber!
“Die natürliche Zuchtwahl oder das Überleben des Tüchtigsten kann im besten Falle
nur die Trennung der Starken von den Schwachen bedeuten. Aber niemals entsteht
allein als Folge des Überlebens des Tüchtigsten eine neue Pflanzen- oder
Tierart.
Und da auch durch Mutationen keine neuen Arten entstehen, fehlen der Evolution
die Mechanismen, mit denen sie erklärt werden könnte.“
“Die wahren wissenschaftlichen Tatsachen weisen nicht auf eine Entwicklung des
Menschen aus dem Tier hin, sondern darauf, dass der Mensch als eine Art
erschaffen wurde, die sich von Tieren klar und deutlich unterscheidet.“
(Aus: Wachtturm, Bibel- und Traktatgesellschaft 1968)“
Die Aufgabenstellung soll
knapp kommentiert werden:
Zu 1.
„Die Kirche“ des Mittelalters hatte sich zwar die damals allgemein
akzeptierte Vorstellung von der Konstanz der Arten zu eigen gemacht und sah
sie auch im (wörtlich verstandenen) Text der Bibel bestätigt. Ob und wie sie
dabei aber gezielt Einfluss ausüben musste und wollte und ihn auch
ausgeübt hat, ist fraglich. Auf jeden Fall ist es ein Missverständnis, wenn
durch die Fragestellung nahegelegt werden soll, „die Kirche“ sei auch heute
noch dieser Ansicht – das trifft für die großen christlichen Kirchen in
Deutschland und für viele Christen nicht zu
Zu 2.
In Aufgabe 2 soll ein Text gelesen und seine Aussagen der darwinschen Abstammungstheorie
gegenübergestellt werden.
Im Anschluss an Aufgabe 1 legt sich nahe, hier eine Stimme aus dem
kirchlichen Bereich zu vermuten. Tatsächlich steht ja darunter in der
Quellenangabe etwas von „Bibel“. Dass zusätzlich auch noch das
altertümlich anmutende Wort „Traktat“ auftaucht, verstärkt den muffigen
Eindruck, bestätigt wird das auch durch eine mehr als 30 Jahre zurückliegende
Jahreszahl (1968). Der Begriff „Wachtturm“ dürfte nur
Eingeweihten etwas sagen. Daraus wird nämlich deutlich, dass es sich hier um
ein Pamphlet der „Zeugen Jehovas“ handelt. Deren hier abgedruckte Aussagen
könnten nun in diesem Kontext –
fahrlässig oder bewusst – als aktuelle Argumente „der Kirche“ missverstanden
werden.
1.2.6 Ist Kirche, ist der
christliche Glaube
grundsätzlich
wissenschaftsfeindlich?
Ist Kirche, ist der
christliche Glaube vom Grundsatz her wissenschaftsfeindlich?
Glaube und Naturwissenschaft schließen einander nicht automatisch aus.
Jedoch wird in den Lehrbüchern
nur selten darauf hingewiesen, dass viele Wissenschaftler glaubende Menschen
waren und sind – wenn auch mit sehr unterschiedlichen Gottesvorstellungen - und
dass auch in kirchlichen Einrichtungen naturwissenschaftliche Forschung
betrieben und gefördert wurde:
(Quelle: B31
SCHROEDEL; Hoff, P. / Miram, W.: Evolution, Materialien für den Sekundarbereich
II, Biologie, Hannover, 1993, S.10f.)
Die Klöster erwiesen sich als besonders fruchtbare
Zentren des geistigen Lebens.
Die Klöster – Einrichtungen
der (mittelalterlichen) Kirche! – waren über viele Jahrhunderte hinweg
wichtige Orte wissenschaftlicher Arbeit. Bedeutsame Entdeckungen in den
Naturwissenschaften wurden von Christen gemacht: Nikolaus Kopernikus stand als
Domherr im Dienst der Kirche, Galileo Galilei schrieb, dass er Gott für seine
Entdeckungen dankbar war, für Johannes Kepler war Wissenschaft nur „eine
andere Form von Gottesdienst“, Isaac Newton meinte, in der Ordnung des Weltalls
den Plan Gottes zu finden, der Mönch Gregor Mendel entdeckte die Regeln der
Vererbung, der katholische Priester Lamaitre begründete die Theorie vom
kosmischen Urknall …
Diese „wissenschaftsfreundliche“ Seite der biblisch-kirchlichen Tradition wird
manchmal unterschätzt oder schlicht vergessen. Hier einige weitere Hinweise:
a) Schon im ersten Kapitel
der Bibel steht die Auftrag Gottes an den Menschen, sich „die Erde untertan“ zu
machen. Wenige Zeilen weiter ist der Auftrag zu lesen, dass er die Erde (sie
wird im Bild eines fruchtbaren Gartens vorgestellt) „bebauen und bewahren“
solle. Das aber beinhaltet die Ermutigung und die Aufgabe, dass der Mensch
seine Begabungen, seine Neugier nutzt, um die Welt zu erkunden, sie zu
verstehen und sie auch zu verändern – der glaubende Mensch darf nicht nur, er
soll sogar Natur-Wissenschaft betreiben!
b) Wenn im ersten Kapitel
der Bibel mitgeteilt wird, dass der Himmel und die Erde, die anderen Lebewesen
und der Mensch Geschöpfe sind, zur (natürlichen) „Welt“ gehören, dann geschieht
in der Bibel etwas ganz Neuartiges für das antike Weltverständnis: In den dem
Volk Israel benachbarten Kulturen wurden Sonne, Mond und Sterne, Blitz und
Donner, Tiere und Steine als Götter verehrt. Damit verbunden waren Ehrfurcht
und die Angst, sich ihnen zu nähern, sie zu untersuchen, sie zu „hinter“-fragen.
Im jüdisch-christlichen Verständnis ist die Welt, die Natur „entgöttert“, sie
ist damit frei für die angstfreie Annäherung, Untersuchung, Inbesitznahme durch
den Menschen. Gerade erst dieses Denken – niedergelegt in den uralten Texten
z.B. in den ersten Kapiteln der Bibel - hat später den Aufbruch der
Naturwissenschaft im christlichen Abendland möglich gemacht!
c) Des weiteren sei daran
erinnert, dass das Schulwesen in Deutschland im 19. Jahrhundert maßgeblich von
den Kirchen mit begründet und getragen wurde, und dass dort selbstverständlich
modernste Naturwissenschaft vermittelt wurde.
d) Und zuletzt soll darauf
hingewiesen werden, dass im Auftrag des Papstes seit Jahrhunderten zwei
leistungsfähige Sternwarten betrieben werden, eine in der Nähe von Rom, die
andere in Nordamerika.
Manchmal wird der Weg zur
naturwissenschaftlichen Denkweise als mühsamer Fortschritt beschrieben:
(Quelle: P8
WESTERMANN; Kuhn: Physik 1.1, Braunschweig, 2002, S.5ff.)
Die erkannten Regelmäßigkeiten im Ablauf der
Naturerscheinungen schrieben die Menschen damals Göttern, Geistern und
Dämonen zu, deren Absichten und Launen man erkennen musste. Sie suchten
nicht nach „physikalischen“ Erklärungen, d.h. nach grundlegenden Naturgesetzen.
Der erste Schritt zu einer physikalischen Denkweise vollzog sich im 6.
Jahrhundert v.Chr. bei den griechischen Naturforschern. Naturbeobachtung und
Sammeln von Erfahrungen allein genügten ihnen aber nicht. Die tieferen
Zusammenhänge wollten sie verstehen. Dabei hatten sie die kühne Idee, dass
nicht dunkle und unergründliche Mächte, sondern unveränderliche Naturgesetze
die Natur regieren, und dass es dem Menschen möglich wäre, diese durch den
Gebrauch seines Verstandes herauszufinden
Diese
Sichtweise, die einen Kontrast und Widerspruch zwischen „altem“ (falschem) und
„neuem“ (richtigen) Denken nahe legt, muss ergänzt werden um den Hinweis, dass
schon in alten Texten der Bibel Forscherdrang und das Verstehen-Wollen und
Verstehen-Können von Naturzusammenhängen durchaus positiv gesehen wurden, und
sie wurden in eins gedacht mit dem Glauben an einen (Schöpfer-)Gott.
(Quelle: Die Bibel, Buch der Weisheit
7,15.17-20; 13,5)
„Mir aber
gewähre Gott, nach meiner Einsicht zu sprechen
und zu denken, wie die empfangenen Gaben es wert sind ...
Gott verlieh
mir untrügliche Kenntnis der Dinge,
sodass ich den Aufbau der Welt und das Wirken der Elemente verstehe,
Anfang und Ende und Mitte der Zeiten,
die Abfolge der Sonnenwenden und den Wandel der Jahreszeiten,
den Kreislauf der Jahre und die Stellung der Sterne,
die Natur der Tiere und die Wildheit der Raubtiere,
die Gewalt der Geister und die Gedanken der Menschen,
die Verschiedenheit der Pflanzen und die Kräfte der Wurzeln ...
Denn von der
Größe und Schönheit der Geschöpfe lässt sich auf ihren Schöpfer schließen“
Im Mittelteil dieses Textes
ist der Stolz des Autors deutlich zu spüren auf die großartigen Entdeckungen,
die ihm in der Beschäftigung mit der Natur möglich geworden sind (hier spricht
der Natur-„Forscher“). Gerahmt werden diese Aussagen aber zum einen im
„Vorspruch“ durch einen Dank an Gott, der ihm die Begabungen seines Verstandes
geschenkt hat, verbunden mit der Aufgabe und dem Auftrag, sie auch zu nutzen,
und zum zweiten macht der Autor im „Nachsatz“ deutlich, dass die Beschäftigung
mit Zusammenhängen in der Natur ihn nicht etwa von Gott weg, sondern näher zu
ihm hingeführt hat.
Die
notwendige Trennung der Ebenen – die Ebene der Beobachtung und des Experiments
von der ganz anderen der Deutung und Bewertung der Dinge – war schon zu Beginn
der Neuzeit klar bewusst:
Die „Royal Society of
London“, eine der ältesten naturwissenschaftlichen Akademien (gegründet 1660),
hat sich den Wahlspruch gegeben: „nullius in verba“. Das wäre etwa zu
übersetzen mit: „nach niemandes Worten“ oder „auf niemandes Worte schwören“
(nullius in verba iurare). Dahinter steht zum einen der stolze Anspruch, sich
von jetzt an nicht mehr nur damit zu begnügen, nur in würdiger Verehrung die
von Autoritäten ererbte Weltsicht zu zitieren (was etwa der verehrte
Aristoteles oder die Bibel dazu sagen), sondern durch eigene Erkenntnis
Sachverhalte zu hinterfragen, durch eigenes Vermögen und eigene Anstrengung
selbst ein besseres Verständnis der Zusammenhänge erlangen.
Aber damit legt die Naturwissenschaft auch eine Grenze ihrer Zuständigkeit
fest: Sie vertraut fortan ausschließlich auf die Mittel und Möglichkeiten des
menschlichen Verstandes und beschränkt sich auf die Untersuchung der durch
Beobachtungen und Messungen fassbaren Natur. Das Fragen nach Gründen und
Bedeutungen gehört nicht zu ihrem Arbeitsbereich – dieses Feld bleibt den
Philosophen und Theologen überlassen.
Die so vorgenommene Trennung
der „Zuständigkeiten“ ist manchmal wichtig, um unnötige Konflikte zu
vermeiden.
Man muss aber auch darauf
achten, dass nicht zu schnell eine „Schein-Harmonie“ hergestellt wird. Auch
dafür ein Beispiel:
(Quelle: B25 KLETT;
Biologie für Gymnasien, Oberstufe, Stuttgart, 2005, S.412ff.)
Die Evolutionstheorie versucht, die Entwicklung
der Lebewesen allein durch natürliche Vorgänge zu erklären. Dieser
Naturalismus, der u.a. mithilfe von zufälligen Mutationen und Selektionsvorgängen
die Entwicklung beschreibt, ist auf gegenwärtige und vergangene Ursachen
bezogen und verzichtet auf ein zukünftiges Entwicklungsziel. Dies schließt
menschliche Evolution mit ein und gesteht ihm keine Sonderrolle zu. Dies wird
vielfach als Verletzung menschlicher Würde gesehen und widerspricht dem
gewohnten Selbstverständnis, denn in einer Entwicklung auf ein Ziel hin wird
vielfach ein Sinn gesehen und der Weg dorthin kann dann nicht auf Zufall
gegründet sein. Die Evolutionstheorie gerät damit leicht in Konflikt mit der
Religion.
Die großen christlichen Kirchen sehen sich auf einer anderen Ebene als die
Naturwissenschaften, nämlich einer geistigen. Insofern besteht heutzutage kein
Widerspruch zur Evolutionslehre, solange die Wissenschaft ihre materielle
Domäne und die Theologie ihre geistige nicht verlassen.
Der Konflikt zwischen einer
Evolution des Lebens, für die aus naturwissenschaftlicher Sicht kein Ziel
angegeben werden kann, und dem religiösen Verständnis, dass alles Geschehen in
der Welt gewollt, gelenkt und auf ein Ziel hin orientiert ist (auf Gott hin,
auf die Vollendung der Welt), bleibt. Die Argumentation mit zwei unterschiedlichen
Ebenen des Zugangs zur Wirklichkeit führt hier nicht zu einer Lösung, denn die
Wirklichkeit des Glaubens kann nur die gleiche Welt meinen wie die
Naturwissenschaft. Hier gibt es Klärungsbedarf für die Theologie!
1.3 Weltentstehung,
Evolutionstheorie und
Schöpfungsglaube – als Thema im
Schulunterricht ?!
Wer
im christlich geprägten Abendland aufwächst und lebt, begegnet nicht nur in der
Schule, sondern überall in seinem Alltag sowohl religiösen Bezügen als auch dem
Komplex Naturwissenschaft/Technik.
Um sich in diesem Umfeld wenigstens einigermaßen zurechtzufinden, ist es
unverzichtbar, sich mit diesen beiden Erfahrungsbereichen - ihrer
geschichtlichen Entwicklung und ihrer gegenwärtigen Bedeutung –
auseinanderzusetzen.
Oft
werden Glaube und Naturwissenschaft als Bereiche betrachtet (und behandelt),
die vermeintlich nichts miteinander zu tun haben. Oder ihre Einsichten und
Erfahrungen werden (etwas gewaltsam) auf einer Ebene verhandelt, mit der
Konsequenz, dass entweder die Evolutionstheorie dem Schöpfungsglauben oder der
Schöpfungsglaube der Evolutionstheorie weichen müsse. Dieses Entweder-Oder wird
jedoch der – durchaus konfliktreichen – Beziehung zwischen den beiden Parteien
nicht gerecht. Es geht um ein Gespräch, um gegenseitiges Akzeptieren, Verstehen
(was tut, was will der andere wirklich) und wie ich meine, sogar um eine
sinnvolle und notwendige wechselseitige Ergänzung. Dieses Gespräch sollte auch
in der Schule gesucht und geführt werden.
Die
Evangelische Kirche in Deutschland hat kürzlich eine „Orientierungshilfe“ zu
diesem Themenbereich herausgegeben, in
der unter anderem Folgendes ausgeführt wird (Kommentare dazu siehe in den
Fußnoten):
(Quelle: Q46 EKD-Texte 94: Weltentstehung,
Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule; eine Orientierungshilfe
des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2008)
S.6
So wird auch hierzulande die Frage erörtert, ob im
Biologieunterricht auf den biblischen Schöpfungsglauben und ob im
Religionsunterricht auf die Evolutionstheorie Bezug zu nehmen sei. Auf der
Linie der hier vorgelegten Überlegungen liegt es, das Verhältnis zwischen
beiden Betrachtungsweisen vorzugsweise in interdisziplinären
Unterrichtsprojekten[6] zu klären …
es wird deutlich, dass man die Beziehung zwischen diesen beiden
Betrachtungsweisen nur dann zureichend bestimmen kann, wenn man zuvor gelernt
hat, sie voneinander zu unterscheiden.. Das setzt aber voraus, dass
sowohl hinsichtlich der biologischen[7] als auch hinsichtlich der
theologischen Fragen die gebotene Sachkenntnis[8] gegeben ist und in den
Schulen auf angemessene Weise zum Ausdruck kommt. Das gilt auch für die Fälle,
in denen im Biologie- oder im Religionsunterricht über das Verhältnis von
Schöpfungsglauben und Evolutionstheorie gesprochen werden soll. …
S.18
Nach evangelischem Verständnis ist Bildung mehr als Wissen oder Können. Bildung
umfasst auch die Fragen nach dem Grund allen Wissens sowie nach dem Ziel allen
Erkennens. Wissenschaftstheoretische und erkenntnistheoretische Fragen gehören
deshalb ebenso zur Bildung wie die nach dem Woher und Wohin des menschlichen
Lebens. Wissen und Wissenschaft tragen nur dann zur Bildung bei, wenn sie auch
im ethischen Horizont wahrgenommen werden. Bildung bedeutet Wertschätzung von
Wissen, Erkenntnis und Vernunft, schließt aber auch die Einsicht in deren
Grenzen ein[9] …
S.19
Die Einrichtung spezialisierter Unterrichtsfächer beispielsweise für
Biologie, Physik und Religion gewährleistet die Wahrnehmung entsprechender
Perspektiven auf die Wirklichkeit, kann jedoch auch zu einer
(Selbst-)Isolierung der verschiedenen Weltzugänge führen. Für eine nach
Fächern organisierte Schule sind fächerverbindende Einheiten oder Arbeitsweisen
deshalb besonders wichtig. …
Bei der bildungstheoretisch und schulisch
wünschenswerten Auseinandersetzung mit Schöpfungsglauben und
Evolutionstheorie, aber auch mit dem Kreationismus sowie deren Verhältnis
zueinander stoßen die einzelnen Unterrichtsfächer notwendigerweise an die
Grenzen ihrer Kompetenz … In der Regel empfiehlt sich … ein
fächerverbindender Unterricht, in den zwei oder mehr Lehrkräfte ihre unterschiedlichen
Kompetenzen einbringen können …
S.21
Ein angemessener Umgang mit Schöpfungsglauben und Evolutionstheorie setzt
Einsichten in erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Zusammenhänge voraus
… Als besonders klärungsbedürftig müssen dabei häufig von populären
Missverständnissen begleitete Begriffe wie „Tatsache“, „Beweis“ und „Widerlegung“
(Verifikation und Falsifikation), „Hypothese“, „Theorie“,
„Erkenntnisfortschritt“ usw. gelten[10]. Darüber hinaus sollten die
unterschiedlichen Zuordnungsmodelle für unterschiedliche Weltzugänge, insbesondere
im Sinne eines komplementären Denkens, eingeführt werden.
Weiterführende Klärungen lassen sich nur erzielen,
wenn beide, Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie, nicht von ihren
problematischen Verzerrungen, sondern von einem ihnen jeweils angemessenen
differenzierten Verständnis her aufgenommen werden. Der Bezug auf den
Ultradarwinismus oder auf den Sozialdarwinismus eignet sich dazu ebenso wenig
wie der auf den Kreationismus, so wichtig die kritische Auseinandersetzung mit
ihnen im Übrigen ist. Ähnlich verhindert eine Einführung der
Evolutionstheorie als wissenschaftliche Kritik am Schöpfungsglauben oder gar
als Ersatz für diesen von vornherein ein sachliches Verständnis der Eigenart
beider Weltzugänge in ihrer Unterschiedenheit[11].
S.22
Die Auseinandersetzungen zwischen Evolutionstheorie und Kreationismus sowie
ihre Auswirkungen auf die Schule haben in der Öffentlichkeit große
Aufmerksamkeit gefunden. Darüber sollte nicht übersehen werden, dass
tatsächlich andere Probleme, vor die sich Naturwissenschaften und
Schöpfungstheologie gestellt sehen, eine weit höhere Dringlichkeit besitzen. Die
Frage, ob und wie Leben und Überleben in einer auf viele Weisen gefährdeten
Welt gesichert werden können, mit welchen Mitteln etwa den Folgen eines durch
menschliches Handeln mitverursachten Klimawandels begegnet werden soll und wie
die Rechte zukünftiger Generationen im Blick auf endliche Ressourcen gewahrt
werden können, ist ebenso offen wie die Frage nach den Grenzen für menschliche
Eingriffe im Bereich der Humangenetik. Diese und viele andere
Herausforderungen betreffen Naturwissenschaften und Theologie gleichermaßen;
die größte Herausforderung besteht darin, wie sie gemeinsam zu einem Leben und
Überleben in Humanität beitragen können[12] …
(Quelle: Q46 EKD-Texte 94: Weltentstehung,
Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule; eine Orientierungshilfe
des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2008)
Aus
der Auswertung der Lehrbücher in dieser Studie sollen nur noch wenige weitere
Schlussfolgerungen ergänzt werden.
·
Die
Beschäftigung mit erkenntnistheoretischen Fragen sollte in den
naturwissenschaftlichen Fächern auch schon gegenüber Schülern bis zur Klassenstufe
10 erfolgen. Die meisten Lehrbücher für die Sekundarstufe 1 gehen darauf nicht
oder nur an wenigen Punkten ein.
Die Beschäftigung mit solchen Fragen wird in Lehrplänen und Lehrbüchern für die
gymnasiale Oberstufe zwar viel ausführlicher aufgenommen (manchmal nur in „Anhängen“
oder für Leistungskurse) – aber solche Einsichten sind wichtig für alle Menschen,
die sich in unserer von Naturwissenschaft und Technik so nachhaltig geprägten
Welt zurechtfinden sollen, nicht nur für eine Elite.
·
In den
naturwissenschaftlichen Fächern werden manchmal Vorstellungen von Religion im
Allgemeinen und von christlichem Glauben im Besonderen vermittelt, die falsch,
einseitig oder nicht aktuell sind. So besteht die Gefahr, dass Missverständnisse
bestehen bleiben oder aufgebaut werden, die ein echtes Gespräch erschweren.
·
Manche wichtigen
Ereignisse aus der Vergangenheit (verbunden z.B. mit den Namen Kopernikus,
Galilei, Darwin) sollten im Lichte neuer Erkenntnisse differenzierter
dargestellt werden – ohne dabei auf die notwendige (selbst-)kritische
Auseinandersetzung zu verzichten.
Teilband 2.1:
Auswertung der Lehrbücher
für das Fach BIOLOGIE
(Sachsen 2007/2008)
Teilband 2.1: |
||
Kapitel |
Inhalt |
Seite |
2.1 |
Der Umgang mit Erkenntnisgrenzen
der Naturwissenschaft sowie die Darstellung und Behandlung von
philosophischen und religiösen Fragen in Schullehrbüchern für das
Unterrichtsfach BIOLOGIE im Freistaat Sachsen - 2007/2008 |
63 |
2.1.1 |
Lehrpläne für den Freistaat
Sachsen 2004 (BIOLOGIE) |
64 |
2.1.1.1 |
Grundsätzliches
zu den Lehrplänen |
64 |
2.1.1.2 |
Lehrpläne
für den Freistaat Sachsen 2004 (BIOLOGIE) |
65 |
2.1.2 |
Zu Erkenntnismöglichkeiten der
Naturwissenschaft und zu Wissenschaftstheorie |
68 |
2.1.2.1 |
Darstellung
in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach BIOLOGIE für die Sekundarstufe 1 |
68 |
2.1.2.2 |
Darstellung
in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach BIOLOGIE für die Sekundarstufe 2 |
69 |
2.1.3 |
Annäherung an eine Grenzfrage: Die
Entstehung des Lebens auf der Erde |
83 |
2.1.3.1 |
Darstellung
in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach BIOLOGIE für die Sekundarstufe 1 |
83 |
2.1.3.2 |
Darstellung
in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach BIOLOGIE für die Sekundarstufe |
86 |
2.1.4 |
Schöpfung contra Evolution ?
Umgang mit Schöpfungsvorstellungen in BIOLOGIE-Lehrbüchern |
90 |
2.1.4.1 |
Exkurs: Zur
Verwendung von Begriffen aus der religiösen und theologischen Tradition in
Biologie-Lehrbüchern |
90 |
2.1.4.2 |
Lehrbücher
aus dem Verlag PAETEC / Duden |
94 |
2.1.4.3 |
Lehrbücher
aus dem Verlag SCHROEDEL |
99 |
2.1.4.4 |
Lehrbücher
aus dem Verlag KLETT |
107 |
2.1.4.5 |
Lehrbücher
aus dem Verlag CORNELSEN / VOLK UND WISSEN |
109 |
2.1.4.6 |
Lehrbücher
aus weiteren Verlagen (BSV, C.C.BUCHNER) |
110 |
2.1
Der Umgang mit Erkenntnisgrenzen der Naturwissen-
schaft sowie die Darstellung und
Behandlung von
philosophischen und religiösen
Fragen
in Schullehrbüchern für das
Unterrichtsfach BIOLOGIE
im Freistaat Sachsen - 2007/2008
Es ist wahrlich etwas Erhabenes um die
Auffassung, dass das Leben mit seinen verschiedenen Fähigkeiten vom Schöpfer
ursprünglich nur wenigen oder gar nur einer einzigen Form eingehaucht
wurde, und dass, während dieser Planet nach dem ehernen Gravitationsgesetz
seine Kreise zieht, aus einem so schlichten Anfang unzählige der schönsten und
wunderbarsten Formen entwickelt wurden und immer weiter entwickelt werden.
(Charles Darwin: The origin
of species …, Collins Clear Type Press, London & Glasgow, o.J.; S.507,
letzter Satz des Buches)63
In diesem Kapitel werden
zunächst die Lehrpläne des Freistaates Sachsen für das Fach BIOLOGIE in
Auszügen vorgestellt.
Anschließend sind Aussagen aus den für das Schuljahr 2007/2008 zugelassenen
Schul-Lehrbüchern zusammengestellt.
Dabei werden die Bücher nacheinander unter drei Gesichtspunkten ausgewertet:
Werden erkenntnistheoretische Fragen aufgenommen?
Was sagen die Lehrbücher zum Beginn des Lebens auf der Erde?
Wie gehen die Lehrbücher mit dem Konfliktbereich „Schöpfung contra Evolution?“
um?
Zu jeder Fragestellung werden zunächst Lehrbücher betrachtet, die bis zur
Klassenstufe 10 im Gebrauch sind, danach gesondert solche für die gymnasiale
Oberstufe.
Zum „Umgang mit Schöpfungsvorstellungen in Biologie-Lehrbüchern“ erschien eine
andere Zuordnung sinnvoll: Hier wurden jeweils Bücher aus den gleichen
Verlagen zusammen untersucht.
In den einzelnen Kapiteln werden die Lehrbücher stets in der Reihenfolge
vorgestellt, in der sie im Quellenverzeichnis erfasst sind.
2.1.1 Lehrpläne für den Freistaat
Sachsen 2004 (BIOLOGIE)
2.1.1.1 Grundsätzliches zu den
Lehrplänen
In den staatlichen Lehrplänen
werden (verbindliche) Vorgaben gemacht, welche Inhalte in den jeweiligen
Unterrichts-Fächern zu vermitteln sind. Zusätzlich sind Vorschläge und
Anregungen für die konkrete Ausgestaltung des Unterrichts enthalten (z.B.
Querverweise zu anderen Unterrichtsfächern).
Schon mit den Lehrplänen
werden Weichen gestellt und Schwerpunkte für Lehrer und Schüler gesetzt - und
indirekt auch für die Verlage und die Lehrbuch-Autoren.
Für die Kapitel „Lehrpläne
für den Freistaat Sachsen“ sind in dieser Studie Auszüge erstellt worden in
dem Bemühen, für die hier interessierenden Gesichtspunkte wesentliche Aussagen
zu erfassen.
Zusätzlich werden manche Passagen durch Unterstreichungen hervorgehoben oder
auch in Fußnoten kommentiert.
In den
Lehrplänen werden unter anderem folgende Abkürzungen verwendet:
MS = Mittelschule
GY = Gymnasium
LB = Lernbereich
Gk = Grundkurs
LK = Leistungskurs
WG = Wahlgrundkurs
AST = Astronomie
BIO = Biologie
ETH = Ethik
PH = Physik
RE/e = evangelische Religion
RE/k = katholische Religion
2.1.1.2 Lehrpläne für den Freistaat
Sachsen 2004 (BIOLOGIE)
(Quelle: Lehrpläne des
Freistaates Sachsen 2004)
A) Mittelschule Biologie (MS-BIO)
S.2
Ziele und Aufgaben des
Faches Biologie
… trägt … zur Entwicklung eines differenzierten
Weltbildes bei und fördert vernetztes Denken …
… Leisten eines Beitrages zur Entwicklung eines
Weltbildes hinsichtlich der Evolution[13] der Organismen …
S.23
Klassenstufe 8
Ziele
… die Schüler
können Vorzüge und Grenzen von Modellen darstellen
S.26
Klassenstufe 9
Lernbereich 1:
Grundlagen der Genetik
… Humangenetik … Projekt in Zusammenarbeit mit ETH
und RE[14]…
Lernbereich 2:
Grundlagen der Evolution
… Beobachten, Hypothesen bilden, Theorie …
… Werteorientierung: Weltanschauungen und Wertesysteme …
(Verweis14 auf ETH Kl. 7, LB3 und Kl.8, LB2 und auf RE/k
Kl. 8, LB 2 und Kl.9, LB2)
… Kennen von Belegen zur Evolution der
Organismen …
S.29
Klassenstufe 10
S.30
Lernbereich 2:
Biologische Probleme der Globalisierung und biologische Forschungen
… Einblick in einzelne Aspekte der modernen
biologischen Forschung gewinnen …
Ziele, Methoden und Bedeutung der Forschung …
Chancen und Risiken biologischer Forschung …
Hypothese, Experiment, Analyse, Vergleich …
(Verweis auf RE/e14 Kl.10, LB 1)
Gymnasium Biologie (GY-BIO)
S.2
Ziele und Aufgaben des
Faches Biologie
Als beschreibende und experimentelle
Naturwissenschaft erschließt die Biologie in ihrer Komplexität einerseits
vielfältige alltagsrelevante Sachverhalte und liefert andererseits wesentliche
Beiträge zur Bewältigung und sachgerechten Wertung wissenschaftlicher,
wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Probleme. …
Die Schüler erfahren, dass biologische Vorgänge
physikalische und chemische Grundlagen haben und mathematisch beschreibbar sind
…
… Leisten eines Beitrages zur Entwicklung eines
naturwissenschaftlich fundierten Weltverständnisses hinsichtlich der
Mechanismen und Tendenzen der Evolution …
S.30
Klassenstufe 10
Ziele
… die Schüler … erlangen … Einblicke in die
Wissenschaftsgeschichte. Sie erkennen, dass wissenschaftliche
Evolutionstheorien zur Erklärung der Entwicklung der Organismen angewendet
werden können …
S.31
Lernbereich 2:
Entstehung der Artenvielfalt
… historische Vorstellungen zur Evolution …
Linné … Lamarck … Darwin …
(Verweis auf RE/e14 Gk11, LB1) …
Kennen von Belegen für die Evolution …
S.32
Lernbereich 3: Stammesgeschichte des
Menschen
(Verweis auf ETH Kl10, LBW1 und RE/k Lk11, LB1) …
Antirassismus als Gebot des Humanismus …
S.33
Wahlpflicht 2: Entstehung des Lebens auf
der Erde
Kennen unterschiedlicher Hypothesen zur Entstehung
des Lebens auf der Erde …
Bedingungen der Uratmosphäre
chemische und biologische Evolution, Schöpfungslehren …
Oparin … Miller … Fox …[15]
S.34ff.
Jahrgangsstufen 11/12 – Grundkurs
S.42
Lernbereich 6: Evolution und Zukunft des
Menschen
Übertragung evolutionsbiologischer Kenntnisse auf die
Stammesentwicklung des Menschen …
(Verweis auf: Interdisziplinarität und Mehrperspektivität)
S.44ff.
Jahrgangsstufen 11/12 – Leistungskurs
Ziele
… Schüler erweitern ihre Kenntnisse zur
Wissenschaftsgeschichte …
erörtern die Notwendigkeit und die Grenzen biologischer Forschung[16] …
S.53
Jahrgangsstufe 12
Lernbereich 4: Synthetische
Evolutionstheorie
… Beurteilung einer weiteren Evolutionstheorie …
Sozialdarwinismus[17], Gould´sche Theorie
(Verweis auf: Reflexions- und Diskursfähigkeit)
S.54
Lernbereich 6:
Evolution und Zukunft des Menschen
Übertragung evolutionsbiologischer Kenntnisse auf die
Stammesentwicklung des Menschen …
(Verweis auf: RE/e Gk12, LB1; Werteorientierung; Interdisziplinarität
und Mehrperspektivität)
S.55
Wahlpflicht 2: Evolution des
Stoffwechsels
… Evolution der Ernährungsweisen …
Ursuppe … Oparin … Miller … Fox15 …
(Quelle: Lehrpläne des
Freistaates Sachsen 2004)
2.1.2 Zu Erkenntnismöglichkeiten der
Naturwissenschaft
und zu Wissenschaftstheorie
Der
achtjährige Jakob kommt nach Hause.
Er ist beunruhigt. Aufgeregt sprudelt aus ihm heraus, was er heute in der
Schule erfahren hat:
„Mutti, weißt du was … die Ur-Oma war mal ein Affe!“
2.1.2.1 Darstellung in Lehrbüchern
für das Unterrichtsfach
BIOLOGIE für die
Sekundarstufe 1
Eine Reflexion über die
Arbeitsweise (naturwissenschaftliche Methode) und über die Begrenzungen
naturwissenschaftlicher Erkenntnis findet in den aktuellen Biologie-Lehrbüchern
für die Sekundarstufe 1 - erwartungsgemäß entsprechend der Alterstufe - meist
nicht oder nur in Andeutungen statt.
ABER: Schüler, die nach der
Sekundarstufe 1 (10. Klasse) von der Schule abgehen, oder solche, die im
Gymnasium die Fächer Biologie und/oder Physik nach der 10. Klasse „abgewählt“
haben, erfahren unter Umständen nie mehr in ihrem Leben etwas darüber, wie
„wissenschaftliche“ Erkenntnisse gewonnen werden und wie sie zu interpretieren
sind!
Unsicherheiten im
derzeitigen Erkenntnisstand und der Hinweis auf die Vorläufigkeit vieler
naturwissenschaftlicher Erkenntnisse sind in den Lehrbüchern manchmal an zurückhaltenden
sprachlichen Formulierungen erkennbar.
Hier sind einige wenige
„Funde“ zusammengestellt:
(Quelle: B11 CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Biologie
plus, Klasse 10 Gymnasium, Sachsen, Berlin, 2006, S.102)
Die Entwicklung unseres Planeten begann vermutlich
vor etwa 4,6 Milliarden Jahren. …
(Quelle: B12 DUDEN /
PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie, Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin,
2005, S.502)
Eine heute anerkannte Theorie ist die Abstammungslehre.[18]
(Quelle: B16
SCHROEDEL; Netzwerk Biologie 10, Braunschweig, 2006)
S.105:
So könnten die Bausteine des Lebens entstanden
sein …
Wie es weiterging und wie mit Bakterien und Blaualgen
die biologische Evolution begann, ist unbekannt …
S.132:
Mit Stammbäumen versucht man, mögliche Wege der Evolution
aufzuzeigen …
(Fossilfunde) Es lassen sich viele Stücke nur schwer in den bisherigen Stammbaum
einordnen. …
Fossil nicht belegte und vermutete Wege sind gestrichelt dargestellt …
Der dargestellte Stammbaum … ist einer unter vielen und kann mit jedem neuen
Fund eine Änderung erfahren …
S.141:
Der Stammbaum der Entwicklung zum Menschen ist noch mit vielen Fragezeichen
versehen.
(Quelle: B17 VOLK UND
WISSEN; Biologie Band 3, Sachsen, Volk und Wissen, Berlin, 2002, S.132)
Wie sich dieser Schritt (Übergang von unbelebter
Materie zu Leben) vollzog, wissen wir nicht. …
Die Entstehung des Lebens auf der Erde ist schwierig
zu erforschen. Es gibt keine fossilen Reste aus der Zeit der Entstehung der
frühesten Lebensformen. Die experimentellen Ergebnisse vermitteln uns aber Modellvorstellungen,
die durch die Forschungen der letzten Jahrzehnte immer mehr an Wahrscheinlichkeit
gewonnen haben.
2.1.2.2 Zu Erkenntnismöglichkeiten
der Naturwissenschaft
und zu Wissenschaftstheorie
Darstellung in Lehrbüchern
für das Unterrichtsfach
BIOLOGIE für die
Sekundarstufe 2
In den Biologie-Lehrbüchern
für die Sekundarstufe 2 werden - angemessen entsprechend der Alterstufe - die
Arbeitsmethodik und die Begrenzungen naturwissenschaftlicher Erkenntnis
wesentlich ausführlicher und differenzierter thematisiert als in denen für die
Sekundarstufe 1.
Die im Folgenden
wiedergegebenen Zitate sollen im Wesentlichen für sich selbst sprechen:
(Quelle: B21 BSV
(Bayerischer Schulbuch Verlag); Meyer, H. / Daumer, K.: Biologie für die gymnasiale
Oberstufe, München 1999)
S.6
Die darwinsche Hypothese einer Evolution bezieht sich auf Vorgänge in
der Vergangenheit, die nicht wiederholbar und deshalb einer
experimentellen Überprüfung prinzipiell nicht zugänglich, also nicht direkt
beweisbar sind. Sie erlaubt aber die umfassende und logische Verknüpfung der
Beobachtungen und Experimentalbefunde aus allen Wissensgebieten der Biologie
und findet in der experimentellen Bestätigung von Voraussagen immer wieder
ihre Bestätigung. Bis heute gibt es keine einzige biologische, paläontologische
oder geologische Einzeltatsache, die sich nicht widerspruchsfrei in
dieses Gedankengebäude einfügen ließe.
Die Hypothese einer Evolution wurde so zur Evolutionstheorie, der
umfassendsten und bestbegründeten Theorie der Biologie überhaupt …
Welche Indizien sprechen für eine gemeinsame Abstammung der Lebewesen? …
S.108ff.
Möglichkeiten und Grenzen
wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns …
Es entspricht unserer Erfahrung, dass einer Wirkung
eine von ihr verschiedene Ursache zugrunde liegt und dass gleiche Ursachen
unter gleichen Bedingungen auch gleiche Wirkungen hervorrufen. Ob solche
Kausalzusammenhänge für alle Naturerscheinungen bestehen, ist prinzipiell
unbeweisbar, wenngleich höchst wahrscheinlich und wird deshalb a
priori angenommen (Kausalitätspostulat). …
Auf diesen Grundlagen gewonnene Ergebnisse werden zu so genannten reproduzierbaren
(objektiven) Aussagen, wenn sie erstens mit naturwissenschaftlichen
Methoden (d. h. streng logisch und unabhängig vom Beobachter und von
ideologischen, religiösen, weltanschaulichen und sonstigen Einflüssen) und
zweitens mehrfach und von verschiedenen Personen erhalten wurden. …
Je größer die Anzahl der untersuchten Einzelfälle mit gleichem Ergebnis ist, desto
sicherer ist die daraus abgeleitete Regel. Solche Regeln mit sehr hohem
Gewissheitsgrad werden auch Naturgesetze genannt. …
Eine vielfach bestätigte und verfeinerte Hypothese, in die sich möglichst viele
und vielfältige Einzeltatsachen widerspruchsfrei einfügen lassen, erhält den
Rang einer Theorie. Auch wenn Theorien die Ebene höchster Gewissheit
naturwissenschaftlicher Erkenntnis darstellen, so geben doch auch sie immer nur
den Stand des augenblicklichen Wissens wieder und sind der
Veränderung und Anpassung an neue Erfahrungen und Ergebnisse unterworfen.
Gelegentlich erweisen sie sich sogar als falsch …
Beschreibungen, objektive Aussagen, Kausalbeziehungen, Regeln, Hypothesen und
Theorien sind die Ergebnisse unserer Bemühungen, die reale Welt zu erkennen,
d.h. unsere Erfahrungen und die daraus gebildeten Vorstellungen mit den
Naturerscheinungen in Übereinstimmung zu bringen. Sie bilden in ihrer
Gesamtheit das, was man das „naturwissenschaftliche", oder, auf
biologische Sachverhalte reduziert, das „biologische Weltbild"
nennt. Ein solches „Weltbild" kann niemals vollständig, fertig,
endgültig sein. …
Fragen nach dem Beginn einer Ursachenkette wie auch nach der finalen
(Zweck-)Ursache sind mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht zu fassen.
Sie wurden zu allen Zeiten und in allen Kulturen mit Vorstellungen von den
zweckvollen Absichten sich selbst erklärender Schöpfer beantwortet. Da
sich solche Begründungen einer Überprüfung mit naturwissenschaftlichen Mitteln
entziehen, sind sie in [19] den Naturwissenschaften nicht
zulässig. …
(Quelle: B22
C.C.BUCHNER; Solbach, H.: Vita nova; Biologie für die Sekundarstufe II; Bamberg
2000)
S.353
Die Paläontologie liefert mit Fossilien wertvolle Hinweise auf die
Existenz von früheren Arten …
S.364f.
Widersprüche und Schwächen der Evolutionstheorie
Es gibt Schwachstellen in der Evolutionslehre DARWINS und der
daraus hervorgegangenen, verbesserten synthetischen Evolutionstheorie.
…
Viele Erkenntnisse der
Evolutionsforschung werden noch kontrovers diskutiert. Welches Fazit kann man am Ende
dieses Kapitels ziehen? – Es ging nicht darum, Sie zu verunsichern und alles,
was Sie bisher über Evolution erfahren haben, in Frage zu stellen. Festzuhalten
ist aber, dass viele Bereiche der Evolutionsforschung kontrovers beurteilt
werden. Für die Ursachen der Evolution gibt es z.B. bisher keine
widerspruchsfreie, gültige Theorie. Es ist deshalb vernünftig, auch
Erkenntnisse, die als gesichert gelten, mit Umsicht zu beurteilen und zu
verwenden.
Ob die Evolution wohl jemals alle ihre Geheimnisse preisgeben wird?
(Quelle: B23 CORNELSEN
/ VOLK UND WISSEN; Biologie Oberstufe, Gesamtband, Berlin, 2006)
S.12f.
(Wahrnehmung, Erfahrung, Wissenschaft)
… Dieser dreistufige Prozess der Erkenntnis beruht jedoch letztlich auf
hypothetisch postulierter Realität. Er kann nie zu völlig sicherem,
endgültigem Wissen führen. Auch auf der Stufe der Wissenschaft gewonnenes
Wissen ist daher immer nur „Vermutungswissen“ und damit vorläufiges Wissen.
…
Jede Beobachtung wird durch die Leistung der Sinne oder der Instrumente
gefiltert und begrenzt. …
Der wissenschaftliche Vergleich ermöglicht es, diese
Evolutionskette teilweise zu rekonstruieren. …
S.254
Wie Forschung funktioniert: Die
synthetische Theorie der Evolution
Die naturwissenschaftliche Theorie.
Eine Theorie ist eine umfassende widerspruchsfreie Modellvorstellung der
Wirklichkeit. …
Offene Fragen. Wie jede naturwissenschaftliche Theorie ist auch die
synthetische Theorie der Evolution nicht abgeschlossen. Sie wird an
immer neuen Fakten auf ihre Gültigkeit geprüft und dabei ständig weiterentwickelt.
Stets sind einzelne Fragen ungelöst. So ist immer noch offen, welches Gewicht verschiedenen
Evolutionsfaktoren zukommt, beispielsweise der Bedeutung von Gendrift und
Zufall im Vergleich mit den Wirkungen der Selektion.
Auch der Verlauf der Stammesentwicklung wird im Detail kontrovers diskutiert.
Verläuft die Entwicklung kontinuierlich in kleinen Schritten, wie dies der
Gradualismus annimmt, oder erfolgt der Wandel punktuell schubweise zu
bestimmten Epochen, wie der Punktualismus meint?
S.268
Die Tatsache der Evolution
DARWINS Abstammungs- und Selektionstheorie, meist als Evolutionstheorie
zusammengefasst, berücksichtigt zahlreiche Fakten und erklärt die Vielfalt des
Lebens durch natürliche Ursachen. Wie jede andere Theorie wird sie durch
neue Tatsachen erweitert oder eingeengt und ist niemals eine endgültig beweisbare
Wahrheit. …
S.269
(Überblick)
… Die Tatsache der Evolution ergibt sich aus der Evolutionstheorie[20] …
(Quelle: B24 DUDEN /
PAETEC Schulbuchverlag; Duden Biologie, Gymnasiale Oberstufe, Berlin, 2005)
S.32
Modell: stimmt mit einem Teil der
Wirklichkeit überein …
Theorie: System von Gesetzen,
Modellen und Regeln, das sich mit einem bestimmten Teil der Realität
beschäftigt. Theorien beruhen meist auf einem Modell …
S.33
Der reduktionistische
Forschungsansatz beinhaltet, dass jeder Lebenserscheinung ein Bedingungskomplex
aus Materie, Information und Organisation zugrunde liegt.
Gesetze der exakten Naturwissenschaften reichen aus, um damit eine
Lebenserscheinung zu erklären. …
S.380
Indizien für die Evolution
der Organismen …
weisen hin … sind Belege … verdeutlichen … ermöglichen
… Indiz …
(Quelle: B25 KLETT;
Biologie für Gymnasien, Oberstufe, Stuttgart, 2005)
S.412
Die Evolutionstheorie versucht, die Entwicklung der Lebewesen allein durch
natürliche Vorgänge zu erklären. …
Ein häufiger Vorwurf lautet, dass die Evolution nicht sicher bewiesen sei. Dies
zielt eigentlich auf den Hypothesencharakter aller naturwissenschaftlichen
Theorien. Theorien sind prinzipiell nicht positiv beweisbar, nicht
verifizierbar. Die Forderung nach völliger Sicherheit ignoriert also den
Hypothesencharakter und kann generell nicht eingelöst werden. Theorien sollten
aber widerspruchsfrei (interne Konsistenz) und überprüfbar sein, und
die Prüfung sollte auch negativ ausfallen können. Ein positives Ergebnis
ist aber kein Beweis, sondern „nur" eine bestandene Bewährungsprobe.
…
Weiterhin ist Naturwissenschaft und damit auch
die Evolutionstheorie eine menschliche Tätigkeit. Als solche enthält
sie die menschlichen Schwächen wie z.B. die Möglichkeit des Irrtums, auch ist
sie unfertig, nicht abgeschlossen. …
S.413
(vorher Zitate zum
Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion)
AUFGABE:
Zeigen Sie, an welchen Stellen der Texte auf verschiedenen Ebenen
argumentiert wird und wo Überschreitungen der Domänengrenzen
erfolgen.[21]
(Quelle: B27 KLETT;
Natura, Biologie für Gymnasien Band 2, Klett, Stuttgart, 1997, S.367)
Die Wurzeln der Menschheit
Da auch heute noch beträchtliche Lücken in den vorliegenden Fossilfunden
bestehen, bleibt jeder Stammbaum des Menschen unsicher. Kommen neue
Fossilfunde und weitere Erkenntnisse dazu, muss der Stammbaum überarbeitet
werden. Dies kann bei einzelnen Wissenschaftlern, je nach unterschiedlicher
Bewertung der Funde, zu verschiedenen Ergebnissen führen.
Zu einer genau
entgegengesetzten Bewertung der Befundlage bei Fossilien kommt das folgende
Lehrbuch:
(Quelle: B28
SCHROEDEL; Biologie heute entdecken S II; Braunschweig, 2004, S.413)
… Fossilgeschichte …
Aufgrund zahlloser derartiger Belege gilt Evolution heute nicht mehr „nur“
als Theorie, sondern als Tatsache20
Das nächste Lehrbuch stellt
zwar zunächst fest, dass sich die Aussagen der Evolutionstheorie grundsätzlich
„nicht direkt beweisen“ lassen, biologische Forschung nur gewichtige Hinweise
liefern kann, dann aber wird sofort anschließend in den Kapitelüberschriften
doch ständig von „Beweisen“ geschrieben.
(Quelle: B29
SCHROEDEL; Biologie heute S II; Braunschweig, 2004)
S.286
Da sich die Aussagen der Evolutionstheorie auf Vergangenes, Unwiederholbares
beziehen, lassen sie sich grundsätzlich nicht direkt beweisen. Die
verschiedenen biologischen Disziplinen wie Anatomie und Morphologie,
Stoffwechselphysiologie, Entwicklungsphysiologie, Genetik, Ethologie,
Paläontologie sowie Tier- und Pflanzengeografie liefern aber eine Fülle von Hinweisen,
die allein durch die Annahme einer gemeinsamen Abstammung der Lebewesen zu
erklären sind.
S.387
2 Argumente für die Evolutionstheorie
2.1 Anatomische und morphologische Beweise
(weiter: 2.2
Entwicklungspysiologische Beweise, 2.3 Paläontologische Beweise)
S.442
7 Kontroversen über die
Evolutionstheorie …
Lücken in der Evolutionstheorie …
2. Die Zeit, in der Evolution abgelaufen ist, umfasst mehr als vier
Milliarden Jahre. Es ist unmöglich, Einzelvorgänge, die Hunderte von
Millionen Jahren zurückliegen, exakt zu rekonstruieren, da in der Zwischenzeit
unzählige Einflüsse auf das Ergebnis eingewirkt haben, die nicht mehr nachvollzogen
werden können. Man ist dann, wie in jeder historischen Wissenschaft, auf
Indizienbeweise angewiesen. Vor einer ähnlichen Situation steht
beispielsweise die Geomorphologie, deren Aufgabe die Erklärung von Geländeformen
mit physikalisch-chemischen Mitteln ist. Nicht immer ist es möglich, eine
Struktur in der Landschaft kausal zu erklären, da im Laufe der Zeit zu
unterschiedliche Einflüsse nacheinander einwirkten, sodass einzelne Strukturen
ausgelöscht oder verändert wurden. Niemand wird aber deswegen der Geomorphologie
die Existenzberechtigung absprechen oder sie für unseriös erklären.
3. Die Beziehungen der Lebewesen untereinander und zu ihrer Umwelt sind von
einem Komplexitätsgrad, den das menschliche Gehirn, wenn überhaupt, dann
nur äußerst schwer, zu bewältigen vermag.
Wenn man diese Schwierigkeiten bedenkt, ist es erstaunlich, dass in
verhältnismäßig kurzer Zeit eine Theorie so gut abgesichert werden konnte, wie
es bisher geschehen ist. Dass es trotzdem noch Lücken gibt und
wahrscheinlich immer geben wird, ist kein Beweis gegen ihre Richtigkeit. Nur
wenn eine Theorie gefunden wird, die die Erscheinungen der lebenden Welt auf
andere Weise und besser als die Evolutionstheorie erklärt, wird die heute
aktuelle Abstammungslehre überholt sein. …
S.444
(Der Kreationismus …)
Eine fundierte, lückenlose Argumentation dagegen ist aber mit gewissen
Schwierigkeiten verbunden: Die Evolutionstheorie beruht zu einem großen Teil
auch auf den Voraussetzungen, die die Geologie liefert, denn die Fossilien
finden sich in geologischen Schichten und die Datierungsmethoden, die die
Zeittafel der Evolution bestimmen, sind Datierungsmethoden der Geologen. Diese
Verfahren beruhen aber auf der Annahme, dass die Naturgesetze, die heute
wirksam sind, auch schon vor Zeiten wirksam waren. Naturgesetze haben immer in
unveränderter Form gegolten und werden immer in unveränderter Form gelten.
Dieses Prinzip wird als Aktualismus
oder Aktualitätsprinzip bezeichnet und geht auf den englischen Geologen
CHARLES LYELL zurück, der damit zu DARWINS Zeiten die Geologie in neue Bahnen
lenkte. Für uns ist dieses Prinzip heute selbstverständlich. Es ist
aber - und das ist der Ansatzpunkt für den Kreationismus - nicht beweisbar.
Der Aktualismus ist ein Axiom,
d. h. ein Satz, der zwar als unmittelbar einsichtig gilt, aber nicht beweisbar
ist. Auch die Schöpfungstheorie beruht auf einem Axiom, denn auch sie ist
nicht beweisbar. Wenn man also das Axiom des Aktualismus bezweifelt,
entzieht man der Evolutionstheorie die Grundlage. Ohne das
Aktualitätsprinzip ist es durchaus denkbar, andere, wie auch immer geartete
Zeiträume für die Entstehung der Erde und ihre Bewohner anzusetzen. Man stellt
sich damit aber auf eine Position außerhalb der heute für wahr gehaltenen
naturwissenschaftlichen Prinzipien.
Akzeptiert man dagegen das Aktualitätsprinzip und nimmt man weiterhin
an, dass auch die Datierungsmethoden nicht völlig falsch sind, so kommt die Evolutionstheorie
zur Zeit als einzige Erklärungsmöglichkeit für die Vielfalt der Lebewesen
auf der Erde in Frage. Die überwiegende Mehrzahl[22] der heute lebenden Biologen und der anderen Naturwissenschaftler ist
dieser Meinung.
(Quelle: B29
SCHROEDEL; Biologie heute S II; Braunschweig, 2004)
(Quelle: B30
SCHROEDEL; Hoff, P. / Miram, W. / Paul, B.: Evolution, Materialien für den
Sekundarbereich II, Biologie, Hannover, 2004)
S.16ff.
2.7 Der Streit um DARWINs Theorie
S.19
Kasten:
Wie Wissenschaft funktioniert
… Eine Theorie ist also ein Erklärungsmodell, das sich auf durch Fakten
begründete Hypothesen stützt. Ein Erklärungsmodell ist natürlich
etwas anderes als die „absolute Wahrheit“: Naturwissenschaftliche
Hypothesen lassen sich im streng mathematischen Sinn nämlich nicht
„beweisen“. Das liegt daran, dass – so plausibel uns eine Hypothese
erscheint – immer auch alternative Erklärungen möglich sind, auf die
wir einfach noch nicht gekommen sind. Allerdings sollten sich Hypothesen
dadurch auszeichnen, dass sich aus ihnen Vorhersagen ableiten lassen, die prinzipiell überprüfbar sind. …
S.47
Kasten:
Die Synthetische Theorie der
Evolution – ein Jahrhundertirrtum?
(im Weiteren werden hier kritische,
alternative Erklärungs-Ansätze dargestellt)
S.52ff.
4 Spurensuche – Indizien für die
Evolution
(im Weiteren wird in Kapitelüberschriften
immer wieder der Begriff Hinweise verwendet, es geht dabei um solche aus
der Biogeografie, aus der vergleichenden Anatomie und Morphologie, aus der
vergleichenden Embryologie, aus der Parasitologie, Cytologie,
Molekularbiologie)
(Quelle: B31
SCHROEDEL; Hoff, P. / Miram, W.: Evolution, Materialien für den Sekundarbereich
II, Biologie, Hannover, 1993)
S.7
1. Einführung
… Viele Teilwissenschaften der Biologie liefern Argumente zur Stützung der
Evolutionstheorie. Allen aber ist gemeinsam, dass sie nur Teile zu einem
Puzzle beitragen. Die Entwicklung der Lebewesen lässt sich nicht im
Experiment wiederholen. Die Teilbeiträge der Einzelwissenschaften sind „Indizien“
in einer Beweiskette …
S.106
7.2. Probleme bei der
Rekonstruktion der Stammesentwicklung
… Der Biologe, der sich das Nachzeichnen dieses Weges zur Aufgabe macht, ist in
der Lage eines Kriminalisten, der ein Verbrechen rekonstruieren soll, für das
es keine Zeugen gibt. Er hat eine Reihe von Hinweisen … die Verknüpfung der
Indizien zu einer zusammenhängenden Kette erfordert aber viel Fingerspitzengefühl
und Erfahrung … Unser Stammbaum wird deshalb an vielen entscheidenden
Stellen notgedrungen gestrichelte Linien oder sogar Fragezeichen aufweisen.
S.127
8.5. Der Ablauf der Entwicklung zum
Menschen
(Kasten:)
Die Problematik des menschlichen Stammbaums
… 1. Ein Stammbaum ist nur der Versuch, den jeweiligen Stand der Forschung
im Zusammenhang darzustellen …
4. Die Liniendarstellung in einem Stammbaum täuscht über die Lücken hinweg,
die zwischen den einzelnen Funden bestehen. Diese sind häufig beträchtlich.
S.140ff.
9. Kontroversen über die
Evolutionstheorie
(Im Weiteren folgen zunächst Ausführungen
zu Präadaptation und Makroevolution)
S.142f.
9.3. Lücken in der
Evolutionstheorie
… Man ist dann, wie in jeder historischen Wissenschaft, auf Indizienbeweise
angewiesen …
Dass es noch Lücken (in der Evolutionstheorie) gibt und wahrscheinlich
immer geben wird, ist kein Beweis gegen ihre Richtigkeit. Nur wenn eine
Theorie gefunden wird, die die Erscheinungen der lebenden Welt auf andere Weise
oder besser als die Evolutionstheorie erklärt, wird die Abstammungslehre
überholt sein.
Sehr
anspruchsvoll und in einem geschlossenen Beitrag informiert das folgende Lehrbuch
über Arbeitsweise, Erkenntnismöglichkeiten und Begrenzungen der Naturwissenschaften
am Beispiel der Biologie.
Allerdings drängen beim
Lesen eines so ausführlichen und tiefgründigen Artikels einige Fragen auf:
Ist es in den Lehrplänen überhaupt Raum vorgesehen, damit auf solche
Problembereiche gründlich und systematisch eingegangen werden kann?
Haben Lehrer und Schüler Zeit und Mut und Lust, sich auf solche Fragen
einzulassen, die ja auch die eigene Existenz berühren, und auf die es vor allem
keine „richtigen“ Antworten gibt, die man auswendig lernen, abfragen und
bepunkten kann?
Es ist vielleicht symptomatisch, dass das Kapitel auch in diesem Lehrbuch ganz
am Ende steht, damit am Rande und nicht richtig eingebunden in den Lehrstoff?
Meine Position ist hier ganz eindeutig:
Genau solche Kapitel, mit ausführlichen
Darlegungen und in geschlossener Darstellung, gehören in die Lehrbücher und in
die Lehrpläne - und nicht erst in der gymnasialen Oberstufe und nicht nur
exklusiv in Leistungskursen!
Wegen seiner geschlossenen und gediegenen Darstellung
wird das entsprechende Kapitel aus dem Lehrbuch hier vollständig
wiedergegeben:
(Quelle: B32 SCHROEDEL;
Linder Biologie, Lehrbuch für die Oberstufe, Braunschweig, 2005)
S.541ff. (Textumfang
8 Buchseiten)
Erkenntniswege der
Biologie
Erkenntnisse werden erst dann vollständig verstanden,
wenn man weiß, wie sie zustande kommen, d.h. welche Methoden verwendet werden.
Die Kenntnis der Methoden befähigt zum Urteil über den Wert und die Grenzen
der damit gewonnenen Ergebnisse. Die Biologie als Naturwissenschaft baut auf
reproduzierbaren Aussagen auf, die aufgrund von Beobachtungen, Vergleichen und
Experimenten gewonnen werden. Von ihnen ausgehend bildet man Hypothesen und
Theorien.
1 Reproduzierbare
Aussagen
Unter einer reproduzierbaren (objektiven) Aussage
versteht man eine Feststellung, die wiederholt in unabhängiger Weise und von
verschiedenen Personen getroffen werden kann. Um zu ihr zu gelangen, muss
die strenge Gültigkeit der Logik vorausgesetzt werden. Außerdem werden
folgende Forderungen erhoben: Unabhängigkeit vom jeweiligen Beobachter, von
Übereinkünften und von Glaubens- und Wertvorstellungen. Diese Forderungen
können letztlich nicht begründet werden; sie sind die „Spielregeln“ der
Naturwissenschaft. Sie erweisen sich durch die erfolgreiche Anwendung der
von der Naturwissenschaft gewonnenen Ergebnisse als sinnvoll, z. B. Pflanzen-
und Tierzüchtung als Anwendung der Genetik. Eine weitere wichtige
„Spielregel“ (Postulat) für die Naturwissenschaften ist das Kausalitätsprinzip:
Jeder Wirkung muss eine Ursache zugrunde liegen, und gleiche Ursachen haben
unter gleichen Bedingungen gleiche Wirkungen. Ein Ziel der
Naturwissenschaften ist es, Kausalbeziehungen festzustellen. Die Erkenntnisse
sind stets abhängig vom Stand der Arbeitsmittel. Dies zeigt z. B. die
Geschichte der Zellforschung (s. Cytologie 1.1). Sie sind aber auch abhängig
von der Interessenlage in der Wissenschaft. So wurden die MENDELschen
Regeln zunächst als unwichtig angesehen; ebenso erging es dem von MCCLINTOCK
entdeckten Vorgang der Transposition (s. Exkurs Transposons, S. 363).
Beobachten. Manche Teilgebiete der Biologie
beschränken sich auf das Beobachten und Beschreiben nach bestimmten Kriterien,
z. B. die Anatomie. Eine Beobachtung kann in Form einer Aussage, z. B. der
Beschreibung eines Verhaltens, in Form einer Abbildung, z. B. bei einer anatomischen
Beschreibung, oder in Form einer graphischen Darstellung bei messenden,
quantitativen Beobachtungen niedergelegt werden. Auf die Beschreibung der
Erscheinungen folgt der Versuch ihrer Erklärung. Dazu stellt man Überlegungen
an, wie eine Erklärung aussehen könnte, d.h. man stellt eine Hypothese auf
(siehe unten). Diese überprüft man häufig mithilfe von Experimenten.
Vergleichen. Vergleichen lassen sich
Gegenstände, z.B. DNA-Moleküle, Organismen (Eidechse - Salamander), oder
Vorgänge (Fotosynthese - Atmung). Beim Vergleich zweier Erscheinungen wird
anhand festgelegter Kriterien das Unterschiedliche und das Gemeinsame
herausgestellt. So erkannte man z. B. durch den anatomischen Vergleich der
Blutkreisläufe sowie der Ausscheidungsorgane verschiedener Wirbeltiergruppen,
dass sie gemeinsame Grundbaupläne aufweisen. Durch Ordnen und Vergleichen wurde
das natürliche System der Organismen gefunden. Auch Vergleiche führen zunächst
zu Hypothesen, die dann weiter geprüft werden.
Experimentieren. Will man feststellen, wie eine
bestimmte Größe, z.B. die Erregung einer Sinneszelle, durch eine andere Größe,
z.B. die Reizintensität, beeinflusst wird, bedient man sich des Experiments.
Ein Experiment muss so angelegt sein, dass es eine bestimmte Fragestellung
eindeutig beantwortet. Es ist also immer das Ergebnis einer Vorüberlegung, die
als Arbeitshypothese bezeichnet wird. In der Regel wird darin eine
Kausalbeziehung angenommen. Will man z. B. klären, ob eine bestimmte Drüse das Wachstum
fördert, so entfernt man sie einigen Versuchstieren und beobachtet, ob deren
Wachstum dann aufhört. Ist dies der Fall, sucht man nach dem
wachstumsfördernden Stoff, indem man aus der Drüse Inhaltsstoffe isoliert und
getrennt nacheinander den Versuchstieren einspritzt. Derjenige Inhaltsstoff,
der das Wachstum anregt, ist der gesuchte. Häufig sind bei biologischen
Experimenten nicht alle Faktoren wirklich konstant zu halten, oft schon deshalb
nicht, weil man gar nicht alle kennt. Um den Einfluss solcher nicht genau
bestimmbarer oder nicht konstant zu haltender Faktoren auszuschalten, wird ein
Experiment mehrmals wiederholt. Die Folge ist, dass zwei gleiche Versuche an
biologischen Objekten oft nicht identische quantitative Messwerte liefern. Weil
die Messwerte biologischer Versuche stärker streuen als diejenigen
physikalischer Versuche (s. z.B. Abb. 89.1), spielen mathematische Verfahren
der Statistik in der Biologie zur Sicherung der Versuchsergebnisse eine
wichtige Rolle.
2 Hypothesen und
Theorien
Beobachtungen und Vergleiche führen zu Hypothesen.
Die Aufstellung einer Hypothese erfordert zunächst
eine Überlegung über mögliche Zusammenhänge zwischen einzelnen Befunden
oder Beobachtungstatsachen. Es liegt ihr also eine Idee zugrunde (Abb.
515.1). Daran schließt sich sofort die Prüfung auf Widerspruchsfreiheit
und auf Vereinbarkeit mit allen den Themenbereich betreffenden objektiven
Aussagen an. Daraus resultiert eine Arbeitshypothese, die als Grundlage für
Experimente dient. Fallen diese positiv aus, so liegt eine etablierte Hypothese
der Wissenschaft vor. Ein Beispiel soll diese Vorgehensweise erläutern: MENDEL
fand durch seine Experimente die in der Uniformitätsregel und der
Spaltungsregel niedergelegten objektiven Aussagen. Er bildete die Hypothese,
es gebe selbständige Erbeinheiten, die in den Körperzellen paarweise, in den
Keimzellen aber nur in Einzahl vorhanden seien. Diese Hypothese ergibt sich
nicht zwangsläufig aus den objektiven Aussagen. Auch eine andere Hypothese
wäre mit den gleichen Tatsachen vereinbar. Man könnte die von MENDEL gefundenen
Spaltzahlen auch damit erklären, dass die Gene in den Körperzellen nicht
doppelt, sondern in großer Zahl vorliegen und bei der Geschlechtszellenbildung
in zwei nur ungefähr gleiche Hälften geteilt werden.
Eine Hypothese ist normalerweise ein
(Gedanken-)Modell, das man sich von der Wirklichkeit macht. Dieses Modell muss sich in
experimentellen Situationen wie das reale System verhalten. Ein solches Modell
kann sehr einfach sein, z. B. das Modell der selbständigen Erbeinheiten von
MENDEL. Es kann aber auch sehr komplex sein, wie die Modellvorstellung von der
Regulation der Proteinsynthese (s. Abb. 367.1) oder der Steuerung aktiver
Bewegungen (s. Abb. 255.1). Jedes Modell soll aus Gründen der Denkökonomie
das einfachst mögliche (sparsamste) sein, das zur Erklärung ausreicht
(Minimalmodell). Dies ist das »Rasiermesserprinzip«, das auf den scholastischen
Philosophen W. VON OCKHAM (gest. um 1349) zurückgeht. Stehen zwei Hypothesen
zur Auswahl, von denen keine eindeutig als falsch nachgewiesen werden kann, so
ist diejenige zu wählen, die mehr Beobachtungen und Aussagen unter einem
Gesichtspunkt zusammenfasst und erklärt.[23]
Prüfung von Hypothesen. Eine Hypothese muss geprüft und,
falls nötig, weiter verfeinert werden. Dazu werden aufgrund der Hypothese Vorhersagen
abgeleitet, die experimentell nachprüfbar sind. Man bezeichnet
dieses Verfahren der Herleitung als Deduktion (Abb. 515.1). Die Deduktion
bedient sich ausschließlich der Logik. Je nach Ausgang des Experiments wird
die Hypothese bestätigt oder als falsch erkannt (falsifiziert). Eine einzige
objektive Aussage, die mit der Hypothese unverträglich ist, führt zu deren
Ablehnung. Dagegen kann eine Hypothese nie endgültig verifiziert werden, d. h.
ihre Wahrheit erwiesen werden; durch jede Bestätigung wird ihre Richtigkeit nur
wahrscheinlicher. Diese Aussage gilt nicht für Sätze der Art:
„Es gibt . . .!“ (Existenzsätze). Sie können durch
eine entsprechende Beobachtung verifiziert, aber kaum je falsifiziert werden.
Beispiele: „Es gibt schwarze Schwäne!“ oder „Es gibt einen angeborenen
auslösenden Mechanismus (AAM), der das Verhalten x hervorruft!“. Solche
Existenzsätze sind in der Wissenschaft daher von geringem Wert.
Da Hypothesen nie verifiziert werden können, folgt
daraus der hypothetische Charakter aller naturwissenschaftlichen Erkenntnis. Die Annäherung an die Wahrheit
erfolgt durch Falsifizierung möglichst vieler alternativer Vorstellungen. Eine
vielfach bestätigte Hypothese hat sich dann bewährt.
Als Beispiel für die Prüfung einer Hypothese seien
nochmals die MENDELschen Gesetze erwähnt: Aus der Hypothese, dass die Gene
unabhängige Erbeinheiten sind, die in den Körperzellen doppelt, in den
Keimzellen aber einfach vorliegen, wird deduktiv das Experiment der
Rückkreuzung und das erwartete Ergebnis abgeleitet. Die experimentellen
Ergebnisse bestätigen die Hypothese(s. Genetik 3).
Induktion. Die Ansicht, dass man aus einer
großen Zahl bisheriger Beobachtungen auf den nächsten Beobachtungsfall oder
sogar auf alle Fälle schließen könne, ist unzutreffend. So lässt sich aus der
Tatsache, dass alle bisher beobachteten Schwäne weiß sind, nicht folgern, dass
alle Schwäne weiß sind. Ein solcher Schluss ist logisch nicht zu rechtfertigen,
denn es gibt kein logisches Verfahren, das eine Anwendung auf weitere Fälle
(Verallgemeinerung) erlaubt. Dennoch werden im Alltagsleben ständig solche
Überlegungen verwendet. Man bezeichnet sie als Induktion. So ist man überzeugt,
dass die Sonne morgen wieder aufgeht, obwohl man das nicht sicher wissen kann.
Diese Überzeugung beruht auf Erfahrung: Naturvorgänge erwiesen
sich bisher als konstant. Möglicherweise besteht auch eine erbliche
Disposition, Vorgänge soweit möglich als konstant anzusehen („Gleiche bzw.
gleichartige Dinge verhalten sich gleichförmig!“). Wenn alle bisher untersuchten
Organismen aus Zellen aufgebaut sind, wird dies bei den nicht daraufhin
untersuchten ebenso sein. Wenn die MENDELschen Gesetze für die bisher geprüften
Arten zutreffen, so werden sie auch für die anderen gültig sein. Da der
Energieerhaltungssatz bisher nie durchbrochen wurde, ist an seiner
Allgemeingültigkeit nicht zu zweifeln.[24] Induktiv gewonnene Voraussagen
haben keine logische, aber eine praktische Rechtfertigung. Nur mit ihrer Hilfe
kann der Mensch planen und handeln sowie Gefahren vermeiden
(Selektionsvorteil).
Wissenschaftliche
Theorien.
Erlaubt eine Schritt um Schritt ausgebaute Hypothese die widerspruchsfreie
Einfügung vieler objektiver Aussagen und ist sie vielfach bestätigt, so erhält
sie den Rang einer Theorie. Die Bestätigung erfolgt so, dass die Hypothese an deduzierten
Folgerungen experimentell vielfach überprüft oder auch verbessert wird
(hypothetisch-deduktives Verfahren).
Die naturwissenschaftliche Theorie hat vier
Funktionen:
1. Erfassung eines Themenbereichs durch Schaffung
und Handhabung von Begriffen. Diese
müssen definiert sein, d. h. ihre
Bedeutung und Verwendung muss genau festgelegt sein.
Beispiel: In der Evolutionstheorie
werden bestimmte Bauplanähnlichkeiten als Homologie
bezeichnet.
2. Zusammenfassung vieler objektiver Aussagen
unter einer einheitlichen Hypothese, die sich
vielfach bewährt hat. Beispiel:
Homologien werden erklärt durch Abstammungszusammen-
hänge.
3. Möglichkeit von Voraussagen. Je mehr
Voraussagen eingetroffen sind, umso mehr hat sich die
Theorie bewährt. Beispiel: Weitere
Homologien lassen weitere Abstammungszusammenhänge
erkennen.
4. Aufwerfen neuer Fragen. Gelegentlich führen
Theorien zu Voraussagen, die sich nicht
vereinbaren lassen. Es entstehen neue
Forschungsfragen (Fruchtbarkeit der Theorie). Beispiel:
Das Problem des
Gradualismus/Punktualismus in der Evolutionstheorie (s. Evolution 2.1.3).
Durch fortgesetzte Fehlerkorrektur hofft man, sich
der Wahrheit zu nähern. Man weiß aber nicht, ab wann eine Hypothese als
hinreichend bewährt angesehen werden darf, um Theorie genannt zu werden. Theorien
sind nie endgültig, sondern immer nur richtig nach dem augenblicklichen Stand
des Wissens.
Es kann auch vorkommen, dass eine bisherige Theorie
nicht infolge Falsifizierung aufgegeben, sondern einfach verlassen wird, weil
eine ganz neue, viel überzeugendere Hypothese (ein neues Paradigma) zur
Erklärung der Tatsachen gefunden wird. Eine solch entscheidende Änderung
der Auffassungen (Paradigmenwechsel) kommt einer „wissenschaftlichen
Revolution“ (TH.S.KUHN) gleich.
Beispiele:
1. DARWINsche Theorie. Sie begründet in
überzeugender Weise die Evolution und gibt die Regeln
an, nach denen sie abläuft. Sie tritt
an die Stelle der Vorstellung von einer einmaligen Schöpfung
aller Lebewesen und an
die Stelle der Katastrophentheorie von CUVIER.[25]
2. Theorie vom Gen als Teil der DNA. Sie ist
Grundlage der ganzen Molekularbiologie und tritt an
die Stelle der Vorstellung, Gene
seien Proteine oder sogar nicht stofflicher Natur.
Für fast alle Paradigmenwechsel gilt: Die neue
Theorie ist umfassender, d.h. sie erklärt mehr Tatsachen als die vorhergehende
und ist daher überzeugender. Die neue Theorie entspricht dem erreichten allgemeinen
Bewusstseins- und Erkenntnisstand besser als die alten Theorien.
Bewährte Theorien werden allerdings vielfach durch
neue nicht völlig umgestürzt, sondern behalten als Spezialfall ihre
Gültigkeit. Die Ursache von Schwierigkeiten bei der Anerkennung einer wichtigen
neuen Erkenntnis liegt oft in der Eigentümlichkeit der menschlichen Natur, auf
gewohnten Vorstellungen zu beharren.
3
Naturwissenschaftliches Weltbild
Die auf den verschiedenen Gebieten aufgestellten
Theorien versucht die Wissenschaft zu einer Einheit, dem
naturwissenschaftlichen Weltbild, zusammenzufassen. Dieses Weltbild kann nur
ein Teilbild der Welt sein, weil durch die Methode der Naturwissenschaften nicht-objektive
Aussagen wie Glaube, Wertvorstellungen, Ideologien ausgeschlossen sind.
Außerdem kann es nur ein vorläufiges Bild sein, denn es gibt stets ungelöste
Fragen, und alle Theorien werden ständiger Kritik unterzogen. Dass der Mensch richtige Theorien
über die Welt bilden kann, ist durch die Evolution zu erklären: Nur diejenigen
Säugetiere, Vormenschen und Menschen überlebten in der Evolution, die in der
Lage waren, richtige Vorstellungen über ihre Umwelt zu entwickeln. Nur so
konnten sie die Vorteile ihrer Fähigkeit zum einsichtigen Handeln ausnützen,
denn Vorstellungen über Zusammenhänge in der Umwelt sind die Grundlage jeder
geplanten Handlung. Diese Ansicht, wonach der Evolutionsvorgang dazu führte,
dass der Mensch die Außenwelt einigermaßen zutreffend erkennt, wird als
„Evolutionäre Erkenntnistheorie“ bezeichnet. Es handelt sich aber nicht um eine
Erkenntnistheorie im philosophischen Sinn, sondern nur um eine Grundlage für
eine solche. Das Verfahren der Erkenntnisgewinnung durch die hypothetisch-deduktive
Methode führt dazu, dass im Erkenntnisprozess eine „Welt“ hypothetisch
rekonstruiert wird; diese bezeichnet man als „reale Welt“. Die allgemeinste
Naturwissenschaft ist die Physik, sie hat alle realen Systeme zum Gegenstand,
und ihre allgemeinsten Gesetze geben daher die Bedingungen der Möglichkeit von
Erfahrungen überhaupt an (C. F. VON WEIZSÄCKER). Die Biologie hat die
lebenden Systeme und deren Gesetzmäßigkeiten zum Thema. Biologische
Systeme sind komplexer als die meisten Systeme der unbelebten Natur. Dies
macht es oft schwieriger, allgemeine Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und zu
prüfen. Zufällige Ereignisse spielen in der Biologie eine größere Rolle als in
den meisten Bereichen der Physik; daher sind der Wiederholbarkeit und Voraussagbarkeit
engere Grenzen gesetzt. In der heutigen Physik zeigen aber Quantentheorie
und Synergetik ebenfalls die Bedeutung von Zufallsvorgängen. Die für die
Biologie grundlegende Evolutionstheorie kann als ein spezieller Fall einer
allgemeinen Theorie der Synergetik aufgefasst werden.
Wichtig für die Stellung der Biologie im
naturwissenschaftlichen Weltbild ist die Frage der Reduzierbarkeit komplexer
Systeme. Eine strenge Reduktion, d. h. eine logisch-deduktive Ableitung der
Biologie aus der Physik und Chemie, ist nicht möglich. Die Methode der
Zurückführung biologischer Tatbestände auf physikalische und chemische
Gesetzmäßigkeiten (methodische Reduktion) ist bisher jedoch an keine Grenze
gestoßen und hat sich bewährt. Sie wird in den meisten Teilgebieten der
Biologie fortlaufend erfolgreich angewendet. Reduktion ist nicht zu verwechseln
mit Mathematisierung. So sind soziobiologische Modelle (s. Evolution 2.5)
zumeist mathematische Modelle und erweisen sich durch ihre Voraussagen als
erfolgreich: Bei der soziobiologischen Modellbildung erfolgt jedoch keine
Reduktion auf molekularbiologische Grundlagen. Das wäre derzeit auch nicht
möglich.
Die Welt ist dem Menschen nur durch die Sinnesorgane
zugänglich. Die Sinneseindrücke werden ihm durch die Verarbeitung im Gehirn
bewusst. Das Bewusstsein entsteht durch eine Selbstorganisation des
Zentralnervensystems, bei der von angeborenen Strukturen ausgehend fortgesetzt
Sinneserfahrungen aufgenommen werden. Das Gehirn hat dabei die Tendenz, eine
stabile „Realität“ außerhalb seiner selbst anzunehmen, so konstruiert es sich
seine „Welt“. Diese hypothetische Realität könnte eine Illusion sein - darüber
ist nichts bekannt. Alle Erkenntnis ist Ordnung, die das Gehirn hervorbringt;
erst durch die Ordnung wird sie zum Bewusstseinsinhalt. Aber nur ein Bewusstseinsinhalt, der
in Begriffe und damit in Worte gefasst werden kann, ist wissenschaftlich
sinnvoll. Hieran zeigt sich die enge Verknüpfung von Denken und Sprache. Die
Zeit ist die einzige Größe, die Bewusstseinsinhalte und physische Phänomene
eindeutig verbindet. Daraus ist zu ersehen, dass die Zeit unter den
physikalischen Größen eine Sonderstellung einnimmt.
Theorien des Lebens: Alle Erfahrungen der
wissenschaftlichen Biologie sprechen dafür, dass die Gesetze der Physik und
der Chemie auch für Organismen gelten. Bei Lebewesen finden sich jedoch zusätzliche
Eigenschaften, die nur ihnen eigentümlich sind. Die Tatsache, dass Lebewesen
Eigenschaften besitzen, die bei unbelebten Systemen unbekannt sind, wurde
früher auf unterschiedliche Weise philosophisch gedeutet. Die Vertreter des
Vitalismus waren der Meinung, ein immaterielles, der Materie übergeordnetes
Prinzip (Entelechie) lenke zwecktätig und zielgerichtet die Vorgänge im
Organismus. Die Vertreter des Mechanismus lehrten, dass Lebensvorgänge durch
physikalische und chemische Gesetzmäßigkeiten erklärbar seien.
Die miteinander unvereinbaren Standpunkte von
Vitalismus und Mechanismus sind aus der Sicht der heutigen Systemtheorie
weitgehend gegenstandslos geworden: Ein System, gleichgültig ob belebt oder
unbelebt, ist aus Elementen zusammengesetzt, die miteinander in Wechselwirkung
stehen. Dies führt zu Eigenschaften, die weder an den Einzelelementen zu
beobachten noch als Summe der Eigenschaften der Elemente aufzufassen sind.
Systemeigenschaften entstehen erst durch die Verknüpfung der Elemente zu einem
System (s. Cytologie 5.4). Lebewesen sind hochkomplexe Systeme. So ist „Leben“
eine Eigenschaft der Zelle, die deren Teile (Zellorganellen) nicht haben.
Um festzustellen, welche Eigenschaften ein bestimmtes
System besitzt, muss man die Eigenschaften der beteiligten Elemente und die
Art ihrer Verknüpfung sowie die gegenseitigen Abhängigkeiten im einzelnen
kennen. Dann kann man das System auf einem Computer nachbilden (simulieren) und
so eine bestimmte Eigenschaft als
Systemeigenschaft erkennen. Eine Simulation ist bis jetzt nur für wenige
Teilsysteme gelungen, z.B. für viele Stoffwechselketten und Teile von Signalnetzen
(s. Abb. 226.1). Die Systembiologie arbeitet daran, die Systemeigenschaften
einer Zelle zu simulieren und auf der Grundlage physikalisch-chemischer
Gesetze zu erklären.
Wenn es gelingt, die Eigenschaften eines Systems auf
die Eigenschaften der beteiligten Elemente und deren Wechselwirkungen
zurückzuführen, so geht man davon aus, dass diese Systemeigenschaft erklärt
sei. Erklären bedeutet in diesem Zusammenhang also, eine Eigenschaft eines
lebenden Systems auf die Eigenschaften und Verknüpfungen der beteiligten
Elemente zurückzuführen. Dies gilt auch dann, wenn die Eigenschaften der
Systemelemente, die ihrerseits wieder Systemeigenschaften eines Systems niedrigerer
Ordnung sind, selbst noch nicht auf die nächst niedrige Systemstufe
zurückgeführt werden können. So gilt eine Erklärung der Eigenschaften eines
Zellorganells als zureichend, wenn sie auf die Eigenschaften und
Verknüpfungen der beteiligten Moleküle zurückgeführt ist. Dies gilt unabhängig
davon, ob deren Moleküleigenschaften vollständig auf die Physik der Atome
zurückgeführt sind.
Bewusstsein. Körperliche (physiologische)
Prozesse im Nervensystem sind eng mit psychischen (seelischen) Vorgängen
verknüpft. Den Begriff „psychisch“ verwendet man für alle jene Vorgänge, die
mit dem Entstehen von Empfindungen, Wahrnehmungen, Vorstellungen,
Willensregungen, Urteilen u. a. verbunden sind. Wird z. B. ein rotes Blatt
Papier betrachtet, so stellt sich die Frage, welche Vorgänge zu der Aussage:
„Das Blatt ist rot.“ führen. Physikalisch gesehen, absorbiert das Blatt von den
auftreffenden elektromagnetischen Wellen des Sonnenlichts einen Wellenbereich
bestimmter Frequenz, ein anderer Teil des Lichtes wird reflektiert und trifft
auf die Netzhaut des Auges. In den Sinneszellen wird der Lichtreiz durch
physikalisch-chemische Vorgänge in ein raumzeitlich geordnetes Muster
(Erregungsmuster) von Aktionspotentialen umgesetzt, das über den Sehnerv in die
Nervenzellen des Sehzentrums im Gehirn einläuft. Bis hierher lässt sich der
Erregungsvorgang experimentell verfolgen. Es tritt aber jetzt die Wahrnehmung
„Rot“ auf. Sie hat als Bewusstseinsvorgang außer der Dauer keine physikalischen
Eigenschaften mehr; sie nimmt keinen Raum ein und besitzt keine Masse,
Energie oder Ladung. Bewusstseinsvorgänge sind damit etwas völlig Neues. Das
Bewusstsein des Menschen hat ein Gedächtnis und Vorstellungen über die Zukunft;
es weiß auch um sein eigenes Ende. Die Neurobiologie zeigt, dass bewusste
Erfahrung an Erregungsmuster in der Großhirnrinde gebunden ist (s. S. 246). Wie
sich der Übergang vom raumzeitlichen, physikalisch analysierbaren
Erregungsmuster in ein bewusstes Erleben der Außenwelt vollzieht, wie also
Bewusstseinsvorgänge in der erlebten Form entstehen, ist von der Biologie
derzeit nicht zu beantworten.
Die momentan wahrscheinlichste Ansicht über dieses
„Leib-Seele-Problem“ ist die Hypothese der psychoneuralen Identität. Sie
betrachtet psychische und neuronale Phänomene als zwei verschiedene Erscheinungsformen
einer einzigen Wirklichkeit. Bewusstseinsvorgänge treten offenbar dann auf,
wenn in bestimmten Teilen des Gehirns bestimmte neuronale Vorgänge ablaufen. In
dieser Form ist die Hypothese der psychoneuronalen Identität auch mit Befunden
vereinbar, die bei Gehirnoperationen durch elektrische Reizung kleiner
Gehirnbezirke gewonnen wurden. Bei der Reizung berichten die betreffenden
Patienten z. B. über gewisse Gefühle oder über bestimmte Erinnerungsbilder.
Solche Bewusstseinsinhalte sind·durch elektrische Reizung auslösbar. Die
Bewusstseinsinhalte haben also eine neurophysiologisch fassbare Entsprechung
im Gehirn. Diese ist einer Kausalanalyse zugänglich, die es als Systemeigenschaft
bestimmter Gehirnbezirke erkennt. Damit ist allerdings der Übergang von
Erregungsmustern zum Bewusstsein, das nur dem einzelnen Menschen zukommt, nicht
erklärt.
Kausalität und
Finalität.
Hypothesen und Theorien gewinnt man durch Prüfung von Kausalbeziehungen. Im
Bereich des menschlichen Handelns gibt es zusätzlich eine zweite Art von Ursache-Wirkungs-Beziehung,
die Finalität. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sich die zeitliche Reihenfolge
von Ursache und Wirkung umkehrt. Startet z. B. ein Sprinter zu einem Lauf, so
ist der vom Sprinter beabsichtigte Zweck, die Distanz in möglichst kurzer Zeit
zu durchlaufen und damit einen Wettkampf zu gewinnen, die Ursache.
Naturwissenschaftliche Erkenntnis beruht auf dem Beziehungsgefüge der
Kausalität zwischen Ursache und Wirkung. Finale Ursachen sind mit
naturwissenschaftlichen Methoden nicht zu fassen und finale Begründungen in
den Naturwissenschaften nicht zulässig. Bei Durchsicht biologischer Texte
stößt man allerdings auf Formulierungen wie „Das Wiesel färbt sich im Winter
weiß, damit es im Schnee nicht gesehen werden kann!“. Hier scheint eine finale
Ursache angegeben zu sein. Ist der Satz also unzulässig? Bei genauerer
Betrachtung erkennt man, dass die Fragen „Was bezweckt der Läufer mit dem
Start?“ und „Welchen Zweck hat die weiße Winterfarbe des Wiesels“ nicht gleich
gelagert sind. Die erste Frage setzt beim Läufer Einsicht in sein Tun voraus.
Die zweite Frage setzt eine solche Einsicht nicht voraus, sondern hat zum
Inhalt, welche lebenserhaltende Funktion die Farbe hat. Sie fragt also nach dem
Selektionsvorteil dieser Eigenschaft oder anders ausgedrückt nach den
Ursachen, die in der Vergangenheit zur Ausbildung eines solchen Merkmals durch
Selektion geführt haben. Diese teleonomische Fragestellung und
Betrachtungsweise steht im Gegensatz zur teleologischen Betrachtung, die auf
finale Ursachen abhebt. Die teleonomische Art der Fragestellung ist in der
Biologie zulässig und sinnvoll, da die Objekte der Biologie stets auch durch
kausale Ursachen bestimmt sind, die in der Vergangenheit gewirkt haben. Ohne
diese auf die Evolution abhebende Fragestellung ist eine Ursachenbeschreibung
in der Biologie unvollständig.
Bei der Untersuchung kausaler Ursachen kann man daher verschiedene
Erklärungsniveaus unterscheiden. Auf die Frage, warum das Fell des Wiesels im
Winter weiß ist, kann man unterschiedlich antworten: „Weil die Farbstoffbildung
in den Haaren unterbleibt!“ oder „Weil durch die weiße Farbe im Schnee vor
Feinden besser geschützt ist und daher einen Selektionsvorteil hat!“.
Die erste Antwort beschreibt die nächstliegende (proximate) oder unmittelbare
Ursache, die zweite Antwort ist die letztendliche, ultimate Erklärung (s.
Verhaltensbiologie 1).
3.1 Anwendung der
Wissenschaftstheorie: Evolutionstheorie und Kreationismus
Der hypothetisch-deduktive Charakter der Grundlagen
der Evolutionstheorie ergibt sich aus der Darstellung im Abschnitt 1 des
Kapitels Evolution. Die spekulativ vertretene Ansicht einer Evolution wurde zur
wissenschaftlichen Hypothese, als DARWIN eine ursächliche Erklärung aufgrund
von Beobachtungen und experimentellen Befunden geben konnte. Die Hypothese des
Abstammungszusammenhangs aller Lebewesen ermöglicht es, alle Ergebnisse der
Biologie und der Paläontologie widerspruchsfrei einzuordnen, die Teilgebiete
der Biologie in einen Zusammenhang zu bringen und Befunde vieler Teilgebiete
besser zu verstehen. Kein Ergebnis der Biologie steht im Widerspruch zur
Hypothese der Evolution. Mit dieser Hypothese sind zahlreiche Voraussagen über
zu erwartende Homologien sowie über den Aufbau von Genen bei verschiedenen
Arten usw. gemacht worden; sie wird der Planung von Versuchen fortgesetzt
zugrundegelegt. In keinem Fall wurde die Evolutionshypothese falsifiziert; sie
erlangte daher schon früh den Rang einer gut begründeten Theorie. Sie steht mit
unabhängig davon gewonnenen Ergebnissen der Geologie, Geophysik und Astrophysik
in Übereinstimmung, wird durch physikalische Theorien, z. B. durch die
Synergetik, untermauert und auf diese Weise zu einem Bestandteil des
naturwissenschaftlichen Weltbildes.
Gelegentlich wird die Ansicht vertreten, beim Evolutionsgeschehen handele es
sich um experimentell nicht zugängliche Ereignisse, welche die
Naturwissenschaft prinzipiell nicht behandeln könne. Dies trifft nicht zu, denn
die Artbildung, die den Evolutionsvorgängen zugrunde liegt, ist ein häufiger
und in einigen Fällen bei Pflanzen und Mikroorganismen beobachteter und sogar
experimentell nachvollzogener Vorgang.
Die der Evolution zugrunde liegenden Mutationen sind zufällig, d. h. nicht
beliebig wiederholbar. Aus diesem Grund ist auf keiner Stufe der Evolution
der nächste Evolutionsschritt vorhersehbar. Darin besteht die prinzipielle
Offenheit jedes evolvierenden Systems. Das bedeutet, dass man z. B. nicht
angeben kann, warum in einer bestimmten Tiergruppe eine Reihe von Mutationen
vorwiegend in einer bestimmten Reihenfolge eintraten, sodass in einer verhältnismäßig
kurzen Zeit ein ganz neuer Tierbauplan entstand, etwa der Bauplan der
Gliedertiere oder der Wirbeltiere. Man spricht daher hier von „Zufall“.[26]
Es ist nicht sicher, dass die derzeitige Evolutionstheorie bereits alle an
der Evolution beteiligten Ursachen vollständig erfasst hat. Die
Evolutionstheorie ist deshalb nur eine hinreichende Theorie; sie kann
zwar alle bekannten Erscheinungen erklären, gibt aber vielleicht keine
vollständige Ursachenbeschreibung, weil es möglicherweise weitere, bisher
unbekannte Evolutionsfaktoren gibt. Außerdem ist das Erkennen der jeweiligen
Abstammungsverhältnisse und damit des Ablaufes der Stammesgeschichte abhängig
von den verfügbaren Quellen (s. Evolution 3.1).
Der Evolutionstheorie werden gelegentlich die Ansichten des Kreationismus
(„Schöpfungslehre“) gegenübergestellt. Danach entstand das Leben durch einen
einmaligen Schöpfungsakt. Die Lebewesen seien in der jetzt bekannten Vielfalt
geschaffen worden und hätten sich nicht aus einer- gemeinsamer Urform mit zunehmender
Komplexität entwickelt. Viele Lebewesen seien seit der Schöpfung ausgestorben.
Ferner bestünden Erde und Lebewesen erst seit einigen Zehntausend und nicht
schon seit Milliarden Jahren. Der Kreationismus nimmt daher auch an, dass
Mutation und Selektion nur Variationen innerhalb der Artgrenzen erzeugen
können, nicht aber neue Arten und zunehmend kompliziertere Lebensformen.
Diese Ansichten gehen auf eine wörtliche Interpretation des biblischen
Schöpfungsberichtes zurück. Dieser besteht seinerseits aus zwei nicht
identischen Darstellungen (Genesis 1 und Genesis 2, Vers 4ff.). Er wurde in
einer Form verfasst, die dem Weltbild der vorderasiatischen Kulturen vor mehr
als 2500 Jahren entsprach. Er hat nicht den Stellenwert eines Modells,
sondern ist ein Glaubenszeugnis, das den ganz anderen Aspekt einer Gewissheit
gleichnishaft beschreibt.
Der Kreationismus erkennt die im Vorstehenden dargestellten Grundprinzipien der
Naturwissenschaften nicht an und kann daher keine naturwissenschaftlichen
Hypothesen liefern. Nimmt man eine Schöpfung im Sinne des Kreationismus an, so
ist daraus keine falsifizierbare Hypothese abzuleiten; daher ist diese Ansicht
wissenschaftlich leer. Der Erklärungs- und Voraussagewert kreationistischer
Ansichten ist viel geringer als jener der Evolutionstheorie. Daher wäre nach
dem heutigen Stand der Wissenschaft die Evolutionstheorie auch dann überlegen,
wenn es sich beim Kreationismus um eine wissenschaftliche Hypothese handelte.
Die Evolutionstheorie kann zu folgenden Fragen führen
+ Was ist der Sinn der Evolution?
+ Warum hat die Evolution zum Menschen geführt,
einem Wesen mit Geist, d.h. mit der Fähigkeit
zum Nachdenken und
vernünftigen Handeln?
+ Was steckt hinter dem, was die Naturwissenschaft
als „Zufall“ beschreibt?
Die Fragen sind mit den Mitteln der Naturwissenschaft
unlösbar. Antworten darauf sind dem persönlichen Glauben überlassen. Für einen christlichen
Naturwissenschaftler[27] ist nach KEPLER die Naturwissenschaft
eine Methode, um einige der göttlichen Schöpfungsgedanken zu erkennen. DARWIN
drückte es so aus: „Es ist wahrlich etwas Erhabenes um die Auffassung, dass der
Schöpfer den Keim allen Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder gar nur einer
einzigen Form eingehaucht hat und dass, während sich unsere Erde nach den
Gesetzen der Schwerkraft im Kreise bewegt, aus einem so schlichten Anfang eine
unendliche Zahl der schönsten und wunderbarsten Formen entstand und noch
weiter entsteht.“[28]
3.2 Soziobiologie und
Weltbild
Viele Verhaltensweisen des Menschen haben eine erbliche
Grundlage. Daher gibt es Grenzen der Anpassungsfähigkeit des menschlichen
Verhaltens, so wie es auch Grenzen der Lernfähigkeit gibt (s. Exkurs
Soziobiologie und menschliches Verhalten, S.509). Deshalb kann die Verhaltensforschung
über die Grenzen der Belastbarkeit des Menschen Aussagen treffen, z. B. im
Hinblick auf Verhaltensaspekte, und so Grenzen sinnvoller Forderungen abstecken
(s. Evolution 2.5). Der Mensch benötigt z. B. einen Individualraum; wird ihm
dieser über längere Zeit verweigert, so führt dies zu psychischen Schäden. Der
Mensch ist allerdings auch in der Lage, entgegen biologischen Anlagen zu
handeln; er kann z. B. in den Hungerstreik treten. Die Ursache wird darin
gesehen, dass der Mensch einen freien Willen besitzt. Die Willensfreiheit ist
ein Begriff, der aus der subjektiven Sicht der Welt des Individuums stammt,
ähnlich wie Gefühle (s. Neurobiologie 5.5). In der „objektiven“ Beschreibung
der Welt kommt er nicht vor. Um die Freiheitserfahrungen des Einzelnen mit dem
Kausalprinzip in Einklang zu bringen, bedarf es philosophischer Überlegungen
wie z.B. von SPINOZA oder KANT. Die Soziobiologie als biologische Disziplin
kennt die Willensfreiheit nicht. Willensfreiheit und Sinn des Seins vermag
die Biologie nicht zu deuten. Aus dem Wissen um diese Grenze erwächst die
Haltung, die in dem Wort GOETHES zum Ausdruck kommt: „Das schönste Glücke
des Menschen ist, das Erforschliche erforscht zu haben und das Unerforschliche
ruhig zu verehren.“[29]
4 Biologie und Ethik
Die Ethik befasst sich mit der Begründung von Regeln,
die einer Gruppe von Menschen oder sogar der ganzen Menschheit als Richtschnur
des Zusammenlebens dienen. Ein System solcher Regeln, die das Handeln gegen
über sich selbst, den Mitmenschen oder der Natur als gut oder schlecht bewerten,
z. B. die zehn Gebote, bezeichnet man als Moral. Danach gelten bestimmte
Handlungen als gut, z.B. Helfen, andere als schlecht, z.B. Lügen. Die Tätigkeit
von Biologen unterliegt ebenfalls der moralischen Bewertung. Wissenschaftler
untersuchen die Natur als neutrale Beobachter; ihre Ergebnisse werden in erster
Linie danach beurteilt, ob sie dem Erkenntnisfortschritt dienen, d. h. ob sie
richtig oder falsch sind (wissenschaftliche Bewertung). Ihre Arbeiten können
aber auch das allgemeine Wohl fördern, indem sie z. B. Wege zur Verringerung
des Treibhauseffektes, zum Artenschutz oder zur Heilung von Krankheiten aufzeigen.
Umgekehrt kann mit Forschungsergebnissen auch Unheil angerichtet werden. Zur
Beantwortung der Frage: „Wie sollen wir handeln?“ ist es vorteilhaft,
grundlegende Regeln (Prinzipien) anzugeben, die als Richtschnur für den
Einzelfall dienen können. Je nach Art dieser Regeln unterscheidet man verschiedene
moralische Ansichten.
Das Prinzip „Verhelfe möglichst vielen Menschen zum
größtmöglichen Glück“ (Nützlichkeitsprinzip) wird als utilitaristisches Prinzip
bezeichnet. Danach wird der Wert einer Handlung an der Qualität der Folgen
bemessen. Überwiegen die Folgen, die das Wohlergehen Vieler fördern, so gilt
die Handlung als „moralisch richtig“. Allerdings erhebt sich die Frage, was
„Wohlergehen“ ist. Dazu bedarf es zusätzlich einer Hierarchiebildung der Werte.
Ohne solche kann nicht entschieden werden, ob z. B. freie Fahrt auf der
Autobahn dem allgemeinen Wohl besser dient als ein geringerer
Kohlenstoffdioxid-Ausstoß bei Geschwindigkeitsbeschränkung. Die
Hierarchisierung von Werten ist gesellschaftsabhängig, sie erfolgt immer wieder
neu. Über allgemeine Ziele besteht allerdings weitgehend Konsens. Dazu gehören
der Schutz der Biosphäre, die Erhaltung der Lebensgrundlagen des Menschen
sowie die Ermöglichung eines menschenwürdigen Lebens, das mehr ist als die
nackte Existenz. Jedoch wird die Frage, mit welchen Mitteln diese Ziele
erreicht werden, kontrovers diskutiert. Eine andere Grundregel, von der
ausgegangen werden kann, ist das kategorische Prinzip (KANT): „Handle stets
so, dass deine Prinzipien Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung sein
könnten und dass du Menschen, auch dich selbst, stets zugleich als Zweck und
niemals nur als Mittel brauchst.“
Es besteht weitgehend Einigkeit, dass dieses Prinzip
ein notwendiges Kriterium moralisch richtigen Handelns ist, aber es ist
fraglich, ob es ausreicht, das Richtige zu erkennen. Das Problem der
Wert-Hierarchisierung entsteht hier ebenso.
Zusätzlich gibt es unterschiedliche ethische
Grundeinstellungen der Menschen. Für gesellschaftliche Aspekte ist eine
Zweiteilung ausreichend (M. WEBER):
1. Vorhersehbare Folgen einer Handlung sind
abzuschätzen und zu verantworten. Konkrete
Handlungsanweisungen stehen im
Zusammenhang mit der Erfahrung und sind veränderbar
(Verantwortungsethik).
2. Entscheidend sind ethische Prinzipien, die nach
ihrer Akzeptanz nicht hinterfragt werden
müssen. Verantwortung besteht allein
vor dem Gewissen, das diese Prinzipien für sich erkannt
hat (Gesinnungsethik).
Als ein solches Leitprinzip kann z. B. festgelegt
werden, dass diejenigen Handlungen moralisch richtig sind, die dem Menschen als
Person gerecht werden (personalistische Ethik). Jede Person besitzt einen
absoluten Wert (Würde des Menschen) und genießt daher unbedingten Schutz; deshalb
ist das Leben des Menschen unantastbar. Wird dieses Prinzip zur alleinigen
Grundlage des Handelns gemacht, so wird z. B. eine Analyse von Genen als Entscheidungsgrundlage
für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch abgelehnt. Mögliche Folgen einer
Disposition für eine Erbkkrankheit bleiben unberücksichtigt; es zählt nur der
hohe Wert des menschlichen Lebens von Anfang an. Die Unterschiede in der Argumentation
können zu widersprüchlichen Ergebnissen führen. So werden Experimente mit
menschlichen Embryonen aus personalistischer Sicht abgelehnt, aus
verantwortungsethischer z.T. jedoch befürwortet, und zwar aus Gründen des
medizinischen Fortschritts. Moralische Probleme können also mehrere richtige
Lösungen haben, die mit KANTS Grundprinzip im Einklang stehen. Im Falle des
Experimentierens mit Embryonen gab die erste Argumentation für den Gesetzgeber
in Deutschland den Ausschlag. Er verbot das Experimentieren. Für den
Gesetzgeber in Großbritannien, der es nicht verbot, war die letztere Argumentation
entscheidend. Gesinnungsethisch, aber nicht personalistisch, ist die
Auffassung, dass Tierexperimente grundsätzlich verboten werden sollten. Es
gibt gute Gründe, Experimente mit Tieren auf das notwendige Maß zu beschränken
und ihnen vermeidbare Schmerzen zu ersparen. Jedoch muss vermieden werden,
ganze Bereiche der medizinischen Forschung zu hemmen, was schwerwiegende
Folgen für Leben und Gesundheit des Menschen hätte. Die Biologie kann bei
der Diskussion moralischer Probleme nur darlegen, was aus
naturwissenschaftlicher Sicht der Fall ist. Die Begründung von Normen ist Sache
der Ethik.
(Quelle: B32
SCHROEDEL; Linder Biologie, Lehrbuch für die Oberstufe, Braunschweig, 2005)
2.1.3 Annäherung an eine Grenzfrage:
Die Entstehung des Lebens auf
der Erde
2.1.3.1 Annäherung an eine
Grenzfrage:
Die Entstehung des Lebens auf
der Erde
Darstellung in Lehrbüchern für das
Unterrichtsfach
BIOLOGIE für die
Sekundarstufe 1
Manche Lehrbücher erzählen
zur Entstehung des Lebens auf der Erde (nur) eine und in sich
stimmige Geschichte. Hier ein Beispiel (ähnliche knappe und einlinige
Darstellungen finden sich z.B. auch in den Lehrbüchern B12 S.502 und B14
S.154.):
(Quelle: B11 CORNELSEN
/ VOLK UND WISSEN; Biologie plus, Klasse 10 Gymnasium, Sachsen, Berlin, 2006;
fast wortgleich B18 VOLK UND WISSEN; Biologie plus, Klassen 9/10 Gymnasium, Sachsen,
Berlin, 2001, S.148ff.,189)
S.102ff.
Entstehung des Lebens
Die Entstehung der Erde. Die
Entwicklung unseres Planeten begann vermutlich[30] vor etwa 4,6 Milliarden Jahren …
flüssiger Feuerball … feste Kruste … starke Vulkantätigkeit …
gab es in der Uratmosphäre … keinen freien Sauerstoff … Die Uratmosphäre war
völlig anders zusammengesetzt als die Luft, die wir heute kennen. Der
wichtigste Unterschied war … das Vorhandensein sehr hoher Anteile von
Kohlenstoffdioxid. Die energiereiche UV-Strahlung der Sonne und Gewitter mit
Blitzen konnten auf die Erde einwirken. Infolge weiterer Abkühlung verflüssigte
sich der Wasserdampf … fiel als heißer Regen zur Erde und bildete Seen und
Ozeane. Im Urozean lösten sich Kohlenstoffdioxid und andere Gase. …
Experimente simulieren
Uratmosphäre und Urozean. Der US-Amerikaner MILLER[31] entwickelte 1953 eine Apparatur, in
der er die Bedingungen der Uratmosphäre simulierte. Damit wies er nach, dass
unabhängig von Lebewesen (abiogen) organische Stoffe, darunter auch Aminosäuren,
entstehen können. Es ist also möglich, dass sich der Urozean in
eine Lösung organischer und anorganischer Verbindungen umwandelte („Ursuppe“).
In einem solchen Gemisch können gegen die umgebende Lösung abgegrenzte
Reaktionsräume entstehen: Der russische Biologe OPARIN hatte festgestellt, dass
sich beim Vermischen verschiedener Lösungen abgegrenzte tröpfchenförmige
Ausfällungen (Koazervate) bildeten. Der US-Amerikaner FOX untersuchte
makromolekulare Lösungen und beobachtete nach Erwärmung und abschließendem
Abkühlen den Koazervaten vergleichbare Gebilde (Mikrosphären). …
Vorformen des Lebens. Koazervate und
Mikrosphären haben einige Eigenschaften, über die auch Zellen verfügen:
- Gegen ihre Umgebung sind sie mit einer Membran abgegrenzt, durch die sie
Stoffe
aufnehmen und abgeben können.
- In ihrem Innern können andere chemische Vorgänge ablaufen als in der Umgebung
(„Stoffwechsel“).
- Sie können wachsen und sich teilen.
Koazervate und Mikrosphären sind jedoch keine Zellen. Man kann aber begründen,
dass derartige Strukturen sich in langen Zeiträumen zu einfachen Zellen
entwickeln konnten.
Die einfachsten heute lebenden Zellen sind Bakterien und „Blaubakterien“
(Cyanobakterien). Sie sind ihren Vorfahren unter den ersten Lebewesen recht
ähnlich geblieben. Die ältesten Funde von Bakterien sind etwa 3,5 Milliarden
Jahre alt[32] …
(Randspalte)
Schon gewusst?
Eine Hypothese zur Entstehung der ersten Lebewesen sieht den
Ausgangspunkt in Nukleinsäuren (RNA) als genetische Informationsträger,
die sich mit den „passenden“ Eiweißen koppelten.
Solche Systeme sind vermehrungs- und mutationsfähig. …
Zusammenfassung
Die ersten Lebewesen sind vor etwa 3900 Millionen Jahren entstanden.
Chemische Evolution: In der Uratmosphäre und im Urozean bildeten sich
zunächst einfache organische Verbindungen. … In der „Ursuppe“ entstanden
daraus Bausteine der Nukleinsäuren, Eiweißstoffe … Vereinigung von
Makromolekülen zu Komplexen … Schrittweise entwickelten sich
zelluläre Lebewesen
S.102
(Randspalte)
Schon gewusst?[33]
Schöpfungslehren gehen davon aus, dass die Lebewesen durch ein oder mehrere
höhere Wesen geschaffen wurden.
Manche Wissenschaftler glauben, dass die ersten Lebewesen nicht
auf der Erde entstanden sind, sondern beispielsweise mit Meteoriten auf die
Erde gelangten.
(Quelle: B11 CORNELSEN / VOLK UND
WISSEN; Biologie plus, Klasse 10 Gymnasium, Sachsen, Berlin, 2006;
fast wortgleich B18 VOLK UND WISSEN; Biologie plus, Klassen 9/10 Gymnasium,
Sachsen, Berlin, 2001, S.148ff.,189)
Wie die „richtige“ Fachwissenschaft
die Versuche, die Entstehung des Lebens zu verstehen, derzeit bewertet, soll
anhand von einigen Zitaten verdeutlicht werden, die aus einem
Hochschul-Lehrbuch für Biologie-Studenten stammen.
(Quelle: Q5 Campbell,
N.A. / Reece, J.B.: Biologie, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Berlin,
6. Auflage, 2003)
S.613
Der Ursprung des Lebens …
Wir werden natürlich nie mit Sicherheit wissen, wann und wie das Leben auf
der Erde begann …
S.614
Die ersten Zellen könnten durch chemische
Evolution auf der jungen Erde entstanden sein …
Die meisten Biologen favorisieren die Hypothese, das Leben habe sich
auf der Erde aus lebloser Materie entwickelt …
Die meisten Biologen vertreten heute die einleuchtende Hypothese,
chemische und physikalische Prozesse auf der sehr jungen Erde hätten dazu
geführt, dass schrittweise einfache Zellen entstanden. Über die Natur dieser
Schritte oder Stadien wird allerdings viel diskutiert. Einem populären
Szenario zufolge entstanden die ersten Organismen im Verlauf einer
chemischen Evolution in vier Stadien …
Das ist natürlich alles spekulativ, aber die Hypothese führt dazu, dass
die Voraussagen auf wissenschaftlicher Basis experimentell geprüft werden
können.
S.616
Die Ergebnisse des Originalexperiments von Stanley
Miller konnten trotz vielfältiger Wiederholung und Variation der
Versuchsbedingungen nicht entscheidend verbessert werden. …
S.619
Die Diskussion über die Entstehung des Lebens geht
weiter
Laborsimulationen können nicht beweisen, dass durch chemische Evolution
tatsächlich Leben auf der primitiven Erde entstand, sondern nur, dass einige
der Schlüsselereignisse vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus so passiert
sein könnten. Die Entstehung des Lebens bleibt ein Objekt der
wissenschaftlichen Spekulation, und es gibt alternative Vorschläge zu
den verschiedenen Schlüsselprozessen ...
Etwas zurückhaltender als
die eben ausgewerteten Lehrbücher argumentiert das folgende Lehrbuch:
(Quelle: B16
SCHROEDEL; Netzwerk Biologie 10, Braunschweig, 2006, S.105)
2 So könnten
die Bausteine des Lebens entstanden sein
(Schilderung Urerde, MILLER-Versuch)
Das beweist, dass die Bildung von einfachen organischen Substanzen schon vor
4,5 Milliarden Jahren möglich war. Niemand weiß, ob dies tatsächlich
so geschehen ist, doch die Ergebnisse von Gesteinsuntersuchungen stützen
diese Vorstellungen. Eine solche Entstehung von organischen Stoffen aus anorganischen
Substanzen bezeichnet man als chemische
Evolution.
Wie es weiterging und wie mit Bakterien und Blaualgen die biologische Evolution begann, ist unbekannt …
Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die
Bausteine der Eiweiße und RNA bzw. DNA in der „Ursuppe“ zufällig so
zusammenfügten, dass dann die Urformen des Lebens entstanden, erscheint
klein. Doch darf man nicht vergessen, dass die Natur Hunderte von Millionen
Jahren Zeit hatte und unendlich viele chemische Verbindungen entstanden und
sich auch wieder lösten.
Auch das folgende Lehrbuch
schildert zunächst nur den einen Erklärungs-Weg von der Ursuppenvorstellung
über MILLER, OPARIN, FOX usw., weist aber auch auf den Modellcharakter dieser
Vorstellungen hin:
(Quelle: B17 VOLK UND
WISSEN; Biologie Band 3, Sachsen, Volk und Wissen, Berlin, 2002, S.132)
Die Entstehung des
Lebens auf der Erde
Die Erde entstand vor
etwa 4,5 Milliarden Jahren. …
Uratmosphäre … Urozean …
MILLER-Versuch:
Methan, Ammoniak und Wasserdampf wurden in einer Glasapparatur elektrischen
Entladungen ausgesetzt, der Wasserdampf wurde wieder zu flüssigem Wasser
kondensiert. Anschließend wurden das Gasgemisch und die im Wasser gelösten
Substanzen untersucht. … mehrere hundert verschiedene organische Stoffe
nachweisen, darunter auch Aminosäuren (Bausteine von Eiweißen). Kompliziert
aufgebaute organische Verbindungen sind noch keine Lebewesen. Erst ihr
Zusammenschluss zu Gebilden, die auch zu Stoffwechsel, Vermehrung und
Mutationen befähigt sind, könnte als Entstehung von Leben bezeichnet
werden.
Wie sich dieser Schritt vollzog, wissen wir nicht. Es gibt aber Hypothesen,
deren Wahrheitsgehalt durch Experimente geprüft werden kann. … OPARIN … FOX …
Die Entstehung des Lebens auf der Erde ist schwierig zu erforschen. Es gibt
keine fossilen Reste aus der Zeit der Entstehung der frühesten Lebensformen.
Die experimentellen Ergebnisse vermitteln uns aber Modellvorstellungen,
die durch die Forschungen der letzten Jahrzehnte immer mehr an Wahrscheinlichkeit
gewonnen haben.
2.1.3.2 Annäherung an eine
Grenzfrage:
Die Entstehung des Lebens auf
der Erde
Darstellung in Lehrbüchern
für das Unterrichtsfach
BIOLOGIE für die
Sekundarstufe 2
Die im
Folgenden zusammengestellten Zitate zeigen, dass in BIOLOGIE-Lehrbüchern für
die gymnasiale Oberstufe die Erklärungsprobleme, die es zur Entstehung des
Lebens auf der Erde gibt, nicht ausgeblendet oder verdrängt, sondern gezielt
als Fragen aufgenommen, problematisiert werden.
(Quelle: B21 BSV
(Bayerischer Schulbuch Verlag); Meyer, H. / Daumer, K.: Biologie für die gymnasiale
Oberstufe, München 1999, S.9)
1 Chemische Evolution
und Anfänge des Lebens
…Die Frage nach
dem Ursprung des Lebens auf unserer Erde ist wohl so alt wie die Menschheit
selbst und kann zur Zeit naturwissenschaftlich nicht beantwortet werden.
Auf der Basis der heute vorhandenen kosmologischen, geologischen, chemischen
und physikochemischen Kenntnisse wurden jedoch verschiedene Denkmodelle
(Hypothesen) entwickelt. Sie befassen sich zum einen mit den erforderlichen
Voraussetzungen für eine Lebensentstehung in der Frühzeit der Erde, zum zweiten
mit denkbaren Entstehungsmechanismen der frühesten Lebewesen selbst. …
1.1 Vorstellungen von der Frühzeit der
Erde
Man nimmt an …
(Quelle: B22
C.C.BUCHNER; Solbach, H.: Vita nova; Biologie für die Sekundarstufe II; Bamberg
2000)
S.344f.
43.1 Am Anfang war ...
…Nachdem man die Urzeugungstheorie gerade hatte verwerfen müssen, war es für
viele Gelehrte und andere Menschen dann sehr schwer, die von DARWIN im Jahr
1859 entwickelte Evolutionstheorie von der Entstehung der Arten zu akzeptieren
(Kap. 45.1, S. 358). Diese führt die Entwicklung der Lebewesen nicht nur über
einfachere Formen auf Einzeller zurück, sondern fordert geradezu zwingend, dass
irgendwann einmal erste Einzeller entstanden sein müssen. Man stand vor
zwei Alternativen, die sich für viele scheinbar gegenseitig ausschließen: War
das Werden des Lebens ein Schöpfungsakt Gottes oder doch eine Art Urzeugung?[34] Auch wenn sich die
naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zur Entstehung des Lebens (Kap. 43.2,
S.345 ff.) seither vervielfacht und sich die entsprechenden Lehrmeinungen
präzisiert haben, so gibt es noch zwei grundsätzliche Schwächen in der
Beweisführung, und die lassen sich vermutlich auch in Zukunft nicht
beheben:
- Viele Kernaussagen der Theorien können nicht experimentell überprüft
werden, da es Zeiträume
von Millionen und Milliarden von
Jahren nachzuvollziehen gilt (Anm. 344.2). Ohne reproduzierba
res Experiment gibt es aber keine
Beweiskraft im strengen naturwissenschaftlichen Sinn.
-. An mehreren Stellen - leider sind das nicht selten ganz entscheidende
Stellen - müssen Lücken
in den Theorien durch Spekulationen
überbrückt werden.
Die Folgen dieser Abweichungen von der sonst üblichen
naturwissenschaftlichen Beweisführung war es und ist es heute noch, dass
die Antworten auf die Fragen nach dem Ursprung und der Entwicklung des Lebens
sehr unterschiedlich ausfallen, beeinflusst vom religiösen,
weltanschaulichen und philosophischen Standpunkt des Antwortenden. …
Trotz aller Unsicherheiten, Lücken und Meinungsverschiedenheiten haben
sich jedoch inzwischen einige Grundvorstellungen herauskristallisiert. Dazu
gehört auch die Annahme, dass es natürlich vor den ersten Zellen andere
Strukturen gegeben haben muss, von denen diese Zellen abstammten.
S.346
Wie mag es zu einer ersten lebenden
Zelle gekommen sein?
Viele – auch entscheidende – Fragen bleiben offen …
Anm. 346.1
Das erste Leben
Bei der Suche nach einer Erklärung für das Entstehen eines ersten Lebewesens tappt
man noch weitgehend im Dunkeln.
(Quelle: B23 CORNELSEN
/ VOLK UND WISSEN; Biologie Oberstufe, Gesamtband, Berlin, 2006)
S.287:
Ursprung des Lebens
Chemische Evolution. Leben ist über
eine Folge von Evolutionsschritten durch Selbstorganisation von Molekülen und Molekülkomplexen
entstanden. Dem vorausgegangen war eine lange Phase der chemischen Evolution,
in der wichtige organische Ausgangsmoleküle durch Einwirkung verschiedener
Energieformen auf die Bestandteile der frühen Atmosphäre gebildet wurden. Über
die Details der einzelnen Evolutionsschritte von präbiotischen Molekülen zu
frühen Lebensformen bestehen unter den Wissenschaftlern allerdings noch Meinungsverschiedenheiten
…
S.288
Wie Forschung funktioniert:
Simulationsexperimente zur Entstehung des Lebens
…
(Aufgabe)
1. Welche Aussagen über die möglichen ersten Entwicklungsschritte des Lebens
auf der Erde erlauben die verschiedenen Simulationsexperimente?
(Quelle: B24 DUDEN /
PAETEC Schulbuchverlag; Duden Biologie, Gymnasiale Oberstufe, Berlin, 2005)
S.22
(nach Darstellung des MILLER-Versuchs)
Allerdings wird bis heute über den Ablauf und den Ort der Biogenese
diskutiert. Auch eine extraterrestrische Lebensentstehung … gilt bis heute
für möglich.
S.363ff.
8.1.2 Vorstellungen zur
Entstehung des Lebens
Leben ist aus Nichtleben entstanden. Was Leben ist, kann noch nicht
ausreichend beantwortet werden …
(Randspalte):
Durch die Evolution des Kosmos, beginnend mit dem Urknall, werden die Voraussetzungen für die Entstehung des Lebens geschaffen[35]
(MILLER-Versuch als) Simulation
der Bedingungen des Wechselspiels zwischen dem Urmeer und der Uratmosphäre
… Nach WÄCHTERSHÄUSER könnten Metallsulfide wie Pyrit (FeS2)
eine wichtige Rolle als Katalysatoren bei der Vermittlung präbiotischer
Reaktionsfolgen gespielt haben. …
(Hinweis auf) einen relativ
komplizierten Reaktionszyklus von Aminosäuren über Peptide und Harnstoff zurück
zu Aminosäuren … Da diese Prozesse auch heute noch an Tiefseevulkanen
stattfinden könnten, wäre danach auch eine rezente Biogenese nicht
auszuschließen[36]
(Quelle: B25 KLETT;
Biologie für Gymnasien, Oberstufe, Stuttgart, 2005, S.440ff.
6 Die Evolution des
Lebens auf der Erde
Chemische Evolution: organische Makromoleküle entstehen
… die frühe Phase dieser chemischen Evolution kann man modellhaft
rekonstruieren. Eine vermutlich reduzierende Uratmosphäre …
Grundbausteine des Lebens können also unter abiotischen Bedingungen entstehen –
vermutlich auch in den Urmeeren …
(B27 KLETT; Natura,
Biologie für Gymnasien Band 2, Klett, Stuttgart, 1997, S.350)
Die Entstehung der
Erde und der Lebewesen
Über Alter und Entstehung des Weltalls weiß man immer noch wenig Genaues.
Man schätzt das Alter der Erde auf etwa 5 Milliarden Jahre. Es dauerte
aber ca. 1 Milliarde Jahre, bis auf dem einstmals glutflüssigen Planeten
Bedingungen herrschten, die die Entstehung von Leben ermöglichten.
Die ersten Lebensformen waren wahrscheinlich bakterienähnliche
Organismen, die im Meer lebten …
(Quelle: B28 SCHROEDEL;
Biologie heute entdecken S II; Braunschweig, 2004 ,S.420)
4.1 Chemische
Evolution
(Uratmosphäre; MILLER-Versuch; Calcit;
Schwarze Raucher; Pyrit)
… Weitere Hypothesen zur chemischen Evolution werden derzeit diskutiert.
Gesichert ist bisher kein Ansatz ...
(Quelle: B29
SCHROEDEL; Biologie heute S II; Braunschweig, 2004, S.422ff.)
4. Chemische Evolution und Anfänge des
Lebens
4.1 Die Ursuppe …
4.2. Die Schwarzen Raucher …
4.3. Leben an Kristallen? …
4.4. Viele Theorien – viele Fragen
In den letzten Jahrzehnten wurden viele Argumente gegen die
MILLERsche Ursuppen-Theorie zusammengetragen … (im Weiteren sind 5 Argumente benannt) …
Gegen die Theorie von den „Schwarzen Rauchern“ werden ebenfalls Argumente
vorgebracht … (im Weiteren sind 2
Argumente ausgeführt) …
Nur wenige Argumente sprechen gegen die Pyrit-Theorie …
Neben den hier aufgeführten Theorien existieren noch weitere …
Wahrscheinlich ist, dass keine der Theorien allein richtig ist und dass
möglicherweise alle Theorien einen Beitrag zu der endgültigen Vorstellung über
die Entstehung des Lebens liefern werden.
(Quelle: B30
SCHROEDEL; Hoff, P. / Miram, W. / Paul, B.: Evolution, Materialien für den
Sekundarbereich II, Biologie, Hannover, 2004 ,S.88ff.)
5.1 Chemische
Evolution und Entstehung des Lebens
(Uratmosphäre, Ursuppe, MILLER-Versuch,
Tonmineralien, Pyrit, Schwarze Raucher)
Probleme: (im Weiteren werden 5 Argumente gegen die
Ursuppen-Theorie von MILLER und 2 Argumente gegen die Theorie der Schwarzen
Raucher aufgeführt);[37]
(Kasten:)
Leben aus dem Weltall?
Die frühere Ausgabe dieses Lehrbuches
aus dem Jahre 1993 war hier noch etwas genauer:
(Quelle: B31
SCHROEDEL; Hoff, P. / Miram, W.: Evolution, Materialien für den Sekundarbereich
II, Biologie, Hannover, 1993)
S.96ff.
6. Das Problem der Entstehung des Lebens
(Uratmosphäre, Ursuppe, MILLER-Versuch,
..)
S.103ff.
6.7. Probleme der Theorie von der
Entstehung des Lebens
… Zwischen der Entstehung organischer Stoffe und dem Auftauchen erster
funktionsfähiger Zellen aber besteht eine Lücke in der Theorie. Viele
der Gedanken, die hier in den letzten Abschnitten besprochen wurden, beruhen
auf Vermutungen und Spekulationen. Die Theorien über die Evolution der
entwickelten Lebewesen sind in vielen Fällen anhand von Fossilien überprüfbar.
Für die Phase der Entstehung des Lebens und der Entwicklung der frühen
Lebewesen fehlen aber solche Beweise.
Auch reproduzierbare Experimente sind nicht möglich, da der Prozess
der Entstehung des Lebens Zeitspannen umfasste, die experimentell nicht
wiederholbar sind. So sind wir auf die Auswertung von Indizien
angewiesen, um zu schlüssigen Vorstellungen zu kommen. Diese Bemühungen haben
aber bisher einen großen Teil der Probleme noch nicht lösen können …
Man kann prinzipiell nicht voraussagen, ob diese Probleme in Zukunft gelöst
werden können. Heute muss man aber feststellen, dass die Evolutionstheorie über
die Entstehung des Lebens auf der Erde
noch kein gesichertes Bild bieten kann.
Wichtig ist, dass in den
Lehrbüchern B29, B30 und B31 die Erklärungs-Probleme, die es
zur Entstehung des Lebens auf der Erde gibt, nicht ausgeblendet oder verdrängt,
sondern gezielt als Frage aufgenommen, problematisiert werden.
2.1.4 Schöpfung contra Evolution ?
Umgang mit
Schöpfungsvorstellungen
in BIOLOGIE-Lehrbüchern
2.1.4.1 Exkurs:
Zur Verwendung von Begriffen
aus der religiösen und
theologischen Tradition
in Biologie-Lehrbüchern
Bei der Begegnung und
Auseinandersetzung mit religiösen Vorstellungen und Erfahrungen begibt sich
die Biologie auf ein sachfremdes Terrain.
Hier werden in den
Lehrbüchern vielfach Begriffe verwendet, mit denen ein Sachverhalt eindeutig
benannt werden soll, die aber so eindeutig eben nicht sind. Das in vielen
Lehrbüchern vermittelte Bild der „Religionen“ ist einseitig fokussiert auf die
Geschichtserfahrung und den Blickwinkel des christlichen Europas. Zumindest im
weltweiten Kontext ist aber eine – auch verwirrende - Pluralität zur Kenntnis
zu nehmen. Es gibt viele Religionen, es gibt unterschiedliche
Schöpfungsvorstellungen und auch im christlichen Bereich haben Menschen
verschiedene Bibelverständnisse.
Manche davon zeigen
Widersprüche zu naturwissenschaftlichen Vorstellungen und können folgerichtig
zu Konflikten führen, andere aber tun das nicht.
Religion
Wenn Lehrbücher fragen, ob
„Evolutionstheorie und Religion vereinbar sind“, dann ist in der Regel der
jüdisch-christliche Kulturkreis im Blick.
Es gibt aber wichtige
Weltreligionen, die keinen Gott kennen (Buddhismus), in deren Zentrum
Prinzipien stehen (z.B. Dao, Dhamma), oder die mehrere Gottheiten verehren.
Religionen machen Aussagen über die Herkunft und die Zukunft des Menschen, etwa
über das Nirwana oder das Jenseits. Nur manchmal geht es auch um das Schicksal
anderer Lebewesen oder das Welt-Ganze. Religionen wollen der Welt, in der der
Mensch sich vorfindet, einen Sinn geben, eine (Be-)Deutung. Sie wollen die Welt
nicht rational erklären.
Religionen haben ihre
jeweils eigenen Heilslehren, Symbolsysteme, Kulte und Rituale, und sie finden
auch in Kunst und Architektur ihren Ausdruck.
Religion (Religiosität) muss
nicht mit der Zugehörigkeit zu einer institutionalisierten
Glaubensgemeinschaft, z.B. zu einer Kirche, verbunden sein, verpflichtend
gebunden etwa an Bekenntnisse oder Dogmen. Religiosität kann sich auch (nur) in
Traditionen zeigen (z.B. Brauchtum).
Das Phänomen „Schöpfung“ in der Sicht
unterschiedlicher Bibelverständnisse
Viele Religionen – nicht
alle! – sprechen von „Schöpfung“. Dieser Begriff ist aber mit sehr
unterschiedlichen Inhalten gefüllt und wird (auch innerhalb einer Religion) oft
unterschiedlich verstanden und gedeutet.
Nicht immer geht es um einen
Schöpfer, der in einem einmaligen Akt „am Anfang“ einen Zustand
herstellt (Kosmos, Erde, Lebewesen), der sich von da an (im Grundsatz) nicht
mehr verändert. In dieser Weise kann – dem Wortlaut folgend - das erste Kapitel
der jüdisch-christlichen Bibel gelesen und verstanden werden.
In vielen anderen
Weltreligionen werden andere Geschichten erzählt. Da geschieht „Schöpfung“
mehrmals (z.B. als immer wiederkehrender Kreislauf im Hinduismus), da sind
mehrere verschiedene Gottheiten beteiligt, da geht es meist allein um die
Herkunft des Menschen - Pflanzen und Tiere oder der Kosmos sind überhaupt nicht
im Blick.
Das Verständnis von
„Schöpfung“ wird öfter - in Lehrbüchern genauso wie im Verständnis vieler
Christen auch heute noch - verengt auf das wörtliche 1 zu 1-Festhalten an den
Darstellungen im ersten Kapitel der jüdisch-christlichen Bibel. Dort ist ja
tatsächlich zu lesen, dass Gott im Laufe von sechs Schöpfungs-„Tagen“ am Anfang
der Welt zunächst die kosmische Ordnung gestaltet, Lebensräume wie Land und
Meer und Luftraum einrichtet, und dann Lebewesen in die Welt bringt, Pflanzen,
Tiere und Menschen, jedes „nach seiner Art“. Aber muss und kann man diesen Text
als „Dokumentarbericht“ verstehen und kann man ihn direkt in unsere Zeit
übertragen?
Es hat zu allen Zeiten im
Christentum unterschiedliche Bibelverständnisse gegeben.
In anderer „Lesart“ fragen
Christen, was das (für sie selbst wie für die „Welt“) bedeutet, wenn Gott als
„Schöpfer“ wirkt. Sie sind vorsichtig gegenüber dem wörtlichen Verständnis der
Texte, weil Menschen solch ein Geschehen wohl grundsätzlich nicht verstehen und
erklären können. Die biblischen Texte versuchen, etwas auszudrücken, „was niemals
war und immer ist“. Es ist die Sprache des Mythos, der das tiefere Wesen, den
Sinn eines Sachverhaltes ergründen, begründen und deutlich machen will. Erst
wenn die bildhaften Darstellungen zu „Schöpfung“ als mythisches Reden
verstanden werden, kann ihr tiefer Symbolgehalt entdeckt werden, der auch
Bedeutung hat für menschliche Existenz hier und heute.
Wenn die Bibel z.B. vom Rhythmus
von „Tagen“ spricht, in denen sich die Schöpfung vollzieht, dann ist auch hier
Vorsicht angesagt: An anderer Stelle in der Bibel, im Psalm 90, steht z.B.,
dass für Gott „tausend Jahre wie ein Tag“ sind – vielleicht vollzieht sich
„Schöpfung“ auch in langen Epochen …
Es gab immer in der Tradition der christlichen Kirche auch die Vorstellung von
der „creatio continua“, der Schöpfung, die fortdauert und in der immer wieder
Neues entsteht.
Die Ausführungen im ersten
Kapitel der Bibel sind nicht alles, was in der Bibel zu „Schöpfung“ gesagt
wird. Die Schönheit der Welt und die Bedrohung durch Naturgewalten, der
Auftrag an den Menschen, die Erde zu erforschen und zu nutzen („Macht euch die
Erde untertan“ – das beinhaltet auch die Ermutigung, Naturwissenschaft zu
betreiben!), aber auch Verantwortung für die Mitgeschöpfe zu übernehmen - diese
und viele andere Aspekte begegnen Menschen beim Lesen der Bibel und stellen
ihnen Fragen im täglichen Leben hier und heute.
Die großen christlichen Kirchen vertreten (und lehren
an den Universitäten) heute meist das so genannte „historisch-kritische“
Bibelverständnis. Dabei wird davon ausgegangen, dass man sich mit der Bibel auch wissenschaftlich („kritisch“)
als einem Zeitzeugnis („historisch“ überlieferte Textsammlung aus der Antike)
auseinandersetzen kann. Hier seien einige Ansätze benannt:
In biblischen Texten können die zeitgeschichtlichen Umstände der Entstehung,
ihr „Sitz im Leben“ für die damaligen Menschen, erschlossen werden. Oft ist es
hilfreich, die verschiedenen literarischen Ausdrucks-Formen von den
übermittelten Glaubens-Inhalten zu unterscheiden. In der Bibel legen
verschiedene Menschen Zeugnis ab von ihren persönlichen Glaubenserfahrungen.
Sie reden in einer konkreten Zeit und in einer konkreten Situation zu anderen
Menschen, und sie verwenden die damals (selbst-)verständlichen
Weltvorstellungen. Reden von Gott ist uns Menschen anders nicht möglich als in
der unvollkommenen Sprache von Bildern, Metaphern, Gleichnissen. Der erzählerische
Rahmen, die Art der literarischen Darstellung (Lieder, Chroniken, Parabeln,
Paradoxa, Lehrtexte) haben sich im Laufe der Geschichte immer wieder gewandelt.
Der Kern der Glaubensaussagen, die tiefen Grundwahrheiten, die in immer neuer
Weise erlebt und überliefert wurden, bleiben dennoch zeitlos wichtig. Die
Bibel ist ein Buch des Glaubens, das zum Leben helfen will, das Werte und Orientierung
vermittelt. Die Bibel ist nicht geschrieben und geeignet als Lehrbuch für den
naturwissenschaftlichen Unterricht.
Die Vorstellung von der „Konstanz der Arten“
Über lange Zeit der
Menschheitsgeschichte ging man selbstverständlich davon aus, dass die Welt
höchstens ein paar Tausend Jahre alt sei, und dass sie so, wie sie jetzt erlebt
wurde, schon immer war und immer bleiben würde. Alle unterschiedlichen Arten
von Lebewesen waren von Anfang an (z.B. seit dem „Datum“ ihrer Erschaffung) in
der heutigen Gestalt vorhanden und hatten sich im Laufe der Zeit nicht
verändert.
In einigen Schul-Lehrbüchern wird im Zusammenhang mit der „Konstanz der Arten“
von einer „Theorie“, einer „Lehre“ oder einem „Dogma“ gesprochen. Hier sollte
besser – wie das in anderen Lehrbüchern auch geschieht - von einer „Idee“ oder
einer „Vorstellung“ die Rede sein.
Ein kirchliches Bekenntnis
oder Dogma, das glaubende Menschen verbindlich auf eine solche Sicht der Welt
festgelegt hätte, hat es nie gegeben. In Wahrheit war es wohl eher so, dass es
sich hierbei um eine selbstverständliche, allgemein akzeptierte, aus der
Alltagserfahrung abgeleitete Vorstellung gehandelt hat, nicht um eine
„Theorie“. Die Vorstellung von der „Konstanz der Arten“ vertrat die Kirche
genauso wie der Philosoph Aristoteles (vgl. B28 S.442) oder der
Biologe und Systematiker Carl von LINNÉ (vgl. B29 S.386). An manchen
Stellen müsste demnach auch sachgerechter gesagt werden, dass die Vorstellung
von der Konstanz der Arten nicht etwa aus dem biblischen Schöpfungsbericht
abgeleitet wurde, sondern mit dem wörtlichen Verständnis der Darstellungen
dort übereinstimmte, genauso wie sie sich im Einklang befand mit der alltäglichen
Erfahrung der Menschen.
Man sollte z.B. auch vorsichtig sein, das in der Bibel benutzte Wort für „Art“
gleichzusetzen mit der Verwendung des Begriffes „Art“ in der modernen Biologie
(für den es bis heute keine allgemein akzeptierte Definition gibt).
„Schöpfungsvorstellungen“ konkurrieren nicht mit
„Evolutionstheorien“!
In
manchen Lehrbüchern wird im geschichtlichen Rückblick sachgerecht von der „Entwicklung
des Abstammungsgedankens“ gesprochen, und in dieser Zuordnung kann dann auch
über bestimmte Schöpfungsvorstellungen informiert werden.
Andere
Lehrbücher dagegen ordnen „Schöpfungsmythen“ forsch als Teilthema unter der
Überschrift „Evolutionstheorien“ ein – neben Lamarck und Darwin und
synthetischer Evolutionstheorie! Damit wird aber „Schöpfungsgeschichte“ zu
einer nach den Regeln der Naturwissenschaft vergleichbaren Alternativtheorie
gemacht. Das verbietet sich zum einen, weil die wörtlich interpretierten
Schöpfungsvorstellungen vergangener Generationen ja gerade von der Annahme
ausgehen, dass sich in der Natur nichts verändert und entwickelt (hat)
es handelt sich also bestenfalls um „Anti-Evolutions-Vorstellungen“. Und wenn,
wie einige Lehrbücher durchaus wissen, „Schöpfungsmythen … keine wissenschaftlichen
Theorien sind“, dann dürfen sie auch nicht als solche behandelt und mit
naturwissenschaftlichen Theorien auf eine Ebene gestellt werden. Manchmal
sollen Schüler dann aber religiös fundierte Vorstellungen gegen
naturwissenschaftliche Erklärungsansätze abwägen. Wo all das geschieht,
handelt es sich um einen gravierenden Kategorienfehler – hier werden Äpfel mit
Birnen verglichen!
Kreationismus
Der Kreationismus (von lat.
creatio = Schöpfung) hält am Wortlaut der biblischen Erzählungen von der
Schöpfung fest (1.Buch Mose, Kap. 1 und 2). Auf der Grundlage dieses
Bibelverständnisses (unverrückbares Fundament) wird die Vorstellung abgelehnt,
dass im Prozess einer geschichtlichen Entwicklung Arten neu entstanden sind:
Evolution hat nicht stattgefunden. Es wird versucht, die zur Geschichte des
Lebens auf der Erde vorliegenden Befunde im Rahmen biblischer Vorgaben
naturwissenschaftlich alternativ zu deuten. In der Lesart des sogenannten
„Kurzzeit-Kreationismus“ beträgt das Alter des Universums etwa 6000 Jahre.
Kosmos, Erde, Pflanzen, Tiere und Menschen sind „am Anfang“ in sechs
Kalendertagen geschaffen worden. An allen Stellen, wo sich die Bibel im Sinne
von Faktenwissen konkret äußert (über Geschehensabläufe, Zeiträume,
naturkundliche Mitteilungen), handelt es sich für Kreationisten nicht nur um
heilsgeschichtlich verbindliche Wahrheit, der geglaubt werden muss; solche
Angaben sind auch als naturwissenschaftlich zu lesende Aussagen verbindlich.
Für alle in der Bibel genannten Fakten können naturwissenschaftliche Beweise
gesucht (und gefunden) werden.
Kreationismus im engeren Sinne ist ein Phänomen vor allem in den christlichen,
besonders in den protestantischen Kirchen (ein Motto der Reformation hieß:
„Allein die Schrift, allein das Wort!“). Er spielt schon in der katholischen
Kirche eine viel geringere Rolle. Weniger reflektiert und öffentlich diskutiert
gibt es kreationistische Strömungen aber auch im strenggläubigen Judentum und
im Islam. Andere Weltreligionen kennen dieses Phänomen schon deshalb kaum, weil
Schöpfungsvorstellungen dort ganz anders überliefert werden, keine so exakten
zeitlichen Angaben gemacht werden und die Erschaffung von Pflanzen und Tieren
nicht vorkommt.
Zur Vertiefung der hier
versuchten Begriffsklärung sei auf das ausführliche Kapitel 1.2.3 in Teilband 1 verwiesen.
Im Folgenden wird anhand von
Zitaten aus BIOLOGIE-Lehrbüchern nachvollzogen, in welcher Weise
Schöpfungsvorstellungen in der Geschichte der Biologie und bei aktuellen
Auseinandersetzungen wahrgenommen, aufgenommen und dargestellt werden.
Dabei wurden – nur in diesem
Kapitel – die Lehrbücher gemeinsam betrachtet, die jeweils aus einem Hause
kommen (Verlag, Verlagsgruppe). Es liegt ja nahe, dass es in den Verlagen
„Traditionen“ gibt oder konzeptionelle Vorgaben oder Richtlinien für einheitliche
abgestimmte Gestaltung; eine spezifische „Handschrift“ ergibt sich auch daraus,
dass die gleichen Autoren über längere Zeit und für verschiedene Bücher tätig
sind.
2.1.4.2 PAETEC/ DUDEN
2.1.4.3 SCHROEDEL
2.1.4.4 KLETT
2.1.4.5 CORNELSEN / VOLK UND WISSEN
2.1.4.6 andere Verlage (BSV, C.C.Buchner)
Zur Darstellung und
Bewertung von Schöpfungsvorstellungen in der Geschichte der Biologie seien
zunächst einige Zitate aus Lehrbüchern für die Sekundarstufe 1 mitgeteilt:
2.1.4.2 Lehrbücher aus dem Verlag
PAETEC / DUDEN
(B12 bis B15, B24)
Als erstes wird ein Buch aus
dem Paetec-Verlag vorgestellt, das im Jahre 2000 für die Sekundarstufe 1 angeboten
wurde:
(Quelle: B15 PAETEC;
Biologie 10, Sachsen, Gymnasium, Berlin, 2000)
S.83
“2.3. Die Entstehung und Entwicklung der
Arten“
Viele Wissenschaftler haben sich bemüht, die Entstehung des Lebens und die Existenz
der Vielfalt der Arten aus z.T. sehr unterschiedlichen Ansätzen heraus zu
erklären. Auch die in der Bibel dargestellte Schöpfungsgeschichte stellt eine
Art Deutung dar …“
S.84
„Die Entwicklung des Abstammungsgedankens – historischer Überblick“
Heute zweifelt bei uns kaum einer mehr an der Abstammungstheorie[38] Dies ist jedoch nicht immer so gewesen.
…
Die ältesten überlieferten Vorstellungen zur Entstehung der Welt und ihrer
Organismen finden sich in Schöpfungsmythen. Eine wörtliche Auslegung dieser
Mythen steht der Abstammungsidee grundsätzlich entgegen. Pflanzen und Tiere
sind danach von Gott in ihrer endgültigen Form geschaffen worden. In der
Arche Noah wurden die Tiere (und Pflanzen?) über die in der Bibel dargestellte
Sintflut hinweggerettet. Die Arten waren damit festgelegt und deren Anzahl
begrenzt …
S.91
„Aufgaben"
1. Inwieweit hatte die Kirche Einfluss auf die Vorstellung über
die Artenentstehung?
2. Lies die nachstehenden Aussagen über die Evolution und stelle diese den
Aussagen der darwinschen Abstammungstheorie gegenüber!
“Die natürliche Zuchtwahl oder das Überleben des Tüchtigsten kann im besten
Falle nur die Trennung der Starken von den Schwachen bedeuten. Aber niemals
entsteht allein als Folge des Überlebens des Tüchtigsten eine neue Pflanzen-
oder Tierart.
Und da auch durch Mutationen keine neuen Arten entstehen, fehlen der Evolution
die Mechanismen, mit denen sie erklärt werden könnte.“
“Die wahren wissenschaftlichen Tatsachen weisen nicht auf eine Entwicklung des
Menschen aus dem Tier hin, sondern darauf, dass der Mensch als eine Art
erschaffen wurde, die sich von Tieren klar und deutlich unterscheidet.“
(Aus: Wachtturm, Bibel- und Traktatgesellschaft 1968)“ [39]
(Quelle: B15 PAETEC;
Biologie 10, Sachsen, Gymnasium, Berlin, 2000)
In den Jahren 2005 und 2007
brachte der gleiche Verlag (nun unter Duden-Paetec) drei Lehrbücher – auch das
vorstehend zitierte - in neuer Bearbeitung heraus (B12; B14, B24). Bevor
wesentliche Auszüge aus allen drei Büchern wiedergegeben werden, soll der (neue)
Grundansatz kritisch zusammengefasst werden.
Der Konflikt zwischen
Schöpfungsglaube und Naturwissenschaft wird letztlich doch auf die Frage
reduziert, wer die (sachlich-naturwissenschaftlich) richtige Erklärung
für Verlauf und Ergebnis der Naturgeschichte geben kann („Welche der Theorien
erscheint Ihnen am realistischsten und sinnvollsten?“). Das grundlegende
Ordnungsprinzip heißt EVOLUTION, und alle diskutierten Vorstellungen über
Ursprung und Geschichte des Lebens aus den letzten 3000 Jahren werden in den
Rang von konkurrierenden „Evolutionstheorien“ erhoben, deren Wahrheitsgehalt
und Erklärungskraft gegeneinander abgewogen werden können. Auch die
„Schöpfungsgeschichte“ (gemeint ist damit exklusiv das erste Kapitel der
jüdisch-christlichen Bibel; z.T. auch als „Schöpfungsmythen“ bezeichnet), wird
unter der Hauptüberschrift „Evolutionstheorien“ behandelt, also auf der
gleichen Ebene wie die Theorien von Lamarck, Darwin und die Synthetische Evolutionstheorie.
Das ist ein doppeltes Unding!
Einmal, weil die hier dargestellten Ansichten von der Konstanz der Arten eben
gerade keine Entwicklung (als Veränderung der Arten im Laufe der Zeit) im
Blick haben, also eher ein Gegenentwurf sind, eine
„Anti-Evolutions-Vorstellung“, die keine Entwicklung kennt.
Und zum zweiten, weil in den Lehrbüchern an anderer Stelle durchaus angedeutet
wird, dass die biblischen Texte die Welterfahrung des Menschen nicht rational
erklären wollen („sind keine wissenschaftlichen Theorien“), sondern eine
„Deutung“ anbieten, Antworten versuchen auf die Fragen nach dem Sinn und dem
Ziel des menschlichen Daseins.
Mit Ironie sei noch
festgestellt: In diesen drei Lehrbüchern ist (sicher unbeabsichtigt!) ein
Wunsch von „Kreationisten“ erfüllt worden, die nämlich fordern, dass die
biblische Schöpfungsgeschichte gleichrangig im Biologieunterricht als
naturwissenschaftliche Alternative neben der Darwinschen Evolutionstheorie
behandelt werden soll!
Im Folgenden sind wichtige
Zitate aus den Büchern wiedergegeben. Einzelne Aspekte werden jeweils direkt
unter den einzelnen „Kästen“ diskutiert.
Wegen der gleichen
Autorenschaft ist es unvermeidlich, dass in den folgend wiedergegebenen
Zitaten hin und wieder wortgleiche Dopplungen auftreten.
(Quelle: B12 DUDEN /
PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie, Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin,
2005)
S.511
Entstehung des Lebens – ein Rätsel?
Viele Wissenschaftler haben sich bemüht, die Entstehung des Lebens und die
Existenz der Vielfalt der Arten aus z.T. sehr unterschiedlichen Ansätzen heraus
zu erklären. Auch die in der Bibel dargestellte Schöpfungsgeschichte stellt
eine Art Deutung dar. Die Evolutionstheorie versucht die Abstammung der
Organismen und ihre Entwicklung als natürlichen Prozess zu erklären.
Wie entwickelte sich der Evolutionsgedanke?
Welche namhaften Persönlichkeiten begründeten die heute verbreitete
Evolutionstheorie?
Sind Evolutionsforschung und Religion vereinbar? [40]
S.514f.
Evolutionstheorien – ein Überblick[41]
Die Vorstellungen hinsichtlich der Abstammung der Lebewesen haben sich im Laufe
der Geschichte, geprägt durch den jeweiligen Zeitgeist, verändert bzw.
entwickelt.
Die Evolution (Abstammungslehre) ist auch heute noch in
einigen Teilen der Welt, insbesondere im Bereich der Religion, ein heftig
diskutierter Themenbereich.
Die Schöpfungsgeschichte[42]
Die ältesten überlieferten Vorstellungen zur Entstehung der Welt und ihrer
Organismen finden sich in Schöpfungsgeschichten. Eine wörtliche Auslegung
des Schöpfungsberichtes aus der Bibel steht der Abstammungsidee grundsätzlich
entgegen. Pflanzen und Tiere sind hiernach von Gott in ihrer endgültigen Form
geschaffen worden (Konstanz der Arten). In der Arche Noah sollten Tiere
(Pflanzen?) über die in der Bibel dargestellte Sintflut hinweg gerettet worden
sein. Die Arten waren damit festgelegt und in ihrer Zahl begrenzt. Die
Schöpfungsgeschichte ist im Glauben tief verwurzelt und entzieht sich dem naturwissenschaftlichen
Ansatz der Überprüfung.
Der Schöpfungsbericht war aber dennoch für seine Zeit eine enorme Erkenntnis,
denn die Reihenfolge der Schöpfung von Erde und Lebewesen beruht schon auf
einer „wissenschaftlichen Auseinandersetzung“ mit der Entstehung des Lebens
(Erde und Gestirne, Atmosphäre und Wasser, Wasserlebewesen, Lebewesen des
Landes, Mensch)[43].
Evolutionstheorien vor DARWIN …
Die Begründung der Abstammungslehre
durch DARWIN
… Darwin … studierte zunächst Medizin, ab 1828, nach Abbruch des ersten
Studiums, Theologie …
Während der Reise (mit dem
Forschungsschiff BEAGLE JK) glaubte Darwin noch an die Konstanz der
Arten. Zweifel tauchten erst später, bei der Aufarbeitung des mitgebrachten
Materials … auf. …
Darwin wurde in der Westminster Abbey dicht neben Isaac Newton bestattet.
…
Die von Darwin gewählten Formulierungen („Kampf ums Dasein“; „Überleben des
Bestgeeigneten“), die auch zu Missverständnissen geführt haben …
S.519f.
(Merk-Kasten)
Für die Evolution der Organismen wurden verschiedene Theorien
aufgestellt. Als Ursache wurden früher die Schöpfung der
Organismen durch Gott, die Vererbung erworbener Eigenschaften auf die
Nachkommen sowie die Vernichtung der Organismen durch Katastrophen und ihre
Neuerschaffung angesehen.
Ab Mitte des 19. Jh. wird die Evolutionstheorie angenommen. Die besagt,
dass alle heutigen Lebewesen im Verlauf der erdgeschichtlichen Entwicklung aus
früheren einfachen Lebewesen entstanden sind.
(Quelle: B12 DUDEN /
PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie, Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin,
2005)
(Quelle: B14 DUDEN /
PAETEC; Biologie, Gymnasium, 10, Sachsen, Berlin 2007)
S.86
„Evolutionstheorien
– ein Überblick“
“Die Evolution (Entwicklung der Lebewesen) ist auch heute, insbesondere im
Bereich der Religion, ein heftig diskutierter Themenbereich.“
“Schöpfungsmythen“
“Als Schöpfung versteht man in vielen Religionen die Erschaffung der Welt,
der Lebewesen und der unbelebten Natur durch eine eigenständige Macht, z.B.
einen Gott. In allen Kulturen, die eine eigene Weltanschauung oder Religion
entwickelt haben, gibt es Schöpfungsmythen.
Alle beantworten meist sehr bildhaft die Frage nach der Herkunft der
Götter, der Menschen und der Welt.
Ein bis heute bei vielen Menschen als absolute Wahrheit geltender Mythos ist
in der biblischen Schöpfungsgeschichte niedergelegt.
Bis ins 19. Jahrhundert hinein galt die göttliche Schöpfung auch vielen
Naturwissenschaftlern als gesicherte Grundlage. … Schöpfungsmythen sind
keine wissenschaftlichen Theorien.“
S.90
“Während der ganzen Reise (mit dem
Forschungsschiff BEAGLE JK) glaubte DARWIN noch an die Konstanz der
Arten. Zweifel tauchten erst bei der Aufarbeitung des mitgebrachten
Materials … auf.“
S.102
“Das Wichtigste auf einen Blick“
Evolutionstheorien
Schöpfungsgeschichte
Gott schuf die Arten; sie sind unveränderlich und entwickeln sich nicht
(keine wissenschaftliche Theorie).
Lamarckismus …
Darwinismus …
Synthetische Evolutionstheorie …“
S.157
Neben diesen auf naturwissenschaftlicher Basis erklärten Darstellungen von der
Entwicklung des Lebens in den Phasen der chemischen Evolution – Übergang vom
Nichtleben zum Leben – sowie der biologischen Evolution gab es zahlreiche Schöpfungsmythen. Dazu gehört
auch die in der Bibel geschilderte Schöpfungsgeschichte.
Gegenwärtig ist in den USA der Kreationismus (als „intelligent design“)
weit verbreitet. Er basiert auf der Schöpfungsgeschichte der Bibel.[44] Seine Vertreter versuchen, mit
wissenschaftlichen Argumenten die Schöpfungsgeschichte und den Glauben an die
Schöpfung zu untermauern.
(Aufgabe)[45]
9.a) Vergleicht die darwinsche Evolutionstheorie und die Schöpfungsmythen
bezüglich ihrer inhaltlichen Schwerpunkte miteinander. …
(Quelle: B14 DUDEN /
PAETEC; Biologie, Gymnasium, 10, Sachsen, Berlin 2007)
(Quelle: B24 DUDEN /
PAETEC Schulbuchverlag; Duden Biologie, Gymnasiale Oberstufe, Berlin, 2005)
S.358ff.
8.1 Zur Geschichte des Evolutionsgedankens
- Unterschiedliche Schöpfungsmythen sind charakteristisch für fast
alle bekannten Kulturkreise
- Schon in der Antike befassten sich die Philosophen mit der Herkunft und
Verwandtschaft der Lebewesen
- Die Aufklärung bereitete im 18. Jh. den Boden für eine naturwissenschaftliche
Erklärung der Entstehung der Arten
- Charles DARWIN und Alfred Russel WALLACE veröffentlichten 1858 eine
wissenschaftlich fundierte Evolutionstheorie. Diese auch als „Darwinismus“
bezeichnete Theorie wurde bis heute mehrfach modifiziert und ergänzt, aber
nicht grundlegend geändert
8.1.1 Evolutionstheorien im
Wandel der Zeiten
Schöpfungsmythen[46]
In allen Kulturkreisen haben sich die Menschen die Frage nach ihrer eigenen
Herkunft, der Herkunft der Lebewesen und der unbelebten Natur gestellt und
darauf sehr unterschiedliche Antworten gefunden. Ein bis heute von vielen
Menschen als absolute Wahrheit anerkannter Mythos ist in der biblischen Schöpfungsgeschichte
niedergelegt. Bis ins 19. Jh. hinein galt die biblische Genesis auch vielen Naturwissenschaftlern und Biologen
als gesicherte Grundlage, stimmte sie doch mit der Alltagserfahrung
überein, dass Eltern einer Tier- oder Pflanzenart immer wieder Nachkommen
derselben Art hervorbringen.
Antike Naturphilosophen
Demgegenüber haben sich schon in der Antike griechische Naturphilosophen um
eine „natürliche“ Erklärung der Schöpfung bemüht. ANAXIMANDER VON
MILET, Schüler des THALES VON MILET, vertrat die Ansicht, dass alle Lebewesen
einschließlich des Menschen in stufenweiser Entwicklung aus dem Feuchten
hervorgegangen seien, das ursprünglich die Erde umgab. Auch ARISTOTELES ordnete die Natur
als „Stufenpyramide“ an. Diese Anordnung, die mit dem Unbeseelten beginnt
und mit dem Menschen an der Spitze der Pyramide endet, sieht ARISTOTELES allerdings
statisch und nicht als einen Evolutionsprozess.
Erste Ansätze zu einer
naturwissenschaftlichen Abstammungslehre
Mechanismus und Vitalismus …
Wegbereiter einer wissenschaftlichen Evolutionstheorie
Bis zu Beginn des 19. Jh. herrschte auch bei Biologen die Lehre von der Konstanz der Arten vor
…
CUVIER kam zu der Annahme regelmäßig
wiederkehrender Naturkatastrophen, nach denen es jeweils zu einer Neuschöpfung
der Lebewesen kam („Katastrophen-Theorie“).
Demgegenüber lehnte LAMARCK die
biblische Schöpfungsgeschichte als Erklärung für die Vielfalt der Arten ab. Er
entwickelte eine Evolutionslehre, nach der die direkte Anpassung der Tier- und
Pflanzenindividuen an sich ändernde Umweltbedingungen zum Artenwandel und zur
Artenaufspaltung führt.
Die darwinsche Evolutionstheorie …
S.381
Die synthetische Theorie der Evolution …
S.386f.
(Darstellung anderer Theorien, die neben
der synthetischen Theorie der Evolution diskutiert werden)
Neutralitätstheorie der Evolution …
Soziobiologie und eigennützige Gene …
Kritische Evolutionstheorie und innere Selektion …
Genomtheorien …
Allmählicher Übergang oder Sprünge ? …
Vererbung erworbener Eigenschaften (Lamarckismus) …
Kybernetische Evolutionstheorie …
Morphogenetische Felder …
Kreationismus
Schließlich spielt nach wie vor – v.a. in den Vereinigten Staaten – der so
genannte Kreationismus eine wichtige Rolle. Dieser mit wissenschaftlichen
Argumenten untermauerte Schöpfungsglaube gründet sich auf die Schöpfungsgeschichte der Bibel.[47]
S.458
(Aufgaben)[48]
10. Welche alternativen Theorien neben der synthetischen Theorie sind Ihnen
bekannt? Fertigen Sie eine Tabelle an, in der Sie die unterschiedlichen
Theorien (inklusive der synthetischen Theorie) aufzählen, ihre wichtigsten
Vertreter nennen und die Theorien bezüglich ihrer Schwerpunkte vergleichen.
Diskutieren Sie im Kurs oder in der Gruppe über die Kritikpunkte bzw. Schwächen
der einzelnen Theorien und begründen Sie, welche der Theorien Ihnen am
sinnvollsten und realistischsten erscheint.
(Quelle: B24 DUDEN /
PAETEC Schulbuchverlag; Duden Biologie, Gymnasiale Oberstufe, Berlin, 2005)
2.1.4.3 Lehrbücher aus dem Verlag
SCHROEDEL
(B16, B28 bis B32)
(Quelle: B16
SCHROEDEL; Netzwerk Biologie 10, Braunschweig, 2006)
S.62:
2 Ursachen der Evolution
2.1 Die Evolution der Evolutionstheorien
Bis ins 19. Jahrhundert hinein galt in der Biologie die Theorie von der
Konstanz der Arten. Sie wurde aus dem biblischen Schöpfungsbericht
abgeleitet.[49] So vertrat Carl von LINNÈ (1707 bis
1778) die Ansicht, dass die Arten, so wie wir sie jetzt vorfinden, seit Beginn
der Welt vorhanden waren. …
Auch zu Zeiten von Charles DARWIN (1809 – 1882) glaubte man noch, dass jede Art
von Gott geschaffen wurde …
S.140:
Vernetze dein Wissen (Aufgaben)[50]
A3 Es gibt verschiedene Theorien zur Evolution[51]
1. Die von den Vorfahren erworbenen Eigenschaften werden von Generation zu
Generation weitergegeben.
2. Durch natürliche Auslese verändern sich die Arten im Laufe der Generationen.
3. Alle Lebewesen, die heute leben, sind durch einen Schöpfungsakt von Gott
geschaffen worden.
a) Wie heißen die zitierten Theorien?
b) Welche der genannten Theorien ist heute allgemein anerkannt?
(Quelle: B28
SCHROEDEL; Biologie heute entdecken S II; Braunschweig, 2004)
S.374
1 Entwicklung des Evolutionsgedankens
Die Frage nach dem Ursprung der Menschheit, anderer Lebewesen, ja der Welt
insgesamt, beschäftigt Menschen seit Jahrtausenden. In allen frühen Kulturen
entstanden Schöpfungsmythen, denen zufolge mit übernatürlichen Kräften
ausgestattete Gottheiten Himmel und Erde, Pflanzen und Tiere sowie den Menschen
erschaffen hatten.[52] Erste Ansätze, die Welt durch
natürliche Ursachen zu erklären, sie also zu entmythologisieren, finden sich
im alten Griechenland. …
Für den großen Naturforscher und Philosophen ARISTOTELES (384 bis 322 v.
Chr.) waren alle Lebewesen ewig und unveränderlich.
Das Christentum übernahm ebenso wie die jüdische
Lehre und der Islam diese Lehre von der Konstanz der Arten [53] - allerdings mit dem Unterschied,
dass Pflanzen, Tiere und der Mensch nicht auf natürliche Weise entstanden
seien, sondern von Gott erschaffen worden waren. Bis zum Ende des Mittelalters
bestimmte dieses Dogma das Denken der Menschen. …
Der Horizont auf der Erde wurde durch die ersten
großen Entdeckungsreisen erweitert. Ganze Kontinente und eine Vielzahl von
neuen Pflanzen und Tieren wurden dadurch in Europa bekannt. Es wurden Fragen
aufgeworfen, die die Bibel nicht beantwortete: Hatten all diese Arten in der
Arche Noah Platz gefunden? Wenn Fossilien wirklich die Reste von Lebewesen
waren, die die Sintflut dahingerafft hatte, warum waren dann so viele im Wasser
lebende Arten ausgestorben?
Im 18. Jahrhundert begann der Gedanke an eine allmähliche Entwicklung des
Lebens Gestalt anzunehmen. Man erkannte, dass die Erde nicht erst im Jahre
4004 v. Chr. erschaffen worden war, wie der Bischof James USSHER 1654 nach
sorgfältigem Studien der Ahnentafeln in der Bibel berechnet hatte, sondern viel
älter sein musste. Aber noch hielten fast alle Gelehrten an der Überzeugung
der Konstanz der Arten fest. Auch der schwedische Naturforscher Carl VON
LINNÉ (1707 bis 1778), der Begründer der biologischen Systematik, die auf
abgestuften Ähnlichkeiten beruht, war von der Unveränderlichkeit der Arten
überzeugt. Einer der Ersten, der den Evolutionsgedanken ernsthaft erwog,
war der Franzose Georges de BUFFON (1707 bis 1788), der in seinem Werk
„Histoire Naturelle" darüber nachdachte, ob Mensch und Affe „gemeinsame
Ursprünge" haben könnten. Allerdings verwarf er diesen ketzerischen
Gedanken gleich wieder, da „uns die Autorität der Offenbarung versichert,
dass das erste Paar jeder Art voll ausgebildet aus den Händen des Schöpfers
hervorging" …
Aber die DARWINsche Evolutionstheorie geht in ihrer Bedeutung weit über das
eigentliche Gebiet der Biologie hinaus, denn sie stellte nicht nur die
biblische Schöpfungsgeschichte und die herausgehobene Position des Menschen
als „Krone der Schöpfung" in Frage, sondern erschütterte auch den Glauben
an den Fortschritt in der Natur und die Vorstellung einer harmonischen,
stabilen Welt. DARWIN war sich dessen bewusst: „Mir ist zumute," schrieb
er einem Freund, „als gestehe ich einen Mord."
S.413
Exkurs: Kreationismus
Schon lange vor DARWIN waren viele Menschen davon überzeugt, dass die
Schöpfungsgeschichte der Bibel, nach der Gott sämtliche Tiere, Pflanzen und
auch den Menschen erschaffen hatte, „ein jegliches nach seiner Art“, nicht
wörtlich genommen werden könne. …
Kreationistische Strömungen (lat. creatio, Schöpfung) gibt es in allen
großen Religionen[54]. Auch Kreationisten gehen
allerdings mit der Zeit. Viele, die sich selbst als „wissenschaftliche Kreationisten“
bezeichnen, vertreten nicht mehr die alte Lehre von der „Konstanz der
Arten“, sondern geben zu, dass Arten bis zu einem gewissen Grad
veränderlich sind. …
Der entscheidende Unterschied zwischen einer Wissenschaft und einem
Glaubensbekenntnis wie dem Kreationismus ist allerdings ein anderer. An ein
Glaubensbekenntnis muss man glauben – oder auch nicht. Eine
naturwissenschaftliche Theorie zeichnet sich dagegen dadurch aus, dass man sie
überprüfen kann. …
Aufgrund zahlloser derartiger Belege gilt Evolution heute nicht mehr „nur“ als
Theorie, sondern als Tatsache.
S.442
RÜCKBLICK Evolutionsbiologie
Wenn jemand eine Uhr am Wegesrand findet, wird er kaum auf die Idee kommen,
dass diese rein zufällig – durch seelenlose Naturkräfte - entstanden ist.
Eine Uhr zeichnet sich durch intelligentes Design
aus - und intelligentes Design kann nur das Produkt eines intelligenten
Designers sein. Folglich muss es einen Uhrmacher gegeben haben. Dieses Argument
des englischen Naturtheologen William PALEY (1743 bis 1804) findet auch heute
wieder Anhänger: Lebewesen zeichnen sich durch „intelligentes Design"
aus, und dieses kann nach Meinung von Kreationisten unmöglich durch die
„blinden Kräfte" der Evolution entstanden sein ...
Die Entwicklung des Lebens auf der Erde war ein historischer Prozess, der direkter Beobachtung nicht zugänglich
ist. Daher könnte man zu der Auffassung gelangen, dass die Evolutionstheorie
nicht weiter als eine unbewiesene Hypothese ist. Tatsächlich gibt es zwei
weitere alternative Theorien über die Geschichte des Lebens, die prinzipiell
ebenfalls „wahr“ sein könnten. Nach der auf ARISTOTELES zurückgehenden
Theorie von der „Konstanz der Arten“[55] sind alle heute lebenden (rezenten)
Arten unabhängig voneinander entstanden – oder erschaffen worden – und haben
sich im Laufe der Erdgeschichte nicht verändert. Auch nach der zweiten, von
LAMARCK vertretenen Theorie sind die heute lebenden Arten unabhängig
voneinander entstanden, haben sich aber im Laufe der Erdgeschichte verändert.
Diese Theorie bezeichnet man auch als Transformismus-Theorie (lat.
transformere, umwandeln). DARWINS Evolutionstheorie geht ebenfalls von der
Veränderung von Arten aus, behauptet aber im Gegensatz zu der LAMARCKS, dass
die heute lebenden Arten von gemeinsamen Vorfahren abstammen. Wie lässt sich
entscheiden, welche der drei Theorien die richtige ist?
S.482
GLOSSAR
Kreationismus:
religiös geprägte Vorstellung, nach der Lebewesen nicht durch Evolution,
sondern durch Schöpfung entstanden sind
(Quelle: B28
SCHROEDEL; Biologie heute entdecken S II; Braunschweig, 2004)
(Quelle: B29
SCHROEDEL; Biologie heute S II; Braunschweig, 2004)
S.386:
1 Entwicklung des Evolutionsgedankens
… In der Antike ging man zwar von einer einmaligen Schöpfung von Pflanzen,
Tieren und Menschen aus, aber es gab schon Ansätze von Entwicklungsgedanken.
So sind nach ANAXIMANDER von MILET (611 bis 546 v.Chr.) die ersten Menschen in
fischähnlichen Wesen herangewachsen, haben später ihre fischige Hülle abgelegt
und auf dem Land weitergelebt.
Solche Ideen aus dem Altertum setzten sich aber nicht durch. Das Christentum
machte die Schöpfungsgeschichte und damit die Lehre von der Konstanz der Arten
zur herrschenden Lehrmeinung. So schrieb CARL VON LINNÈ (1707 bis 1778): „Es
gibt so viele Arten als von Anbeginn geschaffen wurden.“[56]
S.444
Der Kreationismus. Eine starke Opposition gegen die
Evolutionstheorie kommt aus der Schule der Kreationisten, die besonders in den
USA aktiv sind. Sie meinen, dass die Schöpfungsgeschichte, wie sie in der
Bibel aufgezeichnet ist, ein wörtlich zu nehmender Bericht über die Erschaffung
der Welt und der Lebewesen ist. Der Streit zwischen den Evolutionsbiologen und
den Gegnern der Abstammungslehre wird teilweise mit Polemik und gegenseitiger
Diffamierung geführt, wobei sich beide Parteien wechselseitig vorwerfen, nicht
wissenschaftlich exakt zu argumentieren bzw. gar keine Wissenschaft zu
betreiben. Die Argumente der Gegenseite werden zum Teil ins Lächerliche gezogen
und verzerrt …
Für den Kreationisten kann es also durchaus Stammbäume geben, die die
Abstammung einzelner Formen von „stammesgeschichtlichen Vorfahren"
zeigen. Sie werden aber nicht wie in der Evolutionstheorie zu einem
hypothetischen Stammbaum vereinigt, sondern sie stehen als autonome
„Stammbüsche" ohne Verbindung nebeneinander. Die Wirkungsmechanismen für ihre
Verzweigungen sind in den beiden Theorien grundsätzlich andere.
Eine weitere Diskrepanz zwischen Kreationismus und Evolutionstheorie besteht in
der Beurteilung der Zeit, die für die Entstehung der heute vorhandenen Lebewelt
zur Verfügung steht. Für viele Kreationisten hat die Erde ein Alter von etwa
6000 Jahren. Da die Berichte der Bibel wörtlich genommen werden, ergibt sich
dieses Alter aus der Addition der Menschenalter, die in den Ahnenfolgen
verschiedener Chroniken aufgeführt sind. Fossilien werden durch weltweite
Katastrophen erklärt, für die die in der Bibel beschriebene Sintflut einen
Anhaltspunkt liefert. Polemische Evolutionisten reagieren darauf mit Hohn und
Spott. Eine fundierte, lückenlose Argumentation dagegen ist aber mit gewissen
Schwierigkeiten verbunden: Die Evolutionstheorie beruht zu einem großen Teil
auch auf den Voraussetzungen, die die Geologie liefert, denn die Fossilien
finden sich in geologischen Schichten und die Datierungsmethoden, die die
Zeittafel der Evolution bestimmen, sind Datierungsmethoden der Geologen. Diese
Verfahren beruhen aber auf der Annahme, dass die Naturgesetze, die heute
wirksam sind, auch schon vor Zeiten wirksam waren. Naturgesetze haben immer in
unveränderter Form gegolten und werden immer in unveränderter Form gelten.
Dieses Prinzip wird als Aktualismus
oder Aktualitätsprinzip bezeichnet und geht auf den englischen Geologen
CHARLES LYELL zurück, der damit zu DARWINS Zeiten die Geologie in neue Bahnen
lenkte. Für uns ist dieses Prinzip heute selbstverständlich. Es ist aber - und
das ist der Ansatzpunkt für den Kreationismus - nicht beweisbar.
Der Aktualismus ist ein Axiom, d.h.
ein Satz, der zwar als unmittelbar einsichtig gilt, aber nicht beweisbar ist.
Auch die Schöpfungstheorie beruht auf einem Axiom, denn auch sie ist nicht
beweisbar. Wenn man also das Axiom des Aktualismus bezweifelt, entzieht man der
Evolutionstheorie die Grundlage. Ohne das Aktualitätsprinzip ist es durchaus
denkbar, andere, wie auch immer geartete Zeiträume für die Entstehung der
Erde und ihre Bewohner anzusetzen. Man stellt sich damit aber auf eine Position
außerhalb der heute für wahr gehaltenen naturwissenschaftlichen Prinzipien. …
S.445:
(anschließend folgen auf einer ganzen
Seite Zitate aus einem kreationistischen Buch)
S.453
GLOSSAR
Kreationismus:
Weltbild, das auf dem Axiom beruht, dass die Schöpfungsgeschichte der Bibel
einen tatsächlichen Ablauf beschreibt
(Quelle: B29
SCHROEDEL; Biologie heute S II; Braunschweig, 2004)
(Quelle: B30 SCHROEDEL;
Hoff, P. / Miram, W. / Paul, B.: Evolution, Materialien für den Sekundarbereich
II, Biologie, Hannover, 2004)
S.8ff.:
2 Die Evolution des Evolutionsgedankens
(Altertum, Mittelalter, Kirche, Bibel,
Konstanz der Arten, Lamarck, Darwin)
S.16ff.
2.7 Der Streit um DARWINs Theorie
hierzu S.18f.
(Kasten:)
Der Kreationismus (Zitate aus einem kreationistischen Buch von
1982, Textumfang zwei Druck-Seiten) [57]
(Aufgabe für Schüler:)
A1
a) Fassen Sie die Gedanken der zitierten Texte zusammen und formulieren Sie
anhand derer die Grundgedanken des Kreationismus.
b) Nehmen Sie Stellung zu den kreationistischen Thesen. Nehmen Sie dabei den
nebenstehenden Exkurs zu Hilfe. (s.u.S.19)
S.19
(Kasten:)
Wie Wissenschaft funktioniert
… Eine Theorie ist also ein Erklärungsmodell, das sich auf durch Fakten
begründete Hypothesen stützt. Ein Erklärungsmodell ist natürlich etwas anderes
als die „absolute Wahrheit“: Naturwissenschaftliche Hypothesen lassen sich im
streng mathematischen Sinn nämlich nicht „beweisen“. Das liegt daran, dass – so
plausibel uns eine Hypothese erscheint – immer auch alternative Erklärungen
möglich sind, auf die wir einfach noch nicht gekommen sind. Allerdings sollten
sich Hypothesen dadurch auszeichnen, dass sich aus ihnen Vorhersagen ableiten
lassen, die prinzipiell überprüfbar
sind. …
In einer früheren Fassung
des gleichen Lehrbuchs (Ausgabe 1993) war ein anderer Ansatz gewählt worden,
um – ebenfalls zum Einstieg in das Thema „Evolution“ – die Ebene der religiösen
Wahrnehmung und Deutung der Wirklichkeit mit aufzunehmen:
(Quelle: B31
SCHROEDEL; Hoff, P. / Miram, W.: Evolution, Materialien für den Sekundarbereich
II, Biologie, Hannover, 1993)
S.10f.
2.2. Die Schöpfungsgeschichte der Bibel [58] [59]
Die Schöpfungsgeschichte der Juden, des Volkes
Israel, ist am Anfang des Alten Testaments in der Bibel aufgezeichnet. Der
Beginn dieses Textes ist in einer modernen Übersetzung nebenstehend wiedergegeben.
Bei der Lektüre fällt auf, dass es sie offensichtlich um zwei Quellen handelt:
Das Kapitel „Der Mensch im Paradies" beginnt noch einmal von vorn, nachdem
im vorangehenden Abschnitt der Prozeß der Schöpfung schon vollständig
geschildert wurde. Dieser zweite Bericht (Genesis II), der eine in sich geschlossene
Erzählung über Erschaffung des Menschen darstellt, ist wahrscheinlich der
ältere. Er wurde etwa 900 v. Chr. am Hofe des Königs Salomon in Jerusalem
niedergeschrieben.
Von 597 bis 538 v. Chr. lebte das Volk Israel in
Babylon; d.h. in Mesopotamien, das ist das Gebiet des heutigen Irak.
NEBUKADNEZAR II., der König der Babylonier, hatte Palästina erobert, Jerusalem
zerstört und die Juden in die „Babylonische Gefangenschaft" geführt. Hier
im Exil wurde wahrscheinlich der erste Teil der Schöpfungsgeschichte (Genesis
I) von Priestern aufgezeichnet. Ein späterer Schreiber hat dann die beiden
unterschiedlichen Schöpfungsberichte so zusammengefügt, wie sie heute im Alten
Testament stehen.
Nach dem Beginn unserer Zeitrechnung entwickelte sich
das Christentum auf der Basis der jüdischen Religion. Es übernahm die
schriftlichen Traditionen des Judentums und damit auch die Schöpfungsgeschichte
des Alten Testaments.
Palästina war zu dieser Zeit Teil des römischen Imperiums. Demzufolge breitete
sich das Christentum zuerst im römisch beherrschten Teil der Welt aus, da es
für die Apostel, wie die ersten Missionare hießen, leicht war, sich innerhalb
dieses politisch zusammenhängenden Gebietes zu bewegen. Da die Christen aber,
weil sie die römischen Staatsgötter ablehnten, politisch verdächtig waren,
wurden sie grausam verfolgt. Es dauerte dreihundert Jahre, bis das Christentum
im Jahr 313 n. Chr. durch Verkündung der Glaubensfreiheit unter Kaiser
KONSTANTIN im römischen Reich neben der römischen Religion geduldet wurde.
Unter THEODOSIUS wurde das Christentum 391 zur römischen Staatsreligion.
Das römische Reich hatte eine vorbildliche Verwaltung. Diese vorhandenen
Strukturen nutzte die nun als Staatskirche fungierende Organisation der
Christen. Rom wurde das geistige und politische Zentrum der Kirche mit dem Sitz
des obersten Bischofs, des Nachfolgers des Apostels PETRUS. In den Verwaltungsbezirken
des römischen Reiches wurden eigene Bischöfe eingesetzt, die Verwaltungsbereiche
wurden zu Bistümern. Überall wurden als zusätzliche Zentren Klöster gegründet,
die das Christentum weiter ausbreiten sollten.
Im Jahre 476 wurde der letzte weströmische Kaiser ROMULUS abgesetzt. Das
römische Weltreich zerfiel. Die christliche Kirche dagegen konnte, auf die
alten römischen Verwaltungsstrukturen gestützt, überdauern. Die Bischöfe von
Rom, die jetzt Päpste genannt wurden, schufen hier ein wichtiges geistiges und
politisches Zentrum, das auch über politische Grenzen hinweg wirkte. Ein
Zeichen für diese geistige und politische Macht und das Fortwirken der
geistigen Wurzeln des alten Rom ist die Bedeutung der lateinischen Sprache,
die bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein die Sprache der Kirche und auch der
Wissenschaft schlechthin gewesen ist.
Die Klöster erwiesen sich als besonders fruchtbare Zentren des geistigen
Lebens.[60] Hier wurden die alten Traditionen
gepflegt, alte Schriften aufbewahrt und wissenschaftliche Arbeiten
geleistet. Grundlage allen geistigen Lebens aber blieb als Basis des
Christentums die Bibel. Zwar wurden auch die griechischen Philosophen studiert
und ihre Schriften konserviert, aber ihre Lehren mussten, um akzeptiert zu
werden, mit der Bibel in Übereinstimmung stehen. Da die Bibel als „Gotteswort"
buchstabengetreu interpretiert wurde, gab es keinerlei Zweifel an der
Richtigkeit der Schöpfungsgeschichte, und demzufolge wurde auch nicht im
heutigen naturwissenschaftlichen Sinne geforscht. Für alle
naturwissenschaftlichen Fragen und insbesondere für die Frage nach dem Ursprung
der Natur und speziell des Menschen gab die Bibel eine eindeutige Antwort, an
der nicht gezweifelt werden konnte.
Unbeschadet aller politischen Veränderungen, die Europa in dem Jahrtausend nach
dem Zusammenbruch des Römischen Reiches erlebte, blieb das Weltbild der
Europäer durch den Gedanken bestimmt: „Alle Lebewesen, die man heute sehen
kann, sind ein für allemal in der Schöpfung von Gott erschaffen worden und
haben sich seither nicht verändert." Man nennt dieses Dogma die „Lehre von
der Konstanz der Arten".[61]
(am Seitenrand sind die beiden ersten
Kapitel der Bibel, Gen.1 und Gen.2,
fast komplett abgedruckt)
S.144-147 (vier Seiten)
9.4. Der Kreationismus
Nachdem die Evolutionstheorie im vorigen Jahrhundert entstanden war,
rief sie sofort den Widerspruch
derer hervor, die nach wie vor den Schöpfungsbericht der Bibel für eine gültige
Darstellung der Entstehung der Welt und der auf ihr lebenden Arten hielten.
An den gegensätzlichen Standpunkten hat sich in den letzten einhundertfünfzig
Jahren nichts geändert. Die großen christlichen Kirchen haben sich allerdings
in ihren offiziellen Lehrmeinungen inzwischen aus dem Streit zurückgezogen und
stellen ihren Mitgliedern anheim, die Schöpfungsgeschichte wörtlich zu nehmen
oder sie in übertragenem Sinne aufzufassen. Man kann sie auch als das
Weltbild eines Nomadenstammes aus dem ersten Jahrtausend vor Christus in
Palästina ansehen. Es gibt aber einige Gruppen, die die Synthetische Theorie
von der Evolution, wie sie heute an Schulen und Universitäten gelehrt wird,
ablehnen und angreifen …
Das Ziel der Kreationisten ist, zu erreichen, dass der
Evolutionstheorie, wenn sie schon an den Schulen unterrichtet wird, die
Schöpfungslehre doch wenigstens gleichberechtigt zur Seite gestellt wird …
(in einer durchlaufenden Randspalte
werden ausführliche Originalzitate aus einem kreationistischen Buch abgedruckt)
(Quelle: B31
SCHROEDEL; Hoff, P. / Miram, W.: Evolution, Materialien für den Sekundarbereich
II, Biologie, Hannover, 1993)
(Quelle: B32
SCHROEDEL; Linder Biologie, Lehrbuch für die Oberstufe, Braunschweig, 2005)
S.438:
Bis weit ins 18. Jahrhundert galt in der Biologie die Lehrmeinung von der
Unveränderlichkeit der Arten. Diese wurde aus dem biblischen Schöpfungsbericht
abgeleitet. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts zogen Biologen erstmals die
Veränderlichkeit der Arten in Betracht. Jedoch beruhte dies zunächst allein auf
Spekulationen.
S.514ff.
Erkenntniswege der
Biologie …
3.1 Anwendung der
Wissenschaftstheorie: Evolutionstheorie und Kreationismus
…
Der Evolutionstheorie werden gelegentlich die Ansichten des
Kreationismus („Schöpfungslehre“) gegenübergestellt. Danach entstand das Leben
durch einen einmaligen Schöpfungsakt. Die Lebewesen seien in der jetzt
bekannten Vielfalt geschaffen worden und hätten sich nicht aus einer-
gemeinsamer Urform mit zunehmender Komplexität entwickelt. Viele Lebewesen
seien seit der Schöpfung ausgestorben. Ferner bestünden Erde und Lebewesen
erst seit einigen Zehntausend und nicht schon seit Milliarden Jahren. Der
Kreationismus nimmt daher auch an, dass Mutation und Selektion nur Variationen
innerhalb der Artgrenzen erzeugen können, nicht aber neue Arten und zunehmend
kompliziertere Lebensformen.
Diese Ansichten gehen auf eine wörtliche Interpretation des biblischen
Schöpfungsberichtes zurück. Dieser besteht seinerseits aus zwei nicht
identischen Darstellungen (Genesis 1 und Genesis 2, Vers 4ff.). Er wurde in
einer Form verfasst, die dem Weltbild der vorderasiatischen Kulturen vor mehr
als 2500 Jahren entsprach. Er hat nicht den Stellenwert eines Modells, sondern
ist ein Glaubenszeugnis, das den ganz anderen Aspekt einer Gewissheit
gleichnishaft beschreibt.
Der Kreationismus erkennt die im Vorstehenden dargestellten Grundprinzipien der
Naturwissenschaften nicht an und kann daher keine naturwissenschaftlichen
Hypothesen liefern. Nimmt man eine Schöpfung im Sinne des Kreationismus an, so
ist daraus keine falsifizierbare Hypothese abzuleiten; daher ist diese Ansicht
wissenschaftlich leer. Der Erklärungs- und Voraussagewert kreationistischer Ansichten
ist viel geringer als jener der Evolutionstheorie. Daher wäre nach dem
heutigen Stand der Wissenschaft die Evolutionstheorie auch dann überlegen,
wenn es sich beim Kreationismus um eine wissenschaftliche Hypothese handelte.
Die Evolutionstheorie kann zu folgenden Fragen führen:
+ Was ist der Sinn der Evolution?
+ Warum hat die Evolution zum Menschen geführt, einem Wesen mit Geist,
d.h. mit der Fähigkeit
zum Nachdenken und vernünftigen
Handeln?
+ Was steckt hinter dem, was die Naturwissenschaft als „Zufall“
beschreibt?
Die Fragen sind mit den Mitteln der Naturwissenschaft unlösbar.
Antworten darauf sind dem persönlichen Glauben überlassen[62] Für einen christlichen Naturwissenschaftler ist nach
KEPLER die Naturwissenschaft eine Methode, um einige der göttlichen
Schöpfungsgedanken zu erkennen.
DARWIN drückte es so aus: „Es
ist wahrlich etwas Erhabenes um die Auffassung, dass der Schöpfer den
Keim allen Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder gar nur einer einzigen Form
eingehaucht hat und dass, während sich unsere Erde nach den Gesetzen der
Schwerkraft im Kreise bewegt, aus einem so schlichten Anfang eine unendliche
Zahl der schönsten und wunderbarsten Formen entstand und noch weiter entsteht.“[63]
S.541
(Glossar)
Kreationismus (lat. creatio
Schöpfung):
Annahme, dass die einzelnen Arten getrennt erschaffen worden seien und eine
Evolution nicht stattgefunden habe; kann keine naturwissenschaftlichen
Hypothesen liefern und ist daher wissenschaftlich leer.
(Quelle: B32 SCHROEDEL;
Linder Biologie, Lehrbuch für die Oberstufe, Braunschweig, 2005)
2.1.4.4 Lehrbücher aus dem Verlag
KLETT
(B25 bis B27)
(Quelle: B25 KLETT;
Biologie für Gymnasien, Oberstufe, Stuttgart, 2005)
S.408
Zettelkasten
Intentionales Denken
Wenn wir etwas Kompliziertes, wie z.B. eine Uhr, einen Computer oder ein Auto
vor uns haben, sind wir davon überzeugt, dass solche Dinge nicht zufällig
entstanden sein können, sondern Ergebnis einer Tätigkeit sind, die planvoll
und absichtlich (intentional) durchgeführt wurde. Mit Blick auf so
komplizierte Dinge wie Lebewesen liegt daher der Gedanke nahe, dass ein höheres
Wesen (Gott) die Organismen erschaffen hat. Aus naturwissenschaftlicher Sicht
ist diese Erklärung unbefriedigend, weil Kräfte und Mechanismen
herangezogen werden, die naturwissenschaftlich nicht prüf- und widerlegbar
sind. DARWIN hingegen hat eine Erklärung gegeben, die ohne die Intention eines
höheren Wesens auskommt[64] …
S.412ff.
(verschiedene Stimmen als Zitate)
Die christlichen Kirchen (4 Zitate) …
Kreationisten (4 Zitate) …
Kritische Positionen
Die Evolutionstheorie versucht, die Entwicklung der Lebewesen allein durch
natürliche Vorgänge zu erklären. Dieser Naturalismus, der u.a.
mithilfe von zufälligen Mutationen und Selektionsvorgängen die Entwicklung
beschreibt, ist auf gegenwärtige und vergangene Ursachen bezogen und verzichtet
auf ein zukünftiges Entwicklungsziel. Dies schließt menschliche Evolution mit
ein und gesteht ihm keine Sonderrolle zu. Dies wird vielfach als Verletzung
menschlicher Würde gesehen und widerspricht dem gewohnten Selbstverständnis,
denn in einer Entwicklung auf ein Ziel hin wird vielfach ein Sinn gesehen und
der Weg dorthin kann dann nicht auf Zufall gegründet sein. Die Evolutionstheorie
gerät damit leicht in Konflikt mit der Religion.
Die großen christlichen Kirchen sehen sich auf einer anderen Ebene als die
Naturwissenschaften, nämlich einer geistigen. Insofern besteht heutzutage kein
Widerspruch zur Evolutionslehre, solange die Wissenschaft ihre materielle
Domäne und die Theologie ihre geistige nicht verlassen.[65]
Zu den Anhängern des Kreationismus bzw. einer
„Schöpfungswissenschaft" genannten Richtung gehören am einen Ende
Vertreter, die an einer wörtlichen Bibelauslegung festhalten und in der
Evolutionslehre eine Bedrohung sehen. Am anderen Ende sind die Vertreter des
intelligenten Designs, die die Evolution zum Teil akzeptieren, aber dennoch in
Teilbereichen übernatürliche Ursachen annehmen. Viele Vertreter versuchen,
Ergebnisse der Evolutionsforschung zu widerlegen oder zumindest abzuschwächen.
Ein häufiger Vorwurf lautet, dass die Evolution nicht sicher bewiesen sei. Dies
zielt eigentlich auf den Hypothesencharakter aller naturwissenschaftlichen
Theorien. Theorien sind prinzipiell nicht positiv beweisbar, nicht
verifizierbar. Die Forderung nach völliger Sicherheit ignoriert also den
Hypothesencharakter und kann generell nicht eingelöst werden. Theorien sollten
aber widerspruchsfrei (interne Konsistenz) und überprüfbar sein, und die
Prüfung sollte auch negativ ausfallen können. Ein positives Ergebnis ist aber
kein Beweis, sondern „nur" eine bestandene Bewährungsprobe. Die
Evolutionstheorie hat sich schon in vielen voneinander unabhängigen Prüfungen
bewährt. Die „Schöpfungslehre" dagegen ist prinzipiell nicht überprüfbar.
Weiterhin ist Naturwissenschaft und damit auch die Evolutionstheorie eine
menschliche Tätigkeit. Als solche enthält sie die menschlichen Schwächen wie
z.B. die Möglichkeit des Irrtums, auch ist sie unfertig, nicht abgeschlossen.
In dieser Situation führen aber neue Erkenntnisse und kritische Prüfung zu
ständiger Verbesserung. Die Forderung nach völliger Sicherheit und
Abgeschlossenheit übersteigt menschliche Fähigkeiten und ist insofern
unredlich. …
Die angesprochenen Diskussionspunkte stellen für viele Naturwissenschaftler
gar keine Probleme dar, sie sehen so ähnlich wie die großen christlichen
Kirchen keinen Widerspruch. Die Faszination der Natur einschließlich der
Evolution kann daher für sich allein sehr beeindruckend sein oder als
großartiger Plan eines Schöpfers angesehen werden. Dies schließt sich nicht aus.
Wahrscheinlichkeitsargumente (1 Zitat) …
Theorie des Intelligenten Designs (2 Zitate) …
Naturwissenschaftler (2 Zitate) …
AUFGABE:
Zeigen Sie, an welchen Stellen der Texte auf verschiedenen Ebenen argumentiert
wird und wo Überschreitungen der Domänengrenzen erfolgen.
S.458
Glossar
Kreationismus
Schöpfungslehre; religiöse Strömung, die die Evolution als Ursache der
Artenvielfalt ablehnt und stattdessen von Schöpfung[66] ausgeht.
(Quelle: B25 KLETT;
Biologie für Gymnasien, Oberstufe, Stuttgart, 2005)
(Quelle: B26 KLETT;
Einblicke Biologie, Band 2, Klett, Stuttgart, 2000)
S.340
(Die Seite beginnt oben mit einem
Kasten:)
Die Erschaffung des Lebens
(Textauszug aus der Bibel, 1. Buch Mose;
daneben ein Bild: Gott als Schöpfer)
Ursachen der Evolution
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts galt die Lehrmeinung, dass Pflanzen- und
Tierarten im Verlauf der Schöpfung entstanden und unveränderlich seien. Man
sprach von der Konstanz der Arten …
S.352
Zusammenfassung: Ursachen und Verlauf
der Evolution
Fragen, welche die Menschen seit frühester Zeit beschäftigten, waren „Wer
bin ich?“, „Woher komme ich?“
In vielen Religionen wird die Weltentstehung als eine einmalige
Schöpfung Gottes beschrieben. Bis ins 19. Jahrhundert war die Idee von
der Konstanz der Arten gültig.
(Quelle: B27 KLETT;
Natura, Biologie für Gymnasien Band 2, Klett, Stuttgart, 1997)
S.346f.
Evolution
Wie alt ist die Erde?
Wie ist das Leben auf der Erde entstanden?
Kann das Urpferdchen tatsächlich als Vorfahr unserer heutigen Pferde angesehen
werden?
Sind sich Saurier und Menschen jemals begegnet?
Wurden Pflanzen, Tiere und Menschen in einem einmaligen Schöpfungsakt
geschaffen oder haben sie sich in einem Millionen Jahre dauernden Prozess
entwickelt?[67]
Mit solchen und
ähnlichen Fragestellungen beschäftigen sich Menschen seit alters her. In
allen Religionen gibt es eine Schöpfungsgeschichte, die auf derartige
Fragen eingeht. Doch nicht nur Theologen und Philosophen befassen sich mit
diesen Problemen, sondern vor allem auch die Naturwissenschaftler der
verschiedensten Fachrichtungen.
Die Evolutionstheorie versucht, die Entwicklung der Lebewesen aus einfachen
Vorfahren bis zu den heutigen Arten zu erklären …
S.354
Die Entstehung der Lebewesen – erste
Erklärungsversuche
Bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts galt nur eine Vorstellung über die
Entstehung der Pflanzen, der Tiere und des Menschen: Die Schöpfungsgeschichte
der Bibel.[68] Doch mit der rasanten Entwicklung
der Wissenschaft und Technik im 19. Jahrhundert fand auch die Biologie immer
mehr Erkenntnisse, die nach einer naturwissenschaftlichen Erklärung verlangten.
2.1.4.5 Lehrbücher aus dem Verlag
CORNELSEN /
VOLK UND WISSEN
(B11, B17, B18, B23)
In den Büchern dieser
Verlagsgruppe werden Schöpfungsvorstellungen nur in wenigen Ausnahmefällen
angesprochen bzw. behandelt:
(Quelle: B11 CORNELSEN
/ VOLK UND WISSEN; Biologie plus, Klasse 10 Gymnasium, Sachsen, Berlin, 2006,
wortgleich auch B18 VOLK UND WISSEN; Biologie plus, Klassen 9/10 Gymnasium,
Sachsen, Berlin, 2001)
S.66
Der Evolution auf der
Spur
LINNÉ und CUVIER. Menschen haben
wohl immer darüber nachgedacht, wie die Welt entstanden ist und woher sie
selbst kommen. Lange Zeit beherrschten religiöse Vorstellungen ihr
Denken.
So gingen auch Wissenschaftler von der Unveränderlichkeit (Konstanz) der
Arten aus. Diese Vorstellung blieb im Wesentlichen bis zu dem bedeutenden
schwedischen Gelehrten CARL VON LINNÉ die vorherrschende Lehrmeinung: „Es
gibt so viele Arten, wie das Unendliche Wesen sie am Anfang hervorgebracht
hat.“
Das Vorhandensein von Fossilien, das aus heutiger Sicht zweifelsfrei belegt,
dass früher andere Lebewesen existierten als in der Gegenwart, wurde durch die
Annahme erklärt, nach geologischen Katastrophen hätten wiederholte
Schöpfungsakte stattgefunden. Der bedeutendste Vertreter dieser Auffassung
war der Franzose GEORGES CUVIER (1769-1832). …
Die Theorie DARWINS geht dagegen von einer indirekten Umwelteinwirkung aus, die
über den unterschiedlichen Fortpflanzungserfolg von individuellen Varianten
vermittelt wird. Als er die Entstehung des Menschen mit den gleichen Gesetzmäßigkeiten
zu erklären versuchte, war DARWIN vielen Anfeindungen ausgesetzt …
S.102ff.
(Randspalte)
Schon gewusst?
Schöpfungslehren gehen davon aus, dass die Lebewesen durch ein oder
mehrere höhere Wesen geschaffen wurden.[69]
Manche Wissenschaftler glauben, dass die ersten Lebewesen nicht auf der Erde
entstanden sind, sondern beispielsweise mit Meteoriten auf die Erde gelangten.
…
2.1.4.6 Lehrbücher aus weiteren
Verlagen
(BSV: B21, C.C.BUCHNER: B22)
(Quelle: B21 BSV
(Bayerischer Schulbuch Verlag); Meyer, H. / Daumer, K.: Biologie für die gymnasiale
Oberstufe, München 1999)
S.5:
Bereits bei den vorsokratischen Naturphilosophen finden sich Gedanken über eine
Entstehung der Lebewesen aus unbelebter Materie (Urzeugungshypothese) und über
die Entwicklung von einfachen Formen zu komplizierteren
(Abstammungshypothese).
Aristoteles (384-322 v. Chr.) vertrat zwar auch die Urzeugungshypothese,
sah aber in den Anpassungen und den abgestuften Ähnlichkeiten der Lebewesen den
Ausdruck eines weisen Schöpfungsplanes. Fossilien betrachtete er als
verunglückte Produkte der formgestaltenden Schöpferkraft. Diese
aristotelische Naturphilosophie wurde im Mittelalter mit dem biblischen
Schöpfungsbericht in Einklang gebracht und so lehrten Theologen, Philosophen
und Naturgelehrte über Jahrhunderte hinweg die Entstehung aller Lebewesen, der
Erde selbst und des gesamten Weltalls durch einen einmaligen Schöpfungsakt.
Dabei galt als unantastbare Wahrheit, dass die verschiedenen Arten
unveränderlich und deshalb von Beginn der Schöpfung an auch unverändert
geblieben seien (Lehre von der Konstanz der Arten).
Im Jahre 1739 veröffentlichte Carl von Linné (1707-1778) den ersten Entwurf für
sein „System der Natur" und zwanzig Jahre später hatte er allen ihm damals
bekannten Pflanzen und Tieren aufgrund gemeinsamer und unterschiedlicher
Merkmale einen lateinischen Doppelnamen gegeben und sie in ein hierarchisch
gegliedertes System eingeordnet, von dem er glaubte, dass es den göttlichen
Schöpfungsplan widerspiegelte.
Die inzwischen zahlreich gefundenen Fossilien wurden jetzt als die
versteinerten Reste von Lebewesen aufgefasst, die entsprechend dem
biblischen Bericht in der Sintflut umgekommen seien. Selbst als Georges
Cuvier (1769-1832) durch systematische Ausgrabungen und Untersuchungen von
Fossilien erkannt hatte, dass die versteinerten Lebewesen sich von den heute
lebenden unterscheiden, und zwar umso mehr, aus je älteren Schichten sie
stammen, hielt er noch am Schöpfungsbericht und der Vorstellung von der Unveränderlichkeit
der Arten fest. Dies konnte er nur, indem er mehrere sintflutartige Katastrophen
annahm, die die jeweils vorhandene Lebewelt auslöschten und eine Neuschöpfung
auf höherer Stufe nach sich zogen (Katastrophen-„Theorie“).
S.108ff.
Fragen nach dem Beginn einer Ursachenkette wie auch
nach der finalen (Zweck-)Ursache sind mit naturwissenschaftlichen Methoden
nicht zu fassen.
Sie wurden zu allen Zeiten und in allen Kulturen mit Vorstellungen von den
zweckvollen Absichten sich selbst erklärender Schöpfer beantwortet. Da
sich solche Begründungen einer Überprüfung mit naturwissenschaftlichen Mitteln
entziehen, sind sie in den Naturwissenschaften nicht zulässig. …
(Quelle: B22
C.C.BUCHNER; Solbach, H.: Vita nova; Biologie für die Sekundarstufe II; Bamberg
2000)
S.344f.:
43.1 Am Anfang war ...[70]
…Nachdem man die Urzeugungstheorie gerade hatte verwerfen müssen, war
es für viele
Gelehrte und andere Menschen dann sehr schwer, die von DARWIN im Jahr 1859 entwickelte
Evolutionstheorie von der Entstehung der Arten zu akzeptieren (Kap. 45.l, S.
358). Diese führt die Entwicklung der Lebewesen nicht nur über einfachere
Formen auf Einzeller zurück, sondern fordert geradezu zwingend, dass
irgendwann einmal erste Einzeller entstanden sein müssen. Man stand vor
zwei Alternativen, die sich für viele scheinbar gegenseitig ausschließen: War
das Werden des Lebens ein Schöpfungsakt Gottes oder doch eine Art Urzeugung?
Auch wenn sich die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zur Entstehung des
Lebens (Kap. 43.2, S.345 ff.) seither vervielfacht und sich die entsprechenden
Lehrmeinungen präzisiert haben, so gibt es noch zwei grundsätzliche Schwächen
in der Beweisführung, und die lassen sich vermutlich auch in Zukunft nicht
beheben:
- Viele Kernaussagen der Theorien können nicht experimentell überprüft werden,
da es Zeiträume
von Millionen und Milliarden von
Jahren nachzuvollziehen gilt (Anm. 344.2). Ohne reproduzier
bares Experiment gibt es aber keine
Beweiskraft im strengen naturwissenschaftlichen Sinn.
- An mehreren Stellen - leider sind das nicht selten ganz entscheidende Stellen
- müssen Lücken in
den Theorien durch Spekulationen
überbrückt werden.
Die Folgen dieser Abweichungen von der sonst üblichen naturwissenschaftlichen
Beweisführung war es und ist es heute noch, dass die Antworten auf die
Fragen nach dem Ursprung und der Entwicklung des Lebens sehr
unterschiedlich ausfallen, beeinflusst
vom religiösen, weltanschaulichen und philosophischen Standpunkt des Antwortenden.
Die Palette reicht von der völligen Ablehnung jeglicher naturwissenschaftlichen
Erklärung auf diesem Gebiet durch Menschen mit bestimmten, festgefügten
religiösen Überzeugungen bis zur intolerant atheistischen Argumentation
anderer, in deren Vorstellungswelt kein Platz für einen Gott, eine
übergeordnete Macht ist und die (deshalb?) in einem naturwissenschaftlichen
Machbarkeitsglauben danach streben, alles Geschehen in der Welt ausschließlich
durch die Gesetze der Physik zu erklären - wobei die Erklärungsgrenze bisher
spätestens bei der Frage nach dem „Woher?" dieser Gesetze erreicht ist
(Anm. 345.1). [71] [72]
Trotz aller Unsicherheiten, Lücken und Meinungsverschiedenheiten haben sich
jedoch inzwischen einige Grundvorstellungen herauskristallisiert. Dazu gehört
auch die Annahme, dass es natürlich vor den ersten Zellen andere Strukturen
gegeben haben muss, von denen diese Zellen abstammten.
S.345
Seit die ersten Missverständnisse über DARWINS Aussagen geklärt sind, ist
die Evolutionslehre in den großen christlichen Kirchen unbestritten[73] …
S.346:
So wie das Wort einer Sprache könnte ein solches Molekül eine Information
bedeutet haben, nämlich die für die Bindung einer in der Ursuppe
herumschwimmenden Aminosäure nach einem sehr einfachen Code. Jedenfalls stand
am Anfang des Lebens höchstwahrscheinlich ein Informations-Molekül. Auch in
einer anderen Version über die Entstehung des Lebens heißt es: „Im Anfang
war das Wort, …“
Dieses Zitat stammt aus dem JOHANNES-Evangelium im Neuen Testament der Bibel.
S.364f.:
Viele Erkenntnisse der Evolutionsforschung werden noch kontrovers diskutiert. …
Ob die Evolution wohl jemals alle ihre Geheimnisse preisgeben wird?
(Quelle: B22
C.C.BUCHNER; Solbach, H.: Vita nova; Biologie für die Sekundarstufe II; Bamberg
2000)
Auswertung der Lehrbücher für die Fächer PHYSIK und
ASTRONOMIE (Sachsen 2007/2008)
Teilband 2.2: |
||
Kapitel |
Inhalt |
Seite |
2.2 |
Der Umgang mit Erkenntnisgrenzen
der Naturwissenschaft sowie die Darstellung und Behandlung von philosophischen und religiösen Fragen in
Schullehrbüchern für die Unterrichtsfächer PHYSIK und ASTRONOMIE im Freistaat
Sachsen - 2007/2008 |
113 |
2.2.1 |
Lehrpläne für den Freistaat
Sachsen 2004 (PHYSIK und ASTRONOMIE) |
114 |
2.2.2 |
Zu Erkenntnismöglichkeiten der
Naturwissenschaft und zu Wissenschaftstheorie |
119 |
2.2.2.1 |
Darstellung
in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach PHYSIK für die Sekundarstufe 1 |
119 |
2.2.2.2 |
Darstellung
in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach PHYSIK für die Sekundarstufe 2 |
122 |
2.2.2.3 |
Darstellung
in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach ASTRONOMIE |
137 |
2.2.3 |
Die Auseinandersetzung um das
kopernikanische Weltbild |
139 |
2.2.3.1 |
Exkurs:
Ein Konflikt wird aufgebaut |
139 |
2.2.3.2 |
Darstellung
in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach PHYSIK für die Sekundarstufe 1 |
142 |
2.2.3.3 |
Darstellung
in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach PHYSIK für die Sekundarstufe 2 |
144 |
2.2.3.4 |
Darstellung
in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach ASTRONOMIE |
145 |
2.2.4 |
Annäherung an eine Grenzfrage:
„Urknall“ |
150 |
2.2.4.1 |
Darstellung
in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach PHYSIK für die Sekundarstufe 1 |
150 |
2.2.4.2 |
Darstellung
in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach PHYSIK für die Sekundarstufe 2 |
150 |
2.2 Der Umgang mit Erkenntnisgrenzen
der Naturwissen-
schaft sowie die Darstellung und
Behandlung von
philosophischen und religiösen
Fragen in
Schullehrbüchern für die
Unterrichtsfächer PHYSIK und
ASTRONOMIE
im Freistaat Sachsen - 2007/2008
In diesem Kapitel werden
zunächst die Lehrpläne des Freistaates Sachsen für die Fächer PHYSIK und
ASTRONOMIE in Auszügen vorgestellt.
Anschließend sind Aussagen aus den im Schuljahr 2007/2008 zugelassenen
Schul-Lehrbüchern zusammengestellt.
Dabei werden die Bücher nacheinander unter drei verschiedenen Gesichtspunkten
ausgewertet.
Zu jeder Fragestellung werden zunächst Lehrbücher für das Fach PHYSIK
betrachtet, die bis zur Klassenstufe 10 im Gebrauch sind, danach gesondert
solche für die gymnasiale Oberstufe. ASTRONOMIE-Lehrbücher werden danach zur
gleichen Problemstellung befragt.
In den einzelnen Kapiteln werden die Lehrbücher stets in der Reihenfolge
vorgestellt, in der sie im Quellenverzeichnis erfasst sind.
2.2.1 Lehrpläne für den Freistaat
Sachsen 2004
(PHYSIK und ASTRONOMIE)
In den
Lehrplänen werden unter anderem folgende Abkürzungen verwendet:
MS = Mittelschule
GY = Gymnasium
LB = Lernbereich
Gk = Grundkurs
LK = Leistungskurs
WG = Wahlgrundkurs
AST = Astronomie
BIO = Biologie
ETH = Ethik
PH = Physik
RE/e = evangelische Religion
RE/k = katholische Religion
(Quelle: Lehrpläne des
Freistaates Sachsen 2004)
A) Mittelschule Fach Physik (MS-PH)
S.2
Ziele und Aufgaben des Faches Physik
… Auseinandersetzung mit physikalischen und
astronomischen Sachverhalten zur Erschließung der Lebenswelt und zur
Entwicklung eines eigenen Weltbildes[74] …
S.33
Lernbereich 3: Kosmos, Erde und
Mensch[75]
… Einblick gewinnen in die Geschichte der Astronomie …
Älteste Naturwissenschaft … Abgrenzung zur Astrologie
…
Ptolemäus … Kopernikus … Kepler … Galilei …
Wechselwirkung zwischen Forschung und Gesellschaft …
Einblick gewinnen in die Entwicklung des Weltalls …
Entstehung des Weltalls …
Stellung des Menschen im Weltall …
verschiedene Theorien; Erkennbarkeit der Welt
S.35
Wahlpflicht 1:
Utopische Physik
(4
Unterrichtsstunden) [76]
B) Gymnasium Physik (GY-PH)
S.2
Ziele und Aufgaben des
Faches Physik
… die Schüler … entwickeln Vorstellungen über den
Aufbau der Materie vom Atom bis zum Kosmos. Dabei wird die Entwicklung
eines eigenen Weltbildes gefördert …
die Schüler eignen sich fundiertes physikalisches Wissen an, das ihnen
gestattet, Entscheidungen und Entwicklungen in der Gesellschaft im Umfeld
von Natur und Technik begründet zu beurteilen[77], Verantwortung beim Nutzen des wissenschaftlich-technischen
Fortschritts zu übernehmen und Technikfolgen abzuschätzen …
Der Physikunterricht vermittelt Grundlagen für das
wissenschaftliche Arbeiten in den Erfahrungswissenschaften. So werden durch
den Schüler Bedeutung und Grenzen von Experimenten, Hypothesen, Modellen
und Theorien für die Gewinnung physikalischer Erkenntnisse erfasst. Themen
aus interdisziplinären wissenschaftlichen Bereichen können aus der
Sicht der Naturwissenschaften reflektiert und pseudowissenschaftliche
Bereiche[78] beurteilt werden…
S.22
Klassenstufe 9
Ziele
… Die Schüler gewinnen einen ersten Einblick in Grenzen
klassischer mechanischer Vorstellungen …
S.27
Klassenstufe 10
Ziele
… Die Schüler sind zunehmend in der Lage, sich sachbezogen
mit pseudowissenschaftlichen Theorien auseinander zu setzen.
Die Schüler erkennen den vorläufigen Charakter
wissenschaftlicher Erkenntnisse und vertiefen die Einsicht, dass kritischer
Umgang mit Theorien und deren Überprüfung durch Experiment und Beobachtung
wissenschaftlichen Fortschritt ermöglichen …
S.28
Lernbereich 2: Kosmos,
Erde und Mensch[79]
Einblick gewinnen in die Eigenschaften astronomischer
Objekte und astronomischer Erscheinungen …
(Verweis auf: Methodenbewusstsein; Reflexions- und Diskursfähigkeit)
Einblick gewinnen in die Wandlung unserer [80] Weltsicht vom Altertum bis
zur Gegenwart …
Ptolemäus … Kopernikus … Belege durch Galilei, Kepler und Newton …
(Verweis auf: Werteorientierung; ETH Kl10, LB1; RE/e Gk11, LB1) …
moderne Weltsicht …
S.33
Jahrgangsstufen 11/12
– Grundkurs
Ziele
… Einblick in die Notwendigkeit der Weiterentwicklung
klassischer Vorstellungen am Beispiel der Relativität von Raum und Zeit …
vertiefen die Schüler die Möglichkeit und
Notwendigkeit der Arbeit mit mehreren Modellen zu einem Sachverhalt …
lernen sie die Möglichkeiten und Grenzen ihres
menschlichen Vorstellungsvermögens auf wissenschaftlicher Grundlage zu
beurteilen[81]…
S.42
Jahrgangsstufe 12 …
Lernbereich 3:
Grundlagen der Quantenphysik
… Richard Feynman: „Quantenobjekte sind weder Welle
noch Teilchen, sondern etwas Drittes!“ …
Nichtlokalität der Quantenobjekte
Kopenhagener Deutung
Grenzen der Anschauung[82]
S.45
Wahlpflicht 3: Deterministisches Chaos
… Kausalitätsprinzip, Determinismus und
deterministisches Chaos …
Sensitivität bezüglich der Anfangsbedingungen …
Möglichkeit von Kurzzeitvorhersagen …
Erkennen der Chaosfähigkeit …
S.46
Jahrgangsstufen 11/12 – Leistungskurs
Ziele
… beim konkreten Wahrnehmen und Idealisieren
setzen sich die Schüler mit Modellannahmen auseinander …
Sie erkennen die Struktur von Analogieschlüssen und
beurteilen deren Zulässigkeit …
positionieren sich zu komplexen Fragen der
Naturwissenschaft und Technik in der Gesellschaft …
Die Schüler reflektieren in ausgewählten Bereichen
die wissenschaftliche Bedeutung und Stellung von physikalischen Größen und
Gesetzen in der Physik. Durch den Einblick in chaotische Systeme und durch die
Auseinandersetzung mit der Quantenphysik sowie nichtklassischen Vorstellungen
von Zeit und Raum erkennen sie die Möglichkeiten und Grenzen der
Vorausberechenbarkeit der materiellen Welt und lernen ihr menschliches
Vorstellungsvermögen auf wissenschaftlicher Grundlage zu beurteilen[83] …
S.51
Lernbereich 6: Einblick in die
Relativitätstheorie
… gekrümmte Raumzeit … schwarze Löcher im Kosmos … Theorie des
Urknalls
(Verweis auf: RE/e Lk12, LB2)
S.59
Jahrgangsstufe 12 – Leistungskurs
Lernbereich 6:
Eigenschaften der Atomkerne
… Ausblick auf den Stand der Wissenschaft zu den
Grundkräften der Natur …
S.62
Lernbereich 8: Deterministisches Chaos
… Kausalitätsprinzip, Determinismus und
deterministisches Chaos …
C) Gymnasium Astronomie (GY-WG AST)
S.2
Ziele und Aufgaben des Wahlgrundkurses
Astronomie
… Der Astronomieunterricht regt die Schüler an,
sich mit weltanschaulich philosophischen Fragen, dem Sinn der menschlichen
Existenz und der Stellung des Menschen im Weltganzen auseinander zu setzen
…
Auseinandersetzung mit astronomischen Inhalten als
Beitrag zur Entwicklung des Weltbildes [84]…
S.4 Ziele in
den Jahrgangsstufen 11 und 12
… setzen sie sich mit unterschiedlichen Weltbildern
sowie mit der Wechselwirkung zwischen Astronomie und Astrologie auseinander.
Den Schülern wird bewusst, dass die Gewinnung und Akzeptanz wissenschaftlicher
Erkenntnisse an gesellschaftliche Verhältnisse gebunden ist …
Insbesondere bei der Diskussion über dunkle Materie
und den Urknall werden den Schülern Möglichkeiten und Grenzen von Modellen
bewusst …
Die Schüler ordnen den Menschen in das Gefüge des
Weltalls zeitlich und räumlich ein. Sie erkennen, dass die Annahme, im Weltall
wirken dieselben Naturgesetze wie auf der Erde, bisher keine Widersprüche
erzeugt hat. Sie erweitern ihr naturwissenschaftlich fundiertes
Weltverständnis [85]…
S.7 Lernbereich
3: Geschichte der Astronomie
… Kennen wichtiger Etappen der historischen
Entwicklung der Astronomie …
(Hinweise auf: Werteorientierung, ETH Kl.10, LB 1 und RE/k Lk11, LB2) …
Bedeutung und Grenzen des kopernikanischen Weltbildes …
Abkehr von antiken Vorstellungen, Epizykel, Kreisbewegungen
Modernes Weltbild
(Verweis auf RE/e Gk11, LB1) …
Urknall-Idee …
Erkenntnistheorie …
S.11 Jahrgangsstufe
12 …
Lernbereich 2: Das
Milchstraßensystem und andere Galaxien
… Interpretation der Rotverschiebung …
Lernbereich 4:
Kosmologie
… kosmologisches Prinzip …
Homogenität und Isotropie
Allgemeingültigkeit der Naturgesetze [86]…
Modelle zur Entwicklung des Weltalls … Urknall, Standardmodell
…
alternative Modelle …
(Quelle: Lehrpläne des
Freistaates Sachsen 2004)
2.2.2 Zu Erkenntnismöglichkeiten der
Naturwissenschaft
und zu Wissenschaftstheorie
Lee Smolin (bedeutender Astrophysiker):
Das würde ich eine Krise nennen …
Nur zu ein paar Prozent besteht unser
Universum aus sichtbarer Materie. Für schätzungsweise 95 Prozent des kosmischen
Inventars haben Forscher bislang wenig mehr als Namen, und schon die sind
mysteriös genug: Dunkle Materie und Dunkle Energie. Das All ist erfüllt von
etwas, was wir nicht sehen, und wird getrieben von einer Kraft, die wir nicht
verstehen. ... Die Grundlagenphysiker driften zusehends weg von der
Naturwissenschaft, hin zu reinen Mathematik ... Immer kühner türmen die
Theoretiker ihre Gedankengebäude. Immer weiter entfernen sie sich von den
Möglichkeiten der Experimentalphysik. ... Heute ist das meiste, was
Theoretiker über die Grundlagen der Physik publizieren, nicht überprüfbar.[87]
…
(Q11
Die Zeit, 29.3.2007 S.29, 32)
2.2.2.1 Zu Erkenntnismöglichkeiten
der Naturwissenschaft
und zu Wissenschaftstheorie
Darstellung in Lehrbüchern
für das Unterrichtsfach
PHYSIK für die Sekundarstufe
1
In einem Physik-Lehrbuch für
die Sekundarstufe 1 steht der folgende Satz:
(Quelle: P7 SCHROEDEL;
Erlebnis Physik 4, Sachsen, Bildungshaus, Braunschweig, 2007, S.106
Am Ende des 19. Jahrhunderts war die
gedankliche Welt der Physiker in Ordnung. Alle beobachteten Erscheinungen
konnten mathematisch beschrieben und mit physikalischen Gesetzen
zufrieden stellend erklärt werden.
Man hat beim Lesen auch
anderer Physik-Lehrbücher für diese Altersstufe den Eindruck, dass die Autoren
auch heute noch im Wesentlichen gesicherte Gewissheiten zu vermitteln haben. In
einigen Büchern fehlt jeder Hinweis auf Grenzen und Unsicherheiten in der
naturwissenschaftlichen Erkenntnis.
In den Lehrbüchern P1
S.74f. und P2 S.58f. sind über zwei Seiten hinweg kritische Beiträge zur
Astrologie abgedruckt (was richtig und wichtig ist!), in P2 S.103ff. wird auf
weiteren neun (!) Seiten über Physik in Utopie, Science fiction und
Fernsehserien berichtet – da sollte doch eigentlich irgendwo auch Platz sein
für ein wenig Wissenschaftstheorie!
Wenige Andeutungen auf
Erkenntnisgrenzen der Physik finden sich im nächsten Buch:
(Quelle: P3 DUDEN /
PAETEC; Physik Sek I, Duden Paetec, Berlin, 2005, S.21f.)
(Denk- und
Arbeitsweisen in der Physik)
Physikalische Gesetze sind allgemeine und wesentliche Zusammenhänge in
der Natur, die unter bestimmten Bedingungen [88]stets wirken. …
Für ein und dasselbe Objekt kann es verschiedene Modelle geben.
Welches Modell benutzt wird, hängt davon ab, was mit dem betreffenden Modell
gemacht werden soll. …
Ein Modell ist eine Vereinfachung der Wirklichkeit. In wichtigen
Eigenschaften stimmt das Modell mit der Wirklichkeit überein, in anderen nicht.
…
Deshalb ist jedes Modell immer nur innerhalb bestimmter Gültigkeitsgrenzen
anwendbar. …
Wichtige Naturgesetze und deren Gültigkeitsbedingungen sind in langen,
wechselvollen historischen Prozessen entdeckt worden. Diese Prozesse waren
oft von Irrtümern und Irrwegen begleitet.
Ein weiteres Buch spricht am
Beispiel des „kosmologischen Prinzips“ die Rolle und Reichweite von Axiomen und
Prinzipien in der Naturwissenschaft an. Solche „Grundsätze“ werden aus der
„Erfahrung“ heraus vorausgesetzt. Man benötigt sie, um überhaupt
naturwissenschaftlich arbeiten zu können, sie sind aber nicht beweisbar und damit
eigentlich „Glaubenssätze“.
Im Zusammenhang mit der
Entwicklung wird von Urknalltheorien (Plural!) gesprochen und auf viele noch
offene Fragen hingewiesen:
(Quelle:
P4 DUDEN / PAETEC; Physik, Gymnasium 10, Sachsen, Duden Paetec, Berlin, 2007, S.80f.)
Die
Entstehung unserer Welt
Den Forschungszweig der Astronomie, der sich mit dem Weltall in seiner
Gesamtheit beschäftigt, nennt man Kosmologie.
Die Kosmologie kann sich auf die Erfahrung stützen, dass die bisherige Suche
nach einem Mittelpunkt des Weltalls erfolglos verlaufen ist. Da sich dieser
Mittelpunkt weder in der Erde noch in der Sonne oder dem Zentrum der Galaxis
befindet, kann man davon ausgehen, dass es ihn gar nicht gibt. Diese Erfahrung
fasst man im sogenannten kosmologischen
Prinzip zusammen:
Im Kosmos gibt es keinen besonders ausgezeichneten Punkt.
Das kosmologische Prinzip hat weitreichende Konsequenzen. Es bedeutet z. B
auch, dass überall im All unter gleichen Bedingungen die gleichen
physikalischen Gesetze gelten. Wäre dies an irgendeinem Ort nicht so, dann
würde dieser Ort – in Widerspruch zum kosmologischen Prinzip - besonders
ausgezeichnet sein. …
Gegenwärtig geht man davon aus[89], dass das
Weltall vor etwa 17 Milliarden Jahren in einer gewaltigen Explosion, dem Urknall, auch Big Bang genannt, geboren wurde. Seither strebt unser Kosmos,
gemeinsam mit der in ihm befindlichen Materie, auseinander …
Die Theorien, in denen diese Prozesse beschrieben werden, nennt man Urknalltheorien …
Trotz aller Erfolge der modernen Kosmologie sind aber noch viele Fragen zu
den Frühphasen und zur Zukunft unserer Welt ungeklärt.
[90]
Auch das nächste Lehrbuch
weist auf Unsicherheiten in den derzeitigen Erklärungsmodellen hin:
(Quelle: P6 SCHROEDEL; Erlebnis Physik 3, Sachsen, Bildungshaus,
Braunschweig 2006, S.110)
5.2 Die Entstehung des Weltalls
Die
bekannteste Theorie, die die Entstehung des Weltalls beschreibt, ist die Urknalltheorie
…
Da aber niemand genau weiß, was vor 20
Milliarden Jahren wirklich geschah, wurden
im Laufe der Zeit auch noch andere Entstehungstheorien entwickelt.
Eine der bekanntesten ist die 1948 vorgestelIte Steady-State-Theorie …
Ein anderes Lehrbuch
versucht Auskunft zu geben zur Entwicklung des naturwissenschaftlichen Fragens
und Denkens – als Emanzipationsprozess weg vom Glauben an Geister und Götter.
(Quelle: P8
WESTERMANN; Kuhn: Physik 1.1, Braunschweig, 2002, S.5ff.)
Die Menschen der Frühzeit waren mit der Natur
enger verbunden als wir. Sie fühlten sich ganz und gar von ihr abhängig. Um dem
Walten der Natur nicht blind ausgeliefert zu sein, musste man die Naturerscheinungen
beobachten und praktisch nutzen. Die uns überlieferten Aufzeichnungen (3000
v.Chr.) zeigen, dass die Völker des Altertums, Sumerer, Babylonier und Ägypter,
dabei recht erfolgreich waren. Aus ihren Erfahrungen bei der Naturbeobachtung
entstanden auch beachtliche technische Leistungen, die wir z.T. heute noch
bestaunen können.
Die erkannten Regelmäßigkeiten im Ablauf der Naturerscheinungen schrieben die
Menschen damals Göttern, Geistern und Dämonen zu, deren Absichten und
Launen man erkennen musste. Sie suchten nicht nach „physikalischen“
Erklärungen, d.h. nach grundlegenden Naturgesetzen.
Der erste Schritt zu einer physikalischen Denkweise vollzog sich im 6.
Jahrhundert v.Chr. bei den griechischen Naturforschern. Naturbeobachtung und
Sammeln von Erfahrungen allein genügten ihnen aber nicht. Die tieferen
Zusammenhänge wollten sie verstehen. Dabei hatten sie die kühne Idee, dass
nicht dunkle und unergründliche Mächte, sondern unveränderliche Naturgesetze
die Natur regieren, und dass es dem Menschen möglich wäre, diese durch den
Gebrauch seines Verstandes herauszufinden[91] …
2.2.2.2 Zu Erkenntnismöglichkeiten der
Naturwissenschaft
und zu Wissenschaftstheorie
Darstellung in Lehrbüchern
für das Unterrichtsfach
PHYSIK für die Sekundarstufe
2
Ein erstes Lehrbuch stellt
den Anspruch der klassischen Mechanik, die Entwicklung der Welt sei genau
berechenbar und könne zielgenau gesteuert werden, am Beispiel der Erkenntnisse
der Chaosforschung als Illusion dar:
Quelle: (P11 CORNELSEN; Physik Oberstufe, Ausgabe
E, Cornelsen, Berlin, 2001, S.124ff.)
Die klassische Mechanik ist berechenbar
…
Die Hypothese, dass man das zukünftige Verhalten physikalischer Systeme
in alle Ewigkeit vorausberechnen kann, führte den französischen
Philosophen Pierre Simon Laplace 1814 zur Vision eines Wesens (Dämons), das die
Entwicklung der Welt berechnen kann. Diese deterministische Überzeugung liegt
bis heute dem Glauben an die grenzenlosen Möglichkeiten der Wissenschaft und
Technik zugrunde. Das Bemühen, durch immer genauere Kenntnis von
Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Windverhältnissen und durch immer größere
Computer zu einer zuverlässigen Wettervorhersage zu gelangen, ist ebenso
Ausdruck dieser Überzeugung wie die Versuche, umweltbedingte Einflüsse auf
unser Ökosystem im Voraus genau zu berechnen.[92]
Chaotische Pendel – unberechenbare Schwingungen
Das Magnetpendel zeigt ein Verhalten, das nur in gewissen
Bereichen vorhersehbar ist …
Es wird praktisch unmöglich, mehrmals die gleiche Bahn zu erzeugen …
Winzige Einflüsse wie etwa die Gravitationskraft, die der Körper des
Beobachters auf die Pendelmasse ausübt, reichen vielleicht schon aus,
um das Pendel zu einem anderen Magneten zu lenken …
Diesen Sachverhalt bezeichnet man in der Physik als Sensitivität gegenüber den Anfangsbedingungen.
Nur wenn man die Anfangsbedingungen sensitiver Systeme mit absoluter
Genauigkeit kennen würde, wäre ihr Verhalten theoretisch genau vorhersagbar. Eine
absolute Genauigkeit kann es aber nicht geben. Denn selbst die Unschärfe
eines Atomdurchmessers würde nicht ausreichen, weil sich die ursprüngliche
Unschärfe im Lauf der Zeit verstärkt.
Die Sensitivität
des Systems macht es unmöglich, die Bahn des Magnetpendels im Realfall zu berechnen
… Abgesehen vom Messproblem und den unüberschaubaren äußeren Einflüssen kann
auch der leistungsfähigste Computer nicht mit unendlich langen Dezimalbrüchen
rechnen. Je nach Art der Rundung ergeben sich unterschiedliche Resultate. Paradoxerweise
enthüllt also gerade die Computeranalyse, dass der Berechenbarkeit der Welt
prinzipielle Grenzen gesetzt sind. …
Sensitivität gegenüber den Anfangsbedingungen ist bei vielen natürlichen,
technischen und kulturellen Prozessen eher die Regel als die Ausnahme …
Auch komplexe ökologische Systeme durchlaufen labile Gleichgewichtslagen und
können auf winzige Störungen völlig unvorhersehbar reagieren …[93]
Das nächste Buch schließt
hier an und teilt einige grundlegende Einsichten der modernen Wissenschaftstheorie
zum Erfahrungs- und Geltungsbereich physikalischer Forschung mit:
(Quelle: P12 DUDEN /
PAETEC; Physik Gymnasiale Oberstufe, Berlin, 2005)
S.13f.
Der mechanische Determinismus geht von einer starken Kausalität aus und vertritt die Auffassung, dass gleiche
oder ähnliche Ursachen auch gleiche oder ähnliche Wirkungen haben. Beim
deterministischen Chaos dagegen wird von einer schwachen Kausalität ausgegangen, bei der ähnliche Ursachen zu unterschiedlichen
Wirkungen führen können. …
Ab 1900 entwickelte sich neben der klassischen Physik die moderne Physik, zu
der solche Teilgebiete wie die Atom- und Kernphysik, die Quantenphysik, die
Relativitätstheorie und die nichtlineare Physik gehören.
Die Entwicklung der Wissenschaft Physik ist bis heute nicht abgeschlossen
und wird es auch in Zukunft nicht sein.
Neuere Erkenntnisse führen immer wieder zu einer Präzisierung, Umdeutung und
Einschränkung der Anwendbarkeit bisheriger Gesetze und Theorien. Ältere
Erkenntnisse werden verworfen, präzisiert oder in neue Theorien eingebaut und
so besser verstanden. Häufig erscheinen sie auch als Grenzfälle von
umfassenderen Theorien.
Die Physik ist eine Naturwissenschaft. Sie beschäftigt sich mit den
grundlegenden Erscheinungen und Gesetzen unserer natürlichen Umwelt und
ermöglicht die Erklärung und Voraussage vieler Erscheinungen in der Natur und
der Technik.
S.19f.
1.2.2 Gesetze, Modelle und Theorien in
der Physik
… Wenn sich Zusammenhänge in der Natur unter bestimmten Bedingungen immer
wieder einstellen und damit für eine ganze Gruppe oder Klasse von Objekten
gelten, dann spricht man von gesetzmäßigen Zusammenhängen,
Gesetzmäßigkeiten oder Gesetzen. …
Die Bedingungen, unter denen ein Zusammenhang stets gilt, nennt man auch Gültigkeitsbedingungen.
…
Um Gesetze zu erkennen, werden in der Physik Erscheinungen unter idealisierten
Bedingungen betrachtet. Nur unter solchen idealisierten Bedingungen lassen
sich die Gesetze einfach und überschaubar formulieren. Für die Beschreibung
solcher Idealisierungen nutzt man in der Regel Modelle.
Ein Modell ist ein ideelles (gedankliches) oder materielles
(gegenständliches) Objekt, das als Ersatzobjekt für ein Original genutzt wird.
Es ist eine Vereinfachung des Originals und damit der Wirklichkeit. In
einigen Eigenschaften stimmt das Modell mit dem Original überein, in anderen
nicht.
Deshalb kann man mit einem Modell eine Reihe von Erscheinungen erklären und
voraussagen, andere wiederum nicht … Ein Modell ist nur innerhalb bestimmter
Grenzen gültig und sinnvoll anwendbar. …
Eine Theorie ist ein System von Gesetzen, Modellen und anderen Aussagen über
einen mehr oder weniger großen Teilbereich einer Wissenschaft. …
S.23
1.2.3 Erkenntniswege in der Physik
Das Erkennen physikalischer Gesetze
Das Erkennen und Anwenden von Gesetzen in den Naturwissenschaften ist ein
äußerst komplexer und in der Regel langwieriger Prozess … Diese Prozesse waren
oft von Irrtümern und Irrwegen begleitet. In der Regel werden diese
Prozesse von Hypothesen bestimmt. Eine Hypothese ist eine wissenschaftlich
begründete Annahme oder Vermutung über einen Sachverhalt, deren Wahrheitswert
unbekannt ist. Im Verlaufe des weiteren Erkenntnisprozesses wird eine
Hypothese durch Experimente, neue Erkenntnisse oder die Praxis bestätigt oder
verworfen. …
(Quelle: P12 DUDEN /
PAETEC; Physik Gymnasiale Oberstufe, Berlin, 2005)
Das nächste zitierte
Lehrbuch gibt zunächst eine Definition der Physik als Naturwissenschaft,
beschäftigt sich später mit der Arbeitsweise der Mechanik und der klassischen
Physik (Kausalität, Determinismus) und geht schließlich am Schluss des Buches
kompakt auf grundsätzliche Fragen zur Stellung der Physik in der Sicht der Wissenschaftstheorie
ein.
Wegen der hier vorliegenden
Geschlossenheit der Darstellung wird das relevante Kapitel in wesentlichen
Passagen komplett abgedruckt:
(Quelle: P13 METZLER;
Grehn, J. / Krause, J. (Hrsg.): Physik, Schroedel Verlag, Hannover, 1998)
S.11
… soll hier am Ende dieser kurzen Betrachtung über die Physik eine Definition
gewagt werden:
Die Physik erforscht mit experimentellen und theoretischen Methoden
die messend erfassbaren und mathematisch beschreibbaren Erscheinungen und
Vorgänge in der Natur[94], insbesondere
die Zustände und Zustandsänderungen der (unbelebten) Materie sowie die
Bewegungen und die Wechselwirkungen ihrer Bausteine, ohne dabei auf stoffliche
Veränderungen dieser Materie einzugehen.
S.104
Geschichte der Mechanik und die klassische
Physik; Kausalität und Determinismus
… GALILEI (1564-1642) ist der Begründer der modernen
Naturwissenschaft.
Die naturwissenschaftliche Methode,
die er begründete, lässt sich folgendermaßen formulieren:
1. Der Naturvorgang, der - so GALILEI - nur beschrieben (und nicht mehr
im Sinne der Antike
erklärt) werden kann, wird aus
seinem natürlichen Zusammenhang gelöst und von allen
störenden Umständen getrennt
betrachtet.
2. Es werden Vermutungen, Hypothesen,
über den Vorgang aufgestellt und mathematisch formu-
liert, wobei das Prinzip
möglichst großer Einfachheit gilt. [95]
3. Die Hypothesen werden im Experiment überprüft, und zwar so, dass
diese Überprüfung von
jedermann wiederholt und
nachvollzogen werden kann. …
NEWTON (1643-1727) griff GALILEIS Ideen auf und erhob die Mechanik in den Rang
einer exakten Wissenschaft. In seinem Hauptwerk „Philosophiae naturalis
principia mathematica" („Mathematische Prinzipien der Naturlehre")
entwickelte er aus den Newton'schen Axiomen (à 1.2.4 und 1.2.6) die Gesetze der Mechanik. Die Newton'sche
Physik gründete auf der Annahme eines absoluten Raumes, auf den sich alle
Vorgänge beziehen ließen, und einer absoluten Zeit, die für alle Vorgänge
gleich dahinfließt. Diese Vorstellungen blieben - ungeprüft - bestimmend bis in
unser Jahrhundert hinein, bis EINSTEIN (1879-1955) die Relativität von Raum und
Zeit erkannte (à
Kap.9). …
In der Newton'schen Mechanik werden alle physikalischer Erscheinungen auf die
Bewegung von materiellen Teilchen zurückgeführt, die durch ihre gegenseitige
Anziehung aufgrund der Gravitationskraft verursacht wird. Beschrieben werden
die Bewegungen durch die Newton'schen Bewegungsgleichungen, die aus dem
Grundgesetz der Mechanik entwickelt sind, und die die Grundlage der klassischen
Mechanik bilden.
Im achtzehnten und zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts wurde die Newton´sche
Mechanik durch die Weiterentwicklung der Differential- und Integralrechnung,
die NEWTON begründet hatte, vervollständigt und zu einem geschlossenen
Gedankengebäude ausgebaut. Die Newton'sche Mechanik war in der Lage, die
Bewegung der Planeten, des Mondes, der Kometen, den Wechsel der Gezeiten und
viele mit der Gravitationskraft zusammenhängende Phänomene zu erklären. Sie
erklärte ebenso die Bewegung der Flüssigkeiten und die Schwingungen elastischer
Körper. Schließlich konnten sogar Teile der Wärmelehre auf die Mechanik
zurückgeführt werden: Innere Energie wurde als Bewegung der Moleküle verstanden.
Erscheinungen wie das Verdampfen einer Flüssigkeit oder die Temperatur bzw. der
Druck eines Gases lassen sich in der kinetischen Gastheorie mit rein
mechanischen Gesetzen beschreiben (à Kap. 4). …
Die Newton'sche Mechanik mit ihren großen Erfolgen in der Erklärung von
Naturvorgängen wurde zum Vorbild jeder wissenschaftlichen Theorie. Bis weit ins
neunzehnte Jahrhundert hinein glaubte man einen Vorgang erst dann verstanden zu
haben, wenn man ihn mit den Gesetzen der Mechanik erklären konnte. So hat
z.B. MAXWELL (1831-1879), der die Elektrodynamik theoretisch begründete (à Kap. 6), noch vergeblich versucht, seine auch heute
noch gültige Theorie auf ein mechanisch erklärbares Modell zurückzuführen.
Die Entwicklung der Elektrizitätslehre und der Optik am Ende des neunzehnten
Jahrhunderts führte so zwar schon über die eigentliche Mechanik hinaus, aber
auch diese beiden Gebiete waren von den gleichen Grundprinzipien geprägt wie
die Newton'sche Mechanik. So stellte sich an der Schwelle zum zwanzigsten
Jahrhundert die Physik, aufbauend auf den Ideen NEWTONS, mit den Teilgebieten
Mechanik, Wärmelehre, Elektrizitätslehre und Optik als ein geschlossenes
wissenschaftliches Gebäude dar, das als klassische
Physik bezeichnet wird und das auch heute noch den Grundstock jeder
Beschäftigung mit der Physik (wie auch hier in diesem Buch mit den Kapiteln
1 bis 7) bildet[96]. Relativitätstheorie und Quantentheorie sind die
beiden Gebiete, mit denen die moderne Physik (in diesem Buch behandelt in Kap.
9 bis 15) über die klassische Physik hinausgeht.
Das Weltbild der klassischen Physik
Das Weltbild der klassischen Physik, das
in der Beherrschung des Denkens weit über die Fachwissenschaft Physik
hinausreichte, beruht auf dreierlei: auf dem Prinzip der Kausalität, auf
dem mit ihm verbundenen Prinzip des Determinismus und auf dem Prinzip
der Objektivierbarkeit.
Die klassische Physik sagt: Alles Geschehen läuft nach dem Kausalitätsprinzip
ab, d.h. unter gleichen Umständen führen die Naturgesetze zu gleichen
Ergebnissen. Genauer formuliert man das so:
Kausalitätsprinzip: Das Ergebnis
bzw. der Zustand A, als Ursache bezeichnet, bringt unter bestimmten Bedingungen
ein bestimmtes Ergebnis bzw. einen bestimmten Zustand B, als Wirkung
bezeichnet, mit Notwendigkeit hervor, wobei die Ursache A der Wirkung B
zeitlich vorausgeht und die Wirkung B niemals eintritt, ohne dass die Ursache A
vorher bestanden hat. Das (physikalische) Ereignis bzw. der (physikalische)
Zustand B folge nach dem Kausalitätsprinzip auf das (physikalische) Ereignis
bzw. den (physikalischen) Zustand A, heißt also mit anderen Worten, dass man
mithilfe der Naturgesetze aus der vollständigen Beschreibung des Ereignisses
bzw. des Zustandes A das Ereignis bzw. den Zustand B logisch ableiten oder
umgekehrt aus dem Vorliegen vom Ereignis bzw. Zustand B das Ereignis bzw. den
Zustand A als zeitlich vorausgegangen betrachten darf.
Dieses Denken in Kausalzusammenhängen, das der klassischen Physik
zugrunde liegt, entspricht weitgehend der täglichen Erfahrung: keine
Wirkung ohne Ursache.
Das Weltbild der klassischen Physik war ein mechanistisches Weltbild, in dem
nichts ohne Ursache geschah und in dem infolgedessen jedes Geschehen
unabänderlich ablief. Das Kausalitätsprinzip der klassischen Physik ist daher
mit dem Prinzip des Determinismus eng verknüpft.
Prinzip des Determinismus:
Alles Geschehen in der Welt ist durch (kausale) Gesetzmäßigkeiten in seinem
Verlauf unabänderlich bestimmt.
Der Determinismus behauptet also, dass man aus einer vollständigen
Beschreibung des gesamten Zustandes der Welt zu einem bestimmten Zeitpunkt
allein mithilfe der Naturgesetze jedes Ereignis oder jeden Zustand der Welt in
der Vergangenheit oder in der Zukunft logisch herleiten kann. Der
französische Mathematiker LAPLACE (1749-1827) hat dem Determinismus mit dem
Bild vom Laplace'schen Dämon den klassischen Ausdruck gegeben: „Wenn der
Zustand der Welt bei ihrer Erschaffung einem unendlich begabten und unendlich
fleißigen Mathematiker bis in alle Einzelheiten dargelegt worden wäre, so
müsste ein solches Wesen imstande sein, daraus die ganze folgende
Weitgeschichte abzuleiten. Für ihn würde es keine Unsicherheit geben und
Zukunft sowohl wie Vergangenheit wären seinen Augen allgegenwärtig." [97]
Die klassische Physik geht schließlich aus von dem Prinzip der
Objektivierbarkeit.
Prinzip der Objektivierbarkeit:
Der beobachtete Naturvorgang läuft unabhängig und unbeeinflusst vom Beobachter
ab. Das Naturgeschehen ist objektivierbar, es lässt sich unabhängig vom
Beobachter objektiv beschreiben.
Diese drei Prinzipien der klassischen Physik hat die moderne Physik infrage
gestellt oder - wie das Prinzip des Determinismus - zu Fall gebracht. Nach
herrschender Meinung lässt sich aus der Quantentheorie folgern, dass man auch
bei genauer Kenntnis des Zustandes A den Zustand B nicht in jedem Falle voraussagen
kann.
Zum einen gilt nach dieser Meinung nicht das Prinzip der Objektivierbarkeit:
Bei mikrophysikalischen Prozessen beeinflusst der Beobachter den
beobachteten Vorgang.
Zum anderen sind viele Gesetze der Physik rein stochastischer Natur. Ein
Beispiel: Zwar lässt sich stets angeben, wie viele Atome einer radioaktiven
Substanz im nächsten Zeitabschnitt zerfallen; es lässt sich aber nicht
voraussagen, ob dies für ein bestimmtes Atom zutrifft oder nicht.
Damit wird auch der Determinismus verworfen. Denn wenn das
Kausalitätsprinzip nicht mehr gilt, kann auch ein Zustand aus dem anderen nicht
mehr berechnet werden.
S.398
Interpretationsprobleme der
Quantenphysik
… Jeder Messprozess im Bereich der
Quantenphysik stellt einen Eingriff dar, der das weitere Verhalten des
Messobjekts entscheidend beeinflusst, sodass einem Quantenobjekt stets nur
die Eigenschaft zugeordnet werden kann, die gerade gemessen wurde, und man
nicht davon ausgehen kann, dass andere, nicht gemessene Eigenschaften
vorhanden sind.
3. Eine strenge Determiniertheit wie in der klassischen Physik ist
dementsprechend in der Quantenphysik nicht vorhanden. Jedoch gestattet die
Ψ-Funktion eine Wahrscheinlichkeitsaussage über das Eintreten eines
Ereignisses, z.B. über den Nachweis eines Quantenobjektes in einem Raumelement,
zu machen, sodass in diesem Sinne ein Determinismus vorhanden ist.
S.564
15.3 Die Entwicklung des Universums
… Hier die wesentlichen Aussagen des Standardmodells:
Am Anfang waren die grundlegenden Wechselwirkungen - die starke, die
elektromagnetische, die schwache und die Gravitationswechselwirkung -
vereinigt; da es hierfür noch keine Theorie gibt, kann man diesen
Zustand nicht beschreiben.
S.566ff.
16 Physik und Wissenschaftstheorie
Wie zuverlässig ist wissenschaftliche Erkenntnis? Wie steht es um die
Begründung von Naturgesetzen? Was ist physikalische Wirklichkeit? Welche
Konzepte hat die Philosophie über die physikalische Erkenntnismöglichkeit
entwickelt?
Am Schluss dieses Buches sollen in aller Kürze und daher natürlich nur
sehr unvollständig einige dieser Fragen angesprochen werden. Die folgenden
Betrachtungen werden die in den vorhergehenden Kapiteln dargestellten
Sachverhalte unter philosophischen Gesichtspunkten problematisieren.
Die dafür zuständige Disziplin ist die Wissenschaftstheorie, ein
Teilgebiet der Philosophie, die ihre Prägung von Philosophen wie von
Naturwissenschaftlern erfahren hat.
Behandelt werden sollen zwei Komplexe: zum einen die Entwicklung einer
physikalischen Theorie und zum anderen einige Hauptströmungen der
Wissenschaftstheorie, soweit sie sich mit der Physik zugewandten
Fragestellungen beschäftigen.
16.1 Theorie; Hypothese; Gesetz; Modell
Die Physik ist eine theoriegeleitete experimentelle Wissenschaft.
Experimente werden erst durch Theorien möglich. Experimente können aber auch
über Theorien entscheiden. Im Experiment stellt der Physiker eine gezielte
Frage an die „Natur" oder an die „Wirklichkeit", was
immer auch darunter zu verstehen ist. Ein Experiment ist nicht nur bloße
Beobachtung allein, wie sie etwa der Biologe vielfach zum Ausgangspunkt seiner
Wissenschaft nimmt. Experimente „vereinfachen" die vorhandene
„Natur" in bestimmter Weise und zielen bewusst nur auf einen Ausschnitt
der „Wirklichkeit" ab. Insofern haftet ihnen etwas Theoretisches an.
+ Das Experiment ist eine im Rahmen
einer Theorie geplante Beobachtung, die unter
kontrollierten und reproduzierbaren
Bedingungen durchgeführt wird.
Das entscheidende Kriterium für ein Experiment und das mit ihm neu
gefundene Phänomen ist deren Reproduzierbarkeit. Das Experiment
muss so beschrieben sein, dass es auch an anderer Stelle wiederholt,
reproduziert, werdet kann. Seine Durchführung muss kontrollierbar sein.
Die Ergebnisse eines Experiments werden in so genannten Protokoll- oder
Basissätzen festgehalten. Ein Basissatz drückt entweder ein erhaltenes
oder ein zu erwartendes Messergebnis in der Sprache der Physik aus, wie wir es
in vielen Beispielen in diesem Buch kennen gelernt haben. Dabei gehen bei einem
Versuch z. B. nicht etwa die Zeigerausschläge in die Beschreibung des
Ergebnisses ein, sondern es werden Messgrößen - z. B. Stromstärke und Zeit -
registriert. Insofern drücken die Basissätze keineswegs bloße Wahrnehmungen
aus, sondern haben Theoriegehalt.
Ohne physikalische Begriffsbildung kann weder ein Versuch geplant (Was will
man messen?) noch können seine Ergebnisse (Was wurde gemessen?) festgehalten
werden.
Ebenso liegen der Verwendung der Geräte, mit denen das Experiment durchgeführt
wird, schon theoretische Betrachtungen zugrunde - etwa über das Funktionieren
eines Strommessgerätes oder eines Mikroskops. Beide Instrumente sind aufgrund
einer schon vorhandenen Theorie (Elektrizitätslehre bzw. Optik)
konstruiert und verstehbar.
+ Experimente und ihre in Basissätzen
formulierten Ergebnisse sind nicht voraussetzungslos zu
gewinnen, sondern setzen
bereits physikalische Theorienbildung voraus.
Die Formulierung eines Gesetzes, z.B. des Fallgesetzes, aus den Basissätzen
(Wertetabellen) geht natürlich nicht ohne Festsetzungen und Entscheidungen vor
sich.
Wenn man z. B. beim freien Fall die Messwerte, die im Experiment gewonnen sind,
mit der Funktion
s = g/2 x t2 zusammenfasst, trifft man eine solche Entscheidung, bei
der so genannte Prinzipien, Leitlinien, ohne Begründung angewendet werden,
wie z.B. hier das Prinzip der Einfachheit. Denn keiner Wertetabelle mit der
unvermeidlichen Streuung ihrer Werte ist direkt zu entnehmen, dass die genannte
quadratische Funktion den Messwerten zugrunde liegt. Ohne solche Leitlinien,
ohne solche Entscheidungen und Festsetzungen lassen sich keine Gesetze als
Ergebnisse von Messungen formulieren. Dennoch haben wir die Intuition, dass die
mathematische Formulierung des Fallgesetzes mit s = g/2 x t2 die
physikalische „Wirklichkeit“ wiedergibt.
+ Die Gesetze der Physik sind keine
vordergründigen Beschreibungen von Vorgängen.
Aus Basissätzen gewonnen sind sie
durch allgemeine Festsetzungen und Entscheidungen
mitbestimmt, die nicht aus
dem Experiment entnommen werden können.
Im Vorgehen der heutigen Wissenschaft wird noch ein Weiteres offenbar, das mit
der Vorstellung von einem objektiven, d. h. vom Menschen unabhängigen
Erkenntnisprozess schwer zu vereinbaren ist. Das zeigt besonders der
Experimentierbetrieb in den Großforschungslaboratorien mit seinen immer neuen
Entdeckungen über Elementarteilchen:
Die Übernahme einer Entdeckung als gültiges Gesetz setzt voraus, dass
die Gruppe der damit in aller Welt beschäftigter Physiker das
veröffentlichte Ergebnis als neues Phänomen anerkennt, akzeptiert. Erst die
allgemeine Akzeptanz macht den wissenschaftlichen Fortschritt aus. In der
heutigen Forschung gibt es manche Beispiele, wie (richtige) Entdeckungen
zumindestens bis zu einer späteren Neuentdeckung in diesem Sinne für die
Wissenschaft nicht existent und vergessen waren, bis es doch noch gelang, eine
Generation von Forschern von ihrer Richtigkeit zu überzeugen.
+ Die Aufnahme von neuen Phänomenen als
gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis setzt neben
ihrer Reproduzierbarkeit auch die Akzeptanz durch die
Forschergemeinschaft voraus.
Wie gewiss ist nun ein physikalisches Gesetz? Sofort einsehbar ist, dass
keine noch so große Zahl von Experimenten ein Gesetz „beweisen“ kann. Dies
ist das berühmte Induktionsproblem (à 16.2): Gesetze
werden als Allsätze formuliert, sie sollen immer und überall gelten. Gewonnen
werden sie aber nur aus einer endlichen Anzahl von Experimenten. Nach den Gesetzen
der Logik ist der Schluss von endlich vielen Fällen auf die allgemeine
Gesetzmäßigkeit nicht möglich. Allgemein gilt heute die Auffassung:
+ Naturgesetze bleiben hypothetisch. Man
muss jederzeit mit einer Revision des Wissens
rechnen.
Dabei kann nach dieser heute allgemein vorherrschenden Auffassung ein
Naturgesetz nicht bewiesen, sondern nur falsifiziert werden. Nach POPPER (à 16.2) ist Falsifikation die einzig
logisch anzuerkennende Möglichkeit, nach der ein gefundenes Gesetz so lange
gültig bleibt, wie kein Gegenbeispiel gefunden ist.
Dennoch setzt man allgemein auf seine Gültigkeit: Die Allgemeinheit oder
Universalität physikalischer Erfahrung wird über die Einzelerfahrung hinaus
dadurch gewonnen, dass die Vorschriften zur Gewinnung dieser Erfahrung immer
wieder von neuem befolgt werden können - und nur darin liegt ihre verlässliche
Gesetzmäßigkeit.
+ Gesetze und Theorien, die in vielfältigen
Experimenten bestätigt wurden, gelten so lange als
richtig, wie sie nicht falsifiziert
sind.
Experimente und die daraus gewonnenen Gesetze sind Grundlage für die
Neuentwicklung einer physikalischen Theorie.
+ Eine Theorie ist eine systematisch
geordnete, strukturierte, in sich widerspruchsfreie
Zusammenfassung von zumeist gesetzesartigen
Aussagen über einen bestimmten
Gegenstandsbereich. Das Ideal einer
Theorie ist ein System von axiomatisch formulierten
Aussagen, aus denen sich die
Gesetzmäßigkeiten über den betreffenden Gegenstandsbereich
deduktiv herleiten lassen.
Beispiele für Theorien sind die Newton'sche Mechanik, zusammengefasst in den
Newton'schen Axiomen, oder die Thermodynamik, deren theoretischer Kern die
beiden Hauptsätze der Wärmelehre sind, oder die Maxwell´sche Elektrodynamik,
das Paradebeispiel einer axiomatisch beschriebenen Theorie; denn aus den
Maxwell´schen Gleichungen lassen sich die wesentlichen Gesetze der
Elektrodynamik herleiten, wie sie z.B. in den Kapiteln 5, 6 und 7 dieses Buches
aufgeführt sind.
Die Theorienbildung ist im ersten Stadium hypothetisch. Eine Theorie
wird als Hypothese, als Vermutung eingeführt. Man kann sie prüfen
und untersuchen, ob aus ihr dann einerseits schon bekannte „wahre"
Sachverhalte, Tatsachen erklärbar, nämlich als Folgerung dieser Hypothese
ableitbar sind. Die Theorie wird umgekehrt aber auch als Hypothese überprüft,
indem untersucht wird, wie unabhängig von der Theorie gewonnene Ergebnisse
über den gleichen Erfahrungsbereich mit ihren Sätzen vereinbar sind. Darin
wird die wechselseitige Beziehung zwischen Theorie und Experiment (oder
Basissätzen) deutlich.
+ Physikalische Erkenntnis entsteht aus dem Wechselspiel
zwischen Theorie und Experiment.
In der Physik werden Theorien aus Denkvorstellungen, so genannten Modellen
entwickelt, deren Eigenschaften einer genauen mathematischen Analyse
zugänglich sind. Die oben angeführten Beispiele sind solche Modelle.
Wir haben viele andere Modellbildungen kennen gelernt:
Je nach dem Sachverhalt, der untersucht werden soll, zieht man ein mehr oder
weniger umfangreiches Modell heran. So beschreibt man den freien Fall am
einfachsten mit dem Modell des Massenpunktes; sobald der Luftwiderstand
berücksichtigt werden soll, zieht man statt des Massenpunktes das Modell des
starren Körpers heran; das Auftreffen auf eine elastische Fläche würde man mit
dem Modell des deformierbaren Körpers untersuchen.
Das Modell des Wasserstoffatoms ist ein anderes Beispiel, bei dem nicht nur der
Gesichtspunkt der Vereinfachung, sondern auch der der Anschaulichkeit von
Sachverhalten eine Rolle spielt. Das Bohr'sche Atommodell ist zwar durch die
Quantenmechanik überholt; dennoch gestattet es, bestimmte Sachverhalte wie z.
B. die Spektrallinien des Wasserstoffatoms richtig herzuleiten.
Modelle stellt man aus Gründen der Vereinfachung auf (bei Interferenz und
Beugung lässt man im Wellenmodell die Polarisation weg) oder zur didaktischen
Veranschaulichung Bohr'sches Atommodell als ein auf klassischen Vorstellungen
beruhendes Bild für anschaulich nicht zugängliche Phänomene) oder als Analogiebetrachtung
(Strom von Ladungen - Wasserströme).
Der Physiker Heinrich HERTZ hat den Modellbegriff in der Sprache seiner Zeit
(Ende des 19. Jahrhunderts) formuliert:
„Wir machen uns innere Scheinbilder oder Symbole der äußeren Gegenstände,
und zwar machen wir sie von solcher Art, dass die denknotwendigen Folgen der
Bilder stets wieder Bilder seien von den Folgen der abgebildeten
Gegenstände."
+ Modelle sind Vorstellungshilfen, sie
sind Wirklichkeitskonstruktionen, die eine Theorie exakt
erfüllen. Diese Wirklichkeitskonstruktionen
sind aber nicht die Wirklichkeit selbst.
Wir fassen zusammen:
1. Naturwissenschaftliche Erkenntnis beruht auf dem Wechselspiel von Theorie
und Experiment.
2. Naturgesetze können nicht im Sinne der Mathematik bewiesen werden.
3. Die Modelle der Wissenschaft sind in keiner Weise als Abbildungen der
Realität aufzufassen. Ein Modell dient zur Beschränkung der
Untersuchung auf jeweils als wesentlich betrachtete Phänomene.
4. Bei der Formulierung neuer Naturgesetze aufgrund neuer experimenteller
Ergebnisse und neuer theoretischer Einsichten spielt die Konsensbildung
innerhalb der Physikergemeinschaft eine wesentliche Rolle.
Die in Lehrbüchern - wie auch in diesem Buch - übliche Beschreibung der Physik
kann das Ausmaß der Verknüpfung der miteinander in Wechselwirkung stehenden
Modelle, Ideen, Theorien, Experimente, mathematischen Verfahren, Instrumente,
Materialien usw., die den Erkenntnisumfang dieser Wissenschaft ausmachen, nur
unzulänglich und bruchstückhaft wiedergeben. Unser Vertrauen in bestimmte
Gesetzmäßigkeiten beruht auf einer Vielzahl miteinander verknüpfter Fakten
und Vorstellungen, die hinter jeder Aussage stehen.
16.2 Philosophische Strömungen der
Erkenntnisgewinnung
Nach einer weit verbreiteten, naiven Meinung liefern unsere
Sinnesempfindungen ein zutreffendes Bild der „Außenwelt"; Erkenntnis ist
demnach die Abbildung einer irgendwie gegebenen „Realität".
Der wissenschaftliche Realismus, zu dem sich wohl spontan viele Wissenschaftler
bekennen dürften, besagt, dass die von richtigen Theorien beschriebenen
Gegenstände, Zustände, Vorgänge wirklich existieren. Protonen, Photonen,
Kraftfelder, schwarze Löcher sind ebenso real wie Lebewesen, Maschinen,
Vulkane. Die Tatsache, dass die Messung der Lichtgeschwindigkeit aus voneinander
unabhängigen Beobachtungen und Versuchen zum gleichen Ergebnis führt oder dass
mehrere Versuche aus verschiedenen Gebieten zu demselben Wert der
Avogadro'schen Zahl kommen, stützen diese vordergründige Ansicht.
Bei näherer Nachfrage jedoch wird sich heute wohl die Mehrheit der Forschenden
zu der folgenden – vereinfacht formulierten - Analyse als wesentlichem Element
der naturwissenschaftlichen Forschung verstehen: „Die Physik gelangt zu
einer Beschreibung der Wirklichkeit, indem sie darauf verzichtet, das Wesen
der Wirklichkeit zu erforschen.“[98] Die
Quantenmechanik bietet dafür hinreichende Anhaltspunkte. Jedoch darf nicht
übersehen werden, dass es namhafte Forscherpersönlichkeiten gibt und gab wie
EINSTEIN, der sich bis an sein Lebensende nicht mit einer antirealistischen
Ansicht über die Welt anfreunden konnte.
Die Wissenschaftstheorie als Teilgebiet der Philosophie beschäftigt sich in der
Auseinandersetzung über diese Fragen mit den Erkenntnisprinzipien und Methoden
vornehmlich der exakten Wissenschaften. Logischer Positivismus, Kritischer
Rationalismus und einige Weiterentwicklungen umreißen Hauptströmungen in der
Wissenschaftstheorie des 20. Jahrhunderts.
Mit Logischem Positivismus wird eine sich in der ersten Hälfte
des 20. Jahrhunderts entwickelnde Richtung naturwissenschaftlich orientierter
Wissenschaftstheorie bezeichnet, als dessen Hauptvertreter der
deutsch-amerikanische Philosoph Rudolf CARNAP (1891-1970) gilt. Sie baut auf
einer Weiterentwicklung des Empirismus auf, jener alten philosophischen
Grundüberzeugung, die die generelle und ausschließliche Abhängigkeit allen
Wissens von der Erfahrung und von nichts anderem als von dieser behauptet.
Das Wort logisch drückt aus, dass neben der Beschränkung auf die Erfahrung,
der Empirie, nur die Schlüsse gelten sollen, die sich bei Anwendung der Logik
auf die Sätze der empirischen Wissenschaft ergeben.
Nichts außer dem Beobachtbaren könne als etwas Reales erkannt werden. Es gibt
weder Elektronen noch sonst irgendwelche theoretischen Entitäten
(Seinsgegenstände). Die Positivisten neigen zum Nichtrealismus, und zwar nicht
nur deshalb, weil sie die Realität auf das Beobachtbare beschränken, sondern
auch deshalb, weil sie metaphysische Überlegungen wie die Annahme einer
Kausalität oder die Richtigkeit von Erklärungen für überflüssig und falsch
halten.
Die Positivisten, deren Tradition auf David HUMES „A Treatise of Human
Nature" (1793) zurückreicht, vertreten die metaphysikfeindliche These:
Nicht prüfbare Sätze, nicht wahrnehmbare Entitäten, Kausalität, tiefe
Erklärungen - dies alles gehört zur Metaphysik, d.h. zur philosophischen Lehre
von dem hinter der sinnlich-erfahrbaren, natürlichen Welt Liegenden. Und das
alles, so meinen die Positivisten, muss man hinter sich lassen.
Die positivistischen Grundüberzeugungen sind:
1. Pro Beobachtung: Die beste Grundlage für alle unsere nicht mathematischen
Kenntnisse liefert
das, was wir sehen, fühlen, berühren
usw. können.
2. Pro Verifikation: Sinnvoll sind diejenigen Sätze, deren Wahrheit oder
Falschheit mithilfe eines
bestimmten logischen Verfahrens aus
der Wahrheit oder Falschheit von Beobachtungen
abgeleitet wird.
3. Kontra Kausalität: Außer der Beständigkeit, mit welcher Ereignisse der einen
Art auf Ereignisse
der anderen Art folgen, gibt es in
der Natur keine Kausalität.
4. Kontra Erklärungen: Erklärungen geben keine tieferen Antworten über die
„Natur", die wir
sowieso nicht erkennen, sondern
tragen nur dazu bei, die Phänomene gedanklich in eine
gewisse Ordnung zu bringen.
5. Kontra theoretische Entitäten: Es gibt hinter den Beobachtungen keine
Seinsgegenstände wie
Elektronen, Felder usw.
Der Positivist ist davon überzeugt, zu positiver Erkenntnis, d.h. zu
beweisbarem Wissen fähig zu sein. Es gibt etwas Gegebenes, die Tatsachen,
die in den so genannten Protokollsätzen festgehalten werden können. Die
Protokollsätze des Positivisten sind einzelne Aussagen über Sinneseindrücke,
gewonnen aus Beobachtungen in Experimenten. Sie werden als theorieunabhängig
angesehen, weil aus ihnen erst durch logische Verknüpfungen Theorien gefunden
werden sollen.
Der Schwierigkeit, die darin liegt, die Augemeingültigkeit der Naturgesetze nur
an einer begrenzten Anzahl von Experimenten überprüfen zu können - der
induktive Schluss ist kein logischer
Schluss -, begegnet der Logische Positivismus durch eine
Wahrscheinlichkeitsbetrachtung. Dazu hat CARNAP den induktiven Bestätigungsgrad
eingeführt, der als eine analytische Beziehung zwischen der zu bestätigenden
Hypothese und der Zahl der positiven Anwendungsfälle bestimmbar sein sollte.
Das für den Logischen Positivismus charakteristische Verifikationsprinzip
besagt, dass in der Aussage eines Naturgesetzes eine eindeutige Prüfmethode
beschrieben sein muss. Nicht verifizierbare Aussagen sind weder wahr noch
falsch, sondern sinnlos.
Diejenigen Hypothesen also, die prinzipiell keine empirischen Anwendungsfälle
haben können, werden als unwissenschaftlich verworfen, abgesehen von den so
genannten analytischen Aussagen der Logik und Mathematik.
Aus der Auseinandersetzung mit dem Logischen Positivismus, vor allem mit seinem
Induktionsproblem „Wie folgen aus einer beschränkten Anzahl von Beobachtungen
allgemeine Sätze?" entwickelte der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker
Karl Raimund POPPER (1904-1994) eine Gegenposition, die die Philosophie der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachhaltig beeinflusste.
Der Kritische Rationalismus nach POPPER vertrat als
wichtigsten Unterschied zum Logischen Empirismus nach CARNAP die Überzeugung,
ein induktives Vorgehen in den Naturwissenschaften für unbegründbar zu
halten und stattdessen ein deduktives Vorgehen im Rahmen eines „Falsifikationismus"
als adäquate Beschreibung der Naturwissenschaften zu behaupten.
Danach formulierten Naturwissenschaftler allgemeine Hypothesen, die sie einer
Bewährungsprobe durch Widerlegungsversuche unterwarfen. Die Gültigkeit
naturwissenschaftlicher Theorien sei nicht mehr als eine Bewährtheit relativ zu
erfolglos verlaufenen, empirischen Widerlegungsversuchen. Und die Abgrenzung
der naturwissenschaftlichen Aussagen von den metaphysischen und spekulativen
Aussagen liege darin, dass für naturwissenschaftliche Aussagen prinzipiell
Falsifizierbarkeit bestünde, d. h. wissenschaftliche Aussagen (außer
den logisch-mathematischen) sollten an Erfahrungen scheitern können.
Der Erfolg POPPERS ist eindrucksvoll darin zu sehen, dass nicht nur viele
Naturwissenschaftler ihr eigenes Selbstverständnis in seiner
Wissenschaftstheorie angemessen ausgedrückt finden; die Philosophie des
Kritischen Rationalismus hat auch wegweisend gewirkt, das (vermeintliche) Vorbild
der erfolgreichen Naturwissenschaften auf Disziplinen wie Psychologie, Sozial-
und Wirtschaftswissenschaften und andere zu übertragen.
Dem Kritischen Rationalismus zufolge kann die Wahrheit allgemeiner Aussagen
über die Wirklichkeit nur in solchen Sätzen enthalten sein, die sich empirisch
überprüfen lassen.
Einzelne Aussagen über sinnliche Wahrnehmungen können nur die Falschheit allgemeiner
empirischer Aussagen erweisen, sie beweisen nicht deren Wahrheit.
Aus diesen beiden - metaphysisch gefassten – Sätzen des Kritischen
Rationalismus ergibt sich POPPERS Abgrenzungskriterium, das
Falsifizierbarkeitskriterium: Theorien werden nur dann als wissenschaftlich
angesehen, wenn sie die Möglichkeit empirischer Überprüfung zulassen.
Der Kritische Rationalismus akzeptiert die Unmöglichkeit eines direkten Zugangs
zur gegebenen Realität; insofern berücksichtigt er die Kant´sche Kritik, mit
der dieser auf den Anspruch verzichtete, das Wesen der Dinge erkennen zu
können. Dennoch gilt der naturwissenschaftliche Fortschritt nach POPPERS
Überzeugung als ständige und stetige Verbesserung und Erweiterung eines
„Bildes" der Realität.
Die Wissenschaftstheorie der mathematischen Naturwissenschaft hatte sich in den
Traditionen des Logischen Empirismus und des Kritischen Rationalismus zu einer
Spezialdisziplin entwickelt, die - häufig in einer Darstellung mit einem
gewaltigen Formelaufwand - in ihrer letzten Form eine rein strukturalistische
Wissenschaftstheorie geworden war („strukturalistisch'' heißt, dass nur noch
die formalen Strukturen von Theorien gesucht und diskutiert werden).
In dieser Situation war dem Buch „Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen"
des amerikanischen Wissenschaftshistorikers und Wissenschaftstheoretikers
Thomas S. KUHN (1922-1996), in dem die Kuhn'sche Paradigmentheorie
begründet wurde, ein überwältigender Erfolg beschieden: Dem Popper'schen
Gedanken einer kumulativen (anhäufenden) Vermehrung naturwissenschaftlichen
Wissens durch Erhöhung des Falsifizierbarkeitsgrades ihrer Theorien wurde eine
Auffassung vom Paradigmenwechsel gegenübergestellt:
KUHN hatte mit Verweis auf viele wissenschaftshistorische Beispiele aus Astronomie, Physik und Chemie ins
Bewusstsein gehoben, dass Wissenschaft von Menschen unter historischen Bedingungen
betrieben wird. Danach vollzieht sich Wissenschaft insgesamt oder die
eines Teilgebietes nach einem Paradigma, einem Denkmuster, das das wissenschaftliche
Weltbild einer Zeit prägt. Unter der Vorherrschaft einer solchen Grundüberzeugung
entwickelt sich eine bestimmte Wissenschaftsauffassung, die richtig oder
falsch sein kann, vor der aber ihr entgegenstehende Ansätze keine Aussicht
auf Anerkennung finden, bis die Generation von Forschern mit dieser
Überzeugung ausstirbt und eine gänzlich andere wissenschaftliche Auffassung
sich durchsetzt. Die Geschichte der Wissenschaft ist damit eine Folge von Paradigmenwechseln.
Ein berühmter Paradigmenwechsel ist die Ablösung des ptolemäischen Systeme
durch die kopernikanische Astronomie. Im ptolemäischen System,
jahrhundertelang erfolgreich in der Voraussage der Positionen von Fixsternen
und Planeten, suchte man die immer stärker auftretenden Unstimmigkeiten
zwischen Theorie und Beobachtung durch immer weiter gehende Verfeinerungen zu
beheben, bis die kopernikanische Revolution zu einer neuen, einfacheren
Theorie führte, in der sich bisher offene Fragen beantworten ließen.
KUHNS großes Verdienst besteht zweifellos darin, die Wissenschaftstheorie
der Naturwissenschaften aus einer einseitigen Berücksichtigung
rational-logischer Begründung herausgeführt und stattdessen auf die historische
und soziologische Bedingtheit, unter der Forschung vonstatten geht, hingewiesen
zu haben.[99] Gegen seine
Ansicht, die zu einer gewissen Relativierung
naturwissenschaftlicher Erkenntnis führte, dass nämlich mit einem
Paradigmenwechsel nicht unbedingt wissenschaftlicher Fortschritt verbunden
sei, sondern nur aus einer anderen Sicht ein Gegenstandsbereich neu erfasst
würde, wird man allerdings kritisch einwenden müssen, dass das technische
Fundament der naturwissenschaftlichen Forschung und Beobachtungskunst einen
eigenständigen, kumulativen Zuwachs an technischem Handlungswissen durchläuft
und damit zu einem stetigen Fortschritt in den Wissenschaften führt.
In den letzten Jahrzehnten mehren sich die Ansätze von
Wissenschaftstheoretikern, die stärker auf diese historische und kulturelle
Gebundenheit der Wissenschaft hinweisen. Die Naturwissenschaften beziehen
ihre Gegenstände und Denkvoraussetzungen eben nicht nur aus rein wissenschaftlichen
Bereichen, sondern ebenso aus vor- und außerwissenschaftlichen Erfahrungen.
Die Wissenschaft und ihre Resultate, seien sie als technisches Verfügungswissen
oder als theoretisches Erklärungs- und Prognosewissen gefasst, sind Teil der
Kultur und somit beeinflusst durch ihren jeweiligen historischen Zustand. Die
Wissenschaften verlangen als Kulturleistungen daher auch wegen ihrer Orientierung
auf Zwecke hin nach einer moralischen und politischen Legitimation dessen, was
sie in ihren Anwendungen bewirken.
(Quelle:
P13 METZLER; Grehn, J. / Krause, J. (Hrsg.): Physik, Schroedel Verlag,
Hannover, 1998)
Das nächste Buch weist am Beispiel
der Quantenphysik darauf hin, dass naturwissenschaftliche Befunde offen sind
für unterschiedliche philosophische Deutungen:
(Quelle:
P14 SCHROEDEL; Dorn / Bader: Physik Sek II; Schroedel, Hannover, 2000)
S.424
Modelle in der Physik
Die Gesetze der Quantenphysik sind heute unbestritten. Doch werfen sie
philosophisch geprägte Deutungsfragen auf.
Y-Zeiger sind Symbole, von klassischen
Vorstellungen unbelastete Hilfsmittel. Sie stellen nichts Reales dar, so wenig
wie Feldlinien; sie rotieren nur in unseren Köpfen und auf dem Bildschirm.
Deshalb können wir damit das Verhalten der Quantenobjekte widerspruchsfrei
beschreiben; Modellballast ist abgeworfen. Weil aber das IYI2 als
Antreffwahrscheinlichkeit messbar ist, sind die so gewonnenen Ergebnisse korrekte,
kontrollierbare Physik. Dass dies funktioniert, ist nicht selbstverständlich.
EINSTEIN sagte bisweilen: „Raffiniert ist der Herrgott, boshaft aber ist er
nicht".
Das Formale und Abstrakte am Y, am Hilfsmittel
rotierende Zeiger, lässt erkennen, dass den logischen Fähigkeiten des
Menschen auch unanschauliche Bereiche zugänglich sind. Damit reichen sie
viel weiter als die auf unsere Umwelt beschränkte Anschauung. Mit der Quantenphysik
bekommen wir nicht nur tiefe Einblicke in die Natur, sondern auch in unsere
eigenen geistigen Fähigkeiten. Wir erkennen dabei Grenzen und zugleich
grenzüberschreitende Möglichkeiten. Wer trotzdem versucht. Quantenphänomene
mit gegenständlichen Bildern zu verstehen, wird der Natur nicht gerecht. Zudem
verschenkt er viel von den weitreichenden logischen, mit abstrakten Symbolen
arbeitenden Fähigkeiten des Menschen. Sie sind ein wichtiger Teil menschlicher
Kulturleistung, deren Faszination sich kein denkender Mensch entziehen sollte.
Hier liegt eine wichtige Bedeutung moderner Physik für Philosophie und Kultur.
S.432
Vertiefung
Was heißt „unbestimmt“? …
Die Unbestimmtheitsrelation beseitigt die Begriffe Ort und Impuls an sich
nicht; sie beschränkt nur ihren gemeinsamen Gebrauch.
HEISENBERG sagt: „Ein über diese Relation hinausgehender, genauerer Gebrauch
der Wörter Ort und Geschwindigkeit ist ebenso sinnlos wie die Anwendung von
Wörtern, deren Sinn nicht definiert ist.“ Deshalb darf man nicht sagen, das
einzelne Quantenobjekt habe objektiv
gesehen im Unbestimmtheitsbereich einen bestimmten Ort x, den wir subjektiv gesehen nicht genau kennen … “Unbestimmt“ geht eben viel
weiter als „unbekannt“; es betrifft die Nichtobjektivierbarkeit
der Quanten[100] …
S.434
Interessantes
Akausale Physik im Mikrokosmos
Der Franzose P. LAPLACE beschrieb 1850 die kausale, streng berechenbare
(deterministische) Physik angesichts der Erfolge der newtonschen Mechanik in
der grandiosen Vision des Laplace-Dämons: „Wir müssen den jetzigen Zustand des
Weltalls als Wirkung eines früheren und als Ursache des folgenden betrachten.
Ein Dämon möge alle Kräfte der Natur sowie die Lage und die Geschwindigkeit
aller Teilchen, aus denen die Natur besteht, in einem bestimmten Augenblick
kennen. Könnte er zudem all diese Daten einer Rechnung zugrunde legen, so wäre
er fähig, die Bewegung der größten Körper des Weltalls und die der kleinsten
Atome vorherzusagen. Für ihn wäre nichts unbestimmt, Zukunft und Vergangenheit
lägen offen vor ihm". Nach der Unbestimmtheitsrelation Dx Dpx » h sind jedoch im Mikrokosmos Ort und
Geschwindigkeit nicht mehr zugleich scharf bestimmt. Sie entzieht die
Voraussetzung für strenge Vorausberechenbarkeit. EINSTEIN konnte sich mit
einer im Prinzip akausalen Natur lange nicht abfinden. Er suchte in
zahlreichen Gedankenversuchen die akausale Quantentheorie gegen die streng
deterministische klassische Physik und deren Krönung, die Relativitätstheorie,
auszuspielen. Experimente der letzten Jahre bestätigen jedoch die Quantenphysik
so eindeutig, dass ein Zurück zur durchgängig kausalen, klassischen
Beschreibung als völlig ausgeschlossen gilt.
S.465
C Misst man Realitäten oder schafft man sie erst?
SCHRÖDINGER zielte auf den Messprozess. Er fragte: Wandelt sich die
Superposition „tot und zugleich lebend" erst durch eine Messung, beim
Öffnen des Kastens, beim Ablesen des „Messgeräts Katze", in eine der
Realitäten „tot" oder „lebend" um? Wir skizzieren zwei ernsthaft
diskutierte Hypothesen zu diesem auch die Philosophie betreffenden
Realitätsproblem:
+ Nach H. EVERETT spaltet sich zu
jedem a-Klick die Welt
in zwei vollwertige, neue Welten auf, desgleichen jeder Beobachter in zwei,
die nichts voneinander wissen. Beobachter 1 in Welt 1 findet seine Katze tot;
zugleich findet Beobachter 2 in Welt 2 seine lebend. Nach dieser Many-World-Theorie
sollte es Myriaden Welten geben, die nur Reales kennen. Diese Hypothese ist
empirisch nicht widerlegbar. Sie widerspricht auch nicht der Quantentheorie!
+ Nach E. WIGNER ändert beim Öffnen des Kastens allein das Bewusstsein des
Beobachters (als hypothetischer Eingriff) das Zugleich Y = Ytot + Ylebend entweder in
„tot" oder in „lebend" ab. Danach würden bereits Gedanken an sich
die Welt verändern!
Man möchte gerne ohne solche Hypothesen auskommen und sagt oft gemäß der
klassischen Physik: Das grobe Messgerät störe am subtilen Quantenobjekt ein
schon vor dem Messen real vorliegendes Faktum. Beim Knallertest fanden wir
jedoch: Bei gleichberechtigten Pfaden (kein Knaller) zeigt sich Interferenz
als Superposition Y = Y1 + Y2 von zwei zugleich
angebotenen, noch nicht realen Möglichkeiten. Erst beim Messen (Einbringen des
Knallers) wählt davon der reine Zufall eine aus und realisiert sie. So erzeugt
er die klassisch vertraute Realität Entweder-Oder (Knall oder kein Knall). Realität
wird erzeugt, nicht einfach nur festgestellt![101] Da die Theorie
dieses Überführen vom Möglichen ins Real-Faktische nicht erklären konnte,
stellte v. NEUMANN 1932 sein experimentell hervorragend bestätigtes Messpostulat
auf. Sie kennen es vom Tunneleffekt und vom Knallertest:
Beim Messen realisiert der pure Zufall von den mit der Wahrscheinlichkeit IYI2 angebotenen Möglichkeiten
eine.
Er wandelt sie unverändert und unumkehrbar in ein reales Messergebnis. Dabei
wird Y so verändert,
dass eine sofortige Wiederholung am gleichen Objekt die erste Messung
bestätigt. Die anderen Möglichkeiten sind vergessen. Bei diesem Kollaps der Y-Funktion explodiert der Knaller, ein
Zähler tickt, eines von vielen Silberkörnchen wird geschwärzt usw.
S.465/467
Ähnliches kennen wir aus dem täglichen Leben, auch den Begriff Möglichkeit. Doch sagt das Quanten-Y noch nicht, wie die Welt wirklich ist. Die Kopenhagener Deutung
bleibt eine vorsichtige, unsere Erkenntnisfähigkeit
beachtende Minimalbeschreibung.
Sie macht keine das Sein betreffenden
(ontologischen) Aussagen …
Die Quantentheorie lässt manche philosophisch vorgeprägte Frage offen. Wohl
jede(r) versucht insgeheim oder offen, sie durch zusätzliche philosophische
Spekulationen zu bereichern. …
S.515
Wissenschaft und Verantwortung
1. Verantwortung übernehmen
„Wer ist dafür verantwortlich?" - „Kannst du dafür wirklich die
Verantwortung übernehmen?" – Solche Fragen kennen wir aus dem Alltag.
Aber was ist damit genau gemeint: „Willst du die Verantwortung übernehmen?“
„Weißt du genug, um die Folgen deines Handelns bewerten zu können?" -
„Kannst du übersehen, ob andere dich das Richtige tun lassen?" Einfache
Fragen nach der Verantwortung haben also unterschiedliche Facetten, die alle
damit zu tun haben, dass Verantwortung eine ethische Dimension hat: Wir sind
für (voraussehbare) Folgen unseres Handelns verantwortlich. An den Elementen
der Verantwortungsrelation in Bild 2 sieht man, dass es nicht immer einfach
ist, dieser Verantwortung gerecht zu werden. ...
3. Verantwortung für politische Entscheidungen
Für den Berufsalltag der an einer Universität forschenden Physikerin oder des
Physikers in der Entwicklungsabteilung eines Unternehmens spielt unter den
heutigen Bedingungen der gesellschaftlich-politische Aspekt eine weitere
wichtige Rolle. Es gilt: Wissenschaft ist unpolitisch, aber politisch
relevant. Die in der Wissenschaft Tätigen sind für die Gesellschaft
unentbehrliche Experten, aber sie können nicht den Anspruch erheben,
politische Entscheidungen zu bestimmen.
Hans-Peter DÜRR schreibt dazu: „Wenn ein Kernphysiker oder
Elementarteilchenphysiker zum Thema „friedliche Nutzung der Kernenergie“ seine
Meinung äußert, dann misst die breite Öffentlichkeit dieser Meinung
automatisch ein besonderes Gewicht zu, da ja hier, wie sie meint, ein Fachmann
seine Meinung bekundet. Dies ist strenggenommen falsch! Richtig ist, dass
dieser Physiker aufgrund seiner speziellen Erfahrung bestimmte physikalische
Fakten und Zusammenhänge umfassender, sicherer und tiefgründiger verstehen und
würdigen kann. Solche Spezialkenntnisse befähigen ihn aber noch nicht dazu,
in anderen für das Kernenergieproblem wesentlichen Fragen, wie etwa
wirtschaftlicher, soziologischer oder ökologischer Art, ein ähnlich sicheres
Urteil zu erlangen ... Fakten und Spezialkenntnisse sind wertfrei, sie
können Verknüpfungen aufzeigen, verwickelte Zusammenhange übersichtlich machen
und damit eine angemessene Bewertung erheblich erleichtern, sie aber nie
ersetzen.“
(Quelle:
P14 SCHROEDEL; Dorn / Bader: Physik Sek II; Schroedel, Hannover, 2000)
Auch das nächste Lehrbuch
für die Sekundarstufe 2 bietet Denkanstöße zu Erkenntnisgrenzen und
Wissenschaftstheorie am Beispiel von „Determinismus“, „Kosmologie“ und
„Dualismus“:
(Quelle: P15
WESTERMANN; Kuhn Physik 2; Braunschweig, 2000)
S.91
Die Ohnmacht des laplaceschen Dämons
… Der LAPLACE-Dämon, jener übermächtige Geist, der aus der Kenntnis des
jetzigen Bewegungszustands aller Atome in der Lage sein sollte, die Zukunft
der Welt vorherzusagen, ist in Wirklichkeit ein ohnmächtiger Papiertiger.
Trotz des Determinismus der mechanischen Bewegungsgleichungen ist nur
eine begrenzte Vorhersage möglich und dem Zufall bleibt genügend
Spielraum. Der Schlüssel zur Auflösung dieses scheinbaren Widerspruches
liegt im Prinzip der schwachen Kausalität. Da die mechanischen
Bewegungszustände nur mit endlicher Genauigkeit bekannt sind, macht der
Schmetterlingseffekt, die exponentielle Fehlerfortpflanzung, eine exakte
Vorhersage unmöglich. …
S.296
Kosmologie: das physikalische
Bild des Universums
… Dieses singuläre
Ereignis[102] nennt man den „Urknall“. Der Urknall bedeutet die „Geburt
des Universums“, den zeitlichen Anfang der Welt.
Man darf sich den Urknall nicht als eine Explosion in Raum und Zeit vorstellen.
Er hat nicht an einer speziellen Stelle im Raum stattgefunden, vielmehr war zu
diesem Nullpunkt der Zeit die Dichte überall im Universum unendlich groß. Nach
heutigem Verständnis nahmen Raum und Zeit im Urknall erst ihren Anfang. Ein
„vorher“ gab es nicht – eine Aussage, die unser Vorstellungsvermögen
übersteigt. …
„Die
kosmologischen Rätsel“
Trotz der gewaltigen Fortschritte im Verständnis des Weltalls als Ganzem
wirft die Kosmologie noch etliche Rätsel auf. Aus Beobachtungen der
Sternbewegungen in Galaxien erschließt man, dass bis zu 90 % der eine
Gravitationswirkung ausübenden Materie in den Teleskopen nicht sichtbar ist. Über
die Natur dieser dunklen Materie
weiß man kaum etwas. Hier liegt eine der großen noch offenen Fragen der Kosmologie.
[103]
Seit 1998 häufen sich die Hinweise auf die Existenz einer kosmologischen Konstanten. Damit bezeichnet man eine den
ganzen Kosmos erfüllende Energie, die eine abstoßende
Gravitationswirkung besitzt. Sie führt dazu, dass sich die Expansion des
Universums immer weiter beschleunigt. Wiederum kann man über ihren Ursprung
nur spekulieren – möglicherweise spielt die quantenmechanische
Vakuumenergie eine Rolle. …
S.307
“Dualismus“ von Welle und Teilchen beim
Licht
Welle oder Teilchen?
Die Interferenzerscheinungen der Lichtes lassen sich mit Hilfe der
Wellenvorstellung erklären. Photoeffekt und COMPTON-Effekt verweisen dagegen
stärker auf ein Teilchenmodell. Was bedeutet diese rätselhafte Doppelnatur des
Lichtes? Nach der Vorstellung der klassischen Physik stehen diese Modelle ja
in krassem Widerspruch zueinander. Welche Vorstellung ist „richtig“?
Zunächst verbreitete sich die Vorstellung eines sogenannten „Dualismus“ der beiden klassischen anschaulichen
Modelle von Welle und Teilchen. Danach ist Licht nicht entweder Welle oder Teilchen,
sondern „sowohl als auch“. Je nach den Versuchsumständen zeigt es sich als
eines von beiden …
Der Welle-Teilchen-Dualismus ist nur dann eine mysteriöse Angelegenheit, wenn
man die Quantenphänomene mit anschaulichen Bildern erfassen will. Solchen
anschaulichen Vorstellungen widersetzen sich die Quantenobjekte hartnäckig.
Die heutige Situation ist gekennzeichnet durch die Antwort, die der
amerikanische Nobelpreisträger RICHARD FEYNMAN auf die Frage „Was ist
Licht?“ gegeben hat: „“Keins von beiden!“; d.h. weder Welle noch
Teilchen, sondern – wie er es formuliert – „etwas Drittes“. …
(Quelle: P15
WESTERMANN; Kuhn Physik 2; Braunschweig, 2000)
2.2.2.3 Zu Erkenntnismöglichkeiten der
Naturwissenschaft
und zu Wissenschaftstheorie
Darstellung in Lehrbüchern
für das Unterrichtsfach
ASTRONOMIE
Ein Astronomie-Lehrbuch für
die gymnasiale Oberstufe beschäftigt sich im Zusammenhang mit kosmologischen
Fragen mit den Erkenntnisgrenzen der Naturwissenschaft sowie mit
philosophischen Deutungen der Befunde moderner Astrophysik:
(Quelle:
P21 PAETEC; Astronomie,
Gymnasiale Oberstufe, Paetec, Berlin 2001)
S.213 ff.
7.2 Das anthropische Prinzip
… Aus der Tatsache, dass es uns Menschen im Universum gibt, leitet sich
fast zwangsläufig die Frage ab, ob diese zum Menschen führende Evolution
zufällig oder unabwendbar erfolgt ist. Sind wir Menschen die von Anbeginn
geplante „Krone der Schöpfung" oder doch nur Produkte des Weltalls von
außerordentlicher Unwahrscheinlichkeit?
Die Antwort auf diese Frage wäre bedeutungsvoll für das Verständnis unserer
eigenen Rolle im Kosmos, vielleicht sogar ein Hinweis darauf, dass es hinter
der von uns Menschen beobachteten und durchforschten kosmischen Raumzeit ein
transzendentes Wesen gibt, das unsere Existenz herbeigeführt hat; nicht in dem
naiven Sinn der wörtlich genommenen biblischen Schöpfungsgeschichte von Adam
und Eva im Paradies, sondern in einem viel raffinierteren Weltszenario.
Das gedachte transzendente Wesen könnte das Weltall gerade so erschaffen haben,
dass es zur Entstehung des Menschen kommen musste. Das sogenannte schwache
anthropische Prinzip besagt:
Die beobachteten Werte aller physikalischen und kosmologischen Konstanten sind
nicht gleich wahrscheinlich; sie nehmen vielmehr Werte an unter der
Einschränkung, dass es Orte gibt, an denen sich Leben auf Kohlenstoff-Basis
entwickeln kann und das Universum alt genug ist, damit sich dies bereits ereignet
hat.
In der Tat erweist sich das Weltall in vielerlei Hinsicht als so beschaffen,
dass die Entstehung von Leben möglich wurde. So musste schon zu einem sehr
frühen Zeitpunkt in der Geschichte des Universums eine feine Abstimmung
zwischen der Dichte der Materieansammlungen, aus denen später die Galaxien entstanden,
und der Expansionsrate bestehen. Eine deutlich langsamere Expansion hätte die
Materieklumpen zusammenbrechen lassen, noch ehe es zur Ausbildung von
Galaxien hätte kommen können. Eine deutlich raschere Expansion wiederum hätte
dazu geführt, dass auch die Gebiete höherer Dichte auseinander geflogen wären.
Auch in diesem Fall wären keine Galaxien entstanden.
Auch die vier grundlegenden Wechselwirkungen, die das Geschehen im Universum
bestimmen, können nicht willkürlich gedacht werden, wenn es uns Menschen
schließlich im Weltall geben soll. Wenn z.B. die elektromagnetische Kraft nur
geringfügig größer wäre (1/1040), als wir sie vorfinden, so bestünde
die Hauptreihe des HERTZSPRUNG-RUSSELL-Diagramms nur aus kühlen, roten Sternen.
Diese beenden ihr Leben nicht in Supernova-Ausbrüchen, sodass es gar nicht zur
Anreicherung schwerer Elemente im interstellaren Raum kommen könnte. Bei
gleichermaßen geringerer Stärke der elektromagnetischen Kraft gäbe es hingegen
nur sehr heiße und folglich kurzlebige Sterne. Auch die Gravitationskonstante
muss in sehr engen Grenzen jenen Wert besitzen, den wir tatsächlich
feststellen.
Die Baupläne der Biochemie sind ähnlich kritisch.
Alle diese Erkenntnisse sind im oben zitierten anthropischen Prinzip
zusammengefasst.
Als starkes anthropisches Prinzip besagt es:
Das Universum muss jene Eigenschaften aufweisen, die in irgendeinem Stadium
seiner Geschichte zur Entstehung von Leben führen.
Der Mensch hat die Eigenschaft, alle Feststellungen zu hinterfragen. Die Fakten
allein reichen ihm nicht aus. Er möchte wissen, warum die Welt
so beschaffen ist, wie wir sie vorfinden.
Gegenwärtig werden folgende Erklärungsmöglichkeiten für die im Weltall
vorhandenen Feinabstimmungen diskutiert:
1. Die Koinzidenzen sind rein zufällig. Wir haben sie zur Kenntnis zu nehmen.
2. Im Weltall gibt es eine irgendwie geartete zielgerichtete „Kraft“ die
für die vorgefundene Feinabstimmung sorgt. Demnach gäbe es so etwas wie einen
„Sinn" des Universums, nämlich die Erreichung seines
„Entwicklungsziels". In der Wissenschaft genießt diese Argumentation
allerdings wenig Ansehen, weil man über die teleologischen Potenzen definitiv
nichts aussagen kann und auch nicht wüsste, wie man sie mit kausalen Faktoren
in Beziehung bringen sollte.
3. Die Feinabstimmung ist ein Hinweis auf die Existenz einer transzendenten
Macht, die mit dem Universum ihre Absicht verwirklicht. Auch dieser
Erklärungsvorschlag liegt außerhalb des Rahmens wissenschaftlicher Argumentation.
Außerdem bliebe offen, warum die transzendente Macht gerade die zum Leben
führenden Anfangsbedingungen gewählt haben sollte.
4. Die Wissenschaft selbst hat die Vielweltenhypothese zur Erklärung der
Feinabstimmung vorgeschlagen. Demnach gibt es eine Vielzahl von Welten als
Teile des Universums, die sehr verschiedene physikalische Eigenschaften
aufweisen. In unserer Welt herrschen gerade jene Bedingungen, die zur Herausbildung
von Leben erforderlich sind. In den anderen Welten gibt es keine Beobachter.
Die besondere Bedeutung unseres Universums wird uns nur vorgespiegelt.
In Wirklichkeit spielt unsere Welt keine ausgezeichnete Rolle. ...
Wie immer man zu diesen Fragen steht und welche Schlüsse der Einzelne daraus
auch ziehen mag, so zeigen uns diese Diskussionen doch:
Die mit den Forschungsergebnissen der modernen Astronomie verbundenen Fragen
greifen tief in Probleme unseres Selbstverständnisses als Bewohner dieses
Planeten, aber auch als reflektierende Geschöpfe dieses Universums [104] ein.
Wie stets in ihrer Geschichte vermittelt die Astronomie auch heute über die
exakt-naturwissenschaftlichen Erkenntnisse hinaus vielfache Impulse, über uns
Menschen nachzudenken, nach dem Sinn unserer Existenz und den Normen unseres
Handelns sowie nach unserer Stellung im Weltganzen zu fragen. Nicht
zuletzt darin liegt wohl auch die starke Faszination begründet, die von der
Naturwissenschaft Astronomie ausgeht und weltweit ein zunehmendes Interesse
breiter Kreise der Bevölkerung erweckt.
„Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und
Ehrfurcht“ schrieb IMMANUEL KANT in seiner „Kritik der praktischen
Vernunft" 1788, „der gestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz
in mir". Vielleicht haben diese „zwei Dinge" mehr miteinander zu tun,
als wir bisher anzunehmen bereit sind. [105]
(Quelle:
P21 PAETEC; Astronomie,
Gymnasiale Oberstufe, Paetec, Berlin 2001)
Das Lehrbuch Quelle P23 Dieter B. Herrmann,
Faszinierende Astronomie, Paetec, Berlin, 2000, S.154ff. gibt fast wortgleich
Textpassagen wieder, die bereits oben in Kapitel 3.4.2.1 bei der Quelle P4
vorgestellt wurden.
2.2.3 Die Auseinandersetzung um das
kopernikanische
Weltbild
2.2.3.1 Exkurs: Ein Konflikt wird
aufgebaut
Mit dem Ringen um die Durchsetzung
des Kopernikanischen Weltbildes sind die Schüler schon ein paar Jahre früher,
in Klasse 7, in Berührung gekommen, und zwar im Fach Geschichte.
Vielleicht haben sie damals in ihrem Lehrbuch folgendes gelesen (es handelt
sich um eine fiktive Collage aus mehreren Lehrbüchern):
Um 1400 dachten die meisten Menschen in
Europa, die Erde sei eine Scheibe … Das Befahren des Ozeans galt als
unheimlich. ... Auch … Kopernikus … war davon überzeugt, dass sich die Erde
als flache Scheibe im Mittelpunkt des Weltalls befinde; um sie drehen sich alle
anderen Planeten und die Sonne. So lehrte es die Kirche … Seine Beobachtungen
und Berechnungen … ergaben ganz eindeutig, dass die Erde und die Planeten sich
um die Sonne drehen. Die Lehre der Kirche von der Erde als Zentrum des Weltalls
musste also falsch sein. Dreißig Jahre lang hielt Kopernikus die Ergebnisse in
seinem Schreibtisch verschlossen. Erst kurz vor seinem Tod gab er die Erlaubnis
zum Druck seines Buches, das den Titel trug: „Über die Umlaufbahnen der Himmelskörper“.
Von der Kirche wurde das Buch sofort verboten. …
Der Italiener Giordano Bruno
(1548-1600) wurde für sein Bekenntnis zur heliozentrischen Hypothese von der
römischen Inquisition als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt. …
… war die Autorität der Kirche
herausgefordert. Das bekam Galileo Galilei zu spüren, als er die Richtigkeit
des kopernikanischen Systems zu beweisen suchte. Da er nicht auf dem
Scheiterhaufen enden wollte, gab er vor, sich geirrt zu haben, und kam mit
lebenslangem Hausarrest davon. Seine Schriften wurden verbrannt. …
Damit ergibt sich ein
„Stimmungs“-Bild, das sich unauslöschlich in vielen Köpfen eingeprägt hat.
Die im folgenden in den
ausführlichen Zitaten angebrachten Fußnoten zu einzelnen Angaben verweisen auf
manche Ungereimtheiten.
(Quelle: G3 CORNELSEN
/ VOLK UND WISSEN; Entdecken und verstehen 7, Cornelsen Verlag Berlin, 2005,
S.7ff.)
„Um 1400 dachten
die meisten Menschen in Europa, die Erde sei eine Scheibe, die auf dem
Wasser, dem Ozean, schwimme. Kein Mensch könne auf der anderen Seite der Erde
mit dem „Kopf nach unten“ leben. Das Befahren des Ozeans galt als unheimlich.[106] ... Auch
der polnische Priester und Astronom Kopernikus … war davon überzeugt, dass
sich die Erde als flache Scheibe im Mittelpunkt des Weltalls befinde[107]; um sie drehen sich alle anderen
Planeten und die Sonne (Abb.2). So lehrte es die Kirche[108] … Seine Beobachtungen und
Berechnungen … ergaben ganz eindeutig[109], dass die Erde und die Planeten
sich um die Sonne drehen. Die Lehre der Kirche von der Erde als Zentrum des
Weltalls musste also falsch sein. Dreißig Jahre lang hielt Kopernikus die
Ergebnisse in seinem Schreibtisch verschlossen. Erst kurz vor seinem Tod gab er
die Erlaubnis zum Druck seines Buches, das den Titel trug: „Über die Umlaufbahnen
der Himmelskörper“[110]. Von der Kirche wurde das Buch
sofort verboten[111].“
(Quelle: G1 C.C.
BUCHNER; Buchners Kolleg Geschichte – Ausgabe C, Die Herausbildung des modernen
Europa; C.C. Buchners Verlag, Bamberg 1995, S.70)
„Der Italiener Giordano Bruno (1548-1600) wurde
für sein Bekenntnis zur heliozentrischen Hypothese von der römischen
Inquisition als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt.“ [112]
(Quelle: G7 Klett,
Geschichte und Geschehen, 3, Sachsen, Sekundarstufe I, Ernst Klett Schulbuchverlag,
Leipzig 2006, S.14, fast wortgleich G8, S.14)
„Damit war die Autorität der Kirche herausgefordert.
Das bekam Galileo Galilei zu spüren, als er die Richtigkeit des
kopernikanischen Systems zu beweisen suchte. Da er nicht auf dem Scheiterhaufen
enden wollte, gab er vor, sich geirrt zu haben, und kam mit lebenslangem
Hausarrest davon. Seine Schriften wurden verbrannt[113]. So bestimmte das geozentrische
Weltbild noch lange Zeit das Bewusstsein der meisten Menschen. Im 18.
Jahrhundert begann sich das heliozentrische Weltbild durchzusetzen.“
Die Kommentare in den
Fußnoten machen vielleicht deutlich, an wie vielen Stellen hier nicht sachgemäß
informiert wird. Die verkürzte Darstellung – auf der einen Seite mutige
Naturwissenschaftler mit untrüglichen Beweisen, als ihr Gegenspieler eine nicht
lernfähige Kirche mit ideologischen Scheuklappen, die gewaltsam ihren Einfluss
verteidigt – stimmt nicht mit dem tatsächlichen Verlauf der Auseinandersetzung
überein.
(Quelle: Q58 GEO kompakt 14,
Die 100 größten Forscher aller Zeiten, 2008
„Es gehört zum Mythos der modernen Naturwissenschaft,
dass ihre frühen Entdeckungen die Menschen wie selbstverständlich überzeugt
hätten, allein durch die Macht ihrer Wahrheit. Und dass nur verstockte
Ewiggestrige wie die kirchlichen Inquisitoren sich deren Evidenz verweigert
hätten.
Aber so ist es nicht gewesen.
Differenziertere
Darstellungen finden sich in Lehrbüchern für das Fach Astronomie, auf die in
diesem Kapitel noch eingegangen wird:
·
Quelle: P21
PAETEC; Astronomie,
Gymnasiale Oberstufe, Paetec, Berlin 2001
·
Quelle: P23
PAETEC; Dieter B. Herrmann; Faszinierende Astronomie; Paetec, Berlin, 2000
(entsprechende
Zitate aus beiden Lehrbüchern werden in Auszügen wiedergegeben in diesem
Kapitel weiter unten)
sowie in weiteren Quellen:
·
Quelle: Q58 GEO kompakt 14, Die 100 größten Forscher
aller Zeiten, 2008
·
Quelle: Q70
WIKIPEDIA; zu „Kopernikus“, „Galilei“ und „Religion und heliozentrisches
Weltbild“; gelesen 16.12.08
(ausführliche
Zitate aus diesen beiden Quellen werden in Auszügen wiedergegeben in Teilband 4
= Kapitel 4.2).
Eine weitere gute und differenzierte
Darstellung des Konfliktes findet sich auch bei:
·
Quelle: Q81 Drake,
Stillman: Galilei, Herder/Spektrum, Freiburg o.J. (nach 1999, ISBN:
3-926642-38-6)
2.2.3.2 Die Auseinandersetzung um das kopernikanische
Weltbild
Darstellung in Lehrbüchern
für das Unterrichtsfach
PHYSIK für die Sekundarstufe
1
In den Physik- und
Astronomie-Lehrbüchern der Sekundarstufe 1 wird das Thema durchgängig etwas
differenzierter dargestellt, enthält aber oft dennoch Unklarheiten.
Zunächst zwei Stimmen aus
dem Hause „Volk und Wissen“:
(Quelle: P1 CORNELSEN
/ VOLK UND WISSEN; Physik plus Gymnasium 10, Sachsen, Cornelsen, Berlin, 2006,
S.68;
wortgleich P2 CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Physik Mittelschule 9/10, Sachsen,
Cornelsen, Berlin, 2006, S.56)
KOPERNIKUS arbeitete dieses heliozentrische System detailliert mathematisch
aus. Da sein System aber nicht nur der Anschauung, sondern auch der Lehrmeinung
der katholischen Kirche widersprach, ließ er offen, ob er sein System als
besonders einfache Rechenmethode vorschlug oder ob er es als Modell für die
Wirklichkeit verstanden wissen wollte. …
Als JOHANNES KEPLER herausfand, dass sich die Planetenbahnen mit Ellipsen viel
genauer beschreiben lassen als mit Kreisen, zerstörte er die Vorstellung,
Gottes Wirken äußere sich in perfekten Kreisbewegungen. [114]
P1 S.69:
(Beobachtungen des GALILEI: Jupitermonde,
Venusphasen)
Diese Beobachtungen stützten zwar das heliozentrische System. Sie bewiesen
aber nicht, dass die Erde die Sonne umläuft. Die Behauptung, die Erde bewege
sich, widersprach jedoch der katholischen Glaubenslehre. GALILEI …
P2 S.57:
(Beobachtungen des GALILEI: Jupitermonde,
Venusphasen)
Diese Beobachtungen stützten zwar das heliozentrische System. Sie bewiesen
es aber für die katholische Kirche nicht. [115] [116]GALILEI …
Ein anderes Lehrbuch weist
zunächst darauf hin, dass das Weltbild des Ptolemäus eine wichtige
Geistesleistung darstellte:
(Quelle: P3 DUDEN /
PAETEC; Physik Sek I, Duden Paetec, Berlin, 2005, S.12).
CLAUDIUS PTOLEMÄUS fasste die Ergebnisse
zusammen. Dieses Weltbild war eine großartige Leistung der antiken
Wissenschaft, denn man konnte die Bewegung von Sonne und Mond
vorausberechnen. So blieb dieses Weltbild viele Jahrhunderte lang erhalten …
Auch das nächste Lehrbuch weiß
das:
(Quelle:
P4 DUDEN / PAETEC; Physik, Gymnasium 10, Sachsen, Duden Paetec, Berlin, 2007)
S.74
Fast 1500 Jahre lang hielten die meisten Gelehrten das geozentrische
Weltbild für die richtige Beschreibung des Alls. Erst Anfang des 16.
Jahrhunderts zog NIKOLAUS KOPERNIKUS in Betracht, dass sich die Erde um die
Sonne bewegen könnte. …
KOPERNIKUS hielt noch an der alten Vorstellung der Kreisbahnen fest.
Deshalb waren die von ihm berechneten Positionen der Planeten nicht genauer
als diejenigen, welche man im geozentrischen Weltbild ermittelt hatte[117] …
S.75
Die Menschheit benötigte über 100 Jahre, um sich vom geozentrischen
Weltbild zu lösen. Die vermeintliche Mittelpunktstellung der Erde war mit
vielen religiösen und philosophischen Vorstellungen verknüpft, von denen man
sich nicht trennen wollte. …
Um eine noch klarere
Darstellung bemüht sich ein Lehrbuch für die Sekundarstufe 2 (Quelle P14; s. im
anschließenden Kapitel 2.2.3.3).
2.2.3.3 Die Auseinandersetzung um das kopernikanische
Weltbild
Darstellung in Lehrbüchern
für das Unterrichtsfach
PHYSIK für die Sekundarstufe
2
Das Lehrbuch P14
führt unter anderem aus:
(Quelle:
P14 SCHROEDEL; Dorn / Bader: Physik Sek II; Schroedel, Hannover, 2000, S.126)
Vom
Mythos zur Wissenschaft
Die
Grundvorstellung der griechischen Kosmologie war folgende: Die Erde ruht
im Zentrum der Welt und von hier aus steigt man auf zu immer höheren Sphären,
bis man die Fixsternsphäre, als oberste und vollkommenste, erreicht. Diese Sphären
in Kugelform [118]wurden als ideale
Gestalten mit vollendeter Symmetrie betrachtet. Aufgabe der Himmelsmechanik war
es, die Bewegung der Gestirne auf gleichmäßige Kreisbewegungen
zurückzuführen. Um die Bewegung der Sonne, des Mondes, der Planeten und der
Fixsterne durch Bewegung auf Kreisen zu beschreiben, brauchte EUDOXOS, ein
Schüler PLATOS, allerdings schon 27 ineinander gelagerte Hohlkugeln. …
Die
kopernikanische Wende
NIKOLAUS
KOPERNIKUS (1473-1543), Domherr [119] von Frauenburg
in Ostpreußen, gab in seinem berühmten Werk De revolutionibus orbium coelestium (Über die Umdrehung der
Himmelskreise) den geozentrischen Standpunkt auf. Er beließ aber noch die
Kreisbahnen. Sein heliozentrischer Standpunkt war für die meisten Gelehrten und
Theologen unannehmbar. …
Doch die Einwendungen gegen KOPERNIKUS waren groß und scheinbar berechtigt. Ein
Gegenargument des genauen Beobachters Tycho BRAHE war: Wenn die Erde um die
Sonne läuft, so müssen wir die Fixsterne im Abstand von einem halben Jahr von
zwei weit entfernten Stellungen gegeneinander verschoben sehen. Diese Parallaxe konnte jedoch wegen der
großen Entfernung der Fixsterne erst im 19. Jahrhundert gemessen werden. Zu
Zeiten von KOPERNIKUS aber fand man keine Fixsternparallaxe und hielt das
heliozentrische Weltbild damit für widerlegt.[120] …
Die klarsten Darstellungen
zum Konflikt über das kopernikanische Weltbild und die beteiligten Akteure
liefern Lehrbücher zum Fach Astronomie (siehe das folgende Kapitel 2.2.3.4).
2.2.3.4 Die Auseinandersetzung um das kopernikanische
Weltbild
Darstellung in Lehrbüchern
für das Unterrichtsfach
ASTRONOMIE
Hier ein erstes Beispiel:
(Quelle:
P21 PAETEC; Astronomie,
Gymnasiale Oberstufe, Paetec, Berlin 2001)
S.5
Vom Dunkel der Vorzeit zur Wissenschaft
Astronomie
… Oft sind die himmelskundlichen Kenntnisse in stark symbolhafte
mythologische Gewänder gekleidet und müssen erst entschlüsselt werden.
Hieraus ergibt sich eine der großen Schwierigkeiten der Paläoastronomie,
zumal ein beträchtlicher Interpretationsspielraum entsteht, der oft zu
wissenschaftlichen Kontroversen über die Aussagekraft der „Dokumente“ führt.
Verständlicherweise können Astronomen oder Astronomiehistoriker allein diese
Forschungen nicht betreiben. Hier bedarf es der engen interdisziplinären
Zusammenarbeit zwischen Astronomen, Archäologen, Ethnologen, Kunst- und
Religionswissenschaftlern sowie Philologen.[121]
S.13f.
Die philosophisch-religiöse These von der Göttlichkeit der Gestirne hat
PTOLEMÄUS seiner Theorie bewusst zugrunde gelegt [122], wie er selbst
schreibt:
“Wenn wir uns die Aufgabe gestellt haben, auch für die fünf Wandelsterne … den
Nachweis zu führen, dass ihre scheinbaren Anomalien alle vermöge
gleichförmiger Bewegungen in Kreisen zum Ausdruck gelangen, weil nur
diese Bewegungen der Natur der göttlichen Wesen entsprechen, während
Regellosigkeit und Ungleichförmigkeit ihnen fremd sind …“
Das geozentrische Weltsystem des PTOLEMÄUS befand sich im Einklang mit dem
Augenschein, mit den anerkannten philosophischen Prämissen seiner Zeit und mit
der Physik des ARISTOTELES. …
Die allseitige Übereinstimmung der ptolemäischen Theorie mit Physik,
Augenschein und „Zeitgeist“ sicherte ihr hohe Anerkennung und lieferte
zugleich stichhaltige Argumente gegen all ihre Kritiker. …[123]
S.16f.
Obwohl COPERNICUS nach Beendigung seiner Studien „hauptberuflich"
im Dienste der Kirche stand, seinen Onkel bei dessen Tätigkeit als Bischof
des Ermlandes unterstützte und sogar selbst einer der Domherrn von Frauenburg
wurde, beschäftigte er sich in seinen Mußestunden immer intensiver mit der
Astronomie. ...
Allerdings hält COPERNICUS an der Kreisbahn der Himmelskörper fest. Zwar
beruft er sich dabei nicht mehr auf die Göttlichkeit der Gestirne, sondern auf
das geometrische Argument, dass die Himmelskörper kugelförmig seien und die
ihnen gemäßen Bahnen daher kreisförmig. Dennoch hat dieses Postulat
schwerwiegende Folgen: COPERNICUS ist gezwungen, das antike Rüstzeug der
Epizykel und Deferenten weiterhin zu verwenden, um die beobachteten Bewegungen
beschreiben zu können. ...
So stellt das Hauptwerk des COPERNICUS eine seltsam widersprüchliche
Mischung aus Elementen der antiken Astronomie und einer wahrhaft
revolutionären Abkehr vom Kerngedanken des ptolemäischen Weltsystems, der
Mittelpunktstellung der Erde, dar.
Die Hoffnung, dass auf der Grundlage der Hypothese des COPERNICUS bessere
Tafeln zu berechnen wären, die zur völligen Übereinstimmung zwischen
Prognose und Realität führen, erfüllte sich nicht. Die „Prutenischen
Tafeln", die ERASMUS REINHOLD (1511-1553) aus den kopernikanischen Daten
berechnet hatte, wichen von den tatsächlichen Positionen der Planeten deutlich
ab.
Ein entscheidendes Argument gegen COPERNICUS ergab sich daraus, dass keine
Fixsternparallaxen festzustellen waren: Wenn sich die Erde tatsächlich um
die Sonne bewegt, hätte sich diese Bewegung in einer mit Jahresperiode
schwankenden Position der Fixsterne widerspiegeln müssen. Davon war jedoch
nichts zu bemerken.
Wie bereits COPERNICUS behauptete, war dies eine Folge der Kleinheit des
Effekts, der mit den damaligen Messmethoden nicht festzustellen war. Es
dauerte immerhin etwa 300 Jahre, bis die ersten Fixsternparallaxen tatsächlich
messtechnisch erfasst werden konnten.[124]
S.18f.
Auf dem Erkenntnisweg von COPERNICUS zu NEWTON kam es zu einer der
dramatischsten Auseinandersetzungen zwischen Geist und Macht, zwischen
Naturwissenschaft und Kirche. An dem Konflikt wird exemplarisch deutlich, wie
tief die althergebrachte geozentrische Weltvorstellung zum Bestandteil einer
für verbindlich erklärten Weltsicht geworden war, zu einer ideologischen Hülle
des katholischen Christentums - ein Vorgang, der in der Geschichte
keineswegs einmalig ist. …
Zu Lebzeiten des COPERNICUS gab es noch keinen Konflikt zwischen der
katholischen Kirche und den Verfechtern des heliozentrischen Weltsystems. …
Durch die erheblichen Abweichungen zwischen dem gebräuchlichen julianischen
Kalender und den Positionen der Sonne war eine Unordnung in das Kalendersystem
gekommen, die der Kirche ernsthafte Sorgen bereitete. Die Ursache lag in der
unzutreffenden Annahme über die Länge des Jahres von 365,25 Tagen, wie sie dem
julianischen Kalender zugrunde lag. Zur Lebenszeit des COPERNICUS klaffte zwischen
dem kalendarischen Frühlingsanfang und dem astronomischen Frühlingsanfang
bereits eine Lücke von ca. 10 Tagen. …
Da die beweglichen Feste im Kirchenkalender (Ostern und Pfingsten) direkt an
das Datum des Frühlingsanfangs angeschlossen sind (Ostern ist z. B. der erste
Sonntag nach dem ersten Vollmond nach Frühlingsanfang), wusste man nicht
mehr, wann eigentlich wirklich Ostern war.
Daher nahm die Kirche jede Bemühung um eine Reform der Astronomie mit großem
Interesse auf. Ein prinzipieller Widerspruch zwischen kirchlichen Lehren und
astronomischen Thesen war damals nicht zu erkennen. Es gab aber vereinzelt
auch Äußerungen aus kirchlichen Kreisen, in denen auf die Unvereinbarkeit
von (wörtlich ausgelegten) Bibelstellen mit der Lehre des COPERNICUS hingewiesen
wurde.
(Quelle:
P21 PAETEC; Astronomie,
Gymnasiale Oberstufe, Paetec, Berlin 2001)
weiter aus (Quelle: P21 PAETEC; Astronomie,
Gymnasiale Oberstufe, Paetec, Berlin 2001)
So bezog sich z.B. MARTIN LUTHER (1483-1546)
auf das Buch Josua im Alten Testament der Bibel (Josua 10, 12-13), wo es heißt,
dass Josua die Sonne stillstehen hieß und sie „beinahe einen ganzen Tag"
später unterging als gewöhnlich. Josua konnte aber der Sonne nur befehlen
stillzustehen, wenn sie sich vorher bewegt hatte, argumentierte LUTHER. Und
COPERNICUS wird von ihm als „Narr" bezeichnet, der die „ganze Kunst
Astronomie umkehren“ wolle.[125] Die Auslegung
der Bibel in ihrem buchstabengetreuen Sinn stieß aber auf den Widerstand
namhafter Naturforscher, so z.B. auch KEPLERS, der ausdrücklich hervorhob: „In
der Theologie gilt das Gewicht der Autoritäten, in der Philosophie aber das
der Vernunftgründe." Und an anderer Stelle: „Heilig ist zwar Laktanz, der
die Kugelgestalt der Erde leugnete, heilig Augustinus, der die Kugelgestalt
zugab, aber Antipoden leugnete, heilig das Offizium unserer Tage, das die
Kleinheit der Erde zugibt, aber ihre Bewegungen leugnet. Aber heiliger ist mir
die Wahrheit, wenn ich, bei aller Ehrfurcht vor den Kirchlehrern, aus der
Philosophie beweise, dass die Erde rund, ringsum von Antipoden bewohnt, ganz
unbedeutend und klein ist und auch durch die Gestirne hineilt".
Hier deutete sich bereits ein Konflikt zwischen Kirche und Naturwissenschaft
an, der sich rasch dramatisch zuspitzen sollte und im Urteil der römischen
Inquisition gegen GALILEI (1564 bis 1642) einen historischen Gipfelpunkt
erreichte. Der eigentliche Kernpunkt bestand allerdings weniger darin,
wie man die Bibel richtig auslegen sollte und welche Kompetenz der Wissenschaft
überhaupt zukommt, sondern in dem grundsätzlichen Angriff auf das
christlich-aristotelische Weltbild. Die Stellung des Menschen im
„Welttheater" erfuhr eine durchgreifende
Änderung: Der Mensch sollte sich künftig nicht mehr im Zentrum der Welt
befinden (folglich übrigens auch der Papst nicht mehr) und die Reiche von
„unten" und „oben" gerieten in Gefahr. Oben - das war die Welt der
Seligen, die in Gottes Nähe wohnten. Unten - das war die Welt der Menschen,
ferner von Gott, wenn auch seinem sorgenden Auge ausgesetzt und auf Erlösung
hoffend.
Diese sittliche Weltordnung der Kirche war es, die gefährdet schien
durch die Anerkennung der heliozentrischen Lehre des COPERNICUS und deshalb
entbrannte der Konflikt. ...
Erst 1992 - im 350. Todesjahr GALILEIS – wurde der Gelehrte durch Papst
Johannes Paul II. rehabilitiert. [126]
Ein für alle Mal erklärte der Papst in diesem Zusammenhang, aus der Bibel könne
man nicht die Einzelheiten der physikalischen Welt entnehmen, deren Kenntnis
sei „der Erfahrung und dem Nachdenken des Menschen anvertraut". Vielmehr gäbe
es zwei Bereiche des Wissens: „Der eine hat seine Quelle in der Offenbarung,
der andere aber kann von der Vernunft mit ihren eigenen Kräften entdeckt
werden".
Die Auseinandersetzungen um die heliozentrische Lehre haben den Fortgang der
Wissenschaft insgesamt wenig beeinflusst, obwohl das Hauptwerk des COPERNICUS
seit dem Jahre 1616 praktisch verboten war, weil die dort geäußerten Meinungen
„nicht zum Verderben der katholischen Wahrheit weiter um sich" greifen
sollten.
(Quelle:
P21 PAETEC; Astronomie,
Gymnasiale Oberstufe, Paetec, Berlin 2001)
Zitate aus einem weiteren
Astronomie-Lehrbuch ergänzen die vorstehenden Ausführungen:
(Quelle:
P23 PAETEC; Dieter B. Herrmann; Faszinierende Astronomie; Paetec, Berlin, 2000)
S.12f.
Das griechische Weltsystem entsteht …
Einen bedeutsamen Einfluss auf die Herausbildung des griechischen Weltsystems
übte die Lehre von PLATON (427-347 v.Chr.) aus. Für ihn waren die
Sterne und die Planeten Lichter, in denen das Denken der „Weltseele“ zum
Ausdruck kommt. Deshalb konnten sich die Sterne nur auf der vollkommensten
denkbaren geometrischen Bahn, dem Kreis, bewegen.
Daraus ergab sich für die Astronomen die Zielstellung, alle beobachteten
Bewegungen auf Kreisbewegungen zurückzuführen. …
Mit dem geozentrischen Weltbild
wurde eine Vorstellung vom Aufbau des Weltalls entwickelt, die eine der
großartigsten Leistungen der antiken Wissenschaft war. Mit seiner Hilfe
gelang es, die Positionen der Wandelsterne im Voraus zu bestimmen. Das
war zugleich ein überzeugendes Argument für die Richtigkeit des Weltbildes.
Ein weiterer Vorzug des geozentrischen Weltbildes war seine Übereinstimmung
mit der damals fortgeschrittensten Physik, (der) des ARISTOTELES (384-322
v.Chr.). Nach ARISTOTELES haben alle Körper die Eigenschaft, sich zu ihrem
„natürlichen Ort“ zu bewegen. Der „natürliche Ort“ der schweren Körper sollte
die Weltmitte sein. Da die Erde zweifellos ein schwerer Körper ist, musste sie
sich nach der Theorie vom „natürlichen Ort“ in der Weltmitte befinden.
S.15
Bereits im Jahre 1502 begann der bedeutende Forscher NIKOLAUS KOPERNIKUS mit
der Ausarbeitung eines Weltbildes, bei dem nicht die Erde, sondern die Sonne
im Zentrum steht.
Von diesem Gedanken ausgehend, arbeitete KOPERNIKUS fast 30 Jahre lang daran, das
heliozentrische Weltbild mathematisch so zu entwickeln, dass es dem
geozentrischen System des PTOLEMÄUS zumindest ebenbürtig war.[127] Dabei hielt er
auch an der Auffassung fest, dass sich alle Planeten auf Kreisbahnen bewegen.
Seine Erkenntnisse fasste KOPERNIKUS in einem Werk zusammen, das 1543 unter dem
Titel „Über die Umschwünge der himmlischen Kreise“ (De revolutionibus orbium
coelestium) erschien.
Beweise für die Hypothese von der Mittelpunktstellung der Sonne hatte
KOPERNIKUS nicht.
S.16f.
Streit um das Weltbild
Das Werk des KOPERNIKUS führte wenige Jahrzehnte nach dem Tod seines
Verfassers zu einer stürmischen Debatte, die sowohl mit rein fachlichen
Argumenten als auch zunehmend mit Blick auf die christliche Lehre geführt
wurde.
Zunächst wurde behauptet, die Hypothese des heliozentrischen Weltbildes stehe
im Widerspruch zur Bibel. Doch bald ging es um mehr als nur um Bibelzitate. Die
Einmaligkeit der Offenbarung, die Berichte vom Sündenfall und von der Erlösung
passten nicht zu einer Lehre, deren Kernpunkt in der Behauptung bestand, die
Erde sei nur ein Planet unter anderen.
GIORDANO BRUNO (1548-1600) vertrat, ausgehend von der Lehre des
KOPERNIKUS, die Auffassung, dass es unzählige Planeten im Universum gäbe, die
ebenso von denkenden Wesen bewohnt seien wie die Erde …
Etwa ab 1616 wurde die Lehre des KOPERNIKUS zu einer Glaubenssache der
Kirche. Die Auseinandersetzungen der Inquisition mit den Auffassungen
GALILEIS führten zu seiner formalen Verurteilung. Die Beschäftigung mit dem
Fall GALILEI hat seither niemals aufgehört.
Unter Papst JOHANNES PAUL II. wurde eine Überprüfung des Falls GALILEI
eingeleitet, die 1992 – im 350. Todesjahr des Gelehrten – zu dessen
Rehabilitation durch die Kirche führte.
Der Papst erklärte in diesem Zusammenhang vor der Päpstlichen Akademie der
Wissenschaften, der Fall GALILEI könne der Kirche die bleibend aktuelle
Lehre für ähnliche Situationen sein: „Galilei, der praktisch die
experimentelle Methode erfunden hat, hat dank seiner genialen Vorstellungskraft
als Physiker und auf verschiedene Gründe gestützt verstanden, dass nur die
Sonne als Zentrum der Welt, wie sie damals bekannt war, ... infrage kam. Der Irrtum
der Theologen von damals bestand dagegen am Festhalten an der Zentralstellung
der Erde in der Vorstellung, unsere Kenntnis der Strukturen der physischen Welt
wäre irgendwie vom Wortsinn der Heiligen Schrift gefordert. ... Tatsächlich
beschäftigt sich die Bibel nicht mit den Einzelheiten der physischen Welt,
deren Kenntnis der Erfahrung und dem Nachdenken des Menschen anvertraut
wird."
(Quelle:
P23 PAETEC; Dieter B. Herrmann; Faszinierende Astronomie; Paetec, Berlin, 2000)
2.2.4 Annäherung an eine Grenzfrage:
„Urknall“
2.2.4.1 Annäherung an eine
Grenzfrage: „Urknall“
Darstellung in Lehrbüchern
für das Unterrichtsfach
PHYSIK für die Sekundarstufe
1
Die Frage nach der
physikalischen Herkunft des Universums wirft naturgemäß grundsätzliche und
philosophische Fragen auf, auch solche nach Erkenntnisgrenzen der Naturwissenschaft.
In Physik-Lehrbüchern für die Sekundarstufe 1 werden solche Aspekte aber kaum
thematisiert (das geschieht z.B. „sparsam“ in P4 S.80f.; P6 S.110).
2.4.4.2 Annäherung an eine Grenzfrage:
„Urknall“
Darstellung in Lehrbüchern
für das Unterrichtsfach
PHYSIK für die Sekundarstufe
2
Ein Lehrbuch weist auf eine
interessante Fußnote der Wissenschaftsgeschichte hin:
(Quelle:
P13 METZLER; Grehn, J. / Krause, J. (Hrsg.): Physik, Schroedel Verlag,
Hannover, 1998, S.548)
15.1.4
Die Expansion des Universums
... ein stabiles und damit stationäres Universum sollte es nach EINSTEINS
Gravitationstheorie jedoch nicht geben. FRIEDMANNS Erkenntnis von einem
instabilen Kosmos blieb zunächst unbeachtet, bis der belgische Abbe George
LEMAITRE [128]das Problem
aufgriff und, gestützt auf HUBBLES Beobachtung, die Vorstellung von einem
expandierenden Universum entwickelte, das in einer großen Explosion, dem so
genannten Urknall, seinen Anfang nahm. Nach dieser heute allgemein
akzeptierten Theorie ... [129]
Auch die Darlegungen in
einem weiteren Lehrbuch „verlocken“ zu grundlegenden philosophischen
Überlegungen:
(Quelle:
P14 SCHROEDEL; Dorn / Bader: Physik Sek II; Schroedel, Hannover, 2000)
S.530
Der Urknall und die Hintergrundstrahlung
… dass einst alle Masse, alle Energie, auf ein Universum von winzigem
Ausmaß konzentriert war. Außerhalb und vorher existierte nichts, kein Raum, keine Zeit! Das Universum hatte also einen
Anfang …[130]
S.531
Wir sind Sternenstaub
… Der Kohlenstoff in unseren Zellen, das Eisen im Blut und das Kalzium in
unseren Knochen ist früher einmal durch Supernova-Explosionen in den Weltraum
geschleudert worden. Wir bestehen also aus Sternenstaub.[131]
Auch das Lehrbuch P15
bringt auf S.296f. ähnliche Gedanken ein, besonders Denkanstöße zu
Erkenntnisgrenzen und Wissenschaftstheorie (zitiert in Kapitel 2.2.2.2)
Der nächste Text geht ausführlich auf philosophische
Implikationen der Urknallphysik ein und wird wegen seiner Prägnanz ausführlich
wiedergegeben:
(Quelle: P16 WESTERMANN; Kuhn, Physik,
Band 2 12/13; Braunschweig, 2004, S.513-524)
Modelle des Universums
47. Kosmologie
47.1 Kosmologie und Elementarteilchenphysik
In den vorhergehenden Abschnitten haben wir gesehen, wie die Physik versucht,
die vielfältigen Erscheinungen der Natur mit Hilfe weniger elementarer
Bausteine zu erklären. Dabei ist man immer weiter in den Mikrokosmos
vorgestoßen, d. h. man analysierte immer kleinere Teile der Materie.
Es entstand ein Bild der Materie, in dem man viele Eigenschaften komplexer
Systeme verstehen kann, wenn man nur die Existenz und die speziellen
Eigenschaften der fundamentalen Teilchen (bzw. der fundamentalen
Quantenfelder) als gegeben voraussetzt. Damit muß die Suche nach tiefliegenden
Erklärungen jedoch nicht aufhören.
Woher kommen die Elementarteilchen?
War die Materie schon immer so, wie sie heute ist?
Kann man die gegenwärtigen Eigenschaften der fundamentalen Teilchen mit Hilfe
ihrer Entstehungsgeschichte besser verstehen?
Diese Fragen verweisen auf eine Beschäftigung mit der Entwicklung des Universums. Die Verknüpfung von
Elementarteilchenphysik und Kosmologie, also die Verknüpfung der Theorien von
Mikrokosmos und Makrokosmos sind ein faszinierender Zweig der gegenwärtigen
Forschung. Die Symbiose von Kosmologie und Elementarteilchenphysik gibt den
Astrophysikern die Möglichkeit, physikalische Details der Vorgänge in der
Frühzeit des Universums zu verstehen, und hilft andererseits den
Teilchenphysikern, das Verhalten der Materie unter extrem hohen Temperaturen zu
erklären und vermittelt wesentliche Einblicke in die Entstehung der
Elementarteilchen. …
47.2 Entwicklung des Universums
In Kap. 9 sind wir auf die historische Entwicklung der Kosmologie eingegangen. In
allen Kulturkreisen gibt es Schöpfungsgeschichten.
Der entscheidende Aufbruch zu einer wissenschaftlichen Beschreibung und
Erklärung des Aufbaus des Kosmos vollzog sich in der Antike, als griechische
Denker die Schöpfungsgeschichten und mythologischen Vorstellungen über die
Natur durch neue Erklärungsmethoden ersetzten, in denen nicht mehr das Wirken
von Göttern, sondern die gesetzmäßige Ordnung der Naturkräfte zur Erklärung
der Phänomene herangezogen wurden. Am einflußreichsten war das
kosmologische Modell des Aristoteles, das noch das ganze Mittelalter bis zur
„kopernikanischen Wende" prägte. Seit Kopernikus und der Erfindung des
Fernrohres galt die Erde nicht mehr als das Zentrum der Welt, sondern nur noch
als ein kleiner Planet des Zentralgestirns Sonne. Im Laufe der weiteren
Entwicklung der Astronomie verlor auch unsere Sonne ihre Sonderstellung. Sie
wurde als ein Stern unter Milliarden anderer gleichartiger Sterne in unsere
Milchstraße (Galaxie) eingeordnet. Riesige moderne Teleskope haben uns die
Erkenntnis vermittelt, daß es — ähnlich wie unser Milchstraßensystem — noch
Milliarden von Galaxien gibt. …
47.5 Gravitation bestimmt die
Entwicklung im Kosmos …
Probleme des kosmologischen „Urknall“-Modells
…
Das Flachheitsproblem
Die Frage, ob das Universum sich immer weiter ausdehnt oder ob es sich wieder
einmal zusammenziehen wird, hängt, wie wir gesehen haben, von der heutigen
Materiedichte ab.
Wenn die Materiedichte genau mit der kritischen Dichte ρk
übereinstimmt (ε = 0), dann sprechen wir von einem „flachen"
Universum. Die beobachtete Dichte ρm kommt dem Wert der
kritischen Dichte ρk sehr nahe.
Unser Universum ist daher „fast flach".
Diese erstaunliche Tatsache bezeichnet man als Flachheitsproblem.
Im Prinzip könnte nämlich der heutige Dichtewert entweder weit unter- oder weit
oberhalb der kritischen Dichte ρk liegen.
Damit beim heutigen Weltalter der Wert ρm vorliegen kann, muß
bei einem Weltalter von 1 s die damalige Dichte extrem genau gleich der
kritischen Dichte ρk gewesen sein (Abb. 516.2). Es müßte
demnach für dieses frühere Entwicklungsstadium eine extreme Feineinstellung der
Materiedichte, die nur einen maximalen Fehler der Größenordnung 10-15
zuläßt, existiert haben. Im Rahmen des Standardmodells ist jedoch kein
physikalischer Mechanismus denkbar, der eine solche extreme Feinabstimmung
hätte bewirken können.
Begründungsstrategien
Im Standard-Modell werden das Horizontproblem und das Flachheitsproblem durch Setzen
entsprechender Randbedingungen
„gelöst". Ein solches Setzen von Anfangsbedingungen ist in der Physik ein
legitimes und unvermeidliches Verfahren. Dadurch gelingt es, aus einem allgemeinen
Gesetz spezielle Aussagen für eine konkrete Situation zu gewinnen. Im naturhistorischen
Kontext der Kosmologie erhebt sich jedoch die Frage:
„Was oder wer hat diese
Ausgangsbedingungen gesetzt?"
Naturwissenschaftlich sucht man die Rückführung der Randbedingungen auf einen neuen physikalischen Mechanismus.
Diese Erklärung von Anfangsbedingungen durch
gesetzliche physikalische Begründungen bezeichnet man in der Wissenschaftstheorie als Übergang von einer „deskriptiven" (beschreibenden)
zu einer „explanativen" (erklärenden) Betrachtungsweise.
Dabei sollte man jedoch bedenken, daß Letztbegründungen nicht möglich sind.
47.6 „Inflationäres" Szenarium
Um die aufgezeigten Probleme des Standard- oder Urknall-Modells zu lösen, wurden verschiedene theoretische
Konzepte entwickelt.
Das heute am meisten diskutierte Modell bezeichnet man als „Inflationäres Universum".
Sein Grundgedanke ist, daß sich das Universum in der Zeit von 10-43 bis 10-36 s (vgl. Abb. 520.1)
ungeheuer schnell, d. h. in
„inflationärer" Weise beschleunigt ausgedehnt hat.
Mit diesem Modell läßt sich sowohl
das Horizontproblem als auch das Flachheitsproblem verstehen.
Unser Universum ist nach dieser Vorstellung durch explosive Aufblähung
eines mikroskopischen Bereiches entstanden. …
Auch die Bildung von Galaxien kann in
diesem Modell verstanden werden.
Die explosionsartige, beschleunigte inflationäre Aufblähung löst zwar all diese
Probleme des Urknall-Modells. Aber, woher kommt eigentlich die Energie,
die eine solche gewaltige Explosion bewirken kann? Es gibt zwei
Möglichkeiten, diese Frage zu beantworten. Man kann das Auftauchen der Energie
als „Schöpfungsakt" aus dem „Nichts" im Sinne der christlichen
Religion als eine „creatio ex nihilo"
deuten (Augustinus).
Will man den Schöpfer als „Anfangsbedingung" vermeiden, dann muß man nach
einem physikalischen Mechanismus suchen, der eine Energieschöpfung aus dem
„Nichts '' erklären kann.
Unser an der klassischen Physik geschultes Denken sagt uns zwar, „von
nichts kommt nichts", aber die Quantenphysik
hält jedoch die überraschende Erkenntnis bereit, daß das „Vakuum" kein physikalisches
„Nichts" ist, sondern daß der „leere" materiefreie Raum eine
höchst komplexe Struktur aufweist. Den Schlüssel zum Verständnis dieser
zunächst sehr überraschenden Situation liefert uns die Heisenbergsche
Energie-Zeit-Unschärfe[132]-Relation (vgl. S. 427):
ΔE x Δt > h (12)
Sie erlaubt eine Durchbrechung des Satzes von der Erhaltung der Energie um die
Größe ΔE, wenn entsprechend (12) Δt hinreichend kurz ist (vgl. S.
427). Die Möglichkeit einer sehr kurzfristigen Durchbrechung des Energieerhaltungssatzes
verleiht dem Vakuum die Eigenschaft, daß in ihm ständig virtuelle Teilchen
auftauchen und wieder verschwinden können. Diese „Quantenfluktuationen"
sind keine rein theoretischen Erfindungen. Ihr Realitätscharakter offenbart
sich bei recht ungewöhnlichen physikalischen Effekten. Der eindrucksvollste
Effekt zum Nachweis der Vakuumschwankungen ist der nach dem holländischen
Physiker Casimir benannte Effekt. …
47.8 Epilog
Nach dieser physikalischen
Erklärung erscheint uns die Evolution des Universums als spannendes Schauspiel.
Die acht Akte des kosmischen Dramas sind in Kurzform in Abb. 520.1 dargestellt.
Dabei wird deutlich, in welch entscheidender Weise die Regie der Handlung durch
Symmetrien und Symmetriebrechungen als Auswirkungen der verschiedenen
Kraftfelder und Teilchen bestimmt wird. Von besonderer Dramatik ist der zweite
Akt, das „Inflationäre Szenarium".
Für uns, die wir erst im letzten Akt selbst auftreten, sind trotz der
inneren Geschlossenheit des faszinierenden Evolutions-Modells des Kosmos
Fragen offen geblieben:
Was war vor dem Urknall?
Wodurch wurde der Urknall in Gang gesetzt?
Hat er einen Zweck oder ein Ziel?
Ist die Evolution des Kosmos „geplant" oder ein rein zufällig auftretendes
Ereignis?
Welche Rolle fällt uns als Beobachter und Mitspieler im kosmischen Drama zu?
Hat unser Dasein in diesem Universum einen Sinn?
Ähnliche Fragen werden auch in den Schöpfungsmythen der verschiedenen
Religionen gestellt. Die dort gegebenen Antworten verweisen auf ein höheres
Wesen, einen „Schöpfer" des Universums, der nach seinem Bauplan dem
Universum Zweck und Ziel gibt und menschlicher Existenz einen tieferen Sinn verleiht.
Wir wollen uns hier darauf beschränken, zu untersuchen, inwieweit es
möglich ist, mit physikalischen Methoden und Modellen Antworten oder
Teilantworten auf diese jeden denkenden Menschen bedrängenden Fragen zu
finden.
Was war vor dem Urknall?
Wenn die Frage nach dem „vor"
raumzeitlich verstanden wird, dann ist sie im Rahmen des Urknall-Modells physikalisch nicht sinnvoll, weil
es vor dem Big Bang weder Raum noch Zeit gab, sondern die Raum-Zeit erst in
dieser gewaltigen Explosion entstanden ist. Man kann dann nicht nach einer
gesetzmäßigen Erklärung des Urknalls fragen, sondern man muß die extremen
Verhältnisse zu Beginn der Explosion als physikalisch unerklärbare Anfangs- oder Randbedingungen des Urknall-Modells ansehen.
Im Rahmen des Urknall-Modells hat die Frage, was „vor" diesem spektakulären Ereignis war, keinen Sinn.
Gibt es andere physikalische Modelle, die das schwierige Problem der Anfangssingularität ohne Rückzug auf
das Setzen von Anfangsbedingungen bewältigen?
Als Versuch einer Antwort auf die Frage nach der Herkunft des Universums werden
zur Zeit Modelle diskutiert, bei denen das Universum weder Anfang noch Ende
hat. Im Rahmen solcher Modelle beginnt das Universum nicht durch einen
dramatischen Schöpfungsakt sein Dasein, sondern der Kosmos existiert ewig.
Während das Urknall-Modell einen die Explosion auslösenden „Schöpfer"
nicht ausschließt, stellt sich bei diesen Modellen ohne Anfangs- und
Endsituation das Problem der Herkunft der „Anfangsbedingung" nicht in
gleicher Weise.
Die Astrophysiker F. Hoyle, T. Gold und H. Bondi haben ein Steady-State-Modell entworfen, bei dem das Universum ewig „gleichbleibend" ohne Anfang und
Ende ist. Danach findet „Schöpfung" permanent statt, indem zwischen den
Galaxien Materie beständig neu entsteht. Dadurch wird angesichts der dauernden
Expansion des Kosmos ein „Zustand gleichbleibender
Materiedichte" aufrecht erhalten. Zur Erklärung der
Hintergrundstrahlung, dem Kronzeugen des Urknall-Modells, hat Hoyle einen
besonderen Mechanismus ausgedacht. Bei Supernova-Explosionen alter Sterne soll
deren Eisenkern in Form von winzigen Nadeln in den Raum zerstäuben, welche die
Mikrowellenstrahlung junger Sterne absorbieren, um sie dann als „Hintergrundstrahlung" auszusenden.
Nach diesem Modell sollte in 109 m3 eine einzige dieser
Eisennadeln zu finden sein. Ihr experimenteller Nachweis scheint daher wohl
aussichtslos.
Obwohl das Urknall-Modell noch nicht alle kosmischen Fragen, z. B.
Galaxienentstehung, hinreichend erklären kann, kommt ihm wegen seiner
größeren inneren Geschlossenheit im Vergleich zu den ad-hoc- Hypothesen des Stady-State-Modells der höhere
Erklärungswert zu.
In jüngster Zeit hat ein rein mathematisches
Modell von St. Hawking, in dem das Problem des Anfangs durch „Verräumlichung der Zeit" formal zum
Verschwinden gebracht werden kann, Aufsehen erregt. Ob dieses quantenkosmologische
Modell mit „imaginärer Zeit" und
„kosmischer Wellenfunktion" eine
physikalische Lösung der naturphilosophischen Problematik darstellt, ist hier
das eigentliche Problem. Ideengeschichtlich kann das Hawking-Modell als Mathematisierung der Weltsicht von Parmenides
(5. Jahrhundert v. Chr.), nach der die „wahre Welt unbeweglich und zeitlos,
ohne Ende und Anfang" sei, angesehen werden.
Bei Entstehungsprozessen verlangt unser kausales Erklärungsbedürfnis einen
„Verursacher". Dabei ist jedoch zu bedenken, daß logisch gesehen
der Begriff der Kausalität nicht die Forderung enthält, daß alle Kausalketten
einen Anfang in der endlichen Vergangenheit haben und einem unverursachten
ersten Schöpfungsakt entspringen müssen.
Bei der Behandlung des Inflationären Szenariums, das die Rätsel des
Urknall-Modells (Horizontproblem, Flachheitsproblem, Asymmetrie von Materie
und Antimaterie, Galaxienbildung) weitgehend erklären kann, sind wir bereits
auf das ihm zugrunde liegende Konzept einer „Energie-Schöpfung aus dem Nichts" eingegangen. Wir haben
erfahren, daß die Energie aus der Instabilität
des Quantenvakuums hervorgeht. Ist dies nun die physikalische
Interpretation der „creatio ex nihilo"
der christlichen Lehre bzw. hat das physikalische „Nichts" doch den Charakter einer ewigen, sich selbst
reproduzierenden „Ursubstanz"?
Die altorientalische Mythologie stellt an den Anfang ein ungeordnetes „Chaos" kosmischer Elemente und
Kräfte. Im Rahmen der griechischen Naturphilosophie formt sich der Kosmos aus
einem ewigen, zeitlich und räumlich unbegrenzten „Urstoff", dem „Apeiron"
Anaximanders (vgl. S. 436), das bereits alle Tendenzen für die spätere
Entwicklung durch das Wirken eines an zielgerichteten (teleologischen)
Prinzipien gebundenen Weltenbaumeister (Demiurgen)
enthält.
Das Quantenvakuum steht offenbar
begrifflich in größerer Nähe zu der Apeiron-ldee
als die Vorstellung eines absoluten
„Nichts".
Hinsichtlich der Fragen, wodurch der
Urknall verursacht wurde, ob ein Plan
und Ziel dahinter stehen, sind
in allerjüngster Zeit interessante physikalische Antworten versucht worden.
Die Entstehung der Raum-Zeit mit der Materie wird als ein einziges, spontanes
Quantenphänomen ohne Ursache und Ziel („Quantenfluktuation")
interpretiert. In diesem Modell wird die rätselhafte Anfangssingularität durch
die Aussage umgangen, das Universum sei durch einen „quantenmechanischen Tunneleffekt" (vgl. S. 436) ins Dasein
getreten, also ein Ereignis, wie es eben von Zeit zu Zeit vorkommen kann. …
Es bleibt die Frage, in welchem Sinne eine solche formale Antwort
ontologisch befriedigend sein kann.
Hat das Universum ein Ziel oder einen
Sinn?
Die Frage, ob der Mensch letztlich das Ziel der ganzen Entwicklung des
Universums sei, wird von Kosmologen kontrovers diskutiert.
Das sogenannte Anthropische
Prinzip
„Das Universum ist so, wie es ist,
weil es uns Menschen gibt", kann als eine Art Gegenbewegung zum
kopernikanischen Prinzip
angesehen werden, das seit Kopernikus den Menschen Schritt für Schritt aus der
räumlichen Mitte des Universums vertrieben hat.
Einerseits erscheint damit dem Planet Erde und seinen Bewohnern nicht der
Charakter des Einmaligen und Besonderen zuzukommen. Andererseits haben wir
als intelligente Beobachter für das Universum eine existentielle Bedeutung,
weil im Geist denkender Individuen das
Universum erst seiner selbst ansichtig werden, sich erkennen kann.
Damit wäre der Mensch nicht zu einem „heimatlosen Zigeuner am Rande des
Universums" (Monod) degradiert, sondern auf ganz unerwartete Weise in
seiner Teilhaber- und Beobachterrolle,
als Wesen, in dessen Denken sich der Kosmos gleichsam „spiegelt".
Gibt es physikalische Indizien dafür,
daß die Evolution des Kosmos nicht rein zufällig ist, sondern nach einem Plan
verläuft?
Einen Hinweis könnte uns die Feinabstimmung
der Fundamentalkonstanten geben: Elementarladung e, Plancksches
Wirkungsquantum h, Lichtgeschwindigkeit c, Gravitationskonstante G,
Hubble-Konstante H0, Masse des Elektrons me Masse des
Protons mp, Stärke der starken und schwachen Wechselwirkung gs,
gw.
Die Werte dieser Fundamentalkonstanten bestimmen nicht nur die Größe der Kerne,
Atome und Moleküle, sondern auch die der Planeten, Sterne und Galaxien. So
hätte z. B. nur ein sehr geringfügig größerer Wert der starken Kraft dazu
geführt, daß beim Urknall alle Wasserstoffkerne „verbraucht" d.h. zu Helium
fusioniert worden wären. Ohne diesen wichtigen Brennstoff wäre dann ein öder,
langweiliger Kosmos ohne Beobachter zurückgeblieben. Würde im Rahmen der
Feinabstimmung die schwache Kraft nur etwas von ihrem beobachteten Wert
abweichen, dann gäbe es keine Supernova-Explosionen, aus deren „Asche" die
schweren Elemente, z. B. der für die Entwicklung des Lebens wichtige
Kohlenstoff, hervorgegangen sind.
Ganz geringe Änderungen der Werte der
Fundamentalkonstanten würden zu einem Kosmos führen, in dem kein menschliches
Leben entstehen kann.
In dieser Sichtweise erscheint das ganze kosmische Arrangement wie ein
„Maßanzug" für den Menschen. Um in der Metapher zu bleiben, erhebt sich
damit die Frage nach dem „kosmischen Schneider". Ist es ein
personaler Schöpfer oder handelt es sich um ein bisher noch nicht erkanntes
grundlegend neuartiges Steuerungsprinzip, das im Selbstorganisationsprozeß aus dem Chaos den Kosmos formt?
Ist das Anthropische Prinzip eine Antwort auf die Frage nach Ziel und Sinn des
Universums? Ausgangspunkt der Überlegungen waren die deskriptiven
Tatsachen der hohen Isotropie des Universums, wie sie uns in der heutigen
Hintergrundstrahlung erscheint und das unwahrscheinliche Faktum, daß unser
Universum nahe der kritischen Rate
expandiert, die gerade den Rekollaps vermeidet, um die für die Existenz
eines menschlichen Beobachters notwendigen Voraussetzungen eines bewohnbaren
Universums zu schaffen.
Die Frage ist jetzt: Hatte ein verborgener Plan den Menschen zum Ziel oder ist
die exakte Feinabstimmung der Fundamentalkonstanten nur eine subjektive
Spiegelung des Zusammenhangs zwischen dem Beobachter und seinen notwendigen
Existenzbedingungen?
Die scheinbare Unwahrscheinlichkeit kosmischer Koinzidenzen läßt sich im Rahmen
der in Kap. 36.3 diskutierten Everett- Wheeler-Graham–Interpretation der
Quantenmechanik ohne teleologische Ausrichtung mit der Vielwelten-Hypothese deuten.
Demnach existieren viele Universen nebeneinander.
Die Mehrheit dieser Welten ist jedoch nicht erkennbar, weil hier eben kein
Beobachter existieren kann. Beobachter gibt es nun in jenen Untermengen von
Universen, welche die für seine Existenz notwendigen Bedingungen enthalten.
Obwohl die vielen Welten physikalische
und keine metaphysischen Welten sind, bleibt doch die Frage, ob dieser
ungewöhnliche begriffliche Aufwand als eine Erklärung der erstaunlichen Feinabstimmung
der Parameter angesehen werden kann. David Lewis meint, die
Vielweltenhypothese liefere zwar keine Erklärung, aber einen Grund, warum wir
keine Erklärung benötigen.
Ziel der physikalischen Kosmologie ist es, alle zunächst als Anfangsbedingungen
gesetzten Unverständlichkeiten aus einer selbstkonsistenten Struktur des
Universums kausal aus einigen wenigen
Grundprinzipien zu erklären.
Horizont- bzw. Kausalitätsproblem und das Flachheitsproblem haben im Rahmen des
Inflationären Szenariums eine dynamische Erklärung gefunden.
Bei diesen mathematischen Erklärungen des Kosmos müssen wir immer
bedenken, daß es sich bei den augenblicklich diskutierten theoretischen
Konzepten um Modellvorstellungen
handelt, mit denen man versucht, physikalische Aspekte der
„Wirklichkeit" in einem einfachen Bild einzufangen.
Die Beschäftigung mit der Kosmologie hat uns wichtige Einsichten hinsichtlich
unserer Rolle als Beobachter und Teilhaber des Universums vermittelt.
Dies führt zur letzten Frage:
Hat unser Leben in diesem Universum
einen Sinn?
Eine Antwort kann nicht direkt aus den physikalischen Erkenntnissen deduziert werden.
I. Kant hat die Grundfragen der Philosophie prägnant formuliert:
Was kann ich wissen? -
Was soll ich tun? -
Was darf ich hoffen? -
Antworten auf die erste Frage gibt die Physik. Die zweite Frage betrifft die
Ziele und Maßstäbe unseres Handelns.
Solche „praktischen Fragen der Philosophie" sind nicht mit Hilfe der
deskriptiven (theoretisch beschreibenden) Methode der Naturwissenschaft zu
beantworten.
Diese Unterscheidung betont I. Kant in einer berühmten Formulierung am
Ende seiner Schrift „Kritik der praktischen Vernunft":
„Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit
immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender
sich das Nachdenken damit beschäftigt: der gestirnte Himmel über mir und das
moralische Gesetz in mir."
Trotz der Verschiedenheit der „zwei Dinge" darf man dennoch hoffen, daß jene „Bewunderung und Ehrfurcht"
vor dem naturgesetzlich, harmonisch geordneten Kosmos nicht ohne Wirkung auf
moralisches, verantwortungsvolles und humanes Handeln sein kann.
Dieser Hoffnung verlieh Euripides
vor zweitausend Jahren am Beginn des naturwissenschaftlichen Denkens
dichterischen Ausdruck:
„Glücklich ist, wer Erkenntnis gewann vom
erkundbaren Wesen der Dinge.
Denn er trachtet nicht nach dem Leide des Menschen.
Nicht sinnt er auf unechte Taten.
Wer überdenkt den nichtalternden Kosmos,
Wie er — unsterblicher Natur - besteht eh und je,
Erliegt nicht der Versuchung zum schändlichen Handeln!" [133]
(Quelle: P16 WESTERMANN; Kuhn, Physik,
Band 2 12/13; Braunschweig, 2004, S.513-524)
Auswertung der Lehrbücher
für das Fach RELIGION
(Sachsen 2007/2008)
Teilband 2.3: |
||
Kapitel |
Inhalt |
Seite |
2.3 |
Der Umgang mit Erkenntnisgrenzen der Naturwissenschaft
sowie die Darstellung und Behandlung von philosophischen und religiösen
Fragen in Schullehrbüchern für das Unterrichtsfach RELIGION im Freistaat
Sachsen - 2007/2008 |
157 |
2.3.1 |
Lehrpläne für den Freistaat Sachsen 2004 (RELIGION) |
158 |
2.3.2 |
Zu Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft |
163 |
2.3.3 |
Zum Verhältnis zwischen Glaube und
Naturwissenschaft - |
165 |
2.3
Der Umgang mit Erkenntnisgrenzen der Naturwissen-
schaft sowie die Darstellung und
Behandlung von
philosophischen und religiösen
Fragen in
Schullehrbüchern für das
Unterrichtsfach RELIGION
im Freistaat Sachsen - 2007/2008
In diesem Kapitel werden
zunächst die Lehrpläne des Freistaates Sachsen für das Fach RELIGION in
Auszügen vorgestellt.
Anschließend sind Aussagen aus den im Schuljahr 2007/2008 zugelassenen
Schul-Lehrbüchern zusammengestellt, wobei nacheinander auf zwei
unterschiedliche Fragen eingegangen wird.
In den beiden Kapiteln werden die Lehrbücher in der Reihenfolge vorgestellt, in
der sie im Quellenverzeichnis erfasst sind.
2.3.1 Lehrpläne für den Freistaat Sachsen 2004
(RELIGION)
In den
Lehrplänen werden unter anderem folgende Abkürzungen verwendet:
MS = Mittelschule
GY = Gymnasium
LB = Lernbereich
Gk = Grundkurs
LK = Leistungskurs
WG = Wahlgrundkurs
AST = Astronomie
BIO = Biologie
ETH = Ethik
PH = Physik
RE/e = evangelische Religion
RE/k = katholische Religion
(Quelle: Lehrpläne des
Freistaates Sachsen 2004)
A1) Mittelschule evangelische Religion
(MS-RE/e)
S.2
Ziele und Aufgaben des Faches evangelische
Religion
… theologisches Reflektieren der Vieldimensionalität
der Wirklichkeit …
S.24
Klassenstufe 10
Lernbereich 1: Die
Botschaft der Bibel
Einblick gewinnen in Theorien zur Entstehung der
Welt und des Weltalls durch Nutzung ausgewählter Medien
Urknalltheorie, Evolutionstheorie
(Verweis auf BIO[134] Kl.9, LB2) …
Anwenden der Kenntnisse über die biblischen
Schöpfungsberichte im Vergleich mit naturwissenschaftlichen
Weltentstehungstheorien
Weltbilder
Schöpfungsmythen in anderen Völkern
Vergleich der biblischen Schöpfungsberichte[135] …
Kennen von Glauben und Wissen als zwei
verschiedene und zugleich zusammenhängende Zugänge zur Wirklichkeit …
Naturwissenschaftliche Methoden[136]
Modellvorstellungen …
A2) Mittelschule katholische Religion
(MS-RE/k)[137]
S.25
Klassenstufe 9
Lernbereich 2:
Botschaft der Bibel
Einblick gewinnen in Theorien zur Entstehung der
Welt und des Weltalls durch Nutzung ausgewählter Medien …
Urknall- und Evolutionstheorie und deren
Weiterentwicklung[138]
in Zusammenarbeit mit PH
(Verweis auf BIO[139] Kl.9, LB2 und BIO Kl.10, LB2) …
Anwenden der Kenntnisse über die biblischen
Schöpfungsberichte im Vergleich mit naturwissenschaftlichen
Weltentstehungstheorien …
Weltbilder in geschichtlicher Entwicklung
Stationen der Auseinandersetzungsgeschichte zwischen
Religion und Naturwissenschaft …
Kopernikus … Galilei … Bruno … Darwin …
Weltbild und Wissenschaftsverständnis des 19.
Jahrhunderts
Marxismus – Leninismus als „wissenschaftliche
Weltanschauung“ [140]…
Kennen von Glauben und Wissen als zwei
verschiedene und zugleich zusammenhängende Zugänge zur Wirklichkeit …
Naturwissenschaftliche Erkenntnismethoden,
hypothetischer Charakter, Glaube an die Erkennbarkeit der Welt
Chancen und Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis[141] …
B1) Gymnasium evangelische Religion
(GY-RE/e)
S.2
Ziele und Aufgaben des Faches
Evangelische Religion
Das Fach Evangelische Religion hilft den Schülern, sich
in der Vielfalt möglicher Lebensentwürfe und Weltdeutungen zurechtzufinden
…
Leistungskurs … die Schüler setzen sich … mit Themen, Texten, Inhalten und
Modellen zur Welterfassung und Weltdeutung auseinander. Dadurch
erwerben sie vertiefte Kenntnisse, stärken ihr Methodenbewusstsein und
gelangen zu einer reflektierteren Sicht auf Theologie und Philosophie sowie
Welt und Gesellschaft …
Im Sinne eines hermeneutischen Zirkels sind weder
Wahrnehmen, Verstehen noch Deuten endgültig abschließbar …
multiperspektivisches Lernen …
S.34
Jahrgangsstufe 11 –
Grundkurs
Lernbereich 1: Religion
und Wirklichkeit
… Kennen der Konstruktion von Wirklichkeit in
Naturwissenschaft und Theologie …
Begriffsklärungen[142]:
Wirklichkeit und Wahrheit
Wahrheit und Richtigkeit
Wahrheit und Perspektivität
Wissenschafts- und Erkenntnistheorie …
Verhältnis Naturwissenschaft und Religion
Mythos und Logos …
Übertragen der Kenntnisse über Naturwissenschaft und Theologie auf die Rede
über Evolution und Schöpfung …
Begriffsklärungen: Schöpfung und Evolution
Historische Bedingtheit naturwissenschaftlicher
Weltbilder …
Exegese Gen 1-2, Ps 104
Vergleich mit antiken Schöpfungsmythen
Recherche zu neueren Weltentstehungstheorien
(Verweis auf BIO Kl.10, LB2 und PH Kl10, LB2; Interdisziplinarität
und Mehrperspektivität)
S.41
Jahrgangsstufe 11 – Leistungskurs
Lernbereich 1: Religion und Wirklichkeit
Sich positionieren zu religiösen Phänomenen in
Biografie und Alltag …
Welterklärung und Identitätsstiftung …
moderne Mythen, Kulte und rituelle Formen …
Formen säkularisierter Religion …
(Verweis auf: Reflexion und Diskursfähigkeit)
Kennen des Verhältnisses von Wissenschaft und Religion …
Begriffsklärungen:
Wissenschaft, Religion
Vernunft und Offenbarung
Theologie als Wissenschaft
Verhältnis Theologie und Naturwissenschaft
Wirklichkeit, Richtigkeit, Wahrheit und
Perspektivität
Wahrheitstheorien: …
Wissenschafts- und Erkenntnistheorie …
Welterklärung durch Mythos und Logos …
Physik, Metaphysik, Religion in der Antike
Dominanz der Theologie im Mittelalter
Wissenschaftsfeindlichkeit der Kirche
Kirchen- und Religionsfeindlichkeit der Wissenschaft
Nominalismus, Aufklärung …
Glaubensbekenntnisse moderner Naturwissenschaftler …
Pro- und Kontra-Diskussion
(Verweis auf: Interdisziplinarität und
Mehrperspektivität; Reflexion und Diskursfähigkeit)[143]
S.47
Jahrgangsstufe 12 –
Leistungskurs
Lernbereich 2: Kirche,
Reich Gottes und Eschatologie
… Kennen unterschiedlicher Raum- und
Zeitverständnisse …
Subjektivität der Wahrnehmung von Raum und Zeit
naturwissenschaftliches Verständnis
Relativitäts- und Chaostheorie …
S. Hawkins[144]: „Geschichte der Zeit“
(Verweis auf: PH Lk11, LB6; Interdisziplinarität und
Mehrperspektivität; Reflexion und Diskursfähigkeit)
B2) Gymnasium katholische Religion
(GY-RE/k)[145]
S.43
Jahrgangsstufe 11 – Leistungskurs
Lernbereich 2: Christlicher
Gottesglaube im Diskurs
Sich positionieren zum Spannungsfeld von Glauben
und Wissen …
Naturwissenschaft …
Glaubensbegriff, Wissensbegriff, Wahrheitsbegriff
Naturwissenschaftliche Modelle
Geschichte der Auseinandersetzung zwischen Religion und
Naturwissenschaft …
(Quelle: Lehrpläne des
Freistaates Sachsen 2004)
2.3.2 Zu Erkenntnismöglichkeiten der
Naturwissenschaft
und zu Wissenschaftstheorie -
Darstellung in Lehrbüchern
für das Unterrichtsfach
RELIGION
„…
da sandte das kybernetische Megahirn eine entmaterialisierte Elektronenwolke
herab. Vor den Augen seines gebannt starrenden Teams betrat Commander Jesus das
Kraftfeld und beamte sich zurück in die 5. Dimension …“
(Text zu einer Karikatur von MESTER, Quelle unbekannt)
Anschließend werden Zitate
aus Lehrbüchern für den Religionsunterricht wiedergegeben.
In der folgenden Auswertung werden nicht
alle Religionslehrbücher erfasst, die in Schulen in Sachsen verwendet werden.
Das liegt darin begründet, dass im Fach Religion keine verbindliche Zulassung
von Lehrbüchern durch das Sächsische Bildungsinstitut erfolgt – so wurden hier
nur die im Bestand des Bildungsinstitutes vorhandenen Bücher berücksichtigt.
Zum
einen ist erkennbar, dass eine kritische Reflexion der Arbeitsweise und der Erkenntnisgrenzen
der Naturwissenschaften stattfindet, dass aber auch mit Methoden der
historisch-kritischen Bibelexegese die Entstehungsgeschichte biblischer Texte,
ihr „Sitz im Leben“ damals und ihre Bedeutung für die Lebensbewältigung hier
und heute hinterfragt werden.
Es ist zu hoffen, dass vor allen Dingen eine Auseinandersetzung mit
unterschiedlichen Deutungen der entsprechenden Bibeltexte stattfindet, denn im
Fach Religion ist das noch weitaus wichtiger als die Auseinandersetzung mit
naturwissenschaftlichen Problemen.
Die Auseinandersetzung mit den weltanschaulichen und
ethischen Implikationen der modernen Naturwissenschaft (und Technik) erfolgt
zum Teil auf einem anspruchvollen, manchmal auch sehr abstrakten Niveau. Ob
Religionslehrer (allein auf sich gestellt) es wirklich leisten können, sich
auch mit fachspezifischen naturwissenschaftlichen Aspekten in der nötigen
Tiefe auseinanderzusetzen?
Dieses hohe Abstraktionsniveau, der kommentarlose
Abdruck bedeutungsschwangerer Texte, aber das weitgehende Fehlen von
formulierten Positionen machten es dem Leser schwer, Fußnoten anzubringen …
(Quelle: R1
VANDENHOECK & RUPRECHT; Koretzki, G.-R., Tammeus, R. (Hg.): Werkbuch
Religion – entdecken, verstehen, gestalten; Materialien für Lehrerinnen und
Lehrer, Göttingen 2002, S.78)
Intentionen
Die Schüler sollen …
das ständige Hinterfragen einer wissenschaftlichen Theorie als Notwendigkeit
erkennen und die Vorläufigkeit aller wissenschaftlichen Theoriebildung
reflektieren …
(Quelle: R3 PATMOS;
Zeichen der Hoffnung, Patmos Düsseldorf, 2002, S.36)
Der Stand der
Wissenschaften
… Aber je mehr wir
wissen, umso mehr wird uns bewusst, wie viel wir nicht wissen. Insgesamt spielt
in der Forschung die Beherrschung der technischen Medien (Radioteleskope,
Mikroskope, Computer usw.) ebenso eine Rolle wie kreative Intelligenz,
Phantasie, Glück und Zufall. Alle neu gewonnenen Einsichten unterliegen
grundsätzlich einer späteren Revision. Darum vermitteln die Wissenschaften keine unumstößlichen Wahrheiten, wohl
aber begründete Wahrscheinlichkeiten.
(Quelle: R4 CORNELSEN;
Religionsbuch Oberstufe, Cornelsen, Berlin, 2006)
S.68
Wissenschaftlich denken und arbeiten
…
Theorien in den Naturwissenschaften
…
S.69
Hypothese (griech:
Unterstellung): Annahme, Vermutung, mit der Protokollaussagen (etwa zum
Stand der Planeten) erklärt werden sollen (z.B. durch die Annahme elliptischer
Bahnen von Planeten um einen Zentralkörper im Ellipsenbrennpunkt) …
Wichtig:
Gesetze und Theorien sind grundsätzlich nie endgültig, sondern werden
bereits durch eine abweichende oder
gar gegensätzliche Beobachtung / Protokollaussage falsifiziert, sodass sie dann
neu formuliert oder gar zurückgenommen werden müssen. …
S.70
Die Anschaulichkeit ist ein anthropologisches Element, das man in die
Erkenntnis hineingetragen hat. Die Natur braucht nicht so beschaffen zu
sein, dass ihre Gesetze für uns anschaulich sind.
Wohl aber gibt es innerhalb der Theorien Bilder; man macht sich auch heute noch
anschauliche Bilder auf Grund einer
Theorie. Aber diese Bilder stellen dann niemals die gesamte Wirklichkeit des
betreffenden Gebietes dar, sondern immer nur eine Ansicht der Wirklichkeit
…
(Quelle: R5 CORNELSEN
/ VOLK UND WISSEN; Abenteuer Mensch sein, Cornelsen Berlin 2008)
S.205
In der Wissenschaft darf es keine Sätze geben, die einfach hingenommen werden.
…
Wissenschaftliche Theorien haben den Charakter von gut begründeten
Vermutungen, die jedoch durch neue Erkenntnisse widerlegt werden können …
S.207
Alles Wissen ist Vermutungswissen. Wir wissen zwar ungeheuer viel, aber
nichts wissen wir absolut sicher. (Karl Raimund Popper)
(Quelle: R7 CALWER /
DIESTERWEG; Kursbuch Religion, Oberstufe; Stuttgart – Braunschweig 2004, S.29)
Die Grenzen der Naturwissenschaft
sind in ihrer Erkenntnismöglichkeit zu sehen: sie kann nicht die
„Wirklichkeit / Natur an sich“ erfassen, sondern lediglich die unter ihren
experimentellen Voraussetzungen erkennbare Wirklichkeit.
(Quelle: R8 CORNELSEN;
Religionsbuch 7/8; Cornelsen, Berlin, 2001, S.64)
(Physikprofessor Knut
Petersen:)
Wir Naturwissenschaftler machen keinerlei Aussagen über das, was unser Leben so
reich macht, was uns so wichtig ist, dass wir ständig darüber nachdenken und
uns mit anderen austauschen. Das, was wir erleben, was wir fühlen und glauben,
Liebe und Freundschaft, Freude und auch Angst kommen in der Sprache der
Naturwissenschaften nicht vor. Und deshalb darf man auch nicht zu viel von ihr
erwarten.
2.3.3 Zum Verhältnis zwischen Glaube und
Naturwissenschaft -
Darstellung in Lehrbüchern
für das Unterrichtsfach
RELIGION
(Quelle: R1
VANDENHOECK & RUPRECHT; Koretzki, G.-R., Tammeus, R. (Hg.): Werkbuch
Religion – entdecken, verstehen, gestalten; Materialien für Lehrerinnen und
Lehrer, Göttingen 2002)
S.60
Die konfliktgeladene Polarität zwischen naturwissenschaftlicher Erklärung
der Weltentstehung und göttlicher Schöpfung liegt vor allem darin begründet,
dass aus den Erzählungen von der Schöpfung eine Schöpfungslehre gemacht
wurde, von der die Kirche anfangs glaubte, sie müsse sie gegen die neuen Erkenntnisse
der Naturwissenschaften verteidigen.
S.61
Wissenschaft will den Mechanismus des Universums herausfinden, Religion
seine Bedeutung (Charles Townes, Physiker)
(Quelle: R2
VANDENHOECK & RUPRECHT; Koretzki, G.-R., Tammeus, R. (Hg.): Religion –
entdecken, verstehen, gestalten - 9/10; Ein Unterrichtswerk für den
evangelischen Religionsunterricht, Göttingen 2002)
S.86
Ich habe niemals die Existenz Gottes verneint. Ich glaube, dass die
Entwicklungstheorie absolut versöhnlich ist mit dem Glauben an Gott. Die
Unmöglichkeit des Beweisens und Begreifens, dass das großartige, über alle
Maßen herrliche Weltall ebenso wie der Mensch zufällig geworden ist, scheint
mir das Hauptargument für die Existenz Gottes.
(Charles Darwin) [146]
S.89[147]
Bekenntnis der Creation Research Society[148]
1. Die Bibel ist das geschriebene Wort Gottes, und da wir glauben, dass sie
durch und durch göttlich inspiriert ist, sind alle ihre Behauptungen in ihren
ursprünglichen Manuskripten historisch und wissenschaftlich wahr.
2. Alle Grundtypen lebendiger Wesen, den Menschen eingeschlossen, wurden
geschaffen durch direkte, kreative Handlungen Gottes während der
Schöpfungswoche, wie im Buch Genesis beschrieben. Welche biologischen
Veränderungen seit der Schöpfung auch immer aufgetreten sein mögen, sie haben
lediglich zu Veränderungen innerhalb der ursprünglich geschaffenen Arten
geführt.
3. Die große Flut, die im Buch Genesis beschrieben wird und im Allgemeinen als
Noahs Sintflut bekannt ist, war ein historisches Ereignis von weltweiten
Ausmaßen und Auswirkungen.
4. Wir sind eine Organisation christlicher Wissenschaftler, die Jesus Christus
als unseren Herrn und Retter anerkennen. Der Bericht von der besonderen
Erschaffung von Adam und Eva als einem Mann und einer Frau und ihr
anschließender Sündenfall ist die Grundlage für unseren Glauben an die
Notwendigkeit eines Retters der ganzen Menschheit.
Grundzüge der Evolutionstheorie
Dieses Konzept
einer aufeinander folgenden und allmählichen Entwicklung der Pflanzen- und
Tierarten lässt sich auf drei Theorien reduzieren: 1. Vervielfältigung der
Arten, 2. allmähliche, graduelle Evolution, 3. natürliche Selektion.
Neueste Erkenntnisse der Genetik, der Populationsbiologie und der Ökologie
haben zu folgendem, erweiterten Erklärungskonzept geführt:
1. Mutationen ergeben die genetischen
Varianten und schaffen so neues Ausgangsmaterial.
2. Über die Umweltbedingungen wird eine Selektion
getroffen, indem einige nicht überleben
und andere sich stärker fortpflanzen.
3. Bei der reproduktiven Trennung bilden sich zwischen Populationen Isolationsmechanismen.
4. In extrem kleinen Populationen entscheidet der Zufall bzw. die Gendrift,
ob eine seltene Zustandsform eines Gens in der nächsten Generation fehlt oder
doppelt so häufig auftritt.
5. Das Einnischen bzw. Annidation von mutierten Populationen in
nicht genutzte Umweltbereiche kann zur Artbildung führen.
(Quelle: R3 PATMOS;
Zeichen der Hoffnung, Patmos Düsseldorf, 2002)
S.34
Mythen handeln oft von dem, was niemals war und immer ist.
S.38
Gott macht, dass die Dinge sich selber machen (Teilhard de Chardin)
S.40
Die biblischen Schöpfungstexte werden oft abgelehnt, weil man sie für längst überholt hält. Außer ein paar
Fundamentalisten – vor allem in den USA – glaubt heute niemand mehr, dass die
Welt vor ca. 6000 Jahren in sechs Tagen geschaffen wurde, dass Gott den
Menschen aus Ackerboden geformt und Eva aus der Rippe des Adam gebildet hat
oder dass der Tod erst durch die Sünde in die Welt gekommen sei. Aber das
verlangen die Texte auch nicht. Sie sind nicht das Zeugnis einer restlos veralteten Auffassung, die Christen
heute noch für richtig ansehen sollen. Sie sind nicht Dokumente vergangener
Weltbilder, die wider besseres Wissen zu akzeptieren wären. Die
biblischen Texte konkurrieren nicht mit den Naturwissenschaften. Sie tun etwas, was die
Naturwissenschaften nicht leisten können und wollen. Sie entwerfen Bilder des Glaubens, die nicht Realität
exakt beschreiben, sondern Sinn erschließen. Es geht ihnen nicht um Entstehung,
Alter, Größe und Gesetze dieser Welt, sondern um Welt und Mensch in der Perspektive
Gottes.
S.287
(Dieses Lehrbuch wurde) Zugelassen
durch die Lehrbuchkommission der Deutschen (katholischen) Bischofskonferenz;
Unterrichtswerk für den Religionsunterricht an Gymnasien, Gesamtschulen und
Realschulen
(Quelle: R6 CALWER /
DIESTERWEG; Das Kursbuch Religion 3 (Klassen 9/10); Stuttgart – Braunschweig 2007,
S.67)
(zur
Schöpfungserzählung in 1. Mose, 1.1-2,4a; Teil der so genannten Priesterschrift
P)
Für P gibt es einen Gegensatz zwischen naturwissenschaftlicher und
theologischer Erklärung der Entstehung von Welt und Mensch noch nicht …
Die entmythisierende Tendenz bei P bewirkt, dass das Weltall, dass Himmel und
Erde radikal entgöttert werden. Himmel und Erde werden darin für das
menschliche Forschen und Fragen zugänglich, dass ihnen jeder
mythisch-göttliche Charakter abgesprochen wird. So zeigt sich denn bei P schon
deutlich eine Richtung auf naturwissenschaftliches Denken hin dort, wo er
kategoriale Scheidungen wertet, wo er die Gestirne auf ihre bloße Funktion
reduziert, wo er die Entstehung der Pflanzen und Tiere in Gattungen begreift,
und schließlich auch, wo er die Entstehung der Welt in Perioden sieht. Diese
Schöpfungsdarstellung kann nicht auf einen absoluten Gegensatz zur wissenschaftlichem
Forschen festgelegt werden. 1.Mose1 schließt eine wissenschaftliche
Erklärung der Entstehung der Welt und der Entstehung des Menschen nicht aus,
sofern solche wissenschaftliche Erklärung für die gleiche ehrfürchtige
Anerkennung des Schöpfers frei bleibt, die den Schöpfungsbericht des P bestimmt
(Claus Westermann[149])
(Quelle: R7 CALWER /
DIESTERWEG; Kursbuch Religion, Oberstufe; Stuttgart – Braunschweig 2004)
S.20
Dem Mythos geht es nicht um eine rationale Erklärung der Weltphänomene und
ihrer Ursachen, sondern er erzählt von den guten Anfängen der Welt im Sinne des
Gründens, des Grundgebens, des Grundfesthaltens …
Der Mythos gibt Kunde von einem Urgeschehen, das „in jener Zeit“ geschehen ist,
und von dem alle weiteren Geschehnisse begründet, normiert und als sinn- und
heilvoll qualifiziert werden …Die altorientalischen Schöpfungsmythen und
analog die biblischen Schöpfungsgeschichten reden eigentlich nicht darüber,
wie es zu zu dieser Welt gekommen
ist, sondern wie diese Welt eigentlich ist,
wie der Mensch sie und sich in ihr sehen soll …
S.21
(Bruno, Galilei, Darwin)
Es war nicht ein Konflikt zwischen Theologie und Naturwissenschaft als solchen,
sondern zwischen der vergehenden religiösen Kultur des Mittelalters und der
aufkommenden säkularen Kultur der Modernen Welt. (Jürgen Moltmann)
S.22
Der Hinduismus ist keine Religion im üblichen Sinne mit schriftlich
fixierten Glaubensinhalten und Dogmen, die allgemein gültig und
unveränderlich sind. …
Der Hinduismus ist eher eine Föderation verschiedener Wege zum Einen, das allem
Leben zugrunde liegt. Dies gilt im Feld der Mythologie noch stärker. Die Schöpfungsmythen
belegen dies zu Genüge. Auch diese werden mit einem Schöpfergott oder auch ohne
ihn erzählt …
In einem gewissen Gegensatz zur Einmaligkeit des Schöpfungsmythos des
Judentums, Christentums und des Islams stehen die Schöpfungsmythen des Hinduismus.
Denn diese berichten von einem endlosen Kreislauf des Weltentstehens und
Weltvergehens. Auch die Zahl der Schöpfungskosmogonien ist pluralistisch
angelegt.
S.26
… fragt die Evolutionstheorie nach der Entwicklungsgeschichte des Menschen und
den dabei wirksamen Faktoren … Dem scheint die biblische Aussage, der Mensch
sei von Gott geschaffen, zu widersprechen. Der Widerspruch ist aber nur
scheinbar und liegt in den oben aufgezeigten Perspektiven einer komplexen
Wirklichkeit: auf der einen Seite die kausalanalytische Frage: „Wie wurde der
Mensch?“ (Evolutionsperspektive), auf der anderen Seite die existenzielle
Wesensfrage: „Was ist der Mensch?“ – eine Frage, die um metaempirische
Überlegungen nicht herumkommt (Glaubensperspektive).
„Weltall Erde Mensch“ -
Ideologisierte Naturwissenschaft im Bildungssystem der DDR
(Fach BIOLOGIE)
Teilband 3: |
||
Kapitel |
Inhalt |
Seite |
3 |
„Weltall Erde
Mensch“ - Ideologisierte Naturwissenschaft im Bildungssystem der DDR (Fach
BIOLOGIE) |
169 |
3.1 |
Eine „wissenschaftliche Weltanschauung“ als
ideologisches Fundament von Bildung und Erziehung |
170 |
3.2 |
„Weltall Erde Mensch“ (1955) |
170 |
3.3 |
Die „Grundsätze für die Gestaltung des
einheitlichen sozialistischen Bildungssystems“ (1964) |
178 |
3.4 |
Schulunterricht im Fach BIOLOGIE in der DDR in den
1970er und 1980er Jahren |
181 |
3.4.1 |
Die Unterrichtshilfen für Lehrer im Unterrichtsfach
BIOLOGIE Klasse 10 |
181 |
3.4.2 |
Das Lehrbuch für Schüler im Unterrichtsfach
BIOLOGIE Klasse 10 |
185 |
3 „Weltall Erde
Mensch“ - Ideologisierte Naturwissenschaft
im Bildungssystem der DDR (Fach
BIOLOGIE)
3.1 Eine „wissenschaftliche Weltanschauung“
als
ideologisches Fundament von Bildung
und Erziehung
Das ideologische Fundament
für den „sozialistischen Staat DDR“ bildete die „wissenschaftliche
Weltanschauung“ des Marxismus-Leninismus.
Sie verstand sich als besonders gesicherte und allein richtige Weltanschauung,
weil sie sich ganz wesentlich auch auf die „objektiven“, „wahren“ Erkenntnisse
der Naturwissenschaften stützte.
Diese Weltanschauung sollte
zunehmend auch zur tragenden Basis des sozialistischen Bildungssystems werden.
Im weiteren Text ist immer wieder auch von Ideologie die Rede. Zur inhaltlichen
Klärung des Begriffes, der in der marxistischen Philosophie – anders als in der
heutigen Erkenntnistheorie - durchaus auch positiv verstanden wurde, siehe
Exkurs „Ideologie“ in Teilband 1 Kap.1.2.4.1.
3.2 Weltall Erde Mensch (1955)
Schon frühzeitig war die
grundlegende Orientierung in dem Buch „Weltall Erde Mensch“ nachzulesen. Dieses
Buch wurde den Teilnehmern an der Jugendweihe (dem sozialistischen Ritual des
Übergangs ins Erwachsenen-Leben), also vielen Generationen von Jugendlichen in
den Jahren 1955 bis 1975 überreicht.
Zunächst werden einige Zitate aus diesem Buch wiedergegeben:
(Quelle: Q42 Weltall Erde Mensch, Verlag Neues Leben,
(Berlin) 1955)
S.3
(Walter Ulbricht)[150]
… In dem vorliegenden Buch wird, ausgehend von den Erkenntnissen der
fortgeschrittensten Wissenschaft, der Sowjetwissenschaft, die Entwicklung in
Natur und Gesellschaft dargelegt und den realen wissenschaftlichen
Erkenntnissen[151] entsprechend aufgezeigt, dass wir
durch unseren Kampf die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft zum Höheren,
zum Vollkommeneren beschleunigen können.
Gleichzeitig wird der Kampf gegen Aberglauben[152], Mystizismus, Idealismus und alle
anderen unwissenschaftlichen Anschauungen geführt. …
S.5
(Erich Honecker)
… Jeder Jugendliche wird mit Begeisterung und Spannung die vielen Beiträge über
die Entstehung der Erde und des Menschen aufnehmen. Gleichzeitig hilft
dieses Buch den Nebel zu zerreißen, der noch allzuoft über den Werdegang der
menschlichen Entwicklung, über die Entstehung der Natur und die Gesetze des
gesellschaftlichen Fortschritts gehängt wird …
S.7ff.
(Professor Dr. Robert Havemann [153]
Die Einheitlichkeit von Natur und
Gesellschaft
…wurde eine Naturgottheit nach der anderen entthront.
Als letzte blieb für einige Jahrtausende die eine Gottheit der
monotheistischen Religionen übrig, die nichts anderes darstellt als die nicht
weniger naive Personifizierung der Gesamtheit der vom Menschen noch unerkannten
Gesetzmäßigkeiten seines eigenen gesellschaftlichen Lebens. …
Die Ausbeuter waren darum stets daran interessiert, die ausgebeutete Klasse in
Dumpfheit und Unkenntnis zu erhalten. Die Inkarnation der Macht der
Ausbeuter über die Ausgebeuteten stellt der Zauberer, der Medizinmann, der
Hohepriester[154] dar, der direkt mit der Gottheit
verkehren kann, weil er selber um ihre Natürlichkeit weiß. …
Heute ist das einst revolutionäre Bürgertum zur
absterbenden Klasse einer untergehenden Gesellschaftsordnung entartet. Nichts
blieb vom dem Kampf gegen den phantastischen Glauben der Kirche…
Die moderne Naturwissenschaft, die sich auf
materialistischer Grundlage entwickelte, gelangt heute zu den gleichen
philosophischen Positionen, die schon von den großen griechischen Philosophen
errungen wurden und in den Worten des Heraklit unvergleichlichen Ausdruck
finden: „Die Welt, eine und dieselbe aus allem, hat keiner der Götter
noch Menschen gemacht, sondern sie war und ist und wird sein ewig
lebendes Feuer, nach Maß sich entzündend und nach Maß erlöschend.“[155]
… Wenn es auch heute viele und darunter bedeutende
Naturforscher gibt, die sich selbst nicht für Materialisten halten, so sind
diese Naturwissenschaftler doch in ihrer Arbeit im Laboratorium urwüchsige Materialisten
und geben sich nur sonntags, wenn die Arbeit ruht, zum Zwecke ihrer Erbauung
theologischen und idealistischen Spekulationen hin[156]. …
… Die längst verstaubten Ideen des englischen
Bischofs Berkeley aus dem Jahre 1710 werden seit Mach und Avenarius in immer
neuer Maskerade als angeblich allerneueste, streng wissenschaftliche Philosophie
der modernen Naturwissenschaft angepriesen. Und sie dienen doch alle,
einschließlich der Sophismen ihrer neuesten Vertreter, der englischen
Modephilosophen Bertrand Russell, Wittgenstein und Carnap, keinem anderen Zweck
als der Zerstörung der materialistischen philosophischen Grundlage der
Naturwissenschaft[157]…
Der große Einbruch in das mechanische Denken der
klassischen Naturwissenschaft erfolgte auf dem Gebiet der Biologie durch die
genialen Gedanken des großen Charles Darwin. Darwin bewies, dass nichts
unsinniger ist als die Vorstellung eines einmaligen Schöpfungsaktes aller Arten
und Gattungen von Lebewesen, die seit dem Tage der Schöpfung unverändert
existiert haben sollen. Darwin führte den dialektisch-materialistischen
Entwicklungsgedanken in die Biologie ein[158] Seit Darwin wissen wir, dass Pflanzen
und Tiere in einem langen Entwicklungsprozess sich von Stufe zu Stufe von
einfachen zu höheren und immer komplizierteren Formen weiterentwickelt haben
und dass auch der Mensch nichts anderes darstellt als die Fortsetzung des
allgemeinen biologischen Entwicklungsprozesses[159] …
… Im Unterschied zu allen vergangenen philosophischen
Lehren stellt der dialektische Materialismus kein System von Dogmen dar[160], sondern nur die Widerspiegelung
der objektiven Dialektik von Natur und Gesellschaft in der subjektiven
Dialektik der menschlichen Erkenntnis. …
Die allgemeinen Grundzüge der Dialektik, die von Stalin in genialer Weise formuliert[161] wurden …
… Da, wie der erste Grundsatz der Dialektik lehrt,
alle Erscheinungen in der Natur miteinander in unlösbarem Zusammenhang stehen,
liegt in der Beschränktheit unserer sinnlichen Wahrnehmungsfähigkeit
keinerlei Schranke für den Fortschritt unserer Erkenntnis.
S.19ff.
(Diedrich Wattenberg)
Unsere Erde und das Weltall …
Das kopernikanische Weltsystem …
Aber dennoch waren es zunächst Luther und Melanchthon, die auf die
Bibelwidrigkeit des Werkes[162] hinwiesen, weil an einer einzigen
Stelle (Josua 10,12) in der Bibel gesagt sei, „Sonne stehe still zu Gibeon“.
Das sollte, wie Luther meinte, so auszulegen sein, dass die zuvor bewegte Sonne
stillgestanden habe, und nicht die Erde. Aber nicht nur die rein astronomischen
Beziehungen waren es, die einen solchen Widerspruch auslösten, sondern vor
allem auch rein religiöse Grundannahmen, die in der anthropozentrischen (den
Menschen in den Mittelpunkt stellenden) Weltauffassung der Bibel ihren Ausdruck
fanden. …
Aber auch die Astronomen haben das neue Weltbild
nicht sofort angenommen. Das lag daran, weil es einmal noch keinen
unmittelbaren und nicht widerlegbaren Beweis für die Wahrheit des neuen Systems
gab, und zum anderen auch daran, dass Kopernikus eine ihnen wohlvertraute
Denkgewohnheit erschütterte …
So wurde Tycho de Brahe (der als der größte beobachtende Astronom des 16.
Jahrhunderts galt) zu einem Gegner des Kopernikus, weil die Beobachtungen ihm
keine andere Wahl zu lassen schienen …[163]
Es ist (heute) gelungen, ein umfangreiches
Tatsachenmaterial zu sammeln, das es gestattet, eine wissenschaftlich
begründete Entwicklungsgeschichte des Weltalls zu schreiben. In einer
solchen Kosmogonie bleibt für mystische Gedankengänge kein Raum. Die
Materie selbst ist an keinen Ursprung gebunden; sie ist ewig währender Bestand
des Weltalls[164], aber doch eindeutiger
Entwicklungen fähig. …
S.125ff.
(Prof. Dr. Jacob Segal)
Wie das Leben auf der Erde entstand
… Die Theorie der „natürlichen Zuchtwahl“, wie sie
Darwin nannte, geht im wesentlichen von zufälligen, angeborenen Schwankungen
der Tierart aus und zieht die im Laufe des individuellen Lebens dabei erlittenen
Veränderungen kaum in Betracht. Später wurde unter dem Einfluss Weismanns diese
einseitige Beurteilung noch übertrieben.[165] Weismann und seine Nachfolger
leugnen überhaupt, dass Veränderungen eines Lebewesens nach seiner Zeugung auf
die Nachkommen vererbt werden können. Nennenswerte Veränderungen der Arten
können nach Ansicht der Weismannisten nur dadurch entstehen, dass in der
Erbmasse von Zeit zu Zeit zufällige Änderungen auftreten, sogenannte
Mutationen, die erbliche Veränderungen hervorrufen können. … Es ist schwer,
sich die Entwicklung der Arten durch Anhäufung nützlicher zufälliger
Mutationen vorzustellen. Ein lebender Organismus stellt einen Präzisionsapparat
dar, bei dem sämtliche Teile aufs genaueste aufeinander abgestimmt sind. Wird
ein Teil abgeändert, so müssen Hunderte andere ebenfalls umgebaut werden, wenn
die Gesamtleistung gerettet werden soll. In der Tat sind die uns bekannten
Mutationen vom biologischen Standpunkt als Misserfolge zu werten. … Wirklich
biologisch nützliche Mutationen scheinen zur Zeit nicht bekannt zu sein.[166]
Einen ganz neuen Weg der Entwicklung von Pflanzen und Tieren zeigte der
sowjetische Pflanzenzüchter Mitschurin. Er versuchte, im mittleren Teil der
Sowjetunion Apfelsorten aus dem südlichen heimisch zu machen; aber alle seine
Versuche, kräftige, ausgewachsene Stämme in das neue Klima zu verpflanzen,
endeten mit Misserfolgen. Früher oder später vernichtete sie ein besonders
kalter Winter, ein besonders scharfer Frostwind. Zog er dagegen selbst Sämlinge
auf und setzte die empfindlichen jungen Pflanzen auf den kältesten,
sturmgepeitschten Hügelhang, so stellte er fest, dass ein Teil von ihnen
überlebte und sich zu widerstandsfähigen Bäumen entwickelte, die allen Unbilden
der Witterung standhielten. Diese Winterhärte übertrug sich auch auf ihre
Nachkommen. Neue, erbliche Eigenschaften waren somit entstanden, eine Anpassung
an die neuen Bedingungen war erfolgt.
Mitschurin und sein Nachfolger Lyssenko …
Diese sprunghafte Entwicklung, die von Art zu Art führt, konnte Lyssenko in
folgender Weise anschaulich nachweisen. Im Vorgelände des Kaukasus, wo der
Weizen nur noch spärlich gedeiht, findet man in Weizenfeldern eine starke
Verunreinigung durch Roggenähren, weit mehr, als dies bei normaler Saatgutreinigung
der Fall sein sollte. Lyssenko fragte sich, ob dies nicht von einem Umschlag
des Weizens zum Roggen, einer nah verwandten, aber den klimatischen Bedingungen
des Vorgebirges besser angepassten Form herrührt. Der Beweis hierfür wurde
erbracht, als er in einigen Weizenähren vereinzelte Roggenkörner
entdeckte, die also unmöglich durch eine Verunreinigung des Saatgutes hineingekommen
sein konnten. Auch bei anderen Kulturpflanzen und auch Unkräutern wurden
derartige Umschläge von einer Art in eine andere beobachtet …
Weinberge um Leningrad, Getreidefelder in der sibirischen Tundra und
Gemüsekulturen jenseits des Polarkreises, sie alle legen ein beredtes Zeugnis
ab von der Richtigkeit der Vorstellung über den Mechanismus der Entwicklung
der Lebewesen, die wir Mitschurin und Lyssenko verdanken.
S.241ff.
(Wolfgang Padberg)
Was wir von der Entstehung des Menschen
wissen
… Im Orient, wo sich sehr frühzeitig eine
hochstehende Töpferkunst entwickelte, war es nur natürlich, dass man sich die
Schaffung des Menschen aus Ton (beziehungsweise Lehm) vorstellte (Abb.1). …
(Unterschrift zu
nebenstehendem Bild:)
Abb.1. Eine ägyptische
Göttin modelliert die ersten Menschen[167]
Die Forschungen des 19.Jahrhunderts hatten also, sich stützend auf die
Evolutionstheorie Darwins und das entdeckte archäologisch-anthropologische
Material, zu dem Gesamtergebnis geführt, dass der Mensch nicht einer übernatürlichen
Schöpfung sein Dasein verdankt, sondern von tierischen Vorfahren abzuleiten sei.
S.343ff.
(Ludwig Einicke)
Der Sozialismus und Kommunismus – die
Epoche der revolutionären Umgestaltung von Natur und Gesellschaft
… Die Wissenschaft überwindet den Aberglauben und
die Scheintheorie
Die in den kapitalistischen Ländern herrschenden
reaktionären Kräfte haben sich zum Zwecke der Aufrechterhaltung ihrer
Herrschaft der Mystik, des Aberglaubens, des Dunkelmännertums und der
Religion schon immer bedient, um die Volksmassen niederzuhalten und zu
unterdrücken. Die herrschende Klasse propagierte die Idee, dass die
bestehende Ordnung gottgewollt und vorausbestimmt sei. Eine Veränderung
dieser Ordnung sei daher also gar nicht möglich, so lehrten und lehren die
„Geschichtswissenschaftler“ der herrschenden Klassen.
Alles, also auch die gesellschaftlichen Verhältnisse, seien unabänderlich, und
die Menschen müssten sich daher in das für sie bestimmte Schicksal fügen.
Nach dieser „Theorie“ ist die Welt von einer außerhalb der Welt bestehenden
und für die Menschen nicht erkennbaren Kraft, von einem Gott, erschaffen[168]. Es gibt viele Beispiele in der
Geschichte, aus denen hervorgeht, dass die fortschrittlichen Wissenschaftler,
die an dem Dogma von der Erschaffung der Welt zu rütteln wagten, von den
herrschenden Mächten verfolgt, in den Kerker geworfen und auf dem Scheiterhaufen
verbrannt wurden[169] …
… In der Sowjetunion … haben die Lehren der
weltberühmten Biologen und Naturwissenschaftler Mitschurin und Lyssenko durch
die Anwendung der dialektischen Methode den vollen Sieg über die Biologen des
idealistischen Lagers davongetragen. … dass es möglich ist, durch die
bewusste Steuerung der Lebensbedingungen bestimmter Organismen pflanzliche und
tierische Organismen zu verändern … dass durch Eingreifen des Menschen jede
Tier- und Pflanzenform gezwungen werden kann, sich schneller, und zwar nach der
dem Menschen erwünschten Seite, zu verändern[170] …
… In den kapitalistischen Ländern verbreitet sich
immer mehr die Scheintheorie vom sogenannten „physikalischen“ Idealismus. …
Auf diesem Wege wird auch der Versuch unternommen, die materialistische
Grundlage der Naturwissenschaften zu erschüttern und idealistische religiöse
Vorstellungen in die wissenschaftliche Arbeit einzuschmuggeln. …
Das Bestreben, abstrakte religiöse Behauptungen von der Endlichkeit und
Unerkennbarkeit der Welt[171] zur Grundlage der Wissenschaft zu
machen, ist ein Ausdruck der tiefen Krise … im Lager der im Dienste des
Kapitalismus stehenden Forscher…
im Gegensatz … stehen die Wissenschaftler, die sich in ihrer Arbeit auf den
dialektischen und historischen Materialismus stützen … sie beweisen, dass die
Materie tatsächlich vorhanden ist; dass sie unabhängig vom Bewusstsein der
Menschen existiert; dass die Einheit der Welt in ihrer Materialität besteht und
dass die Materie und ihre Bewegung ewig und unzerstörbar sind. Nach der
Auffassung des dialektischen Materialismus gibt es ein absolutes Naturgesetz[172], nach dem weder Materie noch
Bewegung beim Vorgang einer Veränderung der Materie oder in der Bewegung der
Materie einfach irgendwohin verschwinden kann. Materie und Bewegung können auch
nicht aus dem Nichts entstehen …
Eine solche wissenschaftliche Auffassung lässt keine
Märchen vom „Schöpfer“, „Weltgeist“ und „Lenker“ der Welt zu. Sie liefert den
Beweis, dass sich die Welt aus den der Materie innewohnenden Gesetzen in ewiger
Bewegung und Veränderung entwickelt….
Die Anhänger des Idealismus sind dagegen der Meinung, es sei nicht möglich,
die Welt und ihre Gesetzmäßigkeiten zu erkennen. Sie bestreiten die
Zuverlässigkeit des menschlichen Wissens und sind der Ansicht, dass es in der
Welt Erscheinungen und Dinge gibt, die die Wissenschaft niemals erkennen kann.
…
Die Welt und ihre Gesetzmäßigkeiten sind erkennbar, und das vom praktischen
Leben bewiesene Wissen hat, wie Stalin sagt, die Bedeutung objektiver
Wahrheit …
… Die marxistische Philosophie ist eine
geschlossene, konsequente Weltanschauung. Sie umfasst den dialektischen und den
historischen Materialismus. Der dialektische Materialismus ist die Methode und
Theorie zur Erforschung der Natur, der historische Materialismus ist die
Methode und Theorie zur Erforschung der menschlichen Gesellschaft.[173]
… Die Begründer der materialistischen Auffassung von
der Welt beweisen, dass die Entwicklung der Welt aus der Materie zu erklären
ist. …
Dagegen vertreten die Anhänger des philosophischen Idealismus der verschiedenen
Richtungen letzten Endes den unwissenschaftlichen Standpunkt, dass die Welt und
alle ihre Erscheinungen das Werk eines „Schöpfers“, das heißt also eines Gottes
sind. …
… Der dialektische und historische Materialismus
dient als Mittel zur Erkenntnis der Welt …
(Quelle: Q42 Weltall Erde Mensch, Verlag Neues Leben,
Berlin, 1955)
Ergänzend seien hier noch
einige Sätze aus der Neufassung von „Weltall Erde Mensch“, Ausgabe 1968,
mitgeteilt:
(Quelle: Q79 Weltall Erde Mensch,
Neufassung, Verlag Neues Leben, Berlin, 1968)
S.3
Weltall Erde Mensch
Ein Sammelwerk zur Entwicklungsgeschichte in Natur und Gesellschaft
S.5f.
Zum Geleit
Dieses Buch ist das Buch der Wahrheit. …
(Walter Ulbricht)
Die Wissenschaft beweist, dass die Welt und ihre
Gesetzmäßigkeiten erkennbar sind und dass es für den forschenden Menschen keine
„ewigen Rätsel“ gibt. Was uns heute noch verborgen ist, werden wir mit
Sicherheit morgen wissen …
(Das Kapitel von Robert Havemann, das in den ersten Auflagen
enthalten war, ist in dieser Ausgabe entfallen)
S.14
Was ist eine Weltanschauung? Man versteht darunter die umfassende Anschauung
oder denkende Betrachtung des Weltganzen; genauer, die Auffassungen der
Menschen von der Natur des Weltalls, vom Ursprung und der Entwicklung aller
Dinge, vom Wesen und Wert des Menschen, vom Sinn seines Lebens und davon, was
der Tod ist, von der Entwicklung der Menschheit und ihrer Zukunft, von der
Kraft des menschlichen Denkens und der Macht der Erkenntnis und ähnlichen
grundsätzlichen „letzten“ Fragen. Jeder Mensch besitzt so eine Weltanschauung,
und sie beeinflusst sein Denken und Handeln, sein Fühlen und Wollen in starkem
Maße. …
Nun gibt es jedoch sehr verschiedene
Weltanschauungen, und nicht jede von ihnen hilft uns zu erkennen, was die Welt
„im Innersten zusammenhält“, wie die Welt sich gesetzmäßig entwickelt und wie
wir uns heute im praktischen Leben verhalten müssen. Die noch weitverbreitete
religiöse Weltanschauung steht in völligem Gegensatz zu den Ergebnissen der
Natur- und Gesellschaftswissenschaften, sodass ihre Antworten in Wirklichkeit
Scheinantworten sind. Diese Weltanschauung, die meist von der Unantastbarkeit
der gottgewollten Ordnung ausgeht, kann keine Grundlage für die praktische
Veränderung der Welt, für die Errichtung einer neuen gesellschaftlichen Ordnung
sein. Die Geschichte beweist, dass die religiöse Weltanschauung fast immer
direkt oder indirekt von reaktionären Kräften dazu benutzt worden ist,
Ausbeutung, Unterdrückung und sogar Kriege zu rechtfertigen und zu
sanktionieren. Aus den genannten Gründen gibt diese Weltanschauung keine
Antwort auf die Probleme, die uns heute bewegen. Um ein Missverständnis zu
vermeiden: Viele religiös gebundene Menschen nehmen in unserer Republik aktiv
am Aufbau des Sozialismus teil, und oft schöpfen sie aus ihrer religiösen
Überzeugung Impulse für die Arbeit im Dienst des Fortschritts. Wir achten ihren
religiösen Glauben und sehen darin kein Hindernis für eine enge
freundschaftliche Zusammenarbeit, wie sie sich seit langem bewährt hat. Doch
kann der religiöse Glaube keine Grundlage für die heute zu lösenden Aufgaben
sein. Dazu benötigen wir eine Weltanschauung, die nicht auf Glaubensannahmen,
sondern auf den Ergebnissen der Wissenschaften beruht …
(Quelle: Q79 Weltall
Erde Mensch, Neufassung, Verlag Neues Leben, Berlin, 1968
3.3 Die „Grundsätze für die
Gestaltung des einheitlichen
sozialistischen Bildungssystems“
(1964)
Im Schul- und Bildungssystem
spielte der weltanschauliche (Führungs-)Anspruch der SED eine wesentliche
Rolle.
Die Aufgaben des Bildungssystems der DDR wurden in insgesamt drei Gesetzen festgeschrieben.
1946 wurde
das „Gesetz
zur Demokratisierung der deutschen Schule“ erlassen.
§1
… Die deutsche demokratische Schule … wird … jedem Kind und Jugendlichen
ohne Unterschied des Besitzes, des Glaubens oder seiner Abstammung die seinen
Neigungen und Fähigkeiten entsprechende vollwertige Ausbildung geben …
1959 trat
das „Gesetz
über die sozialistische Entwicklung des Schulwesens in der Deutschen
Demokratischen Republik“ in Kraft.
§3
… Die Schule hat die Jugend auf das Leben und die Arbeit im Sozialismus
vorzubereiten …
1965 wurde
ein neues Gesetz erlassen, das „Gesetz über das einheitliche sozialistische
Bildungssystem“, das praktisch bis zum Ende der DDR-Zeit in Geltung
blieb.
Präambel
… Alle Bürger unseres Staates, unabhängig von
ihrem Geschlecht, von Ihrer sozialen Stellung, ihrer weltanschaulichen
Überzeugung, ihrem Glaubensbekenntnis und ihrer Rasse, besitzen gleiche Rechte.
…
§5 (4)
Den Schülern, Lehrlingen und Studenten sind gründliche Kenntnisse des
Marxismus-Leninismus zu vermitteln. Sie sollen die Entwicklungsgesetze der
Natur, der Gesellschaft und des menschlichen Denkens erkennen und anzuwenden
verstehen und feste sozialistische Überzeugungen gewinnen. …
Seit 1963 (bis zum Ende der
DDR im Jahre 1989) war Margot Honecker Minister(in) für Volksbildung in der
DDR. Durch ihre politische Prägung und ihre Erfahrungen in der Arbeiterbewegung,
die sie mit anderen Mitgliedern der Führungselite der DDR teilte, setzte sie
deutliche Akzente.[174]
Im April 1964 – im Zusammenhang mit der
Erarbeitung des „Gesetzes über das einheitliche sozialistische Bildungssystem“
(das 1965 in Kraft trat) - wurden „Grundsätze
für die Gestaltung des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems (Entwurf)“
veröffentlicht.
Im Herbst 1964 hielt die für
die kirchliche Bildungsarbeit bei Kindern und Jugendlichen zuständige
Landeskatechetin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Sachsen vor der
Landessynode (dem Kirchenparlament) dazu einen Vortrag. Aus ihm sollen im Folgenden
einige wichtige Aussagen notiert werden:
(Quelle: Q43 Tietz, Gertraudis; Landeskatechetin der
Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens; Vortrag auf der Herbsttagung der Landessynode
der Ev. Luth. Landeskirche Sachsens 1964, Reg.Nr.2243/14: „Das sozialistische
Bildungssystem“)
S.1f.
Der Öffentlichkeit sind im Entwurf „Grundsätze für die Gestaltung eines
einheitlichen sozialistischen Bildungssystems“ zur Stellungnahme vorgelegt
worden …
Was besagt nun der Entwurf des neuen Schulsystems?
Es handelt sich in ihm um Grundsätze im eigentlichen Sinne des Wortes. Es sind
Leitlinien ausgeführt, die die Basis für schulische Gesetze, Verordnungen,
Lehrpläne und zu erstellende Schulbücher bilden sollen. Sie wollen die Richtung
der Entwicklung des Schulwesens für die nächsten 10 bis 15 Jahre angeben.
…
S.2f.
… die Grundprinzipien … es sind drei …
1. Die Schule konstituiert sich als
Weltanschauungsschule.
Der eindeutig sich zur Weltanschauung des Marxismus-Leninismus sich
bekennende und danach handelnde Mensch ist das Erziehungsziel. Die
weltanschauliche Durchdringung aller Unterrichtsfächer und die Einführung des
Fachs Staatsbürgerkunde als Konzentrationspunkt der ideologischen Erziehung ist
der eingeschlagene Weg zur Erreichung dieses Zieles.
„Gleichzeitig (zugleich mit der Übermittlung mathematischer, naturwissenschaftlicher
und ökonomischer Kenntnisse) sind ihnen (den Mitgliedern der
Gesellschaft) feste Grundlagen der sozialistischen Weltanschauung zu
vermitteln.“ (I, Vorwort, Sonderdruck S.30). …
„Zur Allgemeinbildung gehören die Einführung in die
Gesellschaftswissenschaften, besonders in die marxistisch-leninistische
Philosophie als Grundlage für die Formung der wissenschaftlichen Weltanschauung
…“ (I,2 S.38)
„Als weltanschauliche, erkenntnistheoretische und
methodologische Grundlage der Natur- und Gesellschaftswissenschaften trägt die
Philosophie eine große Verantwortung für die Festigung und Entwicklung der
wissenschaftlichen Weltanschauung, die weltanschaulich-atheistische Propaganda
und für die politisch-ideologische Erziehung der studentischen Jugend und
aller Werktätigen.“ (II,8 S.103) …
sagt der Minister für Volksbildung: „Ganz klar ist die Forderung im
Parteiprogramm, dass die politische und weltanschauliche Erziehung der
Schüler Prinzip aller Unterrichtsfächer sein muss …“ (Deutsche Lehrerzeitung
17/1964) …
S.4
“Insbesondere sollte an allen Schulen … über den Beitrag der einzelnen
Unterrichtsfächer zur ideologischen Erziehung und Bildung beraten werden. …
Durch diese weltanschaulichen Vorleistungen der einzelnen Unterrichtsfächer
wird der Staatsbürgerkundeunterricht in Zukunft ein festes Fundament erhalten.“
(„Pädagogik“ 5/1964 S.388).
Im Sinne dieser Zielsetzungen veranstaltete die Zeitschrift „Biologie und
Schule“ gemeinsam mit dem Pädagogischen Institut Mühlhausen und dem Institut
für Philosophie der Humboldt-Universität (Berlin) im Oktober 1963 eine
Konferenz zur ideologischen Erziehung im Biologieunterricht. In den
Verlautbarungen darüber heißt es: „Die moderne Biologie führt notwendig zum
dialektischen Materialismus.“
S.5
“Was die sozialistische Schule betrifft, so gilt es, als besondere Aufgabe
der weltanschaulich-erzieherischen Einwirkungen, die atheistische Erziehung
der Kinder herauszustellen. Die Herausbildung der dialektisch-materialistischen
Weltanschauung ist notwendig mit wissenschaftlich-atheistischer Erziehung
verbunden.“ (Wiss. Zeitschrift der Universität Rostock, gesellschafts- und
sprachwissenschaftliche Reihe, 8. Jahrgang, Heft 3)
(Kommentar von G.
Tietz:)
Es ist kein
wissenschaftlicher Satz, zu behaupten, die moderne Biologie führe notwendig zum
dialektischen Materialismus. … Weltanschaulicher Unterricht verfälscht die
Wissenschaft. Es gibt keine wissenschaftliche Weltanschauung. Wissenschaft
führt weder zum Idealismus noch zum Materialismus noch zum Gottesglauben. Eine
Schule, die die Weltanschauung in alle Unterrichtsfächer einbezieht, verwischt
fortgesetzt die Grenze zwischen Weltanschauung und Wissenschaft. … Echte
Wissenschaftlichkeit lässt den Raum frei für diese oder jene weltanschauliche
Entscheidung. …
Es ist aber ein Unterschied, ob eine Schule
Kenntnisse über eine Weltanschauung vermittelt, oder ob sie sich vornimmt, das
Denken, Handeln und Fühlen von einer Weltanschauung her zu bestimmen.
S.10
… unsere Stellungnahme[175] so lautet: Es möge die
weltanschauliche Überlagerung der Wissenschaftsübermittlung abgebaut … werden …
Die Gemeinde muss über alle Fragen, die an die Kinder
durch ihren Lehrstoff herantreten, orientiert sein: Naturwissenschaft und
Glaube; Weltbild und Glaube; Luther – ein Verräter; im Himmel ist kein Gott zu
finden. Gemeinde, gib Antwort![176]
(Quelle: Q43 Tietz, Gertraudis; Landeskatechetin der Ev.-Luth. Landeskirche
Sachsens; Vortrag auf der Herbsttagung der Landessynode der Ev. Luth.
Landeskirche Sachsens 1964, Reg.Nr.2243/14: „Das sozialistische
Bildungssystem“)
Aus den im vorstehend
dokumentierten Vortag enthaltenen staatlich-„amtlichen“ Zitaten wird die klare
Zielstellung ersichtlich: Schule soll Weltanschauung vermitteln, in allen
Fächern, vor allem auch über naturwissenschaftliche Inhalte soll das geschehen!
In den nächsten Jahren
entstanden unter Zugrundelegung der skizzierten Leitlinien neue Lehrpläne, neue
Unterrichtshilfen für Lehrer und neue Lehrbücher für den Schulunterricht
wurden erarbeitet.
Im Weiteren soll am Beispiel des Faches BIOLOGIE und hier zum Themenbereich
ABSTAMMUNGSLEHRE / EVOLUTION, der in Klassenstufe 10 behandelt wurde,
dokumentiert werden, wie dort die neuen „Grundsätze“ ihren Niederschlag fanden.
3.4 Schulunterricht im Fach BIOLOGIE in der DDR
in den 1970er und 1980er Jahren
3.4.1 Die Unterrichtshilfen für
Lehrer
im Fach BIOLOGIE Klasse 10 (DDR
1971)
(Quelle: Q41 Unterrichtshilfen Biologie 10. Klasse,
zum Lehrplan 1971, Volk und Wissen Volkseigener Verlag Berlin, 1971)
S.9ff.
Zu den Aufgaben des
Biologieunterrichts der 10. Klasse für die Bildung und Erziehung sozialistischer
Persönlichkeiten …
… Die Stoffgebiete in Klasse 10 sind besonders
geeignet, Wesentliches zur Erziehung sozialistischer Staatsbürger beizutragen.
Anliegen des Unterrichts muss also sein, zusammen mit der Stoffvermittlung
vor allem die Herausbildung politisch-ideologischer Grundüberzeugungen zu
unterstützen …
Der Stoff der 10. Klasse ist besonders geeignet,
die wissenschaftliche Weltanschauung der Schüler zu festigen …
(Schülervorträge) Für die Vorbereitung … müsste ihnen
entsprechende Literatur (z.B. „Weltall, Erde, Mensch“, Brockhaus „ABC
Biologie“[177], Urania-Bände) … empfohlen werden …
Die Überzeugung von der Richtigkeit der Abstammungslehre wird weiter
gefestigt. Sie hat große Bedeutung für die weltanschauliche Bildung und
Erziehung der Schüler …
S.15
Stoffgebiet „Genetik“ …
Vorbemerkungen zum Stoffgebiet „Genetik“
… Bei der Behandlung dieses Stoffgebietes sollen die
Schüler die Grundlagen und Gesetzmäßigkeiten der Vererbung kennenlernen. Dabei soll
besonderer Wert auf das Erläutern philosophischer Zusammenhänge gelegt werden.
Der Schüler muss erkennen, dass auch das Vererbungsgeschehen materielle
Grundlagen hat und nichts Mystisches darstellt. Die Erkennbarkeit der Welt
durch ständig neue, fortschreitende Erkenntnisse der Wissenschaft soll dem
Schüler bewusst werden …
S.63
Stoffgebiet „Abstammungslehre“ …
Stoffeinheit „Theorie der Stammesentwicklung“
Vorbemerkungen zur
Stoffeinheit „Theorie der Stammesentwicklung“ …
… Durch den gesamten Biologieunterricht der
Klassen 5 bis 9 zieht sich immanent die Tatsache der Evolution der lebenden
Materie …
Die einführende Stoffeinheit festigt in vielfacher Weise die
philosophisch-weltanschaulichen Einsichten der Schüler und ist in dieser
Hinsicht bewusst erzieherisch zu nutzen …
S.67ff.
Stundenentwürfe …
Faktoren der Evolution – Wirken der
Auslese in der Population …
… Überzeugung von der Entwicklung der lebenden
Materie festigen. Einsicht entwickeln, dass es für „zweckmäßige“ Erscheinungen
in der lebenden Natur eine wissenschaftlich exakte, materialistische Erklärung
gibt, dass alle Erscheinungen kausal erklärbar und streng determiniert sind …
mündliches Erörtern von weltanschaulichen Problemen
… sind folgende Probleme mit den Schülern zu
erörtern: Wissenschaftliche Erklärung für die Zweckmäßigkeit in der Natur
als Teil der materialistischen Weltanschauung und andererseits Annahme einer
zielgerichteten Zweckmäßigkeit unter dem Wirken einer überirdischen Macht in
der idealistischen Naturauffassung …
S.72
Stammesentwicklung und Höherentwicklung
…
Stundenziele …
…Einsicht von der Entwicklung der Organismen festigen, damit Vertiefung der
materialistischen Weltanschauung der Schüler …
S.95
Stoffeinheit „Aus der
Geschichte der Abstammungslehre“ …
Vorbemerkungen zur
Stoffeinheit „Aus der Geschichte der Abstammungslehre“
Diese Stoffeinheit ist besonders gut geeignet, die
wissenschaftliche Weltanschauung der Schüler weiter zu festigen. Die Schüler
sollen erkennen, „dass die Abstammungslehre eine naturwissenschaftliche Lehre
von großer ideologischer Bedeutung ist“ (Lehrplan Klasse 9/10, S.49). Es
kommt deshalb darauf an, die Zusammenhänge zwischen gesellschaftlicher
Entwicklung und Entwicklung der Wissenschaften deutlich hervorzuheben. An
ausgewählten Beispielen muss erarbeitet werden, warum …
3. die wissenschaftlich begründete Abstammungslehre Darwins große Bedeutung für
die Verbreitung der wissenschaftlichen Weltanschauung der Arbeiterklasse
erlangte. …
Die Verbreitung der wissenschaftlichen Abstammungslehre ist ein einprägsames
Beispiel dafür, dass sich der Fortschritt nur im Kampf mit dem Alten und
historisch Überlebten durchsetzt. Als einen der bedeutenden Kämpfer für den
Darwinismus lernen die Schüler Ernst Haeckel kennen. Neben seinen großen wissenschaftlichen
Leistungen auf dem Gebiet der Zoologie und der Abstammungslehre sollen sie auch
die Bedeutung seiner Auseinandersetzungen um den Darwinismus für die
Arbeiterklasse kennenlernen. …
S.96ff.
Einige Vorstellungen aus der Zeit vor
Charles DARWIN über die Entstehung der Arten …
Stundenziele
Die Abstammungslehre gibt eine wissenschaftliche Erklärung der Herkunft der
Organismenarten. Manche Gelehrte des Altertums (Jahrhunderte v.u.Z.) vertraten
bereits die Auffassung von einer natürlichen Entwicklung der Arten. Bedingt
durch die gesellschaftliche Situation war jedoch die idealistische Auffassung
von der Erschaffung der Organismen durch ein höheres Wesen und ihre
Unveränderlichkeit (Konstanz) bis ins 19. Jahrhundert eine verbreitete Lehre.
…
Stoffliche Gliederung
(1) Idealistische Vorstellungen von der Herkunft
der Formenmannigfaltigkeit
- Schöpfungslehre – älteste Auffassungen der Menschen
- Konstanz der Arten
- Gesellschaftliche Bedingtheit der Verbreitung dieser Lehren
(2) Die Schaffung der naturwissenschaftlichen
Voraussetzungen für eine wissenschaftliche Abstammungslehre …
Methodische Hinweise
(1) In einem Lehrervortrag erhalten die Schüler einen Überblick über
die verschiedenen unwissenschaftlichen Vorstellungen über die Herkunft der
Organismen und ihre Formenmannigfaltigkeit …
es ist darauf zu achten, dass nur wirklich wesentliche Fakten diskutiert werden[178] …
(Tafelübersicht)
Wichtige Etappen der Geschichte der Abstammungslehre
Schöpfungsgeschichte
Konstanz der Arten …
S.98f.
Die Begründung der wissenschaftlichen
Abstammungslehre durch Charles Darwin
… In seinem Hauptwerk … (1859) legt Darwin die nach
objektiven Gesetzen verlaufende Entwicklung dar. Marx und Engels maßen
Darwins Werk große Bedeutung bei[179]….
(Methodische Hinweise)
… (4) Der Lehrer legt dar, worin die große
Bedeutung von Darwins Werk für die Entwicklung der Biologie und der
Gesellschaft liegt. Er verweist auf die Äußerungen von Marx und Engels
zu Darwins Hauptwerk.
S.99f.
Der Kampf um die Durchsetzung des
Darwinismus …
(Stundenziele)
… Im Bündnis mit der Kirche setzte die Bourgeoisie alle Mittel ein, um die
Verbreitung von Theorien zu verhindern, die die Herausbildung einer
wissenschaftlichen Weltanschauung fördern konnten. Die fortschrittlichen
Teile der Arbeiterklasse aber griffen Darwins Lehre auf. Die Auseinandersetzung
war und ist also eine gesellschaftliche Auseinandersetzung. …
(Stoffliche Gliederung)
(1) Die Ursachen für die Auseinandersetzungen um
den Darwinismus
- Die Bedeutung der Theorie für die
Klassenauseinandersetzungen
- Die wissenschaftlichen „Lücken“ der Theorie …
(Methodische Hinweise)
… deutlich zu machen, das Darwin noch nicht alle Fragen befriedigend lösen
konnte, das dadurch aber die Bedeutung seiner Arbeit nicht gemindert wird und
der Hauptwiderstand gegen seine Lehren gesellschaftlich bedingt war. Die
richtige Einschätzung des Darwinismus durch Marx und Engels wird herausgestellt.
…
S.101ff.
Stoffeinheit „Die
Entstehung des Lebens auf der Erde“ …
Wissenschaftlich
begründete Theorien über die Entstehung des Lebens auf der Erde …
(Stundenziele)
Die im Urozean entstandenen makromolekularen
Verbindungen waren noch keine Lebewesen. Wie diese entstanden, ist noch
nicht im einzelnen bekannt. Dazu gibt es verschiedene wissenschaftliche
Theorien. Beide gehen davon aus, dass Leben aus Nichtlebendem entstand. …
Obwohl die einzelnen Schritte der Entstehung des Lebens bisher nicht bewiesen
sind, muss deutlich werden, dass die bisherigen Ergebnisse der Forschung schlüssig
beweisen, dass die Entwicklung so verlaufen sein kann. Die Überzeugung von
der Materialität des Lebens und von der Erkennbarkeit der Welt wird weiter
gefestigt. …
(Methodische Hinweise)
… Zu betonen ist, dass noch nicht Bewiesenes bzw.
nicht Erkanntes nicht zugleich nicht Erkennbares ist, sondern dass mit
Sicherheit das gesamte Problem der Entstehung des Lebens gelöst werden kann.
…
S.106ff.
Stoffeinheit „Die Stammesentwicklung des
Menschen“ …
Vorbemerkungen zur Stoffeinheit „Die Stammesentwicklung des Menschen“ …
… Wesentliche Voraussetzungen für das Verständnis
der gesellschaftlichen Entwicklung des Menschen bringen die Schüler aus dem
Geschichts- und Staatsbürgerkundeunterricht sowie aus den Stunden zur
Vorbereitung auf die Jugendweihe mit[180] …
… sollen die Schüler an evolutionsgenetische Überlegungen herangeführt werden
und begreifen, dass sie die zum Menschen führende Entwicklung nur von einem
materialistischen Standpunkt aus wissenschaftlich exakt erfassen können.
Das ist besonders für die Nutzung der erzieherischen Potenzen der Stoffeinheit
von Bedeutung …
Die Stoffeinheit „Die Stammesentwicklung des
Menschen“ enthält zahlreiche erzieherische Potenzen, die im Verlauf des
Aneignungsprozesses genutzt werden müssen, um die Vorstellungen der Schüler
von der Materialität und der Erkennbarkeit der Welt weiter zu
konkretisieren und zu vertiefen. Die Schüler werden dadurch ein weiteres Mal in
die Lage versetzt, die Unhaltbarkeit der Lehre von der Schöpfung und den
Missbrauch der Religion durch die herrschenden Gesellschaftsklassen in
feudalistischen und kapitalistischen Staaten zur Unterdrückung, Ausbeutung und
Knechtung der Menschen zu erkennen und zu verurteilen. …
S.112
Die Stellung des Menschen in Natur und
Gesellschaft …
… So gab es über die Herkunft des Menschen bis in die
jüngste Zeit noch verschiedene Auslegungen. Idealistische Vorstellungen wurden
unter feudalistischen und kapitalistischen Gesellschaftsverhältnissen von den
herrschenden Klassen ausgenutzt, um die unterdrückten Massen besser beherrschen
und ausbeuten zu können. Diese Tendenz ist in einigen kapitalistischen Staaten
bis heute noch nicht überwunden. Die Erkenntnisse der Wissenschaft, die
besonders durch Darwin und Haeckel eingeleitet wurden, lassen jedoch keinen
Zweifel über die Abstammung des Menschen aus dem Tierreich mehr zu. …
Die Bedeutung dieser wissenschaftlich-materialistischen
Position auch in Bezug auf den Menschen bietet wesentliche Potenzen für
die ideologische Erziehung vom Standpunkt der Arbeiterklasse aus.
S.130ff.
Stoffeinheit
„Wiederholung und Systematisierung“ …
Die Bedeutung und
Wissenschaftlichkeit der Abstammungslehre …
(Stundenziele)
Die Abstammungslehre hat einen entscheidenden Anteil an der Herausbildung
einer wissenschaftlichen Weltanschauung …
(Methodische Hinweise)
In einem einleitenden Gespräch erörtert der Lehrer mit den Schülern die
Frage, warum sich im Bereich der Biologie unwissenschaftliche, idealistische
Auffassungen über das Wesen des Lebens, seine Entstehung und über das
Auftreten des Menschen im Bereich der lebenden Natur sehr lange halten konnten
und zum Teil heute noch vorhanden sind. Da im Verlauf des Unterrichts bisher
kaum Fragen in dieser Hinsicht an die Schüler herangetragen wurden … sind die
Schüler unter Umständen mit dieser Tatsache erst bekannt zu machen (z.B.
religiöse Auffassungen)[181]. …
Das Gespräch wird unter der Thematik „Die Bedeutung der Abstammungslehre für
die materialistische Auffassung der Natur“ fortgeführt. Hier sind folgende
Antworten zu erwarten: die Abstammungslehre hat den Nachweis für die
Entwicklung vom Niederen zum Höheren erbracht, sie hat bewiesen, dass auch der
Mensch der biologischen Evolution unterliegt. Forschungen über die
Entstehung des Lebens schließen eine Schöpfung durch ein überirdisches Wesen aus.
…
(Tafelübersicht)
Bedeutung der Abstammungslehre
- Sie dient der Herausbildung einer
wissenschaftlichen Weltanschauung …
S.158
Stoffgebiet
„Wiederholung, Systematisierung, Ausblick“ …
… In der Stoffeinheit
„Zelle-Lebewesen-Population-Biozönose-Biosphäre“ sind zahlreiche Möglichkeiten
gegeben, philosophisch-weltanschauliche Grunderkenntnisse zu festigen und zu
untermauern. Das gilt vor allem für die Materialität des Lebens, die
prinzipielle Erkennbarkeit der Welt, das Verhältnis von Einzelnem und
Ganzem. …
(Quelle: Q41 Unterrichtshilfen Biologie 10. Klasse, zum Lehrplan 1971, Volk und
Wissen Volkseigener Verlag Berlin, 1971)
3.4.2 Das Lehrbuch für Schüler
im Fach BIOLOGIE Klasse 10 (DDR
1982)
Im Schulsystem der DDR wurde
im Fach Biologie eine Lehrbuchreihe eingesetzt, deren Verwendung in den
Klassen 9 bis 12 verbindlich war.
Ein Teil der Schüler beendete seine Ausbildung mit der mittleren Reife nach der
10. Klasse (POS – „Zehnklassige Allgemeinbildende Polytechnische Oberschule“),
andere setzten ihre Ausbildung bis zum Abitur in der 12. Klasse fort (EOS – „Erweiterte
Allgemeinbildende Polytechnische Oberschule“)
Das im Folgenden behandelte Lehrbuch für die Klassenstufe 10 wurde also von
allen Schülern in der DDR genutzt.
(Quelle: B1 DDR; VOLK
UND WISSEN; Biologie, Lehrbuch für die Klasse 10, Volk und Wissen Volkseigener
Verlag, Berlin, 1982)
S.57ff.
Abstammungslehre
S.62
Hinweise[182]auf die Abstammung liefern vor allem
morphologische und anatomische Vergleiche von Tieren und Pflanzen
untereinander.
S.63
Wenn während der Embryonalentwicklung bestimmte Stadien der Embryonen
verschiedener Tierarten miteinander verglichen werden, können vielfach
Rückschlüsse auf deren Stammesgeschichte gezogen werden. Lebewesen mit
Übereinstimmungen müssen sich im Verlaufe ihrer Stammesentwicklung aus
gemeinsamen Vorfahren entwickelt haben.
In der neunmonatigen Embryonalentwicklung des Menschen treten zum Beispiel ein
knorpeliges Skelett, Anlagen für Kiemen, eine Schwanzanlage und ein
vollständiges wolliges Haarkleid auf. Alle diese Bildungen sind für den
menschlichen Embryo nicht lebensnotwendig. Sie deuten aber darauf hin,
dass sich der Mensch in einem sehr langen Entwicklungsprozess aus dem Tierreich
entwickelt hat.
Ernst Haeckel formulierte diese Zusammenhänge im „Biogenetischen Grundgesetz“[183] …
S.91ff.
Aus der Geschichte der Abstammungslehre
…
Da alles Bestehende eine Geschichte hat, erfordert die Erkenntnis der Dinge
auch die Erkenntnis ihrer Entwicklung.
Die wissenschaftliche Erklärung der Herkunft der Organismenarten gibt
die Abstammungslehre. Die Herausbildung einer wissenschaftlichen Theorie der
stammesgeschichtlichen (phylogenetischen) Entwicklung der Lebewesen ist ein
langer historischer Prozess. Wie alle Erkenntnisprozesse wurde er von der
Entwicklung, den Erfordernissen und Ergebnissen der produktiven Tätigkeit des
Menschen beeinflusst. Dabei spielten der Stand der Erkenntnisse und die weltanschauliche
Position der jeweils in einer Epoche herrschenden Klasse und des einzelnen
Forschers eine entscheidende Rolle.
Schon früh entstanden mit den Anfängen wissenschaftlicher Arbeit (etwa 5.
Jahrh. v. u. Z.) Auffassungen über die natürliche Entwicklung der Organismen.
Das Fehlen vieler heute bekannter wissenschaftlicher Erkenntnisse und
Arbeitsmethoden bedingte, dass die Auffassungen der Denker des Altertums selten
durch exakte Untersuchungen belegt werden konnten. Viele sahen das Problem in
richtiger Weise und waren um eine materialistische Erklärung bemüht.
Neben solchen materialistischen Auffassungen von der Entwicklung der
Organismen entstanden auch zahlreiche idealistische Lehren. Sie gingen
alle davon aus, dass eine übernatürliche Kraft den Entwicklungsprozess der
Arten steuert.
Nach diesen Auffassungen von der Geschichte der Lebewesen gab es in der
Generationenfolge der einmal von einem höheren Wesen geschaffenen Arten keine
wesentlichen Veränderungen mehr (Konstanz der Arten). Unter dem Einfluss
der Kirchen[184] haben sich diese Lehren bis in die
Mitte des 19. Jahrhunderts behauptet. Sie wurden erst durch die von DARWIN
begründete und seitdem weiterentwickelte wissenschaftliche Theorie von der
natürlichen Entwicklung der Organismen widerlegt.
ARISTOTELES entwickelte die Auffassung, dass eine
stufenweise Entstehung der Arten erfolgte, wobei übernatürliche, zielstrebige
Entwicklungskräfte wirken und durch sie die in der lebenden Natur erkennbare
Zweckmäßigkeit (Angepasstheit) erreicht wird. Die weitere Ausarbeitung einer
wissenschaftlichen Lehre von der Entwicklung der Lebewesen wurde wesentlich
behindert durch die sich mit dem Niedergang der Sklavenhalterordnung
entfaltende und auch von den Feudalherren genutzte Macht der Kirche. Im
Mittelalter wurden die Schriften antiker Gelehrter wieder bekannt. Da sich solche
Anschauungen wie die von ARISTOTELES besonders gut den kirchlichen
Glaubenssätzen anpassen ließen, durften nur sie gelehrt werden. Wer aufgrund
eigener Beobachtungen und Untersuchungen an ihren Erkenntnissen zweifelte, wurde
als Ketzer verfolgt.“[185]
(Eingebettet in den
hier wiedergegebenen Text befindet sich die obenstehende Abbildung mit dem erläuternden
Text:)
„Der ägyptische Gott Chnumu modelliert die ersten
Menschen aus Ton.“[186]
S.92ff.
Die Schaffung
naturwissenschaftlicher Voraussetzungen für die wissenschaftliche Abstammungslehre
…
Stärker als alle kirchlichen Dogmen und
aller Aberglaube sind die objektiven Entwicklungsgesetze der
Gesellschaft.[187] … Erkannte Naturgesetze waren
technisch nutzbar, und ein naturwissenschaftlich begründetes Weltbild
gab Argumente gegen kirchliche, die Feudalordnung stützende Dogmen … Das in
dieser Zeit progressive Bürgertum … musste weitgehend davon ausgehen, dass die
materielle Welt unabhängig von allen „heiligen Kräften“ existiert, erkennbar
ist und durch Anwendung der wissenschaftlichen Erkenntnisse vom Menschen
verändert werden kann. Die Entwicklung der Naturwissenschaften und eines
materialistischen Weltbildes waren notwendige Voraussetzungen für den
damals vom Bürgertum erstrebten gesellschaftlichen Fortschritt. …
Dieser Prozess vollzog sich unter harter Auseinandersetzung zwischen
verschiedenen Standpunkten. Teilweise wurde versucht, die neuen Erkenntnisse
wieder mit den alten kirchlichen Dogmen in Einklang zu bringen …
wurden durch bessere Kenntnis der geologischen Schichten und durch zahlreiche
Fossilfunde zunächst Tatsachen bekannt, die dem in der Bibel verkündeten
Erdalter von 5000 Jahren und der Schöpfungsgeschichte widersprachen. Immer
unhaltbarer wurden die zur Rettung der religiösen Position unternommenen
Versuche …
S.99ff.
Der Kampf um die Durchsetzung des
Darwinismus …
Mit der Begründung der wissenschaftlichen Abstammungslehre erhielt die Biologie
eine neue wissenschaftliche Grundlage. Damit war allen religiös-idealistischen
Auffassungen über die Schöpfung und die Konstanz der Arten die Grundlage
entzogen. Das gab auch allen anderen nicht mit der Abstammung der Organismen
beschäftigten Arbeitsgebieten der Biologie eine neue Orientierung. Diese
Theorie hatte weit über die Biologie hinausgehende gesellschaftliche Bedeutung
und Auswirkungen. Sofort nach ihrem Bekanntwerden wurde sie auch von Karl
MARX und Friedrich ENGELS unterstützt und gewürdigt.[188] …
Mit der Lehre von MARX und ENGELS war eine wissenschaftliche Begründung für den
Untergang des Kapitalismus gegeben und der Arbeiterklasse der Weg zur Erfüllung
ihrer historischen Mission gewiesen.
In einer solchen politischen Situation wurde die Bourgeoisie im Bündnis mit der
Kirche zum erklärten Gegner aller Theorien, die eine unaufhörliche Entwicklung
und Veränderung der Welt und eine materialistische, atheistische
Weltanschauung vertraten. Zugleich griffen die revolutionärsten und
fortgeschrittensten Teile der Arbeiterklasse die Darwinsche Lehre begeistert
auf, denn sie bestätigte und erweiterte das materialistische, atheistische und
auf Entwicklung gerichtete Weltbild des Proletariats. Darwins Theorie
entsprach der marxistischen Weltanschauung. Den umfangsreichsten
und wirksamsten Beitrag zur Verteidigung und Verbreitung des Darwinismus
leistete in Deutschland Ernst HAECKEL. …
HAECKELS wirksamste Schrift zur Verbreitung des Darwinismus, die „Welträtsel“
(1899), trug in breiten Kreisen der Arbeiterklasse wesentlich zur Formung eines
materialistischen und atheistischen Weltbildes bei. Durch seinen
unerschrockenen Kampf gegen die kirchlichen Dogmen wurde HAECKEL zum Vorbild
vieler Menschen. HAECKEL selbst hatte keine politischen und organisatorischen
Beziehungen zur Arbeiterbewegung. Er stand ihr ablehnend gegenüber. Die
Wirkung seiner Schriften auf die Arbeiterklasse beruht auf der Übereinstimmung
der theoretischen Grundlagen des Darwinismus und der Arbeiterbewegung. Beide
beruhen auf Materialismus, Atheismus und Entwicklung (Evolution).
S.102
Zur Entstehung des Lebens auf der Erde
Die Möglichkeit, wissenschaftliche Probleme zu erkennen, zu lösen
und ihre Ergebnisse im Interesse der Menschheit zu nutzen, ist wesentlich
abhängig von den gesellschaftlichen Verhältnissen, den materiellen Mitteln der
Gesellschaft, der Gesamtentwicklung der Wissenschaften, den Fähigkeiten und
den weltanschaulichen Positionen des Forschers.[189]
S.104
Die Entstehung des Lebens auf der Erde …
Unwissenschaftliche Theorien von der Entstehung des Lebens:
Die Vorstellung, dass das Leben durch eine übernatürliche, göttliche Kraft erschaffen
wurde, ist wissenschaftlich unhaltbar. Sie widerspricht der menschlichen
Erfahrung von der Erkennbarkeit der Welt und stellt das Problem
außerhalb des wissenschaftlich erforschbaren Bereichs.[190]
S.105
Wissenschaftliche
Theorien von der Entstehung des Lebens …
Der Kampf um die wissenschaftliche Lösung des Problems der Entstehung des
Lebens auf der Erde erfordert für seinen Erfolg neben der allseitigen
Entwicklung der Naturwissenschaften, dem Können der Forscher und den
gesellschaftlichen Mitteln vor allem eine wissenschaftliche Weltanschauung
als Grundlage.
Nur wenn davon ausgegangen wird,
- dass das Leben auf der Erde unter bestimmten Bedingungen gesetzmäßig
aus nichtlebender Materie entstanden
ist und
- dass dieser gesetzmäßige Prozess mit wissenschaftlichen Methoden erkennbar
ist,
kann man das Problem wissenschaftlich bearbeiten[191] …
S.130
Wiederholung und Systematisierung
Es gibt ausreichend Beweise dafür, dass alle
Lebewesen natürlichen Ursprungs sind und im Verlaufe einer langen
Entwicklung eine große Mannigfaltigkeit in ihrer Gestalt, ihren Funktionen und
in ihrer Lebensweise herausgebildet haben. Die Durchsetzung dieser Erkenntnis erforderte
einen jahrhundertelangen Kampf zwischen den Anhängern mystischer und religiöser
Auffassungen und den Vertretern des wissenschaftlichen Fortschritts.
…
Wenn heute der Gesamtablauf der Evolution in mancher Hinsicht auch noch
unbekannt ist, über die Entstehung des Lebens noch keine völlige
Klarheit besteht und auch in der Kenntnis über die Abstammung des Menschen noch
Lücken vorhanden sind, kann mit Sicherheit gesagt werden, dass das Leben
auf der Erde aus Nichtlebendem entstanden ist und eine Höherentwicklung der
Organismen stattgefunden hat. Die Richtigkeit der materialistischen
Auffassung, dass die Welt erkennbar ist, ist auch auf dem Gebiet der
Abstammungslehre seit DARWIN vielfach bewiesen worden.[192]
S.169f.
Die Bedeutung der Biologie für die Gesellschaft
…
… Der Biologieunterricht vermittelte Kenntnisse über
die historische Entwicklung der Arbeitstechniken und Methoden der Forscher,
über die praktische Nutzung biologischer Kenntnisse und über den Zusammenhang
von Biologie und Weltanschauung [193]. …
Gegenstand der Betrachtung waren die Vielfalt der Pflanzensippen und
Tiergruppen und ihre stammesgeschichtliche Verwandtschaft, die Vorgänge der
Vererbung und die Ursachen der stammesgeschichtlichen Entwicklung der
Lebewesen sowie die Tatsache, dass sich der Mensch aus dem Tierreich
entwickelt hat.
(Quelle: B1 DDR; VOLK UND WISSEN; Biologie, Lehrbuch für die
Klasse 10, Volk und Wissen Volkseigener Verlag, Berlin, 1982)
Horizonterweiterung:
Weitere Stimmen zum Thema
in ausführlichen Zitaten
Teilband 4: |
||
Kapitel |
Inhalt |
Seite |
4 |
Horizonterweiterung: Weitere Stimmen zum Thema in
ausführlichen Zitaten . |
191 |
4.1 |
Zu Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft |
192 |
4.2 |
Zum Verhältnis von (Schöpfungs-)Glaube und
Naturwissenschaft |
208 |
4 Horizonterweiterung:
Weitere Stimmen zum Thema in ausführlichen
Zitaten
4.1 Zu Erkenntnismöglichkeiten der
Naturwissenschaft
und zu Wissenschaftstheorie
(Quelle: Q1 Aus
Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Zeitung „Das Parlament“, 46/2007: „Geisteswissenschaften“,
S.15ff.))
(Beitrag des Präsidenten der Leibniz-Gesellschaft
und des Generalsekretärs der Leibniz-Gemeinschaft:)
Während die Betrachtung einzelner Gegenstände von Wissenschaft zur
Herausbildung von Fächern bzw. Disziplinen führte, also beispielsweise der
Geschichte (Vergangenheit), der Medizin (der kranke oder verletzte Mensch), der
Biologie (Tiere und Pflanzen) oder der Theologie (Gott und der Mensch), hat der
Ansatz der methodischen Herangehensweise die Einteilung der Wissenschaften in
Naturwissenschaften (Außenperspektive, auf Beobachtung beruhend mit
Beschreibung, Versuch und Beweis) und Geisteswissenschaften
(Innenperspektive, auf Empathie beruhend mit Beschreibung und Interpretation)
zur Folge. So galt die Naturwissenschaft als die beschreibende und erklärende
Wissenschaft, während die Geisteswissenschaft als die verstehende und
interpretierende Wissenschaft (Hermeneutik) definiert wurde. Interessant ist
an dieser Stelle anzumerken, dass im angelsächsischen Kulturkreis nur die Naturwissenschaften
als science anerkannt sind, während
die – im deutschen Sprachraum so bezeichneten Geistes-, Kultur- und
Sozialwissenschaften als humanities
firmieren.;
In der aktuellen Diskussion heißt es, dass die Natur- und
Technikwissenschaften Verfügungswissen
generieren (was mit dem Begriff Verstand
markiert wird), während die Geisteswissenschaften danach Orientierungswissen bereitstellen (gekennzeichnet mit dem Begriff Vernunft).
(Quelle: Q5 Campbell,
N.A. / Reece, J.B.: Biologie, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Berlin,
6. Auflage, 2003)
(Biologie-Lehrbuch für
Hochschulen)
S.16
Naturwissenschaftliche Forschung ist ein Weg zur Erkenntnis.
Sie erwächst aus unserer Neugier für uns selbst, für die Welt und für das
Universum.;
(18) Max Perutz, Nobelpreisträger: „Eine Entdeckung ist wie sich gleichzeitig
zu verlieben und nach einem anstrengenden Aufstieg den Gipfel des Berges zu
erreichen, sie ist eine Ekstase, die nicht durch Drogen hervorgerufen wird,
sondern durch die Offenbarung einer Facette der Natur, die noch nie zuvor
jemandem zuteil geworden ist.“;
Die Naturwissenschaft sucht nach natürlichen Ursachen für natürliche
Phänomene. Dadurch ist sie auf die Untersuchung von Strukturen und
Prozessen beschränkt, die sich direkt oder indirekt beobachten und messen
lassen, wobei oft technische Geräte wie z.B. Mikroskope unsere Sinne
erweitern. ... Es lässt sich naturwissenschaftlich weder widerlegen noch
nachweisen, ob übernatürliche Wesen wie Engel, Götter oder Geister für
Unwetter, Regenbögen, Krankheiten und Heilungsprozesse verantwortlich sind;
solche Erklärungen liegen jenseits der Grenzen der Naturwissenschaft. …
S.19
Hypothesen sind vorläufige Antworten auf eine Frage – also versuchsweise
Erklärungen. In der Regel handelt es sich dabei um mehr als bloße
Vermutungen.
S.22
Verglichen mit einer Hypothese hat eine wissenschaftliche Theorie eine viel
größere Reichweite …
Die Verwendung des Begriffs “Theorie“ in den Naturwissenschaften für eine
umfassende Erklärung, die durch zahlreiche Beweise gestützt wird, steht im
Gegensatz zu unserem alltäglichen Gebrauch des Begriffs; hier setzen wir
Theorien eher mit Spekulationen oder Hypothesen gleich …
Naturwissenschaftliche Theorien sind natürlich nicht die einzige
Möglichkeit, Erkenntnisse über die Natur zu erlangen. ... Naturwissenschaft und
Religion sind zwei grundverschiedene Ansätze, sich mit Naturphänomenen zu
befassen. Die Kunst ist wieder eine andere Möglichkeit ... Das Lehrbuch Biologie
beschreibt das Leben aus rein naturwissenschaftlicher Sicht ...;
Forschungsergebnisse sind nutzlos, solange sie nicht mit einer größeren Gruppe
von Fachkollegen geteilt werden. Nur wer publiziert, kann eine Resonanz
auf seine Ergebnisse bekommen ... Beharren auf Nachweisen,
Kontrollexperimenten und unabhängiger Bestätigung ...
S.23
Naturwissenschaftler ziehen alle Behauptungen zunächst einmal in Zweifel. …
Naturwissenschaft … beruht auf Beobachtungen und Messungen, die von anderen
bestätigt werden können, und ihre Ideen (Hypothesen und Theorien) müssen
sich durch wiederholbare Beobachtungen und Experimente überprüfen
lassen. …
Erkenntnisse auf naturwissenschaftlicher Basis haben stets einen vorläufigen
Status, im Gegensatz zu religiösen Dogmen. ...
Naturwissenschaftler lassen Theorien nicht zum Dogma aufsteigen (520) …
Normalerweise gilt in den Naturwissenschaften etwas nicht mehr als „wahr“,
sobald ein klarer Befund dagegen spricht.
S.519
Manche Menschen tun den Darwinismus als „bloße Theorie“ ab. Diese
Argumentation hat zwei Schwachpunkte. Erstens trennt sie die beiden
Behauptungen Darwins nicht: Moderne Arten entwickelten sich aus altertümlichen
Formen, und die natürliche Selektion ist der Hauptmechanismus dieser Evolution.
Die Erkenntnis, das Leben habe sich entwickelt, beruht auf historischen Belegen
– jenen Spuren der Evolution, die wir im vorigen Abschnitt diskutiert haben. Da
dieses Beweismaterial geradezu überwältigend umfangreich und vielschichtig
ist, gilt die Evolution der Organismen bei nahezu allen Biologen als
historische Tatsache.
Was ist dann aber theoretisch an der Evolutionstheorie? Theorien sind unsere
Versuche, Phänomene zu erklären und sie in übergeordnete Konzepte
einzugliedern. Eine solche Theorie ist Darwins Idee der natürlichen Selektion
- sein Vorschlag zur Erklärung des Evolutionsgeschehens.
S.559
„plötzlich auftretende Veränderungen“?
Angenommen, eine bestimmte Art überlebt fünf Millionen Jahre, doch die meisten
ihrer morphologischen Veränderungen traten während der ersten 50.000 Jahre
ihrer Existenz auf … die Entwicklung der artdefinierenden Merkmale in nur in
einem Prozent der Zeitspanne zusammengedrängt (= plötzlich!) … dass
„plötzlich“ … viele tausend Jahre sein kann …
S.560
Die meisten evolutionären Neuerungen sind abgeänderte Versionen älterer
Strukturen;
(Beispiel: Entwicklung von Augen geschah
in der Evolutionsgeschichte mehrmals und unabhängig voneinander, Übergänge
sind deutlich nachzuvollziehen);
S.564
Kontinentaldrift und Massenaussterben wirkten sich vermutlich mindestens
genauso stark auf die Geschichte der biologischen Vielfalt aus wie die graduelle
Anpassung durch Selektion, die auf der Populationsebene auf Genpools einwirkt.
... historischer Zufall, Auftreten unvorhersehbarer Ereignisse ...
S.564
„Frankfurter Theorie“ als alternatives Erklärungsmodell zur Synthetischen
Evolutionstheorie
S.592
Stammbäume sind hypothetisch
S.608
Geschichte jedweder Art kann keine exakte Disziplin sein, da sie
abhängig ist vom Erhaltungsgrad sowie der Zuverlässigkeit und Interpretation
der jeweiligen Zeitzeugnisse …
(Quelle: Q5 Campbell,
N.A. / Reece, J.B.: Biologie, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Berlin,
6. Auflage, 2003)
(Biologie-Lehrbuch für
Hochschulen)
(Quelle: Q9 Deutsches Institut für
Fernstudien der Universität Tübingen, Fernstudium Naturwissenschaften,
EVOLUTION, Heft 4: Ursprung und frühe Evolution des Lebens, Tübingen, 1985)
Universität Tübingen;
Lehrbrief Fernstudium; Evolution:
S.8
1. Einleitung: Problemstellung und
historischer Hintergrund
… Seit einigen Jahrzehnten wird nun auch erforscht, ob und wie jener hypothetische
Erstahne auf natürliche Weise aus unbelebten Stoffen entstanden sein könnte.
Der Ursprung ersten Lebens - von Ernst HAECKEL 1866 „Biogenese“ genannt - muß
weit zurückliegen. Das Forschungsgebiet, die „Biogenetik", hat inzwischen
Lehrbuchumfang erreicht, jedoch noch keine gefestigte umfassende Theorie der
Biogenese erarbeitet, sondern erst alternative Hypothesen und Teiltheorien
über gewisse Wegabschnitte. Die Schwierigkeit liegt vor allem darin, daß -
anders als bei Erforschung der Phänomene heutigen Lebens - der Lebensursprung
ein weit zurückliegendes historisches Ereignis war, das niemand
beobachtete. Es kann daher nur „kriminalistisch" rekonstruiert werden,
indem man Möglichkeiten des Geschehens aufgrund der Naturgesetze
ausdenkt und zwischen diesen Hypothesen durch beobachtbare Indizien (relevante
Fakten) und Logik (folgerichtiges Denken) zu entscheiden sucht. Auch
wenn ein natürlicher Weg der Biogenese gefunden wird, der mit allen
Naturgesetzen (d.h. logischen Folgen aus den Wirkweisen aus Atomen bestehender
Systeme) und mit allen einschlägigen Fakten verträglich ist, so ist er keine
„absolute Wahrheit". Keine menschliche Erkenntnis über die Realität ist
absolut sicher. Auch wissenschaftliche Theorien gelten nur so lange als
zutreffend, als sie relevante Erfahrungsfakten erklären, vorhersagen lassen
und ihnen nicht widersprechen. Das gilt für jede Aussage über die Wirklichkeit,
auch für auf nichtwissenschaftlichen Wegen z.B. durch „übernatürliche
Eingebungen" oder „Intuition" gefundene.
S.163ff:
Zur Kontroverse um die Entstehung des
Lebens
(Nobelpreisträger) M. Eigen:
Leben kann nicht sein ?
Es ist aber
Wer heute behauptet, das Problem des Ursprungs des Lebens auf unserem
Planeten sei gelöst, sagt mehr, als er wissen kann. Doch um wieviel mehr
müßte der wissen, der die Gegenbehauptung aufstellt und uns einreden will,
dass Leben auf natürliche Weise, also auf der Grundlage von Naturgesetzen, mit
Gewißheit nicht entstehen konnte. Er müßte nicht nur sämtliche Bedingungen
kennen, unter denen Leben möglicherweise entsteht, er muß auch beweisen, daß
gerade diese unter all den vielen möglichen Bedingungen der frühen Erde nicht
realisierbar waren. …
(Quelle: Q10 Deutsches Institut für
Fernstudien der Universität Tübingen, Fernstudium Naturwissenschaften,
EVOLUTION, Heft 3: Theoretische Grundlagen der Evolution, Tübingen, 1986)
Universität Tübingen; Lehrbrief
Fernstudium; Evolution:
S.7ff.
Wissenschaftstheoretische Betrachtungen sind besonders gut als Themen für eine
Zusammenarbeit von Lehrern verschiedener Fächer geeignet.
Theoretisches über Theorie
Die folgenden wissenschaftstheoretischen
Überlegungen sollen eine gemeinsame Ausgangsbasis für die Diskussion der theoretischen
Grundlagen der Evolutionsbiologie schaffen, die im Wesen eine historische
Wissenschaft ist, wenn auch die Rekonstruktion des geschichtlichen Ablaufs
durch naturwissenschaftliche Methoden erfolgt. Die Klärung der
Ausgangsbasis ist besonders wichtig im Hinblick auf die zunehmende Verbreitung
unwissenschaftlicher Thesen zur Geschichte des Lebens (Kreationismus).
1.1 Allgemeines
Selbstverständlich ist die Grundlage der Evolutionsbiologie die
Evolutionstheorie. Es ist aber zum einen zu fragen, ob es die Evolutionstheorie
im Sinne eines einheitlichen, widerspruchsfreien Erklärungssystems überhaupt
gibt, und zum andern, was denn eine wissenschaftliche Theorie, die die
Evolutionstheorie ja zu sein beansprucht, gegenüber nichtwissenschaftlichen
Aussagen auszeichnet.
1.2 Definitionen und Kriterien
Eine Theorie ist eine Menge von systematisch geordneten Aussagen über einen
Bereich der Wirklichkeit, die sowohl erklärende (explikative), als auch
voraussagende (prognostische) Funktion hat (vgl. KLAUS und BUHR,
Philosophisches Wörterbuch, 1964).
Das heißt, eine Theorie muß bekannte Fakten und bekannte Zusammenhänge
erklären, und sie muß Vorhersagen über zukünftige Erkenntnisschritte erlauben.
Eine wissenschaftliche Theorie* zeichnet sich dadurch aus, daß sie,
mindestens im Prinzip, widerlegbar ist. Sie muß ein Falsifikationskriterium
enthalten, oder ein solches muß aus ihr ableitbar sein.
Das hier vertretene Verständnis von Wissenschaftlichkeit fußt im großen und
ganzen auf K. POPPER (1973). Ausgangspunkt dieses Wissenschafts-Verständnisses
ist die Erkenntnis, daß es keine formal-logische Begründung dafür gibt, von
einer Serie von Ereignissen auf ein zukünftiges zu schließen, weil man glaubt,
eine allgemeine Gesetzmäßigkeit gefunden zu haben. Mit anderen Worten, Induktion
ist logisch unzulässig. Induktives Vorgehen, d.h. das Beobachten von
Einzelfällen und das Schließen auf allgemeine Gesetzmäßigkeiten, wird aber
weithin als grundlegend für die Naturwissenschaften betrachtet. POPPER leugnet
keineswegs die Bedeutung und Berechtigung der Induktion für den Alltagsverstand
(so können wir selbstverständlich hundertprozentig sicher sein, daß morgen die
Sonne aufgeht), aber er betont die Hinfälligkeit dieser Methode für die
Erkenntnistheorie. Daraus folgt, daß eine Theorie nie logisch bewiesen
werden kann: Keine noch so lange Versuchsreihe kann ausschließen, daß
genau der nächste, nicht mehr durchgeführte Versuch die Theorie widerlegt
hätte, die er „beweisen" sollte. Was man tun kann, ist, aus einer
Theorie überprüfbare Hypothesen abzuleiten. „Überprüfbar“ heißt, man muß einen
Test durchführen können, der positiv oder negativ ausgehen kann. Für den
Fall des negativen Ausgangs muß klar sein, daß dann die Theorie, zumindest in
der formulierten Fassung, widerlegt ist. Bei positivem Ausgang eines solchen
Tests kann man sagen, daß die Theorie sich einmal „bewährt" hat. …
Je mehr Widerlegungsversuchen eine Theorie standhält, d.h., je häufiger sie
sich bewährt hat, desto verläßlicher ist sie, desto näher dürfte sie der
Wahrheit kommen. Man kann auch sagen, desto „wahrer" ist sie. POPPER
spricht in diesem Fall von „wahrheitsähnlicher" (1971 in 1973).
Wenn aus einer Theorie keine oder nur schwer prüfbare Hypothesen ableitbar
sind, dann ist sie nicht oder nur schwer widerlegbar. Allerdings kann sie sich
auch nicht oder nur schwer „bewähren“
Eine Theorie ist also nicht um so besser, je schwerer, sondern je
leichter sie prinzipiell zu widerlegen ist. Wenn sie trotzdem in den
durchgeführten Tests nicht widerlegt werden konnte, ist es um so unwahrscheinlicher,
daß sie falsch ist.
… die Qualität einer Theorie bemißt sich nicht nur nach dem
Falsifikationskriterium, auch nicht ausschließlich nach dem Grad der
Bewährtheit (wie vielen Widerlegungsversuchen sie standgehalten hat), sondern
auch nach
+ dem Erklärungsgehalt: wie viele schon bekannte Tatsachen sie in sich
aufnehmen kann,
+ der Plausibilität: mit wie vielen bewährten bzw. allgemein
akzeptierten Theorien sie kongruent ist und
+ der Parsimonität: „Sparsamkeit", d.h. wie viele Zusatzannahmen
sie erforderlich macht.
Dies alles kann nur im Vergleich zwischen konkurrierenden Theorien bemessen
werden.
Eine Theorie kann immer nur vorläufig „wahr" sein. Wenn sie eine
echte wissenschaftliche Theorie ist, muß die Möglichkeit bestehen, sie zu
widerlegen. Das gilt nicht nur für einzelne Theorien, sondern auch für
größere Erklärungszusammenhänge. Eine Sache gilt als erklärt, wenn sie als
konkreter Fall einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit formuliert werden kann.
Daraus ergibt sich eine Hierarchie von Erklärungszusammenhängen, d. h. von
Theorien. Die Widerlegung einer Theorie hat daher zwangsläufig Konsequenzen
für die Hierarchieebenen darüber und darunter.
Häufig wurde in der Geschichte der Wissenschaft eine Theorie als Spezialfall
einer übergreifenden Gesetzmäßigkeit erwiesen (z.B. die NEWTONsche Mechanik
als Spezialfall der EINSTEINschen Relativitätstheorie), oder konkurrierende
Theorien stellten sich als vereinbare Teilaspekte einer übergreifenden Theorie
heraus …
Weit übergreifende Erklärungsrahmen, die für bestimmte geschichtliche
Phasen bestimmend waren oder sind, werden „Paradigmen“ (oder
„Paradigmata", Singular „Paradigma") genannt. Beispielsweise war die Ansicht, die Sonne und alle
anderen Himmelskörper drehten sich um die stillstehende Erde, geltendes
Paradigma vor der „kopernikanischen Wende". Ein weiteres Beispiel ist die
Lehre von der Unveränderlichkeit der Arten, die bis zur „DARWINschen
Wende" geltendes Paradigma war.
Ein Paradigma ist nichts anderes als eine Über-Theorie (Metatheorie), die als
Bezugs- und Erklärungsrahmen für alle Theorien auf einem bestimmten Gebiet zu
einer bestimmten Zeit dient(e). Wechsel von einem Paradigma zu einem neuen
vollziehen sich häufig innerhalb kurzer Zeit und unter erheblichen inner- und
außerwissenschaftlichen Auseinandersetzungen („wissenschaftliche Revolutionen"
nach TH. S. KUHN 1967). Diese Heftigkeit der Paradigmenwechsel rührt (nach
KUHN) daher, daß zunehmende Unverträglichkeiten neuer Daten mit dem alten
Paradigma zunächst zur Bildung von Ergänzungen und Erweiterungen des
Paradigmas führen. Aus verständlichen Gründen ist zunächst die überwiegende
Mehrheit der Wissenschaftler daran interessiert, das Erklärungskonzept, das
ihnen allen als Bezugsrahmen dient, ihnen hilft, Wahrheit oder Falschheit
einer Aussage festzustellen, ihnen über lange Zeit vertraut war und mit dem sie
sich identifizieren, so lange wie möglich zu bewahren. In solchen Situationen
„ist die Zeit reif" für neue übergreifende Theorien. Wenn nun ein solches
neues Erklärungskonzept die angewachsenen Widersprüche auflöst und
gleichzeitig zu neuen Untersuchungen anregt, dann ist die Wahrscheinlichkeit
groß, daß dieses neue Konzept zuerst wenige, aber streitbare, dann aber auch
eine rasch wachsende Zahl von Anhängern gewinnt. Allerdings muß gesagt werden
(was auch KUHN schon erwähnte), daß nicht immer nur wissenschaftliche Gründe
für Annahme oder Nichtannahme bzw. verzögerte Annahme eines neuen
Paradigmas verantwortlich sind. Nationalität, Geschlecht, gesellschaftliche
Stellung, Zugehörigkeit zu einer bestimmten „Schule" und ähnliche
Prädikate des/der Autor/s/en bzw. Autorin/neu bestimmten und bestimmen immer
noch darüber mit. Es gilt festzuhalten, daß gesellschaftliche Bedingungen
und innerwissenschaftliche immer und notwendigerweise verzahnt sind, denn die
Menschen, die Wissenschaft betreiben, sind Teil der Gesellschaft, in der sie
leben. Es wäre demnach sinn- und aussichtslos, die Forderung nach einer
von gesellschaftlichen Einflüssen freien Wissenschaft zu erheben. Dies heißt
jedoch auch, daß die Aufhebung von Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft den –
auch sozialen - Prozeß der Annahme einer wissenschaftlichen Theorie gerechter
werden ließe.
1.3 Historische Theorien und
nichtwissenschaftliche Erklärungen
Das Kriterium der Widerlegbarkeit einer Theorie gewinnt besonderes Gewicht bei
der Behandlung einmaliger zeitlicher Abläufe. Aus einer Theorie über einen
geschichtlichen Prozeß lassen sich nur indirekt widerlegbare Hypothesen
ableiten. „Die Erforschung der Geschichte ist der Versuch einer Rekonstruktion
von einmaligen Ereignissen, die sich in der Vergangenheit abgespielt haben. Für
solche Rekonstruktionsarbeit gibt es keine echte Testbarkeit. Evolutionslehre
sowie Geschichtsforschung haben nach POPPERS Definition von Wissenschaft als
Metaphysik zu gelten" (RIEPPEL 1983, S. 16)[194]. Wie aber oben schon aufgeführt, ist die Möglichkeit
zur Herleitung widerlegbarer (d.h. testbarer) Hypothesen nicht das einzige
Qualitätskriterium für die Beurteilung einer Theorie. Auch im Bereich der
„Metaphysik" können konkurrierende Theorien rational gegeneinander
abgewogen werden (z.B. die Theorie von der Konstanz der Arten gegen DARWINS
Evolutionstheorie).
Zudem können indirekte Tests (beispielsweise Vorhersagen über noch nicht
gemachte Entdeckungen) für historische Theorien ebenso gewertet werden wie
direkte Tests in Form von wiederholbaren Experimenten für die „exakten"
Naturwissenschaften (s. RUSE 1982, S. 135 ff.). Jüngst wurde sogar behauptet,
die Deszendenztheorie (die Theorie der Abstammung der heute lebenden Tierarten
von gemeinsamen Vorfahren) sei eine im Prinzip „leicht falsifizierbare, oft
getestete und noch nicht widerlegte Theorie" (VAN DONGEN und VOSSEN
1984). Allerdings ist zu betonen, daß es keine Theorie gibt, die ein Urteil
über die Gültigkeit von wissenschaftlichen (bzw. rational-metaphysischen) Aussagen
und gleichzeitig von Glaubenssätzen oder mythischen Erklärungen erlaubt. Es
ist daher eminent wichtig, in Diskussionen um solche Probleme zu klären, welche
Maßstäbe für eine Theorie gelten sollen, resp. sich zu einigen, wann eine
Aussage wahr sein soll. Innerhalb der Wissenschaft wird das der Fall sein, wenn
eine Theorie vielen Widerlegungsversuchen standgehalten hat (d.h. wenn ihr
Bewährungsgrad hoch ist), oder, wo dies nicht anwendbar ist, wenn eine Theorie
die Beobachtungsdaten umfassend, in sich widerspruchsfrei und in
Übereinstimmung mit anderen, testbaren Theorien erklärt.
Ein weiterer Punkt ist wichtig: Nichtwissenschaftliche „Theorien" über
die Entstehung der Lebewesen und ihrer Vielfalt (z.B. Schöpfungsgeschichten in
Märchen, Sagen und Mythen) sollen gar nicht überprüfbar sein, sie sollen
vielmehr geglaubt werden. Auch die gesamten Erklärungsmodelle der Naturwissenschaft
gehen letzten Endes auf empirisch nicht widerlegbare (wohl aber rationale)
Grundannahmen zurück (z.B. mathematische Axiome wie die PEANOschen**, oder daß
es eine objektive Realität unabhängig von unserer Erkenntnis gibt, daß die
Welt nur einmal existiert, dass die Zeit aus dem Unendlichen kommt und linear
ins Unendliche geht usw.). Der entscheidende Unterschied zum Mythos ist jedoch,
daß innerhalb der Wissenschaft jede Erklärung überprüfbar sein soll und damit
hinterfragt werden darf. Intuition, Emotion und Ästhetik spielen zwar
in der Praxis des Experimentierens und Datensammelns eine nicht unerhebliche
Rolle, dürfen jedoch in Begründungen und Erklärungen gar nichts gelten
(hier liegt z.B. einer der großen Unterschiede zwischen Wissenschaft und
Anthroposophie, vgl. z.B. SCHRAMM 1984).
* „Wissenschaft“ wird hier im Sinne von „science“, d.h. ungefähr
„Naturwissenschaft“, verwendet
** Guiseppe PEANO (1858-1932) entwarf 1891 sein Axiomensystem, aus dem sich die
Eigenschaften der natürlichen Zahlen herleiten lassen:
1. 0 ist eine Zahl.
2. Jede Zahl hat genau einen Nachfolger.
3. 0 ist nicht Nachfolger einer Zahl.
4. Jede Zahl ist Nachfolger höchstens einer Zahl.
5. Von allen Mengen, die die Zahl 0 und mit der Zahl n auch deren Nachfolger n´
enthalten, ist die Menge der natürlichen Zahlen die kleinste.
(Nach GELLERT u. a. (Hrsg.): Handbuch der Mathematik. 739 S., Buch und Zeit
Köln o. J.)
(Quelle: Q10 Deutsches Institut für
Fernstudien der Universität Tübingen, Fernstudium Naturwissenschaften,
EVOLUTION, Heft 3: Theoretische Grundlagen der Evolution, Tübingen, 1986)
(Quelle: Q12 Farouki,
N. / Serres, M. (Hrsg.): Thesaurus der exakten Wissenschaften, Zweitausendeins
Verlag, Frankfurt/Main, 2001)
Aus dem „Thesaurus der
exakten Wissenschaften“
(Grenzen
der naturwissenschaftlichen Erkenntnis)
„Anfang, Ursprung“
Die Frage nach dem Anfang und Ursprung ist natürlich keine wissenschaftliche
Frage. Zwar sind viele Menschen fasziniert von den vier großen Fragen nach
dem Ursprung des Universums, des Lebens, des Menschen und des Bewusstseins,
doch diese Faszination beruht eher auf den religiösen Konnotationen dieser
Fragen als auf einem Interesse an den Antworten, die unsere Wissenschaften
darauf geben. Denn, genau gesagt, geben die Wissenschaften darauf keine
Antwort. Und das hat seine Gründe. Jede dieser Entitäten – das Universum,
das Leben, der Mensch, das Bewusstsein – existiert als solche auf der Ebene
ihrer Entstehung nur im Rahmen der philosophischen oder religiösen Fragestellung,
aber nicht im Zusammenhang einer wissenschaftlichen Realität …
Wer vom Ursprung des Universums spricht, der meint, dass es eine Zeit
gab, da das Universum seinen Anfang nahm. Dieser Ausdruck setzt voraus, dass
die Zeit außerhalb des UNIVERSUMS existiert, dass es eine absolute, gleichsam
göttliche Zeit gibt. Die Physik lehrt uns aber, dass Raum, Zeit und Materie
untrennbar miteinander verbunden sind … Für Physiker hat es deshalb gar
keinen Sinn, von einem Anfang oder Ursprung des Universums im zeitlichen Sinne
zu sprechen; sie vermögen nur die Veränderungen des bereits existierenden Universums
zu beschreiben. Ein zeitlicher „Nullpunkt“ ist nur eine Konvention, die aus
Gründen der leichteren mathematischen Behandlung eingeführt wird.
Die wissenschaftliche Erforschung des Ursprungs des Lebens konzentriert sich
auf die Bedingungen, die dessen Entstehung ermöglicht haben. Da Leben durch die
Fähigkeit definiert ist, sich zu reproduzieren, durch eine Fähigkeit also, die
das Leben bereits voraussetzt, können wir uns aus dem darin enthaltenen circulus vitiosus nur befreien, indem
wir uns den physikalischen und chemischen Eigenschaften der Grundbausteine des
Lebens zuwenden. Stehen am Anfang des Lebens einfache Moleküle? Ist die Biologie
letztlich auf die Chemie zurückzuführen? Falls man diese Frage bejaht, verlagert
sich die Frage nach dem Ursprung des Lebens in ein anderes Fachgebiet, die
Chemie. Aber hat der Begriff des Lebens dann überhaupt noch einen Sinn?
Die beiden letzten Ursprungsfragen betreffen das Wesen des Menschen ...
Wollen wir die Frage nach der Entstehung des Menschen im Rahmen der
Evolution beantworten (an welchem Punkt der Entwicklung löste er sich von der
Abstammungslinie unserer nahen Verwandten, der großen Primaten?), müssen wir
wissen, aufgrund welchen Kriteriums wir wirklich von einem Menschen
sprechen können.
Die Frage nach dem Ursprung des Bewusstseins wiederum (ab welchem Punkt
der individuellen Entwicklung besitzt ein menschliches Wesen ein Bewusstsein,
das seine Menschlichkeit ausmacht und ihm seine Einzigartigkeit verleiht?) hat nur
dann Sinn, wenn wir genau angeben können, was „Bewusstsein“ bedeutet. …
Die Naturwissenschaft ist in ihrem Element, wenn es darum geht, Veränderungen
zu analysieren und zu verstehen; die Frage nach der Entstehung von Dingen aus
dem Nichts, der creatio ex nihilo,
bildet dagegen eine Grenze, jenseits derer die Wissenschaft keine Antworten zu
geben vermag.
„Hypothese, Theorie“
… Die großen Umwälzungen in der Geschichte der Wissenschaft zwingen die
Forscher, sehr vorsichtig mit dem Begriff der Wahrheit umzugehen. Da der
Aufbau der Welt sich ihnen nicht a priori
erschließt, müssen sie eingestehen, dass der wissenschaftliche Diskurs über
die Welt bestenfalls eine theoretische Erklärung liefert, die für den
Augenblick Geltung beansprucht, aber jederzeit durch neue Beobachtungen und
EXPERIMENTE widerlegt werden kann.
Auch wenn eine Theorie ... ein allgemeines Weltbild darstellt, in dessen
Rahmen wissenschaftliche Methoden Anwendung finden, handelt es sich dennoch um
eine Hypothese, die man in den Rang einer Theorie erhoben hat, weil sie so umfassend
ist und so viele Fachgebiete sich in ihrem Rahmen bewegen können. Zu diesen
umfassenden Theorien gehören etwa die Darwinsche Evolutionstheorie, die Theorie
des expandierenden Universums und das Standardmodell der Quantenphysik ...
„Singularitäten in der Astrophysik“
Von einer Singularität spricht man in der Astrophysik wie allgemein in
der Physik, wenn in der mathematischen Formel, die die Realität
darstellen soll, Größen (wie Dichte, Ladung, Druck, Temperatur usw.) auftreten,
die an einem Punkt im RAUM oder in der ZEIT unendliche Werte annehmen.
Diesen mathematischen Ergebnissen kann keine physikalische Realität
entsprechen, denn in der Physik kennt man nur messbare, das heißt endliche
Größen. Die Singularität verweist daher auf eine mangelhafte Übereinstimmung
zwischen Theorie und Wirklichkeit und kann gerade deshalb äußerst fruchtbar
sein, denn sie bezeichnet eine Stelle, an der die Theorie mangelhaft und die
mathematische Darstellung allzu summarisch gegenüber der Realität ist. …
(in Modellen zur Beschreibung des Kosmos gibt es Zustände) … dass die Dichte
von Materie und Energie unendlich groß wird; solch ein Zustand hat im
Universum keinen physikalischen Sinn und kann im Universum nicht real
eintreten. Es handelt sich um eine Singularität; sie gehört für den
Mathematiker nicht zur RAUM-ZEIT, der alle übrigen Zustände angehören …
„unmöglich“
Auch wenn manche gern sagen, nichts sei unmöglich, kennt man in den
Wissenschaften doch mancherlei Unmögliches, und sei es nur dadurch bedingt,
dass jede Wissenschaft ihren Gegenstandsbereich präzise abgrenzen muss. Da
Wissenschaften niemals die Gesamtheit des Wissens über die Gesamtheit aller
Objekte in sich vereinigen, bestimmen sie durch die Abgrenzung ihres
Gegenstandsbereiches stets auch jenen Bereich, über den sie mit ihren Methoden
unmöglich etwas auszusagen vermögen. Hierzu gehören z.B. alle Fragen, die den
Ursprung der Dinge betreffen.
„Widerlegbarkeit“
Oft besteht die Tendenz, das wissenschaftliche Vorgehen über die
„Verifizierbarkeit“ seiner Schlussfolgerungen zu definieren. So bezeichnet
man jede Information als wissenschaftlich, die durch Beobachtung und
Experiment bestätigt wird. Implizit bedeutet diese Sichtweise, dass der
wissenschaftliche Diskurs die Wirklichkeit der uns umgebenden Welt so objektiv
und passiv wie möglich beschreibt.
Diese Vorstellung lehnte Karl Popper ab, da für ihn keine wissenschaftliche
Erkenntnis existiert, in der sich die REALITÄT der Welt lediglich
widerspiegelt. Tatsächlich ist jede wissenschaftliche Erkenntnis eine von
unserem Verstand aufgestellte Hypothese, die wir vielfältigen Prüfungen
unterziehen, damit die Außenwelt sie widerlegt oder bestätigt. Sagt die
Natur „ja“, so ist es meist lediglich ein „vielleicht ja“. Sagt sie dagegen
„nein“ – widerlegt sie also die Hypothese -, so geschieht dies kategorisch.
(Quelle: Q12 Farouki,
N. / Serres, M. (Hrsg.): Thesaurus der exakten Wissenschaften, Zweitausendeins
Verlag, Frankfurt/Main, 2001)
(Quelle: Q13 Ferguson,
K.: Gott und die Gesetze des Universums, Econ, Düsseldorf 2002)
Kitty Ferguson (Wissenschaftsjournalistin):
S.29
erinnern uns Wissenschaftler immer wieder daran, dass das „Gesetz“ von
Ursache und Wirkung ein „Glaubensartikel“ ist und mitnichten ein Gesetz
S.47f.
Naturwissenschaft behauptet nicht, sie habe die letzte Wahrheit über irgend
etwas entdeckt … dass sie ein tieferes Verständnis der Natur suchen …
„Standardmodell“ , das die meisten Experten zum gegenwärtigen
Zeitpunkt akzeptieren …
sie sprechen von „approximativen Theorien“, die zwar in einem bestimmten
Bereich zufriedenstellend funktionieren, aber nicht die ganze Wahrheit
zu sein beanspruchen …
sie sprechen von „effektiven Theorien“ d.h. von etwas, mit dem man
gegenwärtig arbeiten kann …
Es besteht allgemeine Einigkeit darüber, dass in der Naturwissenschaft
nichts jemals „bewiesen“ werden kann …
S.67:
Werner Heisenberg:
„Auch in der Naturwissenschaft ist also der Gegenstand der Forschung nicht
mehr die Natur an sich, sondern die der menschlichen Fragestellung ausgesetzte
Natur“;
S.120:
An den Grenzen der wissenschaftlichen
Wahrheit
Religion, Kunst, Philosophie, Musik, Dichtung, Literatur, die Künste und
die Geisteswissenschaften haben die Grenzen der menschlichen Erfahrung
erweitert und uns Einsichten und Erklärungen vermittelt, denen unverkennbar
Wahrheit anhaftet. Sie verkörpern etwas, wozu die Naturwissenschaft nicht in
der Lage ist – und feiern es sogar -, nämlich das Unerklärliche, das Abseitige,
das Nichteinordenbare, das Unvorhersehbare, das Sinnlose, das Einmalige, das
Einzigartige, das Wunderbare, das Absurde und das Irrationale.
Der Physiker Stephen
Hawking selbst hat als erster darauf hingewiesen, dass sein Konzept nur ein Vorschlag
ist. Er bezeichnet es nicht einmal als eine Theorie. Es ist ein spektakuläres,
wildes Phantasiegebilde.
(Quelle: Q15
GEOkompakt Nr.4: Die Evolution des Menschen, Hamburg 2005)
S.3
Doch so viel wir auch in den vergangenen 150 Jahren über den Ursprung der Arten
gelernt haben: Die meisten evolutionsbiologischen Erklärungen sind dennoch
keine unumstößlichen Wahrheiten, „sondern Hypothesen und Denkmodelle, die
aber eine enorme Erklärungskraft und große Plausibilität haben“, so mein
Kollege Henning Engeln, der das Konzept für dieses Heft erarbeitet hat. Denn
eines darf man bei allem Respekt vor der akribischen Forschung besonders in den
letzten Jahrzehnten nie vergessen: Die Paläoanthropologen versuchen die rund
sieben Millionen Jahre währende Entwicklungsgeschichte des Menschen aus gerade
mal 3000 Funden herauszulesen. Das entspricht einem einzigen Fossil für einen
Zeitraum von jeweils etwa 2500 Jahren.
S.25
dass es mittlerweile einen ganzen „Wald“ von Stammbäumen des Menschen gibt;
S.55
statistisch wird nur alle fünf Jahre ein wichtiges fossiliertes Relikt der
Menschheitsgeschichte entdeckt. Hominidenforscher sind daher zahlreicher
als Hominidenfunde;
S.77 Für mehr als 99%
unserer Evolution haben wir nicht einen einzigen fossilen Beleg;
(Quelle: Q16 Haeckel,
E.: Die Lebenswunder, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1906)
Ernst Haeckel:
S.2ff.
Gustav Kirchhoff (Entdecker der Spektralanalyse): „Die Aufgabe der Wissenschaft
ist, die in der Natur vor sich gehenden Bewegungen zu beschreiben, und zwar
vollständig und auf die einfachste Weise zu beschreiben.“. Diese Weisung hat
nur dann einen Sinn, wenn man dem Begriffe „Beschreibung“ eine ganz andere
Bedeutung unterlegt, als üblich ist, d.h. wenn die „vollständige
Beschreibung“ zugleich eine Erklärung enthält. Denn alle wahre
Wissenschaft geht seit Jahrtausenden nicht auf einfache Kenntnis durch
Beschreibung der einzelnen Tatsachen, sondern auf deren Erklärung durch die
bewirkenden Ursachen. Freilich bleibt deren Erkenntnis immer mehr oder
weniger unvollkommen oder selbst hypothetisch ...
Das Streben nach möglichster Genauigkeit und Objektivität der Beobachtung lässt
vielfach den wichtigen Anteil übersehen, den die subjektive
Geistestätigkeit des Beobachters an ihrem Ergebnis hat ...
In dem modernen Kampfe um die Deszendenztheorie ist nicht selten der Versuch
unternommen worden, die Entstehung neuer Arten experimentell zu beweisen oder
zu widerlegen. Dabei wurde ganz vergessen, dass der Begriff der Art oder
Spezies nur relativ ist und dass kein Naturforscher eine befriedigende absolute
Definition dieses Begriffes geben kann. Nicht minder verkehrt ist es,
das Experiment auf historische Probleme anwenden zu wollen, wo alle
Vorbedingungen für sein Gelingen fehlen. ... Die Sicherheit der Erkenntnis,
die wir empirisch durch Beobachtung und Experiment gewinnen, ist direkt nur
möglich in der Gegenwart. Dagegen sind wir bei der Erforschung der
Vergangenheit auf andere Methoden der Erkenntnis angewiesen, die minder
zuverlässig und zugänglich sind, auf Geschichte und Tradition. ...
Trotzdem bleiben hier stets unzählige Pforten des Irrtums offen, da
diese Urkunden meist unvollständig sind, und da ihre subjektive Deutung oft
ebenso zweifelhaft ist wie ihr objektiver Wahrheitsgehalt.
S.23
Unter „Wunder“ versteht man im gewöhnlichen Sprachgebrauch sehr verschiedene
Vorstellungen. Wir nennen eine Erscheinung wunderbar, wenn wir sie nicht
erklären und ihre Ursachen nicht begreifen können. Wir nennen aber ein
Naturobjekt oder ein Kunstwerk wunderschön oder wundervoll, wenn es außerordentlich
schön oder großartig ist, wenn es die gewohnten Grenzen unseres Vorstellungskreises
überschreitet. Nicht in diesem übertragenen relativen Begriff sprechen wir
hier vom Wunder, sondern in dem absoluten Sinne, in welchem eine Erscheinung
die Grenzen der Naturgesetze überschreitet und für die menschliche Vernunft
überhaupt unerklärbar ist.;
S.37
Kunst und Wissenschaft ... unsere Einbildungskraft strebt nach der
Produktion einheitlicher Gebilde, und wenn sie
... auf Lücken stößt, so sucht sie diese durch Neubildungen zu füllen.
Solche selbständige, die Lücken der Vorstellungskreise ergänzende Produkte
... nennen wir Hypothesen, wenn sie mit den erfahrungsmäßig festgestellten
Tatsachen logisch vereinbar sind, dagegen Mythen, wenn sie diesen Tatsachen
widersprechen;
S.39
Naturwissenschaft ...
betrachtet ihre Objekte ... als wirklich existierende Dinge, deren
Eigenschaften uns durch unsere Sinne ... und unsere Denkorgane ... bis zu
einem gewissen Grade erkennbar sind. Dabei sind wir uns kritisch bewusst,
dass beiderlei Erkenntnisorgane – also auch die durch sie gewonnene Erkenntnis
selbst – unvollkommen sind und dass vielleicht noch ganz andere Eigenschaften
der Organismen existieren, die uns unzugänglich sind.
(Quelle: Q26 Vollmer,
G.: Biophilosophie, Reclam, Stuttgart, 1995)
Gerhard Vollmer
(Erkenntnis-Theoretiker):
S.38
Biologie ist, wie alle Wissenschaft, fehlbar, vorläufig, hypothetisch.
Allerdings sollte man aus dieser Einsicht nicht den Schluss ziehen,
wissenschaftliche Erkenntnis sei, weil nicht sicher, im Grunde nur spekulativ
und darum wertlos. Zwischen Sicherheit und bloßer Spekulation liegt ein weites
Spektrum …
Notwendige Merkmale einer guten erfahrungswissenschaftlichen Theorie sind
Zirkelfreiheit, Widerspruchsfreiheit, Erklärungswert, Prüfbarkeit und
Testerfolg; wünschbar sind darüber hinaus: Einfachheit, Anschaulichkeit,
Breite, Tiefe, Lückenlosigkeit, Präzision, Axiomatisierbarkeit, Anwendbarkeit
...
Alle diese Kriterien reichen zwar nicht aus, die einst erträumte Sicherheit
wissenschaftlicher Erkenntnis wiederherzustellen; sie können aber doch
dazu dienen, wissenschaftliche Hypothesen als zulässig und bewährt, sogar als
zuverlässig oder vertrauenswürdig auszuzeichnen. …
S.51
Biologie als Naturwissenschaft schließt gewisse Fragen einfach aus, die
anderswo gestellt werden. Fragen nach Daseinszielen, nach dem Sinn des
Lebens, nach einem Weltenschöpfer oder Weltenlenker, nach Geltungsgründen oder
moralischen Rechtfertigungen werden in der Biologie nicht nur nicht beantwortet:
Sie werden gar nicht erst gestellt, nicht einmal zugelassen. Als legitim
gelten innerhalb der Erfahrungswissenschaften nur Fragen, die Tatsachen
betreffen und die im Rahmen erfahrungswissenschaftlicher Methoden wenigstens
prinzipiell Aussicht auf Beantwortung haben.
S.53
Selbst ein so gut bewährter, bisher nie widerlegter und in die
gesamte Naturwissenschaft eingebundener Satz wie der Energiesatz könnte sich eines Tages doch als falsch
erweisen. Auch Behauptungen über Unmögliches stehen deshalb grundsätzlich
unter dem Vorbehalt möglichen Irrtums. …
S.55
Aus Fakten (der Erfahrungswissenschaften) lassen sich Normen nicht gewinnen
... Wer es gleichwohl versucht, begeht den sogenannten naturalistischen Fehlschluss: Allein aus der Tatsache, dass ein Verhalten
sich in der Evolution herausgebildet und somit bewährt hat, folgt
beispielsweise noch nicht, dass es gut oder richtig wäre. Das Natürliche ist
nicht automatisch auch schon das Richtige. …
S.100
Die Wissenschaftstheorie hat zu interessanten Ergebnissen geführt …
Eines ihrer Hauptergebnisse ist die Einsicht in den vorläufigen,
hypothetischen oder Vermutungscharakter
allen Tatsachenwissens, auch der wissenschaftlichen Erkenntnis …
S.108
Wirklichkeitserkenntnis ist eine adäquate (interne) Rekonstruktion und
Identifikation äußerer Objekte. …
S.111
Die realen Objekte werden – durch Licht, Schallwellen, chemische
Substanzen, Wärmestrahlung oder Gravitationsfelder – projiziert auf unsere
Sinnesorgane, die meist auf der Körperoberfläche liegen. Auch technische
Geräte, Beobachtungs- und Messinstrumente, Fernrohre, Mikrophone, Thermometer,
Kompass oder Geigerzähler, dienen lediglich der Verbreiterung dieses
Projektions-„Schirmes“, der Übersetzung von Projektionssignalen in solche,
die unser natürlicher Apparat verarbeiten kann. …
Alles Tatsachenwissen ist hypothetisch
…
S.128
Unser Gehirn ist freilich nicht als Erkenntnisorgan, sondern als
Überlebensorgan entstanden. …
S.35
Nach dem Popperschen Falsifikationskriterium – eine gute
erfahrungswissenschaftliche Theorie muss an der Erfahrung scheitern können –
böte die Biologie, vor allem aber die Evolutionstheorie, also nur ein
zwar fruchtbares, letztlich aber doch metaphysisches Forschungsprogramm
…
(Seite 105: Popper
selbst hat sein Urteil über die Evolutionstheorie widerrufen. 1977 erklärte er,
die Theorie der natürlichen Auslese sei doch eine prüfbare Theorie)
S.42
Genetik und Entwicklungsbiologie erklären zwar (ansatzweise), wie aus
Lebewesen neue Lebewesen entstehen, und die Evolutionstheorie erklärt
(ansatzweise), wie aus Arten neue Arten entstehen, wie jedoch die ersten
Lebewesen entstanden sind, das erklären sie nicht. Sie können das auch gar
nicht, da sie die Existenz von Lebewesen ja schon immer voraussetzen. Erste
Lebewesen können offenbar nicht aus belebten Systemen entstehen, (da sie sonst
nicht die ersten Lebewesen wären), sondern nur aus unbelebten. ...
Die Entstehung des Lebens kann also, wenn überhaupt, nur durch Physik und
Chemie erklärt werden …
Zufällige Ereignisse haben keine Ursache und damit auch keine Erklärung …
sind nicht völlig gesetzlos, sondern genügen statistischen Gesetzmäßigkeiten.
Solche Gesetze sind jedoch nur dann anwendbar, wenn es sich um Ereignisklassen
handelt, der Erklärung von Einzelereignissen können sie dagegen nicht dienen
…
S.105
Tatsächlich ist bisher kein Faktum bekannt, das der Evolutionstheorie
widersprechen oder sie widerlegen würde. Freilich gibt es noch viele ungelöste
Probleme. Viele Kritiker verwechseln die bestehende Unvollständigkeit der
Evolutionstheorie mit Falschheit.
(Quelle: Q26 Vollmer,
G.: Biophilosophie, Reclam, Stuttgart, 1995)
(Quelle: Q28 Vollmer, G., UNIVERSITAS 8/1991, S.768f.)
Gerhard Vollmer
(Erkenntnis-Theoretiker):
Klassischer Determinismus
Das klassische Ideal einer
erfolgreichen Ordnungssuche stellt der Laplacesche Dämon dar:
„Ein Geist, der für einen Augenblick alle Kräfte kennte,
welche die Natur beleben, und die gegenseitige Lage aller Wesenheiten, aus
denen die Welt besteht, müßte, wenn er zudem umfassend genug wäre, um alle
diese Angaben der (mathematischen) Analyse zu unterwerfen, in derselben Formel
die Bewegungen der größten Himmelskörper und die der leichtesten Atome
überblicken. Nichts wäre ungewiß für ihn, und Zukunft wie Vergangenheit wären
seinen Augen gegenwärtig.“
Laplace behauptet also, daß
unter gewissen Bedingungen die ganze Welt berechenbar wäre. Es ist lehrreich,
sich die Voraussetzungen und die Konsequenzen dieses epistemischen Ideals
klarzumachen. Dies versuchen wir in der Tabelle.
In dieser Darstellung wird
vom Prinzip der schwachen Kausalität Gebrauch gemacht: Gleiche Ursachen
haben gleiche Wirkungen. Die klassische Physik hat stillschweigend ein weit
stärkeres Prinzip zugrundegelegt, das Prinzip der „starken" Kausalität: Ähnliche
Ursachen haben ähnliche Wirkungen. Danach wirken sich kleine Abweichungen
in den Anfangsbedingungen auch auf die späteren Zustände des betrachteten
Systems nur geringfügig aus; kleine Ursachen haben nicht beliebig oder
unvorhersagbar große Wirkungen. Laplace hat dieses Prinzip nicht formuliert;
wir dürfen aber annehmen, daß er es, wie die spätere Physik auch,
uneingeschränkt bejaht hätte. Bei den Prämissen in der Tabelle entfällt dann
die Forderung der absoluten Genauigkeit, und deshalb dürfen dann auch die
Rechenergebnisse entsprechende, d. h. mit den anfänglichen Abweichungen
vergleichbare Ungenauigkeiten aufweisen.
WENN die Welt
·
deterministisch wäre und
·
ausschließlich aus (untereinander wechselwirkenden)
Teilchen bestünde,
wenn die Newtonsche
Bewegungsgleichung m • b = K uneingeschränkt gültig wäre,
wenn wir
·
alle Naturgesetze, insbesondere alle Kraftgesetze,
und
·
alle Rand- und Anfangsbedingungen zu einem bestimmten
Zeitpunkt (d. h. bei Gültigkeit der Newtonschen Gleichung die Orte und
Geschwindigkeiten aller Teilchen)
·
mit absoluter Genauigkeit kennten und
wenn wir
·
alle diese Daten speichern,
·
mathematisch verarbeiten und
·
schnell genug
·
alle einschlägigen Gleichungen lösen könnten,
DANN wäre
nicht nur der Lauf der Welt
·
in allen Einzelheiten
·
eindeutig bestimmt (gleiche Ursachen haben gleiche
Wirkungen),
sondern dann könnten wir
(oder wenigstens der Laplacesche Dämon oder ein gigantischer Supercomputer)
sogar
·
alle Ereignisse
·
der Vergangenheit und der Zukunft rechnerisch
ermitteln.
Die Suche nach Ordnung und Struktur,
nach Regelmäßigkeiten und Naturgesetzen, war, das lehrt die Wissenschaftsgeschichte,
recht erfolgreich. Aber eine Garantie, daß sie immer und überall zum Ziel führen
werde oder gar müsse, gibt es nicht. Tatsächlich haben sich längst auch Grenzen
dieses Ansatzes gezeigt. Sie liegen zum einen in der Verfaßtheit der realen
Welt, zum anderen in den Möglichkeiten (oder vielmehr in den Beschränkungen)
des erkennenden Subjekts. Sieht man genau hin, so erweisen sich alle Prämissen
des Laplaceschen Determinismus, soweit sie nicht sowieso nur epistemische Idealisierungen
unbeschränkten Wissens und Könnens darstellen, als verfehlt. Dies kann hier
allerdings nur noch durch eine Aufzählung belegt werden.
·
Die Welt ist nicht deterministisch. Nach der üblichen
Deutung der Quantenphysik gibt es absoluten Zufall (und damit z.B. für den Zeitpunkt eines spontanen Kernzerfalls
nicht nur keine Ursache, sondern auch und erst recht keine Erklärung).
·
Die Welt besteht nicht nur aus Teilchen; sie enthält
auch Felder. Der klassische Determinismus läßt sich allerdings auf (klassische) Felder übertragen, so daß die Entdeckung von
Feldern im 19. Jahrhundert den Determinismus noch nicht ernsthaft gefährdete.
·
Die Newtonsche Bewegungsgleichung ist nicht
universell anwendbar, insbesondere nicht auf Teilchen ohne Ruhemasse, etwa auf Photonen.
·
(Ob wir alle Kraftgesetze kennen oder kennen könnten,
darf offenbleiben; daß es so sei, hat ja auch Laplace nicht behauptet.)
·
Messungen können den Zustand eines Systems verändern
(stören), in einer Weise, die weder vorhergesagt noch nachträglich bestimmt werden kann.
·
Ort und Impuls eines einzelnen Teilchens sind nicht
nur nicht gleichzeitig beliebig genau meßbar; reale Systeme haben überhaupt nicht scharfen Ort und Impuls. Die Quantenphysik
definiert den Zustand eines Teilchens deshalb anders als die klassische
Physik.
·
Absolute Genauigkeit einer Messung würde bei einer kontinuierlichen
Größe (wie Ort, Zeit, Geschwindigkeit) die empirische
Bestimmung einer reellen Zahl, also von unendlich vielen Dezimalstellen
bedeuten. Das ist nicht realisierbar.
·
Daß die Prämissen der umfassenden Datenspeicherung,
Datenverarbeitung und Rechengeschwindigkeit für uns Menschen nicht erfüllbar
sind, wußte natürlich auch Laplace; gerade deshalb hat er ja einen Geist mit übermenschlichen Fähigkeiten eingeführt. Jedoch
durfte Laplace noch davon ausgehen, daß alle mathematischen Probleme durch
angebbare Verfahren, also letztlich algorithmisch, gelöst werden können.
Heute wissen wir, daß auch diese Annähme falsch ist. Für manche Probleme konnte
gezeigt werden, daß es für sie keinen Lösungsalgorithmus geben kann. Außerdem
ist für viele durchaus realistische Probleme ein Lösungsweg zwar bekannt;
jedoch würde er selbst den ins Auge gefaßten kosmischen Supercomputer
nachweislich weit überfordern. Und einen
eleganteren Lösungsweg gibt es dabei nicht; in einigen Fällen ist das
bewiesen, in anderen ist es höchstwahrscheinlich.
·
Das Prinzip der starken Kausalität ist nicht erfüllt.
Wie die Untersuchungen an chaotischen Systemen zeigen, können auch beliebig kleine Änderungen der
Anfangsbedingungen immer noch zu unübersehbaren Abweichungen in späteren
Zuständen führen. Bei solchen Systemen ist trotz ihrer deterministischen
Struktur (also trotz schwacher Kausalität) keine zuverlässige
langfristige Prognose möglich.
Es sind
also drei Entwicklungen in der modernen Wissenschaft, die den Laplaceschen
Dämon, den klassischen Determinismus und damit die traditionelle
Ordnungssuche ganz entscheidend in Frage stellen: Quantenphysik, Algorithmentheorie
(Metamathematik) und Chaos-Theorie.
(Quelle: Q28 Vollmer, G., UNIVERSITAS 8/1991, S.768f.)
(Quelle: Q47 Hemminger, Hansjörg: Das
Wirklichkeitsverständnis der Naturwissenschaft, EZW-Texte Impulse Nr.23,
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Stuttgart, 1986)
S.4
Das Ziel der Wissenschaft besteht in der planmäßigen, gezielten Annäherung der
gedanklichen Wirklichkeit des Menschen an die Realität der Welt, also der
immer besseren – weil realistischeren – Abbildung der Welt in die Wirklichkeit
menschlichen Denkens und Tuns. …
Allerdings gibt es viele Wissenschaftler, die mit der
hier gegebenen Charakterisierung der Naturwissenschaft nicht einverstanden
wären. Sie fassen den Teil als Ganzes auf und betrachten die „natürlichen
Dinge“ als die einzigen, denen Realität zukommt. Wenn man so denkt, wird die
Naturwissenschaft zur einzig möglichen Wissenschaft, die Wirklichkeit und
Realität einander näher annähern kann, und ihre empirische Methodik wird die
einzige legitime wissenschaftliche Arbeitsweise.
Der Name für diese Art von Erkenntnistheorie ist bekannt, er lautet
Positivismus. Und die dazugehörige Naturphilosophie trägt den Namen
Naturalismus – beides bezeichnet Einstellungen, die innerhalb und außerhalb der
Naturwissenschaft von unzähligen Menschen geteilt werden.
S.5
Die Unterschiede der Gewissheit oder Wahrheitsnähe werden durch verschiedene
Begriffe wie Arbeitshypothese, Hypothese, Theorie, Theorem und … Paradigma
ausgedrückt. Unter „Theorem“ und „Paradigma“ werden dabei nur Gesetze mit
weitem Geltungsbereich verstanden. … gehen alle diese Aussageformen fließend
ineinander über, und die Grenzziehungen sind mehr oder weniger willkürlich.
S.14f.
Die Naturwissenschaft benötigt die Annahme nicht, dass es keine anderen Arten
von Ursachen gäbe, als sie dem Menschen durch mittelbare Sinneserfahrungen
zugänglich sind. Diese Annahme bildet die Grundlage des philosophischen
Naturalismus, nicht diejenige der Naturwissenschaft. Was in der Naturwissenschaft
allerdings vorausgesetzt werden muss, ist eine gewisse Regelhaftigkeit im
Bereich der „natürlichen Dinge“ …
Daher darf der Begriff der Kausalität in der Naturwissenschaft nur
erkenntnistheoretisch und nicht naturphilosophisch verstanden werden, nämlich
als ein vom Menschen formulierter logischer Zusammenhang in Form eines
„wenn-dann-Satzes“, durch den die menschliche Naturerfahrung verallgemeinert
wird …
Die Aussage „A ist Ursache von B“ heißt für Naturwissenschaftler lediglich:
„Wenn A von uns methodisch richtig beobachtet (gemessen, erzeugt) wurde,
brachte es B hervor.“ Dass auf A immer und notwendig B folgen muss, stellt die
Naturwissenschaft nicht fest. …
Aus dem erkenntnistheoretischen Verständnis der Kausalität folgt, dass die
pouläre Vorstellung von unbedingt gültigen „Naturgesetzen“ keinen Teil
naturwissenschaftlichen Denkens darstellt. Die Kausalbeziehungen, die die
Naturwissenschaft feststellt, sind keine Gesetze, nach denen sich die Natur
richtet. Wenn überhaupt, dann sind die Naturgesetze Regelmäßigkeiten, die der
Mensch anhand seines momentanen Erfahrungsschatzes formuliert. Nicht die Natur
folgt den Naturgesetzen, sondern diese folgen der Natur, indem der Forscher
sie immer wieder an die zunehmende Erfahrung anpasst.
… wenn „Naturgesetze“ nicht nur beschreibend und
erklärend benutzt werden, sondern wenn sie normative, wertende Deutungen
erfahren. Von „ewigen Naturgesetzen“ oder von den „unerbittlichen Gesetzmäßigkeiten
der Natur“ kann man nur als Naturphilosoph, nicht aber als empirischer Forscher
sprechen.
S.17
Trotzdem widerlegt nicht jede falsche Erklärung, jede
nicht eingetroffene Vorhersage, gleich grundlegende Naturgesetze: Denn
naturwissenschaftliche Erklärungen beruhen … nicht nur aus Gesetzen, sondern
auch auf den Anfangs- und Randbedingungen eines Naturgeschehens. Und da diese
Bedingungen nur durch vereinfachende Annahmen verfügbar werden, ist es häufig
nicht ohne weiteres festzustellen, ob eine nicht eingetroffene Vorhersage ein
Naturgesetz tatsächlich widerlegt. Man kann vermuten, es habe an der Kontrolle
über die Randbedingungen gefehlt, eine der vereinfachenden Voraussetzungen sei
unzulässig gewesen usw. Ob und in welchem Maße die „scientific community“ zu
solchen Annahmen Zuflucht nimmt, anstatt ihre Theorien zu überprüfen, hängt
vom Stellenwert der Theorie im Gesamtgebäude der Naturwissenschaft ab, in hohem
Maß aber auch von außerwissenschaftlichen Einflüssen. Für die Wissenschaft
grundlegende oder soziokulturell bedeutsame Theorien können viele
Falsifikationen überstehen, ohne ernsthaft überprüft oder gar ersetzt zu
werden. Bestätigungen erhalten dadurch in der Praxis einen höheren (und z.T.
außerwissenschaftlich bedingten) Erkenntnisrang, als ihnen abstrakt logisch
zusteht,und Misserfolge werden praktisch weniger bedeutsam. Diese
geschichtliche Erfahrung wurde von KUHN in seiner Theorie des
„Paradigmenwechsels“ aufgenommen und systematisiert.
S.19
Viele scheinbar oder wirklich „ganz natürliche“ Ereignisse, die für den
Menschen von höchster Bedeutung sind, unterliegen einer mehr oder weniger stark
ausgeprägten objektiven Unerklärbarkeit. Und selbst sicher
naturwissenschaftliche Aussagen lasen sich nur dann in Handeln umsetzen, wenn
sie normativen Vorgaben, wenn sie einem Ethos oder einer konkreten Utopie
dienen können. Die Unerklärbarkeiten der Existenz und die Notwendigkeit von
Normen, von ethischem Handeln machen die Lebenspraxis des Menschen für die
Naturwissenschaft unverfügbar. Dies zu missachten, führt zu einer irreführenden
Wissenschaftsgläubigkeit, zum sogenannten Szientismus. Nur allzuleicht wird die
scheinbar wissenschaftliche Aussage dann zum ideologischen Dogma …
S.21
Falsche Wissenschaftlichkeit beruht, wie am Beispiel des KKW-Unfalls, immer
entweder auf dem Verschleiern objektiver Unerklärbarkeiten, also auf einer
Scheingewissheit, oder auf dem Verschleiern von außerwissenschaftlichen
Interessen und Absichten, also auf einer Scheinobjektivität.
S.22f.
christlicher Schöpfungsglaube:
Nach ihm bildet die Natur und der ganze Kosmos das Werk eines Schöpfers. Sie
ist nicht alles, was ist, sondern etwas Gemachtes, dem der Mensch als
Statthalter Gottes prüfend und fragend gegenübertreten kann. Die Naturkräfte
haben keinen eigenen Willen oder Charakter, sie sind Werkzeuge göttlichen Willens,
auch wenn der Mensch ihnen unterliegt. Dadurch wird die menschliche Vernunft
imstande gesetzt, hinter dem ungeordneten Katarakt der Naturerscheinungen die
göttliche Ordnung zu suchen. Nur vom Schöpfungsglauben geprägte Männer wie
Isaac Newton oder Johannes Kepler konnten annehmen, dass „Gott ein
Mathematiker“ ist. Damit drückten sie ihren Glauben aus, dass die menschliche
Vernunft Abbild göttlicher Vernunft und als solche fähig zum Nachvollziehen der
Schöpfungsordnung sei. …
Bertolt Brecht charakterisiert in seinem „Galileo
Galilei“ die Wissenschaft in meisterhafter Kürze als „Kunst des Zweifelns“ …
… war und ist die naturwissenschaftliche Forschung …
ein Unternehmen der Wahrheitssuche, ein Streben nach immer besserer Aneignung
der Realität durch das menschliche Denken. Als Wahrheitssuche konnte die
Naturwissenschaft zwar sehr wohl in Widerspruch zur kirchlichen Autorität und
zu Detaillehren geraten, kaum aber in Gegensatz zum christlichen Schöpfungsglauben.
Der Konflikt zwischen Kirche und Naturwissenschaft war also ursprünglich kein
Konflikt zwischen Schöpfungsglaube und Vernunft ... Er war jedoch ein Konflikt
zwischen der Autorität einer Institution und der Gedankenfreiheit des einzelnen
Forschers. Die Naturwissenschaft war und ist daher auch ein emanzipatorisches
Unternehmen, ein Versuch, die Autonomie des erkennenden Menschen gegenüber
allem scheinbar sicheren Wissen und gegenüber allen Lehrautoritäten zu
erreichen …
S.29
(christliche Naturwissenschaftler des 19.
und 20. Jh. orientierten sich nicht an liberaler oder existenzialistischer
Theologie) …
Sämtliche mir bekannten Naturwissenschaftler, die sich selbst als Christen
bezeichnen, vertreten eine Theologie, die man nur als orthodox oder
„mythologisch“ kennzeichnen kann, und dabei scheinen sie nicht unter
ungewöhnlichen erkenntnistheoretischen Spannungen zu leiden. …
Naturwissenschaftler waren und sind entweder ziemlich orthodoxe Christen oder –
was viel häufiger ist – bewusste Nichtchristen.
S.31f.
… von der „Kunst des Zweifelns“ allein kann man nicht leben, der Mensch
verlangt nach einer Sinndeutung der eigenen Existenz und nach verlässlichen
Wahrheiten, die dem Zweifel entzogen sind. Daher kann auch die naturwissenschaftliche
Forschung nur dort ihren eigenen Gesetzen gemäß arbeiten, wo sie in einen
deutenden, weltanschaulichen Gesamtzusammenhang eingebettet wird, der ihr Sinn
und Ziel zuspricht. Dieser Sinn wurde ursprünglich vom christlichen
Schöpfungsglauben her gewonnen, der in der Forschung das Nachvollziehen
göttlicher Ordnungen erblicken konnte. Die Aufklärung erblickte den Sinn des
Forschens dagegen in der Emanzipation des Menschen und damit in der Macht über
Natur und Mitmensch, die durch den Fortschritt eine heilere Welt schaffen
würde. Diese aufklärerische Sinngebung hat heute an Überzeugungskraft verloren,
obwohl sie noch keineswegs ganz überwunden ist. Bereits die Zerfallssymptome
führen jedoch zu einer neuen Suche nach Sinnhaftigkeit, und vor dies allem unter
den naturwissenschaftlich und technisch gebildeten Schichten der Bevölkerung.
Dass die weltanschauliche Sinnfrage mitten in der
säkularen Welt neu gestellt wird, zeigt sich bereits darin, dass bei der
Entwicklung der pantheistischen „New-Age“-Mythologien der letzten Jahre Naturwissenschaftler
eine führende Rolle spielten. Diese Mythologien wirken sich … keineswegs so
gravierend auf unser Weltbild aus, wie die Propheten der „Wendezeit“ selbst
glaubten. Trotzdem belegt ihre schnelle Aufnahme, dass die Sehnsucht nach neuen
Existenzdeutungen sich weit verbreitet hat. Nichts hätte deutlicher machen
können, dass die „Kunst des Zweifelns“ der Naturwissenschaftler … nicht selbst
Weltanschauung ist, sondern dass sie für ihren existenziellen Vollzug eine
tragende Weltanschauung benötigt. Und nichts hätte den theologischen
Grundgedanken der Entmythologisierung drastischer in Frage stellen können als
der bunte und vielfältige Aufbruch weltanschaulicher Mythologien in der
naturwissenschaftlich gebildeten Schicht der westlichen Welt. Der spitze Satz
Rudolf Bultmanns: „Man kann nicht elektrisches Licht und Rasierapparat
benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische Hilfe in Anspruch nehmen,
und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testament glauben“
wirkt vor diesem Hintergrund wie eine naturalistische Beschwörungsformel
vergangener Zeiten. Die Gegenwart beweist, dass elektrisches Licht
schamanistische Rituale beleuchten kann, dass Ärzte moderner Kliniken mit der
Hoffnung meditieren können, sie würden dadurch in der Luft schweben lernen, und
dass Intercity-Züge die Teilnehmerinnen von Hexenkongressen zusammenführen. Die
Ansicht, dass Hexenglauben nur dort möglich sei, wo anstatt Intercity-Zügen
Reisigbesen verkehren, wurde in nur 30 Jahren vielfach widerlegt …
Das Missverständnis liegt darin, dass das
naturalistische Weltbild mit der Naturwissenschaft verwechselt wird. Es wird
übersehen, dass der Naturalismus – noch mehr der Materialismus oder gar der
Mechanismus – als weltanschauliche Gesamtdeutungen von Existenz und Kosmos
nicht zwingend aus der Naturwissenschaft hervorgehen, dass sie geschichtlich
nicht so eng mit der Naturwissenschaft verbunden sind, wie viele Menschen
meinen, und dass sie mit der Wahrheitsnähe und dem Erkenntniswert von Naturgesetzen
nichts zu tun haben. Nur durch eine Ideologisierung naturwissenschaftlichen
Denkens kann dem ganzheitlichen naturalistischen Weltbild, das alles
Übernatürliche ausschließen und alle Unerklärbarkeiten leugnen will, dieselbe
Gewissheit und Realitätsnähe zugestanden werden, die nur die besten Einzelerklärungen
der Naturwissenschaft haben. Nur von daher kann man meinen, man könne das naturalistische
Weltbild den sonstigen Weltanschauungen gegenüberstellen und seine Aussagen als
unmythologisch, alle anderen aber als „mythologisch“ klassifizieren. In
Wirklichkeit ist es genauso mythologisch oder unmythologisch, den Kosmos als
ein großes Uhrwerk zu betrachten, in dem ewige Kausalgesetze gelten, wie ihn
als Schöpfungswerk zu sehen, in dem der Schöpferwille Gestalt gewinnt und es
Phänomene gibt, die sich der Erklärung aus Logik und Sinneserfahrung
entziehen. Aus der Sicht der Naturwissenschaft sind Naturalismus,
Materialismus und Mechanismus ebenso ganzheitliche philosophische Weltdeutungen
wie der Schöpfungsglaube der Bibel. …
S.33f.
Das Eigentliche der Naturwissenschaft liegt in dem Bestreben, alles durch Logik
und Erfahrung kritisierbare Wissen zu kritisieren, sobald dieses Wissen zu
Problemen führt. Auf diesem Erkenntnisweg lässt sich die menschliche
Wirklichkeit der Realität annähern, aber es werden dabei auch die Grenzen
erkennbar, die menschlicher Logik und Sinneserfahrung gesetzt sind …
Der Glaube muss sich ideologiekritisch äußern, wenn
er in der nachchristlichen … Kultur des späten 20. Jahrhunderts gehört werden
will. Denn dass Naturalismus und Szientismus in Kultur und Politik ein
schreckliches Eigenleben gewinnen und Freiheit und Gerechtigkeit zerstören
können, haben Sozialdarwinismus und Rassismus, Atombombe und Umweltbelastung deutlich
genug bewiesen. Es ist Aufgabe der Christen, solchen Ideen und Zielen
gegenüber selbst die „Kunst des Zweifelns“ anzuwenden und ihnen ein
Menschenbild entgegenzuhalten, das Verantwortung vor Gott und Mitmensch möglich
macht, das auf einen Lebenssinn hinweist, den der Mensch nicht für sich selbst
schaffen muss. Ein solches Menschenbild wird niemals im Widerspruch zu dem
Teil der Realität stehen, den der Naturwissenschaftler zu erforschen sucht,
aber es reicht weit darüber hinaus.
(Quelle: Q47 Hemminger, Hansjörg: Das
Wirklichkeitsverständnis der Naturwissenschaft, EZW-Texte Impulse Nr.23,
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Stuttgart, 1986)
(Quelle: Q50 Heller, Bruno:
Naturwissenschaft und die Frage nach der Religion; EZW-Texte Impulse Nr.28, Evangelische Zentralstelle für
Weltanschauungsfragen, Stuttgart 1989)
S.4
So bildet denn die griechische Idee der Wissenschaft keinen Gegensatz zu
dem, was auch die antiken Philosophen noch als ein Göttliches ansahen: zum
„theorein“ (dem Betrachten) des höchsten Wesens
S.8
Redet man davon, dass man ein „Weltbild“ habe, so ist wohl gemeint, dass man
sich das Ganze der Welt so oder so vorstelle … im Sinne von Vor-sich-Hinstellen
…
S.9f.
Hypothesenbildung ist eine Sache des schöpferisch-produktiven Verstandes … Auch
die (hypothetisch entworfenen) Weltbilder der modernen Naturwissenschaft
sind Kunstwerke, wenngleich nicht mit dem Pinsel gemalte …
sind solche Weltbildentwürfe auch stets korrigierbar und ändern sich mit dem
Fortgang der Hypothesenbildung, denn immer bleibt sich der (kritische)
Forscher dessen bewusst, dass er Konstrukteur
ist und seine Konstruktionen nicht Endgültigkeit beanspruchen
dürfen. Das „ego cogito“ („ich denke“,
ICH bin es, der denkt JK) wird auch aus noch so gut fundierten Theorien
nicht hinauskatapultiert. …
Erst die Neuzeit hat den Typus Mensch hervorgebracht,
der Weltbilder entwirft, sich als Subjekt einem Erkenntnisobjekt
gegenüberstellt und damit auch die Freiheit beansprucht, seine eigenen Entwürfe
(Hypothesen, Theorien) gegebenenfalls zu korrigieren oder auch wieder zu
verwerfen. Moderne Weltbilder sind prinzipiell kritisierbar, gerade weil
sie gedankliche Freiheit voraussetzen. Sie bergen beides: die Chance des
gedanklichen Vorankommens und das Risiko, nirgendwo beruhigende Gewissheit
finden zu können. Fordern sie endgültige Anerkennung, so verwandeln sie sich in
Ideologien bzw. schlagen in
Dogmatismus um. …
S.11
Albert Einstein, der einem seiner Werke den schlichten Titel „Mein
Weltbild“ gab …
S.32f.
Wissenschaftliches Arbeiten beginnt mit heuristischen Vorstellungen über
das, was man suchen will, mit Annahmen und Erwartungen. Das gilt sogar
schon für die einfache Beobachtung. Während Wahrnehmung zufällig sein kann,
ist Beobachtung immer zielgerichtet, setzt also eine Beobachtungsabsicht voraus, und auch für sie gib es
dann irgendein apriorisches Konzept …
Jedes Modell zeigt die Handschrift dessen, der es entworfen hat, ist also in
einem entscheidenden Sinne subjektiv, und das gilt auch für die
Naturwissenschaften ….
4.2 Zum Verhältnis von
(Schöpfungs-)Glaube
und Naturwissenschaft
(Quelle: Q1 Aus
Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Zeitung „Das Parlament“, 46/2007: „Geisteswissenschaften“,
S.15ff.)
(Beitrag des Präsidenten der
Leibniz-Gesellschaft und des Generalsekretärs der Leibniz-Gemeinschaft:)
Die Naturwissenschaften stellen – zumindest im eigenen Verständnis – mit ihrer
kritisch-empirisch-rationalen Methode die Erkenntnis der natürlichen (im Sinne
von Natur) Lebenswelt des Menschen in den Mittelpunkt – nach Aristoteles der
Welt, die nicht vom Menschen gemacht wurde. Wer demnach keine anderen
Quellen von Erkenntnis im Sinn von Wissenschaft gelten lässt, für den gibt es
zu den Naturwissenschaften keine Alternative – wahr ist, was beweisbar ist!;
Es besteht Einigkeit darüber, dass die Biologie die Frage „Was ist der Mensch?“
nicht in einem umfassenden Sinn beantworten kann. Sie kann seine
Einzelteile (im Sinne von Bauteilen) definieren und deren Zusammenwirken
erklären, mehr jedoch nicht.
(Quelle: Q2 Bild der Wissenschaft 12/1999 S.
42ff)
George Coyne (Astrophysiker und Jesuiten-Pater, Leiter des
Observatoriums des Vatikans):
„Die Schöpfungsgeschichte ist kein Lehrbuch.
Sie sagt uns nicht, wie der Himmel funktioniert, sondern wie wir dort
hinkommen.“
(Quelle: Q5 Campbell, N.A. / Reece, J.B.:
Biologie, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Berlin, 6. Auflage, 2003)
(Biologie-Lehrbuch für Hochschulen)
S.505
Eine Reihe klassischer griechischer Philosophen hatte bereits eine Vorstellung
von einer graduellen Evolution des Lebens. Doch jene Philosophen, welche die
westliche Kultur am meisten beeinflussten – Platon (427-347 vor Christus) und sein
Schüler Aristoteles (384-322 vor Christus) – vertraten Sichtweisen, die jeder
Vorstellung von Evolution entgegenstanden. Platon glaubte an zwei Welten: an
eine unsichtbare Welt der Ideen, ideal und unwandelbar (Ideenwelt), und an
eine empirische Welt der Unvollkommenheit, die wir mit unseren täuschenden
Sinnen wahrnehmen (Sinnenwelt). Eine Evolution hätte nur Nachteile gebracht in
einer Welt, in der ideale Musterorganismen bereits perfekt an ihre jeweilige
Umwelt angepasst waren.
Aristoteles war der Ansicht, man könne alle Lebensformen auf einer Skala
zunehmender Komplexität anordnen, welche die Römer später scala naturae („Stufenleiter der Natur“) nannten. Jede Lebensform
auf dieser kontinuierlich besetzten Leiter des Lebens stand auf der ihr zugewiesenen
Stufe. Bei dieser Sicht des Lebens, die für über 2000 Jahre vorherrschte, sind
die Arten dauerhaft fixiert und evolvieren nicht.
In der jüdisch-christlichen Kultur bekräftigte der Schöpfungsbericht im Alten
Testament die Vorstellung, Arten seien individuell erschaffen und entwickelten
sich nicht weiter. Im 18. Jahrhundert war die Biologie in Europa und Amerika
von der natürlichen Theologie
beherrscht – einer Philosophie, die sich der Aufdeckung des göttlichen
Schöpfungsplanes durch das Studium der Natur widmete. Die Naturtheologen sahen
die Anpassungen von Organismen als Beweis dafür, dass der Schöpfer jede Art zu
einem bestimmten Daseinszweck geschaffen hatte. Eines der Hauptziele der
natürlichen Theologie war die Klassifizierung der Arten, um die Stufenleiter
des Lebens ans Licht zu bringen, die Gott geschaffen hatte.
Der schwedische Arzt und Botaniker Carl von Linné (1707-1778) suchte nach einer
Ordnung in der Vielfalt des Lebens „zum höheren Ruhme Gottes“.
(Quelle: Q6 Coyne, G.
in: Der Spiegel 52/2000 S.118ff)
George Coyne (Astrophysiker und Jesuitenpater; Leiter des Observatoriums
des Vatikans):
Brauchen wir Gott, um das Universum zu erklären? Meine persönliche Antwort
lautet: Ganz und gar nicht. Ich brauche Gott nicht. Vielen Dank, aber ich komme
beim Versuch, das Universum zu begreifen, ganz gut zurecht, indem ich meine
Fähigkeit benutze, das Universum in meinen Kopf zu stecken. Ach übrigens, ich
glaube durchaus, dass mir diese Fähigkeit von Gott gegeben wurde.;
Sterne werden geboren und sterben. Und wenn dieser Prozess nicht stattfände,
wäre keiner von uns hier. Damit die chemischen Elemente entstehen, aus denen
der menschliche Körper aufgebaut ist, sind drei Sternengenerationen nötig.;
wir wissen heute, dass es in unserer Galaxie 100 Milliarden Sterne gibt und sie
einen Durchmesser von 100.000 Lichtjahren hat, ich kann diese Werte mit
derselben Gewissheit angeben, wie ich meine Körpergröße kenne (Anwendung der
Gesetze der Physik, der Chemie...);
wir sehen die Dinge niemals so, wie sie sind;
ein weiteres Schlüsselereignis: nach 11 Mrd. Jahren entstanden im heute 15 Mrd.
Jahre alten Universum die ersten mikroskopisch kleinen Formen von Leben. Und
wie kommen wir Menschen in dieses sich entwickelnde Universum? ... es wäre
wissenschaftlich absurd zu bestreiten, dass das menschliche Gehirn nichts
anderes ist als das Ergebnis eines Prozesses zunehmender chemischer Komplexität
in einem sich immer weiterentwickelnden Universum;
Sind wir .. durch Zufall entstanden oder aus Notwendigkeit? Als erstes muss man
sagen, dass das Problem nicht korrekt formuliert ist. Es ist nicht einfach
eine Frage von Zufall ODER Notwendigkeit, denn zunächst einmal ist es beides.
Des Weiteren gibt es eine dritte Komponente, die sehr wichtig ist. Ich nenne
sie „Gelegenheit“. Das Universum schafft so viele Gelegenheiten für den Erfolg
sowohl zufälliger als auch notwendiger Prozesse, dass wir diese Eigenschaft der
Welt mit berücksichtigen müssen ...Das Universum spielt seit 15 Mrd. Jahren
Lotterie. In diesen langen Zeiträumen haben auch „sehr unwahrscheinliche“
Prozesse eine statistisch berechenbare Chance, zu passieren.... es zur Einengung
des evolutionären Prozesses kommt (Vorhandenes legt weitere Entwicklung fest,
nicht mehr alles ist möglich);
Wir brauchen Gott nicht, um das Universum zu erklären, so wie wir es heute
sehen... Und wenn Gott uns doch etwas über sich selber sagen will, dann tut er
das durch seine Schöpfung;
Wenn wir die Ergebnisse der modernen Wissenschaft ernst nehmen, fällt es schwer
zu glauben, dass Gott allmächtig und allwissend ist im Sinne der scholastischen
Philosophen. Die Wissenschaft erzählt uns von einem Gott, der sehr anders sein
muss als der Gott, den mittelalterliche Philosophen und Theologen sahen. Könnte
Gott z.B. nach einer Mrd. Jahren ... vorhergesagt haben, dass menschliches
Leben entstehen würde? ... selbst wenn Gott im Besitz der „Universaltheorie“
wäre, alle Gesetze der Physik, alle Elementarkräfte kennen würde ... dass es
neben deterministischen Vorgängen auch Zufallsprozesse gibt, .... dann sieht
es so aus, als könnte Gott selbst das Endergebnis nicht mit Sicherheit kennen.
Gott kann nicht wissen, was nicht gewusst werden kann. Das ist keine Einschränkung
Gottes. Ganz im Gegenteil. Es offenbart uns einen Gott, der ein Universum
erschaffen hat, dem eine gewissen Dynamik innewohnt und das somit am
Schöpfungsakt Gottes teilnimmt ... müssen Gläubige Abstand nehmen von der Vorstellung
eines diktatorischen Gottes, eines Newtonschen Gottes, der das Universum als
Uhrwerk erschaffen hat, das regelmäßig weitertickt. Vielleicht sollte man Gott
eher als ein Elternteil sehen. Die Heilige Schrift ist erfüllt von diesem
Gedanken. Sie stellt sogar – vermenschlichend – einen Gott dar, der zornig
wird, der maßregelt, einen Gott, der das Universum hegt und pflegt. Theologen
haben den Begriff von Gottes fortwährender Schöpfung geprägt. ... Gott arbeitet
mit dem Universum. Das Universum hat eine gewisse eigene Vitalität, genauso wie
ein Kind. Man erzieht ein Kind, aber man versucht die eigenständige
Persönlichkeit des Kindes zu erhalten und zu bereichern ... Eltern müssen einem
Kind erlauben, erwachsen zu werden, so weit zu kommen, dass es seine eigenen
Entscheidungen trifft, seinen eigenen Weg ins Leben geht. Das ist die Art und
Weise, wie Gott mit dem Universum umgeht. das sind sehr schwache Bilder, aber
wie sollten wir sonst über Gott reden? ... Für diejenigen, die glauben, sagt
uns die moderne Naturwissenschaft etwas über Gott. Sie ist eine
Herausforderung, eine bereichernde Herausforderung, für den traditionellen
Gottesglauben.
(Quelle: Q8 Darwin,
Ch.: Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl, Reclam Leipzig 1980)
Charles Darwin
(Letzter Satz in seinem wichtigsten Buch „Die Entstehung der
Arten …“):
„There is grandeur in this view of life, with its several powers, having
been originally breathed by the Creator into a few forms or into one; and that,
whilst this planet has gone cycling on according to the fixed law of gravity,
from so simple a beginning endless forms most beautiful and most wonderful have
been, an are being, evolved.“
(Übersetzung Joachim Krause):
Es ist wahrlich etwas Erhabenes um die Auffassung, dass das Leben mit seinen
verschiedenen Fähigkeiten vom Schöpfer ursprünglich nur wenigen oder gar nur
einer einzigen Form eingehaucht wurde, und dass, während dieser Planet nach
dem ehernen Gravitationsgesetz seine Kreise zieht, aus einem so schlichten
Anfang unzählige der schönsten und wunderbarsten Formen entwickelt wurden und
immer weiter entwickelt werden.
(Quelle: Q9 Deutsches
Institut für Fernstudien der Universität Tübingen, Fernstudium Naturwissenschaften,
EVOLUTION, Heft 4: Ursprung und frühe Evolution des Lebens, Tübingen, 1985)
Universität Tübingen; Lehrbrief
Fernstudium; Thema Evolution:
S.163ff:
Zur Kontroverse um die Entstehung des
Lebens
(Nobelpreisträger) M. Eigen:
… Für wichtiger noch halte ich den Erkenntnisgewinn.
Dieser allein versetzt uns in die Lage, Leben als das große Wunder einer
Schöpfung zu begreifen – einer Schöpfung, welche die Naturgesetze einschließt.
(Quelle: Q10 Deutsches
Institut für Fernstudien der Universität Tübingen, Fernstudium Naturwissenschaften,
EVOLUTION, Heft 3: Theoretische Grundlagen der Evolution, Tübingen, 1986)
Universität Tübingen;
Lehrbrief Fernstudium; Thema Evolution:
S.216f.
2. Schöpfungsglaube – Kurzformel
„Schöpfung" kann in der Naturwissenschaft schlechterdings nicht vorkommen,
genausowenig wie es dem Naturwissenschaftler möglich ist, mit seinen Methoden
Gott zu entdecken, zu erreichen oder zu beweisen. Naturwissenschaft befaßt
sich mit dem sinnlich Wahrnehmbaren, dem Nachprüfbaren, den sogenannten
„objektiven Daten", ihre Stärke liegt in ihrer Selbstbeschränkung. Diese
Aussagen als die einzig möglichen für eine Welterklärung zu fordern, ist eine
Grenzüberschreitung und - z.B. im Positivismus - eine Ideologie. Der
„methodische Atheismus" des wissenschaftlichen Arbeitens ist somit sachgerecht.
Schöpfungsglaube gründet auch auf einer Art Axiom, nämlich auf der logisch nicht
ableitbaren oder beweisbaren Uraussage: Gott existiert. Wissenschaft setzt
ihr Forschen beim bereits Gegebenen an – Schöpfungsglaube fragt darüber hinaus,
fragt nach dem Urgrund, nach dem Sinn des Ganzen. Ein Schöpfungsglaube ist
mit Mitteln und Methoden der Naturwissenschaft weder zu bestätigen noch zu
widerlegen.
Schöpfungsglaube steht aber auch nicht der naturwissenschaftlichen Forschung im
Wege oder entgegen. Es gibt nach ihm keine Einwände gegen die Tatsache, daß
die Vorgänge innerhalb eines jeden Atoms und alle Beziehungen zwischen Materie,
Raum und Zeit sich nach exakten Gesetzen, den Naturgesetzen, vollziehen. Es
ist unbestreitbar, daß aus diesen Grundfaktoren das gesamte physikalische und
chemische Geschehen dieser Welt ableitbar ist. Wie und warum jene
Grundfaktoren aber entstanden sind, bleibt das ureigenste Geheimnis der
Schöpfung. Ihr Werden beruht - im Sinne eines recht verstandenen
Schöpfungsglaubens - allein auf dem nicht ergründbaren Willensentschluß Gottes
und auf dem „Know how" des Schöpfers, das keiner Werkspionage durch
menschliche Forschung zugänglich ist. Anfang (Schöpfung) und Ende (Vollendung)
bleiben uns verborgen, bleiben für uns unaufhebbares Geheimnis. … Das
„Wie" der Schöpfung kann auch Schöpfungsglaube nicht aussagen, ja die
Bibel weist uns in ihrem ganzen vielfältigen Reden von Schöpfung gerade auf
diese Tatsache hin. Beispiel: Ausdrücklich wird mit einem besonderen Verbum
„schaffen" (hebr.: bara) herausgestellt, daß Gott keines vorgegebenen
Stoffes bedarf. Indem dieses Wort im Alten Testament Gott allein vorbehalten
bleibt, wird die Schöpfung zugleich jeder Ähnlichkeit menschlichen Tuns und so
jeder Anschaulichkeit enthoben. Eine Vorstellung des göttlichen Wirkens ist ja
nur möglich, wenn eine Analogie zu menschlichem Handeln besteht. Das
betreffende Wort sagt also nichts mehr über das Wie der Weltentstehung, d.h. es
läßt die Frage, „wie es gewesen ist", bewußt offen.
Wenn Naturwissenschaft überhaupt etwas über den Anfang sagen kann, bedarf sie
eines Etwas, das von vornherein da ist, aus dem dann gegebenenfalls auf der
Basis naturwissenschaftlicher Einsichten die gegenwärtige Erscheinungswelt
ableitbar ist. Das aber, was Glaube über den Anfang sagt, liegt auf einer ganz
anderen Ebene: es ist nicht das von der Naturwissenschaft nicht mehr
fassbare Erklären des Anfangs, des Ursprungs, sondern Schöpfungsglaube ist
ein existentielles Einlassen auf ein Geheimnis, das dem menschlichen Verstand
prinzipiell unaufhellbar ist. Es ist ein vertrauensvolles Einlassen auf die
nicht beweisbare Zusage, daß mein Leben, daß die Welt und das Dasein einen Sinn
hat. Christlicher Glaube gibt diesen Sinn.
An Schöpfung glauben heißt, die von der Wissenschaft erschlossene Werdewelt im
Glauben als eine sinnvolle, aus schöpferischem Sinn kommende Welt zu verstehen.
Schöpfungsglaube kann demnach gar nicht in Konkurrenz treten zur
Evolutionstheorie, allein schon wegen der Andersartigkeit der Fragestellung
und der Aussageebene. Gott ist kein Gegenstand wissenschaftlicher Beobachtung,
weil er kein Stück Weltwirklichkeit oder Weltursächlichkeit ist, sondern die
ungegenständliche Voraussetzung von allem, was ist. Es ist eine der
wichtigsten Funktionen der Theologie, das Wissen von den Grenzen unseres
Erkennens und Aussagens in dem, was Gott betrifft, lebendig und gegenwärtig zu
halten. Es gibt die Positivität des Nichtwissens: Ich weiß, daß ich nichts
weiß! Alle Begriffe, die wir von Gott, vom Schöpfergott, in Anspruch nehmen,
stammen aus der innerweltlichen Erfahrung und können darum nie den umgreifen,
den sie meinen. Deshalb kann unser Erkennen über Gott nicht verfügen, deshalb
gibt es Gott nicht, wie es alles andere gibt (vgl. AUGUSTINUS: Wenn du ihn
faßt, ist es nicht Gott!).
Mag sein, daß für den Naturwissenschaftler (Positivisten) die Problemstellung
des Schöpfungsglaubens als eine illegitime Frage erscheint, die für den
Menschen unbeantwortbar ist. Aber solche Letztfragen werden für der Menschen,
der selbst im Angesicht des Letzten existiert und nicht auf das wissenschaftlich
Belegbare reduziert werden kann, immer unerläßlich sein. Beim Glauben an die
Schöpfung geht es um den Glauben an ein Wort Gottes, das uns unter eine
Verheißung stellt; der Schöpfungsbegriff ist von vornherein mit dem Gedanken
des Bundes zwischen Gott und Mensch verbunden; Schöpfungsglaube ist
zustimmende Antwort des Menschen auf die Botschaft und Selbstmitteilung Gottes
in Jesus Christus: sein Kern ist Vertrauen auf die Liebe Gottes.
Diese mehr abstrakten und systematischen Aussagen über das Geheimnis der
Schöpfung verkünden die biblischer Berichte dem Menschen (ihrer Zeit) in einer
bildhaft-anschaulichen Weise - und daher für jedermann verstehbar.
(Quelle: Q10 Deutsches
Institut für Fernstudien der Universität Tübingen, Fernstudium Naturwissenschaften,
EVOLUTION, Heft 3: Theoretische Grundlagen der Evolution, Tübingen, 1986)
(Quelle: Q12 Farouki, N. / Serres, M. (Hrsg.):
Thesaurus der exakten Wissenschaften, Zweitausendeins Verlag, Frankfurt/Main,
2001)
Aus dem „Thesaurus der exakten
Naturwissenschaften“
„Schöpfung“
… Selbst wenn die Modelle der Kosmologie für die fernste Vergangenheit
des Universums einen Zustand vorsehen, der sich durch solch eine Dichte und so
außergewöhnliche Eigenschaften auszeichnete, dass man ihn mit dem aus der
Mathematik übernommenen Begriff der SINGULARITÄT bezeichnet, spricht doch
nichts dafür, diesen Zeitpunkt, jenseits dessen die uns vertraute Zeitvorstellung
keine Geltung mehr besitzt, mit einer Entstehung aus dem Nichts gleichzusetzen.
Auch die Singularität ist kein Schöpfungsvorgang. Den Gebrauch dieses
Begriffs müssen wir den Metaphysikern und Theologen überlassen und die
Wissenschaft bescheiden, aber auch erfreut auf den Bereich der Transformationen
beschränken, über die im Übrigen noch nicht das letzte Wort gesagt ist.
(Quelle: Q18 Horn,
S.O., Wiedenhofer, S. (Hrsg.):Schöpfung und Evolution – Eine Tagung mit Papst
Benedikt XVI. in Castel Gandolfo; Sankt Ulrich Verlag, Augsburg, 2007)
Tagung zu „Schöpfung
und Evolution“ in Anwesenheit von Papst Benedikt XVI.:
S.57ff.
(Vortrag Robert Spaemann, Philosoph)
Friedrich Schiller hat Naturwissenschaftlern und Philosophen schon zu seiner
Zeit die Mahnung gegeben:
„Feindschaft sei zwischen euch, noch kommt das Bündnis zu frühe./ Wenn ihr
im Suchen euch trennt, wird erst die Wahrheit erkannt.“
S.84ff.
(Vortrag Kardinal Schönborn)
Die „kreationistische“ Position basiert auf einem Bibelverständnis, das die
katholische Kirche nicht teilt. Die erste Seite der Bibel ist nicht ein
kosmologischer Traktat über die Weltentstehung in sechs Sonnentagen. Die
Bibel lehrt uns nicht, „how the heavens go, but how to go to heaven“. …
Der katholische Glaube[195] hält, mit der Bibel des Alten und
des Neuen Bundes, daran fest, dass die Vernunft die Existenz des Schöpfers
aus seinen Spuren in der Schöpfung mit Gewissheit, wenn auch nicht ohne Mühe
erkennen kann. …
S.129
(Diskussion; Beitrag Vincent Twomey:)
Das Problem ist, glaube ich, dass die Naturwissenschaft wahrscheinlich von
Anfang an einen falschen Schöpfungsbegriff hatte.[196] …
S.133
(Diskussion, Beitrag Christop Kardinal
Schönborn:)
viele Probleme, die schon bei Darwin sehr deutlich zu sehen waren, rühren
daher, dass man in diesen Kreisen eine sehr defiziente Schöpfungstheologie
3 hatte, gegen die man dann zu Felde zog
S.149f.
(Papst Bendikt XVI.)
… dass es nicht darum geht, sich entweder für den Kreationismus zu
entscheiden, der sich der Wissenschaft grundsätzlich verschließt, oder für
eine Evolutionstheorie, die ihre eigenen Lücken überspringt und die über die methodischen
Möglichkeiten der Naturwissenschaft hinausreichenden Fragen nicht sehen will.
Es geht vielmehr gerade um dieses Zusammenspiel von verschiedenen Dimensionen
der Vernunft, in dem sich auch der Weg zum Glauben öffnet …
S.159
(Siegfried Wiedenhofer)
Ich denke aber, dass man die Vernünftigkeit des Glaubens nicht in einer
möglicherweise intensiven oder extensiven Ordnungsstruktur der Welt suchen
sollte, darin, dass sozusagen alles gut läuft. Gerade weil das tatsächlich ja
nicht der Fall ist, sollte man das Argument der Schöpfungsordnung nicht
überstrapazieren. …
S.161
(Papst Benedikt XVI.)
Auf die Erklärungsfähigkeit des Glaubens allein für das Ganze würde ich
nicht setzen.
S.173ff.
(schriftlicher Beitrag Siegfried
Wiedenhofer, Theologe)
Insofern ich die Welt wissenschaftlich erfahre, erfahre ich sie nicht
religiös, und umgekehrt. Und auch die Gegenstände der Wissenschaftswelt sind
andere als die Gegenstände der Welt der Religion. In dieser Hinsicht handelt es
sich beim Verhältnis von Schöpfung und Natur, Schöpfungslehre und Evolutionstheorie,
religiösem Glauben und wissenschaftlichem Wissen um klare Alternativen; sie
dürfen daher nicht vermischt werden. …
Die schöpferische Verursachung und Wirkung bedeutet Entlassung in das
Selbstsein, Befähigung zur Autonomie. Gott ist der, der macht, dass Welt und
Mensch machen können …
Schaffen und Wirken Gottes sind ein personales Freiheitsgeschehen.
Sie schließen die freie Mitwirkung des Geschöpfs, der Welt und des Menschen
ein. Gott wirkt, indem er je schon gewirkt hat und nun Natur und Mensch wirken
lässt …
Gottes schöpferisches Wirken … ist Nähe und Ferne zugleich, das Geschenk einer
zuverlässigen „Welt“ und die Raum zum Selbstsein gewährende Selbstrücknahme,
vergleichbar der Dialektik elterlicher Nähe und Ferne zum Kind, die eine
notwendige Bedingung dafür sind, dass Sozialisation und Individuation gelingen.
…
Der biblische Schöpfungsglaube selbst hat außerdem sehr unterschiedliche
Erfahrungs- und Motivationsgrundlagen. Dazu gehört sicher auch die Erfahrung
der Geordnetheit und Schönheit der Welt. Der dominante Ausgangspunkt der
religiösen Erfahrung und Deutung der Welt als Schöpfung ist jedoch nicht die
Erfahrung des Überflusses, der Schönheit und Wohlgeordnetheit der Welt, sondern
die allesumgreifende Grunderfahrung der Ambivalenz und Labilität der
Wirklichkeit, des Miteinanders von Werden und Vergehen, der ständigen Bedrohung
des Seins durch das Nichts, der Ordnung durch das Chaos, des Lebens durch den
Tod, der Omnipräsenz des Leidens, der Negativität, des Bösen und des Unheils.
Der Schöpfungsglaube ist daher seit seinem Ursprung Teil der religiösen
Soteriologie, eine kontrafaktische Gewissheit, die Hoffnung und Bestand
gewährt: Trotz allen Anscheins hat die Welt einen guten und zuverlässigen
Grund.
Theologisch muss daher der Gedanke der Schöpfungsordnung und des
Schöpfungsplanes und damit auch die Vorstellung von einem intelligent design mit großer Vorsicht verwendet werden.
(Quelle: Q18 Horn,
S.O., Wiedenhofer, S. (Hrsg.):Schöpfung und Evolution – Eine Tagung mit Papst
Benedikt XVI. in Castel Gandolfo; Sankt Ulrich Verlag, Augsburg, 2007)
(Quelle: Q24
Reichholf, J.H.: Was stimmt? Evolution – Die wichtigsten Antworten; Herder
spektrum, Freiburg, 2007)
Joseph H. Reichholf
(Evolutionsbiologe):
S.9
Die uns nächstverwandten Schimpansen unterscheiden sich im Erbgut, im Genom,
nur zu gut einem Prozent von uns Menschen. Weshalb uns das „erniedrigen“
sollte, wenn wir davon ausgehen, dass Gott alles geschaffen hat, verstehen
sicherlich jene Biologen am wenigsten, die sich mit der Großartigkeit der
Evolution befassen. …
S.10
Allerdings vertritt die Evolutionsbiologie überhaupt keine Sinnfragen, denn
diese liegen gänzlich außerhalb ihres wissenschaftlichen Forschungsfeldes.
Niemandem wird von der Evolutionsbiologie angeraten oder vorgeschrieben, im
Leben, in seinem Werden und Vergehen keinen Sinn zu sehen.
S.34
Natürliche Auslese, Selektion, verursacht weit seltener die „Natur“, die wir
zumeist meinen, also Wetter und Klima, Wasser oder Trockenheit oder gar die
Naturkatastrophen, sondern weitaus wirkungsvoller greifen Mikroben in den Gang
des Geschehens ein. Krankheiten verursachen oft die hohen Verluste, denen
zufolge sich die genetische Zusammensetzung verändert.
S.85ff.
“Es gibt nichts dahinter oder darüber“
Hat die Evolution einen Sinn?
Der Mensch, das Leben, die Welt, das alles muss doch einen Sinn haben? Wer oder
was treibt die Evolution an? Solche und ähnliche Fragen bewegen die meisten
Menschen. Dass wir auf unserer Erde nichts weiter seien als „Zigeuner am Rande
des Universums“, wie es der französische Nobelpreisträger Jacques Monod
ausgedrückt hatte, wollen die wenigsten glauben. Manch angesehener, von der
Öffentlichkeit wahrgenommener Physiker vermutete oder erkannte vor dem
Urknall, mit dem vor mehr als 10 Milliarden Jahren alles begonnen haben soll,
oder jenseits der Wirklichkeit den Anstoß oder das Wirken einer höheren Kraft. Besonders
Astrophysiker und Physiker, die sich mit dem auf mathematische Formeln
verdichteten Unbegreiflichen befassen, landeten in ihrem Denken vielfach bei
Gott. Dass dieser aber willkürlich in den Lauf der Welt eingreife und
zeitweise die Naturgesetze außer Kraft setze, schließen sie hingegen in aller
Regel aus. Das allumfassende Wunder des Seins ist aus naturwissenschaftlicher
Sicht nicht teilbar in viele beliebige kleine Wunder, die ohne naturgesetzliche
Verursachung geschehen. …
Seriöse Naturwissenschaft sollte darauf bedacht sein, ihre Befunde und
Erkenntnisse von den Schlussfolgerungen, die sie daraus zieht, zu trennen.
Etwas, das „ist“, zu bewerten, stellt ein anderes Unterfangen dar als die
Feststellung selbst. Die häufigsten Missverständnisse ergeben sich aus dieser –
unbeabsichtigten oder durchaus auch absichtlichen – Vermengung von Befunden
und Bewertungen.
S.91
Ergibt sich aus alledem die Notwendigkeit, eine lenkende, die Richtung
vorgebende Kraft für die Evolution anzunehmen oder gar einzufordern? Die
meisten Evolutionsbiologen werden dazu genauso nein sagen wie die Physiker und
Chemiker als „exakte Naturwissenschaftler“, die ein zeitweises Außerkraftsetzen
der Naturgesetze durch Wunder ablehnen. …
Lenkende Eingriffe oder Wunder sind nirgends in der Evolution zu finden oder
als Erklärung für die Vorgänge notwendig. Schließlich gibt es auch keine Anzeichen
dafür, dass die Evolution einer bestimmten festgelegten Richtung folgen würde.
Im Gegenteil: Sie erscheint uns offen und frei für die Zukunft, nicht
vorbestimmt und auf eine Bahn gezwungen. Freiheit kennzeichnet den Verlauf –
und eben diese Freiheit wollen wir auch für uns, für unser eigenes Leben in
Anspruch nehmen. Wir betrachten uns nicht wie Marionetten, denn wenn wir solche
wären, hätten wir auch keine Verantwortung und keinen freien Willen.
S.92ff.
“Durch die Gesetze der Evolution ist
alles festgelegt“ …
Beide Möglichkeiten der Antwort sind daher aller Wahrscheinlichkeit nach
falsch, wenn wir die „Feststellung“ am Anfang dieses Kapitels als Frage
betrachten. Nein, es gibt keine allgemeine Festlegung der Evolution durch
unverrückbare „Gesetze“! Nein, es ist auch nicht alles frei! Die Abläufe in
der Zeit, die wir als „Evolution“ zusammenfassen, zeichnen sich durch beides
aus; Bedingtheit und Freiheit!
S.99
Das Geistige existiert dennoch, auch wenn es stofflich nicht fassbar
ist. Zur Evolution wäre dies nicht nur kein Widerspruch, sondern vielmehr die
Fortsetzung der grundlegenden Vorgänge in eine weitere Sphäre hinein (vorher:
Eroberung des Landes und der Luft als Lebensraum).
S.104
Brauchen wir nicht doch eine alles lenkende Kraft, die zwar viel Freiheit
lässt, aber dem Strom des Lebens durch die Zeit Richtung gibt, so wie die
Schwerkraft das Wasser eines wirklichen Stroms lenkt, aber keinen bestimmten
Weg vorschreibt?
Naturwissenschaft und Transzendenz …
Diese Fragen reichen weit über den Forschungsbereich der Biologie und der
Naturwissenschaften im Allgemeinen hinaus. Sie kann mit ihrer Denk- und
Vorgehensweise nichts über „letzte Ursachen“ aussagen und auch „Endziele“
nicht behandeln. Ihr Forschungsbereich ist die erfassbare Wirklichkeit. Was
diese Wirklichkeit durchdringt, verlässt oder außerhalb davon existiert, das
Transzendente also, ist der Naturwissenschaft nicht zugänglich. Das bedeutet
aber nicht, dass sich Biologen wie alle anderen Naturwissenschaftler auch
keine Gedanken dazu machen würden oder gar machen dürften. Sie müssen nur die
Grenzen beachten, die ihnen der Stand der Forschung und die verfügbaren, von
anderen Wissenschaftlern nachvollziehbaren Methoden setzen. Die
fortschreitende Forschung verschiebt beständig die Grenzen des Wissens und
des Erforschbaren. Wie viel es jenseits dieser Grenzen gibt, die zur betreffenden
Zeit vorhanden sind, entzieht sich jeglicher Abschätzung. Weil wir nichts über
das wissen können, was wir nicht kennen. Jenseits dieser Grenze beginnt daher
die Domäne des Glaubens …
S.110
Vielleicht werden wir das Sein auch nie begreifen, sondern nur glauben
können. …
S.118f.
Dieser Urknall kann der Schöpfungsakt gewesen sein. …
Alles, das gesamte All von Anfang an als ein Schöpfungswerk begreifen zu
wollen, stellt keinen Widerspruch zur naturwissenschaftlichen Erforschung von
Weltall, Erde und Evolution dar. …
(naturwissenschaftliche) Forschung sucht nach Einsichten in die Wirklichkeit.
Sie schafft Wissen, das durch besseres Wissen korrigiert werden kann, und sie
trifft keine dogmatische Festlegung auf eine bestimmte Sicht. Ihre
Vorgehensweise schließt das Staunen über die Natur nicht nur nicht aus, sondern
setzt dieses in aller Regel voraus. … Gerade weil dieses Eindringen in die
Natur mehr Einblick eröffnet, als mit dem bloßen Augenschein möglich ist,
offenbart sich den Naturwissenschaften die Größe der Natur in besonderer Weise.
Vielleicht ist vielen Naturwissenschaftlern ein „intelligenter Designer“
einfach zu klein geraten. Wer das Göttliche für die gesamte Natur, für alles
Sein sucht, muss dafür wohl auch das denkbar Größte annehmen.
S.120f.
Die Genesis (= 1.Buch der Bibel)
ist aus der Sicht der Naturwissenschaft keine wissenschaftliche Kurzfassung
zum Verlauf der Schöpfung. Daher kann sie auch nicht „wissenschaftlich
überholt“ sein. …
Problematisch wird die Betrachtung der Genesis also nur, wenn man sie allzu
wörtlich nimmt. Dass dies weder das Ziel der Bibel gewesen sein kann, noch
die Botschaft, welche die Zeiten überdauern sollte, ergibt sich für die
Evolutionsbiologie allein schon daraus, dass die Theologie eine geschätzte
Wissenschaft ist und dies auch bleiben wird. Bedürfte die Bibel aber keiner
Auslegung, keiner Exegese, wie sollte sich da die Theologie rechtfertigen?
Auch der naturwissenschaftliche Befund, seien es Messungen oder Fossilien, muss
„ausgelegt“, also einer Art Exegese unterworfen werden. …
Die Bibel wird daher aus guten Gründen nicht für ein kurz gefasstes Lehrbuch
der Evolution gehalten – und sollte dafür auch lieber nicht ge- oder gar
missbraucht werden! Die Evolutionsbiologen haben daher wie die Theologen und
wohl so gut wie alle übrigen Wissenschaftler und die allermeisten Menschen
auch keine Probleme mit dem Text der Genesis. …
Das „Woher“ als eine der beiden Grundfragen des Menschen konnte die
Wissenschaft ganz gut klären. Zum „Wohin“ weiß sie nichts Verbindliches zu
sagen, weil sich Ziele nicht mit ihren Forschungsmethoden erfassen lassen …
Streng genommen kann die Naturwissenschaft auch nicht erklären, was gut oder
böse, was Recht oder Unrecht ist. …
Warum möchten wir nicht hinnehmen, dass wir das Ziel setzen müssen, wenn
wir etwas erreichen wollen? …
Die Sinnsuche liegt in uns Menschen. Sie wird uns nicht abgenommen, so wenig
wie die Verantwortung. Beide sind der Preis für die Freiheit des Menschen. Wer
Hilfe bei der Suche nach Sinn braucht, wird sie in den Religionen finden.
(Quelle: Q24
Reichholf, J.H.: Was stimmt? Evolution – Die wichtigsten Antworten; Herder spektrum,
Freiburg, 2007)
(Quelle: Q29 Wabbel,
T.D. (Hrsg.): Im Anfang war (k)ein Gott – naturwissenschaftliche und theologische
Perspektiven; Patmos, Düsseldorf, 2004)
„Im Anfang war
(k)ein Gott – naturwissenschaftliche und theologische Perspektiven“:
S.14ff.
George Coyne:
Die Behauptung, dass alle Dinge geschaffen wurden, ist eine metaphysische
und religiöse Behauptung.
S.67ff.
Ulf von Rauchhaupt:
Große vereinheitlichte Theorie, Supersymmetrie, String- oder M-Theorie,
wie solche Theorien heißen, enthalten kaum testbare Hypothesen. Es sind von
mathematischer Ästhetik geleitete Extrapolationen von bekannter, durch
Beobachtung geprüfter Physik auf unbekannte.
S.99
William C. Mitchell, jr.:
Die Wissenschaft kann nicht zur Beurteilung der Religion herangezogen werden.
Ebenso wenig eignet sie sich zur Problematisierung von Literatur, Malerei,
Musik, den darstellenden Künsten usw.
S.149ff.
Gerd Theißen:
Die katholische Kirche hatte schon 1950 in der Enzyklika Humani Generis die
Evolutionstheorie, wenn auch noch mit Vorbehalten, die später wegfielen,
bejaht. In den großen protestantischen Kirchen war es ohnehin
selbstverständlich, naturwissenschaftliche Ergebnisse zu akzeptieren. …
Die Naturwissenschaft fragt nach dem Faktischen, die Theologie nach Sinn und
Wert. …
Das anthropische Prinzip ist freilich kein Beweis dafür, dass der Mensch im
Kosmos gewollt ist. Aber es kann im Lichte religiösen Glaubens die Welt
transparent für etwas anderes machen. …
Der Sozialdarwinismus wollte aus der Feststellung, dass im biologischen Kampf
ums Dasein der Geeignetste siegt, eine Norm machen: Auch unter Menschen solle
es so zugehen. Das ist ein unzulässiger Rückschluss von dem, was faktisch
geschieht, auf das, was sein soll … (naturalistischer Fehlschluss) …
Das biblische Ethos ist antiselektionistisch. … (bis Liebe zu den Feinden) …
Die Wirklichkeit, an die sich alle Lebewesen durch harte Selektion anpassen
müssen, erweist sich auf einer fortgeschritteneren Stufe als eine Wirklichkeit,
die nicht den Tod des Sünders will: sie will, dass er umkehre und lebe!
Anpassung an sie heißt nicht, Überlegenheit … sondern Liebe gegenüber dem
Schwachen, der keine Überlebenschancen hat …
Überwindung der biologischen Selektion in der kulturellen Evolution …
der Mensch als erster Freigelassener in einem kleinen Bereich der Welt, der
kultureller Gestaltung zugänglich ist …
Wenn man naturwissenschaftliche Welterklärungen mit theologischen
Weltdeutungen ins Gespräch bringen will …
Vor kurzem antwortete ein deutscher Wissenschaftler (H.M. Keplinger) auf die
Frage, was ihm Gott bedeute, zunächst im Sinne einer wohlwollenden
soziobiologischen Religionsdeutung. Gott sei für ihn „eine Hypothese, die
auch dann mehr positive als negative Auswirkungen auf die Lebenden hat, wenn
sie falsch ist.“ Doch dann fügte er hinzu: „Die Liebe ist die Ahnung von dem,
was sein könnte, wenn die Hypothese richtig ist.“
S.212
Roger Trigg:
(zwei Vorgaben für Naturwissenschaft,
Naturalismus)
erstens, dass die Welt geordnet sein muss (nicht selbstverständlich und
notwendig)
zweitens, dass sie vom menschlichen Verstand erfasst werden kann (Einschränkung
von Realität)
S.232
Hans Küng:
Descartes, Pascal, Kopernikus, Kepler, Galilei, Leibniz, Newton, Boyle – sie
alle waren nicht nur Gottgläubige, sie waren bekennende Christen! …
Die moderne Wissenschaft – und analog zu den Naturwissenschaften
selbstverständlich auch die Humanwissenschaften – musste und muss, wenn
sie methodisch einwandfrei vorgehen will, Gott, der ja nicht wie andere
Objekte empirisch konstatiert und analysiert werden kann, notwendig aus dem
Spiel lassen. Darin hat der wissenschaftliche
Atheismus entschieden Recht.
(Quelle: Q29 Wabbel,
T.D. (Hrsg.): Im Anfang war (k)ein Gott – naturwissenschaftliche und theologische
Perspektiven; Patmos, Düsseldorf, 2004)
(Quelle: Q37 „Thesen zum
Kreationismus“, Amtsblatt der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens,
Dresden, 31. Juli 1990)
Thesen zum Kreationismus
(Dieses Papier wurde 1989 vom Beirat
für Glaube und Naturwissenschaft beim Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens
erstellt und am 4. Mai 1990 durch die Kirchenleitung zustimmend zur Kenntnis genommen;
veröffentlicht im Amtsblatt der
Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, Dresden, 31. Juli 1990, S.B57)
In den letzten Jahren ist das
Gedankengut des sog. "Kreationismus" in unseren Gemeinden verbreitet worden und hat - vor allem unter
Jugendlichen – zu Verwirrung und Verunsicherung geführt. Wir halten - in dem
Wissen, dass es im Kreationismus sehr verschiedene Spielarten gibt - eine
Auseinandersetzung mit bestimmten Formen und Inhalten für notwendig, vor
allem, wenn sie ihren Ausdruck in agitatorischer Missionstätigkeit und der
Verbreitung gewisser literarischer Erzeugnisse finden.
1. Kreationismus
Der Kreationismus (auch
"wissenschaftlicher Kreationismus" oder "Schöpfungswissenschaft")
ist vor allem bewegt von der Sorge, den christlichen Glauben gegenüber der
Evolutions-Lehre zu verteidigen. Er erhebt die "Entscheidung für
Schöpfung oder Evolution“ zu einer zentralen Frage christlichen Glaubens und
Bekennens. Der Kreationismus sieht den Schöpfungsglauben durch den
Entwicklungsgedanken in der modernen Naturwissenschaft bedroht und leitet
daraus ab, dass ein Christ der Evolutionslehre nur ablehnend begegnen kann.
Den Nachweis für die Richtigkeit seiner Thesen führt der Kreationismus vor
allem mit naturwissenschaftlichen Argumenten und glaubt, dass zwischen modernen
Erkenntnissen der Wissenschaft und dem Wortlaut der biblischen Überlieferung
Harmonie hergestellt und dadurch der Glaube des einzelnen gestärkt werden
kann.
Wir stellen fest:
Der Kreationismus ist eine Bewegung,
die in den 60er Jahren außerhalb der verfassten Kirchen in den USA entstanden
ist. Er nimmt Strömungen auf, wie sie die Geschichte der Kirche seit langem
begleiten (Standpunkte des Fundamentalismus/Biblizismus). Der Kreationismus
stellt die wichtige Frage nach der Bedeutung, die naturwissenschaftlichen
Kenntnissen über die Welt zukommt, neu. Er wendet sich zu Recht gegen den Missbrauch
von Naturwissenschaft im Dienste einer Weltanschauung. Er deckt auf, dass
Wissenschaft heute zum Teil quasi-religiöse Züge aufweist und den Anspruch
erhebt, allein mit ihren Mitteln die Wirklichkeit der Welt erklären und
Antwort auf Sinnfragen geben zu können.
Der Kreationismus hat recht, sofern
er die Auseinandersetzung mit dieser Ideologisierung naturwissenschaftlicher
Erkenntnisse fordert. Er übersieht aber, dass Naturwissenschaft nicht notwendigerweise Ideologie oder
antireligiös sein muss. In der Bekämpfung seines Feindbildes ("Evolutionismus",
"kommunistischer Atheismus") ideologisiert er selbst biblische und
naturwissenschaftliche Aussagen und erliegt der Gefahr, die je eigene, begrenzte
biblische und wissenschaftliche Sicht der Welt zu überfordern.
Die Position des Kreationismus kann
uns weder theologisch noch naturwissenschaftlich überzeugen.
2. Bibelverständnis
Nach allgemeiner christlicher
Überzeugung ist die Bibel von Gott inspiriert. Wie diese Überzeugung interpretiert
wird, ist unterschiedlich. Die Kreationisten schließen daraus, dass die
Aussagen der Bibel in allen Bereichen irrtumslos sind und keine Widersprüche
enthalten. Sie erklären diese ihre Sicht der Heiligen Schrift für allein
richtig und christlich. Bei Widersprüchen zwischen dem modernen Weltbild und
der biblischen Überlieferung ist der Wortlaut des Bibeltextes für
Kreationisten wahr und verbindlich (fundamentalistisches Bibelverständnis).
Das theologische Interesse des
Kreationismus konzentriert sich fast ausschließlich auf das Thema „Schöpfung“,
verstanden als das Fragen nach dem Anfang der Welt und des Lebens. Durch
Auswahl und Neuinterpretation naturwissenschaftlicher Befunde möchte er die
Richtigkeit (Wahrheit) der biblischen Überlieferung beweisen und damit Glaubens-Gewissheit
wecken und stärken.
Wir stellen fest:
Die Kirchen haben in der Geschichte
der Schriftauslegung gelernt, in der Heiligen Schrift Zeugnisse des Glaubens
und naturwissenschaftliche Erklärung der Welt zu unterscheiden. Demgegenüber
schafft der Kreationismus erneut Verwirrung, indem er Glaube und Wissen
vermengt. Er wiederholt damit in seiner Position vergangene Etappen des
Schriftverständnisses und wird dem differenzierten Stand heutiger Schriftauslegung
nicht gerecht:
·
Danach ist die Bibel ein geschichtlich entstandenes Dokument. Wir
vernehmen darin die Stimmen verschiedener Zeugen, die in unterschiedlichen
Situationen reden und die Sprache ihrer Zeit und deren Weltbilder verwenden.
Indem glaubende Menschen den Anspruch und die Verheißung Gottes für ihr Leben
verbindlich vernehmen, erweist sich die Bibel als Heilige Schrift.
·
Weiterhin ist die Einsicht allgemein, dass die Texte der Bibel
vorrangig nicht naturwissenschaftliche oder historische Information vermitteln,
sondern Glaubens-Zeugnisse sind. Diese Glaubensaussagen sind nicht gebunden an
naturwissenschaftliche Erkenntnis und werden daher auch nicht mit ihr hinfällig
(Kreationisten fesseln dagegen Glaubensaussagen an eine bestimmte Weltsicht).
·
Glaube kann nur Vertrauen wagen, er stützt seine Gewissheit nicht
auf Beweise, etwa solche naturwissenschaftlicher Art.
·
Nach den heutigen Erkenntnissen der Bibelwissenschaft ist die
Grundthese des Kreationismus (wörtliche Verbindlichkeit) schon allein aufgrund
der unsicheren Quellenlage der biblischen Handschriften nicht haltbar (welcher
Wortlaut welcher Quelle und in welcher Übersetzung ist verbindlich?).
Der Kreationismus redet auch verengt
von Schöpfung. Christlicher Schöpfungsglaube ist nicht allein an der Vergangenheit
und an der Frage nach der Herkunft des Menschen interessiert. Im Gegensatz zu
dieser kreationistischen Engführung ist das biblische Zeugnis von Gott als
dem Schöpfer schon im Alten Testament sehr vielfarbig: es begegnet z.B. in den
Schöpfungspsalmen (Psalm 8 oder Psalm 104), in Lehrerzählungen (1.Mose 1 und
2), bei den Propheten (Jesaja 40ff) oder in den Weisheitsbüchern (Hiob). Von
Glaubenden ist zu allen Zeiten auch das fortdauernde Schöpferhandeln Gottes
("creatio continua") bekannt worden.
3. Naturwissenschaftliche Beweise
für die Wahrheit biblischer Aussagen
Der Kreationismus führt den Nachweis
für seine Thesen weitgehend mit naturwissenschaftlichen Argumenten. Dabei
legt der Wortlaut der Bibel für ihn den Rahmen und die Ergebnisse naturwissenschaftlicher
Arbeit von vornherein und nicht mehr hinterfragbar fest. Ziel ist die Suche
nach Belegen, welche jede einzelne Aussage der Bibel bestätigen. Die Heilige
Schrift wird dadurch zum Nachschlagwerk für naturwissenschaftlich und historisch
zutreffende (richtige, wahre) Informationen. So begegnet dann z. B. 1.Mose 1
als Tatsachenbericht über den Ablauf der Weltschöpfung in einer Kalenderwoche,
aus Angaben in 1.Mose 1-11 wird ein Weltalter von etwa 6000 Jahren errechnet
(schon die drei uns vorliegenden schriftlichen Fassungen des
1.Mose-Buches - hebräisch, griechisch und samaritanisch - enthalten in ihren
Geschlechtsregistern erheblich voneinander abweichende Altersangaben!), und
die Sintfluterzählung (1.Mose 6-9) wird als Tatsachenbericht über eine
historisch und naturwissenschaftlich erwiesene globale Katastrophe verstanden.
Auswahl und neue Deutung naturwissenschaftlicher Befunde sollen es nach
Ansicht des Kreationismus möglich machen, die gesamte Kosmologie, Biologie,
Geologie, die Geschichte der Welt und des Lebens alternativ zu den Ansichten
der etablierten Naturwissenschaft und in völliger Übereinstimmung mit den
Aussagen der Bibel darzustellen. Mit dem eigenen Standpunkt nicht harmonierende
naturwissenschaftliche Erkenntnisse werden negiert, hyperkritisch angezweifelt
oder bekämpft - auf der anderen Seite begegnet bei willkommenen Fakten und
Theorien eine unkritische Wissenschafts-Gläubigkeit.
Wir stellen fest:
Naturwissenschaft kommt zu ihren
Ergebnissen mit Hilfe bestimmter Arbeitsmethoden. Für wissenschaftliche
Arbeit gibt es verbindliche Regeln. Die Erkenntnisse der Naturwissenschaften
sind von relativer Bedeutung (im Rahmen der gewählten Methode), prüfbar
(weitgehend frei von subjektiven Einflüssen), vorläufig und wandelbar (d. h.
grundsätzlich immer verbesserungswürdig und verbesserungsfähig). Ergebnisse,
die von vornherein feststehen und nicht hinterfragt werden dürfen, widersprechen
dem Grundansatz wissenschaftlicher Arbeit. Ergebnisse der Naturwissenschaften
dürfen nicht über ihren eigentlichen Geltungsbereich hinaus
weitergehend gedeutet und/oder
zur Grundlage weltanschaulicher Aussagen gemacht werden
("objektive", "endgültige" oder "wahre" Erkenntnisse;
Aussagen zu Sinnfragen).
Naturwissenschaft macht
"richtige" Aussagen nur über einen begrenzten Bereich der
Wirklichkeit (durch Wahl der Methoden und durch prinzipielle Erkenntnis-Grenzen
eingeschränkt).
Christen müssen (und dürfen) sich in
ihrem Bekenntnis nicht auf eine
bestimmte naturwissenschaftliche Theorie oder ein bestimmtes Weltbild
festlegen. Soweit der Kreationismus die etablierte Naturwissenschaft
kritisieren will, muss er das im Rahmen der allgemein anerkannten Regeln wissenschaftlicher
Arbeit tun.
Heute sind Kreationisten - entgegen
ihrer eigenen Darstellung - eine Minderheit unter den Naturwissenschaftlern.
4. Christ und Schöpfung heute
Der Kreationismus erhebt den
Anspruch, wichtige Fragen des christlichen Schöpfungsglaubens zu verhandeln.
In seiner Argumentation erhebt er die Stellung zu bestimmten
naturwissenschaftlichen Theorien in den Rang von zentralen Glaubensfragen und
fordert ein Bekenntnis: für seine Sicht der Bibel und der Welt. Christsein entscheidet
sich für ihn letztlich am JA oder NEIN zur Evolutionstheorie. Die Auseinandersetzung
wird als Glaubenskrieg gegen verzerrte Feindbilder geführt.
Wir stellen fest:
Naturwissenschaftliche Erkenntnisse
können christlichen Glauben weder begründen noch erschüttern. Im Streben nach
Wahrhaftigkeit sollten Christen auch gegenüber dem Suchen der Naturwissenschaften
offen bleiben.
Der Schöpfungsglaube ist heute
vorrangig und in neuer Weise durch die Bedrohung der Schöpfung herausgefordert,
die bedingt ist durch menschliches Fehlverhalten - auch im Bereich von
Naturwissenschaft und Technik. Kirchen und Theologie stehen vor der Aufgabe,
das Nachdenken über "SCHÖPFUNG" zu beleben und die Gemeinden in
diesen Prozess stärker als bisher einzubeziehen. Aber nicht nur den
zerstörerischen Auswirkungen, auch dem ideologischen Missbrauch, der Vereinnahmung
naturwissenschaftlicher Erkenntnisse ("wissenschaftlich"
begründete Weltanschauung, wissenschaftliches Wahrheitsmonopol) ist zu widerstehen.
Hierzu sind manche Fragen des Kreationismus wichtige Anregungen.
Aber der Kampf, so, wie ihn einige
Kreationisten führen, ist für diesen Prozess nicht hilfreich. Er schafft im Gegenteil
Verwirrung in den Gemeinden und wird den heute anstehenden Herausforderungen
weder aus der Sicht des Glaubens noch aus der der Naturwissenschaften
gerecht.
(Quelle: Q37 „Thesen zum
Kreationismus“, Amtsblatt
der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, Dresden, 31. Juli 1990)
(Quelle: Q57
Pressemitteilung www.idea.de,
15.9.08)
Ihren Frieden mit dem Begründer der
Evolutionstheorie, Charles Darwin (1809-1882), hat die anglikanische Kirche
von England geschlossen. Am 15. September eröffnete sie eine Internetseite
(www.cofe.anglican.org/darwin), auf der sie sich unter anderem für Angriffe der
Kirche auf den englischen Naturforscher posthum entschuldigt.
Anlass sind die bevorstehenden Darwin-Jubiläen im nächsten Jahr. Vor 200
Jahren, am 12. Februar 1809, wurde er in Shrewsbury geboren, und vor 150 Jahren
(1859) veröffentlichte er sein Hauptwerk „On the Origin of Species“ (Die
Entstehung der Arten). Schon zu Lebzeiten wurde Darwin scharf von Kirchenkritikern
angegriffen, die seine Lehren im Widerspruch zu den biblischen
Schöpfungsberichten sahen. Noch heute gehören christliche Vertreter des
Kreationismus (Schöpfungslehre) zu den schärfsten Gegnern der
Evolutionstheorie. „Charles Darwin - 200 Jahre nach Ihrer Geburt schuldet Ihnen
die Kirche von England eine Entschuldigung dafür, Sie missverstanden zu haben,
und weil unsere erste Reaktion falsch war, haben wir andere ermutigt, Sie immer
noch misszuverstehen“, schreibt der Direktor für Mission und Öffentlichkeit der
Kirche, Malcolm Brown (London). In Darwins Erkenntnissen finde sich nichts, was
im Widerspruch zu christlicher Lehre stehe. Jesus selbst habe dazu
aufgefordert, die Welt zu beobachten und daraus auch Erkenntnisse über Gott zu
erlangen. Brown: „Zwar glauben Christen, dass die Bibel alles enthält, was wir
wissen müssen, um aus unserer Sünde errettet zu werden, aber sie behaupten
nicht, dass die Bibel ein Kompendium allen Wissens sei.“ Es sei vernünftig, von
einem Evolutionsprozess über Jahrtausende auszugehen. Man dürfe jedoch nicht
die natürliche Auswahl auf das menschliche Zusammenleben übertragen und daraus
ableiten, dass sich der Stärkere durchsetzen müsse. Vor diesem
Sozial-Darwinismus müsse man Darwin selbst schützen, so Brown.
(Quelle: Q58 GEO
kompakt 14, Die 100 größten Forscher aller Zeiten, 2008)
(S.35 zu Kopernikus:)
Vor allem protestantische Theologen widersprechen den Zweiflern am
althergebrachten Weltmodell. Für sie ist die Bibel die einzig maßgebliche
Instanz.
(S.38ff. zu Galilei):
Nie hat ein einzelner Prozess einer Institution so geschadet wie dieser. Bis heute hängt dem Vatikan das Verdikt
an: wissenschaftsfeindlich, rückwärtsgewandt, unbelehrbar! Der Prozess gegen
Galilei war, so die übliche Lesart, der Höhepunkt der jahrhundertelangen
Unterdrückung Andersdenkender, der letzte Beweis für die Intoleranz der
Inquisition.
Zugleich war er der Beginn einer strahlenden Epoche, an der die Kirche weder
teilhaben konnte noch durfte: Aufklärung, moderne Wissenschaft, Fortschritt!
Galilei war ein Held, die Kirche ein Schurke. So wird das Drama bis heute
gelesen.
Nur kann die neueste Forschung diese Deutung nicht bestätigen. Sie findet im
Galilei-Prozess weniger ein Heldenstück als eine Tragikomödie: ein verworrenes
Lehrstück über Macht und Missbrauch, über Eitelkeit und Eigennutz, über
Verfehlungen und Verirrungen. Nur eines kommt darin kaum vor: Wissenschaft. Um
sie ging es am wenigsten, auch wenn das Stück mit ihr beginnt. …
(Galilei beobachtet mit seinem Teleskop:)
Auf dem Mond gibt es Berge! Täler! Krater! Das kann, das darf nicht sein.
Nach gängiger Lehre, unbezweifelt seit den antiken Gelehrten Aristoteles und
Claudius Ptolemäus, ist der Kosmos in zwei Sphären unterteilt. In der irdischen
Sphäre sind alle Dinge veränderlich, endlich, unvollkommen. Jenseits davon, im
himmlischen Reich, auf dem Mond also und bei den Sternen, ist alles ewig,
unveränderlich, vollkommen. Daher hat man sich den Mond als glatt polierte,
wenngleich leicht fleckige Kugel vorgestellt.
Denn am perfekten Himmel kann nur eine perfekte Kugel hängen.
Aber nichts davon: Der Mond gleicht der Erde in all ihrer Unvollkommenheit –
sollten Himmel und Erde also aus dem gleichen Stoff sein? Es wäre ein
kosmologischer Umsturz …
Die Sonne, so erkennt er später, hat Flecken – ist auch sie nicht perfekt? …
Den Jupiter umkreisen vier Monde! …
In jenen Tagen glaubt man, das gesamte Universum habe nur einen einzigen
Drehpunkt: die Erde. … Die Monde, die ihre Bahnen um den Jupiter ziehen, sind
der Beweis, dass nicht alle Himmelskörper um die Erde kreisen …
Rasch schreibt er nieder, was er entdeckt hat … Die nur 48-seitige Broschüre
(„Die Sternenbotschaft“ 1610) macht ihn innerhalb weniger Wochen zum
berühmtesten Wissenschaftler Europas …Die Herrscher – weltliche wie geistliche
– gieren nach Sensationen, nach Abwechslung. Ob das Weltbild wankt, interessiert
sie wenig.
Ganz anders die Philosophen, die das Geistesleben Europas beherrschen und weit
energischer als Kirche und Obrigkeit die traditionelle Weltsicht verteidigen.
Diese scholastischen Gelehrten werden in den folgenden Jahren zu Galileis
erbittertsten Feinden.
Sie haben auch am meisten zu verlieren: Sollte sich Galileis Forschungsmethode
durchsetzen – Erkenntnis durch Beobachtung und Experiment – wären sie
entbehrlich.
Im Laufe der Jahrhunderte haben sie auf einigen Grundsätzen des Aristoteles und
anderer antiker Philosophen ein überwältigend komplexes Denksystem errichtet.
Das Messen, Experimentieren, Wiegen, so wie es Galilei unternimmt, gilt ihnen
als völlig untauglicher Weg zur Erkenntnis. Nach ihrer Vorstellung lassen sich
die tiefsten Seinsgründe nicht durch Beobachtung, nicht durch die Sinne
erschließen, sondern nur durch die Vernunft, durch eine rein geistige
Wesensschau. …
Es gehört zum Mythos der modernen Naturwissenschaft, dass ihre frühen
Entdeckungen die Menschen wie selbstverständlich überzeugt hätten, allein durch
die Macht ihrer Wahrheit. Und dass nur verstockte Ewiggestrige wie die
kirchlichen Inquisitoren sich deren Evidenz verweigert hätten.
Aber so ist es nicht gewesen. Nach dem damaligen Kenntnisstand haben Galileis
Gegner gute wissenschaftliche Argumente. Also muss der Astronom dafür sorgen,
dass seine Entdeckungen auf anderen Wegen akzeptiert werden. …
Galilei widmet seine Schrift
„Sternenbotschaft“ dem Großherzog der Toskana … dieser ernennt ihn zu seinem
„Ersten Mathematiker und Philosophen“ und stattet ihn mit Empfehlungsschreiben
aus… Kaiser Rudolf II. in Prag schaut „glücklich und zufrieden“ durch das ihm
von Galilei geschickte Fernrohr …
1611 reist Galilei nach Rom an den päpstlichen Hof … Kardinäle besuchen seine Teleskopvorführungen,
die jesuitischen Astronomen bestätigen seine Entdeckungen und feiern ihn auf
einer eigens einberufenen Konferenz. Papst Paul V. gewährt ihm eine
Privataudienz – es gibt keinerlei Anzeichen, dass die Kirche ihren Glauben
bedroht sieht durch Galileis Entdeckungen.
Dennoch hält sich bis heute die Legende, die Kirche sei durch Galileis Teleskop
in eine tiefe Krise geraten. Und dass sie ihn verfolgt habe von Anfang an, als
Ketzer, als Zerstörer des Glaubens.
Nichts dergleichen. Das sind Erfindungen des 18. und 19. Jahrhunderts, als
Aufklärer die Kirche schwärzer malen, als diese jemals gewesen ist.
Die Kirche ist in der frühen Neuzeit der bedeutendste Förderer des Wissens.
Italien steht weitgehend unter dem Einfluss des Papstes, und Kunst und
Wissenschaft florieren wie kaum anderswo in Europa. …
Schon Kirchenlehrer wie Augustinus (354-430) und Thomas von Aquin (1225-1274)
haben Naturerkenntnis und Glauben zu unterscheiden gewusst. Sie waren klug
genug, die Bibel nicht wegen jeder neuen wissenschaftlichen Entdeckung Zweifeln
auszusetzen.
In der Astronomie, verkündete im 4. Jh. Augustinus, könne ein Ketzer mitunter
besser informiert sein als ein frommer Christ. Und zu Galileis Zeit heißt es:
Die Bibel zeigt den Weg in den Himmel, aber nicht, wie es im Himmel zugeht.
Die katholische Kirche hat die Heilige Schrift zu keiner Zeit als wörtliche
Wahrheit verstanden. erst recht nicht als wissenschaftliches Lehrbuch. …
Als Galilei seine Entdeckungen macht, kennt die Kirche daher kein Dogma, nach
dem die Welt sich um die Erde drehe. Zwar sind die meisten Theologen – wie
praktisch alle Menschen jener Zeit – fest vom Geozentrismus überzeugt; aber bis
dato ist er nicht zur Glaubenssache erhoben worden.
Erbitterte Gegner des Heliozentrismus von Copernicus finden sich in jener Zeit
eher unter Protestanten, eben weil sie die Bibel oft wortwörtlich nehmen. …
1613: Galilei verteidigt in seinen „Briefen über die Sonnenflecken“ zum ersten
und einzigen Mal in seinem Leben schriftlich die Lehren des Nicolaus Copernicus.
1614: Der Karmeliterpater Paolo Antonio Foscarini veröffentlicht eine
Streitschrift, in der er die Bibel Punkt für Punkt mit dem heliozentrischen
Weltbild aussöhnt. Er legt sie dem Kardinal-Inquisitor Bellarmin vor.
1615: Ein Dominikanerpater zeigt Galilei an, aber die römische Inquisition
sieht keinen Anlass, ein Verfahren zu eröffnen. Bellarmin schreibt Foscarini
in einem höflichen Brief, die Kirche habe nichts gegen Kopernikus einzuwenden,
solange die Forscher dessen Lehre bloß „ex suppositione“ darstellen, also als
Hypothese, nicht als bewiesene Wahrheit.
Der 73-jährige Kardinal will auf diesem Wege beides schützen, die herrschende
Bibelauslegung und die Freiheit der Forschung. Die meisten Wissenschaftler
akzeptieren den Vorschlag. Er behindert ihre Arbeit nicht, und einen Beweis für
das copernicanische Weltbild kann eh noch niemand erbringen.
Einer der wenigen, die gegen den Kompromiss anschreiben, ist Galilei. Er
verlangt, dass sich die Kirche aus allen naturwissenschaftlichen Fragen
heraushalte – nicht so sehr, um die Forschung vor der Kirche zu bewahren,
sondern um im Geiste der Kirchenlehrer die Bibel vor neuen Erkenntnissen zu
schützen. Dennoch schafft er sich viele Feinde, weil er sich weit auf das
Gebiet der katholischen Theologen wagt.
Die werden immer nervöser, je mehr sich der Protestantismus ausbreitet. Die
Bibelexegese ist der zentrale Streitpunkt zwischen den Konfessionen, und in
jenen Tagen gilt jede Neudeutung als heikel: Wenn man die astronomischen
Aussagen der Bibel neu auslegen kann, so fürchtet der Vatikan, warum dann nicht
gleich die ganze Bibel?
1616 gewinnen die Hardliner im Vatikan die Oberhand. Die Kirche setzt das
Hauptwerk des Kopernikus „De revolutionibus orbium coelestium“ („Über die
Umdrehungen der Himmelskörper“ – genauer:
der himmlischen Kreise, Copernicus nahm noch kreisförmige Kugelschalen an,
Sphären, die sich mit den Himmelskörpern bewegten JK -, 1543), das sie 73
Jahre lang toleriert hatte, auf den Index.
Zugleich billigt der Papst ein drastisches Edikt: Der Standpunkt der
Copernicaner, die Sonne sei der Mittelpunkt der Welt, sei „philosophisch
töricht und absurd, und formal ist er ketzerisch.“ Das gleiche gelte von der
Erdbewegung, auch sie sei „hinsichtlich der theologischen Wahrheit zumindest
glaubensmäßig irrig.“
Erstmals in ihrer Geschichte macht sich die Kirche eine kosmologische Lehre
offiziell zu eigen – und dann ausgerechnet jenen Geozentrismus, den die meisten
Astronomen zwar noch unterstützen, der aber längst nicht mehr zweifelsfrei
dasteht. …
Die Folgen dieses neuen Dogmatismus sind zunächst allerdings weit weniger
dramatisch als befürchtet. Denn wieder einmal ist der Vatikan alles andere als
konsequent. Eigentlich müsste die römische Inquisition nun sofort ein
Verfahren wegen Ketzerei gegen Galilei einleiten. Stattdessen zitiert Kardinal
Bellarmin den Forscher herbei und übergibt ihm in herzlicher Atmosphäre eine
schriftliche – und väterliche – Ermahnung, die beiden verbotenen Aussagen nicht
mehr zu verteidigen …
Erstaunlich milde verfährt die Kirche auch mit dem Buch des Copernicus. Sie
lässt nach der Indizierung alle Aussagen über die Erdbewegungen als Hypothesen
umschreiben, und bereits 1620 erhält das Werk wieder die Druckerlaubnis.
Galilei lässt sich durch seine kurze Konfrontation mit den römischen
Glaubenswächtern nicht sonderlich beunruhigen … 1623 wird sein Freund und
Gönner Maffeo Barberini als Urban VIII. auf den Papstthron gewählt. Im Jahr
darauf empfängt Urban Galilei sechsmal in seinem Palast zu langen
philosophischen Gesprächen; er schenkt ihm Medaillen, gewährt ihm Ablässe und
eine lebenslange Pension.
Urban ermuntert en Forscher zudem, in seinem nächsten Buch „durchaus die
mathematischen Betrachtungen der copernicanischen Annahme über die Bewegung
der Erde“ anzuführen, solange er sie als Hypothese darstelle. Der Papst ist
nicht der einzige, der hofft, Galilei könne den ursprünglich
griechisch-heidnischen Aristotelismus ablösen und dem Christentum eine neue
Weltsicht schenken. …
1632 veröffentlicht Galilei den „Dialog über die beiden hauptsächlichen
Weltsysteme, das ptolemäische und das coprnicanische“, die Ideen sind
weitgehend als Hypothesen verfasst … zwar
haben kirchliche Zensoren die Druckerlaubnis erteilt, doch Papst Urban
verbietet den weiteren Verkauf … Hintergrund: Galilei hat Vereinbarungen nicht
eingehalten, Urban hat außenpolitischen Druck, muss Härte und Durchsetzungsvermögen
zeigen ... es geht um Politik und Macht … Urban beruft ein Sondertribunal ein,
um die Anklage gegen Galilei zu formulieren …
Die Anklage ist merkwürdig zahnlos. Galilei steht nicht etwa wegen Ketzerei vor
Gericht – oder weil er ein verbotenes Weltbild vertreten habe. …
Das gilt nicht für den einzigen ernst zu nehmenden Vorwurf: Er lautet auf
Ungehorsam gegen die Kirche und stützt sich auf ein Dokument von 1616, das
Galilei nach eigener Aussage nie zuvor gesehen hat. … Demnach hätte Galilei den
Copernicanismus „in keiner Weise, weder in Wort noch Schrift“ lehren dürfen,
also auch nicht als Hypothese. Gegen diese Auflage habe Galilei verstoßen. Eine
wackelige Argumentation: Denn das mysteriöse Dokument trägt weder Stempel noch
Unterschrift … (nach einem Privatbesuch
eines Kommissars der Inquisition) gesteht Galilei drei Tage später seinen
Irrtum ein. …
Es vergehen noch einmal fast zwei Monate, ehe die Kardinäle im Tribunal ihr
Urteil sprechen, „dass Du, Galilei, Dich der Häresie sehr verdächtig gemacht
hast; das heißt, dass Du eine Lehre geglaubt und behauptet hast, welche falsch
und der Heiligen und Göttlichen Schrift zuwider ist.“
am 22.6.1633 schwört Galilei ab …
In seinem letzten Lebensjahr diktiert Galilei in einem Brief an einen
Freund …: „Dass das copernicanische System falsch sei, darf um keinen Preis
bezweifelt werden, vor allem nicht von uns Katholiken. Und genau wie ich die
Beobachtungen und Vermutungen des Copernicus für unzureichend halte, so halte
ich ebenso und noch mehr diejenigen von Ptolemäus und Aristoteles für
trügerisch und irrig.“ …
(Im „Dialogo“ hatte er geschrieben:) „Es gibt kein Geschehnis in der Natur,
auch nicht das einfachste, das von den Theoretikern jemals vollkommen
verstanden werden kann.“
Alles Wissen ist vorläufig und richtig nur, bis es als falsch erwiesen wird. …
Das ist Galileis radikale, antimetaphysische, moderne Botschaft.
(Quelle: Q58 GEO
kompakt 14, Die 100 größten Forscher aller Zeiten, 2008)
(Quelle Q70 WIKIPEDIA; zu „Kopernikus“, „Galilei“ und
„Religion und heliozentrisches Weltbild“; gelesen 16.12.08)
„Kopernikus zögerte lange mit der Veröffentlichung
seiner astronomischen Arbeiten, möglicherweise weil seine teilweise letztlich
falschen, auf Aristoteles' Annahmen als Kreis als idealharmonisch-vollkommenem
mathematischen Gebilde beruhenden Berechnungen der Planetenbahnen in
Kreisumläufen um die Sonne nicht durch Beobachtungen gestützt werden konnten
und deshalb eine Ablehnung durch das wissenschaftliche oder kirchliche
Establishment zu befürchten war. Wegen der falschen Annahme der Kreisbahnen
konnte Kopernikus seine Kritiker letztlich nicht zwingend widerlegen. …
Kopernikus widmete sein Werk „De Revolutionibus …“ Papst Paul III. …
Der Reformator Andreas Osiander hatte zudem eigenmächtig und anonym ein Vorwort
hinzugefügt, in dem das neue Weltbild als bloßes Rechenhilfsmittel dargestellt
wird, und somit Kopernikus Aussagen verfälscht und widerspüchlich gemacht. Die
Katholische Kirche, der Kopernikus angehörte, hielt sich eventuell auch
deswegen mit einer Stellungnahme zurück. Eine Verfolgung durch die Inquisition
hatte Kopernikus' Werk also – anders als Galileo Galilei einige Jahrzehnte
später – nicht zu befürchten, da seine Theorie lediglich als mathematische
Hilfskonstruktion zur einfacheren Berechnung der Planetenbahnen angesehen
wurde. So waren die von Erasmus Reinhold neu erstellten preußischen Tafeln
leichter zu berechnen als die veralteten alfonsinischen Tafeln, obwohl beide
zum gleichen Ergebnis führten. …
Während das Werk des Kopernikus zunächst als reines Rechenmodell verwendet
wurde, lieferten die Beobachtungen von Galileo Galilei von 1610 an überzeugende
Argumente für die physikalische Realität des heliozentrischen Systems.
Den eigentlichen Nachweis konnten erst James Bradley
1728 mit der Entdeckung der Aberration des Lichtes und 1837 Friedrich Wilhelm
Bessel mit der ersten sicheren Beobachtung der Fixsternparallaxe erbringen.“
(Wikipedia: Nikolaus Kopernikus,
16.12.08)
„Im Jahr 1615 veröffentlichte der Kleriker Paolo
Antonio Foscarini (ca. 1565–1616) ein Buch, das beweisen sollte, dass die
Kopernikanische Astronomie nicht der Heiligen Schrift widersprach. Daraufhin
eröffnete die Römische Inquisition nach Vorarbeit des bedeutenden
Kirchenlehrers Kardinal Robert Bellarmin ein Untersuchungsverfahren. 1616 wurde
Foscarinis Buch gebannt. Zugleich wurden einige nichttheologische Schriften
über Kopernikanische Astronomie, darunter auch ein Werk von Johannes Kepler,
auf den Index gesetzt. Das Hauptwerk des Kopernikus, De Revolutionibus
Orbium Coelestium, in dessen Todesjahr 1543 erschienen, wurde nicht
verboten, sondern „suspendiert“: Es durfte fortan bis 1822 im Einflussbereich
der Römischen Inquisition nur noch in Bearbeitungen erscheinen, die betonten,
dass das heliozentrische System ein bloßes mathematisches Modell sei. …
Wenige Tage nach der förmlichen
Index-Beschlussfassung schrieb Kardinal Bellarmin an Galilei einen Brief mit
der Versicherung, Galilei habe keiner Lehre abschwören müssen; gleichzeitig
jedoch enthielt dieses Schreiben die nachdrückliche Ermahnung, das
kopernikanische System in keiner Weise als Tatsache zu verteidigen, sondern
allenfalls als Hypothese zu diskutieren. …
1624 reiste Galilei nach Rom und wurde sechs Mal von
Papst Urban empfangen, der ihn ermutigte, über das kopernikanische System zu
publizieren, solange er dieses als Hypothese behandle …
Im Februar 1632 erschien der Dialogo. In
zweierlei Hinsicht setzte der Dialogo im aktuellen, astronomischen und
eben auch weltanschaulich-theologischen Diskurs neue Akzente: 1. An die Stelle
der Wissenschaftssprache Latein war die Volkssprache Italienisch getreten und
die Diskussionen sollten gezielt über die Kreise der Wissenschaft hinausgetragen
werden. 2. Das von den Jesuiten besonders favorisierte Planetenmodell Tycho
Brahes[197], das wie das Kopernikanische die
Phänomene, z.B. die Phasengestalt der Venus, erklärt, wurde bewusst
verschwiegen. Im Kampf um die Deutungshoheit des astronomischen Weltbildes
bekämpfte Galilei den Konkurrenten Tycho Brahe mit Totschweigen. …
Dass Galilei überhaupt verurteilt wurde, war unter
den zuständigen zehn Kardinälen durchaus strittig; drei von ihnen (darunter
Francesco Barberini, der Neffe des Papstes) unterschrieben das Urteil nicht. …
Nachdem Galilei geschworen hatte, „… stets geglaubt
zu haben, gegenwärtig zu glauben und in Zukunft mit Gottes Hilfe glauben zu
wollen alles das, was die katholische und apostolische Kirche für wahr hält, predigt
und lehret“, erhielt er „lediglich“ Kerkerhaft, die bereits nach wenigen Wochen
in Hausarrest umgewandelt wurde. In einem Kerker hat Galilei jedoch nie
eingesessen. …
Galilei sah zeitlebens die Kreisbahnen als zentralen
Bestandteil des kopernikanischen Systems an und lehnte elliptische Bahnen aus
diesem Grund ab. …
Ab dem Juli 1633 – noch in Siena – hatte Galilei an
seinem physikalischen Hauptwerk Discorsi e Dimostrazioni Matematiche
intorno a due nuove scienze gearbeitet. Obwohl das Inquisitionsurteil kein
explizites Publikationsverbot enthielt, stellte sich eine Veröffentlichung im
Einflussbereich der katholischen Kirche als unmöglich heraus. So geschah es,
dass die Welt zuerst durch Matthias Berneggers lateinische Übersetzung von
Galileis Werk Kenntnis erhielt (erschienen u.d.T. Systema cosmicum,
Straßburg: David Hautt 1635). Ein Druck des italienischen Texts der Discorsi
erschien erst ein Jahr danach 1636 bei Louis Elsevier in Leiden. …
1741 gewährte das Heilige Offizium –
umgangssprachlich Inquisition genannt – auf Bitte Benedikts XIV. das Imprimatur
auf die erste Gesamtausgabe der Werke Galileis. Unter Pius VII. wurde 1822
erstmals ein Imprimatur auf ein Buch erteilt, das das Kopernikanische System
als physikalische Realität behandelte.“
(Wikipedia: Galileo Galilei, 16.12.08)
„Galilei wurde nicht der Kritik der Bibel, sondern
des Ungehorsams gegenüber dem Papst beschuldigt.“
…
„Papst Benedikt XIV. hob am 17. April 1757 den Bann gegen Werke auf, die
ein heliozentrisches Weltbild vertraten. Ausgelöst wurde diese Entscheidung
durch die allgemeine Anerkennung, die die Werke Isaac Newtons in der
wissenschaftlichen Welt gefunden hatten. Am 11. September 1822 entschied die
Kongregation der römischen und allgemeinen Inquisition dann, dass der Druck
und die Publikation von Werken, die die Bewegung von Planeten und Sonne in
Übereinstimmung mit der Auffassung der modernen Astronomen darstellten,
generell erlaubt sei. Diese Entscheidung wurde kurz darauf durch Papst Pius
VII. ratifiziert.“
(Wikipedia: Religion und
heliozentrisches Weltbild, 16.12.08)
(Quelle Q70 WIKIPEDIA; zu „Kopernikus“, „Galilei“ und
„Religion und heliozentrisches Weltbild“; gelesen 16.12.08)
Q72 Darwin, Charles: Mein Leben,
Insel Taschenbuch, Frankfurt/Main, 2008
S.102f.
„Ein anderer Grund für den
Glauben an die Existenz Gottes, der mit der Vernunft, nicht mir Gefühlen zusammenhängt,
scheint mir mehr ins Gewicht zu fallen. Dieser Grund ergibt sich aus der
extremen Schwierig-keit oder eigentlich Unmöglichkeit, sich vorzustellen,
dieses gewaltige, wunderbare Universum einschließlich des Menschen mitsamt
seiner Fähigkeit, weit zurück in die Vergangenheit und weit voraus in die
Zukunft zu blicken, sei nur das Ergebnis blinden Zufalls oder blinder
Notwendigkeit. Wenn ich darüber nachdenke, sehe ich mich gezwungen, auf eine
Erste Ursache zu zählen, die einen denkenden Geist hat, gewissermaßen dem
menschlichen Verstand analog; und ich sollte mich wohl einen Theisten nennen.
Wenn ich mich recht erinnere, beherrschte diese Schlussfolgerung mein Denken in
der Zeit, als ich Über die Entstehung der Arten schrieb …
seither schien sie mir ganz allmählich immer weniger überzeugend …
ich schwankte jedoch sehr …
Das Mysterium vom Anfang aller Dinge können wir nicht aufklären; und ich
jedenfalls muss mich damit zufrieden geben, Agnostiker zu bleiben.“
(zur Erläuterung:)
Agnostizismus
Der Agnostizismus ist eine Weltanschauung, die
insbeson-dere die prinzipielle Begrenztheit menschlichen Wissens betont. Die Möglichkeit
der Existenz transzendenter Wesen oder Prinzipien wird vom Agnostizismus nicht
bestritten. Agnostizismus ist sowohl mit Theismus als auch mit Atheismus
vereinbar, da der Glaube an Gott möglich ist, selbst wenn man die Möglichkeit
der rationalen Erkenntnis Gottes verneint.
Die Frage „Gibt es einen Gott?“ wird vom Agnostizismus dementsprechend nicht
mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet, sondern mit „Es ist nicht geklärt“, „Es ist
nicht beantwortbar“.
Unabhängig davon ist die Frage „Glauben Sie an einen Gott?“. Diese ist auch von
einem Agnostiker mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortbar.
(Wikipedia, gelesen 23.2.2009)
A1 Verzeichnis der zitierten und verwendeten Quellen
Lehrbücher Fach Biologie
Biologie DDR-Lehrbuch Klasse 10
B1
DDR; VOLK UND WISSEN; Biologie, Lehrbuch für die Klasse 10, Volk und
Wissen Volkseigener Verlag, Berlin, 1982
Biologie Sekundarstufe 1
B11 CORNELSEN / VOLK UND WISSEN;
Biologie plus, Klasse 10 Gymnasium, Sachsen, Berlin, 2006
B12 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag,
Duden Biologie, Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin, 2005
B13 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag;
Link Biologie 10, Sachsen Mittelschule, Berlin, 2007
B14 DUDEN / PAETEC; Biologie,
Gymnasium, 10, Sachsen, Berlin 2007
B15 PAETEC; Biologie 10, Sachsen,
Gymnasium, Berlin, 2000
B16 SCHROEDEL; Netzwerk Biologie 10,
Braunschweig, 2006
B17 VOLK UND WISSEN; Biologie Band 3,
Sachsen, Volk und Wissen, Berlin, 2002
B18 VOLK UND WISSEN; Biologie plus,
Klassen 9/10 Gymnasium, Sachsen, Berlin, 2001
Biologie Sekundarstufe 2
B21 BSV (Bayerischer Schulbuch
Verlag); Meyer, H. / Daumer, K.: Biologie für die gymnasiale Oberstufe,
München 1999
B22 C.C.BUCHNER; Solbach, H.: Vita
nova; Biologie für die Sekundarstufe II; Bamberg 2000
B23 CORNELSEN / VOLK UND WISSEN;
Biologie Oberstufe, Gesamtband, Berlin, 2006
B24 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag;
Duden Biologie, Gymnasiale Oberstufe, Berlin, 2005
B25 KLETT; Biologie für Gymnasien,
Oberstufe, Stuttgart, 2005
B26 KLETT; Einblicke Biologie, Band
2, Klett, Stuttgart, 2000
B27 KLETT; Natura, Biologie für
Gymnasien Band 2, Klett, Stuttgart, 1997
B28 SCHROEDEL; Biologie heute
entdecken S II; Braunschweig, 2004
B29 SCHROEDEL; Biologie heute S II;
Braunschweig, 2004
B30 SCHROEDEL; Hoff, P. / Miram, W. /
Paul, B.: Evolution, Materialien für den Sekundarbereich II, Biologie,
Hannover, 2004
B31 SCHROEDEL; Hoff, P. / Miram, W.:
Evolution, Materialien für den Sekundarbereich II, Biologie, Hannover, 1993
B32 SCHROEDEL; Linder Biologie,
Lehrbuch für die Oberstufe, Braunschweig, 2005
Lehrbücher Fach Physik
Physik Sekundarstufe 1
P1
CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Physik plus Gymnasium 10, Sachsen,
Cornelsen, Berlin, 2006
P2
CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Physik Mittelschule 9/10, Sachsen,
Cornelsen, Berlin, 2006
P3
DUDEN / PAETEC; Physik Sek I, Duden Paetec, Berlin, 2005
P4 DUDEN / PAETEC; Physik, Gymnasium
10, Sachsen, Duden Paetec, Berlin, 2007
P5
KLETT; Impulse Physik, B Teil 1, Klett, Stuttgart, 2000
P6 SCHROEDEL; Erlebnis Physik 3, Sachsen, Bildungshaus,
Braunschweig 2006
P7
SCHROEDEL; Erlebnis Physik 4, Sachsen, Bildungshaus, Braunschweig, 2007
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WESTERMANN; Kuhn: Physik 1.1, Braunschweig, 2002
Physik Sekundarstufe 2
P11
CORNELSEN; Physik Oberstufe, Ausgabe E, Cornelsen, Berlin, 2001
P12 DUDEN / PAETEC; Physik Gymnasiale
Oberstufe, Berlin, 2005
P13 SCHROEDEL, Grehn, J. / Krause, J.
(Hrsg.): Metzler Physik, Schroedel Verlag, Hannover, 1998
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Dorn / Bader: Physik
Sek II; Schroedel, Hannover, 2000
P15 WESTERMANN; Kuhn Physik 2;
Braunschweig, 2000
P16 WESTERMANN; Kuhn, Physik, Band 2
12/13; Braunschweig, 2004
Lehrbücher Fach Astronomie
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Gymnasiale Oberstufe, Paetec, Berlin 2001
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CORNELSEN
/ VOLK UND WISSEN; Astronomie plus, Cornelsen, Berlin 2005
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PAETEC; Dieter
B. Herrmann; Faszinierende
Astronomie; Paetec, Berlin, 2000
P24 VOLK UND WISSEN; Astronomie, Volk
und Wissen, Berlin, 1999
Lehrbücher Fach Religion
R1
VANDENHOECK & RUPRECHT; Koretzki, G.-R., Tammeus, R. (Hg.): Werkbuch
Religion – entdecken, verstehen, gestalten; Materialien für Lehrerinnen und
Lehrer, Göttingen 2002
R2
VANDENHOECK & RUPRECHT; Koretzki, G.-R., Tammeus, R. (Hg.): Religion
– entdecken, verstehen, gestalten - 9/10; Ein Unterrichtswerk für den
evangelischen Religionsunterricht, Göttingen 2002
R3
PATMOS; Zeichen der Hoffnung, Patmos Düsseldorf, 2002
R4
CORNELSEN; Religionsbuch Oberstufe, Cornelsen, Berlin, 2006
R5
CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Abenteuer Mensch sein, Cornelsen Berlin
2008
R6
CALWER / DIESTERWEG; Das Kursbuch Religion 3 (Klassen 9/10); Stuttgart –
Braunschweig 2007
R7
CALWER / DIESTERWEG; Kursbuch Religion, Oberstufe; Stuttgart –
Braunschweig 2004
R8
CORNELSEN; Religionsbuch 7/8; Cornelsen, Berlin, 2001
Lehrbücher Fach Geschichte
G1
C.C. BUCHNER; Buchners Kolleg Geschichte – Ausgabe C, Die Herausbildung
des modernen Europa; C.C. Buchners Verlag, Bamberg 1995
G2
CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Geschichte plus, Klasse 7, Gymnasium,
Cornelsen Verlag Berlin 2005
G3
CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Entdecken und verstehen 7, Cornelsen Verlag
Berlin 2005
G4
VOLK UND WISSEN; Geschichte plus, Sachsen, Mittelschule, Klasse 7, Volk
und Wissen Verlag, Berlin, 2000
G5
CORNELSEN; Geschichtsbuch, Band I, Von der Antike bis zum Ende des 19.
Jahrhunderts, Cornelsen Verlag, Berlin 1995 (2006)
G6
DIESTERWEG; Expedition Geschichte, Mittelschule Sachsen, Band 3, Klasse
7, Bildungshaus Schulbuchverlage …, Braunschweig 2005
G7
KLETT; Geschichte und Geschehen, 3, Sachsen, Sekundarstufe I, Ernst Klett
Schulbuchverlag, Leipzig 2006
G8
KLETT; Zeitreise 2, Ernst Klett Verlag Stuttgart, 2007
G9
KLETT; Geschichte und Geschehen, Berufliche Oberstufe, Ernst Klett
Schulbuchverlag, Leipzig, 2003
G10
SCHÖNING; Zeiten und Menschen 1, Geschichte, Oberstufe, Bildungshaus
Schulbuchverlage …, Braunschweig, 2007
G11
WESTERMANN; Anno 3 neu, Gymnasium Sachsen, Bildungshaus Schulbuchverlage
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Weitere zitierte und verwendete
Quellen
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Darwin, Ch.: Die Abstammung des Menschen und die Zuchtwahl in
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Westermann, Claus: Schöpfung; Kreuz Verlag Stuttgart 1979
Q49 Kleine
Enzyklopädie Natur, VEB Bibliographisches Institut, Leipzig 1983
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die Frage nach der Religion; EZW-Texte Impulse Nr.28, Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Stuttgart
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Naturwissenschaftliche und religiöse Ideologien; EZW-Texte Impulse Nr.35, Evangelische Zentralstelle für
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Naturwissenschaft – eine Herausforderung des Glaubens; Kirchentagskongress der
Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, 1978, Lehrbrief 2
Q53 stud. christ. Spezialfernkurs;
Naturwissenschaft – eine Herausforderung des Glaubens; Kirchentagskongress der
Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, 1978, Lehrbrief 3
Q54 Fischer, E.P.: Leonhardo,
Heisenberg & Co., Piper Verlag Taschenbuch München 2004
Q55 Steinmüller,A., Steinmüller,K.: Charles
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Heinz: Mutmaßungen über Gott, Piper Verlag München Zürich, 1997, S.11ff.
Q57 Pressemitteilung www.idea.de,
15.9.08
Q58 GEO kompakt 14, Die 100 größten
Forscher aller Zeiten, 2008
Q59 Benjamin Gruner, in: Sächsisches
Gemeinschaftsblatt, Hrsg. Landesverband Landeskirchlicher Gemeinschaften
Sachsen e.V., Heft 4/2008 S.2
Q60 BROCKHAUS ENZYKLOPÄDIE in 24 Bd.,
19., völlig neu bearb. Aufl.,
Bd. 10 (Herr – Is), Mannheim: Brockhaus, 1989, S. 374; Stichwort Ideologie)
Q61 Fuchß, H.: Hat die Bibel recht?,
Urania-Verlag Leipzig 1957, S.13
Q62 Spektrum der Wissenschaft Heft
9/2007 S.102ff.
Q63 bild der wissenschaft Heft 2/2009 S.54ff.
Q64 Martin Luther: Der Kleine
Katechismus (1529), Erklärung zum ersten Artikel des christlichen
Glaubensbekenntnisses
Q65 bild der wissenschaft Heft
12-2003 S.40
Q66 bild der wissenschaft Heft
11-2008 S.10
Q67 Die Bibel, erschlossen und
kommentiert von H. Halbfas, Patmos 2001, S.29
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Christian Schwarke / Roland Biewald: Weltbilder – Menschenbilder; Themenhefte
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neuen Anti-Evolutionismus in der Kirche; Kirchliches Forschungsheim
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Q70
WIKIPEDIA; zu „Kopernikus“, „Galilei“ und „Religion und heliozentrisches
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Q72 Darwin, Charles:
Mein Leben, Insel Taschenbuch, Frankfurt/Main, 2008
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WORT UND WISSEN stellt sich vor; Hänssler Verlag Holzgerlingen 2008
Q74 Der Spiegel 23/1998
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Q76 Weber, Thomas P.:
Darwin und die neuen Biowissenschaften, DuMont Köln, 2005
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Naturwissenschaft, Teil 1. „Der sechste Tag: Die Herkunft des Menschen und die
Frage nach Gott“, Walter-Verlag Zürich u. Düsseldorf, 1998, S.56-58
Q78 chrismon 4/2008
S.11, Interview mit Friedrich Schweitzer
Q79 Weltall Erde
Mensch, Neufassung, Verlag Neues Leben, Berlin 1968
Q79 Weltall Erde
Mensch, Neufassung, Verlag Neues Leben, Berlin 1968
Q80 Clausnitzer, Lutz:
Was der Himmel über die Erde erzählt, Freie Presse Chemnitz 27.3.09, S. A8
Q81 Drake, Stillman:
Galilei, Herder / Spektrum, Freiburg o.J. (nach 1999, ISBN: 3-926642-38-6)
Q82 Carroll, S.B.: Die
Darwin-DNA, Wie die neueste Forschung die Evolutionstheorie bestätigt,
S.Fischer Verlag, Frankfurt/Main, 2008
Der Dank gilt zunächst dem Sächsischen
Bildungsinstitut in Radebeul, Referat 21, für die Unterstützung bei der
Einsichtnahme in Schulbücher und Lehrpläne.
Insbesondere gilt mein Dank
jedoch dem Beirat für Glaube und Naturwissenschaft der Evangelisch-Lutherischen
Landeskirche Sachsens, der mich zu dieser Arbeit ermutigt und dabei begleitet
hat, sowie Kollegen, die bereit waren, das Manuskript zu lesen und die mir
hilfreiche Hinweise gegeben haben, insbesondere den Herren Dr. Hans W. Becker,
Michael Beleites, Dr. Frank Oehmichen, Dr. Heinrich Keil, Norbert Braumüller,
Sven Brumme, Dr. Ulf Liedke und Dr. Bernd Albani.
Verfasser:
Joachim Krause
Hauptstr. 46
08393 Schönberg
Tel. 03764-3140
Fax 03764-796761
Mailto: krause.schoenberg@t-online.de
Internet:
www.krause-schoenberg.de
Joachim Krause hat ein
Universitätsstudium als Dipl.-Chem. abgeschlossen und zusätzlich ein
Fernstudium in Theologie absolviert.
Er ist seit 1982 beruflich tätig als „Beauftragter für Glaube,
Naturwissenschaft und Umwelt“ in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in
Sachsen.
[1] Um nachvollziehen zu können, welche Assoziationen und Empfindungen ein Außenstehender (Atheist, Naturwissenschaftler) bei der wörtlichen Lektüre von Bibeltexten hat, sollte man Dawkins Buch doch einmal selbst gelesen haben. Er bringt in seiner schrillen Darstellung manchen von Christen verdrängten Aspekt biblischer Darstellungen erneut ins Bewusstsein – und das kann für das eigene Nachdenken nur förderlich sein.
[2] Der Gedanke, dass religiöse Menschen in ihrem Glauben „Hypothesen über Gott“ bilden, ist nicht neu. Der Theologe Heinz Zahrnt hat ihn schon vor Jahren zum Titel eines Buches gemacht:
„Soll ich meinen Glauben als
Christ auf einen kurzen Satz bringen, so kann ich sagen: Ich habe eine gute Vermutung
zu Gott. Denke ich aber über diese gute Vermutung nach, so ergeben sich nur
Mutmaßungen über Gott. Das geht jedoch nicht allein dem Theologen so, sondern
jedem Christen, der über seinen Glauben nachdenkt - und wer täte dies nicht? …
Dem Anliegen des Buches entspricht sein Titel »Mutmaßungen
über Gott«. Der Ausdruck geht nicht auf Uwe Johnsons Roman »Mutmaßungen
über Jakob« zurück, sondern stammt von Nikolaus von Kues (»coniecturae Dei«).
Für den Kusaner ist Gott in seinem Wesen vom Menschen nicht zu erkennen und
zu benennen. Weil er unsichtbar ist, gibt es nur Ansichten von ihm - Projektionen,
je aus der Perspektive des Betrachters verschieden und entsprechend vielfältig
und ungenau. Die Vielfalt und Ungenauigkeit bedeutet jedoch keine
Beliebigkeit! Weil das Unendliche im endlichen Erkennen gegenwärtig ist, gibt
die Welt dem Menschen Anhaltspunkte für seine Bilder von Gott an die Hand.
Mutmaßungen über Gott sind demnach keine grundlosen Behauptungen, sondern Aussagen
mit Wahrheitsgehalt. Bieten sie auch keine endgültige Erkenntnis Gottes, so
gewähren sie doch Teilhabe an seiner Wahrheit. Diese ständige Unfertigkeit
aller Gotteserkenntnis versetzt den Menschen in Unruhe; sie nötigt ihn zu immer
neuen Revisionen. Es gibt keine abgeschlossene kartographische Erfassung
des Wesens Gottes - das Gelände muss immer neu erkundet und vermessen werden.
…“
(Quelle: Q56 Zahrnt, Heinz: Mutmaßungen
über Gott, Piper Verlag München Zürich, Taschenbuch 1997, S.11ff.)
[3] Zum Wort „Hervorbringen“: Im Lateinischen bedeutet
„evolvere“: „herauswälzen, herauswickeln, entströmen“ à hier ergibt sich eine interessante sprachliche und
inhaltliche Nähe zwischen dem biblischen Text und dem Begriff „Evolution“!
[4] Lehrer und Physiker-Kollege von Hawking
[5] Kardinal Schönborn war nach einem Zeitungsinterview von Medien als „Kreationist“ verstanden worden – er selbst sieht das offenbar anders.
[6] Verweise auf andere Unterrichtsfächer finden sich in den Lehrplänen des Freistaates Sachsen immer wieder (z.B. für das Fach RELIGION auf BIOLOGIE oder PHYSIK – und umgekehrt). Die Frage ist nur, ob ein Biologie-Lehrer sich mit manchen philosophisch-weltanschaulichen Fragestellungen nicht überfordert sieht und der Verweis auf die Behandlung solcher Fragen in einem anderen Fach nicht auch eine Form der „Verdrängung“ ist. Die Betonung müsste wirklich auf „interdisziplinären Projekten“ liegen, also auf von Vertretern verschiedener Unterrichtsfächer gemeinsam konzipierten, vorbereiteten und durchgeführten Veranstaltungen. Für solche Projekte, die den Rahmen des normalen Stundenrasters im schulischen Alltag sprengen, müsste gezielt Raum vorgesehen werden (Block-Wochen u.ä.).
[7] Hier muss ergänzt werden: es geht nicht nur um biologische, sondern auch um physikalische und astronomische Fragestellungen
[8] Es ist kaum zu erwarten,
dass ein Fachlehrer für PHYSIK auch ausreichend „fit“ ist, um befriedigende
Auskünfte zu Geschichte und Stand von RELIGION zu geben, genauso wie von seinem
Kollegen im Fach RELIGION nicht verlangt werden kann, sich in Detailfragen der
Urknall-Hypothese(n) sicher zu bewegen.
Hier müssten Lehrer zum einen zwar zugestehen, dass sie nicht ALLES wissen
können (und wissen müssen), dass aber das Gespräch über Fachgrenzen hinweg
hier eine wichtige Ergänzung und Bereicherung darstellen kann.
[9] Das hier - aus evangelischer Sicht - skizzierte Bildungsverständnis könnte auch das einer modernen, auf Allgemeinbildung und Lebenstauglichkeit orientierten Schule sein. Naturwissenschaftliche Fächer sollten neben der Vermittlung von Fachwissen immer auch erkenntnistheoretische Fragen und ethische Implikationen des Fachgebietes aufnehmen und mit behandeln.
[10] Wenn man sich wechselseitig verstehen will, sind solche „Klärungen“ zu missverständlichen, missverstandenen oder mehrfach deutbaren Begriffen eine unverzichtbare Voraussetzung. Das sollte dann aber in allen Fächern angegangen werden.
[11] Extreme Positionen, Irrwege und Entgleisungen können erst dann sinnvoll eingeordnet und behandelt werden, wenn man sich zunächst mit den Positionen, die die meisten glaubenden Menschen und Naturwissenschaftler tatsächlich vertreten, bekannt gemacht und nüchtern und kritisch auseinandergesetzt hat.
[12] Hier wird noch einmal in wünschenswerter Klarheit dargelegt, wo die wirklich dringlichen Prioritäten liegen, Fragen, zu denen Naturwissenschaft und Theologie versuchen müssen, gemeinsame Antworten zu finden.
[13] Warum wird hier bei der Entwicklung des Weltbildes der Aspekt „Evolution“ hervorgehoben? Biologie hat doch noch viel mehr weltbildrelevante Aspekte … Oder ist hier schon der Lehrplan auf den (alten, klassischen) Konflikt fixiert?
[14] Hier und an anderen Stellen in den Lehrplänen wird immer wieder auf die Möglichkeiten interdisziplinär Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Fächern hingewiesen. Die Chancen sind deutlich, wenn es um Grenzfragen geht, die die Kompetenz einzelner Unterrichtsfächer übersteigen.
[15] Mit den Namen dieser drei Forscher und ihren Hypothesen zur Entstehung des Lebens argumentieren Biologie-Lehrbücher seit einigen Jahrzehnten. Inzwischen wird aber manches an den damaligen Konzepten ziemlich kritisch gesehen, andererseits gibt es neue Hypothesen (z.B. Bildung erster Lebensbausteine in der Nähe unterseeischer Vulkane = „Schwarze Raucher“, durch Katalyse an mineralischen Oberflächen oder durch Import aus dem Kosmos). Auf diese müsste mindestens hingewiesen werden.
[16] Sind hier (nur) ethische oder sind (auch) Erkenntnis-Grenzen gemeint?
[17] Ob man dem Sozialdarwinismus wirklich den Rang einer Evolutionstheorie zuerkennen sollte? Handelt es sich hierbei nicht vielmehr um einen ideologischen Missbrauch, um eine sehr einseitige Miss-Deutung von biologischen Befunden? Das Einführen von Extrempositionen (Sozialdarwinismus, nazistische Rassentheorie, militanter Ultradarwinismus, Kreationismus) kann eine sinnvolle Diskussion von wichtigen Fragen unter Umständen erheblich erschweren.
[18] Vgl. die Ausführungen zu diesem Satz am Ende von Kapitel 3.1
[19] Das Wörtchen „in“ im letzten Satz signalisiert eine
Begrenzung. Der Satz insgesamt könnte zum einen verstanden werden als Abwehr
von „äußeren“ (vielleicht unwichtigen) Anfragen und Einflüssen; er könnte aber
auch mitteilen: Es gibt spannende Fragen, für die die Naturwissenschaft nicht
zuständig ist, die innerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches, mit ihren Methoden
nicht bearbeitet werden können.
[20] Vorsicht ist hier
geboten bei der Verwendung des Begriffs „Tatsache“: das könnte missverstanden
werden als „bewiesene Tatsache“, und die endgültige Beweisbarkeit von
Hypothesen ist eben grundsätzlich nicht möglich (vgl. die eben zitierte Quelle B25
S.412).
Hier sei auch verwiesen auf die Mehrdeutigkeit des Begriffes „Evolution“
(ausführlicher dazu siehe Kap. 1.2.2.3).
Zum einen versteht man darunter die Abstammungsforschung. Hier hat man es mit
Beobachtungen zu tun. Es liegen (allerdings sehr lückenhaft) handfeste Befunde,
mit Date und Fakte vor, und die allgemeinste Aussage würde lauten, dass die
Lebewesen auf der Erde nicht immer in Gestalt der Arten existiert haben, die
wir heute kennen; Veränderungen lassen sich feststellen, manche Arten sind im
Laufe der Erdgeschichte ausgestorben, andere sind neu aufgetaucht.
Etwas anderes ist das Aufstellen von Theorien, die erklären wollen, welche Ursachen gewirkt haben und heute bewirken, dass neue Eigenschaften entstehen (z.B. durch Mutationen), wie sie sich durchsetzen und wie es zur Entstehung neuer Arten kommt. Das ist der sehr viel „theoretischere“ Aspekt von Evolutionsforschung.
[21] Wichtig ist der Hinweis, die unterschiedlichen
Argumentations- und Betrachtungsebenen von Naturwissenschaft und Religion zu
beachten – und die damit verbundene Warnung vor unzulässigen
Grenzüberschreitungen! Solche Grenzüberschreitungen können natürlich nicht
„verboten“ werden, aber man betritt damit gefährliches Terrain. Man sollte
solche Grenzüberschreitungen zumindest immer besonders kenntlich machen.
Dort aber, wo solche „Domänengrenzen“ nur dazu dienen, die Einzelteile eines
gespaltenen Weltbildes zu stabilisieren, können (müssen?) sie durchaus auch
hinterfragt werden.
[22] „Die überwiegende Mehrzahl der heute lebenden Biologen … ist dieser Meinung“: Das klingt beeindruckend, aber Mehrheiten müssen (auch in der Naturwissenschaft) nicht recht haben – wobei „einer Meinung sein“ und „recht haben“ nicht das gleiche ist.
[23] Das ist eine vernünftige, aber „außerwissenschaftliche“ Annahme. Es gibt keine Sicherheit und Gewähr dafür, dass man damit der Wahrheit wirklich immer näher ist.
[24] Der Wissenschaftstheoretiker Gerhard Vollmer geht hier sogar noch weiter:
„Biologie
ist, wie alle Wissenschaft, fehlbar, vorläufig, hypothetisch. Allerdings
sollte man aus dieser Einsicht nicht den Schluss ziehen, wissenschaftliche
Erkenntnis sei, weil nicht sicher, im Grunde nur spekulativ und darum wertlos.
Zwischen Sicherheit und bloßer Spekulation liegt ein weites Spektrum …
Selbst ein so gut bewährter, bisher nie widerlegter und in die gesamte
Naturwissenschaft eingebundener Satz wie der Energiesatz könnte sich eines
Tages doch als falsch erweisen. Auch Behauptungen über Unmögliches stehen
deshalb grundsätzlich unter dem Vorbehalt möglichen Irrtums. …“
(Q26 Vollmer, G.: Biophilosophie, Reclam,
Stuttgart, 1995, S.38,53)
[25] Hier wird
sachgerecht unterschieden zwischen „Vorstellungen“ von einer einmaligen
Schöpfung (als alltagstauglicher Feststellung) und wissenschaftlichen
„Theorien“, die den Sachverhalt erklären wollen.
Das geschieht nicht immer, vgl. dazu ausführlich Fußnoten 42,147 bzw. Kapitel
1.2.5 (Kategorienfehler).
[26] Zum Begriff
„Zufall“:
Der in der Naturwissenschaft verwendete Begriff „Zufall“ ist nicht klar
definiert (definierbar) und kann sehr unterschiedlich gedeutet werden.
Darwin selbst ging damit relativ „locker“ um:
„Ich habe bis jetzt das Wort „Zufall“ (engl. hier: chance! JK)
gebraucht, wenn von Veränderungen die Rede war, die bei organischen Wesen ...
auftreten.
Das Wort „Zufall“ ist natürlich keine richtige Bezeichnung, aber sie lässt
wenigstens unsere Unkenntnis der Ursachen besonderer Veränderungen
durchblicken.“
(Q8 Darwin, Ch.: Die
Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl, Reclam Leipzig 1980, S.146)
[27] Kein Mensch kann die Welt frei von „Vorurteilen“ betrachten. Die Prägung (z.B. religiös oder atheistisch), die er durch sein Elternhaus, durch Bildungs- und Erziehungsprozesse erfahren hat, legt ihm eine bestimmte Welt-„Anschauung“ und Deutung der Welt nahe.
[28] Zu diesem Satz von Darwin vgl. auch Fußnote 63
[29] Beim Bewusstmachen von Grenzen der Naturwissenschaft wird hier interessanterweise auf Poesie verwiesen, eine andere Möglichkeit des Menschen, sich der Wirklichkeit der Welt zu nähern und sich mit ihr auseinanderzusetzen
„An den Grenzen der wissenschaftlichen
Wahrheit
Religion, Kunst, Philosophie,
Musik, Dichtung, Literatur …
die Künste und die Geisteswissenschaften haben die Grenzen der menschlichen
Erfahrung erweitert und uns Einsichten und Erklärungen vermittelt, denen
unverkennbar Wahrheit anhaftet. Sie verkörpern etwas, wozu die Naturwissenschaft
nicht in der Lage ist – und feiern es sogar -, nämlich das Unerklärliche, das
Abseitige, das Nichteinordenbare, das Unvorhersehbare, das Sinnlose, das
Einmalige, das Einzigartige, das Wunderbare, das Absurde und das Irrationale“.
(Q13 Ferguson, K.: Gott und die Gesetze des
Universums, Econ, Düsseldorf 2002, S.120)
[30] Aus der
anfänglich vorsichtigen Darstellung („vermutlich“) schlägt der Ton bald in die
Gewissheit von Aussagesätzen um.
Als einziger Weg von unbelebter Materie zu den ersten Lebewesen wird eine
ziemlich gerade Linie von den Ursuppenvorstellungen über den MILLER-Versuch
bis zu den ersten Bakterien gezogen. Dass hierzu das meiste weiterhin nur im
Konjunktiv ausgesagt werden dürfte, ist dem Schüler wohl kaum bewusst.
Kritische Einwände zu dem dargestellten Erklärungs-Modell werden nicht
eingebracht. Weitere naturwissenschaftliche Modellvorstellungen (erste
Lebewesen in der Nähe von „Schwarzen Rauchern“, der mögliche Einfluss von
Kristalloberflächen, Entstehung von Lebensbausteinen im Kosmos und Transport
auf die erde durch Meteoriten) werden überhaupt nicht erwähnt oder tauchen nur
als Kuriosum (?) in Randspalten auf (siehe weiter unten in diesem Lehrbuch-Text
auf Seite 102 unter „Schon gewusst?“).
Dem Schüler bleibt das Gefühl: So also war es, das ist logisch. Unklarheiten
scheint es nicht zu geben. …
[31] Die Versuchsbedingungen zum Experiment von MILLER sind übrigens in den Lehrbüchern B11, B17 und B18 fehlerhaft wiedergegeben: In der Original-Veröffentlichung gehört zusätzlich auch Wasserstoffgas H2 zur von MILLER angenommenen Zusammensetzung der Uratmosphäre (als Faksimile abgedruckt in Q9 Deutsches Institut für Fernstudien der Universität Tübingen, Fernstudium Naturwissenschaften, EVOLUTION, Heft 4: Ursprung und frühe Evolution des Lebens, Tübingen, 1985, S.141)
[32] Die ältesten „Fossilien“ von Bakterien sind in ihrer Zuordnung noch immer umstritten.
[33] „Schon gewusst?“: Schöpfungsvorstellungen und auch andere als die hier in der Lehrbuchdarstellung favorisierten wissenschaftlichen Hypothesen gehören wohl ein bisschen ins Kuriositätenkabinett?
[34] Dieses ENTWEDER – ODER, die hier vorgeschlagene Alternative "Schöpfung Gottes" oder "naturwissenschaftlich erklärbare Entwicklung" ist falsch !
[35] Interessant ist hier der Gebrauch des Wortes „geschaffen“ – mit der Evolution als handelndem Subjekt!
[36] Das ist ein interessanter Hinweis. Heute herrscht überwiegend die Vorstellung, dass die organischen Grund-Bausteine für Lebensprozesse sich nur in der Frühphase der Erde in einer reduzierenden Atmosphäre bilden und dort bestehen konnten, dass sie in der „Ursuppe“ von den ersten Lebewesen „aufgefressen“ wurden, und dass seitdem – in einer veränderten Umgebung (oxidierende Atmosphäre) die Neubildung von komplexeren molekularen Bausteinen und die Neu-Entstehung von Leben grundsätzlich nicht (mehr) möglich ist.
[37] Die unter „Probleme“ aufgeführten Argumente, die gegen die beiden Theorien sprechen, sind die gleichen, die im vorigen Lehrbuch B29 benannt wurden, allerdings fehlt hier in B30 das dort in B29 gezogene Fazit: „Wahrscheinlich ist, dass keine der Theorien allein richtig ist und dass möglicherweise alle Theorien einen Beitrag zu der endgültigen Vorstellung über die Entstehung des Lebens liefern werden.“
[38] Der etwas flapsig
formulierte Satz sagt nicht viel über den Wahrheitsgehalt der Theorie aus,
könnte aber Schüler manipulieren: Ihr werdet doch keine Außenseiter sein wollen
…
„Heute“ deutet immerhin noch an, dass es sich um den momentanen Erkenntnisstand
handelt.
Was heißt „bei uns“? Das „Schmoren im eigenen Saft“, das Sicher-Fühlen in einer
Gruppe, in der alle einer Meinung sind, tut naturwissenschaftlichen
Erkenntnissen nicht gut.
Und wenn ,,kaum einer zweifelt“, dann sei daran erinnert, dass Mehrheiten in der
Wissenschaft nicht recht haben müssen, gerade vom Zweifel lebt
wissenschaftlicher Fortschritt.
[39] Die hier
formulierten „Aufgaben“ muten merkwürdig an.
zu 1: „Die Kirche“ des Mittelalters hatte sich zwar die damals allgemein
akzeptierte Vorstellung von der Konstanz der Arten zu eigen gemacht und sah sie
auch im (wörtlich verstandenen) Text der Bibel bestätigt. Ob und wie sie dabei
aber gezielt Einfluss ausüben musste und wollte und ihn auch ausgeübt
hat, ist fraglich. Auf jeden Fall ist es ein Missverständnis, wenn durch die
Fragestellung nahegelegt werden soll, „die Kirche“ sei auch heute noch dieser
Ansicht – das trifft für die großen christlichen Kirchen in Deutschland und für
viele Christen nicht zu
zu 2: In Aufgabe 2 soll ein Text gelesen und seine Aussagen der darwinschen
Abstammungstheorie gegenübergestellt werden. Im Anschluss an Aufgabe 1 legt
sich nahe, hier eine Stimme aus dem kirchlichen Bereich zu vermuten.
Tatsächlich steht ja darunter in der Quellenangabe etwas von „Bibel“.
Dass zusätzlich auch noch das altertümlich anmutende Wort „Traktat“
auftaucht, verstärkt den muffigen Eindruck, bestätigt auch durch eine mehr als
30 Jahre zurückliegende Jahreszahl (1968). Der Begriff „Wachtturm“
dürfte nur Eingeweihten etwas sagen. Daraus wird nämlich deutlich, dass es sich
hier um ein Pamphlet der „Zeugen Jehovas“ handelt. Deren hier abgedruckte Aussagen
könnten nun in diesem Umfeld – fahrlässig oder bewusst – als aktuelle Argumente
„der Kirche“ missverstanden werden.
[40] vgl. dazu die Begriffs-Klärungen in Kapitel 2.1.4.1
[41] Die Kapitelüberschrift „Evolutionstheorien“ ist doppelt irreführend. Zum einen wird damit die anschließend behandelte „Schöpfungsgeschichte“ zu einer nach den Regeln der Naturwissenschaft vergleichbaren Alternativtheorie gemacht, und zum zweiten beinhalteten die ursprünglichen Schöpfungsvorstellungen vergangener Generationen ja gerade die Vorstellung, dass sich in der Natur nichts verändert und entwickelt (hat). vgl. dazu die Begriffs-Klärungen in Kapitel 2.1.4.1
[42] Dass hier - wie in den beiden folgenden Büchern – „Schöpfungsgeschichten“ quasi gleichberechtigt auf einer Ebene wie etwa die Darwinsche Theorie unter der Überschrift „Evolutionstheorien“ abgehandelt werden, beruht vielleicht auf einem gravierenden Missverständnis, es ist in jedem Fall ein gewichtiger Kategorienfehler - vgl. dazu Kapitel 1.2.5.
[43] Die Abfolge, in der das Schöpfungsgeschehen in der Bibel geschildert wird, erinnert in groben Zügen durchaus an die Geschichte der Welt, wie sie uns auch die moderne Naturwissenschaft erzählt (Licht, Himmel und Erde, Wasser, Pflanzen, Tiere, Menschen).
[44] Der amerikanische Kreationismus wird hier dadurch charakterisiert, dass er „auf der Schöpfungsgeschichte der Bibel basiert“. Genauer müsste aber mitgeteilt werden: Er basiert auf einem bestimmten, am Wortlaut orientierten Verständnis der Bibel (im engeren Sinne bezogen auf bestimmte Schöpfungsvorstellungen), das aber nicht etwa das einzig mögliche Bibelverständnis ist – vgl. dazu die Begriffs-Klärungen in Kapitel 2.1.4.1
[45] Wenn in der Schüleraufgabe die „Evolutionstheorie mit den Schöpfungsmythen“ (wie sich nach den vorstehenden Sätzen nahe legt, gar noch im Verständnis der „Kreationisten“!) verglichen werden soll – und dann noch allein auf der Ebene naturwissenschaftlich verstandener Befunde und Aussagen - dann sind Verwirrungen und Missverständnisse fast programmiert.
[46] Auch hier werden wieder Schöpfungsvorstellungen irrtümlich auf einer Ebene mit naturwissenschaftlichen Evolutionstheorien verhandelt! - vgl. dazu die Begriffs-Klärungen in Kapitel 2.1.4.1
[47] vgl. dazu die Begriffs-Klärungen in Kapitel 2.1.4.1
[48] Die Aufgabenstellung kann sich nur auf die davor stehenden Darlegungen (gleiches Lehrbuch S.381f.,386f.) beziehen. Damit wird der Kreationismus als ernst zu nehmende naturwissenschaftliche Alternativtheorie behandelt! Oder soll hier noch einmal allgemein deutlich gemacht (am Beispiel des Kreationismus „vorgeführt“) werden, dass die Schöpfungsvorstellungen - alle, auch ganz andere! – eben doch nicht sinnvoll, realistisch und damit ernst zu nehmen sind?
[49] Hier müsste
sachgerechter gesagt werden, dass die Vorstellung von der Konstanz der Arten
nicht aus dem biblischen Schöpfungsbericht abgeleitet wurde, sondern mit dem
wörtlichen Verständnis der Darstellungen dort übereinstimmte, genauso wie sie
sich im Einklang befand mit der alltäglichen Erfahrung der Menschen; auch den
(meisten Natur-)Philosophen galt diese Vorstellung als eine unwidersprochene
(weil als selbstverständlich angenommene) Tatsache.
[50] Hier begegnen zwei
Missverständnisse
a) Schöpfungsglaube sei gleichzusetzen mit der Ansicht, die Welt und alle
Lebewesen seien in einem einmaligen Schöpfungsakt ins Dasein gebracht worden
und die damals geschaffenen Arten hätten sich seitdem nicht verändert. In
Kapitel.2.3.2 wurde deutlich gemacht, dass man das wohl aus dem Wortlaut des
Bibeltextes so herauslesen kann, dass aber die großen Kirchen und viele
Christen heute die Schöpfungsdarstellungen nicht als historischen und im
sachlichen Detail zutreffenden Dokumentarbericht verstehen, sondern in ihnen
Begründung und Orientierung und Maßstäbe für ihre Existenz hier und heute
suchen.
b) Der Schöpfungsglaube – konkreter: das wörtliche Verständnis des Bibeltextes in 1.Buch Mose 1 - wird zu einer naturwissenschaftlich zu lesenden Theorie gemacht, die mit anderen Theorien der Biologie verglichen werden und gegen sie abgewogen werden kann. Dabei ist auch das Ergebnis eigentlich schon vorgegeben mit der Formulierung der Frage: „Welche der genannten Theorien ist heute allgemein anerkannt?“
[51] Auch in diesem Lehrbuch wird – fahrlässig oder bewusst? - die Schöpfungsvorstellung zu einer Evolutionstheorie gemacht! - vgl. dazu die Begriffs-Klärungen in Kapitel 2.1.4.1
[52] Schöpfungsmythen in allen frühen Kulturen? Es gibt
wichtige Weltreligionen, z.B. den Buddhismus, die keinen Gott kennen und auch
nicht von einer nur einmaligen Schöpfung erzählen. Der Lauf der Welt ist hier
keine geschichtliche Linie mit Entwicklung (wie etwa im
jüdisch-christlich-abendländischen Denken), sondern vollzieht sich in ewigen,
immer gleichen Kreisläufen. Und oft geht es in Schöpfungserzählungen allein um
die Herkunft des Menschen, nicht um die von Tieren oder gar Pflanzen.
[53] Die hier postulierte Übernahme von Ideen des Aristoteles in die Heiligen Schriften der „Weltreligionen“ (Judentum, Christentum und Islam sind nur ein paar Zweige in der Vielfalt der Weltreligionen!) ist sehr fraglich. Der Text des ersten Kapitels der Bibel ist mit höchster Wahrscheinlichkeit schon lange vor der Lebenszeit des Aristoteles erzählt, aufgeschrieben und auch später unbeeinflusst von seinen Ideen überliefert worden. Hier trafen nur zwei vergleichbare Vorstellungen zusammen.
[54] „Kreationismus“ im
engeren Sinne ist ein Phänomen vor allem in christlichen protestantischen Kirchen
(weniger reflektiert gibt es ihn aber auch im Judentum und im Islam).
Die nachstehend benannte Vorstellung von der Konstanz der Arten – unter
Berufung auf den Wortlaut des ersten Kapitels der Bibel – war nie Inhalt einer
fest gefügten christlichen „Lehre“ und gehörte auch nie zu einem christlichen
Glaubensbekenntnis!
Übrigens: Glaubensbekenntnisse sind wichtige Orientierungshilfen, um gemeinsame
Grundüberzeugungen innerhalb einer Gemeinschaft im Bewusstsein zu halten. Aber
auch, wenn jemand mit einzelnen Bekenntnisformulierungen oder dogmatischen
Aussagen seiner Kirche nicht übereinstimmt, wird er nicht automatisch
ausgeschlossen. Dogmen und Bekenntnisse sind in einer bestimmten historischen
Situation entstanden, sie sind von Menschen formuliert worden und könn(t)en
grundsätzlich auch revidiert und neuen Einsichten angepasst werden.
Glaubensaussagen sind nach Heinz Zahrnt „Mutmaßungen über Gott“ – vgl Fußnote
2 vorn.
[55] Es handelte sich wohl mehr um eine „Vorstellung“ als um eine „Theorie“ im heutigen Wissenschaftsverständnis, aber vielleicht mag man Aristoteles mit seiner Naturphilosophie auch als den ersten Vertreter einer solchen Theorie bezeichnen.
[56] Es müsste wohl richtiger gesagt werden, dass Kirche und die Autoritäten der Natur-Philosophie (als Vertreter der aufkommenden Natur-Wissenschaft) diese Ansicht gemeinsam vertraten, weil sich das Alltagserleben, die ehrwürdigen Ansichten des Aristoteles und die (wörtlich verstandene) biblische Beschreibung gegenseitig zu stützen schienen. Diese Übereinstimmungen machten es möglich, dass im Einflussbereich der christlichen Kirchen solche Vorstellungen allgemein akzeptiert waren.
[57] Der Kreationismus
taucht etwas unvermittelt gleich am Anfang dieses Biologie-Lehrbuches auf.
Das Lehrbuch beschränkt sich auf die Wiedergabe einer „echten“ Quelle
(Selbstdarstellung im „Originalton“). Da aber im Buch keine Angaben gemacht
werden, wo der Kreationismus seine (historischen und theologischen) Wurzeln
hat, und eine Zuordnung zum Schöpfungsglauben bestenfalls aus den Ausführungen
zum Altertum (in diesem Lehrbuch im Zitat von S.8) erschlossen werden könnte,
steht der Schüler wohl vor einer schwierigen Aufgabe. - vgl. dazu die
Begriffs-Klärungen in Kapitel 2.1.4.1
[58] Erwähnenswert ist auch, dass in diesem Lehrbuch im Startkapitel, gewissermaßen als „Prolog“, die ersten beiden Kapitel der Bibel fast vollständig abgedruckt werden. Ob aber – trotz der im Folgenden in diesem Lehrbuch unter Punkt 2.2 gegebenen „Einführung“ – Schüler und Biologielehrer ohne zusätzlichen sachkundigen (das würde hier heißen: religionspädagogischen) Beistand und notwendige weitere Erläuterungen damit etwas anfangen können?
[59] Im hier folgenden Text wird immerhin versucht, die historische Entstehung der „Schöpfungsgeschichten“ (die Pluralform wäre sachgerecht; das ergibt sich eigentlich auch nach den im weiteren Text gegebenen Erläuterungen) in der Bibel nachzuzeichnen und auch ihre Ausdeutung und Wirkung in der Geschichte der christlichen Kirche zu skizzieren. Ob dabei allerdings alle mitgeteilten kirchengeschichtlichen Informationen für das Fach Biologie und das hier begonnene Schwerpunkt-Thema „Evolution“ relevant sind? Und umgekehrt: Ob die knappen religionspädagogischen Ausführungen ausreichen, um die biblischen Texte in Herkunft und Aussage auch für religiös nicht vorgebildete Schüler und Lehrer ausreichend transparent zu machen?
[60] Wichtig ist der Hinweis, dass die Klöster – Einrichtungen der (mittelalterlichen) Kirche! – über viele Jahrhunderte hinweg wichtige Orte wissenschaftlicher Arbeit waren. Bedeutsame Entdeckungen in den Naturwissenschaften wurden von Christen gemacht: Kopernikus stand als Domherr im Dienst der Kirche, Galilei schrieb, dass er Gott für seine Entdeckungen dankbar war, für Kepler war Wissenschaft nur eine andere Form von Gottesdienst, Newton fand in der Ordnung des Weltalls den Plan Gottes, der Mönch Gregor Mendel entdeckte die Regeln der Vererbung, der katholische Priester Lamaitre begründete die Theorie vom kosmischen Urknall … Diese „wissenschaftsfreundliche“ Seite der biblisch-kirchlichen Tradition wird manchmal unterschätzt oder schlicht „vergessen“.
[61] Das am Ende des Abschnitts zitierte „Dogma“ stammt übrigens nicht – wie man aus dem Kontext schließen könnte - aus einem kirchlichen „Bekenntnis“, sondern ist mindestens gleichgewichtig ARISTOTELES (vgl. B28 S.442) oder dem Systematiker Carl von LINNÉ (vgl. B29 S.386) zuzuordnen. - vgl. dazu die Begriffs-Klärungen in Kapitel 2.1.4.1
[62] Höchst interessant ist der Hinweis an dieser Stelle, dass – angeregt von naturwissenschaftlichen Entdeckungen und Erkenntnissen – das Nachdenken des Menschen, der Naturwissenschaft betreibt, hinführen kann zu Fragen, die für die menschliche Existenz wichtig sind, die aber die Naturwissenschaften im Rahmen ihres Fragehorizonts (nicht stellen) und auch nicht beantworten kann. Wenn es um den Sinn und das Ziel des menschlichen Daseins geht, um die Deutung von „Zufall“ – dann werden in diesem Buch die Grenzen der Naturwissenschaft akzeptiert. Antworten auf solche Fragen „sind dem persönlichen Glauben überlassen“! Die philosophische und religiöse Deutung der Wirklichkeit hat damit eine wichtige Funktion neben der naturwissenschaftlichen Erkenntnis oder über sie hinaus.
[63] Zum hier abgedruckten Zitat von Darwin:
Ausgerechnet Darwin kann vom „Schöpfer“ reden ?! Es handelt sich hier um den
letzten Satz in Darwins Hauptwerk „Die Entstehung der Arten …“ Das Buch ist ab
1859 in insgesamt 6 Auflagen zu seinen Lebzeiten erschienen. Es liegt nicht nur
nahe anzunehmen, dass ein letzter Satz in der Regel vom Autor auch gewichtig
gemeint ist. Darwin hat den Satz in der vorliegenden Fassung erst in der
zweiten Auflage seines Buches um den Zusatz „vom Schöpfer“ ergänzt (und den
Zusatz in den restlichen Auflagen beibehalten). Damit hat der Satz so etwas wie
ein handelndes Subjekt bekommen. Aber diese Einfügung hat ganz sicher nicht nur
grammatische Gründe. Schon einige Zeilen zuvor bezieht sich Darwin auf den
„Creator“, als er von den „Gesetzen“ schreibt, „die der Materie vom Schöpfer
eingepägt wurden“.
Es ist vielleicht auch wichtig darauf hinzuweisen, dass dieser letzte Satz aus
Darwins Werk auch anders übersetzt werden kann, als hier wiedergegeben. Im
Original steht da nämlich nicht so eindeutig, dass die Fülle und Vielfalt der
Lebewesen „sich entwickelt hat“ (zu deuten etwa im Sinne von
„Selbstorganisation“), sondern man kann das auch so verstehen, dass sie
„entwickelt wurden“ – was nach einem Akteur fragen lässt.
In der englischen Original-Ausgabe
(Charles Darwin: The origin of species
…, Collins Clear Type Press, London & Glasgow, o.J.; S.507) steht:
„There is grandeur in this view of life, with its several powers, having been
originally breathed by the Creator into a few forms or into one; and that,
whilst this planet has gone cycling on according to the fixed law of gravity,
from so simple a beginning endless forms most beautiful and most wonderful have
been, an are being, evolved.“
Eine ebenfalls mögliche Übersetzung
könnte lauten (J. Krause):
Es ist wahrlich etwas Erhabenes um die
Auffassung, dass das Leben mit seinen verschiedenen Fähigkeiten vom Schöpfer
ursprünglich nur wenigen oder gar nur einer einzigen Form eingehaucht wurde,
und dass, während dieser Planet nach dem ehernen Gravitationsgesetz seine
Kreise zieht, aus einem so schlichten Anfang unzählige der schönsten und
wunderbarsten Formen entwickelt wurden und immer weiter entwickelt werden.
[64] Äußerungen von Darwin selbst legen eine andere Deutung nahe (siehe vorstehende Fußnote 63). Die Intention hat er wohl, innnerhalb seiner wissenschaftlichen Beweisführung spielt sie aber keine Rolle.
[65] Der Konflikt zwischen einer Evolution, für die aus naturwissenschaftlicher Sicht kein Ziel angegeben werden kann, und dem religiösen Verständnis, dass alles Geschehen in der Welt gewollt, gelenkt und auf ein Ziel hin orientiert ist (Gott, Vollendung der Welt), bleibt damit letztlich ungelöst! Die Argumentation mit zwei unterschiedlichen Ebenen führt hier nur zu einer Scheinlösung, denn die Wirklichkeit des Glaubens kann nur die gleiche Welt meinen wie die Naturwissenschaft.
[66] Der viel umfassendere Begriff „Schöpfung“ wird hier verengt auf das Verständnis als ein einmaliger Akt des Hervorbringens von Kosmos, Erde und Leben, der in der Vergangenheit stattgefunden hat und dessen Ergebnis seitdem unverändert und unveränderlich ist (Konstanz der Arten) - vgl. dazu die Begriffs-Klärungen in Kapitel 2.1.4.1
[67] Das ODER baut hier einen Scheinkonflikt auf: Viele Christen können heute von einem Schöpfer sprechen, der in einem immer weiter andauernden Schöpfungsprozess das Bild der Welt durch immer neue Farben bereichert.
[68] Diese Aussage gilt nur für den Kulturkreis des jüdisch-christlich geprägten Abendlandes. Und neben dem Wortlaut der Bibel deckte sich diese Annahme auch mit der Alltagserfahrung, war also selbstverständlich, und sie war in Übereinstimmung mit den naturphilosophischen Vorstellungen der Zeit.
[69] Dass es sich bei „Schöpfung“ um ein in der Vergangenheit abgeschlossenes Geschehen handelt, ist Inhalt mancher Schöpfungslehren. Aber nicht alle Schöpfungsvorstellungen sind in dieser Weise festgelegt. - vgl. dazu die Begriffs-Klärungen in Kapitel 2.1.4.1
[70] Interessant ist die Wortwahl in der Überschrift. Sie nimmt entweder die ersten Worte der Bibel auf (dort heißt es: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“) oder die ersten Worte aus dem Johannes-Evangelium im Neuen Testament (dort steht: „Am Anfang war das Wort“- und so wird dann auch vollständig zitiert in der gleichen Quelle unten auf S.346).
[71] In diesem Text
wird wohl das einzige Mal – in allen betrachteten Lehrbüchern! – angesprochen,
dass es als Gegensatz und Gegenüber zu „fest gefügten religiösen
Überzeugungen“ (z.B. kreationistischen) auch „intolerant atheistische
Argumentation“ gibt.
Ein aktuelles Beispiel dafür ist der britische Evolutionsbiologe Richard
Dawkins, der einen militanten Feldzug gegen den „Gottes-Wahn“ führt. Hier ein
früheres Zitat von ihm:
Evolutionsforscher Richard Dawkins (in einer
Buchrezension): „Sicher ist jemand, der bei einer Unterhaltung behauptet,
nicht an die Evolution zu glauben, ungebildet, dumm oder verrückt.“
(Q62 Spektrum der Wissenschaft Heft 9/2007 S.102ff)
Entlarvend ist seine
Wortwahl: An die Evolution sollte ein Naturwissenschaftler eben gerade nicht
(dogmatisch, ohne Korrekturmöglichkeit) „glauben“!
[72] Diese
„wissenschafts-gläubige“, mit Allein-Erklärungs-Anspruch auftretende, darauf
beharrende Weltsicht, allein „recht zu haben“, erfüllt alle Kriterien einer
(schlechten) Ideologie, sie ist auf dem Stand der Wissenschaftstheorie des
Anfang des 19. Jahrhunderts stecken geblieben, wird dem erreichten Stand der
Diskussion nicht gerecht, und zerschlägt viel Porzellan.
Ihr Glaubenssatz „Es gibt keinen Gott!“ ist genauso wenig beweisbar oder
widerlegbar wie der Satz „Es gibt Gott!“. Manche Anhänger dieses
„Aufklärungs-Fundamentalismus“ (Der Spiegel 22/07 S.56ff) haben von
moderner Wissenschaftstheorie überhaupt nichts verstanden!
„Es kann nicht verwundern,
dass dem ideologischen Missbrauch des christlichen Schöpfungsglaubens, wie er
im Kreationismus und in der Lehre vom "Intelligent Design" vorliegt,
spiegelbildlich ein Missbrauch entspricht, der meint, aus den Einsichten der
modernen Naturwissenschaften zwingend eine Leugnung Gottes und die
Verpflichtung auf einen kämpferischen Atheismus ableiten zu können.
Beispielhaft ist dafür der Evolutionsbiologe Richard Dawkins, der sich mit
seinem Buch "Der Gotteswahn" ("The God Delusion") an die
Spitze dieser Bewegung gesetzt hat.(23) Dawkins restauriert ein Weltbild, nach
welchem Religion einem vorwissenschaftlichen Zeitalter angehört und mit dem
Siegeszug des wissenschaftlichen Bewusstseins zum Verschwinden kommt. Weil sich
dieses Verschwinden nicht von selbst einstellt, muss es durch einen
weltanschaulichen Kampf vorangetrieben werden, für den man sich der
Unterstützung durch vermeintlich wissenschaftliches Handeln zu versichern
versucht. Das Gottesverständnis soll auf dem Weg destruiert werden, dass danach
gefragt wird, ob man auf die Gotteshypothese angewiesen sei, um die Entstehung
der Welt und des Lebens zu erklären. Die Auseinandersetzung mit dem
Gottesbegriff wird also ganz und gar auf dem Missverständnis eines
"Lückenbüßergottes" ("God of the gaps") aufgebaut.(24)
Dafür sind Kreationismus und "Intelligent Design" willkommene Gegner;
Richard Dawkins überhöht deren Vertreter deshalb zu den maßgeblichen
Repräsentanten des Christentums, ja der Religion überhaupt. Er verbindet –
ebenso wie Hitchens – das zugleich mit einer maßlosen Polemik, die religiöse
Erziehung mit Kindesmisshandlung gleichsetzt und das alttestamentliche
Gottesbild in einer Weise beschimpft, die historischen Sinn und moralische
Proportion in gleicher Weise vermissen lässt.“
(Q19 Huber, Wolfgang (Bischof und Ratsvorsitzender der Ev. Kirche in
Deutschland), Bericht des Rates der EKD - Teil A, (6. Tagung der 10. Synode der
EKD, Dresden, 04. - 07. November 2007)
[73] Unbestritten? – Man sollte vielleicht vorsichtiger sagen, dass von den großen Kirchen die Evolutionstheorie akzeptiert wird – als derzeit überzeugendster naturwissenschaftlicher Erklärungsversuch. Und das geschieht mit deutlicher Kritik an naturwissenschaftlichen All-Erklärungsansprüchen oder der Ableitung weltanschaulicher Deutungen aus dieser Theorie … Dabei darf nicht vergessen werden, dass auch heute viele Christen den Wortlaut des biblischen Textes als historischen und naturwissenschaftlichen Tatsachenbericht verstehen – und das sind nicht nur „Kreationisten“.
[74] Der Erwerb naturwissenschaftlicher Erkenntnisse soll die Schüler dazu befähigen, ein eigenes Weltbild zu entwickeln. Aber von welchen anderen Weltbildern soll es sich absetzen? Geht es darum, zu akzeptieren, dass letztlich jeder Mensch tatsächlich sein eigenes Weltbild hat, geprägt durch seine persönliche Lebensgeschichte, seine Begabungen, Erfahrungen, Bildungsangebote? Albert Einstein hat in dieser Einsicht und in aller Bescheidenheit ein Buch genannt: „Mein Weltbild“. Oder ist unter dem Ziel des eigenen Weltbildes doch der Versuch zu sehen, Schüler zu dem einen, richtigen, naturwissenschaftlich begründeten Weltbild zu führen?
[75] Da der „Mensch“ kein vorrangiger Untersuchungsgegenstand der Physik ist, mutet die Trias „Kosmos, Erde und Mensch“ merkwürdig an und weckt (beabsichtigte?) Assoziationen zum DDR-Jugendweihe-Buch „Weltall Erde Mensch“.
[76] So viel Zeit, wie hier dem Thema „Utopische Physik“ eingeräumt wird (das zu Recht eine Motivation der Schüler aufnimmt) sollte auch vorgesehen und vorgeschrieben werden für die gezielte Behandlung grundsätzliche Fragen der Erkenntnistheorie.
[77] Der Erwerb von naturwissenschaftlicher Fachkompetenz ist nicht automatisch verbunden mit einer höheren Kompetenz z.B. zur ethischen Bewertung des Einsatzes von Gentechnik oder der Nutzung der Atomenergie:
Hans-Peter
DÜRR schreibt dazu: „Wenn ein Kernphysiker oder Elementarteilchenphysiker zum
Thema „friedliche Nutzung der Kernenergie“ seine Meinung äußert, dann misst die
breite Öffentlichkeit dieser Meinung automatisch ein besonderes Gewicht zu, da
ja hier, wie sie meint, ein Fachmann seine Meinung bekundet. Dies ist
strenggenommen falsch! Richtig ist, dass dieser Physiker aufgrund seiner
speziellen Erfahrung bestimmte physikalische Fakten und Zusammenhänge
umfassender, sicherer und tiefgründiger verstehen und würdigen kann. Solche Spezialkenntnisse
befähigen ihn aber noch nicht dazu, in anderen für das Kernenergieproblem
wesentlichen Fragen, wie etwa wirtschaftlicher, soziologischer oder
ökologischer Art, ein ähnlich sicheres Urteil zu erlangen ... Fakten und
Spezialkenntnisse sind wertfrei, sie können Verknüpfungen aufzeigen, verwickelte
Zusammenhange übersichtlich machen und damit eine angemessene Bewertung
erheblich erleichtern, sie aber nie ersetzen.“
(P14 SCHROEDEL;
Dorn / Bader: Physik Sek
II; Schroedel, Hannover, 2000)
[78] Interessant wäre es zu wissen, was hier unter „wissenschaftlich“ (nur natur-wissenschaftlich?) und „pseudowissenschaftlich“ verstanden wird und konkret thematisiert werden soll.
[79] Vgl. Fußnote 75
[80] Wer ist hier das „Wir“, das hinter „unserer Weltsicht“ steckt – der ewig suchende Mensch ganz allgemein, der moderne Mensch, der aufgeklärte Naturwissenschaftler? Und gibt es überhaupt die eine Weltsicht, die alle Menschen gemeinsam teilen „unsere“? Ist das nicht immer das Missverständnis, dass alle (aufgeklärten, vernünftigen) Menschen die Weltsicht haben müssen, die ich für selbstverständlich und richtig halte?
[81] Ob naturwissenschaftliche Einsichten wirklich die Grundlage bilden können, um zu richtigen Einsichten über die Möglichkeiten und Grenzen menschlicher (Selbst-)Erkenntnis zu finden? Stellen nicht gerade auch die begrenzten menschlichen Fähigkeiten eine (grundsätzliche) Begrenzung von naturwissenschaftlicher Erkenntnis dar?
[82] Geht es hier um grundsätzliche Grenzen menschlicher Erkenntnis, oder geht es um Grenzen bei dem Bemühen, Naturvorgänge anschaulich, für die menschliche Erfahrung vorstellbar zu machen?
[83] Vgl. Fußnote 81
[84] Ist hier an DAS
Weltbild gedacht in dem Sinne, dass es nur EINES (das richtige) gibt?
An anderer Stelle in den Lehrplänen ist die Rede von EINEM Weltbild (das
immerhin neben oder in Konkurrenz zu anderen gedacht werden kann?) oder einem
EIGENEN Weltbild (jeder Mensch trägt wohl wirklich sein eigenes individuelles
Weltbild in sich).
[85] Die Formulierung „naturwissenschaftlich fundiertes Weltverständnis“ erinnert vielleicht empfindliche Leser unangenehm an das marxistische Erziehungsmodell, das Schüler hinführen sollte zu einer „wissenschaftlich begründeten Weltanschauung“!
[86] Mit den hier benannten Stichworten (kosmologisches Prinzip, Homogenität und Isotropie, Allgemeingültigkeit der Naturgesetze) werden einige Axiome, „Glaubenssätze“ der Naturwissenschaft thematisiert: Naturwissenschaft kann nur sinnvoll arbeiten, wenn sie von bestimmten grundlegenden Annahmen ausgeht, die sie aber nicht beweisen kann. Das ist eine sehr grundsätzliche Anfrage an die Sicherheit von Aussagen, die mit der naturwissenschaftlichen Methode gewonnen werden können.
[87] Es ist schon erstaunlich und kann nachdenklich machen, wie (selbst-)kritisch ein Insider der Forschergemeinde die bestehenden Unsicherheiten bei der „Bestandsaufnahme“ des Universums und den spekulativen Charakter der Theorien zum Anfang des Universums spiegelt.
[88]
Der Satz sei noch einmal unterstrichen: Die vom Naturwissenschaftler erkannten
und beschriebenen physikalischen Gesetze (Naturgesetze allgemein) gelten immer
nur unter bestimmten Bedingungen. Die – oft vom Experimentator vorgenommenen -
Beschränkungen in der Fragestellung müss(t)en konsequenterweise bei der
Mitteilung von neu gewonnenen Aussagen über die Natur immer auch mit angegeben
werden.
Eine nicht nur für Philosophen spannende grundsätzliche Frage geht noch darüber
hinaus: Existieren Naturgesetze immer und ewig, schon seit dem Urknall – obwohl
es in der Frühphase die meisten chemischen Elemente, Sterne, Planeten,
organische Moleküle, Lebewesen usw. noch gar nicht gab - oder treten sie erst
dann in die Welt ein, wenn es in ihr auch einen Gegenstand bzw. einen Zustand
gibt, an dem sie wirken können?
[89] Mit diesem „Vorspruch“ sollte eigentlich jede Darstellung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse beginnen, vielleicht noch bescheidener: … gehe ICH davon aus …
[90] Fast wortgleich sind die beiden letzten zitierten Absätze auch in einem Astronomie-Lehrbuch aus dem gleichen Verlag nachzulesen (P23 S.154f.).
[91] Diese Sichtweise, die einen Kontrast und Widerspruch zwischen „altem“ (falschem) und „neuem“ (richtigen) Denken nahe legt, muss ergänzt werden um den Hinweis, dass schon in alten Texten der Bibel Forscherdrang und Verstehen von Naturzusammenhängen durchaus positiv gesehen wurden, und sie wurden in eins gedacht mit dem Glauben an einen (Schöpfer-)Gott, und dass die notwendige Trennung der Ebenen – der der Beobachtung und des Experiments von der ganz anderen der Deutung und Bewertung - schon im Mittelalter deutlich bewusst war:
„Mir aber gewähre Gott, nach meiner Einsicht
zu sprechen
und zu denken, wie die empfangenen Gaben es wert sind ........
Gott verlieh mir untrügliche Kenntnis der Dinge,
sodass ich den Aufbau der Welt und das Wirken der Elemente verstehe,
Anfang und Ende und Mitte der Zeiten,
die Abfolge der Sonnenwenden und den Wandel der Jahreszeiten,
den Kreislauf der Jahre und die Stellung der Sterne,
die Natur der Tiere und die Wildheit der Raubtiere,
die Gewalt der Geister und die Gedanken der Menschen,
die Verschiedenheit der Pflanzen und die Kräfte der Wurzeln …...
Denn von der Größe und Schönheit der Geschöpfe lässt sich auf ihren Schöpfer
schließen“
(Die Bibel, Buch der Weisheit
7,15.17-20; 13,5)
Im Mittelteil ist hier der
Stolz des Autors deutlich zu spüren auf die großartigen Entdeckungen, die ihm
in der Beschäftigung mit der Natur möglich geworden sind (hier spricht der Natur-„Forscher“).
Gerahmt werden diese Aussagen aber zum einen im „Vorspruch“ durch einen Dank
an Gott, der ihm die Begabungen seines Verstandes geschenkt hat, verbunden mit
der Aufgabe und dem Auftrag, sie auch zu nutzen, und zum zweiten macht der
Autor im „Nachsatz“ deutlich, dass die Beschäftigung mit Zusammenhängen in der
Natur ihn nicht etwa von Gott weg, sondern näher zu ihm hingeführt hat.
Die „Royal Society of
London“, eine der ältesten naturwissenschaftlichen Akademien (gegründet 1660),
hat sich den Wahlspruch gegeben: „nullius in verba“. Das wäre etwa zu
übersetzen mit: „(sich) nach niemandes Worten (richten)“ oder „(auf) niemandes
Worte schwören“ (nullius in verba iurare). Dahinter steht zum einen der stolze Anspruch,
sich von jetzt an nicht mehr nur damit zu begnügen, nur Autoritäten zu zitieren
(etwa den verehrten Philosophen Aristoteles oder die Bibel), sondern durch
eigene Beobachtung und Erkenntnis Einblick in Zusammenhänge zu gewinnen.
Damit legt die Naturwissenschaft aber gleichzeitig auch die Grenzen ihrer
Zuständigkeit fest: Philosophie ist ihre Sache nicht! Und die Naturwissenschaft
vertraut nun fortan ausschließlich auf die Mittel und Möglichkeiten des
menschlichen Verstandes und auf die Untersuchung der fassbaren Natur.
[92] Deterministische Überzeugung einerseits und Bemühungen und Versuche zur möglichst genauen Vorhersage von Verläufen andererseits sind nicht das Gleiche!
[93] Die hier angestellten Überlegungen gelten also nicht nur in der theoretischen abstrakten „Welt“ mathematischer Gleichungen, sondern sind auch für die Wirklichkeit, die reale Erlebens-Welt des Menschen bedeutsam!
[94] Das ist eine griffige Definition, die den Ansatz und die Grenzen der Naturwissenschaft Physik klar umschreibt.
[95] Das „Prinzip größter Einfachheit“ (bei zwei gleichwertigen Hypothesen entscheidet man sich für die, welche weniger Zusatzannahmen macht) hat sich zwar bewährt, lässt sich aber nicht logisch begründen oder beweisen – es handelt sich hierbei um einen weiteren der „Glaubens-Sätze“ (nur durch Erfahrung belegten Sätze), auf denen die Naturwissenschaft aufbaut.
[96] Das in sich geschlossene, mechanistische, deterministische Verständnis der klassischen Physik prägt wohl auch heute noch das Denken manches Naturwissenschaftlers, (ver-)führt ihn zur Illusion einer vollständig erkennbaren Welt und zu deterministischen Weltdeutungen.
[97] Laplace hat seinen „Dämon“ deutlich anders beschrieben, als in dem vorstehend abgedruckten „Zitat“ zum Ausdruck kommt (ähnlich „locker“ wird Laplace auch in P14 S.434 wiedergegeben). Richtig lautet der Satz in der Übersetzung etwa so:
„Wir müssen also
den gegenwärtigen Zustand des Universums als Folge eines früheren Zustandes
ansehen und als Ursache des Zustandes, der danach kommt.
Ein Geist (eine Intelligenz), der für einen gegebenen Augenblick alle Kräfte
kennte, welche die Natur beleben, und die gegenseitige Lage aller Wesenheiten,
aus denen die Welt besteht, müsste, wenn er zudem umfassend genug wäre, um alle
diese Angaben der (mathematischen) Analyse zu unterwerfen, in derselben Formel
die Bewegungen der größten Himmelskörper und die der leichtesten Atome
überblicken. Nichts wäre ungewiss für ihn, und Zukunft wie Vergangenheit wären
seinen Augen gegenwärtig.“
(Q28 Vollmer, G., UNIVERSITAS 8/1991,
S.768f.; so auch WIKIPEDIA)
[98] Physik beschreibt die ihr zugängliche Wirklichkeit, erhebt aber nicht den Anspruch, zu erkennen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, untersucht nicht das Wesen(tliche) …
[99] Wissenschaft wird von Menschen – mit all ihren nicht-rationalen Unzulänglichkeiten – betrieben, und sie unterliegt dem – wissenschaftlichen - Zeitgeist.
[100] Zur
Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation:
(zu Heisenberg):
die sogenannte Unbestimmtheitsrelation, die unter dem (weniger genauen) Namen Unschärferelation
in die Alltagssprache eingegangen ist …
Heisenbergs Relation erfasst die Tatsache, dass sich nicht alle Eigenschaften
eines Objekts von atomaren Ausmaßen mit beliebiger Genauigkeit in einem
Experiment messen lassen. Man kann z.B. nicht den Ort und die Geschwindigkeit
eines Elektrons zugleich ermitteln, wie Heisenberg zum ersten Mal erkannte …
Es geht weniger um Ungenauigkeit und mehr um Unbestimmtheit. Es geht in
Wahrheit nicht einfach darum, dass sich zwei Eigenschaften eines Elektrons (oder
anderer Gegebenheiten der atomaren Sphäre) nicht gleichzeitig messen lassen;
schließlich nimmt man in diesem Fall an, dass die anvisierten Eigenschaften
einen aktuellen Wert unabhängig davon haben, ob sie jemand messen will. In
Wahrheit ist die Sache viel schlimmer, wie Heisenberg erkannte. Tatsächlich
besitzt ein Elektron gar keine bestimmte Eigenschaft, bis jemand es auf sie
abgesehen hat und sich um deren Messung bemüht. Objekte der atomaren
Wirklichkeit sind ohne die auf sie gerichtete Aufmerksamkeit (ohne einen
Eingriff) eines Beobachters unbestimmt, und zwar präzise in der Weise, in der
es die (mathematisch formulierten) Unbestimmtheitsrelationen angeben.
Elektronen halten sich alle Möglichkeiten offen, bevor sie – unter der Vorgabe
eines Subjekts in Form des Experimentators – aktuelle Qualitäten annehmen …
Heisenberg schreibt in den 1950er Jahren in seinem Buch Physik und Philosophie
…: „Wir müssen uns daran erinnern, dass das, was wir beobachten, nicht die
Natur selbst ist, sondern Natur, die unserer Art der Fragestellung ausgesetzt
ist.“
(Q54
Fischer, E.P.: Leonhardo, Heisenberg & Co., Piper Verlag Taschenbuch
München 2004, S.231)
[101] Das erkennende Subjekt beeinflusst den Lauf der Welt! „Realität“ ist nicht „objektiv“ festgelegt.
[102]
Im allgemeinen Verständnis beschäftigt sich „richtige“, exakte
Naturwissenschaft mit wiederholbaren Vorgängen in Beobachtung oder Experiment,
und sie gewinnt Einsichten im Vergleich verschiedener Systeme. Es ist (nicht
nur) eine philosophische Frage, ob Naturwissenschaft überhaupt „zuständig“
ist, wenn es um einmalige Ereignisse geht, die „singulär“ genannt werden: Der
Anfang des Universums, die erste Entstehung von Leben aus unbelebter Materie,
das Auftauchen von Selbstbewusstsein in der Natur – hier gibt es keine
Wiederholung an anderer Stelle in der Natur und ihrer Geschichte, keinerlei
Vergleichsmöglichkeit mit ähnlichen Vorgängen. Nach dem folgenden Zitat gehört
eine Singularität nicht zur „Raum-Zeit, der alle übrigen Zustände angehören“
(mit denen sich Naturwissenschaften beschäftigen können).
Der Einwand betrifft auch andere „einmalige“ Anfänge und Ursprünge:
„Singularitäten
in der Astrophysik“
Von einer Singularität spricht man in der Astrophysik wie allgemein in
der Physik, wenn in der mathematischen Formel, die die Realität
darstellen soll, Größen (wie Dichte, Ladung, Druck, Temperatur usw.) auftreten,
die an einem Punkt im RAUM oder in der ZEIT unendliche Werte annehmen.
Diesen mathematischen Ergebnissen kann keine physikalische Realität
entsprechen, denn in der Physik kennt man nur messbare, das heißt endliche
Größen. Die Singularität verweist daher auf eine mangelhafte
Übereinstimmung zwischen Theorie und Wirklichkeit und kann gerade deshalb
äußerst fruchtbar sein, denn sie bezeichnet eine Stelle, an der die Theorie
mangelhaft und die mathematische Darstellung allzu summarisch gegenüber der
Realität ist. …
(in Modellen zur Beschreibung des Kosmos gibt es Zustände) … dass die Dichte
von Materie und Energie unendlich groß wird; solch ein Zustand hat im
Universum keinen physikalischen Sinn und kann im Universum nicht real eintreten.
Es handelt sich um eine Singularität; sie gehört für den Mathematiker nicht zur
RAUM-ZEIT, der alle übrigen Zustände angehören …
„Anfang, Ursprung“
Die Frage nach dem Anfang und Ursprung ist natürlich keine wissenschaftliche
Frage. Zwar sind viele Menschen fasziniert von den vier großen Fragen nach
dem Ursprung des Universums, des Lebens, des Menschen und des Bewusstseins,
doch diese Faszination beruht eher auf den religiösen Konnotationen dieser
Fragen als auf einem Interesse an den Antworten, die unsere Wissenschaften
darauf geben. Denn, genau gesagt, geben die Wissenschaften darauf keine
Antwort. Und das hat seine Gründe. Jede dieser Entitäten – das Universum,
das Leben, der Mensch, das Bewusstsein – existiert als solche auf der Ebene
ihrer Entstehung nur im Rahmen der philosophischen oder religiösen Fragestellung,
aber nicht im Zusammenhang einer wissenschaftlichen Realität …
Wer vom Ursprung des Universums spricht, der meint, dass es eine Zeit
gab, da das Universum seinen Anfang nahm. Dieser Ausdruck setzt voraus, dass
die Zeit außerhalb des UNIVERSUMS existiert, dass es eine absolute, gleichsam
göttliche Zeit gibt. Die Physik lehrt uns aber, dass Raum, Zeit und Materie
untrennbar miteinander verbunden sind … Für Physiker hat es deshalb gar
keinen Sinn, von einem Anfang oder Ursprung des Universums im zeitlichen Sinne
zu sprechen; sie vermögen nur die Veränderungen des bereits existierenden
Universums zu beschreiben. Ein zeitlicher „Nullpunkt“ ist nur eine
Konvention, die aus Gründen der leichteren mathematischen Behandlung
eingeführt wird.
Die wissenschaftliche Erforschung des Ursprungs des Lebens konzentriert sich
auf die Bedingungen, die dessen Entstehung ermöglicht haben. Da Leben durch die
Fähigkeit definiert ist, sich zu reproduzieren, durch eine Fähigkeit also,
die das Leben bereits voraussetzt, können wir uns aus dem darin enthaltenen
circulus vitiosus nur befreien, indem wir uns den physikalischen und
chemischen Eigenschaften der Grundbausteine des Lebens zuwenden. Stehen am
Anfang des Lebens einfache Moleküle? Ist die Biologie letztlich auf die Chemie
zurückzuführen? Falls man diese Frage bejaht, verlagert sich die Frage nach
dem Ursprung des Lebens in ein anderes Fachgebiet, die Chemie. Aber hat der
Begriff des Lebens dann überhaupt noch einen Sinn?
Die beiden letzten Ursprungsfragen betreffen das Wesen des Menschen ...
Wollen wir die Frage nach der Entstehung des Menschen im Rahmen der
Evolution beantworten (an welchem Punkt der Entwicklung löste er sich von der
Abstammungslinie unserer nahen Verwandten, der großen Primaten?), müssen wir
wissen, aufgrund welchen Kriteriums wir wirklich von einem Menschen
sprechen können.
Die Frage nach dem Ursprung des Bewusstseins wiederum (ab welchem Punkt
der individuellen Entwicklung besitzt ein menschliches Wesen ein Bewusstsein,
das seine Menschlichkeit ausmacht und ihm seine Einzigartigkeit verleiht?)
hat nur dann Sinn, wenn wir genau angeben können, was „Bewusstsein“
bedeutet. …
Die Naturwissenschaft ist in ihrem Element, wenn es darum geht, Veränderungen
zu analysieren und zu verstehen; die Frage nach der Entstehung von Dingen aus
dem Nichts, der creatio ex nihilo, bildet dagegen eine Grenze, jenseits derer
die Wissenschaft keine Antworten zu geben vermag.
(Q12 Farouki, N. / Serres, M.
(Hrsg.): Thesaurus der exakten Wissenschaften, Zweitausendeins Verlag, Frankfurt/Main,
2001)
[103] Zum „spekulativen Charakter“ gerade moderner kosmologischer Modelle sei folgende Ergänzung eingebracht:
Was wir über
unser Universum „wissen“ …
Kosmische
Kennziffern
Eigenschaften |
Wert |
Unsicherheit |
Alter des Universums (Milliarden Jahre) |
13,7 |
± 0,2 |
Anteil der „normalen“ Materie
(Prozent) |
4,4 |
± 0,4 |
Anteil der (kalten) „dunklen Materie“
(Prozent |
23 |
± 4 |
Anteil der gesamten Materie (Baryonen und
„dunkle“ Materie) an der Gesamtdichte (Prozent) |
27 |
± 4 |
Anteil der „dunklen Energie an der
Gesamtdichte (Prozent) |
73 |
± 4 |
Temperatur der kosmischen
Hintergrundstrahlung (Kelvin) |
2,725 |
± 0,002 |
(Q3 Bild
der Wissenschaft 8/2003 S.51)
Die „normale“ Materie, die unsere irdische Physik
messtechnisch erfassen kann und die aus Teilchen besteht, die wir kennen,
macht nur einen Anteil von etwa vier Prozent an der gesamten Materie/Energie im
Universum aus. Weitere 23 Prozent sind „dunkle“ Materie (ihre Eigenschaften,
ihr materieller Aufbau sind uns nicht zugänglich, liegen völlig im „Dunklen“).
Dazu kommt noch - mit einem Anteil von 73 Prozent ! - eine geheimnisvolle „dunkle Energie“, eine
Kraft, die den Kosmos offenkundig auseinander treibt, die wir aber bisher physikalisch
nicht beschreiben und erklären können.
In der vorstehenden Tabelle wird das Alter des Universums mit der heute weithin
akzeptierten Zahl von knapp 14 Milliarden Jahren angegeben. Da ist es etwas
verwunderlich, dass in Physiklehrbüchern einmal die Angabe „etwa 17 Milliarden
Jahre“ (P4 S.80f.), ein andermal „20 Milliarden Jahre“ (P6
S. 110; P23 S.154) steht.
[104] Die Begriffsbildung „Geschöpfe des Universums“ ist durchaus kreativ.
[105] Es ist interessant, dass die Beschäftigung mit kosmischer Physik zu Philosophie und KANT hinleiten kann. Naturwissenschaftliches Forschen kann demnach auch anregen zum Nachdenken über die tieferen Fragen menschlicher Existenz.
[106] Etwa zur gleichen Zeit stach Kolumbus in See,
westwärts, um auf dem Weg um die Erde herum das im Osten gelegene Indien zu
erreichen; er und viele seiner (gebildeten) Zeitgenossen waren also fest von
der Kugelgestalt der Erde überzeugt!
Die Erde eine Scheibe? ..
Gelehrte des alten Griechenlands fanden vor mehr als zwei Jahrtausenden heraus,
dass der Schein trügt. Sie fragten, warum sich dem nach Süden Reisenden neue,
vorher nie beobachtete Sternbilder zeigen. Sie wussten, dass bei einer
Mondfinsternis der Mond durch den Erdschatten wandert, und fragten, warum
dieser Schatten auf dem Mond stets eine kreisförmige Begrenzung zeigt. Wäre die
Erde eine Scheibe, müsste sie bei Mondfinsternissen meist als Ellipse, bei
Sonnenauf- und untergang gar als Strich abgebildet werden. Man erkannte schon
damals die Kugel als einzig mögliche Körperform, die unabhängig von der
Beleuchtungsrichtung stets einen kreisförmigen Schatten wirft. Folglich kann
die Erde nur eine solche sein. … Eratosthenes von Kyrene gelang es … den
Erdumfang zu ermitteln … mit einer Abweichung von nur 5 Prozent zum heutigen
Wert.
(Q80 Clausnitzer, Lutz: Was der Himmel über
die Erde erzählt, Freie Presse Chemnitz 27.3.09, S. A8)
[107] Gibt es wirklich einen Beleg dafür, dass Kopernikus davon ausging, dass die Erde eine Scheibe sei?
[108] Innerhalb der Kirche gab es keine einheitliche
Meinung, erst recht keine verbindliche Lehr-Meinung, die sich auf eine
bestimmte Gestalt der Erde festlegte:
„Die katholische Unterstützung des
geozentrischen Systems sollte nicht mit der Idee von einer flachen Erde verwechselt
werden, welche die katholische Kirche nie stützte.“
(Q70 Wikipedia: Religion und
heliozentrisches Weltbild, 16.12.08)
[109] Kopernikus … zögerte lange mit der
Veröffentlichung seiner astronomischen Arbeiten, möglicherweise weil seine
teilweise letztlich falschen, auf Aristoteles' Annahmen als Kreis als
idealharmonisch-vollkommenem mathematischen Gebilde beruhenden Berechnungen
der Planetenbahnen in Kreisumläufen um die Sonne nicht durch Beobachtungen
gestützt werden konnten und deshalb eine Ablehnung durch das wissenschaftliche
oder kirchliche Establishment zu befürchten war. Wegen der falschen Annahme
der Kreisbahnen konnte Kopernikus seine Kritiker letztlich nicht zwingend
widerlegen.
(Q70 Wikipedia, Kopernikus, 16.12.08).
Johannes Kepler
machte sich in seinem Werk „Astronomia Nova“ (1609- also mehr als 60 Jahre
nach dem Tod des Kopernikus) an den
Nachweis, dass sich sowohl nach dem ehrwürdigen geozentrischen System des
Ptolemäus als auch nach dem neuen heliozentrischen System des Kopernikus die
einigermaßen sicheren Positionen der Planeten errechnen lassen. Auch wenn man
beide Systeme kombiniert, wie es Tycho Brahe getan hat, kommt man zu vernünftigen
Ergebnissen. Alle drei Systeme sind geometrisch und mathematisch miteinander
kompatibel. Die bloße Beobachtung und die Beschreibung der Phänomene bringt
also keine Entscheidung über falsch oder richtig.
(Q63
bild der wissenschaft Heft 2/2009 S.54ff.)
[110] Der lateinische Titel des Werkes von Kopernikus „De
Revolutionibus Orbium Coelestium“ heißt genau(er) übersetzt: „Über die
Umdrehungen der himmlischen Kreise“. Er bezieht sich auf die (doppelt falsche)
Vorstellung, von der Kopernikus ausging, dass
a) der Mond und die Planeten auf den himmlischen Sphären befestigt waren und
von diesen auf ihrer Bewegung mitgeführt wurden (das sind die „himmlischen
Kreise“!), und dass
b) es sich um (ideale) Kreisbahnen handle - was schwierige Zusatzannahmen in
seinen Theorien nötig machte.
In Band I Kapitel X seines Hauptwerkes schreibt er: „Die erste und oberste von allen Sphären
ist die der Fixsterne, die sich selbst und alles andere enthält …“
(Q70 Wikipedia: Kopernikus,
16.12.08)
Erst Kepler korrigierte die
Kreise zu den tatsächlichen Ellipsen-Bahnen. Und selbst „… Galilei hatte Keplers „Astronomia Nova“ wohl nicht gelesen, jedenfalls
erwähnt er nichts davon. Noch 1632 schrieb er in seinem „Dialog“ unbeirrt von
Kreisen und nicht von Ellipsen, auf denen die Planeten um die Sonne laufen.
(Q63
bild der wissenschaft Heft 2/2009 S.54ff.)
[111] Erst 1616 – siebzig Jahre nach dem Tod des
Kopernikus! - wurden in einem Prozess gegen Foscarini auch „einige nichttheologische Schriften über Kopernikanische Astronomie,
darunter auch ein Werk von Johannes Kepler, auf den Index gesetzt. Das
Hauptwerk des Kopernikus, De
Revolutionibus Orbium Coelestium, in dessen Todesjahr 1543 erschienen,
wurde nicht verboten, sondern „suspendiert“: Es durfte fortan bis 1822 im
Einflussbereich der Römischen Inquisition nur noch in Bearbeitungen erscheinen,
die betonten, dass das heliozentrische System ein bloßes mathematisches Modell
sei. …
(Q70 Wikipedia: Galilei, 16.12.08; so auch: Q81 Drake, Stillman: Galilei, Herder/Spektrum, Freiburg o.J. (nach
1999, ISBN: 3-926642-38-6), S.110)
[112] Hier wird an Giordano Bruno erinnert, der von der Inquisition auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Die Begründung für seinen gewaltsamen Tod, die hier gegeben wird, stimmt aber nicht:
„Er proklamierte
die Unendlichkeit des Weltalls im Gegensatz zur Fixsternsphäre. Da die Sterne
nach seiner Meinung relativ regelmäßig
im unendlichen Raum verteilt sind, ist auch ihre Zahl unendlich. Sie sind alle
Sonnen, von Planeten umkreist, auf denen Lebewesen vorhanden sind wie auf
unserer Erde. Der Gedanke der unbegrenzten Fülle von Lebensformen im
unendlichen All ist der Kerngedanke der Brunoschen Weltvorstellung, die mehr
philosophisch als naturwissenschaftlich begründet ist. Bruno war kein Atheist.
Er wollte den unendlichen Gott mit einer unendlichen Schöpfung verherrlichen.
Es sei Gottes unwürdig, nur eine endliche Welt geschaffen zu haben, hat er
einmal gesagt. …
Giordano Bruno wurde nicht wegen seiner weltbildhaften Vorstellungen oder
seines Eintretens für Kopernikus, sondern wegen seiner Leugnung der Trinität
Gottes verurteilt. Diese Leugnung war allerdings eine Konsequenz seiner
Unendlichkeitshypothese. …“
(Q52
stud. christ. Spezialfernkurs; Naturwissenschaft – eine Herausforderung des
Glaubens; Kirchentagskongress der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, 1978,
Lehrbrief 2, S.15)
Giordano Bruno hatte die Glaubenshüter
mit dem Entwurf eines pantheistisch beseelten Universums provoziert, in dem
unendlich viele Sonnen Mittelpunkte gleichfalls unzähliger Planetensysteme
bilden. Zum Flammentod verurteilt wurde er 1600 jedoch nur, weil er hartnäckig
das Kirchendogma der Trinität, der Heiligen Dreieinigkeit, leugnete.
(Q74 Der Spiegel 23/1998 S.90)
[113] Woher stammt die Information über eine Verbrennung von seinen Büchern?
[114] Die Vorstellung, dass die himmlischen Körper sich auf perfekten idealen Kreisbahnen bewegen mussten, stammt nicht aus der Bibel und bezieht sich nicht auf den jüdisch-christlichen Gott, sondern hier handelt es sich um eine Vorstellung (Vorgabe) aus der antiken griechischen Philosophie und dort gehegten Welt- und Götterbildern. Die Götterwelt der Griechen war eine andere als die des Judentums. Die Griechen glaubten an das Wirken einer ganzen „Götterfamilie“, während das Judentum als streng monotheistische Religion nur an einen Gott glaubte.
[115] Die Gedanken des Kopernikus wurden nicht von Anfang an als der Lehrmeinung der katholischen Kirche widersprechend erfahren (erst 1616 – im Zuge der Auseinandersetzung mit Galilei - wurde das Buch des Kopernikus auf den Index gesetzt).
[116] Verwiesen sei hier auch auf den „feinen“ Unterschied im Text der beiden vorstehend zitierten Bücher, dass die Beobachtungen des Galilei, „nicht bewiesen“ / „für die katholische Kirche nicht bewiesen“, dass die Erde die Sonne umläuft. Die erste Aussage trifft wohl eher zu, weil Kopernikus eben auch viele Astronomen und Philosophen seiner Zeit nicht von der Richtigkeit seiner Ideen überzeugen konnte.
[117] Auch das neue Weltbild des Kopernikus ging also zum Teil von falschen Vorstellungen aus. Er nahm nicht nur an, dass die Erde, der Mond und die Planeten die Sonne auf idealen Kreisbahnen umrundeten, sondern er ging auch weiter von der Existenz von „Sphären“ aus, Kugelschalen, auf denen die Planeten befestigt waren und die sich mit ihnen gemeinsam bewegten:
„Es sind weder
bei Aristoteles noch bei Kopernikus oder bei Kepler die Planeten oder andere
Himmelskörper, die sich bewegen; es sind vielmehr die Sphären, die sich drehen
und die zu ihnen gehörenden Objekte mit sich führen.“
(Q14 Fischer, E.P.: Die andere Bildung – was man von den Naturwissenschaften
wissen sollte, Ullstein, 2003, S.110)
Und vor allem lieferten die Berechnungen der Planetenbahnen durch Kopernikus keine genaueren Ergebnisse als die nach dem Modell des Ptolemäus.
[118] Die Vorstellung von perfekten Kreisen, auf denen sich die Himmelskörper bewegten, stammte also nicht aus der Bibel, sondern aus der Kosmologie griechischer Philosophen.
[119] Kopernikus war im „Hauptberuf“ Domherr, arbeitete also nicht gegen die Kirche, sondern stellte seine Überlegungen als christlicher Naturforscher an.
[120] Kopernikus´ Überlegungen waren vor allem für seine Gelehrten-Kollegen nicht überzeugend. Beweise, die sich aus seiner Theorie grundsätzlich ableiten ließen, waren – wegen der damals nicht möglichen Genauigkeit der Messungen – nicht zu erbringen.
[121] Es ist interessant (und angemessen), dass, um frühere Natur- und Weltvorstellungen recht deuten zu können, die interdisziplinäre Zusammenarbeit unter anderem von Astronomen und Religionswissenschaftlern für unverzichtbar gehalten wird.
[122] Die Vorstellung, dass sich Planeten und andere
Himmelskörper – gottgewollt - auf perfekten Kreisen bewegen müssen, stammt
also von Ptolemäus (bzw. Platon: siehe in diesem Kapitel weiter unten bei
Quelle P23, dort zu S.12) und nicht aus der Bibel.
[123] Das geozentrische Weltbild war so überzeugend (nicht nur für die Kirche, sondern auch für (Natur-)Philosophen), weil der Umlauf von Sonne, Mond und Sternen um die Erde dem Augenschein im Alltag entsprach, von der Autorität des Aristoteles „physikalisch abgesegnet“ war und mit den philosophischen Denkmodellen seiner Zeit übereinstimmte.
[124]
Dem kopernikanischen Modell fehlte schlicht die Überzeugungskraft (es
ermöglichte keine genaueren Berechnungen der Planetenbahnen; exakte Beweise
für die Bewegung der Erde um die Sonne waren damals messtechnisch noch nicht
nicht zu erbringen) – s. auch weiter unten Quelle P24 zu S.99f..
Der direkte Nachweis für den Umlauf der Erde um die Sonne gelang erst 1838, als
FRIEDRICH WILHELM BESSEL die erste Fixsternparallaxe maß - s. weiter unten Quelle P22 zu S.53.
[125]
Ein Konflikt zwischen dem neuen Weltmodell und der Kirche zeigte sich nicht
sofort. Wenn Kopernikus (und später Galilei) bereit gewesen wären, das heliozentrische
Modell nur als theoretisch-mathematische Hypothese zu vertreten – hätte die
katholische Kirche das wohl akzeptiert. Der theologische Widerstand gegen die Ideen
des Kopernikus kam zunächst weniger von der katholischen Kirche als von
protestantischer Seite. Martin Luther war Zeitgenosse von Kopernikus, und er
wehrte sich sofort und vehement gegen die Ideen dieses „Narren“ – und er tat es
mit biblischen Argumenten, die er wörtlich auslegte! Der Protestantismus mit
seiner Tendenz zur buchstabengetreuen Auslegung der Bibel zeigte sich also in
dieser Frage viel empfindlicher. Dass Luther ein Anhänger des Ptolemäus war,
zeigte sich zum Beispiel daran, dass das erste Bild in seiner gedruckten Bibel
von 1534 dessen Weltbild darstellt
(Q32 Martin Luther: Biblia das ist die gantze Heilige Schrifft Deudsch
(aus dem Jahre 1534), Band 1, Facsimile-Druck bei Reclam Leipzig 1983):
[126] Kürzlich wurde mitgeteilt, dass im Jahre 2009 eine Skulptur Galileis in den Vatikanischen Gärten aufgestellt werden soll! (Q33 die tageszeitung Berlin, 10.3.08 S.2)
[127] Wie hier noch einmal bestätigt wird, war der Hauptgrund für das Zögern des Kopernikus, sein Werk zu veröffentlichen, weniger die Angst vor der Reaktion der Kirche als die auch aus seiner Sicht nicht befriedigende wissenschaftliche Überzeugungskraft.
[128] Es war der belgische katholische Priester Lamaitre, der als erster physikalische Theorien von einem sich ausdehnenden Universum entwickelte.
[129] Die Theorie ist heute für die meisten Kosmologen das beste Erklärungsmodell, endgültig richtig ist sie damit aber (noch) nicht
[130] Unsere Welt hatte nach dieser Vorstellung einen Anfang, der raum-zeitlich nicht zu fassen ist, also sollte man vielleicht angemessener vom Ur-Sprung, dem tragenden Ur-Grund sprechen. Über ein „davor“ und „außerhalb“ sind naturwissenschaftliche Aussagen mit der uns bekannten Erfahrungs-Physik nicht möglich. Dazu kann nur (und darf) „spekuliert“ (gedeutet) werden – von Naturwissenschaftlern, aber auch von anderen philosophisch und religiös nachdenklichen Menschen
[131] Das Wort „Sternenstaub“ lässt sich sowohl materiell verstehen als auch in poetischer Übertragung existenziell deuten.
[132]
Auch in Fachtexten wird immer wieder diese letztlich missverständliche, falsche
bzw. irreführende Bezeichnung gebraucht. Heisenberg selbst hat von der
„Unbestimmtheit“ gesprochen. Im Englischen wird dieser Tatbestand mit
„uncertainty“ wiedergegeben, was in der „Rückübersetzung“ ins Deutsche zu
„Unschärfe“ wurde. Ort und Zeit eines Teilchens beispielsweise sind aber nicht
„unscharf“, etwa weil man sie mit derzeitigen Meßmethoden nicht genau angeben
kann, sondern sie sind objektiv unbestimmt. Dazu steht in einem anderen
Schullehrbuch richtig:
„Was heißt „unbestimmt“? … Die
Unbestimmtheitsrelation beseitigt die Begriffe Ort und Impuls an sich nicht;
sie beschränkt nur ihren gemeinsamen Gebrauch.
HEISENBERG sagt: „Ein über diese Relation hinausgehender, genauerer Gebrauch
der Wörter Ort und Geschwindigkeit ist ebenso sinnlos wie die Anwendung von
Wörtern, deren Sinn nicht definiert ist.“ Deshalb darf man nicht sagen, das
einzelne Quantenobjekt habe objektiv gesehen im Unbestimmtheitsbereich einen
bestimmten Ort x, den wir subjektiv gesehen nicht genau kennen … “Unbestimmt“
geht eben viel weiter als „unbekannt“; es betrifft die Nichtobjektivierbarkeit
der Quanten … „
(P14
SCHROEDEL; Dorn / Bader: Physik Sek II; Schroedel, Hannover, 2000
, S.432)
Weitere Ausführungen zu Heisenbergs Unbestimmtheitsrelation finden sich auch unter Fußnote 100
[133] Die Erörterung der innerhalb der Physik nicht beantwortbaren „letzten“ Fragen, z.B. nach dem Sinn und dem Ziel menschlichen Daseins endet bzw. mündet in einem antiken Gedicht …
[134] Der Hinweis auf ein naturwissenschaftliches Fach ist sehr sinnvoll – wenn darunter interdisziplinäres Arbeiten verstanden wird. Denn auf sich allein gestellt wird ein Religionslehrer wohl kaum in die fachliche Tiefe von Urknall- und Evolutionstheorie vordringen können. Und warum wird hier nur auf BIOLOGIE verwiesen, wobei doch Urknall in die fachliche Zuständigkeit von PHYSIK und ASTRONOMIE fällt?
[135] Tatsächlich kennt schon die Bibel nicht nur einen Schöpfungsbericht, sondern dort erzählen Menschen in ganz unterschiedlicher Weise von ihren Erfahrungen, Vorstellungen und Hoffnungen (Darstellungen in Gen.1 ganz anders als Gen.2, weitere Schöpfungszeugnisse finden sich in den Psalmen, bei Hiob und an vielen anderen Stellen) – und sie deuten die Welt und ihre eigene Existenz in Beziehung zu einem „Schöpfer“.
[136] Interessanterweise wird im Fach Religion zu einer intensiven Beschäftigung mit naturwissenschaftlicher Methodik und Erkenntnistheorie aufgefordert.
[137] Die im Folgenden wiedergegebenen Stichworte im Lehrplan für Katholische Religion (Mittelschule) sind noch etwas präziser ausgeführt als die vergleichbaren Angaben in dem davor stehenden Lehrplan für das Fach Evangelische Theologie.
[138] Hier wird in Erinnerung gerufen, dass auch derzeit weithin anerkannte Theorien (Plural!) sich in ständiger Diskussion und Veränderung befinden.
[139] Man beachte die Hinweise zur Zusammenarbeit mit den Fächern PHY(SIK) und BIO(LOGIE).
[140] Hier werden die schmerzlichen und kritischen Phasen der Auseinandersetzung zwischen Naturwissenschaft und Theologie (und auch Ideologien) in der Vergangenheit gezielt thematisiert.
[141] Zu einer intensiven Beschäftigung mit naturwissenschaftlicher Methodik und Erkenntnistheorie wird im Fach Religion aufgefordert.
[142] Ein solches Programm, wie es in den folgenden Stichworten skizziert wird, wünschte man sich auch in den naturwissenschaftlichen Fächern!
[143] Vgl. vorstehende Fußnote – die hier wiedergegebene Stichwort-Liste ist noch ergiebiger!
[144] Der bekannte Physiker heißt Hawking !
[145] Der Lehrplanteil für Katholische Religion (Gymnasium) ist im Bereich „Glauben – Wissen“ nicht so prägnant untersetzt wie der für Evangelische Religion.
[146] Bei diesen Darwin zugeschriebenen Worten habe ich
meine Zweifel zur Urheberschaft, sie stammen aus einer von vielen ähnlichen
Internet-Quellen – und dort stehen sie immer ohne nähere Angaben zu einer
Originalquelle.
[147] In Quelle R1, Werkbuch Religion, Materialien für Lehrerinnen und Lehrer, S.79 wird vorgeschlagen, die beiden auf dieser Seite (kommentarlos) abgedruckten Texte zu vergleichen. Die Schüler sollen Positionen erarbeiten. Aber – abgesehen davon, dass der „kreationistische“ Text ohnehin polarisiert und der „evolutionsbiologische“ Text (ohne Quellengabe) fachlich ungenau formuliert ist: Sollten Schüler im Religionsunterricht sich nicht sinnvoller mit unterschiedlichen theologischen Ansichten auseinandersetzen? Mit dem „Vergleichen“ von Bekenntnis-Aussagen und einer naturwissenschaftlichen Theorie werden „Apfel mit Birnen“ verglichen, das ist genau der gleiche Kategorienfehler, als ob man im Biologieunterricht die Schöpfungsgeschichte Gen.1 als konkurrierende Theorie zu Evolutionstheorien behandelt (siehe auch Kap. 1.2.5).
[148] eine US-amerikanische Vereinigung von „Kreationisten“
[149] Der hier zitierte Claus Westermann ist einer der führenden evangelischen Theologen für Fragen der Auslegung des „Alten Testaments“.
[150] Dass mit Walter
Ulbricht und (auf Seite 5) Erich Honecker gleich zwei spätere Partei- und
Staatschefs der DDR Vorworte beisteuern, ist ein Zeichen für den hohen
Stellenwert, der diesem Buch eingeräumt wurde.
In der Neufassung von „Weltall Erde Mensch“ aus dem Jahre 1968 beginnt Walter
Ulbricht sein Geleitwort mit dem programmatischen Satz: „Dieses Buch ist das
Buch der Wahrheit.“
[151] Das heißt wohl: Nur mit naturwissenschaftlichen Methoden gewonnene (und mit der marxistischen materialistischen Weltanschauung verträgliche) Erkenntnisse entsprechen der „objektiven Realität“, das heißt, nur sie sind ernstzunehmen.
[152] In der DDR-sozialistischen Perspektive meinte „Aberglauben“ gleich den Alltagsglauben von Christen mit
[153] Es handelt sich bei diesem Autor wirklich um den später als DDR-Dissidenten bekannt gewordenen Robert Havemann!
[154] Kirche und Religion stehen damit auf
der „falschen“ Seite, auf der der Ausbeuter und Unterdrücker, was leider nur
allzu oft auch tatsächlich der Fall war.
[155] Der schöne (Lehr-)Satz von der Ewigkeit und Unendlichkeit des Weltalls stellt eine naturwissenschaftlich nicht bewiesene, eine philosophische Aussage dar. Im Marxismus wurde daraus ein Dogma, das festlegte, was Naturwissenschaft denken und erkennen darf.
Ernst Haeckel hatte schon 1899 als einen „kosmologischen Lehrsatz“ verkündet:
Das Weltall (Universum oder Kosmos) ist ewig, unendlich und unbegrenzt.
(Q17 Haeckel, E.: Die Welträtsel, Alfred
Kröner Verlag, Stuttgart, 1899, S.11)
In
den frühen DDR-Jahren diente der Lehrsatz als Argument, das sich gezielt gegen
„unwissenschaftliche“ Vorstellungen von Schöpfung richtete:
„Grenzenlos in Raum und Zeit ist das Weltall.“
(Q 61Fuchß, H.: Hat die Bibel recht?,
Urania-Verlag Leipzig 1957, S.13)
Dieses
weltanschauliche Dogma wurde noch 1964 in einem sonst gediegenen naturwissenschaftlichen
Fachlexikon in der DDR als „Beweis“ gegen vermeintliche „idealistische“
Fehlspekulationen in der Astrophysik (die damals aufkommende
„Urknall“-Hypopthese) eingebracht. Man beachte die „Beweisführung“, die sich
zentral auf ein philosophisches Lehrbuch beruft:
Zur
physikalischen Deutung der Rotverschiebung. Wenn man die gemessenen Rotverschiebungen
in den Spektren entfernter Sternsysteme nach dem Doppler-Effekt deutet, ergibt
sich eine mit zunehmender Entfernung zunehmende Geschwindigkeit, mit der sich
die Objekte voneinander entfernen, eine Ausdehnung des beobachteten Teils des
Weltalls.
„Hieraus zogen idealistische Philosophen
und Astronomen den Schluss, dass das gesamte Weltall einst auf außerordentlich
kleinem Raum konzentriert, eine Art „Uratom“ gewesen sei, sich aber zu
irgendeinem Zeitpunkt plötzlich auszudehnen begonnen habe, womit auch die
„Ausdehnung des Raumes“, der ursprünglich unendlich klein gewesen sei,
eingesetzt habe. Dem wurde die Erklärung hinzugefügt, dieses „Uratom“ sei von
Gott geschaffen worden und habe sich nach seinem Willen auszudehnen begonnen.
Diese reaktionäre, offen fideistische Theorie von der „Expansion des Weltalls“,
von der „Expansion des Raumes“, hält keiner Kritik stand. Erstens liegt
keinerlei Grund vor, die von uns beobachteten extragalaktischen Nebel mit dem
ganzen Weltall überhaupt zu identifizieren. Sie sind nur ein unermesslich
kleiner Teil des Weltalls. Zweitens haben wir keinen Grund zu der Annahme, dass
sich die Bewegung schlechthin aller extragalaktischen Nebel auf entsprechende
Weise vollzieht, nämlich nur vom „Zentrum“ weg, und dass es keinerlei entgegengesetzte
oder noch kompliziertere Bewegungen anderer extragalaktischer Nebel gäbe.
Drittens besteht kein Grund zu der Annahme, dass selbst in dem von uns
beobachteten Teil des Weltalls die Nebelbewegung immer dieselbe geblieben ist.
Also haben wir keine Ursache, eine lokale Erscheinung, die nur in einem
durchaus begrenzten Teil des Weltalls vorkommt und in einem relativ
unbedeutenden Zeitintervall beobachtet wird, für ein allgemeines
Bewegungsgesetz des unendlichen Weltalls insgesamt auszugeben. Dazu kommt, dass
die Erklärung der Rotverschiebung extragalaktischer Nebel durch ihr
Auseinanderstreben streng genommen nicht die einzig mögliche und endgültige
ist, da noch andere Faktoren entdeckt werden können, die denselben Effekt
hervorzurufen imstande sind.“ (Grundlagen der marxistischen Philosophie,
S.149/150)
Die Theorie von der Expansion des
Weltalls ist also in keiner Weise geeignet, die These von der Unendlichkeit des
Weltalls in Raum und Zeit zu erschüttern. (Q40 Kleine Enzyklopädie Natur, VEB Bibliographisches
Institut Leipzig, 1964, S.417)
In einem schmerzlichen Lernprozess nahm man später
doch allmählich Abschied von dem geliebten Lehrsatz. In der Ausgabe der
gleichen Enzyklopädie aus dem Jahre 1983 werden das Auftreten einer „kosmischen Singularität“ und ein „Weltalter“ (also die Vorstellung von
einem Anfang der Zeit) akzeptiert, aber neben Albert EINSTEIN als naturwissenschaftlichem
Kronzeugen steht immer noch die Autorität von Friedrich ENGELS, um das Ganze
philosophisch „richtig“ einzuordnen. (Q49
Kleine Enzyklopädie Natur, VEB Bibliographisches Institut, Leipzig 1983, S.59f.)
[156] Dass das Bemühen der Naturwissenschaft, den Aufbau der Welt und das Zusammenspiel ihrer Teile zu verstehen, getrennt werden kann bzw. sogar getrennt werden muss von der Deutung des menschlichen Daseins z.B. in der Religion, war z.B. schon tausend Jahre früher Albertus Magnus klar:
Albertus Magnus (1193-1280) Dominikanermönch und Bischof:
„Wir haben in der Naturwissenschaft
nicht zu erforschen, wie Gott nach seinem freien Willen durch unmittelbares
Eingreifen die Geschöpfe zu Wundern gebraucht, durch die er seine Allmacht
zeigt; wir haben vielmehr zu untersuchen, was im Bereich der Natur durch die
den Naturdingen innewohnende Ursächlichkeit auf natürliche Weise geschehen
kann. ... dass ich mich um Wunder durch Gottes Eingreifen nicht kümmere, wenn
ich Naturkunde betreibe.“
(Q31
Fischer, Ernst Peter: Aristoteles, Einstein & Co., Piper, München 2005 ,
S.56ff.)
[157] Die Lehrsätze der marxistischen Philosophie geben demnach vor, was Naturwissenschaft erkennen kann und soll, was richtig und falsch ist.
[158] Die Vereinnahmung der Ideen Darwins durch Marx und Engels für ihre Philosophie und Gesellschaftstheorie geschah ohne Darwins Zustimmung; vgl. dazu die Anmerkungen weiter unten zum DDR-Biologielehrbuch, Quelle B1, Kapitel 3.4.2, dort Fußnote zu Seite 99f.
[159] Ein naturwissenschaftliches Lexikon der DDR
aus dem Jahre 1964 gab die Gewissheit, mit der Evolutionstheorie im Besitz von
endgültigen „wissenschaftlichen Wahrheiten“ zu sein, unkritisch wieder; sie
bestätigte – so meinte man – den dialektischen Materialismus und lieferte
Argumente für den weltanschaulichen Kampf:
Abstammungslehre
und Weltanschauung. Die Evolutionstheorie (Entwicklungslehre) oder
Deszendenztheorie (Abstammungslehre) bildet heute die gesicherte Grundlage
aller biologischen Wissenschaften. Die Entwicklungslehre ist die Bestätigung
des dialektischen Materialismus in der Biologie. Sie bedarf heute keines
Beweises mehr. Das schon während des vergangenen Jahrhunderts angehäufte
Beweismaterial reicht völlig aus, um jeden objektiv Urteilenden von ihrer
Richtigkeit zu überzeugen. …
Der weltanschauliche Kampf um die Abstammungslehre wird allerdings so
lange weitergehen, wie es Kräfte gibt, die eine Verbreitung wissenschaftlicher
Wahrheiten fürchten. Aber auch auf diesem Gebiet wird die Gesetzmäßigkeit
der historischen Entwicklung den Sieg der Wahrheit erzwingen. …
(Q40
Kleine Enzyklopädie Natur, VEB Bibliographisches Institut Leipzig, 1964, S.601)
In der Ausgabe des gleichen Lexikons aus dem Jahre
1983 war man da schon viel vorsichtiger geworden:
Entstehung des Lebens auf der Erde
Je weiter man die Entwicklungsgeschichte der Lebewesen auf der Erde
zurückverfolgt, desto geringer wird die Anzahl exakter Belege, desto
dunkler sind die Zusammenhänge im konkreten Fall.
Über die Entstehung des Lebens gibt
es nur Hypothesen, die aber durch Anwendung der ständig
fortschreitenden Erkenntnisse insbesondere auf molekularbiologischem Gebiet
zunehmend an Wahrscheinlichkeit gewinnen …
(Q49 Kleine Enzyklopädie Natur, VEB
Bibliographisches Institut, Leipzig 1983 S.266)
[160] Das denken viele Ideologen: Es sind immer die „anderen“, die unbelehrbar finstere Dogmen vertreten, aber „unsere“ Erkenntnisse sind deckungsgleich mit der objektiven Wahrheit.
[161] Ideologen berufen sich gern auf Autoritäten (Namen, Titel) oder auf sakrosankte, quasi heilige, nicht hinterfragbare Texte.
[162] des Kopernikus
[163] Nicht nur die Kirche hielt also an der alten Weltsicht fest, sondern vor allem für die - in naturkundlichen Fragen zuständigen - Philosophen war die Faktenlage zu „dünn“.
[164] Vgl. Fußnote 155
[165] Hier und in den weiteren Erläuterungen im Text wird sogar, um Dogmen der allwissenden Sowjetwissenschaft gerecht zu werden, auch der Kronzeuge Darwin einmal nicht ganz so ernst genommen. Mitschurin und sein Nachfolger, der Scharlatan Lyssenko, meinten, dass nicht nur der Mensch unter guten Bedingungen gut werden müsse (das war der Erziehungsansatz des Marxismus-Leninismus), sondern dass man auch Pflanzen und Tiere durch den Druck der äußeren Bedingungen dazu bringen könne, ihre Eigenschaften so zu verändern, wie es die vom Menschen vorgegebene Umwelt erfordere, bis hin zum erzwungenen Entstehen neuer Arten – züchterisch genutzter Lamarckismus!
[166] Die Argumentation in den fünf vorstehend wiedergegebenen Sätzen ähnelt kurioserweise exakt dem Muster, mit dem „Kreationisten“ in unseren Tagen – aus einer völlig anderen ideologischen Motivation heraus – das Wirken von bestimmten Evolutionsmechanismen in Frage stellen!
[167] Das gleiche Bild
findet sich fast 30 Jahre später im Biologielehrbuch der 10. Klasse in der DDR
wieder.
Es ist (wie auch richtig dasteht) nicht der Gott der jüdisch-christlichen
Vorstellung, sondern es handelt sich um eine ägyptische Gottheit. Dargestellt
ist aber nicht eine Göttin, sondern ein Gott - weitere Erläuterungen s. unten
in den Anmerkungen zum DDR-Biologie-Lehrbuch in Quelle B1, Kapitel 3.4.2, dort
Fußnote zu Seite 91f.).
[168] Die Vorstellung, dass die Welt ihr
Dasein einem Gott verdankt, von ihm geschaffen wurde, in den Rang einer naturwissenschaftlichen
Entstehungs-„Theorie“ zu erheben, ist ein problematisches Missverständnis.
[169] Dass viele Naturwissenschaftler, weil sie an der Vorstellung einer Schöpfung zweifelten, „auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden“ – dafür fehlt es schlicht an Fakten, d.h. Namen.
Oft wird in diesem Zusammenhang Giordano Bruno erinnert, der von der Inquisition auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde:
„Er proklamierte
die Unendlichkeit des Weltalls im Gegensatz zur Fixsternsphäre. Da die Sterne
nach seiner Meinung relativ regelmäßig
im unendlichen Raum verteilt sind, ist auch ihre Zahl unendlich. Sie sind alle
Sonnen, von Planeten umkreist, auf denen Lebewesen vorhanden sind wie auf
unserer Erde. Der Gedanke der unbegrenzten Fülle von Lebensformen im
unendlichen All ist der Kerngedanke der Brunoschen Weltvorstellung, die mehr
philosophisch als naturwissenschaftlich begründet ist. Bruno war kein Atheist.
Er wollte den unendlichen Gott mit einer unendlichen Schöpfung verherrlichen.
Es sei Gottes unwürdig, nur eine endliche Welt geschaffen zu haben, hat er
einmal gesagt. …
Giordano Bruno wurde nicht wegen seiner weltbildhaften Vorstellungen oder
seines Eintretens für Kopernikus, sondern wegen seiner Leugnung der Trinität
Gottes verurteilt. Diese Leugnung war allerdings eine Konsequenz seiner
Unendlichkeitshypothese. …“
(Q52 stud. christ. Spezialfernkurs;
Naturwissenschaft – eine Herausforderung des Glaubens; Kirchentagskongress der
Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, 1978, Lehrbrief 2, S.15)
[170] Vgl. Fußnote 165 zu Lyssenko
[171] Von der Endlichkeit der Welt (Anfang der Zeit im Urknall) und von grundsätzlichen Grenzen für ihre Erkennbarkeit durch den Menschen gehen inzwischen wohl die Mehrheit der Naturwissenschaftler wie auch der Erkenntnistheoretiker ganz selbstverständlich aus (ohne dass sie damit recht haben müssen!).
[172] „Absolut“ soll wohl ausdrücken, dass dieses „Naturgesetz“ nicht nur „richtig“ ist, sondern ewige Gültigkeit besitzt; diese Eigenschaften sind aber für Naturgesetze nach der modernen Wissenschaftstheorie nicht gewiss; hier wird wohl eher ein philosophischer Lehrsatz in den respektablen Rang eines Naturgesetzes erhoben.
[173] So sah der theoretische Ansatz von Marx und Engels (und Lenin) aus: Was wir an Spielregeln in der Natur entdecken, gilt mit naturwissenschaftlicher Exaktheit auch in der Übertragung auf die Gesellschaft („gesetzmäßige Entwicklung“). Wobei zusätzlich anzumerken ist, dass in der Darwinschen Evolutionsbiologie gerade keine zielgerichtete Entwicklung stattfindet, die Zukunft offen ist.
[174] Eine Episode kann vielleicht deutlich machen, warum (auch) unter dem Einfluss von Margot Honecker seit Mitte der 1960er Jahre immer stärker der weltanschauliche Anspruch der führenden Partei im Bildungssystem durchgesetzt wurde. In einer Biografie schildert sie, warum und mit welchem Gewicht in der deutschen Arbeiterbewegung die Darwinsche Abstammungslehre als (vermeintliches) naturwissenschaftliches Fundament der marxistischen Weltanschauungsideologie verstanden und vermittelt wurde. Sie wird wie folgt zitiert:
„Ich war ein
junges Mädchen“, erzählt Margot Honecker 1990, „ich war offiziell noch nicht
Mitglied der Partei, aber für sie war ich die junge Genossin. Vater hatte ja
wenig Zeit, aber einer seiner Genossen, der hat angefangen mich zu schulen
sozusagen. Ich habe weder mit dem „Kapital“ angefangen noch habe ich das
„Kommunistische Manifest“ gelesen, sondern ich hab zuerst mit ihm Darwin
durchgearbeitet. Fand ich furchtbar interessant. Er war der Meinung, dass man
über Darwin den Zugang zum Materialismus findet, und hat das so angelegt.“
Eine solche Grundüberzeugung mag auch andere Verantwortliche im Bildungssystem der DDR geprägt haben. Viele Jahre später, als Ministerin, die sich auch für die Gestaltung der Lehrpläne im einzelnen interessierte,
„fordert Margot Honecker von der Wissenschaft
auszuarbeiten, wie die naturwissenschaftlichen Fächer für die Ausprägung
von Weltanschauung zu nutzen seien …“
(Q25 Stuhler, E.: Margot Honecker – Die
Biografie, Heyne Verlag, München, 2005, S.28f.; 214)
[175] „unsere“, d.h. die der Sächsischen Landeskirche
[176] Aus dem Druck, den die staatlichen Bildungskonzepte mit ihrem weltanschaulichen Alleinvertretungsanspruch erzeugten, ergab sich die Notwendigkeit, sich innerkirchlich intensiv und (selbst-)kritisch mit naturwissenschaftlichen und weltanschaulichen Fragen auseinanderzusetzen.
[177] Hier zeigt sich, dass auch außerhalb der Schule weltanschauliche „Bildung“ vorangetrieben wurde, indem eigentlich rein wissenschaftliche Lexika mit entsprechenden Inhalten „angereichert“ wurden. Und die nachstehend genannte „Urania“ war als „Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse“ auch in das Gesamtkonzept eingebunden.
[178] Eine offene
Auseinandersetzung mit dem Themenfeld „Schöpfung – Evolution“ hätte wohl doch
die gewünschten „Lernerfolge“ in Frage stellen können, daher ist hier ein
Lehrervortrag vorgesehen und der Lehrer hat zusätzlich darauf zu achten, dass
nur das „Wesentliche“ diskutiert wird.
[179] Zum Verhältnis von Darwin zu Marx und
Engels vgl. die Anmerkungen zu dem weiter unten ausgewerteten
DDR-Biologie-Lehrbuch, Quelle B1, in Kapitel 3.4.2, dort Fußnote zu Seite 99ff.
[180] Die Jugendweihe war formell zwar eine Veranstaltung, die mit Schule nichts zu tun hatte. An dieser Stelle wird aber die enge Verknüpfung zwischen (außerschulischer) Einflussnahme und weltanschaulicher Erziehung in der Schule deutlich.
[181] Mit welcher Sachkenntnis mag das wohl geschehen sein? Und die Zielstellung dürfte sehr einseitig verstanden worden sein.
[182] Das sprachliche Schwanken zwischen (vorläufigen) „Hinweisen“, die auf bestimmte Zusammenhänge „hindeuten“, auf der einen Seite, und (sicheren, feststehenden, nicht mehr hinterfragbaren) „Beweisen“ auf der anderen Seite ist zwar erkennbar, aber in der Gesamtdiktion der Darstellungsweise des Buches wird deutlich: Die weltanschaulich (materialistisch, richtig) fundierte „wissenschaftliche“ Erforschung der Welt führt zu endgültigen, „wahren“, in Form von „Gesetzen“ letztlich zwingenden Einsichten!
[183] Dass das HAECKELsche „Gesetz“ in der Fachwissenschaft schon seit langem nur noch als „biogenetische Grund-Regel“ verstanden wurde, wurde nicht wahrgenommen.
Ernst Haeckel hatte sein „Gesetz“ zwar tatsächlich als allgemein gültig verstanden:
„Die Ontogenesis
ist eine kurze und schnelle Rekapitulation der Phylogenesis, bedingt durch die
physiologischen Funktionen der Vererbung und Anpassung. …
Biogenetisches Grundgesetz
Schon in der Bezeichnung „Grundgesetz“, die ich absichtlich für
meine Formulierung der „Rekapitulations-Theorie“ gewählt habe, ist der
Anspruch eingeschlossen, dass dasselbe ganz allgemeine Gültigkeit
besitzt. … dass die Rekapitulation immer eine teilweise und abgekürzte
Wiederholung des ursprünglichen phylogenetischen Entwicklungsganges ist.“
(Q16 Haeckel, E.: Die Lebenswunder,
Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1906S.155)
Aber das „Biogenetische Grundgesetz“ wurde in dieser Eindeutigkeit seit langem hinterfragt. Das sei an Darstellungen aus zwei aktuellen Biologie-Lehrbüchern verdeutlicht:
HAECKEL und das „biogenetische Grundgesetz“
… 1866 formulierte Ernst HAECKEL,
ein begeisterter Anhänger der Evolutionstheorie DARWINS, in seinem Buch
„Generelle Morphologie“ ein biogenetisches Grundgesetz: „Die Ontogenesis
(Ontogenese) ist eine kurze und schnelle Rekapitulation (Wiederholung) der
Phylogenesis (Stammesentwicklung).“ …
Heute sind sich Evolutionsbiologen jedoch darin einig, dass das „biogenetische
Grundgesetz“ zu stark verallgemeinert und keineswegs den Rang eines
Naturgesetzes hat, sondern bestenfalls als Regel gelten kann („biogenetische
Grundregel“). Allerdings wird die Stammesentwicklung in der Ontogenese
nicht einfach wiederholt. So durchläuft beispielsweise ein Säuger niemals
zunächst ein Fisch-, dann ein Amphibien- und schließlich ein Reptilienstadium.
Nicht die Erwachsenenformen stammesgeschichtlicher Vorfahren werden wiederholt,
sondern lediglich einzelne und zudem nicht vollständig ausgebildete Anlagen ihrer Baupläne.
(B28 SCHROEDEL; Biologie heute entdecken
S II; Braunschweig, 2004, S.387)
„Biogenetische
Grundregel:
Die Ontogenie stellt eine kurze und schnelle Rekapitulation der Phylogenie dar,
d.h. die Keimesentwicklung stellt eine schnelle Wiederholung der
Stammesgeschichte dar. …
Die Formulierung als Regel statt als Gesetz soll verdeutlichen, dass die Verbindlichkeit
nicht so stark ist, denn diese Regel bezieht sich nur auf einen Teil der
Keimesentwicklung, nämlich auf Teile der Individualentwicklung.“
(B 12 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag,
Duden Biologie, Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin, 2005, S.519f.)
Auch ein drittes aktuelles Lehrbuch sieht das grundsätzlich so, nimmt aber doch den Begriff „Gesetz“ wieder auf:
„Übereinstimmungen
in der Ontogenie sind ein Indiz für gemeinsame Abstammung. Aus
heutiger Sicht muss man sagen, dass kein naturgesetzlicher Zusammenhang
zwischen der sich ständig wiederholenden und selbst der Evolution
unterliegenden Ontogenese und der einmaligen Phylogenese besteht.
Ontogenetische Merkmale unterliegen im Allgemeinen einem geringen
Selektionsdruck. Aus diesem Grund sind ontogenetische Merkmale sehr konservativ
und können zur Klärung von Abstammungsfragen herangezogen werden (Gesetz
der Embryonenähnlichkeit).“
(B24 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag;
Duden Biologie, Gymnasiale Oberstufe, Berlin, 2005, S.380)
[184] Ob die Kirchen wirklich Einfluss nehmen mussten und gezielt Einfluss genommen haben, ist fraglich. Das war wohl einfach nicht nötig - wegen der allgemeinen Akzeptanz der Vorstellung von der Konstanz der Arten. Aber dass sich die anglikanische Kirche im Jahre 2008 posthum bei Darwin entschuldigt hat (siehe dazu Quelle Q57 in Kapitel 4.2), deutet auch auf erhebliche Konflikte hin. Jedoch gab es auch schon zu Darwins Seiten Theologen, die seinem neuen Konzept zustimmten.
[185] Die Verfolgung wegen Ketzerei im Zusammenhang mit unterschiedlichen Ansichten zur Entstehung der Arten ist wohl nicht belegbar (wer, wann)?
[186] Das abgedruckte
Bild – schon seit 1955 enthalten im Jugendweihe-Buch „Weltall Erde Mensch“ -
sollte sicher an die im zweiten Kapitel der Bibel überlieferte Darstellung
anknüpfen und erinnern, der zufolge Gott den ersten Menschen aus Erde formt.
Der beabsichtigte Lerneffekt für die Schüler war wohl: So (primitiv und
abwegig) haben sich Menschen früher die Menschwerdung vorgestellt, so steht es
auch in der Bibel, und solche Vorstellungen verbreitet die Kirche (bis heute)!
Zu dem gleichen Bild – das aus einer ägyptischen (!) Schöpfungsdarstellung
stammt - sei hier eine Erläuterung (aus einem zeitgleich erschienenen Lehrbrief
der Universität Tübingen) wiedergegeben, die dem tatsächlichen Anliegen und
Verständnis weit mehr gerecht wird:
„Ein Beispiel
soll das Gesagte noch einmal verdeutlichen, nämlich dass Schöpfungserzählungen
keine „Schöpfungsprotokolle" sind; am Beispiel eines ägyptischen
Welt- und Menschenschöpfungsmythos, von dem hier nur ein wichtiger Teilaspekt
hervorgehoben werden soll, wird die radikal symbolisch-nichthistorische
Sicht des Mythos deutlich:
Die Besucher des Tempels von Luxor begegneten seit 1350 v.Chr. dort einer
großen Abbildung, in welcher – die Schrift erklärte es - der Lebensgott
Khnum auf einer Töpferscheibe den Pharao AMEN-HOTEP III. töpfert (s.
Abb.!).
In Ägypten gab es einen Mythos von dem Töpfergott Khnum, der mit einem
Widderkopf dargestellt wurde. Er formte auf einer Töpferscheibe den Menschen
aus Lehm. Die natürlichen Abkunftsverhältnisse der Pharaonen waren den
Ägyptern selbstverständlich geläufig; die dargestellte „Töpferung"
konnte also nur die Funktion haben, in einer symbolischen Darstellung des
Werdens das Wesen des Pharao, d.h. seine „Gottessohnschaft" anschaulich zu
vergegenwärtigen.
Mit der Erkenntnis, dass im Alten Orient und damit in der Bibel Werdens-Schilderungen
die Funktion von Wesensenthüllungen haben können, ist ein wichtiger
Schlüssel für die Entschlüsselung mancher biblischer Erzähltexte gewonnen!“
(Q10 Deutsches Institut für Fernstudien der
Universität Tübingen, Fernstudium Naturwissenschaften, EVOLUTION, Heft 3:
Theoretische Grundlagen der Evolution, Tübingen, 1986, S.215)
Hieran wird deutlich, dass es nicht um die Erschaffung „der ersten Menschen“ geht, wie im DDR-Lehrbuch falsch mitgeteilt wird – in Wahrheit wurde hier die Erschaffung eines konkreten, historisch greifbaren Menschen, eines Pharao in einem mythischen Bild dargestellt. Die beim Abdruck im DDR-Biologie-Lehrbuch naheliegende und sicher beabsichtigte Assoziation sollte aber wohl sein: So merkwürdig stellen sich Christen die Entstehung der ersten beiden Menschen, „Adam und Eva“ vor; und ob Schüler und Lehrer den Gott mit dem merkwürdigen Namen „Chnumu“ nicht auch irrtümlich – und das war ein gewollter Irrtum - mit dem jüdisch-christlichen Schöpfergott gleichgesetzt haben?
Die biblischen Glaubenszeugnisse in den Erzählungen von Gott als Schöpfer werden hier als – auch naturkundlich 1 zu 1 wörtlich zu lesende - Modelle (miss-)verstanden, die die tatsächliche Entstehung der Welt und des Menschen erklären wollen, und die daher in direkter Konkurrenz zu modernen naturwissenschaftlichen Vorstellungen stehen. Es soll klar werden, dass nicht nur dieses Weltverständnis, sondern Religion überhaupt einem vorwissenschaftlichen Zeitalter angehören und mit dem Siegeslauf der rationalen naturwissenschaftlichen Erklärung der Welt längst überflüssig geworden sind.
Nur nebenbei sei erwähnt, dass auch ein aktuelles Lehrbuch für das Fach Religion den in der ägyptischen Bild-Darstellung vermittelten Sachverhalt „unscharf“ darstellt:
(Text neben der
gleichen Abbildung)
„… formt Chnum
auf der Töpferscheibe Menschen …
Ägyptische Bilder zeigen auch den Gott Chnum, der die Welt mit seinen
Händen auf einer Töpferscheibe bildet.“
(R3 PATMOS; Zeichen der Hoffnung, Patmos
Düsseldorf, 2002, S.35)
Es sind aber nicht allgemein „Menschen“, sondern es handelt sich um einen konkreten Menschen, den Pharao Amen-Hotep III, s.o. Und von der Erschaffung der „Welt“ ist zumindest auf dieser Darstellung nichts zu sehen.
[187] Christlicher Schöpfungsglaube wird hier verkürzt auf Dogmen und mit Aberglauben gleichgesetzt. „Stärker“ (und richtig, und allein ernst zu nehmen) sind dagegen die (unumstößlichen) Entwicklungsgesetze. Gleichzeitig wird naturwissenschaftliches Arbeiten in eine „notwendige“ enge Verbindung mit einem bestimmten philosophischen Weltbild, dem materialistischen, gebracht.
[188] Darwins
Evolutionstheorie wird dafür in Anspruch genommen, das naturwissenschaftliche
Fundament für die Gesellschaftstheorie des Marxismus zu liefern. Die
Darstellung im Lehrbuch ist jedoch einseitig und nimmt z.B. das tatsächliche
Verhältnis von Darwin zu Marx und
Engels nicht wahr.
Zwar waren Marx und Engels ihrerseits sehr angetan von Darwins Einsichten:
Friedrich Engels
las Darwins Buch von der „Entstehung der Arten“ drei Wochen nach Erscheinen,
Karl Marx erst ein Jahr später. Marx schrieb an Engels: „... dies ist das
Buch, das die naturhistorische Grundlage für unsere Absicht enthält“, und
äußerte Lasalle gegenüber: „Sehr bedeutend ist Darwins Schrift und passt
mir als naturwissenschaftliche Unterlage des geschichtlichen Klassenkampfes.“
(Q8 Darwin, Ch.: Die Entstehung der Arten
durch natürliche Zuchtwahl, Reclam Leipzig 1980, Anhang S.539f.)
Karl Marx selbst
übersandte Darwin im Juni 1873 die zweite Auflage der deutschen Ausgabe des
„Kapitals“ mit einer Widmung, in der er sich als „sincere admirer“
[aufrichtiger Bewunderer JK] Darwins bezeichnete. Darwin bedankte sich. Dass
jedoch Karl Marx eine förmliche Anfrage an ihn gerichtet habe, ihm das Buch
widmen zu dürfen, und Darwin das definitiv abgelehnt habe, ist eine Legende
(eine solche Anfrage mit Ablehnung gab es 1880 durch den späteren Schwiegersohn
von Karl Marx, Aveling,dabei ging es aber um eines von dessen Büchern)
(http://friendsofdarwin.com/articles/2000/marx
)
Friedrich Engels sagte am Grabe von Karl Marx: „Wie Darwin das Gesetz der
Entwicklung der organischen Natur, so entdeckte Marx das Entwicklungsgesetz
der Geschichte.“
[189] Interessant ist auch hier wieder der Verweis
auf die „weltanschaulichen Positionen“ des Forschers – nur mit der richtigen (=
marxistischen) Weltanschauung kommt man zu wahren Einsichten in den
Naturwissenschaften. Weltanschauung geht der Forschung voraus, gibt ihr das
Fundament.
[190] Hier wird
unterstellt, dass die Deutung der Welt als „Schöpfung“ eine „Theorie“ sei, die
– auf gleicher Ebene - an naturwissenschaftlichen Vorstellungen zum Ablauf der
Naturgeschichte gemessen werden müsste und könnte. Dass viele Menschen den
biblischen Schöpfungs„bericht“ am Anfang der Bibel als Tatsachenbericht
verstanden haben und z.T. auch heute noch verstehen (nicht nur im
„Kreationismus“!), soll hier nicht bestritten werden. Aber das ist nicht das
einzig mögliche Verständnis der Texte: Diese werden heute in den großen christlichen
Kirchen nicht als Tatsachendarstellungen verstanden, sondern
existenziell-symbolisch gedeutet – sie können daher nicht in einem
Konkurrenzverhältnis zu Einsichten der Naturwissenschaft stehen.
Dass Schöpfungsvorstellungen den „Anfang“ (den tragenden Ur-Grund, Ur-Sprung)
von Welt und Mensch nicht im Naturgeschehen verorten, stellt Gott und
den Schöpfungsglauben tatsächlich „außerhalb des wissenschaftlich erforschbaren
Bereiches“.
[191] In der Denkweise
des marxistischen Wissenschaftsverständnisses, nach dem
a) die ganze Welt für den Menschen erkennbar ist und
b) allein der Blick der Naturwissenschaft zu legitimen und ernst zu
nehmenden (weil „wissenschaftlich begründeten“) Einsichten führen kann,
waren Schöpfungsvorstellungen daher suspekt und überflüssig:
Der Ansatz des Marxismus (wie jeder Ideologie) war es, aus der Sichtweise von nicht hinterfragbaren endgültigen ewigen Wahrheiten (Dogmen) Vorgaben abzuleiten, die festlegten, in welchem Rahmen Wissenschaft überhaupt arbeiten und Entdeckungen machen „darf“. Die Denkverbote wurden natürlich vornehm mit vermeintlich „objektiv“ vorgegebenen Einschränkungen begründet.
Im Verständnis der modernen Wissenschaftstheorie dagegen ist der Erfahrungs- und Erkenntnishorizont der Naturwissenschaft methodisch begrenzt und erfasst nicht die ganze Wirklichkeit – Aussagen über diesen akzeptierten Horizont hinaus (zum Beispiel Fragen nach dem Sinn und dem Ziel des menschlichen Daseins oder zur Ethik) sind im Rahmen der Naturwissenschaft nicht zulässig und nicht zu lösen, aber sie dürfen „außerhalb“ durchaus gestellt und beantwortet werden.
Eine (kritische) Reflexion über Arbeitsgegenstand und Begrenzungen naturwissenschaftlicher Erkenntnis findet aber in dem Lehrbuch nicht statt.
[192] Auch wenn in den vorhergehenden Sätzen auf „unbekannte Abläufe“, das Fehlen „völliger Klarheit“ und „Lücken“ im Erkenntnisprozess hingewiesen wird, liegt doch letztlich die Betonung darauf, auf die „Richtigkeit der materialistischen Auffassung“ hinzuweisen, dass „die Welt erkennbar ist“, und dass dafür naturwissenschaftlich fundierte „Beweise“ vorliegen.
[193] Hier wird noch einmal das erklärte Ziel deutlich, den Schülern einen engen „Zusammenhang von Biologie und Weltanschauung“ zu vermitteln.
[194] Nach G. Vollmer hat Popper selbst
sein Urteil über die Evolutionstheorie („als „Metaphysik“) 1977 widerrufen (Q26
Vollmer, G.: Biophilosophie, Reclam, Stuttgart, 1995, S.35)
[195] Das kann durchaus zu weiterer Verwirrung beitragen, vor allem bei Menschen, die dem christlichen Glauben fern stehen: Manchmal unterscheiden sich Glaubensvorstellungen auch noch zwischen Christen, die unterschiedlichen Konfessionen angehören (dann sind nämlich ihre Bekenntnisse = confessiones verschieden).
[196] Das ist schon starker Toback! Wenn jemand für die Klärung des Verständnisses von „Schöpfung“ zuständig ist, kann das nur die Theologie sein. Und die Theologie war es doch, die lange ein wörtliches Schöpfungsverständnis hatte (inklusive Konstanz der Arten), es gelehrt und verteidigt hat, von dem sie heute meint, dass es falsch gewesen sei. Dann kann man aber nicht gemäß dem Motto „Haltet den Dieb!“ die Naturwissenschaftler für die Missverständnisse verantwortlich machen!
[197] Der dänische
Astronom Tycho Brahe schlug 1587 einen Kompromiss (zwischen dem
ptolemäischen und dem kopernikanischen Weltbild) vor: Die Erde bleibt im Zentrum, umkreist von Mond und Sonne … die
Sonne wiederum steht im Mittelpunkt der Kreisbahnen der anderen Planeten …
Johannes Kepler machte sich in seinem Werk „Astronomia Nova“ (1609) an den
Nachweis, dass sich sowohl nach dem ehrwürdigen geozentrischen System des
Ptolemäus als auch nach dem neuen heliozentrischen System des Kopernikus die
einigermaßen sicheren Positionen der Planeten errechnen lassen. Auch wenn man
beide Systeme kombiniert, wie es Tycho Brahe getan hat, kommt man zu
vernünftigen Ergebnissen. Alle drei Systeme sind geometrisch und mathematisch
miteinander kompatibel. Die bloße Beobachtung und die Beschreibung der
Phänomene bringt also keine Entscheidung über falsch oder richtig … Kepler ging
den Schritt von der reinen Beobachtung zur begründenden Erklärung … probierte
viele Möglichkeiten … und kam zu dem Resümee: „Also ist die Planetenbahn eine
Ellipse … “
Galilei hatte Keplers „Astronomia Nova“
wohl nicht gelesen, jedenfalls erwähnt er nichts davon. Noch 1632 schrieb er in
seinem „Dialog“ unbeirrt von Kreisen und nicht von Ellipsen, auf denen die
Planeten um die Sonne laufen.
(Q63
bild der wissenschaft Heft 2/2009 S.54ff.)