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Schulbuchanalyse

 

Wenn es in der Schule um Schöpfung, Evolution und Urknall geht …

Naturwissenschaft in der Begegnung mit philosophischen und religiösen Fragen
In welcher Weise nehmen in Sachsen zugelassene Lehrbücher für die Fächer Biologie, Physik, Astronomie und Religion solche Grenzfragen auf

 

eine kommentierte Material-Sammlung
© Joachim Krause 2009

 

Der im Folgenden wiedergegebene komplette Text der Schulbuchanalyse ist auch als  PDF-Datei verfügbar: HIER klicken

 


Inhaltsverzeichnis
(mit LINKS zu einzelnen Kapiteln)

 

Teilband 1:
Allgemeine und grundsätzliche Betrachtungen und Feststellungen

Kapitel

Inhalt

Seite

1

Allgemeine und grundsätzliche Betrachtungen und Feststellungen

5

1.1

Aufgabenstellung und Einführung

6

1.1.1

Die einzelnen Schritte beim Erstellen dieser Studie

8

1.1.2

Hinweise zu redaktionellen Gesichtspunkten

11

 

 

 

1.2

Zusammenstellung von wichtigen Gesichtspunkten und Erkenntnissen

12

1.2.1

Einige Erwartungen und Vorgaben für eine Begegnung zwischen Naturwissenschaft und Religion

12

1.2.2

Zu Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft und zu Wissenschaftstheorie

13

1.2.2.1

Fortschritt durch Naturwissenschaft: in der Erkenntnis der Welt und in der technischen Anwendung

14

1.2.2.2

Erkenntniswege und Erkenntnisgrenzen der Naturwissenschaft

16

1.2.2.3

Eindeutige Begriffe und Beschreibungen

20

1.2.2.4

Wie erkenntnistheoretische Fragen in Schul-Lehrbüchern aufgenommen werden

24

1.2.2.5

Horizonterweiterung: Verweis auf weitere Quellen mit Hintergrundinformationen zur Wissenschaftstheorie

27

1.2.3

Die Begegnung mit der Vielfalt von Religionen, Bibelverständnissen und Schöpfungsvorstellungen

28

1.2.3.1

Zum Begriff „Religion“

28

1.2.3.2

Bibelverständnisse

29

1.2.3.2.1

Wörtliches Bibelverständnis

29

1.2.3.2.2

Eine grundsätzliche Problemanzeige

31

1.2.3.2.3

Historisch-kritisches Bibelverständnis

32

1.2.3.2.4

Es gibt so viele Bibelverständnisse, wie es Christen gibt

34

1.2.3.3

Zum Begriff „Schöpfung“: Schöpfungsvorstellungen und Schöpfungsglaube

34

1.2.3.4

Die Vorstellung von der „Konstanz der Arten“

41

1.2.4

Ideologien mit Alleinerklärungsanspruch

42

1.2.4.1

Zum Begriff „Ideologie“

43

1.2.4.2

„Kreationismus“ und „Intelligent Design“

45

1.2.4.2.1

„Kreationismus“

45

1.2.4.2.2

„Intelligent Design“

50

1.2.4.3

„Evolutionismus“

52

1.2.5

„Schöpfungsvorstellungen“ dürfen nicht als naturwissenschaftliche Konkurrenz  zu „Evolutionstheorien“ verstanden werden

54

1.2.6

Ist die Kirche, ist der christliche Glaube grundsätzlich wissenschaftsfeindlich?

57

1.2.7

Die Unterscheidung der Betrachtungsebenen löst nicht alle Konflikte zwischen Glaube und naturwissenschaftlichem Weltbild

59

1.3

Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube – als Thema im Schulunterricht?!

60

 

Teilband 2: Auswertung der Lehrbücher

Teilband 2.1:
Auswertung der Lehrbücher für das Fach BIOLOGIE (Sachsen 2007/2008)

Kapitel

Inhalt

Seite

2.1

Der Umgang mit Erkenntnisgrenzen der Naturwissenschaft sowie die Darstellung und Behandlung von philosophischen und religiösen Fragen in Schullehrbüchern für das Unterrichtsfach BIOLOGIE im Freistaat Sachsen - 2007/2008

63

2.1.1

Lehrpläne für den Freistaat Sachsen 2004 (BIOLOGIE)

64

2.1.1.1

Grundsätzliches zu den Lehrplänen

64

2.1.1.2

Lehrpläne für den Freistaat Sachsen 2004 (BIOLOGIE)

65

2.1.2

Zu Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft und zu Wissenschaftstheorie

68

2.1.2.1

Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach BIOLOGIE für die Sekundarstufe 1

68

2.1.2.2

Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach BIOLOGIE für die Sekundarstufe 2

69

2.1.3

Annäherung an eine Grenzfrage: Die Entstehung des Lebens auf der Erde

83

2.1.3.1

Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach BIOLOGIE für die Sekundarstufe 1

83

2.1.3.2

Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach BIOLOGIE für die Sekundarstufe

86

2.1.4

Schöpfung contra Evolution ? Umgang mit Schöpfungsvorstellungen in BIOLOGIE-Lehrbüchern

90

2.1.4.1

Exkurs:

Zur Verwendung von Begriffen aus der religiösen und theologischen Tradition in Biologie-Lehrbüchern

90

2.1.4.2

Lehrbücher aus dem Verlag PAETEC / Duden

94

2.1.4.3

Lehrbücher aus dem Verlag SCHROEDEL

99

2.1.4.4

Lehrbücher aus dem Verlag KLETT

107

2.1.4.5

Lehrbücher aus dem Verlag CORNELSEN / VOLK UND WISSEN

109

2.1.4.6

Lehrbücher aus weiteren Verlagen (BSV, C.C.BUCHNER)

110

 


 

Teilband 2.2:
Auswertung der Lehrbücher für die Fächer PHYSIK und ASTRONOMIE
(Sachsen 2007/2008)

Kapitel

Inhalt

Seite

2.2

Der Umgang mit Erkenntnisgrenzen der Naturwissenschaft sowie die Darstellung und Behandlung von  philosophischen und religiösen Fragen in Schullehrbüchern für die Unterrichtsfächer PHYSIK und ASTRONOMIE im Freistaat Sachsen - 2007/2008

113

2.2.1

Lehrpläne für den Freistaat Sachsen 2004 (PHYSIK und ASTRONOMIE)

114

2.2.2

Zu Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft und zu Wissenschaftstheorie

119

2.2.2.1

Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach PHYSIK für die Sekundarstufe 1

119

2.2.2.2

Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach PHYSIK für die Sekundarstufe 2

122

2.2.2.3

Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach ASTRONOMIE

137

2.2.3

Die Auseinandersetzung um das kopernikanische Weltbild

139

2.2.3.1

Exkurs: Ein Konflikt wird aufgebaut

139

2.2.3.2

Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach PHYSIK für die Sekundarstufe 1

142

2.2.3.3

Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach PHYSIK für die Sekundarstufe 2

144

2.2.3.4

Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach ASTRONOMIE

145

2.2.4

Annäherung an eine Grenzfrage: „Urknall“

150

2.2.4.1

Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach PHYSIK für die Sekundarstufe 1

150

2.2.4.2

Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach PHYSIK für die Sekundarstufe 2

150

 

Teilband 2.3:
Auswertung der Lehrbücher für das Fach RELIGION (Sachsen 2007/2008)

Kapitel

Inhalt

Seite

2.3

Der Umgang mit Erkenntnisgrenzen der Naturwissenschaft sowie die Darstellung und Behandlung von philosophischen und religiösen Fragen in Schullehrbüchern für das Unterrichtsfach RELIGION im Freistaat Sachsen - 2007/2008

157

2.3.1

Lehrpläne für den Freistaat Sachsen 2004 (RELIGION)

158

2.3.2

Zu Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft und zu Wissenschaftstheorie -
Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach RELIGION

163

2.3.3

Zum Verhältnis zwischen Glaube und Naturwissenschaft -
Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach RELIGION

165

 

Teilband 3:

Weltall Erde Mensch“ - Ideologisierte Naturwissenschaft im Bildungssystem der DDR (Fach BIOLOGIE)

Kapitel

Inhalt

Seite

3

Ein Blick zurück: Ideologisierte Naturwissenschaft im Bildungssystem der DDR (Fach BIOLOGIE)

169

3.1

Eine „wissenschaftliche Weltanschauung“ als ideologisches Fundament von Bildung und Erziehung  .

170

3.2

„Weltall Erde Mensch“ (1955)

170

3.3

Die „Grundsätze für die Gestaltung des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems“ (1964)

178

3.4

Schulunterricht im Fach BIOLOGIE in der DDR in den 1970er und 1980er Jahren

181

3.4.1

Die Unterrichtshilfen für Lehrer im Unterrichtsfach BIOLOGIE Klasse 10

181

3.4.2

Das Lehrbuch für Schüler im Unterrichtsfach BIOLOGIE Klasse 10

185

 

Teilband 4:
Horizonterweiterung: Weitere Stimmen zum Thema in ausführlichen Zitaten

Kapitel

Inhalt

Seite

4

Horizonterweiterung: Weitere Stimmen zum Thema in ausführlichen Zitaten                                                  .

191

4.1

Zu Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft und zu Wissenschaftstheorie

192

4.2

Zum Verhältnis von (Schöpfungs-)Glaube und Naturwissenschaft

208

 

Anhang A:

Kapitel

 

Seite

A1

Verzeichnis der zitierten und verwendeten Quellen                                                                                            .

225

A2

Danksagung und Impressum

228

 

 

 
Wenn es in der Schule
um Schöpfung, Evolution und Urknall geht …

Naturwissenschaft in der Begegnung mit philosophischen und religiösen Fragen

In welcher Weise nehmen in Sachsen zugelassene Lehrbücher für die Fächer Biologie, Physik, Astronomie und Religion solche Grenzfragen auf ?

 

Teilband 1:

Allgemeine und grundsätzliche Betrachtungen und Feststellungen

 

Hauptband 1:
Allgemeine und grundsätzliche Betrachtungen und Feststellungen

Kapitel

Inhalt

Seite

1

Allgemeine und grundsätzliche Betrachtungen und Feststellungen

5

1.1

Aufgabenstellung und Einführung

6

1.1.1

Die einzelnen Schritte beim Erstellen dieser Studie

8

1.1.2

Hinweise zu redaktionellen Gesichtspunkten

11

1.2

Zusammenstellung von wichtigen Gesichtspunkten und Erkenntnissen

12

1.2.1

Einige Erwartungen und Vorgaben für eine Begegnung zwischen Naturwissenschaft und Religion

12

1.2.2

Zu Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft und zu Wissenschaftstheorie

13

1.2.2.1

Fortschritt durch Naturwissenschaft: in der Erkenntnis der Welt und in der technischen Anwendung

14

1.2.2.2

Erkenntniswege und Erkenntnisgrenzen der Naturwissenschaft

16

1.2.2.3

Eindeutige Begriffe und Beschreibungen

20

1.2.2.4

Wie erkenntnistheoretische Fragen in Schul-Lehrbüchern aufgenommen werden

24

1.2.2.5

Horizonterweiterung: Verweis auf weitere Quellen mit Hintergrundinformationen zur Wissenschaftstheorie

27

1.2.3

Die Begegnung mit der Vielfalt von Religionen, Bibelverständnissen und Schöpfungsvorstellungen

28

1.2.3.1

Zum Begriff „Religion“

28

1.2.3.2

Bibelverständnisse

29

1.2.3.2.1

Wörtliches Bibelverständnis

29

1.2.3.2.2

Eine grundsätzliche Problemanzeige

31

1.2.3.2.3

Historisch-kritisches Bibelverständnis

32

1.2.3.2.4

Es gibt so viele Bibelverständnisse, wie es Christen gibt

34

1.2.3.3

Zum Begriff „Schöpfung“: Schöpfungsvorstellungen und Schöpfungsglaube

34

1.2.3.4

Die Vorstellung von der „Konstanz der Arten“

41

1.2.4

Ideologien mit Alleinerklärungsanspruch

42

1.2.4.1

Zum Begriff „Ideologie“

43

1.2.4.2

„Kreationismus“ und „Intelligent Design“

45

1.2.4.2.1

„Kreationismus“

45

1.2.4.2.2

„Intelligent Design“

50

1.2.4.3

„Evolutionismus“

52

1.2.5

„Schöpfungsvorstellungen“ dürfen nicht als naturwissenschaftliche Konkurrenz  zu „Evolutionstheorien“ verstanden werden

54

1.2.6

Ist die Kirche, ist der christliche Glaube grundsätzlich wissenschaftsfeindlich?

57

1.2.7

Die Unterscheidung der Betrachtungsebenen löst nicht alle Konflikte zwischen Glaube und naturwissenschaftlichem Weltbild

59

1.3

Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube – als Thema im Schulunterricht?!

60


1 Allgemeine und grundsätzliche Betrachtungen
   und Feststellungen

 

1.1 Aufgabenstellung und Einführung

 

In den letzten Jahren erregt ein Thema erneut die Gemüter.
Es geht um den vermeintlichen oder wirklichen Widerspruch von „Schöpfungsglaube“ und „Evolutionstheorie“, von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Glaubensaussagen.

Titel von Büchern, Zeitschriften und Filmen deuten die Kampfstimmung, aber auch die Nachdenklichkeit an, die das Thema auslöst. Hier seien einige Beispiele aus der Fülle von Beiträgen in den letzten Jahren in Erinnerung gerufen:

 

Das Magazin „DER SPIEGEL“ (Heft 52-2005) erscheint mit dem Titel:

„Gott gegen Darwin - Glaubenskrieg um die Evolution“

Ein umstrittener Film darf im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht (mehr) gesendet werden, macht aber als Videofilm die Runde:

„Hat die Bibel doch Recht? Der Evolutionstheorie fehlen die Beweise“
(Fritz Poppenberg, Drei Linden Film, Berlin).

 

Der katholische Theologie-Professor und Biologe Ulrich Lüke veröffentlicht ein Buch mit dem provokanten Titel:

„Das Säugetier von Gottes Gnaden – Evolution, Bewusstsein, Freiheit“
(Herder Verlag Freiburg 2006).

 

Der britische Biologe Richard Dawkins schreibt eine militante Kampfschrift:

„Der Gotteswahn“ (Ullstein Verlag Berlin 2007) und meint, religiöse Menschen durch naturwissenschaftli­che Fakten überzeugen und „heilen“ zu müssen.

 

Die Zeitschrift idea spektrum titelt im April 2002:

„Die Bibel irrt nicht … In sechs Tagen schuf Gott die Welt“

Die dem „Kreationismus“ nahe stehenden Biologen Reinhard Junker und Siegfried Scherer veröffent­li­chen seit 1998 immer wieder aktualisierte Fassungen des Buches
„Evolution – ein kritisches Lehrbuch“ (Weyel Lehrmittelverlag Gießen)

 

2007 erscheint der Ergebnisband einer Tagung, die unter der Themenstellung

„Schöpfung und Evolution“ auf Wunsch und in Anwesenheit von Papst Benedikt XVI. stattfand (St. Ulrich Verlag Augsburg).

 

Aus Hessen berichtete nicht nur die DIE ZEIT im Jahre 2007 von einem „Kulturkampf um den »Kreationismus«“:

 

Die hessische Kultusministerin Karin Wolff hat mit Kreationismus „überhaupt nichts am Hut“ ... Aber sie spricht von „Konvergenzen“ zwischen „Evolution und Schöpfungsgeschichte“, und sie hält es für „sinn­voll“, Schüler nicht allein mit der Evolutionslehre im Biologieunterricht zu konfrontieren. Darwin und Nachfolger dürften nicht getrennt werden von der „Schöpfungslehre der Bibel“, die im Religionsunterricht vermittelt wird. Auch „noch eine andere Sicht“ sei notwendig als nur die der Naturwissenschaft.


(DIE ZEIT 12.7.07 S.42)

 

Das Thema schlug mächtige Wogen, obwohl schon damals im Lehrplan Biologie für den gymnasialen Bildungsgang des Hessischen Kultusministeriums aus dem Jahre 2005 für die 12. Jahrgangsstufe zum Thema Evolution als Aufgabe stand: „Auseinan­dersetzungen mit philosophischen und religiösen Aussagen müssen die naturwissen­schaftliche Diskussion ergänzen und erweitern.“ (zit. nach: Hubert Meisinger: Intelligent Design als Herausforderung an Naturwissenschaften und Theologie, 6.8.2007).

Schöpfungsgedanken im Biologieunterricht? Für die einen ist das eine verlockende und reizvolle Vorstellung, für andere eher ein Albtraum.

Viele Zeitgenossen erinnern sich bei diesem Thema an ihre eigene Schulzeit, an Erfah­rungen, die sie selbst mit guten Lehrern und schlechten Pfarrern oder mit schlechten Lehrern und guten Pfarrern ge­macht haben.

Immer wieder wird auch darauf verwiesen, was „damals“ in den Lehrbüchern stand.

Und es wird vermutet und behauptet, so seien die Bio-Bücher sicher noch heute: ein­seitig, ideologisch befrachtet, glaubensfremd oder glaubensfeindlich …

Andere befürchten vielleicht, dass nach Jahrhunderten mühsam erreichter Aufklärung nun eine Rückkehr zu mittelalterlichen Weltvorstellungen droht.

Ich habe - als betroffener Vater und von Berufs wegen – in den letzten Jahren immer einmal in aktuellen Lehrbüchern geblättert, und ich habe dort Unterschiedliches ent­deckt. Manche Bücher blenden Fragen zu den Grenzen der Naturwissenschaft weitge­hend aus und gehen auf philosophisch-religiöse Aspekte nur sparsam ein. Andere öff­nen sich solchen Fragen in großer Breite und Tiefe.

Lehrer, Schüler und Eltern, die sich für solche Fragen interessieren, haben in der Regel wohl nur das eine Lehrbuch in der Hand, das (wer, nach welchen Kriterien?) für gerade diese Schule ausgewählt hat.
Es könnte deshalb für sie interessant sein, zu erfahren, was an anderer Stelle, in ande­ren Lehrbüchern angeboten wird.

 

 

 


1.1.1 Die einzelnen Schritte beim Erstellen dieser Studie

 

 

A) Auswertung von Schulbüchern

 

Für die hier vorgelegte Ausarbeitung wurden in einem ersten Schritt Schulbücher ein­mal etwas systematischer unter die Lupe genommen.

Dazu wurden Lehrbücher unter folgendem Blickwinkel bzw. mit folgendem Suchraster durchgesehen:

 

·        Es wurden Lehrbücher ausgewertet, die im Freistaat Sachsen im Schuljahr 2007/2008 zugelassen waren und im Unterricht verwendet wurden.

·        Die Auswertung erfasste die naturwissenschaftlichen Unterrichtsfächer Biologie, Phy­sik und Astronomie (in Sachsen bis zu diesem Jahr noch ein eigenständiges Unterrichtsfach).
Zusätzlich wurden auch Lehrbücher für den Religionsunterricht ausgewertet.

·        Die Lehrbücher wurden daraufhin befragt, OB (überhaupt) und WIE (in welcher Art und Weise) sie etwas aussagen zu
+ Arbeitsweise und Erkenntnisgrenzen des Fachgebietes
   (bzw. der Naturwissenschaften im Allgemeinen)
+ Berührungspunkten zu religiösen -
   und im weiteren Sinne zu philosophischen – Fragestellungen

·        NICHT untersucht und behandelt wurden ethische Fragen, die sich aus der An­wendung von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen ergeben
(z.B. Atomenergie, Gentechnik), und bei deren Beantwortung auch religiöse und philosophische Überlegungen mit einfließen können.

 

Die ausgewerteten Bücher wurden quergelesen. Hinweise, wo etwas zu den hier inter­essierenden Fragen zu finden sein könnte, ergaben sich aus Inhaltsverzeich­nissen, aber auch durch gezieltes Suchen unter Stich- und Reizworten wie z.B. „Evolu­tion“(stheorie), „Anfang des Lebens“ auf der Erde, „Anfang des Universums“ (Urknall), „Chaosforschung“, „Quantenphysik“ …

Wegen der deutlich erkennbaren Unterschiede der Schulbücher für die
Sekundarstufe 1 (5. bis 10. Schuljahr) und für die
Sekundarstufe 2 (auch: gymnasiale Oberstufe; 11. und 12. Schuljahr)
erfolgt die hier vorgenommene Auswertung in der Regel ge­trennt für diese beiden Bildungs­stufen.

 

In den Teilbänden 2.1 bis 2.3 = Kapitel 2.1 bis 2.3 werden Lehrbücher ausgewertet, die im Freistaat Sachsen im Schuljahr 2007/2008 für den Unterricht in den Fächern Biologie, Physik, Astronomie und Religion zugelassen waren.

Die Auswertung der Schulbücher erfolgt nach Fächern getrennt.
Bevor in den einzelnen Fächern auf die Lehrbücher eingegangen wird, werden zu­nächst wichtige, für die hier behandelte Themenstellung relevante und interessante Zielstellungen aus den Lehrplänen für den Freistaat Sachsen (2004) wiedergegeben.
Danach werden ausführliche Zitate aus aktuellen Schullehrbüchern zur Kenntnis gebracht und kommentiert.

 

Lehrbücher zum Unterrichtsfach BIOLOGIE werden in Teilband 2.1 = Kapitel 2.1 ausgewertet
Dabei geht es in einem ersten Schritt um die Fragestellung, inwieweit die Darstellung von Arbeitsmethoden und Erkenntnisgrenzen der Naturwissenschaft Eingang in die Lehrbücher gefunden haben.
Dazu werden zunächst Bücher ausgewertet, die bis zur 10. Klasse eingesetzt werden (Sekundarstufe1), im Anschluss daran Lehrbücher für die Sekundarstufe 2 (gymnasiale Oberstufe).
In einem zweiten Schritt wird eine Grenzfrage gesondert aufgenommen: Wie stellen Lehrbücher die Erkenntnisse zur Entstehung des Lebens auf der Erde dar? Hier wer­den wieder die Bücher für die Sekundarstufe 1 und die für die Sekundarstufe 2 getrennt betrachtet.
In einem dritten Schritt werden die Lehrbücher daraufhin befragt, ob und in welcher Weise sie auf geschichtliche und aktuelle Aspekte des Verhältnisses zwischen „Schöpfung und Evolution“ eingehen. Für diesen Punkt erschien es sinnvoll, jeweils die Lehrbücher, die aus dem gleichen „Haus“ (Verlag, Autoren) stammen, auch ge­meinsam zu behandeln.

Diesem Kapitel ist ein gesonderter Exkurs zur (Er-)Klärung wichtiger Begriffe voran­gestellt.

 

Im Teilband 2.2 = Kapitel 2.2 werden Lehrbücher für die Unterrichtsfächer PHYSIK und ASTRONOMIE betrachtet.
Grundsätzlich werden die Lehrbücher für die Sekundarstufe 1 zuerst und getrennt von den danach behandelten Lehrbüchern für die Sekundarstufe 2 betrachtet.
Die in diesem Kapitel gestellten Einzelfragen lauten:
Wie werden Erkenntnisgrenzen der Naturwissenschaft bewusst gemacht (Wissen­schaftstheorie), und wie werden philosophische und religiöse Bezüge wahr- und aufgenommen?
Ein zweites Kapitel geht auf die Auseinandersetzung um das kopernikanische Welt­bild ein.
In einem dritten Anlauf geht es um die Annäherung an eine Grenzfrage:„Urknall“.

 

Zitate aus Lehrbüchern zum Unterrichtsfach RELIGION werden in Teilband 2.3 = Kapitel 2.3 zusammengestellt. Hier geht es um die Erkenntnismöglichkeiten der Na­turwissenschaft sowie um die Begegnung von Glaube und Naturwissenschaft.

 

B) Zusammenfassung von wichtigen Gesichtspunkten
    und Erkenntnissen


Bei der Lektüre der Schulbücher wurde deutlich, dass es sinnvoll ist, in einer an wichti­gen Stichworten orientierten Darstellung einige Begriffe zu (er-)klären sowie grundsätz­liche Informationen zu den Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft, aber auch zum Verständnis von Religion und Bibelverständnissen zusammenzufassen, um viel­leicht so manches Missverständnis auszuräumen.
Diese Vorgaben machen dann umgekehrt auch verständlich, unter welchem Blick­winkel für den Autor gerade die Text-Passagen aus den Schulbüchern wichtig waren, die er ausgewählt, gekennzeichnet und kommentiert hat.

 

An dieser Stelle sollen lediglich ein paar ausgewählte inhaltliche Schwerpunkte aus dem hier vorliegenden Teilband 1 (Hauptband) aufgeführt werden.
Zunächst werden grundsätzliche Erwartungen an eine Begegnung zwischen Natur­wissenschaft und Religion benannt (1.2.1).
In Kapitel 1.2.2 werden einige grundlegende Aspekte zu Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft und zu wissenschaftstheoretischen Fragen dargestellt.

Ein weiteres Haupt-Kapitel widmet sich der Vielfalt von Religionen, Bibelverständ­nissen und Schöpfungsvorstellungen (1.2.3).

Anschließend wird auf Ideologien mit Alleinerklärungsanspruch eingegangen (Kreatio­nismus, Evolutionismus – 1.2.4).

Am Ende dieses Bandes werden einige Schlussfolgerungen für den Umgang mit dem Themenkreis „Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube“ im Schulunterricht gezogen (1.3).

 

 

C) Weltall Erde Mensch“ - ideologisierte Naturwissenschaft im Bildungssys­tem der DDR

 

Teilband 3 = Kapitel 3 widmet sich in einer gesonderten Darstellung dem Rückblick auf den weltanschaulich-ideologisch ausgerichteten Biologieunterricht in der DDR und verdeutlicht den Weg von „Weltall Erde Mensch“ (1955) über die „Grund­sätze für die Gestaltung des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems“ (1964) hin zu Lehr­plänen und Lehrbüchern, die in den 1970er und 1980er Jahren verwendet wur­den.

 

D) Horizonterweiterung: Zusammenstellung von ausführlichen Zitaten aus verwendeten Quellen

 

Im Teilband 4 = Kapitel 4 werden ausführliche Zitate aus weiteren Quellen - also nicht aus Schullehrbüchern - dokumentiert, soweit solche „Fremdquellen“ nicht schon bei der Kommentierung der Schulbuchtexte in Kapitel 2 eingebracht wurden. Durch deren Lektüre kann evtl. mancher Aspekt, der bereits in den grundlegenden Darstellun­gen in Band 1 oder auch im Zusammenhang mit dem einen oder anderen Lehrbuch-Zitat angesprochen wurde, noch einmal unter einem anderen Blickwinkel erläutert und vertieft werden.

 

 


1.1.2 Hinweise zu redaktionellen Gesichtspunkten

 

Im Wesentlichen werden ausführliche Zitate aus den ausgewerteten Büchern und Mate­rialien, vor allem aus Schul-Lehrbüchern, wiedergegeben und sparsam kommentiert.

 

(Quelle: XY Namen, Titel, Verlag, Jahr…)

 

Zitate aus Lehrbüchern und anderen Quellen sind in solchen „Kästen“ dargestellt.
Zu Beginn jedes „Zitaten-Kastens“, also am oberen Rand, befindet sich die Quellenangabe (gleiche An­gaben wie im Gesamt-Verzeichnis aller verwendeten Quellen am Ende der Studie). Bei längeren Zitaten-Kästen wird die Quellenangabe noch einmal am Ende des Kastens wiederholt.

(Quelle: XY Namen, Titel, Verlag, Jahr…)

 

Der Leser soll – ohne die Original-Lehrbücher in der Hand zu haben – einen umfassen­den Eindruck davon erhalten, OB auf bestimmte Fragestellungen überhaupt eingegan­gen wird, WAS dazu gesagt wird und WIE es gesagt wird. Dabei sollen die Zitate weit­gehend für sich sprechen. Damit besteht die Chance, dass der Leser selbst an be­stimmten Textstellen oder Formulierungen hängen bleibt oder sich daran stößt.

 

Allerdings hat der Autor kommentierend in die Texte eingegriffen:
Wo es ihm wichtig erschien, etwas hervorzuheben, ist das durch Unterstreichungen geschehen.
Aus der Sicht des Autors diskussionsbedürftige oder bemerkenswerte Aussagen sind in manchen Fällen in Fußnoten
(z.B. 123) noch weiter kommentiert worden.

 

Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es wegen der Auswertung der Lehr­bücher unter verschiedenen Fragestellungen unvermeidlich ist, wenn dem Leser in we­nigen Fällen die gleichen Zitate oder Kommentare mehrmals an unterschiedlichen Stellen begegnen.

 

Aus den gesichteten Quellen wurden (nur) die für die Themenstellung wichtigen Text­stellen als Zitate in die vorliegende Studie übernommen. Die Auswahl der Texte erfolgte nach bestem Wissen und Gewissen. Dennoch sind möglicherweise wichtige Passagen übersehen worden, und auch Missverständnisse oder Fehlinterpretationen seitens des Autors sind nicht auszuschließen.

Wenn kritischen Lesern und Leserinnen Defizite und Fehler auffallen, so mögen sie bitte darauf hinweisen – die notwendigen Daten für die Erreichbarkeit des Autors finden Sie im Impressum auf der letzten Seite.

 


1.2 Zusammenstellung von wichtigen Gesichtspunkten
      und Erkenntnissen

 

1.2.1 Einige Erwartungen und Vorgaben für eine Begegnung
         zwischen Naturwissenschaft und Religion

 

Hier werden zunächst einige Erwartungen und „Spielregeln“ formuliert, die in der Be­gegnung von Naturwissenschaft und Religion beachtet werden sollten.
Ich orientiere mich dabei an einem Vorschlag von Dr. Hans W. Becker.

In der gesamten Thematik geht es um eine Positionsbestimmung von Naturwissenschaft und Religion jeweils für sich wie auch um die Begegnung zwischen ihnen, ihr Verhältnis zueinander.
In unserer säkularen Gesellschaft sind dafür Regeln zu finden, von denen einige mögliche in dem folgenden Kriterienkatalog zusammengestellt sind:

1.      Die beiden Kategorien - Naturwissenschaft und Religion - nähern sich auf unterschiedliche Weise an die Wirklichkeit der Welt an.
Sie sind selbstständig und agieren in erster Linie unabhängig voneinander, jede auf ihrem Territorium, jede mit ihren Maßstäben.

2.      Diese grundsätzliche Selbstständigkeit und Unabhängigkeit wird wechselseitig anerkannt.

3.      De facto muss man zur Kenntnis nehmen, dass Regel 2 längst nicht immer wechselseitig anerkannt ist. Extrempositionen machen das deutlich:
a)  Auf dem Gebiet der Naturwissenschaft(en) gibt es „Alleinvertreter“, die behaupten, Naturwissenschaft könne ALLES erkennen und erklären, religiöse Deutungen seien Unsinn und unnötig.
b)  Auf dem Gebiet der Religion(en) gibt es „Alleinvertreter“, die behaupten, Religion könne ALLES Wesentliche erklären, Naturwissenschaft müsse sich diesem Primat unterordnen oder Naturwissenschaft komme zu falschen Erklärungen / Erkenntnissen.

4.      Aus vielerlei Gründen kann-darf-muss man sich gegenseitig miteinander beschäftigen - etwa wenn es um Grenzfragen der Erkenntnis geht oder wenn die Nutzung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse ethische Fragen aufwirft.

5.      Bei der kritischen Beschäftigung mit der jeweils anderen Kategorie muss die Feststellung unter 3. (s.o.) beachtet und deutlich gemacht werden, von welcher „Spielart“ der anderen Kategorie man redet. Folgerichtig gilt dann:

6.      Wenn man sich mit der „Normalvariante“ der anderen Kategorie befasst, die die Regeln anerkennt, ist ein Hineinreden in die andere Kategorie oder gar Fundamentalkritk unzulässig.

7.      Wenn man sich mit den „Alleinvertretern“ der anderen Kategorie befasst, ist in dem Bereich, wo sie die Argumente der Gegenseite nicht verstehen, ignorieren oder diffamieren, selbstverständlich eine Stellungnahme und Auseinandersetzung zulässig, notwendig und wünschenswert.


1.2.2 Zu Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft
         und zu Wissenschaftstheorie

 

Das Denken gehört zu den
größten Vergnügungen der menschlichen Rasse

 

Die Wissenschaft kennt nur ein Gebot:
den wissenschaftlichen Beitrag


Unsere neue Kunst des Zweifelns
entzückte das große Publikum …


(Q44 Bertolt Brecht: Leben des Galilei, Reclam, Leipzig 1968, S.29,104,105)

 

Brecht beschreibt in seinem „Galilei“ in kaum zu überbietender Kürze und Prägnanz wesentliche Aspekte naturwissenschaftlichen Forschens.

1.      Neugierig zu sein, die uns umgebende Welt verstehen zu wollen und auch – wenigs­tens ein Stück weit – verstehen zu können, das sind großartige Begabungen, mit denen wir Menschen ausgestattet sind. Sie machen uns zu recht stolz, und gleich­zeitig mahnen sie zur Bescheidenheit: Unsere Welterkenntnis ist begrenzt auf die Mittel und Möglichkeiten unseres menschlichen Verstandes.

2.      Naturwissenschaft versucht, mit den Mitteln des menschlichen Verstandes und unter Beachtung der methodischen Vereinbarungen in ihrem Zuständigkeitsbereich (für die uns umgebende „fassbare“ Natur) immer bessere Erklärungen für Natur­vor­gänge zu finden. Sie ist dabei allein an ihre eigenen „Spielregeln“ gebunden und soll sich freihalten: sowohl gegenüber der Bevormundung von „außen“ (Welt­an­schauun­gen, Interessen, Macht, Geld …) wie auch von der Versuchung, All-Erklä­rungs­ansprüche für die ganze Wirklichkeit der Welt zu erheben und Allmachtsphantasien zu erliegen. Dass es nur um den „wissenschaftlichen Beitrag“ geht, deutet aber auch eine andere Gefahr an. Das Forschen allein um des For­schens willen kann die Wis­senschaft im „Elfenbeinturm“ der vermeintlich zweck­freien Grundlagenerkenntnis gefangen nehmen: soziale oder ökologische, ethisch zu verantwortende Neben- und Folgewirkungen werden ausgeblendet und ver­drängt.

3.      Brecht nennt die Arbeitsweise der Naturwissenschaft „Kunst des Zweifelns“. Naturwis­senschaft ist eine Kunst in dem Sinne, dass Begabung und Disziplin im Be­herrschen der handwerklichen Fähigkeiten und in der Einhaltung der vereinbarten „Spielregeln“ (naturwissenschaftliche Methode) wichtige Eigenschaften eines guten Naturforschers sind. Und das Bezweifeln, einmal von überkommenen Überzeugun­gen, aber auch das ständige Infragestellen der eigenen Ansichten, gehört zum Grundansatz auf dem Weg des naturwissenschaftlichen Suchens nach Wahrheit, der nie zu Ende ist.

 


1.2.2.1 Fortschritt durch Naturwissenschaft:

            in der Erkenntnis der Welt
            und in der Anwendung von Technik

 

„Wir verdanken unseren Wohlstand der Entscheidung, Wissenschaft zu betreiben.“

 

(Ernst Peter Fischer, Wissenschaftshistoriker)
(bild der wissenschaft 11-2008 S.10)

 

Angetrieben von seiner unstillbaren Neugier gewinnt der Mensch durch die Anwendung naturwissenschaftlicher Methoden Einsichten darüber, wie die Welt, in der er lebt, auf­gebaut ist und wie sie funktioniert.

In den vergangenen Jahrhunderten sind hier immer mehr Befunde zusammengetragen worden, die ein immer besseres Verständnis der Welt ermöglicht haben. Und die An­wendung dieser Erkenntnisse in Gestalt von Technik hat dem Menschen neue Möglich­keiten eröffnet, sich „die Erde untertan zu machen“ (Bibel, 1. Buch Mose 1,28), die Welt umzugestalten und zu nutzen. Dadurch ist viel tatsächlicher und segensreicher Fort­schritt möglich geworden. Dass heute – eingeschränkt gilt das derzeit leider längst nicht für alle Menschen auf diesem Planeten – Maschinen die körperliche Arbeit erleichtern, Mobilität per Auto und Flugzeug die ganze Welt erreichbar gemacht hat, medizinischer Fortschritt (Operationstechniken, Medikamente) Krankheit und Leid in vielen Fällen hat zurückdrängen können, dass die Nahrungsversorgung (dank Züchtung und Einsatz von Chemikalien und Technik zur Bodenbearbeitung) dauerhaft und zuverlässig gewähr­leistet ist – all das verdanken wir der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung in früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten. Und dass Technik der unterschiedlichsten Art in der Regel zuverlässig funktioniert, ist Ausdruck davon, dass die hier zugrunde lie­genden Einsichten nicht völlig falsch sein können, sondern offenbar eine recht gute An­näherung an die „wirklichen“ (objektiven) Zusammenhänge der Welt darstellen. Auch scheinbar exotische und realitätsferne Naturwissenschaft, die für viele Zeitgenossen weit weg zu sein scheint von ihrem Alltag, prägt diesen inzwischen auf Schritt und Tritt:

 

(Quelle: Q65 Bild der Wissenschaft, Heft 12-2003 S.40)

 

 

Ohne die Maxwellschen Gleichungen der Elektrodynamik hätten wir weder Radio- noch Röntgengeräte, ohne Albert Einsteins Relativitätstheorie weder GPS noch Satelliten-Wetterbilder, und ohne die Schrödin­ger- und Dirac-Gleichung in der Quantenmechanik weder CD-Spieler noch Kernspin- und Positronen-Emissions-Tomografie zur Diagnose von Erkrankungen und zur Abbildung von Hirnaktivitäten. ...

 

Wenn in dieser Studie besonders das „Hypothetische“ und „Theoretische“ in der natur­wissenschaftlichen Erkenntnis thematisiert wird, muss klar sein, dass viele Theorien offenkundig eine recht gute Annäherung an die wirklichen Verhältnisse in der Welt dar­stellen und sie zutreffend beschreiben. Das betrifft vor allem die Wissenschaft, die sich mit regelmäßig ablaufenden, sich ständig wiederholenden Naturvorgängen be­schäftigt oder mit reproduzierbaren und wiederholbaren Experimenten, die eine stän­dige kriti­sche Überprüfung von Hypothesen möglich machen. Deutlich spekulativer und theoreti­scher ist der Gehalt von naturwissenschaftlichen Aussagen zu Fragen, die Grenzsitua­tionen betreffen, z.B. sich mit Ereignissen beschäftigen, die zeitlich oder räumlich ex­trem weit entfernt sind vom normalen irdischen Alltag, oder die evtl. nur einmal in der Geschichte aufgetreten sind, (z.B. Singularitäten wie der Urknall, das Auftreten von ersten Lebensformen oder das Auftauchen von menschlichem Bewusst­sein).
In der Wissenschaftsgeschichte hat sich gezeigt, dass in vielen Fällen eine neue, um­fassendere Theorie die bisherigen Erklärungen nicht überflüssig macht und ersetzt, sondern dass die alte Theorie mit begrenztem Geltungsbereich in der neuen Theorie weiter enthalten ist. So werden heute noch die Bahnberechnungen für Satelliten in erd­nahen Umlaufbahnen nach Newtonschen und Keplerschen physikalischen Gesetzen durchgeführt, die für diese Verhältnisse zuverlässige Ergebnisse erbringen; die Erweite­rungen der Einsteinschen Relativitätstheorie wirken sich erst in wirklich kosmischen Di­mensionen (Massen, Zeiträume, Entfernungen) aus.

 

Diese Würdigung von Naturwissenschaft wurde hier vorangestellt, um wenigstens et­was Balance herzustellen zum folgenden Kapitel, in dem über-deutlich auf die (Er­kenntnis-) Grenzen der Naturwissenschaft eingegangen wird. All das dort Gesagte schließt eben nicht aus, dass wir durch unsere der Natur abgelauschten Erkenntnisse (Anwendung der Naturgesetze) – auch wenn sie nur eine Annäherung an die Wirklich­keit darstellen – die Welt äußerst erfolgreich beschreiben, erklären, prognostizieren und verändern. Dass Technik in unserer Alltagspraxis in der Regel recht zuverlässig funktio­niert, ist Ausdruck der erreichten Leistungsfähigkeit von „Theorien“.

 

Manchmal begegnet heute eine pauschale kritische Bewertung von Naturwissenschaft und Technik – gerade auch unter christlichem Vorzeichen.
Beide werden unter Generalverdacht gestellt, eigentlich nur Schlechtes und Problemati­sches in die Welt gebracht zu haben. Man denkt da an Klone, an Atomkraftwerke, an Umweltbelastungen oder auch an „Gefälligkeitsgutachten“ (und dazu ist ja auch kriti­sches zu sagen!) - aber man vergisst elektrischen Strom und Herzschrittmacher und Insulin und die vielen verantwortungsbewusst tätigen Forscher. In falschen Alternativen wird „künstlich“ gegen „natürlich“ gestellt, werden vermeintliche Heilswege gegen Katastrophen-Szenarien gestellt, gelten „Eingriffe in die Schöpfung“ als grundsätzlich verboten 

Dabei geht es aber meist vorrangig gar nicht um naturwissenschaftliche Grundlagen­forschung als das Suchen nach Erkenntnis, sondern im Fokus stehen vor allem ethi­sche Fragen der technischen Anwendung von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, bei denen dann aber auch weitere menschliche Eigenschaften, Motive und Interessen eine Rolle spielen (Geld, Macht, Ehrgeiz).


1.2.2.2 Erkenntniswege und Erkenntnisgrenzen
            der Naturwissenschaft

 

Im Folgenden sollen zunächst einige grundsätzliche Einsichten zur Arbeitsweise der Naturwissenschaft und zur Reichweite ihrer Erkenntnis zusammengestellt werden. Viele Feststellungen sind dabei aus den ausgewerteten Schullehrbüchern und den anderen aufgeführten Quellen entnommen.

 

Naturwissenschaft hat mit ihrem Suchen und Fragen in den letzten Jahrhunderten beein­druckende Erfolge ge­feiert. Sie hat versucht, in immer neuen Anläufen den mate­riellen Aufbau der Welt und das Funktionieren ih­rer Teile zu erklä­ren, und das Publikum hat die­sen Prozess mit Staunen, Faszination oder auch Verwirrung beglei­tet. Zum an­deren ist es der Naturwissenschaft in ihrer praktischen Umsetzung, in Gestalt der Tech­nik, gelungen, die Welt für den Men­schen in Besitz zu nehmen und diese - oft erfolg­reich, manchmal aber auch mit zwiespältigem Er­gebnis - zu verändern.

Die Erfolge (und Folgen) der Naturwissenschaft sind gewaltig und (ver-)führen viele Zeitge­nossen zu einer regel­rechten Wissenschafts-Gläubigkeit. Gerade für Men­schen, die mit Gott nichts (mehr) anfangen können, sind die mo­derne Na­turwissen­schaft und Medizin („Halbgötter in Weiß“) an seine Stelle getreten. Wo man früher von Gott er­hoffte und er­wartete, dass er die Probleme dieser Welt (auf-)lösen und Not und Leid heilen werde, da wer­den heute über­mächtige Erwartungen an die Naturwis­senschaft herangetragen und von manchen ihrer Vertre­ter auch geschürt: Sie soll nicht nur alle Fragen beantworten, sie soll auch in eine lichte, sorgenfreie Zukunft, in eine heile Welt führen. Und manche Naturwissenschaftler nehmen diese Rolle offensiv an:

 

„Ich will die Welt retten.“

Craig J. Venter; Biochemiker,

(maßgeblich beteiligt an der Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes)

 

Auch wenn Naturwissenschaft von vielen Menschen als allmächtig bestaunt oder be­argwöhnt wird, ist ganz deut­lich zu sagen:
Naturwissenschaft ist weder allwissend noch ist sie allmächtig!
Gute Naturwissen­schaftler haben zu allen Zeiten gewusst, dass sie „kleine Brötchen backen“, dass sie nur zu vorläufig gültigen Einsichten kommen, dass sie nicht für die ganze Wirklichkeit der Welt zuständig sind, und dass sie nicht auf ALLE Fragen eine Antwort ge­ben können (und müssen).

Hier sei beispielhaft auf Aussagen von Darwin und Haeckel verwiesen, die das für ihre Arbeit selbstkritisch, fast schon ironisch reflektiert haben:

 

(Quelle: Q7 Darwin, Ch.: Die Abstammung des Menschen und die Zuchtwahl in geschlechtlicher Beziehung, Reclam, Leipzig o.J., Bd. II, S.409)

 

Charles Darwin:
Manche der vorgebrachten Ansichten sind höchst spekulativer Art und einige werden sich sicherlich als irrig erweisen; aber ich habe in allen Fällen die Gründe angeführt, welche mich mehr zu der einen oder der anderen Ansicht veranlassten. ... unrichtige Ansichten, die einigermaßen von Beweisen unterstützt werden, können nur wenig schaden, denn jedermann findet ein heilsames Vergnügen darin, ihre Unrich­tigkeit zu erproben. Und ist dies geschehen, so wird dadurch der Weg zum Irrtume verlegt und oft auch gleichzeitig ein Weg zur Wahrheit geöffnet.


 

(Quelle: Q17 Haeckel, E.: Die Welträtsel, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart, 1899, S.120)

 

 

Ernst Haeckel:
… das Wissen bleibt immer lückenhaft und unbefriedigend, wenn nicht die Phantasie die ungenügende Kombinationskraft des erkennenden Verstandes ergänzt und... entfernt liegende Erkenntnisse zu einem zusammenhängenden Ganzen verknüpft. Dabei entstehen neue allgemeine Vorstellungs­gebilde, welche erst die wahrgenommenen Tatsachen erklären und das „Kausalitäts-Bedürfnis der Vernunft befriedigen.“ Die Vorstellungen, welche die Lücken des Wissens ausfüllen oder an dessen Stelle treten, kann man im weiteren Sinne als „Glauben“ bezeichnen ... Indessen dürfen in der Wis­senschaft nur solche Hypothesen zugelassen werden, die innerhalb des menschlichen Erkenntnis-Vermögens liegen, und die nicht be­kannten Tatsachen widersprechen. ...
Die Erklärung einer größeren Reihe von zusammenhängenden Erscheinungen durch Annahme einer gemeinsamen Ursache nennen wir Theorie. Auch bei der Theorie, wie bei der Hypothese, ist der Glaube (im wissenschaftlichen Sinne!) unentbehrlich; denn auch hier ergänzt die dichtende Phantasie die Lücke, welche der Verstand in der Erkenntnis des Zusammenhangs der Dinge offen lässt. Die Theorie kann da­her immer nur als eine Annäherung an die Wahrheit betrachtet werden; es muss zugestanden werden, dass sie später durch eine andere, besser begründete Theorie verdrängt wer­den kann.

 

Naturwissenschaft zu betreiben ist eine bestimmte Art, sich mit der Wirklichkeit der Welt auseinanderzusetzen.
Dafür gibt es nicht nur klare Spielregeln (die naturwissen­schaftliche Methode), sondern diesem Zugang zur Welt sind auch Grenzen gesetzt
,
von denen hier einige benannt werden sollen.

·        Die Naturwissenschaft geht in ihrem Tun von Annahmen aus, de­ren Gül­tigkeit und Richtig­keit vor­ausgesetzt werden, die sich aber nicht be­weisen las­sen (Axiome):
So wird – ohne diese Annahme kann Na­turwissen­schaft einfach nicht sinnvoll ar­beiten – vorausgesetzt, dass die Naturge­setze zu allen Zeiten und an je­dem Punkt des Universums in gleicher Weise gelten - so, wie wir sie heute auf der Erde
(er-)kennen.
Oder es wird vorausgesetzt, dass der Kosmos „homogen und isotrop“ ist (d.h. dass Materie etwa gleich­mäßig ver­teilt ist und wir deshalb im uns zugänglichen Nah­bereich typi­sche Verhältnisse vor-finden).

·        Wir wissen nicht, ob im Universum nur die von uns bisher nach­gewiesenen Teilchen existieren. Derzeit ge­hen die meisten Astrophysi­ker davon aus, dass nur etwa 5 Prozent unseres Universums aus Stoff­lichkeiten be­stehen, die wir kennen, und dass 73% aus „dunkler Ener­gie“ und 22% aus „dunkler Materie“ bestehen („dunkel“ steht hier schlicht für das Nicht-Wissen).
Wir wissen auch nicht, ob unser Kosmos nur von den vier uns bekannten Kräften beherrscht wird (diese sind: die starke und die schwache Kraft oder Wechselwirkung im Bereich atoma­rer Dimensionen, die elektromagnetische Kraft und die Schwer­kraft) und ob diese in einer einheitlichen Theorie erklärt werden können.

·        Naturwissenschaft ist von ihrem Anspruch her der Versuch, die Welt mit den Mitteln des menschli­chen Verstandes zu erklären. Es ist sehr fraglich, ob die drei Pfund grauer Gehirnzellen, die unser Schädel ein­schließt, in der Lage sind, das ganze Universum mit der Fülle und Vielfalt seiner Er­scheinungen wahrzuneh­men, zu ver­stehen und umfassend zu erklären. In unseren naturwissen­schaftlichen, von Men­schen erdachten Modellen und Theorien wird die Natur überschaubar (gemacht). Wir wissen jedoch, dass die Struktur, die wir der Welt damit auferlegen, in den Grenzen unserer menschlichen Vorstellungskraft erfolgt und schon deshalb nicht voll­kommen ist.
Außerdem gehen immer subjektive Annahmen/Vorgaben schon in die Planung von Beobachtungen oder Versuchen mit ein. Ohne Beobachter „ist“ die Natur anders, als wenn der Naturwissenschaftler sie untersucht.

 

(Quelle: Q67 Die Bibel, erschlossen und kommentiert von H. Halbfas, Patmos 2001, S.29)

 

 

Werner Heisenberg:
„Der Gegenstand der Forschung ist nicht die Natur an sich, sondern die der menschlichen Fragestel­lung ausgesetzte Natur, und insofern begegnet der Mensch auch hier wieder sich selbst.“

 

(Quelle: Q76 Weber, Thomas P.: Darwin und die neuen Biowissenschaften, DuMont Köln, 2005, S.33)

 

 

Für Soziologen, Historiker, Anthropologen und Ethnologen beginnt das „Soziale“, sobald zwei oder mehr Menschen in Wechselwirkung stehen: Wissenschaft kann daher nicht anders als „sozial“ sein. Für Naturwissenschaftler ist das Soziale dagegen das Ungebändigte, Irrationale, das nie in das Hei­ligtum des Labors eindringen darf.

 

·        Arbeitsgegenstand der Naturwissen­schaft ist seit ihren Anfängen, was man se­hen und anfassen kann, was sich zählen, wiegen und messen lässt. Dabei ist es grund­sätzlich geblieben, auch wenn wir das Leis­tungsvermö­gen unserer Sinnesor­gane mit technischen Hilfsmitteln - z.B. beim Sehen mit Mik­roskopen oder Telesko­pen – deutlich ausweiten konnten. Wir wissen auf der einen Seite, dass das „Netz“, mit dem die Na­turwissenschaft das „Meer der Wirklichkeit“ durchfischt, viele inte­res­sante Funde erfasst und festgehalten hat. Aber manches, was auch zur Wirklichkeit gehört, schlüpft einfach durch die Maschen dieses Netzes, weil die vom Natur­wis­senschaftler gezielt gewählte Maschenweite nur bestimmte „Fische“ sucht und fest­hält.

(Quelle: Q26 Vollmer, G.: Biophilosophie, Reclam, Stuttgart, 1995, S.51)

 

 

Biologie als Naturwissenschaft schließt gewisse Fragen einfach aus, die anderswo gestellt werden. Fragen nach Daseinszielen, nach dem Sinn des Lebens, nach einem Weltenschöpfer oder Welten­lenker, nach Geltungsgründen oder moralischen Rechtfertigungen werden in der Biologie nicht nur nicht beantwortet: Sie werden gar nicht erst gestellt, nicht einmal zugelassen. Als legitim gelten in­nerhalb der Erfahrungswissenschaften nur Fragen, die Tatsachen betreffen und die im Rahmen er­fahrungswissenschaftlicher Methoden wenigstens prinzipiell Aussicht auf Beantwortung haben.

 

Für die Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaften gilt allgemein und ganz grundsätzlich:

Naturwissenschaftliche Erkenntnis führt nicht zu endgültigen Wahrheiten.
Das Wissen bleibt immer unvollkommen, ist vorläufig und ist verbesserungs­bedürftig.
Die Ergebnisse sind Modelle, Hypothesen, Theorien
.

Das schließt nicht aus, dass wir durch unsere der Natur abgelauschten Erkenntnisse (Anwendung der Naturgesetze) – auch wenn sie nur eine Annäherung an die Wirklich­keit darstellen – die Welt äußerst erfolgreich beschreiben, erklären, prognostizieren und verändern. Dass Technik in unserer Alltagspraxis in der Regel recht zuverlässig funktio­niert, ist Ausdruck der erreichten Leistungsfähigkeit von „Theorien“:

 

(Quelle: Q26 Vollmer, G.: Biophilosophie, Reclam, Stuttgart, 1995, S.38,100,111)

 

 

Die Wissenschaftstheorie hat zu interessanten Ergebnissen geführt … Eines ihrer Hauptergebnisse ist die Einsicht in den vorläufigen, hypothetischen oder Vermutungscharakter allen Tatsachenwissens, auch der wissenschaftlichen Erkenntnis
Die realen Objekte werden – durch Licht, Schallwellen, chemische Substanzen, Wärmestrahlung oder Gravitationsfelder – projiziert auf unsere Sinnesorgane, die meist auf der Körperoberfläche liegen. Auch technische Geräte, Beobachtungs- und Messinstrumente, Fernrohre, Mikrophone, Thermometer, Kom­pass oder Geigerzähler, dienen lediglich der Verbreiterung dieses Projektions-„Schirmes“, der Überset­zung von Projektionssignalen in solche, die unser natürlicher Apparat verarbeiten kann. …
Notwendige Merkmale einer guten erfahrungswissenschaftlichen Theorie sind Zirkelfreiheit, Wider­spruchsfreiheit, Erklärungswert, Prüfbarkeit und Testerfolg; wünschbar sind darüber hinaus: Einfachheit, Anschaulichkeit, Breite, Tiefe, Lückenlosigkeit, Präzision, Axiomatisierbarkeit, Anwendbarkeit ...
Alle diese Kriterien reichen zwar nicht aus, die einst erträumte Sicherheit wissenschaftlicher Erkenntnis wiederherzustellen; sie können aber doch dazu dienen, wissenschaftliche Hypothesen als zulässig und bewährt, sogar als zuverlässig oder vertrauenswürdig auszuzeichnen. …

Alles Tatsachenwissen ist hypothetisch

Allerdings sollte man aus dieser Einsicht nicht den Schluss ziehen, wissenschaftliche Erkenntnis sei, weil nicht sicher, im Grunde nur spekulativ und darum wertlos. Zwischen Sicherheit und bloßer Spekulation liegt ein weites Spektrum

 

In der Umgangssprache hat der Begriff „Theorie“ lediglich den Stellenwert einer bisher unbewiesenen, der Bestätigung harrenden Annahme. Es wird unterstellt, dass erst diese Bestätigung sie in den Rang einer endgültig gesicherten „Tatsache“ erhebe. Diese Ansicht ist schlicht falsch: Eine wissenschaftliche Theorie ist weit höherrangig als eine Tatsache. Eine Theorie nimmt Tatsachen nicht nur zur Kenntnis, sie erklärt Tatsachen, indem sie diese in größere Zusammenhänge einordnet und zu anderen Tatsachen und Gesetzmäßigkeiten in Beziehung setzt.

 

(Quelle: Q82 Carroll, S.B.: Die Darwin-DNA, Wie die neueste Forschung die Evolutionstheorie bestätigt, S.Fischer Verlag, Frankfurt/Main, 2008, S.252f.)


Die Nationale Wissenschaftsakademie der Vereinigten Staaten definiert eine wissenschaftliche Theorie als „gut belegte Erklärung für einen Aspekt der Natur, die Tatsachen, Gesetzmäßigkeiten, Schlussfolgerungen und überprüfte Hypothesen beinhalten kann.“ Wenn Wissenschaftler von der Evolutions„theorie“ sprechen, relativieren sie damit also nicht ihre Unterstützung oder ihr Vertrauen … sondern sie richten sich nur nach der fachlichen Definition …
Den Unterschied formulierte Papst Johannes Paul II. im Zusammenhang mit der Evolutionstheorie in einer Aussage, die 1996 in L´Osservatore Romano erschien:
„Neue Befunde haben zu der Erkenntnis geführt, dass Evolution mehr ist als nur eine Hypothese. Es ist in der Tat bemerkenswert, dass diese Theorie nach einer Reihe von Entdeckungen auf verschiedenen Wissenschaftsfeldern von den Forschern zunehmend anerkannt wird. Das weder angestrebte noch künstlich herbeigeführte Zusammentreffen der Ergebnisse von Arbeiten, die unabhängig voneinander durchgeführt wurden, ist schon allein ein bedeutsames Argument zugunsten dieser Theorie.“

 

Hinsichtlich der vorstehend benannten grundsätzlichen Vorläufigkeit und Unsicherheit naturwissenschaftlicher Erkenntnisse ist sicher auch die Unterscheidung hilfreich zwischen
A) „Präsenz-Wissenschaft“, die sich mit dem HIER und HEUTE befasst, in der man aktuelle Naturvorgänge wiederholt beobachten oder im Experiment nachbilden kann,
B) „Fernziel-Wissenschaft“, die sich mit Vorgängen auseinandersetzt, die zeitlich oder räumlich weit entfernt stattgefunden haben (Vergangenheit) oder noch bevorstehen (Zukunft), und
C) Naturwissenschaft, die sich mit einmaligen „singulären“ Ereignissen beschäftigt (Beginn des Universums im „Urknall“, Übergang von unbelebter Materie zu „Leben“, Auftauchen von Selbst-Bewusstsein beim Menschen) oder die es mit einmaligen und nicht wiederholbaren in der Geschichte der Natur abgelaufenen Prozessen zu tun hat (z.B. Evolution).

Und dass in vielen Fällen eine neue, umfassendere Theorie nicht die alten Vorstellun­gen einfach ersetzt, sondern sie als Grenzfall weiter mit enthält (so bleibt z.B. die Newtonsche Himmelsmechanik als weiter gültige Beschreibung für Satellitenbahnen in Geltung, wird jedoch für wahrhaft kosmische Dimensionen um die zusätzlichen Aspekte der Relativitätstheorie erweitert), ist ein starkes Argument für die Verlässlichkeit der naturwissenschaftlichen Methodik und ihrer Ergebnisse

 

Eine letzte Einsicht sei noch genannt:
Aus naturwissenschaftlichen Erkenntnissen kann und darf man keine welt­anschaulichen Deutungen herleiten oder sie damit begründen.
Aus den Erkenntnissen der Biologie oder Physik erge­ben sich keine zwin­genden, „wissenschaft­lich begründeten“ Schlussfolgerungen über den Sinn und das Ziel des menschlichen Daseins oder ethische Kriterien für menschliches Handeln. Diese Be­schränkung gilt für philosophierende Physiker und Biologen generell, unabhängig da­von, ob ihre Äußerungen mir genehm sind (meine Weltsicht bestätigen) oder nicht. Auch Nobelpreisträger äußern sich in phi­losophischen Fragen nur als nachdenkliche Menschen und können ihrer (privaten) Weltdeutung nicht mit der Autorität ihrer natur­wissenschaftlichen Ver­dienste größeres Gewicht verleihen.

 

 

1.2.2.3 Eindeutige Begriffe und Beschreibungen

 

Um naturwissenschaftliche Zusammenhänge oder philosophisch-religiöse Überlegun­gen verständlich kommunizieren zu können, ist es notwendig, sowohl Begriffe genau zu (er-)klären wie auch eindeutige Beschreibungen vorzunehmen.

 

(Quelle: Q46 EKD-Texte 94: Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule; eine Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2008, S.11)

 

 

Ein angemessener Umgang mit Schöpfungsglauben und Evolutionstheorie setzt Einsichten in erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Zusammenhänge vorausAls besonders klärungsbedürftig müssen da­bei häufig von populären Missverständnissen begleitete Begriffe wie „Tatsache“, „Beweis“ und „Wider­le­gung“ (Verifikation und Falsifikation), „Hypothese“, „Theorie“, „Erkenntnisfortschritt“ usw. gelten.

 

Programmatisch wird das z.B. im Lehrplan des Freistaates Sachsen für das Fach RELIGION - in einer sehr anspruchvollen Auflistung von Stichworten - aufgenommen.

 

(Quelle: Lehrplan des Freistaates Sachsen 2004, Fach Evangelische Religion, Gymnasium, Jahrgangsstufe 11 – Leistungskurs, S.41)

 

 

Lernbereich 1: Religion und Wirklichkeit


Kennen des Verhältnisses von Wissenschaft und Religion …
Begriffsklärungen:
Wissenschaft, Religion

Vernunft und Offenbarung

Theologie als Wissenschaft

Verhältnis Theologie und Naturwissenschaft

Wirklichkeit, Richtigkeit, Wahrheit und Perspektivität

Wahrheitstheorien: …

Wissenschafts- und Erkenntnistheorie …

Welterklärung durch Mythos und Logos …
Physik, Metaphysik, Religion in der Antike

Dominanz der Theologie im Mittelalter

Wissenschaftsfeindlichkeit der Kirche

Kirchen- und Religionsfeindlichkeit der Wissenschaft

Nominalismus, Aufklärung …
Glaubensbekenntnisse moderner Naturwissenschaftler …

Pro- und Kontra-Diskussion

(Verweis auf: Interdisziplinarität und Mehrperspektivität; Reflexion und Diskursfähigkeit)

 

Aber warum geschieht das nur im Fach Religion? In den Lehrplänen für Naturwissen­schaften wird eine ähnliche Zielstellung nicht explizit aufgeführt.
Können Religionslehrer das wirklich allein „schultern“, auch von der naturwissen­schaft­lichen Seite her kompetent abdecken?
Und warum ist ein solches anspruchs­volles Programm auch hier nur für den Leistungs­kurs vorgesehen und nicht für alle Schüler verbindlich?

 

 

 

An einigen Begriffen und Aussagen aus dem Bereich der Evolutionsbiologie soll erläu­tert werden, wie deutungsbedürftig schon die Verwendung scheinbar allgemeinver­ständlicher Begriffe sein kann:

Beispiel A) „EVOLUTION“

A1) Der Begriff Evolution wird vom lat. evolvere abgeleitet. Dazu schlagen Wörter­bücher als Übersetzung z.B. vor: hervorwälzen, heraushelfen, hinaustreiben, auseinan­derwickeln, (Bücherrollen) aufschlagen.
Hier wird vom Wortsinne her intendiert: Da ist schon etwas da, war schon immer vor­handen, das nur noch in die Welt eintreten muss. Dieses Verständnis widerspricht aber der Sichtweise der Biologie, derzufolge Lebewesen keinen Plan in sich tragen, Evolu­tion nicht auf ein vorgegebenes Ziel zusteuert.

A2) Der Begriff Evolution sollte nur für die Beschreibung von Entwicklung in der Biologie verwendet werden, da nur hier Faktoren und Mechanismen wie Mutation, Selektion, Einnischung, Doppelfunktionen, Isolation usw. sinnvoll zugeordnet werden können. Im Gegensatz dazu wird aber geradezu inflationär auch von kosmischer, galaktischer, chemischer, molekularer, psychologischer psychosozialer, kultureller und wirtschaftli­cher Evolution gesprochen. Dort wirken aber ganz andere Mechanismen als im Bereich der Lebewesen.
Das kosmische Geschehen, das Werden und Vergehen von Sternen oder Galaxien, wird ausschließlich von physikalischen Naturgesetzen bestimmt. Hier hat man es mit relativ einfa­chen und gleichartigen Objekten zu tun. Deren Entwicklung läuft berechenbar-determi­nistisch ab, auch ihre Zukunft ist klar berechenbar.
Dagegen stellt jedes biologi­sche Lebewesen letztlich ein Unikat, ein so nicht wiederkehrendes Individuum, dar. Und sein Schicksal, wie auch die zukünftige Entwicklung des Lebens auf der Erde, ist offen, gewinnt erst endgültig Gestalt im Wech­selspiel von „Zufall und Notwendigkeit“.
In der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft wirken natürliche Evolutionsfaktoren und –mechanismen nur noch sehr begrenzt. Längst greift der Mensch selbst regulierend in Naturvorgänge ein, steuert seine eigene Fortpflanzung, verhindert die natürliche Selektion von krankem oder be­hindertem Leben.

A3) Es sei weiterhin verwiesen auf die Mehrdeutigkeit des Begriffes „Evolution“ auch im engeren biologischen Sinne. Im einfachsten Fall versteht man darunter die Beobach­tung von Veränderungen, dass nämlich Lebewesen in der Erdgeschichte nicht immer in den gleichen Formen aufgetreten sind. Manche Arten sind schon vor langer Zeit ver­schwunden, neue Arten sind im Laufe der Erdgeschichte neu aufgetaucht. Leben hat sich demnach in einem geschichtlichen Prozess verändert (= entwickelt).
Die Abstammungsforschung versucht diesen Prozess zu rekonstruieren (durch Aus­wertung von Fossilfunden wie auch durch molekularbiologischen Vergleich von Erb­anlagen heute lebender Organismen).
Eine noch einmal ganz andere Aufgabe besteht darin, Evolutions-Theorien aufzustel­len, die erklären können, welche Ursachen die Veränderungen bewirkt haben.

 

Beispiel B) „SELEKTION“

Als Synonyme werden hier z.B. angegeben: Auswahl, Zuchtwahl
(engl. to select = auswählen, aussuchen).

Der Begriff Selektion kann falsche Assoziationen wecken, die den wirklich in der Natur stattfindenden Vorgängen nicht gerecht werden.

Die Auswahl, die ein Züchter vornimmt (und am Vorbild des Züchters orientierte sich Darwin bei seiner ur­sprünglichen Begriffswahl), setzt voraus, dass es einen Akteur, „jemanden“ gibt, der auswählt, und dass er das nach vorgegebenen Kriterien tut, auf ein bestimmtes (Zucht-)Ziel hin orientiert.

Nach den Vorstellungen der Evolutionstheorie hat aber die Entwicklung der Lebewesen kein Ziel - und sie kann und darf es auch nicht haben. Die Umwelt (Klima, Naturkatas­trophen, Einwirkung anderer Lebewesen), in der die Organismen (über-)leben müssen, ändert sich ständig, sodass eine endgültige perfekte Anpassung nicht möglich und auch nicht sinn­voll ist. Die Zukunft der Welt und der Lebewesen ereignet sich einfach und ist in ihren Anforderungen und Ergebnissen offen, nicht festgelegt.

 

Beispiel C) „ANPASSUNG“

(engl. to fit, fitness = Eignung, Zusammenpassen, übereinstimmen, „passen“)

In populärwissenschaftlichen Darstellungen zu Evolutionsvorgängen liest und hört man häufig Formulierungen, die sachlich nicht korrekt sind. Das soll an einigen Beispielen verdeutlich werden.
C1) „Die Lebewesen passen sich an“; „Lebewesen haben sich spezialisiert“

Eine aktive, zielgerichtete Anpassung von Organismen an neue Umwelt-Herausforde­rungen ist nicht möglich. Lebewesen können nicht – bei „Bedarf, unter dem Druck ihrer Umwelt - ihre (Erb-)Eigenschaften oder Verhaltensweisen ändern, zielgenau und mit der erforderlichen Geschwindigkeit.

Lebewesen können sich auch nicht vorausschauend auf neue Gegebenheiten einstel­len. Sie können nicht „ahnen“ oder gar „wissen“, welche Eigenschaften in der Zukunft „gebraucht werden“, morgen von Vorteil wären. Schon buchstäblich am nächsten Tag kann die (Um-)Welt (z.B. nach einer akuten Katastrophe) die Organismen vor völlig an­dere Herausforderungen stellen als heute, kann sie ganz andere Eigenschaften „beloh­nen“, und was eben noch „gut“ war, hat sich überlebt.
Es gibt stets nur – gewissermaßen als Glücksumstand für ein Lebewesen - das recht­zeitige Angepasst-Sein, dass es ihm seine derzeitigen (Erb-)Eigenschaften heute und in der gerade vorhandenen Umgebung ermöglichen, zu (über-)leben. Neue Eigenschaf­ten, die in einer sich verändernden Umwelt vorteilhaft sind, trägt das Lebewesen ent­weder schon in sich (z.B. als bisher nicht genutzte Möglichkeit in seinem Erbgut, oder durch eine völlig ungerichtet aufgetretene Mutation), oder es hat sie nicht, kann sie auch nicht erwerben, und es kommt dann in der veränderten Umwelt eben schlechter zurecht.

C2) „Die Lebewesen werden (durch Selektion) angepasst“

Die „Selektion“ ist kein Akteur, der wie ein Züchter Ziele hätte und der Lebewesen „pas­send“ machen könnte, indem er z.B. Erbeigenschaften gezielt verändert.
Die Verwendung des Begriffes „Selektion“ ist lediglich ein Erklärungsversuch dafür, um (nachträglich) verständlich zu machen, dass die Lebewesen statistisch die besten Überlebenschancen haben, die am besten für die gerade zur Verfügung stehende Um­welt geeignet (fit) sind.

C3) „Die Entwicklungsprozesse in der Natur führen zu immer besserer Anpas­sung“
Anpassung kann nie perfekt sein, weil die Umwelt, in der ein Organismus überleben können muss, morgen schon eine andere sein kann.
Und eine perfekte Anpassung könnte sich auch als gefährlich erweisen. Das ist dann der Fall, wenn eine Art von Lebewesen zwar ideale (Erb-)Eigenschaften für eine be­stimmte Lebenswelt besitzt, die vielleicht über lange Zeiträume stabile Umweltbedin­gungen geboten hat. Wenn sich dann aber die Anforderungen der Lebens-Umwelt (plötzlich) verändern, ist es für das Überleben der Art notwendig, dass wenigstens ein­zelne Individuen Variationen aufweisen (z.B. durch bereits vorhandene Mutationen), durch die sie auch in die neue Umwelt „passen“.

C4) „Der Mensch (oder irgendein anderes Lebewesen) ist die Krone der Schöpfung“

Alle Lebewesen, die wir heute in der Welt finden, sind das derzeit „Beste“, was die Welt zu bieten hat: Jede Art (über-)lebt in einer der vielen Nischen, die in der Natur bereit­stehen. Sie „passen“ dort – gemessen an möglichen Konkurrenten – derzeit am besten hinein.

C5) „Survival of the fittest“
(Überleben des Stärksten; besser: Überleben dessen, der am besten mit der Welt hier und heute zurechtkommt)

Es überlebt nicht immer der Schnellste, der Stärkste, sondern der, welcher die beste Anpassung an die gerade angebotene Umwelt schon mitbringt.
Die Welt kann man sich in diesem Zusammenhang wie ein Puzzle vorzustellen. Viele Steine liegen bereits vor, sind z.T. in festen Zusammenhängen aus der Vergangenheit miteinander verbunden. Ein Lebewesen, das in die vorhandene Welt eintritt, muss sich in die vorhandenen Möglichkeiten einfügen (können), muss in eine der vorhandenen Lücken im Puzzle „passen“. Entweder hat es also „Ausstülpungen“ oder „Einbuchtun­gen“, die sich gut in die bereits vorhandenen Strukturen (Klimabedingungen, Nahrungs­angebot, Feinde, Konkurrenten, Kooperationspartner) einfügen, oder es ist nicht geeig­net für diesen Lebensraum. Eine zusätzliche Herausforderung besteht nun darin, dass die anderen Puzzlesteine sich allmählich oder durch plötzliche Ereignisse (z.B. Natur­katastrophen) auch sehr schnell verändern (können). Da kann ein Puzzlestein, der gestern noch perfekt „gepasst“ hat, plötzlich keinen Halt mehr finden.

C6) „Ein Lebewesen hat sich durch Mimikri (Nachahmen der äußeren Merkmale eines anderen Lebewesens) „getarnt“, um zu überleben.“
Die Formulierung „um zu“ legt nahe, dass das Lebewesen aktiv und gezielt ein Ziel an­streben kann, was nicht der Fall ist. Ebenso problematisch ist die Formulierung, ein Le­bewesen habe eine Eigenschaft geändert, „damit“ es in der neuen Umgebung besser zurecht kommt.

C7) Angepasst-Sein
In diesem Verständnis stellt der Mechanismus des Angepasstseins in der Evolution ein spannendes Wechselspiel dar zwischen Beharrungsvermögen auf der einen Seite (Festhalten der Lebewesen an erprobten Baumustern und Verhaltensweisen, garantiert durch die Vererbung der Gene von Generation zu Generation) und „Neugier“ und Flexi­bilität auf der anderen Seite (Auftreten von neuen Erbeigenschaften in jeder Generation = Mutationen; oder das „Mitschleppen“ bisher nicht genutzter neuer Eigenschaften ge­wissermaßen „auf Verdacht“, „auf Vorrat“).


1.2.2.4 Wie erkenntnistheoretische Fragen
            in Schul-Lehrbüchern aufgenommen werden

 

„Daran erkenn ich den gelehrten Herrn!
Was ihr nicht tastet, steht euch meilenfern,
Was ihr nicht fasst, das fehlt euch ganz und gar,
Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr,
Was ihr nicht wägt, hat für euch kein Gewicht,
Was ihr nicht münzt, das, meint ihr, gelte nicht.“

(J.W.v.Goethe: Faust)

 

Zunächst sei ein Zitat aus einem Lehrbuch für die gymnasiale Oberstufe wiedergege­ben:

(Quelle: (B22 C.C.BUCHNER; Solbach, H.: Vita nova; Biologie für die Sekundarstufe II; Bamberg 2000, S.364f.)

 

 

45.4 Widersprüche und Schwächen der Evolutionstheorie …
Viele Erkenntnisse der Evolutionsforschung werden noch kontrovers diskutiert. Welches Fazit kann man am Ende dieses Kapitels ziehen? – Es ging nicht darum, Sie zu verunsichern und alles, was Sie bisher über Evolution erfahren haben, in Frage zu stellen. Festzuhalten ist aber, dass viele Bereiche der Evolutionsforschung kontrovers beurteilt werden. Für die Ursachen der Evolution gibt es z.B. bisher keine widerspruchsfreie, gültige Theorie. Es ist deshalb vernünftig, auch Erkenntnisse, die als gesichert gelten, mit Umsicht zu beurteilen und zu verwenden.

 

Dieses Lehrbuch, das zuvor selbst kritische Rückfragen zu den Grenzen naturwissen­schaft­licher Erkenntnis aufnimmt, beendet solche Überlegungen mit einer interessanten Erklärung, die wohl Schüler (und Lehrer?) beru­higen soll: Verunsicherung war nicht beabsichtigt!

Aber warum eigentlich diese Scheu? Ist nicht eine Wissenschaft, die ihre Lücken und Grenzen verschweigt und damit – für sich selbst und für Schüler - die Illusion umfas­sender Welt­erkenntnis aufbaut, eine viel problematischere Erfahrung?

Ein Lehrer-Handbuch für das Fach Religion erklärt nun genau dieses ständige Hinter­fragen wissenschaftlicher Theorien zur Aufgabe für Schüler.

 

(Quelle: R1 VANDENHOECK & RUPRECHT; Koretzki, G.-R., Tammeus, R. (Hg.): Werkbuch Religion – entdecken, verstehen, gestalten; Materialien für Lehrerinnen und Lehrer, Göttingen 2002, S.78)

 

 

Intentionen
Die Schüler sollen … das ständige Hinterfragen einer wissenschaftlichen Theorie als Notwendigkeit er­kennen und die Vorläufigkeit aller wissenschaftlichen Theoriebildung reflektieren

 

Auch in einer permanenten Haltung des „alles-ist-vorläufig“ liegt natürlich eine Gefahr: Dann muss ich das ja auch nicht ganz so ernst nehmen.
Schüler sollen ja aber durchaus im Unterricht die aktuell aus der Sicht der Naturwissen­schaft für richtig befundenen Sachverhalte erst einmal kennen-lernen, und sie sollen wissen, das vieles davon sich immer wieder bewährt und bestätigt hat.

Die im Folgenden dargestellten Erwartungen von Schülern und Lehrern an den natur­wissenschaftlichen Unterricht mögen überzeichnet sein:
Ich meine (und hoffe), neugierige Schüler besuchen den Unterricht in naturwissen­schaftlichen Fächern in der Erwartung, nun endlich zu erfahren, wie die Welt wirklich „ist“.
Sie möchten wissen, aus welchen Bausteinen die Natur aufgebaut ist, wie ihre einzel­nen Teile zueinander in Beziehung stehen, wie die Welt geworden ist, wie sie sich ver­ändert hat und wie sie sich verändert.

Der Lehrer soll ihnen die eine große Geschichte der Natur verständlich darbieten, auf­geteilt in viele kleine Geschichten - physikalische, chemische, biologische -, die alles griffig, verständlich und in endgültiger Gewissheit zusammenfassen.

Eindeutige Aussagen werden erwartet. Der Schüler möchte Tatsachen und Regeln mit­geteilt bekommen, die er auswendig lernen kann, möchte Formeln kennen-lernen, die den Lauf der Welt zuverlässig berechenbar machen.

Dieser Erwartungshaltung der Schüler entspricht ein Lehrerbild, in dem der Unterrich­tende ALLES weiß, den Schülern abfragbares, endgültig gesichertes WISSEN vermit­teln, immer klar zwischen RICHTIG und FALSCH unterscheiden kann.

Für beide Seiten könnte sich die Motivation vermindern und Verunsicherung könnte sich ausbreiten, wenn der Lehrer ständig an die Unsicherheiten wissenschaftlicher Erkennt­nis erinnern und seine Darstellungen im Konjunktiv vortragen würde. Warum sollte ein Schüler noch Merksätze und Formeln lernen, wenn doch alles Wissen nur vorläufig ist?

Man sollte also im Unterrichts-Alltag den Vorbehalt von der Vorläufigkeit aller wissen­schaftlichen Erkenntnis im Hinterkopf, aber nicht ständig vor Augen haben.

 

Auf den begrenzenden und begrenzten Möglichkeiten nicht nur der Naturwissenschaf­ten, sondern aller menschlichen Erkenntnis wird jedoch in einigen Schul-Lehrbüchern kaum eingegangen.
Manche Lehrbücher erwecken auch im Jahr 2008 den Eindruck, gesichertes Wissen zu vermitteln. Formulierungen in der Aussageform dominieren. Die Beweisführung erfolgt an einem Modell, auch dort, wo es mehrere konkurrierende gibt. Die geschicht­liche Entwicklung naturwissenschaftlicher Einsichten wird einlinig als gerader Weg von an­fänglichen Irrtümern hin zur „richtigen“ (damit auch als endgültig verstandenen) Er­kenntnis unserer Tage gezeichnet. In dieser vereinfachenden Weise sind die meisten Lehrbücher ge­schrieben, die Schüler bis zur 10. Klasse in die Hand bekommen (Sekundarstufe 1). Traut man Jugendlichen in diesem Alter (noch) nicht zu, sich in ei­ner Welt zurechtzufin­den, die wir Menschen nicht vollständig erkennen können, in der wir (manchmal / noch) keine (endgültigen) Antworten auf alle Fragen gefunden haben?
Auf der einen Seite ist natürlich der Einwand berechtigt, dass die hier zu behandelnden Sachverhalte für Schüler in der Sekundarstufe 1 wirklich noch zu komplex sind.
ABER: Schüler, die nach der Sekundarstufe 1 (10. Klasse) von der Schule abge­hen, oder solche, die Biologie und/oder Physik nach der 10. Klasse „abgewählt“ haben, erfahren unter Umständen nie mehr in ihrem Leben etwas darüber, wie wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen werden und wie sie zu interpretieren sind!

Manchmal werden in den naturwissenschaftlichen Lehrbüchern die bestehenden fach­lichen Unsicherheiten sprachlich deutlich ge­macht. Formulierungen im Konjunktiv zei­gen z.B. an, dass es sich um vorläufige Erkenntnisse (Ver­mutungen), um den derzeiti­gen Stand des Wissens handelt. Auch die Verwendung von Worten wie „glauben“, „möglich“, „Hinweise“, „versuchen“, „Indizien“, „manche“, „Fragezeichen“ usw. deuten auf ungelöste Fragen und / oder auf alternative Deutungsmöglichkeiten hin.

 

Lehrbücher für die gymnasiale Oberstufe (Sekundarstufe 2) gehen mit der Vorläufig­keit und grundsätzlichen Unsicherheit naturwissenschaftlicher Erkenntnis in der Regel deutlich differenzierter um. Sie zeigen den mühsamen Weg in der Geschichte der Na­turwissenschaften auf, der in vielen Fällen zu wirklichem (Erkenntnis-)Fortschritt ge­führt hat, aber immer auch gepflastert war mit Irrtümern und gegangen von (fehlbaren) Men­schen. Hier sind offenere Formulierungen zu lesen, die den Anspruch (das Miss­ver­ständnis) der Ausschließlichkeit und Endgültigkeit vermeiden, manchmal sogar ge­zielt abwehren.

Nur selten jedoch werden der Ansatz der Naturwissenschaften, ihre (methodische) Ar­beits­weise, ihre Erkenntnismöglichkeiten gezielt zum Thema gemacht, wird über die Grenzen menschlicher Erkenntnis grundsätzlich und systematisch reflektiert, wird Wissenschafts- und Erkenntnistheorie vermittelt.

Es gibt positive Ausnahmen, die in den folgenden Teilen dieser Untersuchung (v.a. Teile 2.1 bis 2.3) ausführlich vorgestellt werden.

Wenige Lehrbücher befassen sich ausführlich und in geschlossenen Darstellungen mit den eben angesprochenen erkenntnistheoretischen Fragestellungen.
Vorbildlich erscheint hier das Kapitel „Erkenntniswege der Biologie“, das auf acht Seiten in der Quelle

·        B32 SCHROEDEL; Linder Biologie, Lehrbuch für die Oberstufe, Braunschweig, 2005, S.541ff.


abgedruckt ist (Wiedergabe des vollständigen Textes siehe in Kapitel 2.1.2.2).

 

Weitere Lehrbücher, die ausführlicher auf Aspekte der Erkenntnistheorie und auf philo­sophische Fragestellungen eingehen, sind z.B.

 

·        P13 METZLER; Grehn, J. / Krause, J. (Hrsg.): Physik, Schroedel Verlag, Hannover, 1998, S.566ff.

·        P14 SCHROEDEL; Dorn / Bader: Physik Sek II; Schroedel, Hannover, 2000, S.S.424ff.

·        P16 WESTERMANN; Kuhn, Physik, Band 2 12/13; Braunschweig, 2004, S.512ff.

und

·        P21 PAETEC; Astronomie, Gymnasiale Oberstufe, Paetec, Berlin, 2001, S.5ff.+213ff.

 

Ausführliche Zitate aus den eben aufgeführten Büchern sind in den Teilbänden 2.1 und 2.2 dieser Studie nachzulesen.

 

 

Das andere Extrembeispiel sind Lehrbücher, die knappe Sätze enthalten, in denen eigentlich grundsätzlich die ganze moderne Erkenntnistheorie enthalten ist – bei denen aber zu klären wäre, WIE sie wirklich gemeint sind, und OB sich in dieser Kürze ihr vielleicht tiefer Inhalt für den Schüler tatsächlich erschließt.
Als Beispiel sei hier ein Satz angesprochen, der in der Quelle

 

·        B12 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie, Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin, 2005, S.502

 

steht:

 

„Eine heute anerkannte Theorie ist die Abstammungslehre.“


Man kann hier jedem einzelnen Wort Wichtiges unterstellen:

a) EINE (Theorie): Es gab / gibt demnach offensichtlich noch weitere Theorien als Er­klärungsversuche, die in Konkurrenz standen / stehen und gegeneinander abgewo­gen und bewertet werden können.

 

b) HEUTE (anerkannte Theorie): Sie spiegelt also den Stand des Wissens mit Datum von heute wider. Wie jede Theorie unterliegt sie der Prüfung und kann sich möglicher­weise verändern, vielleicht wird sie sich in Zukunft sogar als falsch erweisen, und sie wird durch eine andere bessere (und wieder nur HEUTE gültige vorläufige) Theorie er­setzt werden oder in einer umfassenderen Theorie als Spezialfall aufgehoben werden.

 

c) ANERKANNTE (Theorie): Neue Theorien (auch wenn sie einen Sachverhalt besser erklären können als bisherige Vorstellungen) müssen sich in der Wissenschafts­geschichte oft mühsam gegen die etablierten Vorstellungen durchsetzen. Erst wenn wichtige Vertreter einer Wissenschaft sich den neuen Gedanken öffnen oder wenn mit den Für-Wahr-Haltern und Bewahrern der althergebrachten Überzeugungen auch die alten Theorien „aussterben“, werden neue Theorien anerkannt. Aber auch eine breite Anerkennung durch die Fachwissenschaft bedeutet nicht die (endgültige, nicht mehr hinterfragbare) Richtigkeit einer Theorie: Mehrheiten müssen auch in der Naturwissen­schaft nicht recht haben!

 

d) THEORIE: Eine Theorie ist im modernen Verständnis ein in sich geschlossenes, widerspruchsfreies Gedankengebäude, das einen Teilaspekt der Wirklichkeit der Welt erklären kann. Theorien haben dabei ein deutlich höheres Gewicht als die Vermutun­gen, Hypothesen, die am Anfang wissenschaftlicher Erkenntnis stehen. Aber auch um­fassende Theorien bleiben Modellvorstellungen, die wir uns von der Welt machen, und sie sind nicht die endgültig verstandene Wirklichkeit selbst.

 

Aber ob der Autor den eben sezierten Satz selbst so komprimiert-tiefgründig gemeint hat und ob der Schüler beim Lesen merkt, was in der Aussage alles enthalten sein könnte?

 

Fazit:

In der Summe hat sich die Lektüre der Lehrbücher in Bezug auf eine differenzierte Wahrnehmung der Möglichkeiten und Grenzen naturwissenschaftlicher Erkenntnis doch als sehr ergiebig erwiesen. Für die Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaften ergibt sich in der Zusammen­schau einzelner (oft verstreuter) Zitate ein Gesamtbild, das letztlich alle Argumente, Prüf-Kriterien und Erkenntnisse enthält, mit denen die moderne Erkenntnistheorie arbeitet.

 

1.2.2.5 Horizonterweiterung: Verweis auf weitere Quellen mit
            Hintergrundinformationen zur Wissenschaftstheorie

Ergänzende Ausführungen zu wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Fragen aus vielen weiteren Quellen sind im „Originalton“ als Zitate in Teilband 4 wiedergegeben.


1.2.3    Die Begegnung mit der Vielfalt der Religionen,
            Bibelverständnisse und Schöpfungsvorstellungen

 

 

1.2.3.1 Zum Begriff „Religion“

 

(Quelle: B12 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie, Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin, 2005, S.511)

 

 

Sind Evolutionsforschung und Religion vereinbar?

 

Die Frage, ob „Evolutionsforschung und Religion vereinbar“ sind, wird in diesem Lehr­buch gleich zu Anfang des entsprechenden Kapitels und damit programmatisch gestellt. Die weiteren Darstellungen sollen darauf offenbar eine Antwort geben.
Es ist festzustellen, dass eine Darstellung und Auseinandersetzung im weiteren Lehr­buch-Text aber nur zu bestimmten Schöpfungsvorstellungen der jüdisch-christlichen Bibel stattfindet.

Der in der zitierten Quelle verwendete Begriff „Religion“ hat aber eine viel weiter rei­chende Bedeutung.

Es gab und gibt viele Formen von Religiosität, die sich in ganz unterschiedlicher Weise zeigen und äußern.
Es geht bei Religionen nicht nur um das Verständnis bestimmter Aussagen in Heiligen Schriften (z.B. der jüdisch-christlichen Bibel), was meist vorrangig im Blick ist.

Religiosität kann sich z.B. auch in Traditionen zeigen (z.B. Brauchtum).

Zu Religionen können ganz unterschiedliche Heilslehren, Symbolsysteme, Kulte und Rituale gehören.
Religion (Religiosität) muss auch überhaupt nicht an die Zugehörigkeit zu einer insti­tutionalisierten Glaubensgemeinschaft, z.B. eine Kirche, oder an Bekenntnisse bzw. Dogmen gebunden sein.

Weiterhin gibt es große Weltreligionen, die überhaupt keinen Gott kennen (! - etwa der Buddhismus), bei denen die Welt keinen Anfang hat und/oder deren Schöpfungsmythen ganz andere Akteure und Akzente enthalten als die christliche Überlieferung. Eine – formale – Konkurrenzsituation zu den Darstellungen der Evolutionstheorie muss sich hier also gar nicht zwingend ergeben.


1.2.3.2 Bibelverständnisse

 

Verschiedene Menschen können die gleichen Bibeltexte in ganz unterschiedlicher Weise lesen, verstehen und auslegen. Es gibt also nicht das eine, für alle Leser oder Hörer gleichermaßen einsichtige, allein gültige und richtige Bibelverständnis. Es gibt viele verschiedene Bibelverständnisse. Der Plural ist hier gezielt gewählt. Und er ist angemessen. Das ist für Außenstehende sicher verwirrend, und auch für manche Christen ist es eine überraschende Erfahrung, dass andere in diesen Texten ganz andere Entdeckungen machen. Diese Vielfalt kann schmerzen, sie kann aber auch als befreiend und bereichernd erfahren werden.

 

1.2.3.2.1 Wörtliches Bibelverständnis

 

Zu Anfang ein Bekenntnis, das mehr eine nüchterne Feststellung ist:
In meinem Lebensalltag lese und verstehe ich Texte nor­malerweise „wörtlich“, nämlich indem ich ihrem Wortlaut folge und vertraue!

Ein wörtliches Verständnis von Texten, die nicht erkennbar poetisch oder fiktiv sein sollen, ist nicht nur nahe liegend, sondern eigentlich im Alltag selbstverständlich.

Wenn Menschen einander etwas Wichtiges mitteilen, dann ist der Adressat gut beraten, sich an den Wortlaut zu halten. Er kann und muss davon ausgehen, dass er die Worte, die er hört oder liest, so ernst nehmen soll, wie sie dastehen: dass an dieser Stelle ein ganz bestimmter Ausdruck gewählt wurde, dass die Worte in einer beabsichtigten Rei­henfolge angeordnet sind, dass Namen von Personen und Orten, Zahlenangaben, ge­schilderte Geschehensabläufe usw. exakt wiedergegeben sind. Dass die Geschichten, die wir einander schon im normalen Alltag erzählen, nicht nur ernst gemeint sind, son­dern auch inhaltlich „stimmen“ (richtige Angaben machen), davon müssen wir ausge­hen. Was man in dieser Weise als wichtige Nachricht erfahren hat, wird man versuchen, in aller Verantwortung und Detailtreue aufzubewahren, und so auch anderen Menschen weiterzusagen, vielleicht über Generationen hinweg.
So gehe ich in meinem Alltag mit Texten um - ich lese und verstehe sie „wörtlich“.

Nun handelt es sich bei der Bibel um eine Sammlung von Texten, die zwei- bis dreitau­send Jahre alt sind. Aber sie liegen uns schriftlich fixiert vor, in Worten, die wir lesen können (in der Regel allerdings nur als Übersetzungen). Und so haben Menschen zu allen Zeiten immer wieder auch diese Texte ganz alltags-normal und unkritisch auf­ge­schlagen und darin gelesen. Und sie haben sie wörtlich verstanden. Das, was sie da lasen, wurde nicht nur (in religiöser Überhöhung) als „wahr“, sondern auch (in seinen irdisch-sachlich-faktischen Angaben) als „richtig“ verstanden. Über viele Jahrhunderte ergaben sich dabei keinerlei Widersprüche zu den allgemein akzeptierten Weltvor­stellungen (was z.B. den zeitlichen Horizont der Erdgeschichte betraf oder die Alltags-Erfahrung einer grundsätzlich unveränderlichen Natur).

Auch heute noch lesen und verstehen viele Juden und Christen die Texte der Bibel als zeitlos gültige Botschaften, die sowohl „wahr“ als auch „richtig“ sind. Da es sich hier um heilige Texte in einer „heiligen Schrift“ (Bibel) handelt, die das Fundament ganzer Reli­gionsgemeinschaften darstellen, ist für sie das Vertrauen auf die Verlässlichkeit der übermittelten Geschehnisse und Fakten nicht nur notwendig, sondern erscheint noch viel bedeutsamer als bei anderen Texten. In dieser Sicht können und müssen biblische Texte auch von uns heute 1 zu 1 im Wortlaut verstanden werden. „Das steht doch ein­deutig so da“ - und warum sonst hätte die ganze religiöse Tradition so lange unverrück­bar an ihnen festhalten sollen?

So verständlich dieses Festhalten am ursprünglichen Wortlaut der Bibeltexte auch ist, es muss sich in unseren Tagen mit einigen Fragen auseinandersetzen:

Voraussetzung für eine ideale fehlerfreie Kommunikation, die über Texte stattfindet, ist natürlich, dass Autor und Leser die „gleiche Sprache“ sprechen, dass sie in der gleichen Zeit und in der gleichen Kultur zu Hause sind, damit ein unterschiedliches Verständnis von Vokabeln, Bildern oder Zusammenhängen (wenigstens weitgehend) ausgeschlos­sen werden kann. Dies ist aber beim Lesen und Verstehen biblischer Texte nicht gege­ben.

Zwischen der Entstehungszeit der Texte und uns liegt ein sehr langer Zeitraum. Im Laufe der vielen Jahrhunderte haben Begriffe ihre Bedeutung verändert, sind damals selbstverständliche Lebenszusammenhänge für uns kaum noch zu verstehen oder wer­den falsch zugeordnet. Natur wurde früher ganz anders erlebt und verstanden (hatte z.B. göttliche Attribute). Da helfen zum „wörtlichen“ Verständnis auch ausführliche Wörterbücher nur begrenzt. Wir haben damals nicht gelebt, und das eigentlich notwen­dige „Sich-Hineinversetzen“ in die Lebensumstände jener Zeit ist nur höchst unvoll­kommen zu leisten.

Man geht heute davon aus, dass viele Texte, die in der Bibel aufbewahrt sind (v.a. im Alten Testament), über mehrere Jahrhunderte ausschließlich mündlich überliefert wur­den, weitererzählt vom Vater auf den Sohn oder innerhalb der Priesterschaft. Solche mündliche Vermittlung kann auf der einen Seite über viele Generationen erstaunlich exakt sein. Aber die ursprüngliche Fassung der Texte verliert sich im Nebel der Ver­gangenheit. Auch die ältesten schriftlichen Aufzeichnungen sind in der Regel nicht er­halten. Das aber wäre ja der eigentliche Wortlaut, auf den man sich beziehen müsste. Die ältesten biblischen Texte liegen oft nur in Gestalt von Fragmenten vor („Schnipsel“, Text-Teile). In der Regel handelt es sich um Abschriften von Abschriften, die Jahrzehnte oder Jahrhunderte nach der Erstfassung erstellt wurden. Die Originale, an denen allein man die Texttreue überprüfen könnte, sind nicht erhalten. Und wo mehrere „Ur-Schrif­ten“ vergleichbaren Alters und vergleichbarer Qualität vorliegen, stehen – z.B. im Zu­sammenhang mit dem Lebensalter konkreter handelnder Personen – manchmal verwir­rend voneinander abweichende Angaben. Welche ist dann würdig, mit ihrem Wortlaut als Bezugsgröße zu dienen?

Ein erhebliches Problem ergibt sich für den „Normal-Christen“ daraus, dass er gar nicht in der Lage ist, frühe Originalquellen zu Rate zu ziehen. Die meisten Texte des Alten Testaments sind ursprünglich in hebräischer Sprache verfasst worden, die des Neuen Testaments in griechisch. Selbst wer des Hebräischen mächtig ist, hat massive Verste­hensprobleme, weil der Originaltext ohne Überschriften, ohne Punkt, Komma oder Fra­gezeichen geschrieben ist, keine Vokale enthält (die dem Wort erst die richtige Bedeu­tung geben), keine Hilfsverben kennt, auch keinen Komparativ und Superlativ, und der andere grammatische Zeitformen verwendet als das Deutsche (das eine gleiche Wort kann bedeuten, dass ein Vorgang sowohl früher stattgefunden hat als auch sich derzeit ereignet und dass er für alle Zukunft stattfinden wird). Die meisten Leser biblischer Texte in Deutschland sind immer auf Übersetzungen angewiesen. Diese bestehen zwar auch aus Worten, aber eben aus deutschen, und die können den im Original gemeinten Inhalt im Idealfall „sinngemäß“ „treffen“, aber sie müssen es nicht. Auch in den in bester Absicht verfassten „wörtlichen“ Übersetzungen ist es unvermeidlich, dass Deutungen oder Interpretationen des Übersetzers mitschwingen und den Text beeinflussen. Das beginnt schon bei der Wahl eines Begriffes aus dem Wörterbuch, wenn dieses mehrere Entsprechungen für einen hebräischen Begriff anbietet – hier wird der Übersetzer aus­wählen und entscheiden, dabei schwingen seine eigenen biografischen Erfahrungen ebenso mit wie seine theologischen Grundüberzeugungen. Der Vergleich von verschie­denen soliden deutschen Bibelübersetzungen macht hier schnell deutlich, wie unter­schiedlich die Übersetzer in manchen Fällen die gleiche Bibelstelle verstanden haben.
Die Frage, die zu klären ist, wenn jemand auf dem „Wortlaut der Bibel“ beharrt, heißt also nüchtern: Auf den Wortlaut in welcher Sprache in welcher Übersetzung beziehe ich mich, und was macht mich so sicher, hier das ursprünglich Gemeinte zu finden?

 

Trotz all dieser Rückfragen vertrauen viele Christen auch heute noch darauf, dass die Bibel, deren Textgehalt sich nicht verändert (hat), im Wortlaut wahr ist und durchgehend „richtige“ Aussagen auch zu naturwissenschaftlichen Fragestellungen macht. Ein „Datum“ der Schöpfung vor etwa 6000 Jahren, Adam und Eva als erste Menschen, das Auftreten einer Sintflut usw. werden (meist wenig reflektiert) als selbstverständlich akzeptiert. Die meisten Menschen mit solchen Glaubensüberzeugungen würden sich selbst nicht als „Kreationisten“ bezeichnen und sollten nicht mit ihnen gleichgesetzt werden – sie teilen mit ihnen lediglich das wörtliche Bibelverständnis (Genaueres zum „Kreationismus“ siehe Kap. 1.2.4.2.1).

 

1.2.3.2.2 Eine grundsätzliche Problemanzeige

Eine ausführliche und differenzierte Einführung, wann und in welchem kulturellen Um­feld biblische Texte entstanden sind und was man beachten müsste, um sie „recht“ zu verstehen, ihrem wirklichen Sinn auf die Spur zu kommen – eine solche Hilfe hat ein Hörer oder Leser im Normalfall NICHT zur Hand.
Wenn ein Kind religiös erzogen werden soll, würde man ihm vielleicht biblische Ge­schichten einfach (im Wortlaut oder leicht „geglättet“) erzählen oder vorlesen.
Wenn ein interessierter Zeitgenosse (der ohne jede religiöse Vorprägung von „außen“ kommt) einfach mal wissen möchte, was Christen denn so glauben – dann würde man ihm vielleicht eine Bibel (Druckdatum 2009) in die Hand drücken, und er würde auf Seite 1 zu lesen beginnen, mit der Geschichte von der „Schöpfung“ …
Es gibt auch Biologie-Lehrbücher, in denen Textstellen aus der Bibel als Randspalte abgedruckt werden.

Darf man biblische Texte in solcher oder ähnlicher Weise einem Leser kommentarlos „zumuten“?

„Bibeltreue“ Christen, die sich auf den Wortlaut der Bibel verlassen, werden sagen: Ja, (nur) so ist ein unmittelbarer, unverfälschter Zugang zum „Wort“ möglich.

Ich halte die unvermittelte Lektüre in mehrfacher Hinsicht für bedenklich.

Wenn z.B. ein munterer Junge in der 2. Klasse in der Christenlehre seiner Kirchge­meinde die Geschichte vom Propheten Jona erzählt bekommt (Bibel, Jona 2,1ff.) – wird er dann nicht begeistert zu Hause davon berichten, was er heute gelernt hat: Dass große Fische (Walfische?) Menschen fressen, dass ein Mensch aber im Bauch eines solchen Fisches drei Tage lang überleben und dann unversehrt wieder ausgespuckt werden kann!
Wenn ein neugieriger Leser in den ersten Kapiteln der Bibel stöbert und dort liest von der Entstehung der Welt vor 6000 Jahren (das müsste er mühsam aus den Angaben in verschiedenen Texten addieren), dass im Ablauf einer Kalenderwoche der gesamte Kosmos, die Erde, alle heutigen Tier- und Pflanzenarten erscheinen, dass die Menschheitsgeschichte mit Adam und Eva beginnt, wenig später eine weltweite Sintflut die gesamte Erde überspült …
Nicht nur ein Kind wird diese eindrücklichen Darstellungen als spannenden Dokumen­tarbericht lesen und lebenslang verinnerlichen („So also war das am Anfang – das berichtet die Bibel!“). Der Schmerz kann tief sein, wenn dann in der Schule (oder in den Medien) ganz andere Vorstellun­gen zum Anfang der Welt vermittelt werden.

Und der neugierige Atheist, der einmal konkreter wissen wollte, was Christen denn so glauben, und dem ich einfach mal eine Bibel in die Hand gedrückt habe – ob er nicht nach Lektüre des ersten Kapitels etwas verwirrt ist und mich fragt: „Und das glaubt ihr, wörtlich?“ Wenn ich nicht spätestens dann erklären kann, was meinen Glauben wirklich und außerdem ausmacht und welche Rolle dabei dann auch die überlieferten Texte spielen, wird er wahrscheinlich an meiner Kompetenz für den Alltag zweifeln. Wenn er nicht längst fassungslos das Buch weggelegt hat und es nie wieder in die Hand nimmt, oder in einen Kampf zieht, um solche – wörtlich eben missverstandenen – Ideen militant zu bekämpfen, wie das z.B. Richard Dawkins tut (Q71 Dawkins, Richard: Der Gottes­wahn, Ullstein, Berlin, 2008)[1]
Viele Pfarrer – ausgebildete Theologen mit dem nötigen Überblick in Bibelkunde und Auslegung biblischer Texte – muten oder trauen ihren „normalen“ Gemeindegliedern einen differenzierten Umgang mit biblischen Texten nicht zu.

 

(Quelle: Q77 Drewermann, Eugen: Glauben in Freiheit, Bd. 3. Religion und Naturwissenschaft, Teil 1. „Der sechste Tag: Die Herkunft des Menschen und die Frage nach Gott“, Walter-Verlag Zürich u. Düsseldorf, 1998, S.56-58)

 

 

„… veröffentlichte die Päpstliche Bibelkommission unter PIUS XII. 1948 eine Erklärung an den Erzbischof von Paris … dass man die Historizität der ersten elf Kapitel der Genesis weder verneinen „noch einfach bejahen könne“, sie gehörten keiner modernen literarischen Gattung an, und wer sage, sie seien „nicht his­torisch“, der lege das Verständnis nahe, sie seien ohne his­torische Bedeutung, „wo sie doch in einfa­chen und bildhaften Worten, die der Fas­sungskraft weniger gebildeter Menschen entsprechen, die fun­damentalen Heilswahr­heiten wie­dergeben und auch in volkstümlicher Weise den Ursprung des Men­schen und des auserwählten Volkes beschreiben.“ …

Papst Johannes Paul II. … erklärte im Weltkatechismus von 1992 (Nr.390), dass die Geschichte vom „Sündenfall“ (Gen. 3,1-7) zwar eine bildhafte Sprache verwende, „aber ein ursprüngliches Ereignis bestä­tigt, eine Tatsache, die am Beginn der Mensch­heitsgeschichte stattgefunden hat.“ …

(Drewermann meint dazu:) „Bildhafte Geschichten“ können sehr tiefsinnig sein, doch nur, wenn man sie nicht dazu benutzt, die ganze Menschheit auf dem Niveau von „Wenigergebildeten“ zu halten!

 

Auch an anderen Stellen in der christlichen Tradition kommen missverständliche und deutungsbedürftige Vokabeln aus dem biblischen Sprachgut vor, z.B. in vielen Liedern, die in den Gesangbüchern stehen, auch in den aktuellsten. Wenn dort von Hölle, Teu­fel, Himmelsthron oder Drachen die Rede ist, muss man sich klar machen, dass die Bedeutung dieser „Worte“ sich in den Jahrhunderten gewandelt hat, und dass sie eigentlich immer erklärt werden müssten.

 

 

1.2.3.2.3 Historisch-kritisches Bibelverständnis

 

In der Theologie der großen christlichen Kirchen in Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten weithin das so genannte „historisch-kritische Bibelverständnis“ durch­ge­setzt.

Im historisch-kritischen Verständnis wird davon ausgegangen, dass man sich mit der Bi­bel auch wissenschaft­lich („kritisch“) als einem Zeitzeugnis („historisch“ überlieferte Text­sammlung aus der Antike) auseinandersetzen kann.

Aus biblischen Texten können die zeitgeschichtlichen Umstände der Entstehung, ihr „Sitz im Leben“ für die damali­gen Menschen, erschlossen werden.

In der Bibel legen verschiedene Menschen Zeugnis ab von ihren persönlichen Glau­benserfahrun­gen. Sie re­den in einer konkreten Zeit und in einer konkreten Si­tuation, die sie erleben und die sie geprägt hat. Sie wollen sich gegenüber anderen Menschen in ihrer Zeit verständlich machen, und sie ver­wenden dabei die damals (selbst-)verständli­chen Weltvorstellungen.

Für das Verstehen der in der Bibel überlieferten Texte kann es hilfreich sein, die ver­schiedenen li­terarischen Ausdrucks-For­men von den übermittelten Glaubens-Inhalten zu unterscheiden. Das Reden von Gott ist für Menschen anders nicht möglich als in der unvollkommenen Sprache von Bil­dern, Meta­phern, Gleichnissen. Die Art der literari­schen Darstellung hat sich im Laufe der Entstehungsgeschichte der Bibel immer wieder gewandelt, es finden sich z.B. Lieder, Chroniken, Parabeln, Paradoxa und Lehrtexte. Der Kern der Glau­bensaussagen, die tiefen Grundwahrheiten, die in immer neuer Weise erlebt und überliefert wurden, blie­ben dennoch zeitlos wichtig.

Die Bibel ist in diesem Verständnis ein Buch des Glaubens, das zum Leben helfen will, das Werte und Orien­tierung vermit­telt. Die Bi­bel ist nicht geschrieben und geeignet als Lehrbuch für den naturwissenschaftlichen Un­terricht.

Hier wird das Reden von Gott als offenes Geschehen verstanden, das nie zu fertigen, endgültigen Ant­worten kommt. Man könnte sagen – vergleiche dazu die Aussa­gen zu den vorläufigen und revidierbaren Ergebnissen naturwissenschaftli­chen For­schens im Kapitel 1.2.2.2 – dass auch der Glaube, auch die Theologie immer neue „Hypothesen über Gott“ [2] bil­den, die stam­melnd und stot­ternd und suchend in Gleichnissen, in (Sprach-)Bildern wiedergegeben und weitergegeben werden, die aber un­voll­kommene Annä­herungen bleiben und nie endgültige Wahr­heiten - verstanden als Gewissheiten über Gott und sein Handeln im Sinne von Defini­tio­nen - dar­stellen. Allerdings gibt es auch hier eine Prüfinstanz: Religiöser Glaube muss sich genauso wie eine physi­kali­sche Theorie im Leben bewähren, er muss zum Leben helfen.

Im historisch-kritischen Verständnis ist der Glaube kein abgeschlossenes, sondern im­mer ein offenes System. Nicht zu jeder Frage, die sich uns Menschen in dieser Welt stellt, steht eine endgül­tige und er­schöpfende Antwort in der Bibel (zum Beispiel zu der Frage, ob wir Gen­technik oder Atomenergie nutzen dürfen). Die Bibel bietet grundsätz­liche Wertmaß­stäbe zur Orientie­rung an – aber der glaubende Mensch darf und muss in seiner konkreten Lebens-Situation selbst nach Ant­worten suchen, Entscheidungen treffen und auch die Ver­antwortung für sein Handeln übernehmen.

 

 

1.2.3.2.4 Es gibt so viele Bibelverständnisse,
               wie es Christen gibt

 

Mit dieser Überschrift soll nur darauf hingewiesen werden, dass die beiden vorstehend behandelten Bibelverständnisse nicht die einzigen sind und dass viele Christen ihre Erfahrungen und Einsichten im Umgang mit biblischen Texten dort nur in Ansätzen oder überhaupt nicht angemessen wiedergegeben finden würden. Manche würden sicher noch ganz andere Aspekte benennen, die ihnen den Zugang zur Bibel ermöglichen. Und viele haben wohl noch nie intensiv darüber nachgedacht, dass sie ein „Bibel­ver­ständnis“ haben und wie sie es charakterisieren würden.

 

 

1.2.3.3 Zum Begriff „Schöpfung“:
            Schöpfungsvorstellungen und Schöpfungsglaube

 

Fritzchen kommt aufgeregt aus der Schule nach Hause. Er berichtet vom Religionsunterricht: „Mutti, jetzt weiß ich, was Gott ist …“ - Die Mutter guckt neugierig. - „Gott ist ein Trichter!“, sagt Fritzchen stolz. - Die Mutter ist ratlos: „Hast du da vielleicht was falsch verstanden?“ Der Sohn erzählt noch ein bisschen, und dann hat sie eine Vermutung: „Hat die Lehrerin vielleicht gesagt, dass Gott ein Schöpfer ist?“ Fritzchen stimmt zu: „Von mir aus Schöpfer, aber irgendetwas aus der Küche war´s doch!“

 

Nicht nur Fritzchen in diesem Witz dürfte seine Schwierigkeiten mit dem Wort und dem Phänomen „Schöpfer“ (und „Schöpfung“) haben. Es ist vor allem für Menschen, die nicht in einer religiös geprägten Umgebung aufgewachsen sind, ein schwieriges, frem­des Wort, es ist erklärungsbedürftig.
Hier dürfte auch mancher erwachsene „Fritz“, z.B. wenn er Biologie-Lehrer ist, zunächst überfordert sein.


„Schaffen“ ist in der Bibel ein Verb (hebräisch „bara“), das allein für das Handeln Gottes vorbehalten ist (daneben wird noch ein zweites Verb verwendet, „asah“, das etwa mit „machen“ im Sinne von handwerklicher Tätigkeit zu verstehen ist). „Bara“ wird nie im Zusammenhang mit Menschen als handelnden Subjekten verwendet - Menschen kön­nen nicht schaffen, sie können letztlich auch nicht verstehen, was sich ereignet, wenn Gott „schaffend“, „schöpferisch“ am Werk ist. Und wenn Menschen dennoch von dem reden oder schreiben, was sie selbst nicht (hervorbringen) können und verstehen, kön­nen sie nur stottern, stammeln, Vermutungen („Hypothesen“!) in menschlichen Bildern äußern. In diesem Sinne sind biblische Darstellungen immer unvollkommene und deut­bare Versuche, Unverstehbares verständlich zu machen.

Das Verb, das im Deutschen zum Substantiv „Schöpfung“ und zum „Schöpfer“ gehört, heißt „schaffen“, und wird heute in diesem Zusammenhang nur noch stark konjugiert: „schuf“, „geschaffen“. Manchmal liest man auch in seriösen Publikationen noch die ver­altete Sprachform, nach der Gott „schöpfte“ oder „geschöpft hat“.

 

Wenn in der Bibel von „Schöpfung“ die Rede ist, dann meint das ein Geschehen, das wohl am (und „im“) Anfang aller Dinge (als tragendes Fundament, als sinngebender Ur­grund) eine Rolle spielt, aber „Schöpfung“ findet auch hier und heute statt und sie wird sich in alle Zukunft hinein weiter ereignen.

Die Vorstellung, dass es nur um einen einmaligen Akt des Hervorbringens in der Ver­gangenheit gehe, und dass seitdem keine grundlegenden Änderungen mehr stattgefun­den haben (z.B. eine „Konstanz der Arten“ bei Lebewesen vorliegt), war in der Vergan­genheit und ist auch heute noch bei vielen Menschen (glaubenden und nicht-glauben­den!) weit verbreitet. Sie verengt jedoch die Weite des Begriffes „Schöpfung“ und führt bestenfalls zu Missverständnissen.

Ein Beispiel:

 

(Quelle: B11 CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Biologie plus, Klasse 10 Gymnasium, Sachsen, Berlin, 2006, S.102ff.)

(Randspalte) Schon gewusst?
Schöpfungslehren gehen davon aus, dass die Lebewesen durch ein oder mehrere höhere Wesen ge­schaffen wurden.

 

Hier wird zunächst ausgesagt, dass (die Lebewesen) geschaffen wurden, Schöpfung demnach als ein Ereignis verstanden, das in der Vergangenheit liegt und abgeschlos­sen ist (zeitlich und im Ergebnis). Eine solche Vorstellung entsprach und entspricht tat­sächlich dem Verständnis, das manche Christen haben und das auch so gelehrt wurde und wird. Aber: Nicht alle Schöpfungsvorstellungen sind in dieser Weise festgelegt. Es gab immer in der Tradition der Kirche auch das Reden von der „creatio continua“, der Schöpfung, die fortdauert, in der Gott in der Geschichte weiter handelt und in der fort­während Neues entsteht.
Es sind auch nicht nur „die Lebewesen“, um die es in der „Schöpfung“ geht, im jüdisch-christlichen Verständnis gehört dazu die gesamte materielle Welt, also auch Wasser und Steine und Himmelskörper (Sonne, Mond und Sterne). Gott hat „Himmel und Erde“ geschaffen, damit ist die ganze Welt gemeint, auch der „Himmel“ gehört zu den Ge­schöpfen.

 

In den folgend wiedergegebenen Zitaten wird als Ursache für manche Missverständ­nisse zwischen Schöpfungsglaube und Naturwissenschaft vermutet, „dass die Natur­wissenschaft wahrscheinlich von Anfang an einen falschen Schöpfungsbegriff“, dass man dort „eine „sehr defiziente Schöpfungstheologie“ hatte.

(Quelle: Q18 Horn, S.O., Wiedenhofer, S. (Hrsg.):Schöpfung und Evolution – Eine Tagung mit Papst Benedikt XVI. in Castel Gandolfo; Sankt Ulrich Verlag, Augsburg, 2007)

 

S.129
(Vincent Twomey in der Diskussion:)
Das Problem ist, glaube ich, dass die Naturwissenschaft wahrscheinlich von Anfang an einen falschen Schöpfungsbegriff hatte , dass nämlich Gott als Lückenbüßer verstanden wurde…

S.133
(Christoph Kardinal Schönborn in der Diskussion:)
Viele der Probleme, die in der jetzigen Diskussion aufgeworfen werden und die schon bei Darwin sehr deutlich zu sehen waren, rühren daher, dass man in diesen Kreisen eine sehr defiziente Schöpfungs­theologie hatte, gegen die man dann zu Felde zog …

 

Abgesehen von dem abschätzigen Tonfall („in diesen Kreisen“ – genannt wird Darwin): Das ist schon starker Toback! Denn wenn jemand für die (Auf-)Klärung des Verständ­nisses von „Schöpfung“ zuständig ist, kann das nur die Theologie sein. Und die Theolo­gie war es doch, die (zu) lange ein wörtliches Schöpfungsverständnis hatte (inklusive Konstanz der Arten), es gelehrt und verteidigt hat, ein Verständnis, von dem sie heute meint, dass es falsch gewesen sei. Dann kann man aber nicht gemäß dem Motto „Haltet den Dieb!“ die Naturwissenschaftler für die Auseinandersetzungen um das neue Weltbild (Kopernikus) oder um die Geschichte der Lebewesen (Darwin) verantwortlich machen! Sie sind den (falschen) Vorgaben der Theologen in deren Zuständigkeits­bereich lange Zeit tapfer gefolgt und haben sich mit schlechtem Gewissen und in müh­samen Kämpfen dagegen zur Wehr gesetzt und das Missverständnis „aufgeklärt“.

 

Ein weit verbreitetes Verständnis, aus dem sich viele Kontroversen herleiten lassen, ist dennoch, dass unter „Schöpfung“ ein Datum verstanden wird, das in der Vergangenheit liegt, und ein Zustand, der von (einem) Gott einmal hergestellt worden ist und der sich grundsätzlich im Laufe der Geschichte nicht mehr ändert, und der auch die „Konstanz der Arten“, die Unveränderlichkeit der biologischen Arten, umfasst. Dieses Verständnis war (auch) unter Theologen lange Zeit weit verbreitet, und es ist von vielen Menschen, auch von Naturwissenschaftlern, von ihnen übernommen und als „sachlich richtig“ ver­standen und akzeptiert worden.
Charles Darwin setzt sich übrigens nur unter diesem Gesichtpunkt kritisch mit den „Schöpfungsgläubigen“ auseinander:

 

(Q7 Darwin, Ch.: Die Abstammung des Menschen und die Zuchtwahl in geschlechtlicher Bezie­hung, Reclam, Leipzig o.J., Bd. II, S.92):

 

„... so habe ich doch wenigstens, ich hoffe es, ein gutes Werk verrichtet, indem ich dazu beigetragen habe, das Dogma der besonderen Schöpfungsakte zu stürzen.“

 

 

(Q8 Darwin, Ch.: Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl, Reclam Leipzig 1980, S174ff.):

 

(Zebra, Esel, Pferderassen) „Wer da glaubt, dass alle Pferdearten unabhängig voneinander erschaffen wur­den ... Dieser Ansicht huldigen, heißt meines Erachtens eine reale Ursache für eine unreale oder wenigstens unbekannte zu opfern. Sie würdigt die Werke Gottes zu Trug und Täuschung herab; ich möchte dann fast ebenso  mit den alten unwissenden Kosmogonisten annehmen, dass die fossilen Muscheln nie Leben bargen, sondern im Stein erschaffen wurden, um die an der Seeküste lebenden Schaltiere nachzuahmen.“

 

Auch ein bedeutender christlicher Theologe der Gegenwart erschließt gerade aus dem Text der ersten „Schöpfungsgeschichte“, dass ein Gegensatz von Schaffen und Entste­hen daraus nicht abzuleiten ist:

 

(Q36 Westermann, Claus: Genesis, Kapitel 1-11, Teil 2, Evangelische Verlagsanstalt Berlin 1985, S.172ff.)

 

 

(Zum ersten Kapitel der Bibel – zum dritten „Schöpfungstag“, an dem die Pflanzen geschaffen werden: Gen1,11):

„Und Gott sprach: Es ergrüne die Erde in Grünem!“ – Gottes Wort gibt jetzt die Schöpfermacht ab, d.h. das Wort wird zur Anordnung an das zuvor Geschaffene, selbst das weitere Neue entstehen zu lassen. … (in Gen.1,12 geschieht es dann: „Und die Erde ließ frisches Grün sprossen …“)
Damit aber, dass an dieser Stelle das Schaffen Gottes für das Entstehen offen ist, ist ein grundsätzlicher Gegensatz von Schaffen und Entstehen nicht mehr möglich und nicht mehr nötig. …

„Die Erde brachte hervor“. Was als Gebot formuliert „es ergrüne die Erde in Grünem“ hieß, wird in der Ausführung mit einem anderen Verb genannt: „die Erde bringe hervor“. Dasselbe Verb wird mit dem glei­chen Subjekt dann noch einmal Gen.1,24 gebraucht, hier in der Formulierung des Befehls: „Die Erde bringe lebende Wesen hervor.“ Dieses „Hervorbringen“[3] ist zunächst einfach so gemeint: „etwas, was darin­nen ist, herauskommen lassen“. Die Pflanzen sind in der Erde, und die Erde lässt sie herauskom­men … Dahinter steht die über die ganze Erde verbreitete Vorstellung von der „Mutter Erde“, der Erde als Gebärerin alles Lebendigen und auch aller Vegetation;
Die beiden Verse können beispielhaft zeigen, wie das Reden von der Schöpfung nur in der Folge ver­schiedener Darstellungsweisen möglich ist; die (in diesem Text) in der Mitte stehende und eigentlich ge­meinte Darstellung der Erschaffung der Pflanzen durch das Wort des Schöpfers schließt weder die uralte Vorstellung des Entstehens (des Lebens) aus der Erde noch das später aufkommende Fragen nach der Art und Weise des Entstehens aus

 

Noch ein letzter interessanter „Zeuge“ sei benannt.
In seinem „Kleinen Katechismus“ von 1529 meditiert und erläutert Martin Luther, was für ihn der erste Artikel im christlichen Glaubensbekenntnis aussagt, der in knapper Form den Inhalt des ersten Kapitels der Bibel zusammenfasst:

 

(Q64 Martin Luther: Der Kleine Katechismus (1529), Erklärung zum ersten Ar­tikel des christlichen Glaubensbekenntnisses)

 

 

Der erste Artikel: Von der Schöpfung

Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.

Was ist das?

 

Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen,
mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält;
dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind, Acker, Vieh und alle Güter;
mit allem, was not tut für Leib und Leben, mich reichlich und täglich versorgt,
in allen Gefahren beschirmt und vor allem Übel behütet und bewahrt;
und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohn all mein Verdienst und Wür­digkeit: für all das ich ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehor­sam zu sein schuldig bin.

 

„Schöpfung“ meint danach nicht, dass ich in einer alten Geschichte nachlesen kann, was sich „damals“ (vor langer Zeit und als einmaliges Geschehen) abgespielt hat (im Sinne einer dokumentarischen Schilderung). „Schöpfung“ ist etwas, was MICH HIER und HEUTE in meiner Existenz betrifft!

Überraschenderweise spielen beim Nachdenken über „Schöpfung“ für Martin Luther Kosmos, Gestirne, Tiere, Pflanzen oder „der“ Mensch überhaupt keine Rolle (wie sich das eigentlich vom Wortlaut des ersten Glaubensartikels her nahe legte).
Das Nachdenken über Schöpfer und Schöpfung beginnt bei Luther mit seiner eigenen Existenz, seinem ICH: „Schöp­fung“ ist überhaupt nur span­nend, weil ich sie er-leben, dabei sein kann, es geht zentral um mich und nicht um große, aber letztlich abstrakte Dinge wie etwa die ganze Welt oder den Anfang von allem.

 

(Q68 Christian Schwarke / Roland Biewald: Weltbilder – Menschenbilder; Themenhefte Religion, Ev. Verlagsanstalt Leipzig, 2003, S.27)

 

 

„Für Luther ist Schöpfung vor allem eine Beziehungskategorie. Die Dinge erweisen sich insofern als Gottes Schöpfung, als sie von Gott für mich geordnet sind. Die Welt wird als Teil einer Dreierbeziehung (Gott – Mensch – Welt) zur „Schöpfung“, insofern ihr ein Sinn zukommt.“

 

Der Glaube bringt mir Vergewisserung, DASS Gott MICH gewollt hat (das ist eine Aus­sage des Vertrauens, des Glaubens – keine naturwissenschaftlich nachweisbare Tatsa­che).

Dann folgt aber gleich die Einordnung in den Zusammenhang. Es geht nicht allein um mich. Gott hat mich neben viele andere Geschöpfe gestellt, ich bin Geschöpf unter Milli­onen Arten von anderem Leben. Der Mensch ist Geschöpf - und kein Halbgott.

Nun folgt noch eine Ergänzung – dass Gott seine Schöpfung auch jetzt noch er­hält. Das macht klar: das Nach­denken über Schöpfung ist nicht vorrangig an der Vergangenheit orientiert, an der Frage nach den Ur­sprüngen, son­dern Schöpfung erlebe ich hier und heute. Schöpfung geschieht ständig neu. Wenn eine Knospe sich öffnet, wenn ein Kind geboren wird, kommt eine neue Farbe in die Welt.

Weiter ist Luther dankbar dafür, dass Gott ihm „Vernunft und alle Sinne gegeben hat“, seinen Verstand und seine Ge­fühle. Die forschende Neugier und der erklärende Verstand sind Begabungen, die auch Christen dankbar nutzen dür­fen. Naturwissen­schaft zu betrei­ben, wenigstens deren Erkenntnissen offen zu begegnen, ist für Chris­ten nicht ver­boten.

Luther sagt, dass Gott ihm auch Kleider und Schuhe gegeben hat. Das ist natürlich Re­den in Bildern, und es wäre in wörtlichem Verständnis miss-verstanden. Sicher wusste Luther, wo sein Schuster wohnt und wer seinen Mantel ge­näht hatte, ihm war klar, dass da menschliche Fertigkeiten unverzichtbar waren. Aber er wollte mit diesem Bild („ge­geben von Gott“) deutlich machen, dass für ihn – in seinem Verständnis, in seiner Erfahrung - die Zuwen­dung Gottes bei allem Lebenswichtigen dazukommen muss, da­mit sein Leben gelingen kann.
Und das Bekenntnis zum Schöpfer mündet bei Luther in Dankbarkeit und Verant­wor­tung - für sein eigenes Leben und für die Welt.

Dieses Schöpfungs-Verständnis Luthers ist bis heute das Verständnis der evangeli­schen Kirche geblieben:

 

(Quelle: Q46 EKD-Texte 94: Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule; eine Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2008, S.10f.)

 

Der Dank für das gegenwärtige Wirken Gottes ist die in der Bibel bei weitem dominante Form des Be­kenntnisses zum Schöpfer. …

Beispielhaft ist die Sicht Martin Luthers in seiner Auslegung des Ersten Artikels im Kleinen Katechismus. Luther denkt – ganz auf der Linie der biblischen Texte – von der Aktualität des göttlichen Schaffens her … die Erhaltung der Welt durch Gott realisiert sich als aktuelles Schaffen in einem nicht einfach als abge­schlossen zu betrachtenden Prozess (creatio continua). …

Dass ich Gottes Geschöpf bin, erfahre ich nicht in Spekulationen über die erste Sekunde des Univer­sums, sondern darin, dass ich mir des Geschenkcharakters meiner eigenen Existenz bewusst werde. …

 

Im folgenden Lehrbuch-Zitat wird darauf aufmerksam gemacht, dass biblische Texte dem Geschehen in der Welt eine (Be-)Deutung geben wollen:

(Quelle: B12 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie, Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin, 2005, S.511)

 


Entstehung des Lebens – ein Rätsel?
Viele Wissenschaftler haben sich bemüht, die Entstehung des Lebens und die Existenz der Vielfalt der Arten aus z.T. sehr unterschiedlichen Ansätzen heraus zu erklären. Auch die in der Bibel dar­gestellte Schöpfungsgeschichte stellt eine Art Deutung dar.

 

Es ist richtig, dass die Schöpfungsgeschichte der Bibel „eine Art Deutung“ der Welt­er­fahrung des Menschen darstellt. Das meint aber, dass mit diesem Text nicht vorran­gig eine naturwissenschaftliche Erklärung der Zusammenhänge und Abläufe in der Natur vermittelt werden soll, sondern dass der Welt eine Bedeutung gegeben wird. Der Mensch erfährt, dass die Existenz der ganzen (wohl geordneten) Welt, aber auch sein eigenes Dasein, einen (tragenden) „Grund“, einen Sinn und ein Ziel haben, und dass ihm eine Aufgabe in dieser Welt zugewiesen ist. Das kann man nur „glauben“, aber nicht „wissen“ und „beweisen“. Eine solche Welt-Erfahrung und Welt-Deutung kann Vertrauen und Geborgenheit vermitteln.

 

(Quelle: Q78 chrismon 4/2008 S.11, Interview mit Friedrich Schweitzer)

 

 

In den Schöpfungserzählungen geht es um das Geschenk, das Gott den Menschen gemacht hat, und darum, dass ich mich Gott als meinem Schöpfer verdanke – nicht nur vor ewigen Zeiten, sondern immer.
(Ist die Schöpfungserzählung also metaphorisch gemeint?)
Nein, sie stimmt so wie die Feststellung: Ich liebe dich. Da ist etwas tatsächlich geschehen, auch wenn es empirisch-rational nicht nachprüfbar ist.

 

Der Satz „Ich liebe dich“ ist grammatisch-logisch korrekt. Er hat ein handelndes Subjekt, einen Adressaten, und der beschreibt eine Beziehung zwischen beiden. Und doch lässt sich sein (objektiver) Wahrheitsgehalt nicht wissenschaftlich überprüfen und beweisen.

Dass in den biblischen Geschichten auch die Weltbildvorstellungen der damaligen Zeit - die biblischen Texte entstanden vor 2500 bis 3000 Jahren - ihren Niederschlag gefun­den haben (müssen), ist klar. Zusätzlich muss man aber wissen, dass auch innerhalb der Bibel ganz unterschiedliche Weltbilder aufbewahrt sind, die nebeneinander stehen bleiben „durften“, eben weil es nicht wichtig war, hier zwi­schen „richtig“ und „falsch“ zu entscheiden, sondern die wichtigeren (Glaubens-)Aspekte auf­zubewahren, die zeitlos gültig blieben, „verpackt“ in den unvollkommenen und zeitbedingten deutenden Erzäh­lungen konkreter Menschen.

Ein Fachtheologe für das Verstehen des „Alten Testaments“ schrieb zu der Frage, wo die Kirche im Aufbruch der Naturwissenschaft versagt habe:

 

(Q48 Westermann, Claus: Schöpfung; Kreuz Verlag Stuttgart 1979, S.13f.)

 

 

Man hatte aus dem Erzählen von der Schöpfung und dem Lob des Schöpfers eine Lehre von der Schöpfung gemacht. Das bedeutete eine Festlegung, etwa auf die sieben Tage des Schöpfungswerkes oder auf bestimmte Vorstellungen, wie etwa des Himmels als eines festen Körpers. Dies war ein schwe­res Missverstehen des Redens von Schöpfer und Schöpfung in der Bibel. Für dieses ist gerade charakte­ristisch, dass es erzählend ist, und zwar von verschiedenen Standorten her, die verschiedene Vorstellun­gen ermöglichen

Niemals wird im Alten Testament vom Glauben an den Schöpfer gesprochen, niemals begegnet ein Satz wie etwa: „Ich glaube, dass die Welt von Gott geschaffen ist“ …
Der Grund dafür ist leicht zu sehen: Eine andere Möglichkeit der Weltentstehung gab es für die Men­schen des Alten Testaments nicht. Die Schöpfung war für sie kein Glaubenssatz, weil es dafür keine Alternative gab. Anders gesagt: Sie hatten darin ein anderes Wirklichkeitsverständnis als wir, dass es für sie eine andere als von Gott gesetzte Wirklichkeit nicht gab. Sie brauchten nicht zu glauben, dass die Welt von Gott geschaffen ist, weil das eine Voraussetzung ihres Denkens war.

 

Dass der biblische Text über „Schöpfung“ in seiner Entstehungszeit durchaus auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft war, wird in folgendem Zitat aus einem Biologie-Lehr­buch in Erinnerung gerufen:

 

(Quelle: B12 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie, Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin, 2005, S.514)

 

 

Der Schöpfungsbericht war aber dennoch für seine Zeit eine enorme Erkenntnis, denn die Rei­henfolge der Schöpfung von Erde und Lebewesen beruht schon auf einer „wissenschaftlichen Auseinanderset­zung“ mit der Entstehung des Lebens (Erde und Gestirne, Atmosphäre und Was­ser, Wasserlebewesen, Lebewesen des Landes, Mensch)

 

Die Abfolge, in der das Schöpfungsgeschehen in der Bibel geschildert wird, erinnert (ahnungsvoll) in groben Zügen durchaus an die Geschichte der Welt, wie sie uns auch die moderne Naturwissenschaft erzählt (Licht, dann Himmel und Erde, später Wasser, Pflanzen, Tiere, Menschen).

 

Das Verständnis von „Schöpfung“ wird in manchen Lehrbüchern verengt auf das wört­liche Verständnis der Darstellun­gen im ersten Kapitel der jüdisch-christlichen Bibel. Dort ist zu lesen, dass Gott im Laufe von sechs Schöpfungs-„Tagen“ am Anfang der Welt zunächst die kosmische Ordnung gestaltet, Lebensräume wie Land und Meer und Luft­raum einrichtet, und dann Lebewesen in die Welt bringt, Pflanzen, Tiere und Menschen, jedes „nach seiner Art“. Aber kann man diesen Text als scheinbaren „Dokumentar­bericht“ direkt in unsere Zeit übertragen?

Man muss z.B. sehr vorsichtig sein, den hier verwendeten Artbegriff gleichzusetzen mit der modernen Definition von „Art“ in der Biologie (die auch heute noch umstritten ist). Und wenn die Bibel vom Rhythmus von „Tagen“ spricht, in denen sich die Schöpfung vollzieht, dann ist auch hier Vor­sicht angesagt: An anderer Stelle in der Bibel, im Psalm 90, steht z.B., dass für Gott „tausend Jahre wie ein Tag“ sind – vielleicht darf hier also auch an lange Epochen in der Welt­geschichte gedacht werden …

Die Ausführungen im ersten Kapitel der Bibel sind nicht alles, was in der Bibel zu „Schöpfung“ gesagt wird. Die Schönheit der Welt und die Bedrohung durch Natur­ge­walten, der Auftrag an den Menschen, die Erde zu erforschen und zu nutzen („Macht euch die Erde untertan“ – das beinhaltet auch die Ermutigung, Naturwissenschaft zu betreiben!), aber auch Verantwortung für die Mitgeschöpfe zu übernehmen - diese und viele andere Aspekte begegne(te)n Men­schen beim Lesen der Bibel und stellen ihnen Fragen im täglichen Leben hier und heute.

Der Begriff „Schöpfung“ wird heute oft auch in einer nicht religiösen Öffentlichkeit in ei­nem sehr allgemeinen Verständnis gebraucht, wenn es etwa um ethische Fragen oder um Umweltverantwortung geht. Dann stellt er oft ein (gehobenes) Synonym dar für das Reden von Natur, Erde, Welt oder Leben.

 

Verfassung des Freistaates Sachsen vom 27.Mai 1992, Präambel

 

..von dem Willen geleitet, der Gerechtigkeit, dem Frieden und der Bewahrung der Schöpfung zu dienen...

 

Die in vielen Lehrbüchern vermittelte Vorstellung von (religiös verstandener) „Schöp­fung“ ist einseitig, geprägt allein aus der Geschichtserfahrung und dem Blickwinkel des christlichen Europas.

Es gibt wichtige Weltreligionen, die nicht von einer (einmaligen) Schöpfung erzählen. Der Lauf der Welt wird zum Beispiel im Hinduismus nicht als eine geschichtliche „Linie“ verstanden, auf der Entwicklung stattfindet (wie etwa im jüdisch-christlich-abendländi­schen Denken), sondern vollzieht sich in ewigen Kreisläufen. Und viele Schöpfungs­erzählungen aus anderen Kulturkreisen und Religionen befassen sich allein mit der Herkunft des Menschen. Das Entstehen der Pflanzen und der Tiere wird nur selten dar­gestellt:

 

(Quelle: Q45 Claus Westermann: Schöpfung und Evolution, Zeitwende 53 (1982) 3, S.146ff.

 

 

… bei den Naturvölkern wird fast nur von der Menschenschöpfung erzählt, die Weltschöpfung kam erst in den Hochkulturen zur Bedeutung. Auf diesem Unterschied beruht die Gliederung in Naturwissenschaften und Humanwissenschaften. …

… ist zu beachten, dass die Gliederung von Pflanzen und Tieren in Arten nicht zu den überkommenen Schöpfungstraditionen gehört; sie begegnet außerhalb der Bibel nirgends. …

 

Pflanzen wurden in den Kulturen des Altertums gar nicht als „richtige“ Lebewesen ver­standen (Sonne, Mond und Sterne dagegen schon, weil sie sich „bewegen“). Und die Fülle der mikroorganismischen Lebewesen ist überhaupt nicht „im Blick“: Sie waren vor der Erfindung des Mikroskops schlicht nicht zu sehen.

 

Der Glaube daran, dass die Welt Schöpfung Gottes ist, von ihm gewollt und getragen ist, das Vertrauen darauf ist im christlichen Glauben tief verwurzelt. WIE Gott wirkt und handelt, können Menschen nicht verstehen und auch naturwissenschaftlich nicht „wis­sen“. Und so stellt der Schöpfungsglaube keine Theorie dar, die eine naturwissen­schaftliche Alternative sein könnte, um die Geschichte der Natur besser und „richtiger“ zu erklären, als das die Biologie in aller Vorläufigkeit und Unsicherheit versucht.

 

(Quelle: Q50 Heller, Bruno: Naturwissenschaft und die Frage nach der Religion; EZW-Texte Im­pulse Nr.28, Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Stuttgart 1989)

 

 

Die Vorstellung von „der Natur“ ist dem Alten Testament völlig fremd; es besitzt nicht einmal ein Wort für das, was die Griechen als „physis“ bezeichneten.        

 

 

 

 

 

1.2.3.4 Die Vorstellung von der „Konstanz der Arten“

 

Unter „Konstanz der Arten“ versteht man die Vorstellung, dass alle ganz unterschied­li­chen Formen („Arten“) in der Tier- und Pflanzenwelt von Anfang an bis heute unverän­dert so existiert haben, wie wir sie heute erleben. Wirkliche Veränderungen oder „Ent­wicklung“ habe es in der Geschichte der Lebewesen nicht gegeben.

Die Vorstellung von der „Konstanz der Arten“ war nie Bestandteil einer spezifischen kirchlichen „Lehre“, eines „Bekenntnisses“ oder ein „Dogma“!
Diese Ansicht war weit verbreitet.

Sie legte sich zum einen von der Alltagserfahrung her nahe: Die Nachkommen von Le­bewesen ähnelten immer mehr oder weniger stark ihren Eltern.

Die Vorstellung von der „Konstanz der Arten“ vertrat die Kirche genauso wie der „heid­nische“ Philosoph Aristoteles, wobei dessen Vorstellungen sicher eigenen Überlegun­gen entstammten und nicht von jüdischen Schöpfungsvorstellungen beeinflusst waren. Diese waren Jahrhunderte älter und in einem ganz anderen Kulturkreis beheimatet.
Und nicht nur die Kirche, sondern auch die Biologen waren bis ins 19.Jahrhundert hin­ein von dieser Vorstellung überzeugt.


 

(Quelle: Q17 Ernst Haeckel: Die Welträthsel, Alfred Kröner Verlag Stuttgart, 1903, S.33)

 

 

Carl von Linné (1735):
„Es gibt so viele verschiedene Arten von Tieren und Pflanzen, als im Anfang von dem unendlichen Wesen erschaffen worden sind."

 

(Quelle: B24 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag; Duden Biologie, Gymnasiale Oberstufe, Berlin, 2005, S.358ff.)

 

 

Bis zu Beginn des 19. Jh. herrschte auch bei Biologen die Lehre von der Konstanz der Arten vor.

 

 

 

1.2.4 Ideologien mit Alleinerklärungsanspruch

 

In der Geschichte der Naturwissenschaft und der Kirchen hat in den letzten 150 Jahren eine Frage immer wieder hohe Wellen geschlagen: Wie begegnen sich christlicher Schöpfungsglaube und die Evolutionstheorie der Naturwissenschaften? Sind sie wie Feuer und Wasser als einander feindliche Elemente, und ist Kampf und Auseinander­setzung unausweichlich? Geht es dabei um die Wahrheit, um die Entscheidung für die richtige Sicht der Welt? Oder können die beiden Erfahrungsbereiche auch nebeneinan­der bestehen und sich in einem sinnvollen (wenn auch manchmal streitbar zu führen­den) Gespräch gegenseitig anregen und bereichern?

Immer wieder wird die Meinung vertreten, hier gebe es nur ein Entweder/Oder, es gehe um einen heiligen Krieg über Gut ODER Böse, Richtig ODER falsch.
Das Thema dieser Auseinandersetzung nimmt auch in den betrachteten Biologie-Lehr­büchern einen relativ breiten Raum ein.
Im Folgenden sollen zwei Extrempositionen, der „Kreationismus“ wie auch sein Wider­part, der „Evolutionismus“, dargestellt und eingeordnet werden.

 

 

Zunächst seien jedoch einige Erläuterungen zum Begriff „Ideologie“ gegeben:

 

1.2.4.1 Zum Begriff „Ideologie“

 

(Quelle: Q51 Ewald, Günter: Naturwissenschaftliche und religiöse Ideologien; EZW-Texte Impulse Nr.35, Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Stuttgart 1993)

 

 

S.2

Die Bezeichnung „Ideologie“ taucht zum ersten Mal in Frankreich zur Zeit der französischen Revolution auf. Eine Gruppe von Gelehrten und Philosophen versuchte im Gefolge der Aufklärung, eine Psychologie des Menschen aus biologischen und physiologischen Tatsachen abzuleiten. Die Bewusstseinsinhalte oder Ideen eines Menschen entstehen danach aus wissenschaftlich beschreibbaren „Empfindungen“, aus bloßer Sinnlichkeit.

Religiöse Bezüge spielen dabei keine Rolle mehr. Von einem der Gelehrten, Destutt des Tracys, stammt die Bezeichnung „Ideologie“. Er nennt Ideologie ausdrücklich einen Teil der Zoologie. Die Gruppe der „Ideologen“ wollte nicht nur eine akademische naturwissenschaftliche Psychologie entwickeln, sondern auch Grundlagen für politisches Handeln schaffen. … Allgemeiner sollte ein Weltbild geschaffen und in das Erziehungswesen eingebracht werden, durch das ein gesellschaftlicher Konsens und soziale Harmo­nie verbürgt wird. …
Marx verstand sich nicht in erster Linie selbst als Ideologe, sondern betrieb Ideologiekritik. Er sagte: Ideologie ist nicht die Bemühung von Einzelpersonen um Natur- und Gesellschaftsverständnis. Sie ist der geistige Überbau einer Klassengesellschaft, die entfremdete Bewusstseinsform, die in der jeweiligen Stufe gesellschaftlicher Entwicklung die sozialen Widersprüche aufrechterhält, begründet und legitimiert. Ideologie ist nicht falsches Bewusstsein eines richtigen Seins, sondern richtiges Bewusstsein eines fal­schen Seins. Geändert werden muss das Sein, dann wird auch das Bewusstsein neu …

Allerdings sieht Marx die Aufgabe der Philosophen nicht nur in einer Interpretation, sondern in der Verän­derung, im Überwinden von ideologischem Überbau, letztlich im Durchsetzen einer Ideologie der klas­senlosen Gesellschaft. Das heißt, er möchte zu einer Art Erlösungsideologie beitragen, die in der Über­windung der Klassengesellschaft zur Identität von Sein und Bewusstsein führt, zur Überwindung der Ent­fremdung des Menschen von den Produkten seiner Arbeit. Ideologie und Wahrheit werden dann identischMarx ist Ideologiekritiker und Ideologe zugleich
Lenin … forderte eine von der Partei verfasste Weltanschauung, nach der sich nicht nur Ökonomie, ge­sellschaftliches Leben und Kultur zu richten hatten, sondern auch die Wissenschaft. Bürgerliche Wissen­schaft ist nach Lenin an den Bewusstseinszustand des Bürgertums gebunden, dialektische Wissenschaft hat dagegen andere Grundlagen und kommt zu anderen Ergebnissen. …

S.4
Ideologie ist der Versuch, Wahrheit in intellektuell verstehbaren Sätzen zu formulieren und die formulierte Wahrheit für absolut und verbindlich zu erklären
Normen, die man setzt, politische Grundsatzentscheidungen, die man trifft, werden auch ohne Ideologie immer Ausdruck von nichtrationalen Überlegungen sein. Ideologisch werden sie erst dann, wenn sie sich auf unabdingbare wissenschaftliche Notwendigkeit berufen. Meist ist das verbunden damit, dass Wissen­schaft selbst als Instrument verstanden wird, mit dem man absolute Wahrheit formulieren kann, das heißt, Wissenschaft wird selbst ideologisiert.

 

S.6
Physiker St. Hawking, 1988 Buch „Eine kurze Geschichte der Zeit“;
Der Untertitel des Buches lautet: „Die Suche nach der Urkraft des Universums“ …
„Mein Ziel“, sagt Hawking, „ist ein vollständiges Verständnis des Universums, warum es so ist, wie es ist, und warum es überhaupt existiert.“ Die Antwort zu finden, „wäre der endgültige Triumph der mensch­li­chen Vernunft.
Mit seiner wissenschaftlichen Autorität strahlt Hawking eine Hoffnung aus, die nicht durch die Physik selbst gedeckt ist. Wendet man radikal kritisches Denken an, so lautet, wie ich meine, das Fazit: Es wird keine Weltformel geben, und die Rede von ihr ist Ideologie. Der erhoffte Triumph, sie zu finden, ist Illu­sion und zeigt eine Hybris, einen Machtanspruch naturwissenschaftlichen Denkens an, der sich nie­mals einlösen lässt.
Penrose
[4] weist zunächst auf die Schwierigkeiten hin, die schon in der mathematischen Seite einer Theo­rie verborgen liegen. Bereits 1931 hatte der österreichische mathematische Logiker Gödel bewiesen, dass jedes formale mathematische System mit ausgefeilten Axiomen und Ableitungsregeln Aussagen hervorbringt, die sich im System weder beweisen noch widerlegen lassen. Dieser Satz ist bereits für die Mathematik eine Katastrophe. Viele ahnen nicht, auf welch wackeligem logischem Fundament die Ma­thematik aufgebaut ist, entgegen der verbreiteten Vorstellung, in der Mathematik sei doch alles klar.

 

S.8
Bemerkenswert ist, wie das fundamentalistisch-kreationistische Wissenschaftsverständnis dem Lenin­schen sehr ähnlich ist. Für Lenin liegt das Paradigma in der Klassenzugehörigkeit, die als Sein das Be­wusstsein bestimmt, für die Kreationisten liegt es in der Zugehörigkeit zur Gruppe der (in ihrem Sinne) Bibelgläubigen bzw. Nichtbibelgläubigen, mit erleuchtetem oder nicht erleuchtetem Bewusstsein. In bei­den Fällen handelt es sich um blanke Ideologie. …

„Ideologie“ ordnen wir zunächst politischen, naturwissenschaftlichen und religiösen Versuchen zu, abso­lute Wahrheiten zu formulieren und Herrschaft daran zu knüpfen. …
Ideologien sind … niemals von vornherein als Unterdrückungsinstrument erfunden worden; sie waren stets vom Willen geprägt, Wahrheit und Klarheit zu schaffen, Wege zum Besseren anzubieten. Die Rigo­rosität aber, mit der sie erschienen, verkehrte die guten Absichten in ihr Gegenteil. Die Mächte, die Hilfe anbieten sollten, begannen ein Zerstörungswerk

(Quelle: Q51 Ewald, Günter: Naturwissenschaftliche und religiöse Ideologien; EZW-Texte Impulse Nr.35, Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Stuttgart 1993)

 

Hier sei noch eine zweite Stimme zur inhaltlichen Bestimmung des Begriffes „Ideologie“ wiedergegeben:

 

(Quelle: Q60 BROCKHAUS ENZYKLOPÄDIE in 24 Bd., 19., völlig neu bearb. Aufl.,
Bd. 10 (Herr – Is), Mannheim: Brockhaus, 1989, S. 374)



Ideologie
... in den allgemeinen Sprachgebrauch aufgenommener Begriff, der in wörtl. Entsprechung zunächst Wis­senschaft von den Ideen, dann aber auch System oder Menge von Ideen, schließlich die Anordnung und das Hervorbringen von Vorstellungen zur Interpretation der Welt in einer bestimmten (z. B. interesse­geleiteten und damit verfälschten) Sichtweise bedeutet.
Schon diese versch. Schattierungen weisen darauf hin, dass es für die Begriffsbestimmung von I. keine eindeutige Definition gibt, dass es sich hierbei vielmehr um ein operatives Konzept handelt, das in jeweils unterschiedlichen histor. und polit. Situationen, in der allgemeinen Sprache und in und in unterschiedl. wiss. Fragestellungen und gesellschaftstheoret. Entwürfen eine jeweils eigene Gestalt, einen eigenen Begriffsumfang und eine je nach Standort versch. Wertzuschreibung erfahren kann. Eine allen Verwen­dungsweisen von I. mag darin bestehen, dass es sich bei der Beschäftigung mit I. jeweils um die Be­trachtung des Verhältnisses einer Vorstellungswelt zu einer  -  wie immer aufgefassten  -  wirklichen Welt handelt; es geht also um die Betrachtung von Ideen, Aussagen, Welt- und Denkmodellen im Hinblick auf ihre gesellschaftl. (gruppenspezifischen) histor., polit. oder ökonom. Grundlagen und Auswirkungen, wo­bei die Zuordnungen und Erklärungen, nicht zuletzt die Bewertungen dieser Relation (anhand von Krite­rien wie Wahrheit, Angemessenheit, Notwendigkeit oder Plausibilität) große Unterschiede aufweisen können. Die Frage nach der I. zielt also auf >den Zusammenhang von Bewusstsein und Gesellschaft< (H.-J. Lieber) ...
Im allgemeinen Sprachgebrauch hat der Begriff I. eine negative Färbung, insoweit als unter I. eine unbe­gründete, willkürl. oder durch Interesse verzerrte, keineswegs also allgemeingültige (gar >richtige<) Deutung der Wirklichkeit im Lichte des jeweils eigenen (also partikularen) Ideensystems verstanden wird. In diesem Sinn werden als I. auch die weltanschaul. Lehren bezeichnet, deren Anerkennung durch die Bevölkerung in totalitären Systemen erzwungen wird. Mitunter dient der Begriff I. auch zur Bez. einer pra­xisfernen, an einer >reinen Lehre< orientierten und deshalb unzureichenden oder verfälschenden Auffas­sung der Wirklichkeit.
Im wissenschaftsorientierten, aber auch im polit. Gebrauch lassen sich dagegen ein krit., ein neutraler und ein positiver I.-Begriff unterscheiden. ...

(Quelle: Q60 BROCKHAUS ENZYKLOPÄDIE in 24 Bd., 19., völlig neu bearb. Aufl.,
Bd. 10 (Herr – Is), Mannheim: Brockhaus, 1989, S. 374)

 

In der hier vorliegenden Studie wird ein kritisches Verständnis von Ideologie zugrunde gelegt.

 

eine Ideologie

·       ist allein zuständig für die Erklärung und Deutung der Wirklichkeit

·       hat erschöpfende und absolut gültige, endgültige Antworten auf alle Fragen, verwaltet ewige Wahrheiten

·       vertritt immer die richtige Sicht der Dinge – das ist für sie eine Frage des „Standpunktes“ (oder es ist z.B. „Glaubenssache“)

·       sieht die ganze Welt als ENTWEDER/ODER,
etwas ist entweder schwarz ODER weiß, etwas kann nur richtig sein ODER es ist falsch

·       hat eine erstarrte Weltanschauung, die nicht (mehr) offen ist für neue Einsichten und Fragen nicht zulässt;
entgegenstehende Tatsachen müssen ausgeblendet, Widersprüche ignoriert werden

 

einige Kennzeichen für Ideologien

·       verräterisch: „...ISMUS“

·       Berufung auf wichtige Schriften, Lehrsätze (Dogmen), Autoritäten (Lehrer, Führer)

·       Feindbilder (gut ODER böse)

·       Kompromisslosigkeit, Polemik, Kampf (Herrschaft, Macht)


1.2.4.2 „Kreationismus“ und „Intelligent Design“

 

 

1.2.4.2.1 Kreationismus

 

Da der Begriff „Kreationismus“ sicher für manche Leser ein Fremdwort ist, sei mit zwei Definitionsversuchen aus Biologielehrbüchern begonnen:

 

Kreationismus (lat. creatio Schöpfung):
Annahme, dass die einzelnen Arten getrennt erschaffen worden seien und eine Evolution nicht stattge­funden habe …
(B32 S.541 Glossar)

 

Kreationismus:
Weltbild, das auf dem Axiom beruht, dass die Schöpfungsgeschichte der Bibel einen tatsächlichen Ablauf beschreibt
(B29 S.453 Glossar)

 

Andere Glossar-Definitionen (B25 S.458; B28 S.482) geben pauschal als Konfliktlinie die Alternative „Evolution“ ODER „Schöpfung“ an. Das geschieht auch in dem folgend zitierten Lehrbuch:

 

(Quelle: B14 DUDEN / PAETEC; Biologie, Gymnasium, 10, Sachsen, Berlin 2007, S.157)

 

 

Gegenwärtig ist in den USA der Kreationismus (als „intelligent design“) weit verbreitet. Er basiert auf der Schöpfungsgeschichte der Bibel.

 

Der amerikanische Kreationismus wird dadurch charakterisiert, dass er „auf der Schöpfungs­geschichte der Bibel basiert“. Genauer müsste aber mitgeteilt werden: Er basiert auf einem bestimmten, am Wortlaut orientierten Bibelverständnis, mit dem Aus­sagen zur Schöpfung in der Bibel gelesen werden. Dies aber nicht etwa das einzig mögli­che Schöpfungs- und Bibelverständnis ist – es handelt sich hier um eine von vie­len Auffassungen (siehe dazu Kapitel 1.2.3), und diese spezielle „Lesart“ ist auch inner­halb der christlichen Kirchen heftig umstritten.

 

Dem „Kreationismus“ wird – in der öffentlichen Diskussion wie auch in vielen Biologie-Lehrbüchern - übermäßig viel Interesse entgegengebracht, was vielleicht auch aus der aktuellen Debatte zu erklären ist.

Dahinter kann übersehen werden, dass christlicher Schöpfungsglaube nicht nur vom Kreationismus vertreten wird und sich viele Christen und die großen Kirchen in Deutschland auch ganz anders zur Evolutionstheorie positionieren.

Der „Kreationismus“ im engeren Sinne ist ein Phänomen vor allem in christlichen und hier der protestantischen Kirchen. Weniger reflektiert gibt es ihn aber auch im Judentum und im Islam.

 

Die Auseinandersetzung mit dem „Kreationismus“ spielte schon vor dreißig Jahren eine ähnliche Rolle wie heute. In der DDR erschien z.B. 1983 eine 60-seitige Ausarbeitung:

 

·        Q69 Boost, Ch., Gensichen, H., Pfeiffer, G.: Ist der Kreationismus haltbar? Thesen gegen einen neuen Anti-Evolutionismus in der Kirche; Kirchliches Forschungsheim Wittenberg, 1983, Selbstverlag

 

In Westdeutschland ging ein für Hochschulen erarbeiteter Lehrbrief des Deutschen Instituts für Fernstudien an der Universität Tübingen zum Thema EVOLUTION (1982) ausführlich mit etwa 40 Druck-Seiten auf das Phänomen ein:

 

·        Q10 Deutsches Institut für Fernstudien der Universität Tübingen, Fernstudium Naturwissenschaften, EVOLUTION, Heft 3: Theoretische Grundlagen der Evo­lution, Tübingen, 1986, S.18ff., 191ff.

 

„Kreationismus“ ist ein „Etikett“, das (zu) schnell allen Menschen „aufgeklebt“  wird, die aus Glaubensgründen (Bibelverständnis) und von ihren theologischen Überzeugungen her kritische Anfragen an das moderne naturwissenschaftliche Weltbild haben.
Nicht alle von ihnen sind aber wirklich „Kreationisten“.
Mit einigen Originalzitaten, die von deutschen (gemäßigten) Kreationisten aufgeschrie­ben wurden, soll zunächst versucht werden, wichtige Charakteristika zu benennen:

 

(Quelle: Q38 Junker, R.; Scherer, S.: Evolution – Ein kritisches Lehrbuch, Weyel-Verlag Gießen, 1998, S.273f.)

 

 

Die Schöpfungslehre („Kreationismus“) ... geht davon aus, dass die Heilige Schrift nicht nur in Fragen Schöpfung, son­dern auch bezüglich des Ursprungs von physischem Tod, Leid und Katastrophen in der Schöpfung für die Rekon­struktion der Geschichte der Lebewesen relevant ist. Die in den ersten 11 Kapi­teln des Genesisbuches (dem ers­ten Buch der Bibel) geschilderte „biblische Urgeschichte“ wird als reale Menschheitsgeschichte verstanden und für das Verständnis der Geschichte des Lebens vorausgesetzt. Demzufolge werden Adam und Eva nicht nur als histo­rische Personen, sondern auch als die Stammeltern der Menschheit aufgefasst. Ebenso werden der Sündenfall und die Sintflut als geschichtliche Ereignisse angesehen....
Die Lebewesen sind in getrennten taxonomischen Einheiten erschaffen worden...
Die Grundtypen wurden (geologisch gesehen) gleichzeitig ins Dasein gerufen....
Den Tod - auch in der Tierwelt - gibt es erst seit dem Sündenfall des Menschen...
Die biblisch bezeugte Sintflut war eine weltumspannende Überflutung ...

 

Wo sich die Bibel konkret äußert (Geschehensabläufe, Zeiträume, naturkundliche Mit­teilungen), ist das nicht nur heilsgeschichtlich verbindliche Wahrheit, die zu glauben ist, sondern solche Angaben sind auch als naturwissenschaftlich zu lesende Aussagen verbindlich. Für alle in der Bibel genannten Fakten können naturwissenschaftliche Be­weise gesucht (und gefunden) werden.
In der Lesart des sogenannten „Kurzzeit-Kreationismus“ beträgt das Alter des Univer­sums etwa 6000 Jahre. Die Errechnung erfolgt anhand der Lebensdaten der Menschen und geschichtlicher Ereignisse, die in der Bibel vorkommen (nach der Berechnung des christlichen Bischofs Ussher fand die Schöpfung der Welt 4004 v.Chr. statt, der jüdische Gelehrte Hillel legte das Datum des Welt-Beginns auf das Jahr 3761 v.Chr. fest.).

Adam und Eva waren die ersten Menschen.
Kosmos, Erde, Pflanzen, Tiere und Menschen sind „am Anfang“ in sechs Kalender­tagen geschaffen worden.
Verschiedentlich wurde (auf diesem Hintergrund konsequent) in den USA gefordert, im Biologie- und Physikunterricht in der Schule alternativ zu den gängigen Theorien zur Entstehung der Welt und des Lebens auch die Schöpfungsgeschichten der Bibel zu be­handeln – als wissenschaftlich aus-gedeutete Vorstellungen.

Die (gemäßigten) deutschen Kreationisten gehen mit ihrem in einem wörtlichen Bibel­verständnis verankerten Denkansatz nicht nur auf Distanz zum Entwicklungsgedanken in der Biologie, sondern auch zum etablierten Bibelverständnis der modernen Universi­tätstheologie und vieler Christen in Kirchgemeinden (andere stehen zumindest in ihrem Bibelverständnis den Kreationisten sehr nahe):


Hier einige aktuelle Aussagen deutscher gemäßigter „Kreationisten“ zu ihrem Verständ­nis von Bibel und Natur:

(Quelle: Q73 Ullrich, Henrik; Junker, Reinhard (Hrsg.): Schöpfung und Wissenschaft – Die Studiengemeinschaft WORT UND WISSEN stellt sich vor; Hänssler Verlag Holzgerlingen 2008)

 

 

Bei WORT UND WISSEN ist die biblische Schöpfungslehre Bestandteil des Fundaments der ersten un­bewiesenen Voraussetzung, der verbindlichen Wahrheit biblischer Gottesoffenbarung. Dieses Fundament steht für sie unverrückbar fest. Hierin kann es keine Annäherung an naturalistische Evolutionslehren ge­ben.

 

Die biblischen Schilderungen der Urgeschichte im Buch Genesis (1.Mose) sind historisch zuverlässig. … Die biblische Urgeschichte beinhaltet allgemeinverständliche, wirkliche Beschreibungen grundlegender Ereignisse der Schöpfung und Urzeit.

 

Biblische Schöpfungsaussagen enthalten naturwissenschaftlich relevante Elemente

Alter des Lebens in der Größenordnung von ca. 10.000 Jahren

 

Wir gehen davon aus, dass Grundtypen aller Lebewesen als klar voneinander getrennte Formen in der Schöpfungswoche erschaffen wurden.

Die Studiengemeinschaft WORT UND WISSEN vertritt eine Schöpfungslehre, die nicht nur gegenüber der Evolutionslehre, sondern darüber hinaus auch gegenüber einer historisch-kritischen Textauslegung der Bibel in der modernen Theologie eine kritische Position einnimmt.
Dadurch sind zwangsläufig viele Konflikte zwischen Theologen und Gemeinde oder zwischen Religions­lehrer und Schüler vorprogrammiert.

 

Einige neuere Äußerungen aus der katholischen und der evangelischen Kirche sollen abschließend deutlich machen, dass hier in der Auseinandersetzung mit dem Kreatio­nismus durchaus kritische Töne überwiegen – und Offenheit gegenüber den Einsichten der Evolutionsforschung da ist.
Zunächst einige Stimmen aus dem katholischen Bereich:

 

(Quelle: Q34 die tageszeitung Berlin 25.10.96)

 

 

Papst Johannes Paul II.:
(Botschaft an die Mitglieder der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften:)

„Neue Erkenntnisse führen zu der Feststellung, dass die Evolutionstheorie mehr als eine Hypothese ist.“

 

(Quelle: P23 PAETEC; Dieter B. Herrmann; Faszinierende Astronomie; Paetec, Berlin, 2000)

 

 

Unter Papst JOHANNES PAUL II. wurde eine Überprüfung des Falls GALILEI eingeleitet, die 1992 – im 350. Todesjahr des Gelehrten – zu dessen Rehabilitation durch die Kirche führte.
Der Papst erklärte in diesem Zusammenhang vor der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, der Fall GALILEI könne der Kirche die bleibend aktuelle Lehre für ähnliche Situationen sein: „Galilei, der praktisch die experimentelle Methode erfunden hat, hat dank seiner genialen Vorstel­lungskraft als Physiker und auf verschiedene Gründe gestützt verstanden, dass nur die Sonne als Zentrum der Welt, wie sie damals be­kannt war, ... infrage kam. Der Irrtum der Theologen von damals bestand dagegen am Festhalten an der Zentralstellung der Erde in der Vorstellung, unsere Kenntnis der Strukturen der physischen Welt wäre ir­gendwie vom Wortsinn der Heiligen Schrift gefordert. ... Tatsächlich beschäftigt sich die Bibel nicht mit den Einzelheiten der physischen Welt, deren Kenntnis der Erfahrung und dem Nachdenken des Men­schen anvertraut wird."

 

(Quelle: Q18 Horn, S.O., Wiedenhofer, S. (Hrsg.):Schöpfung und Evolution – Eine Tagung mit Papst Benedikt XVI. in Castel Gandolfo; Sankt Ulrich Verlag, Augsburg, 2007, S.149)

 

 

Papst Benedikt XVI.:
… zu zeigen, wo die Fragen sind: dass es nicht darum geht, sich entweder für einen  Kreationismus zu entscheiden, der sich der Wissenschaft grundsätzlich verschließt, oder für eine Evolutionstheorie, die ihre eigenen Lücken überspielt und die über die metho­dischen Möglichkeiten der Naturwissenschaft hinaus­reichende Fragen nicht sehen will. Es geht vielmehr um dieses Zusammenspiel von verschiedenen Di­mensionen der Ver­nunft, in dem sich auch der Weg zum Glauben öffnet.“

 

(Quelle: Q18 Horn, S.O., Wiedenhofer, S. (Hrsg.):Schöpfung und Evolution – Eine Tagung mit Papst Benedikt XVI. in Castel Gandolfo; Sankt Ulrich Verlag, Augsburg, 2007, S.84ff.)

 

 

(Vortrag Kardinal Schönborn)[5]
Die „kreationistische“ Position basiert auf einem Bibelverständnis, das die katholische Kirche nicht teilt. Die erste Seite der Bibel ist nicht ein kosmologischer Traktat über die Weltentstehung in sechs Sonnen­tagen.
Die Bibel lehrt uns nicht, „how the heavens go, but how to go to heaven“. …

 

Das im Folgenden zitierte Lehrbuch für den Religionsunterricht, das von der Lehrbuch­kommission der Deutschen Bischofskonferenz zugelassen wurde, stellt gewissermaßen eine „kirchen-amtliche“ katholische Stellungnahme für den Schulgebrauch dar.

 

(Quelle: R3 PATMOS; Zeichen der Hoffnung, Patmos Düsseldorf, 2002, S.40)

 

 

Außer ein paar Fundamentalisten – vor allem in den USA – glaubt heute niemand mehr, dass die Welt vor ca. 6000 Jahren in sechs Tagen geschaffen wurde, dass Gott den Menschen aus Ackerboden ge­formt und Eva aus der Rippe des Adam gebildet hat oder dass der Tod erst durch die Sünde in die Welt gekommen sei. Aber das verlangen die Texte auch nicht. Sie sind nicht das Zeugnis einer restlos veralte­ten Auffassung, die Christen heute noch für richtig ansehen sollen. Sie sind nicht Dokumente vergange­ner Weltbilder, die wider besseres Wissen zu akzeptieren wären. Die biblischen Texte konkurrieren nicht mit den Naturwissenschaften. Sie tun etwas, was die Naturwissenschaften nicht leisten können und wollen. Sie entwerfen Bilder des Glaubens, die nicht Realität exakt beschreiben, sondern Sinn erschlie­ßen. Es geht ihnen nicht um Entstehung, Alter, Größe und Gesetze dieser Welt, sondern um Welt und Mensch in der Perspektive Gottes.

 

Hier seien noch einige Beiträge aus evangelischer Sicht aufgeführt:

 

(Quelle: Q19 Huber, Wolfgang (Bischof und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland), Bericht des Rates der EKD - Teil A, (6. Tagung der 10. Synode der EKD, Dresden, 04. - 07. November 2007)

 

 

Heute hat man manchmal den Eindruck, das Rad solle in die Zeit der Entdeckungen der "Himmelsphysik" zurückgedreht werden. Unter den Namen "Kreationismus" und "Intelli­gent Design" werden Debatten an­gestoßen, die längst überwunden schienen. Dabei wird mit biblischen Texten in einer Weise umgegan­gen, als habe es die Entwicklung der Theologie insbesondere in ihrer durch die Reformation angestoße­nen wissenschaftlichen Gestalt nie gegeben. Das geschieht unter anderem auf die Weise, dass die bibli­schen Schöpfungsberichte zu einer quasiwissenschaftlichen Welterklärungstheorie gemacht werden.
Der "Kreationismus" tritt mit der Forderung auf, dass in den Schulen nicht die Evo­lutionstheorie, sondern eine biblische Weltanschauung unterrichtet wird. Der Glaube an den Schöpfer wird so zu einer pseudo­wissenschaftlichen Weltanschauung; dieser Glaube selbst soll nämlich das zutreffende Wissen über die Entstehung und Entwicklung der Welt vermitteln. Mit dieser Verkehrung des Glaubens an den Schöpfer in eine Form der Welt­erklärung hat die Christenheit immer wieder Schiffbruch erlitten. Indem ein zur Weltan­schauung missdeuteter Glaube an die Stelle der wissenschaftlichen Vernunft treten sollte, wurde in Wahrheit das Bündnis von Glaube und Vernunft aufgekündigt. Deshalb ist aus Gründen des Glaubens ein klarer Widerspruch notwendig, wenn die biblischen Schöpfungserzählungen in einem solchen "kreationistischen" Sinn missbraucht werden. …
ideologischer Missbrauch des christlichen Schöpfungsglaubens, wie er im Kreationis­mus und in der Lehre vom "Intelligent Design" vorliegt

 

(Quelle: Q4 Bohl, Jochen, Bischof der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, Pastor@lbrief Februar 2008)



Im Pastor@lbrief vom vergangenen August hatte ich mich mit dem Verhältnis von Schöpfungsglauben und naturwissenschaftlichen Aussagen zur Entstehung der Welt beschäftigt und geschrieben: „Glaube und Wissenschaft konkurrieren eben nicht in dem Sinne, dass man sich entscheiden müsste, ob man das eine oder das andere zur Grundlage der Welterkenntnis erklärt. Vielmehr geht es um sich ergän­zende Zugänge zu unterschiedlichen Aspekten einer umfassenden Wirklichkeit. Die Wissenschaft sucht sie zu erkennen, der Glaube will sie deuten.“ Diese Formulierung richtete sich gegen eine radi­kale Naturalisie­rung des Menschen, wie sie von einigen Vertretern der Evolutionsbiologie (so z. B. Richard Dawkins, dessen Buch sich seit einigen Monaten sehr gut verkauft) propagiert wird; und gegen die „Mutation“ na­turwissenschaftlicher Erkenntnisse zu einer Weltanschauung.

Nun wird man andererseits aber sagen müssen, dass auch der aus den USA kommende Kreationis­mus die Unterscheidung der Sphären von Glauben und Wissen nicht zu akzeptieren bereit ist. Es gibt ihn in verschiedenen Erscheinungsformen, denen es gemein ist, dass ein unüberwindlicher Gegen­satz zwi­schen dem Schöpfungsglauben und naturwissenschaftlicher Welterkenntnis gesehen wird, weil die bibli­schen Texte über die Erschaffung der Welt als göttliche Offenbarung und zugleich als naturwissenschaft­liche Aussagen verstanden werden. So kommt man zu Behauptungen, die den Erkenntnissen der Natur­wissenschaften, wie sie an den Universitäten getrieben werden, diametral entgegenstehen: die Erde sei weniger als 10000 Jahre alt, die Lebewesen seien von Gott so geschaffen worden, wie sie noch heute sind (evolutionäre Entwicklungsprozesse habe es also nicht gegeben) und die Sintflut sei ein Ereignis in Raum und Zeit gewesen, ein Datum der Erdgeschichte.

Weil der Kreationismus unter unseren Gemeindegliedern in den letzten Jahren einige Aufmerksamkeit gefunden hat, erscheint theologische Klärung nötig.

Die dahinter stehenden Argumente sind m. E. nicht überzeugend und führen in unauflösbare Wider­sprü­che. Überdies würden sie einen Abbruch des Gesprächs mit den Naturwissenschaften bedeuten. Das wäre aber in Anbetracht des konstruktiven Dialogs der letzten Jahrzehnte äußerst bedauerlich - denn ein wichtiges Ergebnis ist ja, dass es mit dem Glauben der Kirche Jesu Christi unvereinbares Naturwissen nicht gibt. …

Nach meiner Auffassung liegt dem Kreationismus eine theologische Fehlentscheidung zugrunde. Der Bibel geht es nicht in erster Linie um Weltwissen; darauf deutet schon die Tatsache hin, dass in Gen. 1 verschiedene Vorstellungen von der Erschaffung der Welt relativ unvermittelt nebeneinander stehen. Wir sehen an dieser Stelle zu Recht keine Spannung, denn die Schrift ist uns ein Zeugnis vom Han­deln Got­tes, das wir im Glauben annehmen. Ihr geht es um den Glauben, dass die Natur von dem Gott geschaf­fen ist, der jedem Menschen eine unverlierbare Würde verleiht, der als ein Gegenüber wahrgenommen werden kann und in Jesus Christus Mensch geworden ist. Dieser Glaube trägt seine Bedeutung in sich; er ist unterschieden von den naturwissenschaftlichen Erklärungen der Welt und also nicht gefährdet oder in Frage gestellt durch deren Fortschritt. Der Glaube steht auch nicht in „Konkurrenz“ zu den Naturwis­senschaften; eine solche kann erst entstehen, wenn diese meinen, die Welt deuten zu müssen – oder wenn Gläubige meinen, deren Erkenntnisse zensieren zu müssen.

Aus der Philosophie wissen wir, dass Gott durch die Vernunft nicht zu beweisen ist – und die Theolo­gie lehrt, dass er eines solchen Beweises auch nicht bedarf; im Gegenteil: er ist „höher als alle Ver­nunft“. Er wohnt nicht in den Lücken menschlicher Erkenntnisse; und ist auch nicht zu finden hinter den Fragen, an deren Beantwortung die Wissenschaften arbeiten. Darum werden dem Gebrauch der menschlichen Ver­nunft im Glauben keine Grenzen gesetzt; wir dürfen wissen wollen, was unserem Erkenntnisvermögen zugänglich ist. ...
Ein Glaubender wird nicht sein wollen wie Gott; aber er ist frei, nach seinen Möglichkeiten einen vernünf­tigen Beitrag zur Erkenntnis der Natur zu leisten und ist – in Verantwortung vor Gott – auch frei, dieses Wissen anzuwenden, lenkend und gestaltend in den natürlichen Gang der Dinge einzugreifen. In dieser Freiheit liegt letztlich der Grund, warum in der westlich-abendländischen Kultur die Wissenschaften die staunenswerten Höhen der Gegenwart erreicht haben. Dass es auch erhebliche Kontroversen und Wi­derstände gegeben hat – „und sie bewegt sich doch“ – gehört in das Bild, ändert aber nicht die Bewer­tung.

Der Anklang an Galilei mag eine Warnung sein: der Kreationismus wechselt den Schöpfungsglauben in allzu kleine Münze und wird der ausgreifenden Dimension des biblischen Zeugnisses nicht gerecht.

Übrigens: schon 1989 hat sich in unserer Landeskirche der Beirat für Glaube und Naturwissenschaft mit dem Kreationismus beschäftigt (vgl. Amtsblatt 1990, B 57 à Text siehe Teilband 4 = Kapitel 4 unter Q37 ). Ich komme heute zu keiner anderen Bewertung.

 

(Quelle: Q4 Bohl, Jochen, Bischof der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, Pastor@lbrief Februar 2008)

 

(Quelle: Q46 EKD-Texte 94: Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule; eine Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2008)

 

S.7
Es wäre … unangemessen, die Erforschung von Evolutionsprozessen als Bekenntnis zum Atheismus zu verstehen, wie es umgekehrt verfehlt wäre, den in den USA verbreiteten Kreationismus einfach mit dem christlichen Schöpfungsglauben gleichzusetzen. Der Kreationismus ist vielmehr eine Verkehrung des Glaubens an den Schöpfer in eine Form der Welterklärung, die letztlich dazu führt, dass das Bündnis von Glaube und Vernunft aufgekündigt wird …

 

S.13
Das Realitätsfeld der Naturwissenschaften ist so aufgebaut, dass sich hier die Gottesfrage weder wis­senschaftlich stellen noch wissenschaftlich beantworten lässt. Das eröffnete der Theologie die Möglich­keit, die freie Entwicklung der Naturwissenschaften und die damit verbundenen Erkenntnisfortschritte be­wusst zu bejahen. …

 

S.14
2.5. Die Irrwege des Kreationismus

„Kreationismus“ ist eine Sammelbezeichnung für – von Minderheiten im Christentum vertretene – Auffas­sungen, die sich vehement gegen die Annahmen der Evolutionstheorie wenden. Ausgehend von der wörtlichen Inspiriertheit der biblischen Texte verteidigt der Kreationismus die Irrtumslosigkeit der bibli­schen Texte. …
Der Kreationismus stützt sich auf die ungeklärten Fragen der Evolutionstheorie und ist auf den Nachweis von Ungereimtheiten bedacht … Indem der Kreationismus auf die weltanschauliche Ideologisierung evo­lutionstheoretischer Annahmen reagiert, wie sie ein antikirchlicher „Ultradarwinismus“ verfochten hat, nimmt auch er den Charakter einer Wissenschaftsideologie an …

 

S.15
Wie jede ernstzunehmende wissenschaftliche Hypothese muss natürlich auch die Evolutionstheorie der Kritik zugänglich bleiben. Viele ihrer Annahmen sind auch nach den Maßstäben der Biologie weniger ge­sichert, als es in populärwissenschaftlichen Darstellungen zum Ausdruck kommt. Die Evolutionstheorie ist freilich nicht dadurch widerlegt, dass man ihre offenen Stellen aufzeigt. Es gibt starke Argumente, die für sie sprechen. Als wissenschaftlicher Erklärungsversuch zur Entstehung des Lebens, der Arten und der Artenvielfalt besitzt sie höchste Wahrscheinlichkeit und Erschließungskapazität …

S.20
Im Religionsunterricht hat das christliche Bekenntnis eine grundlegend andere Bedeutung als in anderen Fächern. Zu diesem Bekenntnis gehört der Glaube an Gott, den Schöpfer, nicht jedoch der Kreationis­mus. Ein evangelischer Religionsunterricht … kann deshalb den Kreationismus zwar thematisieren, ihn jedoch nicht vertreten

 

(Quelle: Q46 EKD-Texte 94: Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule; eine Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2008)

 

 

 

1.2.4.2.2 „Intelligent Design“

 

Vertreter der Idee des „Intelligent Design“ gehen etwa von folgender These aus:
„Die Komplexität im Aufbau von Lebewesen und in der Funktion von Lebensprozessen ist so groß, dass es dafür keine innerweltliche naturwissenschaftliche Erklärung gibt. Das ist der Beweis dafür, dass ein intelligenter Designer die Welt nach einem Plan gestaltet hat.“ Der postulierte Designer muss nicht unbedingt religiös und als Gott ge­dacht werden, darunter kann auch abstrakter eine kosmische Intelligenz, ein universa­les Prinzip verstanden werden.

Die hier zugrunde liegenden Vorstellungen wurden schon vor 200 Jahren vertreten.

 

(Quelle: Q55 Steinmüller,A., Steinmüller,K.: Charles Darwin – vom Käfersammler zum Natur­forscher, Verlag Neues Leben Berlin, 1985, S.86f.)

 

 

Zu Charles Darwins Pflichtlektüre (während seines Theologiestudiums in Cambridge ab 1827) gehören die theologischen Werke des 1805 verstorbenen Archidiakonus William Paley. …
Besonders beeindruckt Charles die „Natürliche Theologie“ von Paley. … eine Auffassung, die Gottes Wir­ken überall in der belebten Natur sehen will und durch die Zweckmäßigkeit der Organismen begründet. Paley benutzt dabei das althergebrachte Bild von der Uhr und dem Uhrmacher, um die Existenz Gottes zu beweisen. Angenommen, wir finden eine Uhr auf dem Wege liegen, argumentiert er, „wenn wir die Uhr aufheben und genau betrachten, bemerken wir …, dass ihre Teile für einen speziellen Zweck erfunden und zusammengefügt wurden … Der Mechanismus lässt unausweichlich darauf schließen, dass die Uhr einen Konstrukteur hat … der sie für diesen Zweck entworfen hat.“
Genauso, lehrt Paley, stehe es mit der belebten Natur. All ihre Teile griffen ineinander, jedes einzelne sei der Umwelt und den anderen Teilen sinnvoll angepasst. Allein durch die Weisheit und Güte ihres Schöp­fers, sagt Paley, könne man die Zweckmäßigkeit der Organismen erklären.

Darwin selbst schreibt: „Ich war von Paleys Argumentation … begeistert … überzeugt
(Quelle: Q72 Darwin, Charles: Mein Leben, Insel Taschenbuch, Frankfurt/Main, 2008, S.67f.)

 

Zu diesem Denkansatz ist kritisch anzumerken:


1.
Die Anhänger der Idee machen indirekt eine Aussage über sich selbst: „Ich kann mir einen bestimmten Zusammenhang nicht erklären, ich verstehe das nicht.“ Und daraus wird geschlussfolgert: „Es gibt keine natürliche Erklärung dafür (z.B. mit den Mitteln und Methoden der Naturwissenschaft), es gibt sie heute nicht und kann und wird sie auch nie geben!“ Hier ist zu etwas mehr Bescheidenheit bei der Verallgemeinerung zu mah­nen, und es ist zu erinnern an die Beschränktheit menschlicher Erkenntnis. Wieso muss ich als Mensch die Natur umfassend verstehen können? Was ist von zukünftiger For­schung zu erwarten? Wird Gott (der „Designer“) in dieser Denkweise vielleicht zu schnell und immer wieder als „Lückenbüßer“ dort eingesetzt, wo ich mir etwas nicht er­klären kann; und damit „klein“ gemacht?
Eine in der Vergangenheit oft in schmerzlichen Prozessen immer wieder gewonnene Einsicht für Christen lautet, dass Gott nicht zum „Lückenbüßer“ gemacht werden darf, als Erklärung immer dort herhalten soll, wo die Naturwissenschaft (vermeintlich) keine rationale Erklärung für einen Sachverhalt geben kann.

 

2. Zum zweiten wird aus meiner Unfähigkeit, einen bestimmten Zusammenhang zu ver­stehen und zu erklären, zwingend die Existenz eines „Designers“ abgeleitet. Diese Aus­sage ist grundsätzlich nicht „verboten“, denn die Frage nach einer letzten Ursache geht über den Geltungsbereich der Naturwissenschaften hinaus. ABER: Es gibt keine Be­weiskette, dass naturwissenschaftliche Befunde (oder das – bisherige - Scheitern na­turwissenschaftlicher Erklärungen) zwingend auf GOTT verweisen. Die Existenz GOTTES lässt sich mit naturwissenschaftlichen Mitteln und Methoden nicht widerlegen, seine Existenz lässt sich aber ebenso wenig beweisen! Gott gehört nicht zum Arbeits­gegenstand der Naturwissenschaften.

 

3. Eine letzte Schlussfolgerung: Ein „Designer“ wäre natürlich nicht nur für das Kom­plexe und Staunenswerte, das Gute und Schöne in der Welt verantwortlich. In dieser Denkweise wäre ein perfekter „Designer“ (der gleiche?) auch „haftbar“ zu machen für alle unzulänglichen oder zerstörerischen und leidbringenden „Konstruktionen“ in der Welt („perfekt“ arbeitende Killerbakterien, ideal angepasste Parasiten …).
Auch hier begegnet also eine alte und immer schmerzliche Frage für glaubende Menschen (Theodizee): „Wenn Gott doch ein guter Gott ist – warum lässt er all das Leid, all die Krankheit, all die Naturkatastrophen zu?“

 

 

1.2.4.3 „Evolutionismus“

 

Während dem Phänomen des „Kreationismus“ in vielen Lehrbüchern breiter Raum ein­geräumt wird, habe ich nur an einer Stelle einen Hinweis darauf gefunden, dass es auch einen intoleranten, oft atheistisch orientierten „Evolutionismus“ gibt. Er wird im fol­genden Text beschrieben und charakterisiert.

 

(Quelle: B22 C.C.BUCHNER; Solbach, H.: Vita nova; Biologie für die Sekundarstufe II; Bamberg 2000, S.344f.)

 

 

… dass die Antworten auf die Fragen nach dem Ursprung und der Ent­wicklung des Lebens sehr unter­schiedlich  ausfallen, beeinflusst vom religiösen, weltanschaulichen und philosophischen Standpunkt des Antwortenden. Die Palette reicht von der völligen Ablehnung jeglicher naturwissenschaftlichen Erklärung auf diesem Gebiet durch Menschen mit bestimmten, festgefügten religiösen Überzeugungen bis zur into­lerant atheistischen Argumentation anderer, in deren Vorstellungswelt kein Platz für einen Gott, eine übergeordnete Macht ist und die (deshalb?) in einem naturwissenschaftlichen Machbarkeitsglauben da­nach streben, alles Geschehen in der Welt ausschließlich durch die Gesetze der Physik zu erklären

 

Diese „wissenschafts-gläubige“, mit Allein-Erklärungs-Anspruch auftretende, darauf be­harrende Weltsicht, allein „recht zu haben“ – sie ist eine genauso problematische Ideo­logie wie der „Kreationismus“. Ihr Glaubenssatz „Es gibt keinen Gott!“ ist genauso wenig beweisbar oder widerlegbar wie der Satz „Es gibt Gott!“. Manche Anhänger dieses „Aufklärungs-Fundamentalismus“ (Der Spiegel 22/07 S.56ff) haben von moderner Wis­senschaftstheorie wohl wenig verstanden! Und wenn sich dann ein ähnlich kämpferi­scher Ideologe auf der Gegenseite findet, dann kann schnell ein heftiger „Glaubens­krieg“ ausbrechen.

 

(Quelle: Q19 Huber, Wolfgang (Bischof und Ratsvorsitzender der Ev. Kirche in Deutschland), Be­richt des Rates der EKD - Teil A, (6. Tagung der 10. Synode der EKD, Dresden, 04. - 07. November 2007)

 

 

„Es kann nicht verwundern, dass dem ideologischen Missbrauch des christlichen Schöpfungsglaubens, wie er im Kreationismus und in der Lehre vom "Intelligent Design" vorliegt, spiegelbildlich ein Missbrauch entspricht, der meint, aus den Einsichten der modernen Naturwissenschaften zwingend eine Leugnung Gottes und die Verpflichtung auf einen kämpferischen Atheismus ableiten zu können. Beispielhaft ist da­für der Evolutionsbiologe Richard Dawkins, der sich mit seinem Buch "Der Gotteswahn" ("The God Delu­sion") an die Spitze dieser Bewegung gesetzt hat. Dawkins restauriert ein Weltbild, nach welchem Reli­gion einem vorwissenschaftlichen Zeitalter angehört und mit dem Siegeszug des wissenschaftlichen Be­wusstseins zum Verschwinden kommt. Weil sich dieses Verschwinden nicht von selbst einstellt, muss es durch einen weltanschaulichen Kampf vorangetrieben werden, für den man sich der Unterstützung durch vermeintlich wissenschaftliches Handeln zu versichern versucht. Das Gottesverständnis soll auf dem Weg destruiert werden, dass danach gefragt wird, ob man auf die Gotteshypothese angewiesen sei, um die Entstehung der Welt und des Lebens zu erklären. Die Auseinandersetzung mit dem Gottesbegriff wird also ganz und gar auf dem Missverständnis eines "Lückenbüßergottes" ("God of the gaps") aufge­baut. Dafür sind Kreationismus und "Intelligent Design" willkommene Gegner; Richard Dawkins überhöht deren Vertreter deshalb zu den maßgeblichen Repräsentanten des Christentums, ja der Religion über­haupt. Er verbindet – ebenso wie Hitchens – das zugleich mit einer maßlosen Polemik, die religiöse Er­ziehung mit Kindesmisshandlung gleichsetzt und das alttestamentliche Gottesbild in einer Weise be­schimpft, die his­torischen Sinn und moralische Proportion in gleicher Weise vermissen lässt.“

 

„Evolutionismus“ muss sich nicht deutlich als militante antireligiöse Ideologie zeigen. Er kann auch versteckter auftreten in der Einseitigkeit und Arroganz, mit der manche Na­turwissenschaftler darauf beharren, dass allein ihr Blick auf die Natur sinnvolle Fragen ermöglicht, und dass alle Fragen, die für Menschen wichtig sind, von der Naturwissen­schaft (wenn auch vielleicht erst in Zukunft) erschöpfend beantworten können.

 

Charles Darwin kann übrigens nicht als Kronzeuge dafür aufgerufen werden, dass das Vertreten der naturwissenschaftlichen Evolutionstheorie folgerichtig und zwangsläufig hin zum Atheismus führen muss:

 

(Quelle: Q75 Charles Darwin: Mein Leben, Insel TB S.102f.)

 

 

„Ein anderer Grund für den Glauben an die Existenz Gottes, der mit der Vernunft, nicht mit Gefühlen zu­sammenhängt, scheint mir mehr ins Gewicht zu fallen. Dieser Grund ergibt sich aus der extremen Schwierigkeit oder eigentlich Unmöglichkeit, sich vorzustellen, dieses gewaltige, wunderbare Universum einschließlich des Menschen mitsamt seiner Fähigkeit, weit zurück in die Vergangenheit und weit voraus in die Zukunft zu blicken, sei nur das Ergebnis blinden Zufalls oder blinder Notwendigkeit. Wenn ich dar­über nachdenke, sehe ich mich gezwungen, auf eine Erste Ursache zu zählen, die einen denkenden Geist hat, gewissermaßen dem menschlichen Verstand analog; und ich sollte mich wohl einen Theisten nennen. Wenn ich mich recht erinnere, beherrschte diese Schlussfolgerung mein Denken in der Zeit, als ich Über die Entstehung der Arten schrieb; seither schien sie mir ganz allmählich immer weniger über­zeugend; ich schwankte jedoch sehr …
Das Mysterium vom Anfang aller Dinge können wir nicht aufklären; und ich jedenfalls muss mich damit zufrieden geben, Agnostiker zu bleiben.“

 

Agnostizismus

Der Agnostizismus ist eine Weltanschauung, die insbesondere die prinzipielle Begrenztheit menschlichen Wissens betont. Die Möglichkeit der Existenz transzendenter Wesen oder Prinzipien wird vom Agnosti­zismus nicht bestritten. Agnostizismus ist sowohl mit Theismus als auch mit Atheismus vereinbar, da der Glaube an Gott möglich ist, selbst wenn man die Möglichkeit der rationalen Erkenntnis Gottes verneint.
Die Frage „Gibt es einen Gott?“ wird vom Agnostizismus dementsprechend nicht mit „Ja“ oder „Nein“ be­antwortet, sondern mit „Es ist nicht geklärt“, „Es ist nicht beantwortbar“.
Unabhängig davon ist die Frage „Glauben Sie an einen Gott?“. Diese ist auch von einem Agnostiker mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortbar.

(Quelle: Wikipedia 23.2.2009)

 

 

 


1.2.5 „Schöpfungsvorstellungen“
         dürfen nicht als naturwissenschaftliche Konkurrenz
         zu „Evolutionstheorien“ verstanden werden

 

Ein verbreitetes Missverständnis, das auch in manchen Lehrbüchern seinen Nieder­schlag gefunden hat, ist die Behandlung von „Schöpfungsmythen“ als konkurrierende „wissenschaftliche“ Erklärungsmodelle zur Evolutionstheorie.

 

(Quelle: B16 SCHROEDEL; Netzwerk Biologie 10, Braunschweig, 2006, S.140)

 

 

Aufgabe 3
Es gibt verschiedene Theorien zur Evolution

1. Die von den Vorfahren erworbenen Eigenschaften werden von Generation zu Generation wei­tergege­ben.
2. Durch natürliche Auslese verändern sich die Arten im Laufe der Generationen.
3. Alle Lebewesen, die heute leben, sind durch einen Schöpfungsakt von Gott geschaffen worden.
a) Wie heißen die zitierten Theorien?
b) Welche der genannten Theorien ist heute allgemein anerkannt?

 

Hier begegnen gleich einige Missverständnisse:
+ unter Punkt 3. wird unterstellt, Schöpfungsglaube sei gleichzusetzen mit der Ansicht, die Welt und alle Lebewesen seien in einem einmaligen Schöpfungsakt ins Dasein ge­bracht worden und die damals geschaffe­nen Arten hätten sich seitdem nicht verän­dert.
Oben wurde schon deutlich gemacht, dass man das wohl aus dem Wortlaut des Bibel­textes so herauslesen kann, dass aber die großen Kirchen und viele Christen heute die Schöpfungsdarstellungen nicht (mehr) als einen historisch und im sachlichen Detail zu­treffenden Dokumentarbericht verstehen, sondern in ihnen Begründung und Orientie­rung und Maßstäbe für ihre Existenz hier und heute suchen.
+ Der Schöpfungsglaube – konkreter: das hier vorausgesetzte wörtliche Verständnis des Bibeltextes in 1.Buch Mose 1 - wird zu einer naturwissenschaftlich zu lesenden Theorie gemacht, die mit den beiden hier vorgestellten Theorien aus der Biologie vergli­chen werden und gegen sie abgewogen werden kann. Dabei ist auch das Ergebnis ei­gentlich schon vorgegeben mit der Formulierung der Frage: „Welche der genannten Theorien ist heute allgemein anerkannt?“ Die Anerkennung einer naturwissenschaft­lichen Theorie (auch durch Mehrheiten) ist keine Garantie für ihre Richtigkeit! Das Wörtchen „heute“ deutet immerhin auf das fließende Verfallsdatum aller naturwissen­schaftlichen Erkenntnis hin …

 

In diesem Lehrbuch wird – fahrlässig oder bewusst? - die Schöpfungsvorstellung zu einer „Evolutionstheorie“ gemacht!

Ähnlich geschieht das auch anderswo:

Der Verlag Duden/Paetec brachte in den Jahren 2005 bis 2007 drei Biologie-Lehrbü­cher in neuer Bearbeitung heraus.

 

·        B12 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie, Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin, 2005 (S.514f.)

·        B14 DUDEN / PAETEC; Biologie, Gymnasium, 10, Sachsen, Berlin 2007 (S.86f.,102)

·        B24 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag; Duden Biologie, Gymnasiale Ober­stufe, Berlin, 2005 (S.358ff.,381)

 

In diesen Büchern wird die „Schöpfungsgeschichte“ (gemeint ist damit exklusiv das erste Kapitel der jüdisch-christlichen Bibel, die Darstellungen werden z.T. auch als „Schöpfungsmythen“ bezeich­net) unter der Hauptüberschrift „Evolutionstheorien“ be­handelt.

Diese Ein- und Zuordnung ist in mehrfacher Hinsicht irreführend!

Einmal gehen ja die - zur Erläuterung auch dargestellten - Ansichten von der „Konstanz der Arten“ gerade davon aus, dass sich in der Natur nichts verändert und entwickelt (hat). Damit wären sie bestenfalls als Gegenentwurf zum Entwicklungsgedanken einzu­ord­nen, als „Anti-Evolutions-Theorie“ zu betrachten und zu behandeln.
Zum zweiten wird in den gleichen Lehrbüchern an anderer Stelle durch­aus angedeutet, dass die biblischen Texte die Welterfahrung des Menschen nicht rational erklä­ren wol­len („Mythen … sind keine wissenschaftlichen Theorien“), sondern eine „Deutung“ an­bieten, Antworten versuchen auf die Fragen nach dem Sinn und dem Ziel des mensch­lichen Daseins. Das Buch B24 wählt zwar zunächst die zutreffende Überschrift „Zur Geschichte des Evolutionsgedankens“, behandelt dann aber doch im weiteren Text Schöpfungsmythen (falsch) als Unterpunkt zu „Evolutionstheorien im Wandel der Zei­ten“, und stellt damit den „Kreationismus“ in eine Reihe mit (anderen) naturwissenschaftlichen Theorien zur Entwicklung des Lebens. Das entspricht zwar der Rolle, die der Kreatio­nismus nach seinem Selbstverständnis einnehmen möchte, aber es könnte so der – falsche - Eindruck entstehen, der Kreationismus stelle eine typische oder gar die einzig mögliche Lesart und Interpretation biblischer Schöpfungsvorstellungen dar.


Wenn in diesen Lehrbüchern „Schöpfungsgeschichten“ auf der gleichen Ebene wie die naturwissenschaft­lichen Vorstellungen und Erkenntnisse etwa von Lamarck und Darwin als „Evolutions­theorien“ abgehandelt werden, beruht das vielleicht auf einem gravieren­den Missverständ­nis - es ist in jedem Fall ein gewichtiger Kategorienfehler.

Es gibt weitere Beispiele dafür.


Im Biologielehrbuch

 

·        B22 C.C.BUCHNER; Solbach, H.: Vita nova; Biologie für die Sekundarstufe II; Bamberg 2000, S.344f.)

 

wird gefragt: „War das Werden des Lebens ein Schöpfungsakt Gottes oder doch eine Art Urzeugung?“

Auch hier wird die Fragestellung im Raster ENTWEDER – ODER, als Alternativen ste­hen "Schöpfung Gottes" oder "naturwissenschaftlich erklärbare Entwicklung" zu Aus­wahl, den unterschiedlichen Kategorien nicht gerecht.

Aber auch ein Lehrbuch für den Religionsunterricht „tappt“ in die gleiche Falle:

 

·        R2    VANDENHOECK & RUPRECHT; Koretzki, G.-R., Tammeus, R. (Hg.): Reli­gion – entdecken, verstehen, gestalten - 9/10; Ein Unterrichtswerk für den evangelischen Religionsunterricht, Göttingen 2002 (S.89)

 

Dort stehen auf einer Druck-Seite zwei Texte, zum einen das „Bekenntnis der Creation Research Society“ (es handelt sich hier um ein sehr verengtes, am Wortlaut der Bibel festhaltendes christliches Schöpfungsverständnis) und zum anderen eine naturwissen­schaftliche Zusammenfassung von „Grundzügen der Evolutionstheorie“. Im zugehörigen Lehrerhandbuch (Quelle R1, S.79) wird vorgeschlagen, die beiden auf dieser Seite (ohne weiteren Kommentar) abgedruckten Texte zu vergleichen. Die Schüler sollen Po­sitionen erarbeiten. Aber – abgesehen davon, dass der „kreationistische“ Text ohnehin polarisiert und der „evolutionsbiologische“ Text (ohne Quellengabe) fachlich ungenau formuliert ist: Sollten Schüler im Religionsunterricht sich nicht sinnvoller mit unter­schiedlichen theologischen Ansichten auseinandersetzen?

Mit dem „Vergleichen“ von Bekenntnis-Aussagen und einer naturwissenschaftlichen Theorie werden „Apfel mit Birnen“ verglichen. Das ist genau der gleiche Kategorien­fehler, der in den oben erwähnten Biologielehrbüchern gemacht wird, indem man die Schöpfungsgeschichte Gen.1 als konkurrierende Theorie zu Evolutionstheorien behan­delt.

In dieser Gegenüberstellung sind Missverständnisse vorgegeben und Konflikte vorpro­grammiert!

 

Im Jahre 2000 war ein Buch aus dem Verlagshaus Paetec/Duden für die Sekundarstufe 1 herausgegeben worden. Darin wurden den Schülern folgende Aufgaben gestellt:

 

(Quelle: B15 PAETEC; Biologie 10, Sachsen, Gymnasium, Berlin, 2000, S.91)

 

„Aufgaben"
1. Inwieweit hatte die Kirche Einfluss auf die Vorstellung über die Artenentstehung?
2. Lies die nachstehenden Aussagen über die Evolution und stelle diese den Aussagen der dar­winschen Abstammungstheorie gegenüber!
“Die natürliche Zuchtwahl oder das Überleben des Tüchtigsten kann im besten Falle nur die Tren­nung der Starken von den Schwachen bedeuten. Aber niemals entsteht allein als Folge des Über­lebens des Tüchtigsten eine neue Pflanzen- oder Tierart.
Und da auch durch Mutationen keine neuen Arten entstehen, fehlen der Evolution die Mechanis­men, mit denen sie erklärt werden könnte.“
“Die wahren wissenschaftlichen Tatsachen weisen nicht auf eine Entwicklung des Menschen aus dem Tier hin, sondern darauf, dass der Mensch als eine Art erschaffen wurde, die sich von Tieren klar und deutlich unterscheidet.“
(Aus: Wachtturm, Bibel- und Traktatgesellschaft 1968)“

 

Die Aufgabenstellung soll knapp kommentiert werden:
Zu 1.
Die Kirche“ des Mittelalters hatte sich zwar die damals allgemein akzeptierte Vorstel­lung von der Konstanz der Arten zu eigen gemacht und sah sie auch im (wörtlich ver­standenen) Text der Bibel bestätigt. Ob und wie sie dabei aber gezielt Einfluss ausüben musste und wollte und ihn auch ausgeübt hat, ist fraglich. Auf jeden Fall ist es ein Miss­verständnis, wenn durch die Fragestellung nahegelegt werden soll, „die Kirche“ sei auch heute noch dieser Ansicht – das trifft für die großen christlichen Kirchen in Deutschland und für viele Christen nicht zu
Zu 2.
In Aufgabe 2 soll ein Text gelesen und seine Aussagen der darwinschen Abstammungs­theorie gegenübergestellt werden.
Im Anschluss an Aufgabe 1 legt sich nahe, hier eine Stimme aus dem kirchlichen Be­reich zu vermuten. Tatsächlich steht ja darunter in der Quellenangabe etwas von „Bibel“. Dass zusätz­lich auch noch das altertümlich anmutende Wort „Traktat“ auftaucht, verstärkt den muffigen Eindruck, bestätigt wird das auch durch eine mehr als 30 Jahre zurück­liegende Jahreszahl (1968). Der Begriff „Wachtturm“ dürfte nur Eingeweihten etwas sagen. Daraus wird nämlich deutlich, dass es sich hier um ein Pamphlet der „Zeugen Jehovas“ handelt. Deren hier abgedruckte Aussa­gen könnten nun in diesem  Kontext – fahrlässig oder bewusst – als aktuelle Argumente „der Kirche“ missverstan­den werden.


1.2.6 Ist Kirche, ist der christliche Glaube
         grundsätzlich wissenschaftsfeindlich?

 

Ist Kirche, ist der christliche Glaube vom Grundsatz her wissenschaftsfeindlich?
Glaube und Naturwissenschaft schließen einander nicht automatisch aus.

Jedoch wird in den Lehrbüchern nur selten darauf hingewiesen, dass viele Wissen­schaftler glaubende Menschen waren und sind – wenn auch mit sehr unterschiedlichen Gottesvorstellungen - und dass auch in kirchlichen Einrichtungen naturwissenschaft­liche Forschung betrieben und gefördert wurde:

 

(Quelle: B31 SCHROEDEL; Hoff, P. / Miram, W.: Evolution, Materialien für den Sekundarbereich II, Biologie, Hannover, 1993, S.10f.)

 

 

Die Klöster erwiesen sich als besonders fruchtbare Zentren des geistigen Lebens.

 

Die Klöster – Einrichtungen der (mittelalterlichen) Kir­che! – waren über viele Jahrhun­derte hinweg wichtige Orte wissenschaftlicher Arbeit. Bedeutsame Entdeckungen in den Naturwissenschaften wurden von Christen gemacht: Nikolaus Kopernikus stand als Domherr im Dienst der Kirche, Galileo Galilei schrieb, dass er Gott für seine Entde­ckungen dankbar war, für Johannes Kepler war Wissenschaft nur „eine andere Form von Gottesdienst“, Isaac Newton meinte, in der Ordnung des Weltalls den Plan Got­tes zu finden, der Mönch Gregor Mendel entdeckte die Regeln der Vererbung, der katholi­sche Priester Lamaitre be­gründete die Theorie vom kosmischen Urknall …
Diese „wissenschaftsfreundliche“ Seite der biblisch-kirchlichen Tradition wird manchmal unter­schätzt oder schlicht vergessen. Hier einige weitere Hinweise:

a) Schon im ersten Kapitel der Bibel steht die Auftrag Gottes an den Menschen, sich „die Erde untertan“ zu machen. Wenige Zeilen weiter ist der Auftrag zu lesen, dass er die Erde (sie wird im Bild eines fruchtbaren Gartens vorgestellt) „bebauen und bewah­ren“ solle. Das aber beinhaltet die Ermutigung und die Aufgabe, dass der Mensch seine Begabungen, seine Neugier nutzt, um die Welt zu erkun­den, sie zu verstehen und sie auch zu verändern – der glaubende Mensch darf nicht nur, er soll sogar Natur-Wissen­schaft betreiben!

b) Wenn im ersten Kapitel der Bibel mitgeteilt wird, dass der Himmel und die Erde, die anderen Lebe­wesen und der Mensch Geschöpfe sind, zur (natürlichen) „Welt“ gehören, dann geschieht in der Bibel etwas ganz Neuartiges für das antike Weltverständnis: In den dem Volk Israel benachbarten Kulturen wur­den Sonne, Mond und Sterne, Blitz und Donner, Tiere und Steine als Götter verehrt. Damit verbunden waren Ehrfurcht und die Angst, sich ihnen zu nähern, sie zu untersuchen, sie zu „hin­ter“-fragen. Im jüdisch-christlichen Verständnis ist die Welt, die Natur „entgöttert“, sie ist damit frei für die angstfreie Annäherung, Untersuchung, Inbesitznahme durch den Menschen. Gerade erst dieses Den­ken – niedergelegt in den uralten Texten z.B. in den ersten Kapiteln der Bibel - hat später den Aufbruch der Naturwissenschaft im christlichen Abendland mög­lich gemacht!

c) Des weiteren sei daran erinnert, dass das Schulwesen in Deutschland im 19. Jahr­hundert maßgeblich von den Kirchen mit begründet und getragen wurde, und dass dort selbstverständlich modernste Naturwissen­schaft vermittelt wurde.

 

d) Und zuletzt soll darauf hingewiesen werden, dass im Auftrag des Papstes seit Jahr­hunderten zwei leistungsfähige Sternwarten betrieben werden, eine in der Nähe von Rom, die andere in Nordamerika.

 

Manchmal wird der Weg zur naturwissenschaftlichen Denkweise als mühsamer Fort­schritt beschrieben:

(Quelle: P8 WESTERMANN; Kuhn: Physik 1.1, Braunschweig, 2002, S.5ff.)

 

 

Die erkannten Regelmäßigkeiten im Ablauf der Naturerscheinungen schrieben die Menschen damals Göttern, Geistern und Dämonen zu, deren Absichten und Launen man erkennen musste. Sie suchten nicht nach „physikalischen“ Erklärungen, d.h. nach grundlegenden Naturgesetzen.
Der erste Schritt zu einer physikalischen Denkweise vollzog sich im 6. Jahrhundert v.Chr. bei den griechi­schen Naturforschern. Naturbeobachtung und Sammeln von Erfahrungen allein genügten ihnen aber nicht. Die tieferen Zusammenhänge wollten sie verstehen. Dabei hatten sie die kühne Idee, dass nicht dunkle und unergründliche Mächte, sondern unveränderliche Naturgesetze die Natur regieren, und dass es dem Menschen möglich wäre, diese durch den Gebrauch seines Verstandes herauszufinden

 

Diese Sichtweise, die einen Kontrast und Widerspruch zwischen „altem“ (falschem) und „neuem“ (richtigen) Denken nahe legt, muss ergänzt werden um den Hinweis, dass schon in alten Texten der Bibel Forscherdrang und das Verstehen-Wollen und Verste­hen-Können von Naturzusammenhängen durchaus positiv gesehen wurden, und sie wurden in eins gedacht mit dem Glauben an einen (Schöpfer-)Gott.

 

(Quelle: Die Bibel, Buch der Weisheit 7,15.17-20; 13,5)

 

 

„Mir aber gewähre Gott, nach meiner Einsicht zu sprechen
und zu denken, wie die empfangenen Gaben es wert sind ...

Gott verlieh mir untrügliche Kenntnis der Dinge,
sodass ich den Aufbau der Welt und das Wirken der Elemente verstehe,
Anfang und Ende und Mitte der Zeiten,
die Abfolge der Sonnenwenden und den Wandel der Jahreszeiten,
den Kreislauf der Jahre und die Stellung der Sterne,
die Natur der Tiere und die Wild­heit der Raubtiere,
die Gewalt der Geister und die Gedanken der Menschen,
die Ver­schiedenheit der Pflanzen und die Kräfte der Wurzeln ...

Denn von der Größe und Schönheit der Geschöpfe lässt sich auf ihren Schöpfer schlie­ßen“

 

Im Mittelteil dieses Textes ist der Stolz des Autors deutlich zu spüren auf die großarti­gen Entdeckungen, die ihm in der Beschäftigung mit der Natur möglich geworden sind (hier spricht der Natur-„Forscher“). Gerahmt werden diese Aussagen aber zum einen im „Vorspruch“ durch einen Dank an Gott, der ihm die Begabungen seines Verstandes ge­schenkt hat, verbunden mit der Aufgabe und dem Auftrag, sie auch zu nutzen, und zum zweiten macht der Autor im „Nachsatz“ deutlich, dass die Beschäftigung mit Zusam­menhängen in der Natur ihn nicht etwa von Gott weg, sondern näher zu ihm hingeführt hat.

 

Die notwendige Trennung der Ebenen – die Ebene der Beobachtung und des Experi­ments von der ganz anderen der Deutung und Bewertung der Dinge – war schon zu Beginn der Neuzeit klar bewusst:

Die „Royal Society of London“, eine der ältesten naturwissenschaftlichen Akademien (gegründet 1660), hat sich den Wahlspruch gegeben: „nullius in verba“. Das wäre etwa zu übersetzen mit: „nach niemandes Worten“ oder „auf niemandes Worte schwö­ren“ (nullius in verba iurare). Dahinter steht zum einen der stolze Anspruch, sich von jetzt an nicht mehr nur damit zu begnügen, nur in würdiger Verehrung die von Autoritä­ten ererbte Weltsicht zu zitieren (was etwa der verehrte Aristoteles oder die Bibel dazu sagen), sondern durch eigene Erkenntnis Sachverhalte zu hinterfragen, durch eigenes Vermögen und eigene Anstrengung selbst ein besseres Verständnis der Zusammen­hänge erlangen.
Aber damit legt die Naturwissenschaft auch eine Grenze ihrer Zuständigkeit fest: Sie vertraut fortan ausschließlich auf die Mittel und Möglichkeiten des menschlichen Ver­standes und beschränkt sich auf die Untersuchung der durch Beobachtungen und Mes­sungen fassbaren Natur. Das Fragen nach Gründen und Bedeutungen gehört nicht zu ihrem Arbeitsbereich – dieses Feld bleibt den Philosophen und Theologen überlassen.

 

Die so vorgenommene Trennung der „Zuständigkeiten“ ist manchmal wichtig, um unnö­tige Konflikte zu vermeiden.

 

 

1.2.7 Die Unterscheidung der Betrachtungsebenen
         löst nicht alle Konflikte zwischen Glaube
         und naturwissenschaftlichem Weltbild

 

Man muss aber auch darauf achten, dass nicht zu schnell eine „Schein-Harmonie“ her­gestellt wird. Auch dafür ein Beispiel:

 

(Quelle: B25 KLETT; Biologie für Gymnasien, Oberstufe, Stuttgart, 2005, S.412ff.)

 

 

Die Evolutionstheorie versucht, die Entwicklung der Lebewesen allein durch natürliche Vorgänge zu er­klären. Dieser Naturalismus, der u.a. mithilfe von zufälligen Mutationen und Selektions­vorgängen die Entwicklung beschreibt, ist auf gegenwärtige und vergangene Ursachen bezogen und verzichtet auf ein zukünftiges Entwicklungsziel. Dies schließt menschliche Evolution mit ein und gesteht ihm keine Sonder­rolle zu. Dies wird vielfach als Verletzung menschlicher Würde gese­hen und widerspricht dem gewohnten Selbstverständnis, denn in einer Entwicklung auf ein Ziel hin wird vielfach ein Sinn gesehen und der Weg dorthin kann dann nicht auf Zufall gegründet sein. Die Evolutionstheorie gerät damit leicht in Konflikt mit der Religion.
Die großen christlichen Kirchen sehen sich auf einer anderen Ebene als die Naturwissenschaften, näm­lich einer geistigen. Insofern besteht heutzutage kein Widerspruch zur Evolutionslehre, solange die Wis­senschaft ihre materielle Domäne und die Theologie ihre geistige nicht verlassen.

 

Der Konflikt zwischen einer Evolution des Lebens, für die aus naturwissenschaftlicher Sicht kein Ziel angegeben werden kann, und dem religiösen Verständnis, dass alles Geschehen in der Welt gewollt, gelenkt und auf ein Ziel hin orientiert ist (auf Gott hin, auf die Vollendung der Welt), bleibt. Die Argumentation mit zwei unterschiedlichen Ebe­nen des Zugangs zur Wirklichkeit führt hier nicht zu einer Lösung, denn die Wirklichkeit des Glaubens kann nur die gleiche Welt meinen wie die Naturwissenschaft. Hier gibt es Klärungsbedarf für die Theologie!

 


1.3 Weltentstehung, Evolutionstheorie und
      Schöpfungsglaube – als Thema im Schulunterricht ?!


 

Wer im christlich geprägten Abendland aufwächst und lebt, begegnet nicht nur in der Schule, sondern überall in seinem Alltag sowohl religiösen Bezügen als auch dem Komplex Naturwissenschaft/Technik.
Um sich in diesem Umfeld wenigstens einigermaßen zurechtzufinden, ist es unverzicht­bar, sich mit diesen beiden Erfahrungsbereichen - ihrer geschichtlichen Entwicklung und ihrer gegenwärtigen Bedeutung – auseinanderzusetzen.

Oft werden Glaube und Naturwissenschaft als Bereiche betrachtet (und behandelt), die vermeintlich nichts miteinander zu tun haben. Oder ihre Einsichten und Erfahrungen werden (etwas gewaltsam) auf einer Ebene verhandelt, mit der Konsequenz, dass ent­weder die Evolutionstheorie dem Schöpfungsglauben oder der Schöpfungsglaube der Evolutionstheorie weichen müsse. Dieses Entweder-Oder wird jedoch der – durchaus konfliktreichen – Beziehung zwischen den beiden Parteien nicht gerecht. Es geht um ein Gespräch, um gegenseitiges Akzeptieren, Verstehen (was tut, was will der andere wirklich) und wie ich meine, sogar um eine sinnvolle und notwendige wechselseitige Er­gänzung. Dieses Gespräch sollte auch in der Schule gesucht und geführt wer­den.

Die Evangelische Kirche in Deutschland hat kürzlich eine „Orientierungshilfe“ zu diesem Themenbereich herausgegeben, in der unter anderem Folgendes ausgeführt wird (Kommentare dazu siehe in den Fußnoten):

 

(Quelle: Q46 EKD-Texte 94: Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule; eine Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2008)

 

S.6

So wird auch hierzulande die Frage erörtert, ob im Biologieunterricht auf den biblischen Schöpfungsglau­ben und ob im Religionsunterricht auf die Evolutionstheorie Bezug zu nehmen sei. Auf der Linie der hier vorgelegten Überlegungen liegt es, das Verhältnis zwischen beiden Betrachtungsweisen vorzugsweise in interdisziplinären Unterrichtsprojekten[6] zu klären …
es wird deutlich, dass man die Beziehung zwischen diesen beiden Betrachtungsweisen nur dann zurei­chend bestimmen kann, wenn man zuvor gelernt hat, sie voneinander zu unterscheiden.. Das setzt aber voraus, dass sowohl hinsichtlich der biologischen
[7] als auch hinsichtlich der theologischen Fragen die gebo­tene Sachkenntnis[8] gegeben ist und in den Schulen auf angemessene Weise zum Ausdruck kommt. Das gilt auch für die Fälle, in denen im Biologie- oder im Religionsunterricht über das Verhältnis von Schöpfungsglauben und Evolutionstheorie gesprochen werden soll. …

 

S.18
Nach evangelischem Verständnis ist Bildung mehr als Wissen oder Können. Bildung umfasst auch die Fragen nach dem Grund allen Wissens sowie nach dem Ziel allen Erkennens. Wissenschaftstheoretische und erkenntnistheoretische Fragen gehören deshalb ebenso zur Bildung wie die nach dem Woher und Wohin des menschlichen Lebens. Wissen und Wissenschaft tragen nur dann zur Bildung bei, wenn sie auch im ethischen Horizont wahrgenommen werden. Bildung bedeutet Wertschätzung von Wissen, Er­kenntnis und Vernunft, schließt aber auch die Einsicht in deren Grenzen ein
[9]

 

S.19
Die Einrichtung spezialisierter Unterrichtsfächer beispielsweise für Biologie, Physik und Religion gewähr­leistet die Wahrnehmung entsprechender Perspektiven auf die Wirklichkeit, kann jedoch auch zu einer (Selbst-)Isolierung der verschiedenen Weltzugänge führen. Für eine nach Fächern organisierte Schule sind fächerverbindende Einheiten oder Arbeitsweisen deshalb besonders wichtig. …

 

Bei der bildungstheoretisch und schulisch wünschenswerten Auseinandersetzung mit Schöpfungs­glau­ben und Evolutionstheorie, aber auch mit dem Kreationismus sowie deren Verhältnis zueinander stoßen die einzelnen Unterrichtsfächer notwendigerweise an die Grenzen ihrer Kompetenz … In der Regel emp­fiehlt sich … ein fächerverbindender Unterricht, in den zwei oder mehr Lehrkräfte ihre unter­schiedlichen Kompetenzen einbringen können

 

S.21
Ein angemessener Umgang mit Schöpfungsglauben und Evolutionstheorie setzt Einsichten in erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Zusammenhänge vorausAls besonders klärungsbedürftig müssen da­bei häufig von populären Missverständnissen begleitete Begriffe wie „Tatsache“, „Beweis“ und „Widerle­gung“ (Verifikation und Falsifikation), „Hypothese“, „Theorie“, „Erkenntnisfortschritt“ usw. gelten
[10]. Darüber hinaus sollten die unterschiedlichen Zuordnungsmodelle für unterschiedliche Weltzugänge, ins­besondere im Sinne eines komplementären Denkens, eingeführt werden.

 

Weiterführende Klärungen lassen sich nur erzielen, wenn beide, Schöpfungsglaube und Evolutions­theorie, nicht von ihren problematischen Verzerrungen, sondern von einem ihnen jeweils angemessenen differenzierten Verständnis her aufgenommen werden. Der Bezug auf den Ultradarwinismus oder auf den Sozialdarwinismus eignet sich dazu ebenso wenig wie der auf den Kreationismus, so wichtig die kritische Auseinandersetzung mit ihnen im Übrigen ist. Ähnlich verhindert eine Einführung der Evolutionstheorie als wissenschaftliche Kritik am Schöpfungsglauben oder gar als Ersatz für diesen von vornherein ein sachliches Verständnis der Eigenart beider Weltzugänge in ihrer Unterschiedenheit[11].

 

S.22
Die Auseinandersetzungen zwischen Evolutionstheorie und Kreationismus sowie ihre Auswirkungen auf die Schule haben in der Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit gefunden. Darüber sollte nicht übersehen werden, dass tatsächlich andere Probleme, vor die sich Naturwissenschaften und Schöpfungstheologie gestellt sehen, eine weit höhere Dringlichkeit besitzen. Die Frage, ob und wie Leben und Überleben in ei­ner auf viele Weisen gefährdeten Welt gesichert werden können, mit welchen Mitteln etwa den Folgen ei­nes durch menschliches Handeln mitverursachten Klimawandels begegnet werden soll und wie die Rechte zukünftiger Generationen im Blick auf endliche Ressourcen gewahrt werden können, ist ebenso offen wie die Frage nach den Grenzen für menschliche Eingriffe im Bereich der Humangenetik. Diese und viele andere Herausforderungen betreffen Naturwissenschaften und Theologie gleichermaßen; die größte Herausforderung besteht darin, wie sie gemeinsam zu einem Leben und Überleben in Humanität beitra­gen können
[12]

 

(Quelle: Q46 EKD-Texte 94: Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule; eine Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2008)

 

Aus der Auswertung der Lehrbücher in dieser Studie sollen nur noch wenige weitere Schlussfolgerungen ergänzt werden.

 

·        Die Beschäftigung mit erkenntnistheoretischen Fragen sollte in den naturwissenschaft­lichen Fächern auch schon gegenüber Schülern bis zur Klassen­stufe 10 erfolgen. Die meisten Lehrbücher für die Sekundarstufe 1 gehen darauf nicht oder nur an wenigen Punkten ein.
Die Beschäftigung mit solchen Fragen wird in Lehrplänen und Lehrbüchern für die gymnasiale Oberstufe zwar viel ausführlicher aufgenommen (manchmal nur in „An­hängen“ oder für Leistungskurse) – aber solche Einsichten sind wichtig für alle Men­schen, die sich in unserer von Naturwissenschaft und Technik so nachhaltig ge­prägten Welt zurechtfinden sollen, nicht nur für eine Elite.

 

·        In den naturwissenschaftlichen Fächern werden manchmal Vorstellungen von Reli­gion im Allgemeinen und von christlichem Glauben im Besonderen vermittelt, die falsch, einseitig oder nicht aktuell sind. So besteht die Gefahr, dass Missverständ­nisse bestehen bleiben oder aufgebaut werden, die ein echtes Gespräch erschwe­ren.

·        Manche wichtigen Ereignisse aus der Vergangenheit (verbunden z.B. mit den Na­men Kopernikus, Galilei, Darwin) sollten im Lichte neuer Erkenntnisse differen­zierter dargestellt werden – ohne dabei auf die notwendige (selbst-)kritische Auseinander­setzung zu verzichten.

 


Teilband 2:
Auswertung der Lehrbücher

 

Teilband 2.1:

Auswertung der Lehrbücher
für das Fach BIOLOGIE
(Sachsen 2007/2008)

 

Teilband 2.1:
Auswertung der Lehrbücher für das Fach BIOLOGIE (Sachsen 2007/2008)

Kapitel

Inhalt

Seite

2.1

Der Umgang mit Erkenntnisgrenzen der Naturwissenschaft sowie die Darstellung und Behandlung von philosophischen und religiösen Fragen in Schullehrbüchern für das Unterrichtsfach BIOLOGIE im Freistaat Sachsen - 2007/2008

63

2.1.1

Lehrpläne für den Freistaat Sachsen 2004 (BIOLOGIE)

64

2.1.1.1

Grundsätzliches zu den Lehrplänen

64

2.1.1.2

Lehrpläne für den Freistaat Sachsen 2004 (BIOLOGIE)

65

2.1.2

Zu Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft und zu Wissenschaftstheorie

68

2.1.2.1

Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach BIOLOGIE für die Sekundarstufe 1

68

2.1.2.2

Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach BIOLOGIE für die Sekundarstufe 2

69

2.1.3

Annäherung an eine Grenzfrage: Die Entstehung des Lebens auf der Erde

83

2.1.3.1

Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach BIOLOGIE für die Sekundarstufe 1

83

2.1.3.2

Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach BIOLOGIE für die Sekundarstufe

86

2.1.4

Schöpfung contra Evolution ? Umgang mit Schöpfungsvorstellungen in BIOLOGIE-Lehrbüchern

90

2.1.4.1

Exkurs:

Zur Verwendung von Begriffen aus der religiösen und theologischen Tradition in Biologie-Lehrbüchern

90

2.1.4.2

Lehrbücher aus dem Verlag PAETEC / Duden

94

2.1.4.3

Lehrbücher aus dem Verlag SCHROEDEL

99

2.1.4.4

Lehrbücher aus dem Verlag KLETT

107

2.1.4.5

Lehrbücher aus dem Verlag CORNELSEN / VOLK UND WISSEN

109

2.1.4.6

Lehrbücher aus weiteren Verlagen (BSV, C.C.BUCHNER)

110


2.1  Der Umgang mit Erkenntnisgrenzen der Naturwissen-
       schaft sowie die Darstellung und Behandlung von
       philosophischen und religiösen Fragen
       in Schullehrbüchern für das Unterrichtsfach BIOLOGIE
       im Freistaat Sachsen - 2007/2008

 

Es ist wahrlich etwas Erhabenes um die Auffas­sung, dass das Leben mit seinen verschiedenen Fähigkeiten vom Schöpfer ursprünglich nur wenigen oder gar nur einer einzi­gen Form ein­gehaucht wurde, und dass, während dieser Planet nach dem ehernen Gravitations­gesetz seine Kreise zieht, aus ei­nem so schlichten Anfang unzählige der schönsten und wunderbarsten Formen entwickelt wurden und immer weiter entwickelt werden.

 

(Charles Darwin: The origin of species …, Collins Clear Type Press, London & Glasgow, o.J.; S.507, letzter Satz des Buches)63

 

In diesem Kapitel werden zunächst die Lehrpläne des Freistaates Sachsen für das Fach BIOLOGIE in Auszügen vorgestellt.
Anschließend sind Aussagen aus den für das Schuljahr 2007/2008 zugelassenen Schul-Lehrbüchern zusammengestellt.
Dabei werden die Bücher nacheinander unter drei Gesichtspunkten ausgewertet:
Werden erkenntnistheoretische Fragen aufgenommen?
Was sagen die Lehrbücher zum Beginn des Lebens auf der Erde?
Wie gehen die Lehrbücher mit dem Konfliktbereich „Schöpfung contra Evolution?“ um?
Zu jeder Fragestellung werden zunächst Lehrbücher betrachtet, die bis zur Klassen­stufe 10 im Gebrauch sind, danach gesondert solche für die gymnasiale Oberstufe.
Zum „Umgang mit Schöpfungsvorstellungen in Biologie-Lehrbüchern“ erschien eine an­dere Zuordnung sinnvoll: Hier wurden jeweils Bücher aus den gleichen Verlagen zu­sammen untersucht.
In den einzelnen Kapiteln werden die Lehrbücher stets in der Reihenfolge vorgestellt, in der sie im Quellenverzeichnis erfasst sind.

 

 

2.1.1 Lehrpläne für den Freistaat Sachsen 2004 (BIOLOGIE)

 

 

2.1.1.1 Grundsätzliches zu den Lehrplänen

 

In den staatlichen Lehrplänen werden (verbindliche) Vorgaben gemacht, welche Inhalte in den jeweiligen Unterrichts-Fächern zu vermitteln sind. Zusätzlich sind Vorschläge und Anregungen für die konkrete Ausgestaltung des Unterrichts enthalten (z.B. Querver­weise zu anderen Unterrichtsfächern).

Schon mit den Lehrplänen werden Weichen gestellt und Schwerpunkte für Lehrer und Schüler gesetzt - und indirekt auch für die Verlage und die Lehrbuch-Autoren.

Für die Kapitel „Lehrpläne für den Freistaat Sachsen“ sind in dieser Studie Auszüge er­stellt worden in dem Bemühen, für die hier interessierenden Gesichtspunkte wesent­liche Aussagen zu erfassen.
Zusätzlich werden manche Passagen durch Unterstreichungen hervorgehoben oder auch in Fußnoten kommentiert.

 

 

In den Lehrplänen werden unter anderem folgende Abkürzungen verwendet:

MS       = Mittelschule

GY       = Gymnasium

LB        = Lernbereich

Gk        = Grundkurs

LK        = Leistungskurs

WG      = Wahlgrundkurs

AST      = Astronomie

BIO      = Biologie

ETH      = Ethik

PH       = Physik

RE/e     = evangelische Religion

RE/k     = katholische Religion

 

 

 

2.1.1.2 Lehrpläne für den Freistaat Sachsen 2004 (BIOLOGIE)

 

(Quelle: Lehrpläne des Freistaates Sachsen 2004)

 

 

A) Mittelschule Biologie (MS-BIO)

 

S.2

Ziele und Aufgaben des Faches Biologie

… trägt … zur Entwicklung eines differenzierten Weltbildes bei und fördert vernetztes Denken …

… Leisten eines Beitrages zur Entwicklung eines Weltbildes hinsichtlich der Evolution[13] der Organismen …

 

S.23
Klassenstufe 8

 

Ziele
… die Schüler können Vorzüge und Grenzen von Modellen darstellen

 

S.26
Klassenstufe 9

 

Lernbereich 1: Grundlagen der Genetik

… Humangenetik … Projekt in Zusammenarbeit mit ETH und RE[14]

 

Lernbereich 2: Grundlagen der Evolution

 

Beobachten, Hypothesen bilden, Theorie
Werteorientierung: Weltanschauungen und Wertesysteme
(Verweis
14 auf ETH Kl. 7, LB3 und Kl.8, LB2 und auf RE/k Kl. 8, LB 2 und Kl.9, LB2)

… Kennen von Belegen zur Evolution der Organismen …

 

S.29
Klassenstufe 10

 

S.30

Lernbereich 2: Biologische Probleme der Globalisierung und biologische Forschungen

… Einblick in einzelne Aspekte der modernen biologischen Forschung gewinnen …
Ziele, Methoden und Bedeutung der Forschung …
Chancen und Risiken biologischer Forschung …
Hypothese, Experiment, Analyse, Vergleich
(Verweis auf RE/e
14 Kl.10, LB 1)

 

 

Gymnasium Biologie (GY-BIO)

 

S.2

Ziele und Aufgaben des Faches Biologie

Als beschreibende und experimentelle Naturwissenschaft erschließt die Biologie in ihrer Komplexität einerseits vielfältige alltagsrelevante Sachverhalte und liefert andererseits wesentliche Beiträge zur Be­wältigung und sachgerechten Wertung wissenschaftlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Pro­bleme. …

Die Schüler erfahren, dass biologische Vorgänge physikalische und chemische Grundlagen haben und mathematisch beschreibbar sind

… Leisten eines Beitrages zur Entwicklung eines naturwissenschaftlich fundierten Weltverständnisses hinsichtlich der Mechanismen und Tendenzen der Evolution

 

S.30

Klassenstufe 10

 

Ziele

… die Schüler … erlangen … Einblicke in die Wissenschaftsgeschichte. Sie erkennen, dass wissen­schaftliche Evolutionstheorien zur Erklärung der Entwicklung der Organismen angewendet werden kön­nen

 

S.31

Lernbereich 2: Entstehung der Artenvielfalt

historische Vorstellungen zur Evolution
Linné … Lamarck … Darwin …
(Verweis auf RE/e
14 Gk11, LB1) …

Kennen von Belegen für die Evolution

 

S.32
Lernbereich 3: Stammesgeschichte des Menschen

(Verweis auf ETH Kl10, LBW1 und RE/k Lk11, LB1) …

Antirassismus als Gebot des Humanismus

 

S.33
Wahlpflicht 2: Entstehung des Lebens auf der Erde

Kennen unterschiedlicher Hypothesen zur Entstehung des Lebens auf der Erde
Bedingungen der Uratmosphäre
chemische und biologische Evolution, Schöpfungslehren
Oparin … Miller … Fox …
[15]

 

S.34ff.
Jahrgangsstufen 11/12 – Grundkurs

 

S.42
Lernbereich 6: Evolution und Zukunft des Menschen

Übertragung evolutionsbiologischer Kenntnisse auf die Stammesentwicklung des Menschen …
(Verweis auf: Interdisziplinarität und Mehrperspektivität)

 

S.44ff.
Jahrgangsstufen 11/12 – Leistungskurs

 

Ziele

… Schüler erweitern ihre Kenntnisse zur Wissenschaftsgeschichte …
erörtern die Notwendigkeit und die Grenzen biologischer Forschung
[16]

 

S.53
Jahrgangsstufe 12
Lernbereich 4: Synthetische Evolutionstheorie

Beurteilung einer weiteren Evolutionstheorie …
Sozialdarwinismus
[17], Gould´sche Theorie
(Verweis auf: Reflexions- und Diskursfähigkeit)

 

S.54

Lernbereich 6: Evolution und Zukunft des Menschen

Übertragung evolutionsbiologischer Kenntnisse auf die Stammesentwicklung des Menschen …
(Verweis auf: RE/e Gk12, LB1; Werteorientierung; Interdisziplinarität und Mehrperspektivität)

 

S.55
Wahlpflicht 2: Evolution des Stoffwechsels

… Evolution der Ernährungsweisen …
Ursuppe … Oparin … Miller … Fox
15

 

 

(Quelle: Lehrpläne des Freistaates Sachsen 2004)

 


 

2.1.2 Zu Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft
         und zu Wissenschaftstheorie

 

Der achtjährige Jakob kommt nach Hause.
Er ist beunruhigt. Aufgeregt sprudelt aus ihm heraus, was er heute in der Schule erfahren hat:
„Mutti, weißt du was … die Ur-Oma war mal ein Affe!“

 

2.1.2.1 Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach
            BIOLOGIE für die Sekundarstufe 1

 

Eine Reflexion über die Arbeitsweise (naturwissenschaftliche Methode) und über die Begrenzungen naturwissenschaftlicher Erkenntnis findet in den aktuellen Biologie-Lehr­büchern für die Sekundarstufe 1 - erwartungsgemäß entsprechend der Alterstufe - meist nicht oder nur in Andeutungen statt.
ABER: Schüler, die nach der Sekundarstufe 1 (10. Klasse) von der Schule abge­hen, oder solche, die im Gymnasium die Fächer Biologie und/oder Physik nach der 10. Klasse „abgewählt“ haben, erfahren unter Umständen nie mehr in ihrem Leben etwas darüber, wie „wissenschaftliche“ Erkenntnisse gewonnen werden und wie sie zu interpretieren sind!

Unsicherheiten im derzeitigen Erkenntnisstand und der Hinweis auf die Vorläufigkeit vieler naturwissenschaftlicher Erkenntnisse sind in den Lehrbüchern manchmal an zu­rückhaltenden sprachlichen Formulierungen erkennbar.

Hier sind einige wenige „Funde“ zusammengestellt:

 

(Quelle:  B11 CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Biologie plus, Klasse 10 Gymnasium, Sachsen, Berlin, 2006, S.102)

 

 

Die Entwicklung unseres Planeten begann vermutlich vor etwa 4,6 Milliarden Jahren. …

 

(Quelle: B12 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie, Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin, 2005, S.502)

 

 

Eine heute anerkannte Theorie ist die Abstammungslehre.[18]

 

(Quelle: B16 SCHROEDEL; Netzwerk Biologie 10, Braunschweig, 2006)

 

 

S.105:

So könnten die Bausteine des Lebens entstanden sein …

Wie es weiterging und wie mit Bakterien und Blaualgen die biologische Evolution begann, ist unbekannt

S.132:
Mit Stammbäumen versucht man, mögliche Wege der Evolution aufzuzeigen …
(Fossilfunde) Es lassen sich viele Stücke nur schwer in den bisherigen Stammbaum einordnen. …
Fossil nicht belegte und vermutete Wege sind gestrichelt dargestellt …
Der dargestellte Stammbaum … ist einer unter vielen und kann mit jedem neuen Fund eine Ände­rung erfahren

S.141:
Der Stammbaum der Entwicklung zum Menschen ist noch mit vielen Fragezeichen versehen.

 

(Quelle: B17 VOLK UND WISSEN; Biologie Band 3, Sachsen, Volk und Wissen, Berlin, 2002, S.132)

 

 

Wie sich dieser Schritt (Übergang von unbelebter Materie zu Leben) vollzog, wissen wir nicht. …

Die Entstehung des Lebens auf der Erde ist schwierig zu erforschen. Es gibt keine fossilen Reste aus der Zeit der Entstehung der frühesten Lebensformen. Die experimentellen Ergebnisse vermit­teln uns aber Modellvorstellungen, die durch die Forschungen der letzten Jahrzehnte immer mehr an Wahrscheinlich­keit gewonnen haben.

 

 

 

 

2.1.2.2 Zu Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft
            und zu Wissenschaftstheorie
            Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach
            BIOLOGIE für die Sekundarstufe 2

 

In den Biologie-Lehrbüchern für die Sekundarstufe 2 werden - angemessen entspre­chend der Alterstufe - die Arbeitsmethodik und die Begrenzungen naturwissenschaft­licher Erkenntnis wesentlich ausführlicher und differenzierter thematisiert als in denen für die Sekundarstufe 1.

 

Die im Folgenden wiedergegebenen Zitate sollen im Wesentlichen für sich selbst spre­chen:

 

(Quelle: B21 BSV (Bayerischer Schulbuch Verlag); Meyer, H. / Daumer, K.: Biologie für die gymna­siale Ober­stufe, München 1999)

 

 

S.6
Die darwinsche Hypothese einer Evolution bezieht sich auf Vorgänge in der Vergangenheit, die nicht wiederholbar und deshalb einer experimentellen Überprüfung prinzipiell nicht zugänglich, also nicht direkt beweisbar sind. Sie erlaubt aber die umfassende und logische Verknüpfung der Beob­achtungen und Experimentalbefunde aus allen Wissensgebieten der Biologie und findet in der ex­perimentellen Bestäti­gung von Voraussagen immer wieder ihre Bestätigung. Bis heute gibt es keine einzige biologische, palä­ontologische oder geologische Einzeltatsache, die sich nicht wider­spruchsfrei in dieses Gedanken­gebäude einfügen ließe.
Die Hypothese einer Evolution wurde so zur Evolutionstheorie, der umfassendsten und best­begründeten Theorie der Biologie überhaupt
Welche Indizien sprechen für eine gemeinsame Abstammung der Lebewesen? …

S.108ff.
Möglichkeiten und Grenzen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns …

Es entspricht unserer Erfahrung, dass einer Wirkung eine von ihr verschiedene Ursache zugrunde liegt und dass gleiche Ursachen unter gleichen Bedingungen auch gleiche Wirkungen hervorrufen. Ob solche Kausalzusammenhänge für alle Naturerscheinungen bestehen, ist prinzipiell unbeweis­bar, wenngleich höchst wahrscheinlich und wird deshalb a priori angenommen (Kausalitätspostu­lat). …
Auf diesen Grundlagen gewonnene Ergebnisse werden zu so genannten reproduzierbaren (objek­tiven) Aussagen, wenn sie erstens mit naturwissenschaftlichen Methoden (d. h. streng logisch und unabhängig vom Beobachter und von ideologischen, religiösen, weltanschaulichen und sonstigen Einflüssen) und zweitens mehrfach und von verschiedenen Personen erhalten wurden. …
Je größer die Anzahl der untersuchten Einzelfälle mit gleichem Ergebnis ist, desto sicherer ist die daraus abgeleitete Regel. Solche Regeln mit sehr hohem Gewissheitsgrad werden auch Natur­gesetze genannt.
Eine vielfach bestätigte und verfeinerte Hypothese, in die sich möglichst viele und vielfältige Ein­zeltat­sachen widerspruchsfrei einfügen lassen, erhält den Rang einer Theorie. Auch wenn Theo­rien die Ebene höchster Gewissheit naturwissenschaftlicher Erkenntnis darstellen, so geben doch auch sie immer nur den Stand des augenblicklichen Wissens wieder und sind der Veränderung und Anpassung an neue Er­fahrungen und Ergebnisse unterworfen. Gelegentlich erweisen sie sich sogar als falsch
Beschreibungen, objektive Aussagen, Kausalbeziehungen, Regeln, Hypothesen und Theorien sind die Ergebnisse unserer Bemühungen, die reale Welt zu erkennen, d.h. unsere Erfahrungen und die daraus gebildeten Vorstellungen mit den Naturerscheinungen in Übereinstimmung zu bringen. Sie bilden in ihrer Gesamtheit das, was man das „naturwissenschaftliche", oder, auf biologische Sach­verhalte reduziert, das „biologische Weltbild" nennt. Ein solches „Weltbild" kann niemals vollstän­dig, fertig, endgültig sein.
Fragen nach dem Beginn einer Ursachenkette wie auch nach der finalen (Zweck-)Ursache sind mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht zu fassen. Sie wurden zu allen Zeiten und in allen Kultu­ren mit Vorstellungen von den zweckvollen Absichten sich selbst erklärender Schöpfer beantwor­tet. Da sich sol­che Begründungen einer Überprüfung mit naturwissenschaftlichen Mitteln entzie­hen, sind sie in
[19] den Naturwissenschaften nicht zulässig. …

 

(Quelle: B22 C.C.BUCHNER; Solbach, H.: Vita nova; Biologie für die Sekundarstufe II; Bamberg 2000)

 

 

S.353
Die Paläontologie liefert mit Fossilien wertvolle Hinweise auf die Existenz von früheren Arten …

 

S.364f.
Widersprüche und Schwächen der Evolutionstheorie
Es gibt Schwachstellen in der Evolutionslehre DARWINS und der daraus hervorgegangenen, verbesser­ten synthetischen Evolutionstheorie. …

Viele Erkenntnisse der Evolutionsforschung werden noch kontrovers diskutiert. Welches Fazit kann man am Ende dieses Kapitels ziehen? – Es ging nicht darum, Sie zu verunsichern und alles, was Sie bisher über Evolution erfahren haben, in Frage zu stellen. Festzuhalten ist aber, dass viele Bereiche der Evolutionsforschung kontrovers beurteilt werden. Für die Ursachen der Evolution gibt es z.B. bisher keine widerspruchsfreie, gültige Theorie. Es ist deshalb vernünftig, auch Erkenntnisse, die als gesichert gelten, mit Umsicht zu beurteilen und zu verwenden.
Ob die Evolution wohl jemals alle ihre Geheimnisse preisgeben wird?

 

(Quelle: B23 CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Biologie Oberstufe, Gesamtband, Berlin, 2006)

 

 

S.12f.
(Wahrnehmung, Erfahrung, Wissenschaft) … Dieser dreistufige Prozess der Erkenntnis beruht jedoch letztlich auf hypothetisch postulierter Realität. Er kann nie zu völlig sicherem, endgültigem Wissen führen. Auch auf der Stufe der Wissenschaft gewonnenes Wissen ist daher immer nur „Vermutungswissen“ und damit vorläufiges Wissen. …
Jede Beobachtung wird durch die Leistung der Sinne oder der Instrumente gefiltert und begrenzt. …

Der wissenschaftliche Vergleich ermöglicht es, diese Evolutionskette teilweise zu rekonstruieren. …


S.254
Wie Forschung funktioniert: Die synthetische Theorie der Evolution
Die naturwissenschaftliche Theorie. Eine Theorie ist eine umfassende widerspruchsfreie Modellvor­stellung der Wirklichkeit. …
Offene Fragen. Wie jede naturwissenschaftliche Theorie ist auch die synthetische Theorie der Evolution nicht abgeschlossen. Sie wird an immer neuen Fakten auf ihre Gültigkeit geprüft und dabei ständig wei­terentwickelt. Stets sind einzelne Fragen ungelöst. So ist immer noch offen, welches Gewicht verschie­denen Evolutionsfaktoren zukommt, beispielsweise der Bedeutung von Gendrift und Zufall im Vergleich mit den Wirkungen der Selektion.
Auch der Verlauf der Stammesentwicklung wird im Detail kontrovers diskutiert. Verläuft die Ent­wicklung kontinuierlich in kleinen Schritten, wie dies der Gradualismus annimmt, oder erfolgt der Wandel punktuell schubweise zu bestimmten Epochen, wie der Punktualismus meint?

S.268
Die Tatsache der Evolution
DARWINS Abstammungs- und Selektionstheorie, meist als Evolutionstheorie zusammengefasst, berück­sichtigt zahlreiche Fakten und erklärt die Vielfalt des Lebens durch natürliche Ursachen. Wie jede andere Theorie wird sie durch neue Tatsachen erweitert oder eingeengt und ist niemals eine endgültig beweis­bare Wahrheit. …

S.269
(Überblick)
Die Tatsache der Evolution ergibt sich aus der Evolutionstheorie
[20]

 

(Quelle: B24 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag; Duden Biologie, Gymnasiale Oberstufe, Berlin, 2005)

 

 

S.32
Modell: stimmt mit einem Teil der Wirklichkeit überein …
Theorie: System von Gesetzen, Modellen und Regeln, das sich mit einem bestimmten Teil der Realität beschäftigt. Theorien beruhen meist auf einem Modell

S.33

Der reduktionistische Forschungsansatz beinhaltet, dass jeder Lebenserscheinung ein Bedin­gungs­komplex aus Materie, Information und Organisation zugrunde liegt.
Gesetze der exakten Naturwissenschaften reichen aus, um damit eine Lebenserscheinung zu erklären. …

 

S.380
Indizien für die Evolution der Organismen …
weisen hinsind BelegeverdeutlichenermöglichenIndiz

 

(Quelle: B25 KLETT; Biologie für Gymnasien, Oberstufe, Stuttgart, 2005)

 

 

S.412
Die Evolutionstheorie versucht, die Entwicklung der Lebewesen allein durch natürliche Vorgänge zu er­klären.
Ein häufiger Vorwurf lautet, dass die Evolution nicht sicher bewiesen sei. Dies zielt eigentlich auf den Hypothesencharakter aller naturwissenschaftlichen Theorien. Theorien sind prinzipiell nicht positiv be­weisbar, nicht verifizierbar. Die Forderung nach völliger Sicherheit ignoriert also den Hypothesen­charak­ter und kann generell nicht eingelöst werden. Theorien sollten aber wider­spruchsfrei (interne Kon­sistenz) und überprüfbar sein, und die Prüfung sollte auch negativ ausfal­len können. Ein positives Ergeb­nis ist aber kein Beweis, sondern „nur" eine bestandene Bewäh­rungsprobe. …

Weiterhin ist Naturwissenschaft und damit auch die Evolutionstheorie eine menschliche Tätigkeit. Als sol­che enthält sie die menschlichen Schwächen wie z.B. die Möglichkeit des Irrtums, auch ist sie unfertig, nicht abgeschlossen. …

 

S.413

(vorher Zitate zum Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion)
AUFGABE:
Zeigen Sie, an welchen Stellen der Texte auf verschiedenen Ebenen argumentiert wird und wo Über­schreitungen der Domänengrenzen erfolgen.
[21]

 

(Quelle: B27 KLETT; Natura, Biologie für Gymnasien Band 2, Klett, Stuttgart, 1997, S.367)


Die Wurzeln der Menschheit
Da auch heute noch beträchtliche Lücken in den vorliegenden Fossilfunden bestehen, bleibt jeder Stammbaum des Menschen unsicher. Kommen neue Fossilfunde und weitere Erkenntnisse dazu, muss der Stammbaum überarbeitet werden. Dies kann bei einzelnen Wissenschaftlern, je nach unterschied­licher Bewertung der Funde, zu verschiedenen Ergebnissen führen.

 

Zu einer genau entgegengesetzten Bewertung der Befundlage bei Fossilien kommt das folgende Lehrbuch:

 

(Quelle: B28 SCHROEDEL; Biologie heute entdecken S II; Braunschweig, 2004, S.413)

 


… Fossilgeschichte …
Aufgrund zahlloser derartiger Belege gilt Evolution heute nicht mehr „nur“ als Theorie, sondern als Tat­sache
20

 

Das nächste Lehrbuch stellt zwar zunächst fest, dass sich die Aussagen der Evolu­tionstheorie grundsätzlich „nicht direkt beweisen“ lassen, biologische Forschung nur gewichtige Hinweise liefern kann, dann aber wird sofort anschließend in den Kapitel­überschriften doch ständig von „Beweisen“ geschrieben.

 

(Quelle: B29 SCHROEDEL; Biologie heute S II; Braunschweig, 2004)

 

S.286
Da sich die Aussagen der Evolutionstheorie auf Vergangenes, Unwiederholbares beziehen, lassen sie sich grundsätzlich nicht direkt beweisen. Die verschiedenen biologischen Disziplinen wie Anatomie und Morphologie, Stoffwechselphysiologie, Entwicklungsphysiologie, Genetik, Ethologie, Paläontologie sowie Tier- und Pflanzengeografie liefern aber eine Fülle von Hinweisen, die allein durch die Annahme einer gemeinsamen Abstammung der Lebewesen zu erklären sind.
S.387
2 Argumente für die Evolutionstheorie
2.1 Anatomische und morphologische Beweise
(weiter: 2.2 Entwicklungspysiologische Beweise, 2.3 Paläontologische Beweise)

 

S.442
7 Kontroversen über die Evolutionstheorie …
Lücken in der Evolutionstheorie …
2. Die Zeit, in der Evolution abgelaufen ist, umfasst mehr als vier Milliarden Jahre. Es ist unmög­lich, Ein­zelvorgänge, die Hunderte von Millionen Jahren zurückliegen, exakt zu rekonstruieren, da in der Zwi­schenzeit unzählige Einflüsse auf das Ergebnis eingewirkt haben, die nicht mehr nach­vollzogen werden können. Man ist dann, wie in jeder historischen Wissenschaft, auf Indizien­beweise angewiesen. Vor einer ähnlichen Situation steht beispielsweise die Geomorphologie, deren Aufgabe die Erklärung von Gelän­deformen mit physikalisch-chemischen Mitteln ist. Nicht immer ist es möglich, eine Struktur in der Land­schaft kausal zu erklären, da im Laufe der Zeit zu unterschiedliche Einflüsse nacheinander einwirkten, sodass einzelne Strukturen ausgelöscht oder verändert wurden. Niemand wird aber deswegen der Geo­morphologie die Existenzberechtigung absprechen oder sie für unseriös erklären.
3. Die Beziehungen der Lebewesen untereinander und zu ihrer Umwelt sind von einem Komplexi­tätsgrad, den das menschliche Gehirn, wenn überhaupt, dann nur äußerst schwer, zu bewältigen vermag.
Wenn man diese Schwierigkeiten bedenkt, ist es erstaunlich, dass in verhältnismäßig kurzer Zeit eine Theorie so gut abgesichert werden konnte, wie es bisher geschehen ist. Dass es trotzdem noch Lücken gibt und wahrscheinlich immer geben wird, ist kein Beweis gegen ihre Richtigkeit. Nur wenn eine Theorie gefunden wird, die die Erscheinungen der lebenden Welt auf andere Weise und besser als die Evolu­tionstheorie erklärt, wird die heute aktuelle Abstammungslehre überholt sein. …

S.444
(Der Kreationismus …)
Eine fundierte, lückenlose Argumentation dagegen ist aber mit gewissen Schwierigkeiten verbun­den: Die Evolutionstheorie beruht zu einem großen Teil auch auf den Voraussetzungen, die die Geologie liefert, denn die Fossilien finden sich in geologischen Schichten und die Datierungs­methoden, die die Zeittafel der Evolution bestimmen, sind Datierungsmethoden der Geologen. Diese Verfahren beruhen aber auf der Annahme, dass die Naturgesetze, die heute wirksam sind, auch schon vor Zeiten wirksam waren. Natur­gesetze haben immer in unveränderter Form gegolten und werden immer in unveränderter Form gelten. Dieses Prinzip wird als Aktualismus oder Aktua­litätsprinzip bezeichnet und geht auf den englischen Geologen CHARLES LYELL zurück, der damit zu DARWINS Zeiten die Geologie in neue Bahnen lenkte. Für uns ist dieses Prinzip heute selbst­verständlich. Es ist aber - und das ist der Ansatzpunkt für den Kreationismus - nicht beweisbar.
Der Aktualismus ist ein Axiom, d. h. ein Satz, der zwar als unmittelbar einsichtig gilt, aber nicht beweis­bar ist. Auch die Schöpfungstheorie beruht auf einem Axiom, denn auch sie ist nicht beweisbar. Wenn man also das Axiom des Aktualismus bezweifelt, entzieht man der Evolutions­theorie die Grundlage. Ohne das Aktualitätsprinzip ist es durchaus denkbar, andere, wie auch immer geartete Zeiträume für die Entstehung der Erde und ihre Bewohner anzusetzen. Man stellt sich damit aber auf eine Position außer­halb der heute für wahr gehaltenen naturwissenschaftlichen Prinzipien.
Akzeptiert man dagegen das Aktualitätsprinzip und nimmt man weiterhin an, dass auch die Datie­rungs­methoden nicht völlig falsch sind, so kommt die Evolutionstheorie zur Zeit als einzige Erklä­rungsmöglich­keit für die Vielfalt der Lebewesen auf der Erde in Frage. Die überwiegende Mehrzahl
[22] der heute leben­den Biologen und der anderen Naturwissenschaftler ist dieser Meinung.

 

(Quelle: B29 SCHROEDEL; Biologie heute S II; Braunschweig, 2004)

 

(Quelle: B30 SCHROEDEL; Hoff, P. / Miram, W. / Paul, B.: Evolution, Materialien für den Sekundar­bereich II, Biologie, Hannover, 2004)

 

 

S.16ff.
2.7 Der Streit um DARWINs Theorie

S.19
Kasten:
Wie Wissenschaft funktioniert
… Eine Theorie ist also ein Erklärungsmodell, das sich auf durch Fakten begründete Hypothesen stützt. Ein Erklärungsmodell ist natürlich etwas anderes als die „absolute Wahrheit“: Naturwissen­schaftliche Hypothesen lassen sich im streng mathematischen Sinn nämlich nicht „beweisen“. Das liegt daran, dass – so plausibel uns eine Hypothese erscheint – immer auch alternative Erklärun­gen möglich sind, auf die wir einfach noch nicht gekommen sind. Allerdings sollten sich Hypothe­sen dadurch auszeichnen, dass sich aus ihnen Vorhersagen ableiten lassen, die prinzipiell über­prüfbar sind. …

S.47
Kasten:
Die Synthetische Theorie der Evolution – ein Jahrhundertirrtum?
(im Weiteren werden hier kritische, alternative Erklärungs-Ansätze dargestellt)

S.52ff.
4 Spurensuche – Indizien für die Evolution
(im Weiteren wird in Kapitelüberschriften immer wieder der Begriff Hinweise verwendet, es geht dabei um solche aus der Biogeografie, aus der vergleichenden Anatomie und Morphologie, aus der vergleichenden Embryologie, aus der Parasitologie, Cytologie, Molekularbiologie)

 

(Quelle: B31 SCHROEDEL; Hoff, P. / Miram, W.: Evolution, Materialien für den Sekundarbereich II, Biologie, Hannover, 1993)

 

 

S.7
1. Einführung
… Viele Teilwissenschaften der Biologie liefern Argumente zur Stützung der Evolutionstheorie. Allen aber ist gemeinsam, dass sie nur Teile zu einem Puzzle beitragen. Die Entwicklung der Lebewesen lässt sich nicht im Experiment wiederholen. Die Teilbeiträge der Einzelwissenschaften sind „Indizien“ in einer Be­weiskette

 

S.106
7.2. Probleme bei der Rekonstruktion der Stammesentwicklung
… Der Biologe, der sich das Nachzeichnen dieses Weges zur Aufgabe macht, ist in der Lage eines Kri­minalisten, der ein Verbrechen rekonstruieren soll, für das es keine Zeugen gibt. Er hat eine Reihe von Hinweisen … die Verknüpfung der Indizien zu einer zusammenhängenden Kette erfor­dert aber viel Fin­gerspitzengefühl und Erfahrung … Unser Stammbaum wird deshalb an vielen ent­scheidenden Stellen notgedrungen gestrichelte Linien oder sogar Fragezeichen aufweisen.

 

S.127
8.5. Der Ablauf der Entwicklung zum Menschen
(Kasten:)
Die Problematik des menschlichen Stammbaums
… 1. Ein Stammbaum ist nur der Versuch, den jeweiligen Stand der Forschung im Zusammenhang dar­zustellen
4. Die Liniendarstellung in einem Stammbaum täuscht über die Lücken hinweg, die zwischen den einzel­nen Funden bestehen. Diese sind häufig beträchtlich.

S.140ff.
9. Kontroversen über die Evolutionstheorie
(Im Weiteren folgen zunächst Ausführungen zu Präadaptation und Makroevolution)

 

S.142f.
9.3. Lücken in der Evolutionstheorie
… Man ist dann, wie in jeder historischen Wissenschaft, auf Indizienbeweise angewiesen …
Dass es noch Lücken (in der Evolutionstheorie) gibt und wahrscheinlich immer geben wird, ist kein Be­weis gegen ihre Richtigkeit. Nur wenn eine Theorie gefunden wird, die die Erscheinungen der lebenden Welt auf andere Weise oder besser als die Evolutionstheorie erklärt, wird die Abstam­mungslehre überholt sein.

 

Sehr anspruchsvoll und in einem geschlossenen Beitrag informiert das folgende Lehr­buch über Arbeitsweise, Erkenntnismöglichkeiten und Begrenzungen der Naturwissen­schaften am Beispiel der Biologie.

Allerdings drängen beim Lesen eines so ausführlichen und tiefgründigen Artikels einige Fragen auf:
Ist es in den Lehrplänen überhaupt Raum vorgesehen, damit auf solche Problemberei­che gründlich und systematisch eingegangen werden kann?
Haben Lehrer und Schüler Zeit und Mut und Lust, sich auf solche Fragen einzulassen, die ja auch die eigene Existenz berühren, und auf die es vor allem keine „richtigen“ Antworten gibt, die man auswendig lernen, abfragen und bepunkten kann?
Es ist vielleicht symptomatisch, dass das Kapitel auch in diesem Lehrbuch ganz am Ende steht, damit am Rande und nicht richtig eingebunden in den Lehrstoff?
Meine Position ist hier ganz eindeutig:
Genau solche Kapitel, mit ausführlichen Darlegungen und in geschlossener Dar­stellung, gehören in die Lehrbücher und in die Lehrpläne - und nicht erst in der gymnasialen Oberstufe und nicht nur exklusiv in Leistungskursen!

Wegen seiner geschlossenen und gediegenen Darstellung wird das entspre­chende Kapitel aus dem Lehrbuch hier vollständig wiedergegeben:

 

(Quelle: B32 SCHROEDEL; Linder Biologie, Lehrbuch für die Oberstufe, Braunschweig, 2005)

 

 

S.541ff. (Textumfang 8 Buchseiten)

Erkenntniswege der Biologie

 

Erkenntnisse werden erst dann vollständig verstanden, wenn man weiß, wie sie zustande kommen, d.h. welche Methoden verwendet werden. Die Kenntnis der Methoden befähigt zum Urteil über den Wert und die Grenzen der damit gewonnenen Ergebnisse. Die Biologie als Naturwissenschaft baut auf reprodu­zierbaren Aussagen auf, die aufgrund von Beobachtungen, Vergleichen und Experi­menten gewonnen werden. Von ihnen ausgehend bildet man Hypothesen und Theorien.

 

1 Reproduzierbare Aussagen

 

Unter einer reproduzierbaren (objektiven) Aussage versteht man eine Feststellung, die wiederholt in unabhängiger Weise und von verschiedenen Personen getroffen werden kann. Um zu ihr zu gelangen, muss die strenge Gültigkeit der Logik vorausgesetzt werden. Außerdem werden fol­gende Forderungen erhoben: Unabhängigkeit vom jeweiligen Beobachter, von Übereinkünften und von Glaubens- und Wert­vorstellungen. Diese Forderungen können letztlich nicht begründet wer­den; sie sind die „Spielregeln“ der Naturwissenschaft. Sie erweisen sich durch die erfolgreiche Anwendung der von der Naturwissenschaft gewonnenen Ergebnisse als sinnvoll, z. B. Pflanzen- und Tierzüchtung als Anwendung der Genetik. Eine weitere wichtige „Spielregel“ (Postulat) für die Naturwissenschaften ist das Kausalitätsprinzip: Jeder Wir­kung muss eine Ursache zugrunde liegen, und gleiche Ursachen haben unter gleichen Bedingungen glei­che Wirkungen. Ein Ziel der Naturwissenschaften ist es, Kausalbeziehungen festzustellen. Die Erkennt­nisse sind stets abhän­gig vom Stand der Arbeitsmittel. Dies zeigt z. B. die Geschichte der Zellforschung (s. Cytologie 1.1). Sie sind aber auch abhängig von der Interessenlage in der Wissenschaft. So wurden die MENDELschen Regeln zunächst als unwichtig angesehen; ebenso erging es dem von MCCLINTOCK entdeckten Vorgang der Transposition (s. Exkurs Transposons, S. 363).

 

Beobachten. Manche Teilgebiete der Biologie beschränken sich auf das Beobachten und Beschreiben nach bestimmten Kriterien, z. B. die Anatomie. Eine Beobachtung kann in Form einer Aussage, z. B. der Beschreibung eines Verhaltens, in Form einer Abbildung, z. B. bei einer anato­mischen Beschreibung, oder in Form einer graphischen Darstellung bei messenden, quantitativen Beobachtungen niedergelegt werden. Auf die Beschreibung der Erscheinungen folgt der Versuch ihrer Erklärung. Dazu stellt man Überlegungen an, wie eine Erklärung aussehen könnte, d.h. man stellt eine Hypothese auf (siehe unten). Diese überprüft man häufig mithilfe von Experimenten.

 

Vergleichen. Vergleichen lassen sich Gegenstände, z.B. DNA-Moleküle, Organismen (Eidechse - Sala­mander), oder Vorgänge (Fotosynthese - Atmung). Beim Vergleich zweier Erscheinungen wird anhand festgelegter Kriterien das Unterschiedliche und das Gemeinsame herausgestellt. So erkannte man z. B. durch den anatomischen Vergleich der Blutkreisläufe sowie der Ausschei­dungsorgane verschiedener Wirbeltiergruppen, dass sie gemeinsame Grundbaupläne aufweisen. Durch Ordnen und Vergleichen wurde das natürliche System der Organismen gefunden. Auch Vergleiche führen zunächst zu Hypothe­sen, die dann weiter geprüft werden.

 

Experimentieren. Will man feststellen, wie eine bestimmte Größe, z.B. die Erregung einer Sinnes­zelle, durch eine andere Größe, z.B. die Reizintensität, beeinflusst wird, bedient man sich des Ex­periments. Ein Experiment muss so angelegt sein, dass es eine bestimmte Fragestellung eindeutig beantwortet. Es ist also immer das Ergebnis einer Vorüberlegung, die als Arbeitshypothese bezeichnet wird. In der Regel wird darin eine Kausalbeziehung angenommen. Will man z. B. klären, ob eine bestimmte Drüse das Wachstum fördert, so entfernt man sie einigen Versuchs­tieren und beobachtet, ob deren Wachstum dann aufhört. Ist dies der Fall, sucht man nach dem wachstumsfördernden Stoff, indem man aus der Drüse Inhaltsstoffe isoliert und getrennt nach­einander den Versuchstieren einspritzt. Derjenige Inhaltsstoff, der das Wachstum anregt, ist der gesuchte. Häufig sind bei biologischen Experimenten nicht alle Faktoren wirklich konstant zu halten, oft schon deshalb nicht, weil man gar nicht alle kennt. Um den Einfluss sol­cher nicht genau bestimmbarer oder nicht konstant zu haltender Faktoren auszuschalten, wird ein Expe­riment mehrmals wiederholt. Die Folge ist, dass zwei gleiche Versuche an biologischen Objekten oft nicht identische quantitative Messwerte liefern. Weil die Messwerte biologischer Versuche stärker streuen als diejenigen physikalischer Versuche (s. z.B. Abb. 89.1), spielen mathematische Verfah­ren der Statistik in der Biologie zur Sicherung der Versuchsergebnisse eine wichtige Rolle.

 

2 Hypothesen und Theorien

 

Beobachtungen und Vergleiche führen zu Hypothesen.

Die Aufstellung einer Hypothese erfordert zunächst eine Überlegung über mögliche Zusammen­hänge zwischen einzelnen Befunden oder Beobachtungstatsachen. Es liegt ihr also eine Idee zugrunde (Abb. 515.1). Daran schließt sich sofort die Prüfung auf Widerspruchsfreiheit und auf Vereinbarkeit mit allen den Themenbereich betreffenden objektiven Aussagen an. Daraus resultiert eine Arbeitshypothese, die als Grundlage für Experimente dient. Fallen diese positiv aus, so liegt eine etablierte Hypothese der Wis­senschaft vor. Ein Beispiel soll diese Vorgehensweise erläutern: MENDEL fand durch seine Experimente die in der Uniformitätsregel und der Spaltungsregel nie­dergelegten objektiven Aussagen. Er bildete die Hypothese, es gebe selbständige Erbeinheiten, die in den Körperzellen paarweise, in den Keimzellen aber nur in Einzahl vorhanden seien. Diese Hypothese ergibt sich nicht zwangsläufig aus den objektiven Aussagen. Auch eine andere Hypo­these wäre mit den gleichen Tatsachen vereinbar. Man könnte die von MENDEL gefundenen Spaltzahlen auch damit erklären, dass die Gene in den Körperzellen nicht doppelt, sondern in gro­ßer Zahl vorliegen und bei der Geschlechtszellenbildung in zwei nur ungefähr gleiche Hälften geteilt werden.

Eine Hypothese ist normalerweise ein (Gedanken-)Modell, das man sich von der Wirklichkeit macht. Die­ses Modell muss sich in experimentellen Situationen wie das reale System verhalten. Ein solches Modell kann sehr einfach sein, z. B. das Modell der selbständigen Erbeinheiten von MENDEL. Es kann aber auch sehr komplex sein, wie die Modellvorstellung von der Regulation der Proteinsynthese (s. Abb. 367.1) oder der Steuerung aktiver Bewegungen (s. Abb. 255.1). Jedes Modell soll aus Gründen der Denkökonomie das einfachst mögliche (sparsamste) sein, das zur Erklärung ausreicht (Minimalmodell). Dies ist das »Rasiermesserprinzip«, das auf den scholasti­schen Philosophen W. VON OCKHAM (gest. um 1349) zurückgeht. Stehen zwei Hypothesen zur Auswahl, von denen keine eindeutig als falsch nach­gewiesen werden kann, so ist diejenige zu wählen, die mehr Beobachtungen und Aussagen unter einem Gesichtspunkt zusammenfasst und erklärt.[23]

 

Prüfung von Hypothesen. Eine Hypothese muss geprüft und, falls nötig, weiter verfeinert werden. Dazu werden aufgrund der Hypothese Vorhersagen abgeleitet, die experimentell nachprüfbar sind. Man be­zeichnet dieses Verfahren der Herleitung als Deduktion (Abb. 515.1). Die Deduktion bedient sich aus­schließlich der Logik. Je nach Ausgang des Experiments wird die Hypothese be­stätigt oder als falsch er­kannt (falsifiziert). Eine einzige objektive Aussage, die mit der Hypothese unverträglich ist, führt zu deren Ablehnung. Dagegen kann eine Hypothese nie endgültig verifiziert werden, d. h. ihre Wahrheit erwiesen werden; durch jede Bestätigung wird ihre Richtigkeit nur wahrscheinlicher. Diese Aussage gilt nicht für Sätze der Art:

„Es gibt . . .!“ (Existenzsätze). Sie können durch eine entsprechende Beobachtung verifiziert, aber kaum je falsifiziert werden. Beispiele: „Es gibt schwarze Schwäne!“ oder „Es gibt einen angebore­nen auslösen­den Mechanismus (AAM), der das Verhalten x hervorruft!“. Solche Existenzsätze sind in der Wissen­schaft daher von geringem Wert.

Da Hypothesen nie verifiziert werden können, folgt daraus der hypothetische Charakter aller naturwis­senschaftlichen Erkenntnis. Die Annäherung an die Wahrheit erfolgt durch Falsifizierung möglichst vieler alternativer Vorstellungen. Eine vielfach bestätigte Hypothese hat sich dann bewährt.

Als Beispiel für die Prüfung einer Hypothese seien nochmals die MENDELschen Gesetze erwähnt: Aus der Hypothese, dass die Gene unabhängige Erbeinheiten sind, die in den Körperzellen dop­pelt, in den Keimzellen aber einfach vorliegen, wird deduktiv das Experiment der Rückkreuzung und das erwartete Ergebnis abgeleitet. Die experimentellen Ergebnisse bestätigen die Hypo­these(s. Genetik 3).

 

Induktion. Die Ansicht, dass man aus einer großen Zahl bisheriger Beobachtungen auf den nächsten Beobachtungsfall oder sogar auf alle Fälle schließen könne, ist unzutreffend. So lässt sich aus der Tatsa­che, dass alle bisher beobachteten Schwäne weiß sind, nicht folgern, dass alle Schwäne weiß sind. Ein solcher Schluss ist logisch nicht zu rechtfertigen, denn es gibt kein logi­sches Verfahren, das eine Anwen­dung auf weitere Fälle (Verallgemeinerung) erlaubt. Dennoch werden im Alltagsleben ständig solche Überlegungen verwendet. Man bezeichnet sie als Induktion. So ist man überzeugt, dass die Sonne mor­gen wieder aufgeht, obwohl man das nicht sicher wissen kann. Diese Überzeugung beruht auf Erfahrung: Naturvorgänge erwiesen sich bisher als konstant. Möglicherweise besteht auch eine erbliche Disposition, Vorgänge soweit möglich als konstant anzusehen („Gleiche bzw. gleichartige Dinge verhalten sich gleichförmig!“). Wenn alle bisher un­tersuchten Organismen aus Zellen aufgebaut sind, wird dies bei den nicht daraufhin untersuchten ebenso sein. Wenn die MENDELschen Gesetze für die bisher geprüften Arten zutreffen, so werden sie auch für die anderen gültig sein. Da der Energieerhaltungssatz bisher nie durchbrochen wurde, ist an seiner Allgemeingültigkeit nicht zu zweifeln.[24] Induktiv gewonnene Voraus­sagen haben keine logische, aber eine praktische Rechtfertigung. Nur mit ihrer Hilfe kann der Mensch planen und handeln sowie Gefahren vermeiden (Selektionsvorteil).

 

Wissenschaftliche Theorien. Erlaubt eine Schritt um Schritt ausgebaute Hypothese die wider­spruchs­freie Einfügung vieler objektiver Aussagen und ist sie vielfach bestätigt, so erhält sie den Rang einer Theorie. Die Bestätigung erfolgt so, dass die Hypothese an deduzierten Folgerungen experimentell viel­fach überprüft oder auch verbessert wird (hypothetisch-deduktives Verfahren).

Die naturwissenschaftliche Theorie hat vier Funktionen:

1. Erfassung eines Themenbereichs durch Schaffung und Handhabung von Begriffen. Diese
    müssen definiert sein, d. h. ihre Bedeutung und Verwendung muss genau festgelegt sein.
    Beispiel: In der Evolutionstheorie werden bestimmte Bauplanähnlichkeiten als Homologie
    bezeichnet.

2. Zusammenfassung vieler objektiver Aussagen unter einer einheitlichen Hypothese, die sich
    vielfach bewährt hat. Beispiel: Homologien werden erklärt durch Abstammungszusammen-
    hänge.

3. Möglichkeit von Voraussagen. Je mehr Voraussagen eingetroffen sind, umso mehr hat sich die
    Theorie bewährt. Beispiel: Weitere Homologien lassen weitere Abstammungszusammenhänge
    erkennen.

4. Aufwerfen neuer Fragen. Gelegentlich führen Theorien zu Voraussagen, die sich nicht
    vereinbaren lassen. Es entstehen neue Forschungsfragen (Fruchtbarkeit der Theorie). Beispiel:
    Das Problem des Gradualismus/Punktualismus in der Evolutionstheorie (s. Evolution 2.1.3).

Durch fortgesetzte Fehlerkorrektur hofft man, sich der Wahrheit zu nähern. Man weiß aber nicht, ab wann eine Hypothese als hinreichend bewährt angesehen werden darf, um Theorie genannt zu werden. Theo­rien sind nie endgültig, sondern immer nur richtig nach dem augenblicklichen Stand des Wissens.

Es kann auch vorkommen, dass eine bisherige Theorie nicht infolge Falsifizierung aufgegeben, sondern einfach verlassen wird, weil eine ganz neue, viel überzeugendere Hypothese (ein neues Paradigma) zur Erklärung der Tatsachen gefunden wird. Eine solch entscheidende Änderung der Auffassungen (Para­digmenwechsel) kommt einer „wissenschaftlichen Revolution“ (TH.S.KUHN) gleich.

 

Beispiele:

1. DARWINsche Theorie. Sie begründet in überzeugender Weise die Evolution und gibt die Regeln
    an, nach denen sie abläuft. Sie tritt an die Stelle der Vorstellung von einer einmaligen Schöpfung
    aller Lebewesen und an die Stelle der Katastrophentheorie von CUVIER.
[25]

2. Theorie vom Gen als Teil der DNA. Sie ist Grundlage der ganzen Molekularbiologie und tritt an
    die Stelle der Vorstellung, Gene seien Proteine oder sogar nicht stofflicher Natur.

 

Für fast alle Paradigmenwechsel gilt: Die neue Theorie ist umfassender, d.h. sie erklärt mehr Tat­sachen als die vorhergehende und ist daher überzeugender. Die neue Theorie entspricht dem erreichten allge­meinen Bewusstseins- und Erkenntnisstand besser als die alten Theorien.

Bewährte Theorien werden allerdings vielfach durch neue nicht völlig umgestürzt, sondern behal­ten als Spezialfall ihre Gültigkeit. Die Ursache von Schwierigkeiten bei der Anerkennung einer wichtigen neuen Erkenntnis liegt oft in der Eigentümlichkeit der menschlichen Natur, auf gewohn­ten Vorstellungen zu be­harren.

 

3 Naturwissenschaftliches Weltbild

 

Die auf den verschiedenen Gebieten aufgestellten Theorien versucht die Wissenschaft zu einer Einheit, dem naturwissenschaftlichen Weltbild, zusammenzufassen. Dieses Weltbild kann nur ein Teilbild der Welt sein, weil durch die Methode der Naturwissenschaften nicht-objektive Aussagen wie Glaube, Wert­vorstellungen, Ideologien ausgeschlossen sind. Außerdem kann es nur ein vor­läufiges Bild sein, denn es gibt stets ungelöste Fragen, und alle Theorien werden ständiger Kritik unterzogen. Dass der Mensch richtige Theorien über die Welt bilden kann, ist durch die Evolution zu erklären: Nur diejenigen Säuge­tiere, Vormenschen und Menschen überlebten in der Evolution, die in der Lage waren, richtige Vorstel­lungen über ihre Umwelt zu entwickeln. Nur so konnten sie die Vorteile ihrer Fähigkeit zum einsichtigen Handeln ausnützen, denn Vorstellungen über Zusam­menhänge in der Umwelt sind die Grundlage jeder geplanten Handlung. Diese Ansicht, wonach der Evolutionsvorgang dazu führte, dass der Mensch die Außenwelt einigermaßen zutreffend erkennt, wird als „Evolutionäre Erkenntnistheorie“ bezeichnet. Es handelt sich aber nicht um eine Erkennt­nistheorie im philosophischen Sinn, sondern nur um eine Grund­lage für eine solche. Das Verfahren der Erkenntnisgewinnung durch die hypothetisch-deduktive Methode führt dazu, dass im Erkennt­nisprozess eine „Welt“ hypothetisch rekonstruiert wird; diese bezeichnet man als „reale Welt“. Die allgemeinste Naturwissenschaft ist die Physik, sie hat alle realen Systeme zum Ge­genstand, und ihre allgemeinsten Gesetze geben daher die Bedingungen der Möglichkeit von Erfah­run­gen über­haupt an (C. F. VON WEIZSÄCKER). Die Biologie hat die lebenden Systeme und deren Ge­setz­mäßigkeiten zum Thema. Biologische Systeme sind komplexer als die meisten Systeme der unbe­lebten Natur. Dies macht es oft schwieriger, allgemeine Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und zu prüfen. Zufäl­lige Ereignisse spielen in der Biologie eine größere Rolle als in den meisten Berei­chen der Physik; daher sind der Wiederholbarkeit und Voraussagbarkeit engere Grenzen gesetzt. In der heutigen Physik zeigen aber Quantentheorie und Synergetik ebenfalls die Bedeutung von Zufallsvorgängen. Die für die Biologie grundlegende Evolutionstheorie kann als ein spezieller Fall einer allgemeinen Theorie der Synergetik aufgefasst werden.

Wichtig für die Stellung der Biologie im naturwissenschaftlichen Weltbild ist die Frage der Redu­zierbarkeit komplexer Systeme. Eine strenge Reduktion, d. h. eine logisch-deduktive Ableitung der Biologie aus der Physik und Chemie, ist nicht möglich. Die Methode der Zurückführung biologi­scher Tatbestände auf phy­sikalische und chemische Gesetzmäßigkeiten (methodische Reduktion) ist bisher jedoch an keine Grenze gestoßen und hat sich bewährt. Sie wird in den meisten Teil­gebieten der Biologie fortlaufend erfolgreich angewendet. Reduktion ist nicht zu verwechseln mit Mathematisierung. So sind soziobiologische Modelle (s. Evolution 2.5) zumeist mathematische Modelle und erweisen sich durch ihre Voraussagen als erfolg­reich: Bei der soziobiologischen Modellbildung erfolgt jedoch keine Reduktion auf molekularbiologische Grundlagen. Das wäre der­zeit auch nicht möglich.

Die Welt ist dem Menschen nur durch die Sinnesorgane zugänglich. Die Sinneseindrücke werden ihm durch die Verarbeitung im Gehirn bewusst. Das Bewusstsein entsteht durch eine Selbst­organisation des Zentralnervensystems, bei der von angeborenen Strukturen ausgehend fortge­setzt Sinneserfahrungen aufgenommen werden. Das Gehirn hat dabei die Tendenz, eine stabile „Realität“ außerhalb seiner selbst anzunehmen, so konstruiert es sich seine „Welt“. Diese hypothe­tische Realität könnte eine Illusion sein - darüber ist nichts bekannt. Alle Erkenntnis ist Ordnung, die das Gehirn hervorbringt; erst durch die Ord­nung wird sie zum Bewusstseinsinhalt. Aber nur ein Bewusstseinsinhalt, der in Begriffe und damit in Worte gefasst werden kann, ist wissenschaftlich sinnvoll. Hieran zeigt sich die enge Verknüpfung von Denken und Sprache. Die Zeit ist die einzige Größe, die Bewusstseinsinhalte und physische Phänomene eindeutig verbindet. Daraus ist zu ersehen, dass die Zeit unter den physikalischen Größen eine Sonder­stellung einnimmt.

 

Theorien des Lebens: Alle Erfahrungen der wissenschaftlichen Biologie sprechen dafür, dass die Ge­setze der Physik und der Chemie auch für Organismen gelten. Bei Lebewesen finden sich jedoch zusätz­liche Eigenschaften, die nur ihnen eigentümlich sind. Die Tatsache, dass Lebewesen Eigenschaften be­sitzen, die bei unbelebten Systemen unbekannt sind, wurde früher auf unter­schiedliche Weise philoso­phisch gedeutet. Die Vertreter des Vitalismus waren der Meinung, ein immaterielles, der Materie über­geordnetes Prinzip (Entelechie) lenke zwecktätig und zielgerichtet die Vorgänge im Organismus. Die Vertreter des Mechanismus lehrten, dass Lebensvorgänge durch physikalische und chemische Gesetz­mäßigkeiten erklärbar seien.

Die miteinander unvereinbaren Standpunkte von Vitalismus und Mechanismus sind aus der Sicht der heutigen Systemtheorie weitgehend gegenstandslos geworden: Ein System, gleichgültig ob belebt oder unbelebt, ist aus Elementen zusammengesetzt, die miteinander in Wechselwirkung stehen. Dies führt zu Eigenschaften, die weder an den Einzelelementen zu beobachten noch als Summe der Eigenschaften der Elemente aufzufassen sind. Systemeigenschaften entstehen erst durch die Verknüpfung der Ele­mente zu einem System (s. Cytologie 5.4). Lebewesen sind hoch­komplexe Systeme. So ist „Leben“ eine Eigenschaft der Zelle, die deren Teile (Zellorganellen) nicht haben.

Um festzustellen, welche Eigenschaften ein bestimmtes System besitzt, muss man die Eigen­schaften der beteiligten Elemente und die Art ihrer Verknüpfung sowie die gegenseitigen Abhän­gigkeiten im einzelnen kennen. Dann kann man das System auf einem Computer nachbilden (simulieren) und so eine bestimmte Eigenschaft als  Systemeigenschaft erkennen. Eine Simulation ist bis jetzt nur für wenige Teilsysteme gelungen, z.B. für viele Stoffwechselketten und Teile von Signalnetzen (s. Abb. 226.1). Die System­biologie arbeitet daran, die Systemeigenschaften einer Zelle zu simulieren und auf der Grundlage physi­kalisch-chemischer Gesetze zu erklären.

Wenn es gelingt, die Eigenschaften eines Systems auf die Eigenschaften der beteiligten Elemente und deren Wechselwirkungen zurückzuführen, so geht man davon aus, dass diese Systemeigen­schaft erklärt sei. Erklären bedeutet in diesem Zusammenhang also, eine Eigenschaft eines leben­den Systems auf die Eigenschaften und Verknüpfungen der beteiligten Elemente zurückzuführen. Dies gilt auch dann, wenn die Eigenschaften der Systemelemente, die ihrerseits wieder System­eigenschaften eines Systems niedri­gerer Ordnung sind, selbst noch nicht auf die nächst niedrige Systemstufe zurückgeführt werden können. So gilt eine Erklärung der Eigenschaften eines Zell­organells als zureichend, wenn sie auf die Eigen­schaften und Verknüpfungen der beteiligten Mole­küle zurückgeführt ist. Dies gilt unabhängig davon, ob deren Moleküleigenschaften vollständig auf die Physik der Atome zurückgeführt sind.

 

Bewusstsein. Körperliche (physiologische) Prozesse im Nervensystem sind eng mit psychischen (seeli­schen) Vorgängen verknüpft. Den Begriff „psychisch“ verwendet man für alle jene Vorgänge, die mit dem Entstehen von Empfindungen, Wahrnehmungen, Vorstellungen, Willensregungen, Urteilen u. a. verbun­den sind. Wird z. B. ein rotes Blatt Papier betrachtet, so stellt sich die Frage, welche Vorgänge zu der Aussage: „Das Blatt ist rot.“ führen. Physikalisch gesehen, absorbiert das Blatt von den auftreffenden elektromagnetischen Wellen des Sonnenlichts einen Wellenbereich bestimmter Frequenz, ein anderer Teil des Lichtes wird reflektiert und trifft auf die Netzhaut des Auges. In den Sinneszellen wird der Licht­reiz durch physikalisch-chemische Vorgänge in ein raum­zeitlich geordnetes Muster (Erregungsmuster) von Aktionspotentialen umgesetzt, das über den Sehnerv in die Nervenzellen des Sehzentrums im Ge­hirn einläuft. Bis hierher lässt sich der Erre­gungsvorgang experimentell verfolgen. Es tritt aber jetzt die Wahrnehmung „Rot“ auf. Sie hat als Bewusstseinsvorgang außer der Dauer keine physikalischen Eigen­schaften mehr; sie nimmt kei­nen Raum ein und besitzt keine Masse, Energie oder Ladung. Bewusst­seinsvorgänge sind damit etwas völlig Neues. Das Bewusstsein des Menschen hat ein Gedächtnis und Vorstellungen über die Zukunft; es weiß auch um sein eigenes Ende. Die Neurobiologie zeigt, dass be­wusste Erfah­rung an Erregungsmuster in der Großhirnrinde gebunden ist (s. S. 246). Wie sich der Über­gang vom raumzeitlichen, physikalisch analysierbaren Erregungsmuster in ein bewusstes Erleben der Außenwelt vollzieht, wie also Bewusstseinsvorgänge in der erlebten Form entstehen, ist von der Biologie derzeit nicht zu beantworten.

Die momentan wahrscheinlichste Ansicht über dieses „Leib-Seele-Problem“ ist die Hypothese der psy­choneuralen Identität. Sie betrachtet psychische und neuronale Phänomene als zwei verschie­dene Er­scheinungsformen einer einzigen Wirklichkeit. Bewusstseinsvorgänge treten offenbar dann auf, wenn in bestimmten Teilen des Gehirns bestimmte neuronale Vorgänge ablaufen. In dieser Form ist die Hypo­these der psychoneuronalen Identität auch mit Befunden vereinbar, die bei Gehirnoperationen durch elektrische Reizung kleiner Gehirnbezirke gewonnen wurden. Bei der Reizung berichten die betreffenden Patienten z. B. über gewisse Gefühle oder über bestimmte Erinnerungsbilder. Solche Bewusstseins­inhalte sind·durch elektrische Reizung auslösbar. Die Bewusstseinsinhalte haben also eine neurophysio­logisch fassbare Entsprechung im Gehirn. Diese ist einer Kausalanalyse zugänglich, die es als System­eigenschaft bestimmter Gehirnbezirke erkennt. Damit ist allerdings der Übergang von Erregungsmustern zum Bewusstsein, das nur dem einzelnen Menschen zukommt, nicht erklärt.

 

Kausalität und Finalität. Hypothesen und Theorien gewinnt man durch Prüfung von Kausal­beziehun­gen. Im Bereich des menschlichen Handelns gibt es zusätzlich eine zweite Art von Ursa­che-Wirkungs-Beziehung, die Finalität. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sich die zeitliche Rei­henfolge von Ursache und Wirkung umkehrt. Startet z. B. ein Sprinter zu einem Lauf, so ist der vom Sprinter beabsichtigte Zweck, die Distanz in möglichst kurzer Zeit zu durchlaufen und damit einen Wettkampf zu gewinnen, die Ursache.
Naturwissenschaftliche Erkenntnis beruht auf dem Beziehungsgefüge der Kausalität zwischen Ursache und Wirkung. Finale Ursachen sind mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht zu fassen und finale Be­gründungen in den Naturwissenschaften nicht zulässig. Bei Durchsicht biologischer Texte stößt man allerdings auf Formulierungen wie „Das Wiesel färbt sich im Winter weiß, damit es im Schnee nicht gese­hen werden kann!“. Hier scheint eine finale Ursache angegeben zu sein. Ist der Satz also unzulässig? Bei genauerer Betrachtung erkennt man, dass die Fragen „Was bezweckt der Läufer mit dem Start?“ und „Welchen Zweck hat die weiße Winterfarbe des Wiesels“ nicht gleich gelagert sind. Die erste Frage setzt beim Läufer Einsicht in sein Tun voraus. Die zweite Frage setzt eine solche Einsicht nicht voraus, son­dern hat zum Inhalt, welche lebenserhaltende Funktion die Farbe hat. Sie fragt also nach dem Selek­tionsvorteil dieser Eigenschaft oder anders ausgedrückt nach den Ursachen, die in der Vergangenheit zur Ausbildung eines solchen Merkmals durch Selektion geführt haben. Diese teleonomische Fragestellung und Betrachtungsweise steht im Gegensatz zur teleologischen Betrachtung, die auf finale Ursachen ab­hebt. Die teleonomische Art der Fragestellung ist in der Biologie zulässig und sinnvoll, da die Objekte der Biologie stets auch durch kausale Ursachen bestimmt sind, die in der Vergangenheit gewirkt haben. Ohne diese auf die Evolution abhebende Fragestellung ist eine Ursachenbeschreibung in der Biologie unvoll­ständig.
Bei der Untersuchung kausaler Ursachen kann man daher verschiedene Erklärungsniveaus unter­schei­den. Auf die Frage, warum das Fell des Wiesels im Winter weiß ist, kann man unterschiedlich antworten: „Weil die Farbstoffbildung in den Haaren unterbleibt!“ oder „Weil durch die weiße Farbe im Schnee vor Feinden besser geschützt ist und daher einen Selektionsvorteil hat!“.
Die erste Antwort beschreibt die nächstliegende (proximate) oder unmittelbare Ursache, die zweite Ant­wort ist die letztendliche, ultimate Erklärung (s. Verhaltensbiologie 1).

 

3.1 Anwendung der Wissenschaftstheorie: Evolutionstheorie und Kreationismus

 

Der hypothetisch-deduktive Charakter der Grundlagen der Evolutionstheorie ergibt sich aus der Darstel­lung im Abschnitt 1 des Kapitels Evolution. Die spekulativ vertretene Ansicht einer Evolution wurde zur wissenschaftlichen Hypothese, als DARWIN eine ursächliche Erklärung aufgrund von Beobachtungen und experimentellen Befunden geben konnte. Die Hypothese des Abstammungs­zusammenhangs aller Lebewesen ermöglicht es, alle Ergebnisse der Biologie und der Paläonto­logie widerspruchsfrei einzuord­nen, die Teilgebiete der Biologie in einen Zusammenhang zu brin­gen und Befunde vieler Teilgebiete bes­ser zu verstehen. Kein Ergebnis der Biologie steht im Widerspruch zur Hypothese der Evolution. Mit die­ser Hypothese sind zahlreiche Voraussagen über zu erwartende Homologien sowie über den Aufbau von Genen bei verschiedenen Arten usw. gemacht worden; sie wird der Planung von Versuchen fortgesetzt zugrundegelegt. In keinem Fall wurde die Evolutionshypothese falsifiziert; sie erlangte daher schon früh den Rang einer gut begründeten Theorie. Sie steht mit unabhängig davon gewonnenen Ergebnissen der Geologie, Geophysik und Astrophysik in Übereinstimmung, wird durch physikalische Theorien, z. B. durch die Synergetik, untermauert und auf diese Weise zu einem Bestandteil des naturwissenschaftlichen Weltbildes.
Gelegentlich wird die Ansicht vertreten, beim Evolutionsgeschehen handele es sich um experi­mentell nicht zugängliche Ereignisse, welche die Naturwissenschaft prinzipiell nicht behandeln könne. Dies trifft nicht zu, denn die Artbildung, die den Evolutionsvorgängen zugrunde liegt, ist ein häufiger und in einigen Fällen bei Pflanzen und Mikroorganismen beobachteter und sogar experi­mentell nachvollzogener Vor­gang.
Die der Evolution zugrunde liegenden Mutationen sind zufällig, d. h. nicht beliebig wiederholbar. Aus die­sem Grund ist auf keiner Stufe der Evolution der nächste Evolutionsschritt vorhersehbar. Darin besteht die prinzipielle Offenheit jedes evolvierenden Systems. Das bedeutet, dass man z. B. nicht angeben kann, warum in einer bestimmten Tiergruppe eine Reihe von Mutationen vorwie­gend in einer bestimmten Reihenfolge eintraten, sodass in einer verhältnismäßig kurzen Zeit ein ganz neuer Tierbauplan entstand, etwa der Bauplan der Gliedertiere oder der Wirbeltiere. Man spricht daher hier von „Zufall“.
[26]
Es ist nicht sicher, dass die derzeitige Evolutionstheorie bereits alle an der Evolution beteiligten Ursachen vollständig erfasst hat. Die Evolutionstheorie ist deshalb nur eine hinreichende Theorie; sie kann zwar alle bekannten Erscheinungen erklären, gibt aber vielleicht keine vollständige Ursa­chenbeschreibung, weil es möglicherweise weitere, bisher unbekannte Evolutionsfaktoren gibt. Außerdem ist das Erkennen der jeweiligen Abstammungsverhältnisse und damit des Ablaufes der Stammesgeschichte abhängig von den verfügbaren Quellen (s. Evolution 3.1).
Der Evolutionstheorie werden gelegentlich die Ansichten des Kreationismus („Schöpfungslehre“) gegen­übergestellt. Danach entstand das Leben durch einen einmaligen Schöpfungsakt. Die Lebe­wesen seien in der jetzt bekannten Vielfalt geschaffen worden und hätten sich nicht aus einer- gemeinsamer Urform mit zunehmender Komplexität entwickelt. Viele Lebewesen seien seit der Schöpfung ausgestorben. Fer­ner bestünden Erde und Lebewesen erst seit einigen Zehntausend und nicht schon seit Milliarden Jah­ren. Der Kreationismus nimmt daher auch an, dass Mutation und Selektion nur Variationen innerhalb der Artgrenzen erzeugen können, nicht aber neue Arten und zunehmend kompliziertere Lebensformen.
Diese Ansichten gehen auf eine wörtliche Interpretation des biblischen Schöpfungsberichtes zurück. Die­ser besteht seinerseits aus zwei nicht identischen Darstellungen (Genesis 1 und Gene­sis 2, Vers 4ff.). Er wurde in einer Form verfasst, die dem Weltbild der vorderasiatischen Kulturen vor mehr als 2500 Jahren entsprach. Er hat nicht den Stellenwert eines Modells, sondern ist ein Glaubenszeugnis, das den ganz anderen Aspekt einer Gewissheit gleichnishaft beschreibt.
Der Kreationismus erkennt die im Vorstehenden dargestellten Grundprinzipien der Naturwissen­schaften nicht an und kann daher keine naturwissenschaftlichen Hypothesen liefern. Nimmt man eine Schöpfung im Sinne des Kreationismus an, so ist daraus keine falsifizierbare Hypothese abzuleiten; daher ist diese Ansicht wissenschaftlich leer. Der Erklärungs- und Voraussagewert kreationistischer Ansichten ist viel ge­ringer als jener der Evolutionstheorie. Daher wäre nach dem heutigen Stand der Wissenschaft die Evolu­tionstheorie auch dann überlegen, wenn es sich beim Kreationismus um eine wissenschaftliche Hypo­these handelte.
Die Evolutionstheorie kann zu folgenden Fragen führen

+ Was ist der Sinn der Evolution?

+ Warum hat die Evolution zum Menschen geführt, einem Wesen mit Geist, d.h. mit der Fähigkeit
    zum Nachdenken und vernünftigen Handeln?

+ Was steckt hinter dem, was die Naturwissenschaft als „Zufall“ beschreibt?

Die Fragen sind mit den Mitteln der Naturwissenschaft unlösbar. Antworten darauf sind dem persönlichen Glauben überlassen. Für einen christlichen Naturwissenschaftler[27] ist nach KEPLER die Naturwissen­schaft eine Methode, um einige der göttlichen Schöpfungsgedanken zu erkennen. DARWIN drückte es so aus: „Es ist wahrlich etwas Erhabenes um die Auffassung, dass der Schöpfer den Keim allen Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder gar nur einer einzigen Form eingehaucht hat und dass, während sich un­sere Erde nach den Gesetzen der Schwerkraft im Kreise bewegt, aus einem so schlichten Anfang eine unendliche Zahl der schönsten und wunder­barsten Formen entstand und noch weiter entsteht.“[28]

 

3.2 Soziobiologie und Weltbild

 

Viele Verhaltensweisen des Menschen haben eine erbliche Grundlage. Daher gibt es Grenzen der An­passungsfähigkeit des menschlichen Verhaltens, so wie es auch Grenzen der Lernfähigkeit gibt (s. Ex­kurs Soziobiologie und menschliches Verhalten, S.509). Deshalb kann die Verhaltens­forschung über die Grenzen der Belastbarkeit des Menschen Aussagen treffen, z. B. im Hinblick auf Verhaltensaspekte, und so Grenzen sinnvoller Forderungen abstecken (s. Evolution 2.5). Der Mensch benötigt z. B. einen Indivi­dualraum; wird ihm dieser über längere Zeit verweigert, so führt dies zu psychischen Schäden. Der Mensch ist allerdings auch in der Lage, entgegen biologischen Anlagen zu handeln; er kann z. B. in den Hungerstreik treten. Die Ursache wird darin gesehen, dass der Mensch einen freien Willen besitzt. Die Willensfreiheit ist ein Begriff, der aus der subjek­tiven Sicht der Welt des Individuums stammt, ähnlich wie Gefühle (s. Neurobiologie 5.5). In der „objektiven“ Beschreibung der Welt kommt er nicht vor. Um die Freiheitserfahrungen des Einzelnen mit dem Kausalprinzip in Einklang zu bringen, bedarf es philosophi­scher Überlegungen wie z.B. von SPINOZA oder KANT. Die Soziobiologie als biologische Disziplin kennt die Willensfreiheit nicht. Willensfreiheit und Sinn des Seins vermag die Biologie nicht zu deuten. Aus dem Wissen um diese Grenze erwächst die Haltung, die in dem Wort GOETHES zum Ausdruck kommt: „Das schönste Glücke des Menschen ist, das Erforschliche erforscht zu haben und das Unerforschliche ruhig zu verehren.“[29]

 

4 Biologie und Ethik

Die Ethik befasst sich mit der Begründung von Regeln, die einer Gruppe von Menschen oder sogar der ganzen Menschheit als Richtschnur des Zusammenlebens dienen. Ein System solcher Regeln, die das Handeln gegen über sich selbst, den Mitmenschen oder der Natur als gut oder schlecht bewerten, z. B. die zehn Gebote, bezeichnet man als Moral. Danach gelten bestimmte Handlungen als gut, z.B. Helfen, andere als schlecht, z.B. Lügen. Die Tätigkeit von Biologen unterliegt ebenfalls der moralischen Bewer­tung. Wissenschaftler untersuchen die Natur als neutrale Beobachter; ihre Ergebnisse werden in erster Linie danach beurteilt, ob sie dem Erkenntnisfortschritt dienen, d. h. ob sie richtig oder falsch sind (wis­senschaftliche Bewertung). Ihre Arbeiten können aber auch das allgemeine Wohl fördern, indem sie z. B. Wege zur Verringerung des Treibhauseffektes, zum Artenschutz oder zur Heilung von Krankheiten auf­zeigen. Umgekehrt kann mit Forschungs­ergebnissen auch Unheil angerichtet werden. Zur Beantwortung der Frage: „Wie sollen wir han­deln?“ ist es vorteilhaft, grundlegende Regeln (Prinzipien) anzugeben, die als Richtschnur für den Einzelfall dienen können. Je nach Art dieser Regeln unterscheidet man verschie­dene moralische Ansichten.

Das Prinzip „Verhelfe möglichst vielen Menschen zum größtmöglichen Glück“ (Nützlichkeitsprinzip) wird als utilitaristisches Prinzip bezeichnet. Danach wird der Wert einer Handlung an der Qualität der Folgen bemessen. Überwiegen die Folgen, die das Wohlergehen Vieler fördern, so gilt die Handlung als „mora­lisch richtig“. Allerdings erhebt sich die Frage, was „Wohlergehen“ ist. Dazu bedarf es zusätzlich einer Hierarchiebildung der Werte. Ohne solche kann nicht entschieden wer­den, ob z. B. freie Fahrt auf der Autobahn dem allgemeinen Wohl besser dient als ein geringerer Kohlenstoffdioxid-Ausstoß bei Geschwindigkeitsbeschränkung. Die Hierarchisierung von Werten ist gesellschaftsabhängig, sie erfolgt immer wieder neu. Über allgemeine Ziele besteht allerdings weitgehend Konsens. Dazu gehören der Schutz der Biosphäre, die Erhaltung der Lebensgrund­lagen des Menschen sowie die Ermöglichung eines menschenwürdigen Lebens, das mehr ist als die nackte Existenz. Jedoch wird die Frage, mit welchen Mitteln diese Ziele erreicht werden, kon­trovers diskutiert. Eine andere Grundregel, von der ausgegangen werden kann, ist das kategori­sche Prinzip (KANT): „Handle stets so, dass deine Prinzipien Grundlage ei­ner allgemeinen Gesetzgebung sein könnten und dass du Menschen, auch dich selbst, stets zugleich als Zweck und niemals nur als Mittel brauchst.“

Es besteht weitgehend Einigkeit, dass dieses Prinzip ein notwendiges Kriterium moralisch richtigen Han­delns ist, aber es ist fraglich, ob es ausreicht, das Richtige zu erkennen. Das Problem der Wert-Hierar­chisierung entsteht hier ebenso.

Zusätzlich gibt es unterschiedliche ethische Grundeinstellungen der Menschen. Für gesellschaft­liche Aspekte ist eine Zweiteilung ausreichend (M. WEBER):

 

1. Vorhersehbare Folgen einer Handlung sind abzuschätzen und zu verantworten. Konkrete
    Handlungsanweisungen stehen im Zusammenhang mit der Erfahrung und sind veränderbar
    (Verantwortungsethik).

2. Entscheidend sind ethische Prinzipien, die nach ihrer Akzeptanz nicht hinterfragt werden
    müssen. Verantwortung besteht allein vor dem Gewissen, das diese Prinzipien für sich erkannt
    hat (Gesinnungsethik).

 

Als ein solches Leitprinzip kann z. B. festgelegt werden, dass diejenigen Handlungen moralisch richtig sind, die dem Menschen als Person gerecht werden (personalistische Ethik). Jede Person besitzt einen absoluten Wert (Würde des Menschen) und genießt daher unbedingten Schutz; des­halb ist das Leben des Menschen unantastbar. Wird dieses Prinzip zur alleinigen Grundlage des Handelns gemacht, so wird z. B. eine Analyse von Genen als Entscheidungsgrundlage für oder gegen einen Schwangerschafts­abbruch abgelehnt. Mögliche Folgen einer Disposition für eine Erbkkrankheit bleiben unberücksichtigt; es zählt nur der hohe Wert des menschlichen Lebens von Anfang an. Die Unterschiede in der Argumenta­tion können zu widersprüchlichen Ergebnissen füh­ren. So werden Experimente mit menschlichen Embry­onen aus personalistischer Sicht abgelehnt, aus verantwortungsethischer z.T. jedoch befürwortet, und zwar aus Gründen des medizinischen Fortschritts. Moralische Probleme können also mehrere richtige Lösungen haben, die mit KANTS Grundprinzip im Einklang stehen. Im Falle des Experimentierens mit Embryonen gab die erste Argumentation für den Gesetzgeber in Deutschland den Ausschlag. Er verbot das Experimentie­ren. Für den Gesetzgeber in Großbritannien, der es nicht verbot, war die letztere Argu­mentation entscheidend. Gesinnungsethisch, aber nicht personalistisch, ist die Auffassung, dass Tier­experi­mente grundsätzlich verboten werden sollten. Es gibt gute Gründe, Experimente mit Tieren auf das notwendige Maß zu beschränken und ihnen vermeidbare Schmerzen zu ersparen. Jedoch muss vermie­den werden, ganze Bereiche der medizinischen Forschung zu hemmen, was schwerwie­gende Folgen für Leben und Gesundheit des Menschen hätte. Die Biologie kann bei der Diskus­sion moralischer Probleme nur darlegen, was aus naturwissenschaftlicher Sicht der Fall ist. Die Begründung von Normen ist Sache der Ethik.

 

(Quelle: B32 SCHROEDEL; Linder Biologie, Lehrbuch für die Oberstufe, Braunschweig, 2005)

 

 

 

 

 

 

2.1.3    Annäherung an eine Grenzfrage:
            Die Entstehung des Lebens auf der Erde

 

2.1.3.1 Annäherung an eine Grenzfrage:
            Die Entstehung des Lebens auf der Erde

            Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach
            BIOLOGIE für die Sekundarstufe 1

 

Manche Lehrbücher erzählen zur Entstehung des Lebens auf der Erde (nur) eine und in sich stimmige Geschichte. Hier ein Beispiel (ähnliche knappe und einlinige Darstellun­gen finden sich z.B. auch in den Lehrbüchern B12 S.502 und B14 S.154.):

(Quelle: B11 CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Biologie plus, Klasse 10 Gymnasium, Sachsen, Berlin, 2006;
fast wortgleich B18 VOLK UND WISSEN; Biologie plus, Klassen 9/10 Gymnasium, Sachsen, Berlin, 2001, S.148ff.,189)

 

 

S.102ff.
Entstehung des Lebens

Die Entstehung der Erde. Die Entwicklung unseres Planeten begann vermutlich
[30] vor etwa 4,6 Milliar­den Jahren … flüssiger Feuerball … feste Kruste … starke Vulkantätigkeit …
gab es in der Uratmosphäre … keinen freien Sauerstoff … Die Uratmosphäre war völlig anders zusam­mengesetzt als die Luft, die wir heute kennen. Der wichtigste Unterschied war … das Vorhandensein sehr hoher Anteile von Kohlenstoffdioxid. Die energiereiche UV-Strahlung der Sonne und Gewitter mit Blitzen konnten auf die Erde einwirken. Infolge weiterer Abkühlung verflüssigte sich der Wasserdampf … fiel als heißer Regen zur Erde und bildete Seen und Ozeane. Im Urozean lösten sich Kohlenstoffdioxid und andere Gase. …
Experimente simulieren Uratmosphäre und Urozean. Der US-Amerikaner MILLER
[31] entwickelte 1953 eine Apparatur, in der er die Bedingungen der Uratmosphäre simulierte. Damit wies er nach, dass unab­hängig von Lebewesen (abiogen) organische Stoffe, darunter auch Aminosäuren, entstehen können. Es ist also möglich, dass sich der Urozean in eine Lösung organischer und anorganischer Verbindungen umwandelte („Ursuppe“). In einem solchen Gemisch können gegen die umgebende Lösung abgegrenzte Reaktionsräume entstehen: Der russische Biologe OPARIN hatte festgestellt, dass sich beim Vermischen verschiedener Lösungen abgegrenzte tröpfchenförmige Ausfällungen (Koazervate) bildeten. Der US-Amerikaner FOX untersuchte makromolekulare Lösungen und beobachtete nach Erwärmung und ab­schließendem Abkühlen den Koazervaten vergleichbare Gebilde (Mikrosphären). …
Vorformen des Lebens. Koazervate und Mikrosphären haben einige Eigenschaften, über die auch Zel­len verfügen:
- Gegen ihre Umgebung sind sie mit einer Membran abgegrenzt, durch die sie Stoffe
  aufnehmen und abgeben können.
- In ihrem Innern können andere chemische Vorgänge ablaufen als in der Umgebung
  („Stoffwechsel“).
- Sie können wachsen und sich teilen.
Koazervate und Mikrosphären sind jedoch keine Zellen. Man kann aber begründen, dass derartige Strukturen sich in langen Zeiträumen zu einfachen Zellen entwickeln konnten.
Die einfachsten heute lebenden Zellen sind Bakterien und „Blaubakterien“ (Cyanobakterien). Sie sind ih­ren Vorfahren unter den ersten Lebewesen recht ähnlich geblieben. Die ältesten Funde von Bakterien sind etwa 3,5 Milliarden Jahre alt
[32]

(Randspalte)
Schon gewusst?
Eine Hypothese zur Entstehung der ersten Lebewesen sieht den Ausgangspunkt in Nukleinsäuren (RNA) als genetische Informationsträger, die sich mit den „passenden“ Eiweißen koppelten.
Solche Systeme sind vermehrungs- und mutationsfähig. …

Zusammenfassung
Die ersten Lebewesen sind vor etwa 3900 Millionen Jahren entstanden.
Chemische Evolution: In der Uratmosphäre und im Urozean bildeten sich zunächst einfache orga­nische Verbindungen. … In der „Ursuppe“ entstanden daraus Bausteine der Nukleinsäuren, Eiweißstoffe … Ver­einigung von Makromolekülen zu Komplexen Schrittweise entwickelten sich zelluläre Lebewesen

 

S.102
(Randspalte)
Schon gewusst?
[33]
Schöpfungslehren gehen davon aus, dass die Lebewesen durch ein oder mehrere höhere Wesen ge­schaffen wurden.
Manche Wissenschaftler glauben, dass die ersten Lebewesen nicht auf der Erde entstanden sind, son­dern beispielsweise mit Meteoriten auf die Erde gelangten.

(Quelle: B11 CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Biologie plus, Klasse 10 Gymnasium, Sachsen, Berlin, 2006;
fast wortgleich B18 VOLK UND WISSEN; Biologie plus, Klassen 9/10 Gymnasium, Sachsen, Berlin, 2001, S.148ff.,189)

 

Wie die „richtige“ Fachwissenschaft die Versuche, die Entstehung des Lebens zu ver­stehen, der­zeit bewertet, soll anhand von einigen Zitaten verdeutlicht werden, die aus einem Hochschul-Lehrbuch für Biologie-Studenten stammen.

 

(Quelle: Q5 Campbell, N.A. / Reece, J.B.: Biologie, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Berlin, 6. Auflage, 2003)

 

 

S.613

Der Ursprung des Lebens
Wir werden natürlich nie mit Sicherheit wissen, wann und wie das Leben auf der Erde begann
S.614

Die ersten Zellen könnten durch chemische Evolution auf der jungen Erde entstanden sein …
Die meisten Biologen favorisieren die Hypothese, das Leben habe sich auf der Erde aus lebloser Materie entwickelt
Die meisten Biologen vertreten heute die einleuchtende Hypothese, chemische und phy­sikalische Pro­zesse auf der sehr jungen Erde hätten dazu geführt, dass schrittweise ein­fache Zellen entstanden. Über die Natur dieser Schritte oder Stadien wird allerdings viel diskutiert. Einem populären Szenario zufolge entstanden die ersten Organismen im Ver­lauf einer chemischen Evolution in vier Stadien …
Das ist natürlich alles spekulativ, aber die Hypothese führt dazu, dass die Voraussagen auf wissenschaft­licher Basis experimentell geprüft werden können.
S.616

Die Ergebnisse des Originalexperiments von Stanley Miller konnten trotz vielfältiger Wie­derholung und Variation der Versuchsbedingungen nicht entscheidend verbessert werden. …
S.619

Die Diskussion über die Entstehung des Lebens geht weiter
Laborsimulationen können nicht beweisen, dass durch chemische Evolution tatsächlich Leben auf der primitiven Erde entstand, sondern nur, dass einige der Schlüsselereignisse vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus so passiert sein könnten. Die Entstehung des Lebens bleibt ein Objekt der wissenschaft­lichen Spekulation, und es gibt alternative Vorschläge zu den verschiedenen Schlüsselprozessen ...

 

Etwas zurückhaltender als die eben ausgewerteten Lehrbücher argumentiert das fol­gende Lehrbuch:

 

(Quelle: B16 SCHROEDEL; Netzwerk Biologie 10, Braunschweig, 2006, S.105)

 

 

2 So könnten die Bausteine des Lebens entstanden sein
(Schilderung Urerde, MILLER-Versuch)
Das beweist, dass die Bildung von einfachen organischen Substanzen schon vor 4,5 Milliarden Jahren möglich war. Niemand weiß, ob dies tatsächlich so geschehen ist, doch die Ergebnisse von Gesteins­untersuchungen stützen diese Vorstellungen. Eine solche Entstehung von organischen Stoffen aus anor­ganischen Substanzen bezeichnet man als chemische Evolution.
Wie es weiterging und wie mit Bakterien und Blaualgen die biologische Evolution begann, ist unbe­kannt

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Bausteine der Eiweiße und RNA bzw. DNA in der „Ursuppe“ zufällig so zusammenfügten, dass dann die Urformen des Lebens entstanden, erscheint klein. Doch darf man nicht vergessen, dass die Natur Hunderte von Millionen Jahren Zeit hatte und unendlich viele chemische Verbindungen entstanden und sich auch wieder lösten.

 

Auch das folgende Lehrbuch schildert zunächst nur den einen Erklärungs-Weg von der Ursuppenvorstellung über MILLER, OPARIN, FOX usw., weist aber auch auf den Mo­dellcharakter dieser Vorstellungen hin:

 

(Quelle: B17 VOLK UND WISSEN; Biologie Band 3, Sachsen, Volk und Wissen, Berlin, 2002, S.132)

 

 

Die Entstehung des Lebens auf der Erde
Die Erde entstand vor etwa 4,5 Milliarden Jahren. …
Uratmosphäre … Urozean …
MILLER-Versuch:
Methan, Ammoniak und Wasserdampf wurden in einer Glasapparatur elektrischen Entladungen ausge­setzt, der Wasserdampf wurde wieder zu flüssigem Wasser kondensiert. Anschließend wur­den das Gas­gemisch und die im Wasser gelösten Substanzen untersucht. … mehrere hundert ver­schiedene organi­sche Stoffe nachweisen, darunter auch Aminosäuren (Bausteine von Eiweißen). Kompliziert aufgebaute organische Verbindungen sind noch keine Lebewesen. Erst ihr Zusam­menschluss zu Gebilden, die auch zu Stoffwechsel, Vermehrung und Mutationen befähigt sind, könnte als Entstehung von Leben bezeichnet werden.
Wie sich dieser Schritt vollzog, wissen wir nicht. Es gibt aber Hypothesen, deren Wahrheitsgehalt durch Experimente geprüft werden kann. … OPARIN … FOX …
Die Entstehung des Lebens auf der Erde ist schwierig zu erforschen. Es gibt keine fossilen Reste aus der Zeit der Entstehung der frühesten Lebensformen. Die experimentellen Ergebnisse vermit­teln uns aber Modellvorstellungen, die durch die Forschungen der letzten Jahrzehnte immer mehr an Wahrscheinlich­keit gewonnen haben.

 

 

 

 

 

2.1.3.2 Annäherung an eine Grenzfrage:
            Die Entstehung des Lebens auf der Erde
            Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach
            BIOLOGIE für die Sekundarstufe 2

 

 

Die im Folgenden zusammengestellten Zitate zeigen, dass in BIOLOGIE-Lehrbüchern für die gymnasiale Oberstufe die Erklärungsprobleme, die es zur Entstehung des Lebens auf der Erde gibt, nicht ausgeblen­det oder verdrängt, sondern gezielt als Fragen aufgenommen, problematisiert werden.

 

(Quelle: B21 BSV (Bayerischer Schulbuch Verlag); Meyer, H. / Daumer, K.: Biologie für die gymna­siale Ober­stufe, München 1999, S.9)

 

 

1 Chemische Evolution und Anfänge des Lebens
…Die Frage nach dem Ursprung des Lebens auf unserer Erde ist wohl so alt wie die Menschheit selbst und kann zur Zeit naturwissenschaftlich nicht beantwortet werden. Auf der Basis der heute vorhandenen kosmologischen, geologischen, chemischen und physikochemischen Kenntnisse wurden jedoch ver­schiedene Denkmodelle (Hypothesen) entwickelt. Sie befassen sich zum einen mit den erforderlichen Voraussetzungen für eine Lebensentstehung in der Frühzeit der Erde, zum zweiten mit denkbaren Ent­stehungsmechanismen der frühesten Lebewesen selbst. …
1.1 Vorstellungen von der Frühzeit der Erde
Man nimmt an

 

(Quelle: B22 C.C.BUCHNER; Solbach, H.: Vita nova; Biologie für die Sekundarstufe II; Bamberg 2000)

 

 

S.344f.
43.1 Am Anfang war ...
…Nachdem man die Urzeugungstheorie gerade hatte verwerfen müssen, war es für viele Gelehrte und andere Menschen dann sehr schwer, die von DARWIN im Jahr 1859 entwickelte Evolutions­theorie von der Entstehung der Arten zu akzeptieren (Kap. 45.1, S. 358). Diese führt die Entwick­lung der Lebewesen nicht nur über einfachere Formen auf Einzeller zurück, sondern fordert gera­dezu zwingend, dass irgend­wann einmal erste Einzeller entstanden sein müssen. Man stand vor zwei Alternativen, die sich für viele scheinbar gegenseitig ausschließen: War das Werden des Lebens ein Schöpfungsakt Gottes oder doch eine Art Urzeugung?
[34] Auch wenn sich die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zur Entstehung des Lebens (Kap. 43.2, S.345 ff.) seither vervielfacht und sich die entsprechenden Lehrmeinungen präzisiert haben, so gibt es noch zwei grundsätzliche Schwächen in der Beweisführung, und die lassen sich ver­mutlich auch in Zukunft nicht beheben:
- Viele Kernaussagen der Theorien können nicht experimentell überprüft werden, da es Zeiträume
   von Millionen und Milliarden von Jahren nachzuvollziehen gilt (Anm. 344.2). Ohne reproduzierba­
   res Experiment gibt es aber keine Beweiskraft im strengen naturwissenschaftlichen Sinn.

-. An mehreren Stellen - leider sind das nicht selten ganz entscheidende Stellen - müssen Lücken
   in den Theorien durch Spekulationen überbrückt werden
.
Die Folgen dieser Abweichungen von der sonst üblichen naturwissenschaftlichen Beweisführung war es und ist es heute noch, dass die Antworten auf die Fragen nach dem Ursprung und der Ent­wicklung des Lebens sehr unterschiedlich ausfallen, beeinflusst vom religiösen, weltanschaulichen und philosophi­schen Standpunkt des Antwortenden. …
Trotz aller Unsicherheiten, Lücken und Meinungsverschiedenheiten haben sich jedoch inzwischen einige Grundvorstellungen herauskristallisiert. Dazu gehört auch die Annahme, dass es natürlich vor den ersten Zellen andere Strukturen gegeben haben muss, von denen diese Zellen abstamm­ten.

 

S.346
Wie mag es zu einer ersten lebenden Zelle gekommen sein?
Viele – auch entscheidende – Fragen bleiben offen …

Anm. 346.1
Das erste Leben
Bei der Suche nach einer Erklärung für das Entstehen eines ersten Lebewesens tappt man noch weitge­hend im Dunkeln.

 

(Quelle: B23 CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Biologie Oberstufe, Gesamtband, Berlin, 2006)

 

 

S.287:
Ursprung des Lebens
Chemische Evolution. Leben ist über eine Folge von Evolutionsschritten durch Selbstorganisation von Molekülen und Molekülkomplexen entstanden. Dem vorausgegangen war eine lange Phase der chemi­schen Evolution, in der wichtige organische Ausgangsmoleküle durch Einwirkung ver­schiedener Ener­gieformen auf die Bestandteile der frühen Atmosphäre gebildet wurden. Über die Details der einzelnen Evolutionsschritte von präbiotischen Molekülen zu frühen Lebensformen bestehen unter den Wissen­schaftlern allerdings noch Meinungsverschiedenheiten

S.288
Wie Forschung funktioniert: Simulationsexperimente zur Entstehung des Lebens

(Aufgabe)
1. Welche Aussagen über die möglichen ersten Entwicklungsschritte des Lebens auf der Erde erlauben die verschiedenen Simulationsexperimente?

 

(Quelle: B24 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag; Duden Biologie, Gymnasiale Oberstufe, Berlin, 2005)

 

 

S.22
(nach Darstellung des MILLER-Versuchs)
Allerdings wird bis heute über den Ablauf und den Ort der Biogenese diskutiert. Auch eine extra­terrest­rische Lebensentstehung … gilt bis heute für möglich.

S.363ff.
8.1.2 Vorstellungen zur Entstehung des Lebens
Leben
ist aus Nichtleben entstanden. Was Leben ist, kann noch nicht ausreichend beantwortet werden …

(Randspalte):
Durch die Evolution des Kosmos, beginnend mit dem Urknall, werden die Voraussetzungen für die Ent­stehung des Lebens geschaffen
[35]

(MILLER-Versuch als) Simulation der Bedingungen des Wechselspiels zwischen dem Urmeer und der Uratmosphäre

… Nach WÄCHTERSHÄUSER könnten Metallsulfide wie Pyrit (FeS2) eine wichtige Rolle als Katalysato­ren bei der Vermittlung präbiotischer Reaktionsfolgen gespielt haben. …

(Hinweis auf) einen relativ komplizierten Reaktionszyklus von Aminosäuren über Peptide und Harnstoff zurück zu Aminosäuren … Da diese Prozesse auch heute noch an Tiefseevulkanen stattfinden könnten, wäre danach auch eine rezente Biogenese nicht auszuschließen
[36]

 

(Quelle: B25 KLETT; Biologie für Gymnasien, Oberstufe, Stuttgart, 2005, S.440ff.

 

 

6 Die Evolution des Lebens auf der Erde
Chemische Evolution: organische Makromoleküle entstehen

… die frühe Phase dieser chemischen Evolution kann man modellhaft rekonstruieren. Eine vermut­lich re­duzierende Uratmosphäre …
Grundbausteine des Lebens können also unter abiotischen Bedingungen entstehen – vermutlich auch in den Urmeeren …

 

(B27 KLETT; Natura, Biologie für Gymnasien Band 2, Klett, Stuttgart, 1997, S.350)

 

 

Die Entstehung der Erde und der Lebewesen
Über Alter und Entstehung des Weltalls weiß man immer noch wenig Genaues. Man schätzt das Alter der Erde auf etwa 5 Milliarden Jahre. Es dauerte aber ca. 1 Milliarde Jahre, bis auf dem einstmals glutflüssi­gen Planeten Bedingungen herrschten, die die Entstehung von Leben ermög­lichten.
Die ersten Lebensformen waren wahrscheinlich bakterienähnliche Organismen, die im Meer lebten …

 

(Quelle: B28 SCHROEDEL; Biologie heute entdecken S II; Braunschweig, 2004 ,S.420)

 

 

4.1 Chemische Evolution
(Uratmosphäre; MILLER-Versuch; Calcit; Schwarze Raucher; Pyrit)
Weitere Hypothesen zur chemischen Evolution werden derzeit diskutiert. Gesichert ist bisher kein An­satz ...

 

(Quelle: B29 SCHROEDEL; Biologie heute S II; Braunschweig, 2004, S.422ff.)

 


4. Chemische Evolution und Anfänge des Lebens
4.1 Die Ursuppe …
4.2. Die Schwarzen Raucher …
4.3. Leben an Kristallen? …
4.4. Viele Theorien – viele Fragen
In den letzten Jahrzehnten wurden viele Argumente gegen die MILLERsche Ursuppen-Theorie zusam­mengetragen … (im Weiteren sind 5 Argumente benannt) …
Gegen die Theorie von den „Schwarzen Rauchern“ werden ebenfalls Argumente vorgebracht(im Weiteren sind 2 Argumente ausgeführt)
Nur wenige Argumente sprechen gegen die Pyrit-Theorie …
Neben den hier aufgeführten Theorien existieren noch weitere
Wahrscheinlich ist, dass keine der Theorien allein richtig ist und dass möglicherweise alle Theorien einen Beitrag zu der endgültigen Vorstellung über die Entstehung des Lebens liefern werden.

 

(Quelle: B30 SCHROEDEL; Hoff, P. / Miram, W. / Paul, B.: Evolution, Materialien für den Sekundar­bereich II, Biologie, Hannover, 2004 ,S.88ff.)

 

 

5.1 Chemische Evolution und Entstehung des Lebens
(Uratmosphäre, Ursuppe, MILLER-Versuch, Tonmineralien, Pyrit, Schwarze Raucher)
Probleme: (im Weiteren werden 5 Argumente gegen die Ursuppen-Theorie von MILLER und 2 Argu­mente gegen die Theorie der Schwarzen Raucher aufgeführt);
[37]

(Kasten:)
Leben aus dem Weltall?


Die frühere Ausgabe dieses Lehrbuches aus dem Jahre 1993 war hier noch etwas ge­nauer:

 

(Quelle: B31 SCHROEDEL; Hoff, P. / Miram, W.: Evolution, Materialien für den Sekundarbereich II, Biologie, Hannover, 1993)

 

 

S.96ff.
6. Das Problem der Entstehung des Lebens
(Uratmosphäre, Ursuppe, MILLER-Versuch, ..)

S.103ff.
6.7. Probleme der Theorie von der Entstehung des Lebens
… Zwischen der Entstehung organischer Stoffe und dem Auftauchen erster funktionsfähiger Zellen aber besteht eine Lücke in der Theorie. Viele der Gedanken, die hier in den letzten Abschnitten besprochen wurden, beruhen auf Vermutungen und Spekulationen. Die Theorien über die Evolu­tion der entwickelten Lebewesen sind in vielen Fällen anhand von Fossilien überprüfbar. Für die Phase der Entstehung des Lebens und der Entwicklung der frühen Lebewesen fehlen aber solche Beweise.
Auch reproduzierbare Experimente sind nicht möglich, da der Prozess der Entstehung des Lebens Zeit­spannen umfasste, die experimentell nicht wiederholbar sind. So sind wir auf die Auswertung von Indizien angewiesen, um zu schlüssigen Vorstellungen zu kommen. Diese Bemühungen haben aber bisher einen großen Teil der Probleme noch nicht lösen können
Man kann prinzipiell nicht voraussagen, ob diese Probleme in Zukunft gelöst werden können. Heute muss man aber feststellen, dass die Evolutionstheorie über die Entstehung des Lebens  auf der Erde noch kein gesichertes Bild bieten kann.

 

Wichtig ist, dass in den Lehrbüchern B29, B30 und B31 die Erklärungs-Probleme, die es zur Entstehung des Lebens auf der Erde gibt, nicht ausgeblendet oder verdrängt, sondern gezielt als Frage aufgenommen, problematisiert werden.

 


2.1.4 Schöpfung contra Evolution ?
         Umgang mit Schöpfungsvorstellungen
         in BIOLOGIE-Lehrbüchern

 

 

 

2.1.4.1 Exkurs:

            Zur Verwendung von Begriffen
            aus der religiösen und theologischen Tradition
            in Biologie-Lehrbüchern

 

 

Bei der Begegnung und Auseinandersetzung mit religiösen Vorstellungen und Erfah­rungen begibt sich die Biologie auf ein sachfremdes Terrain.

Hier werden in den Lehrbüchern vielfach Begriffe verwendet, mit denen ein Sachverhalt eindeutig benannt werden soll, die aber so eindeutig eben nicht sind. Das in vielen Lehrbüchern vermittelte Bild der „Religionen“ ist einseitig fokussiert auf die Geschichts­erfahrung und den Blickwinkel des christlichen Europas. Zumindest im weltweiten Kon­text ist aber eine – auch verwirrende - Pluralität zur Kenntnis zu nehmen. Es gibt viele Religionen, es gibt unterschiedliche Schöpfungsvorstellungen und auch im christlichen Bereich haben Menschen verschiedene Bibelverständnisse.

Manche davon zeigen Widersprüche zu naturwissenschaftlichen Vorstellungen und können folgerichtig zu Konflikten führen, andere aber tun das nicht.

 

Religion

Wenn Lehrbücher fragen, ob „Evolutionstheorie und Religion vereinbar sind“, dann ist in der Regel der jüdisch-christliche Kulturkreis im Blick.

Es gibt aber wichtige Weltreligionen, die keinen Gott kennen (Buddhismus), in deren Zentrum Prinzipien stehen (z.B. Dao, Dhamma), oder die mehrere Gottheiten verehren. Religionen machen Aussagen über die Herkunft und die Zukunft des Menschen, etwa über das Nirwana oder das Jenseits. Nur manchmal geht es auch um das Schicksal anderer Lebewesen oder das Welt-Ganze. Religionen wollen der Welt, in der der Mensch sich vorfindet, einen Sinn geben, eine (Be-)Deutung. Sie wollen die Welt nicht rational erklären.

Religionen haben ihre jeweils eigenen Heilslehren, Symbolsysteme, Kulte und Rituale, und sie finden auch in Kunst und Architektur ihren Ausdruck.

Religion (Religiosität) muss nicht mit der Zugehörigkeit zu einer institutionalisierten Glaubensgemeinschaft, z.B. zu einer Kirche, verbunden sein, verpflichtend gebunden etwa an Bekenntnisse oder Dogmen. Religiosität kann sich auch (nur) in Traditionen zeigen (z.B. Brauchtum).

 

Das Phänomen „Schöpfung“ in der Sicht unterschiedlicher Bibelverständnisse

Viele Religionen – nicht alle! – sprechen von „Schöpfung“. Dieser Begriff ist aber mit sehr unterschiedlichen Inhalten gefüllt und wird (auch innerhalb einer Religion) oft un­terschiedlich verstanden und gedeutet.

Nicht immer geht es um einen Schöpfer, der in einem einmaligen Akt „am Anfang“ einen Zustand herstellt (Kosmos, Erde, Lebewesen), der sich von da an (im Grundsatz) nicht mehr verändert. In dieser Weise kann – dem Wortlaut folgend - das erste Kapitel der jüdisch-christlichen Bibel gelesen und verstanden werden.

In vielen anderen Weltreligionen werden andere Geschichten erzählt. Da geschieht „Schöpfung“ mehrmals (z.B. als immer wiederkehrender Kreislauf im Hinduismus), da sind mehrere verschiedene Gottheiten beteiligt, da geht es meist allein um die Herkunft des Menschen - Pflanzen und Tiere oder der Kosmos sind überhaupt nicht im Blick.

Das Verständnis von „Schöpfung“ wird öfter - in Lehrbüchern genauso wie im Verständ­nis vieler Christen auch heute noch - verengt auf das wörtliche 1 zu 1-Festhalten an den Darstellun­gen im ersten Kapitel der jüdisch-christlichen Bibel. Dort ist ja tatsächlich zu lesen, dass Gott im Laufe von sechs Schöpfungs-„Tagen“ am Anfang der Welt zunächst die kosmische Ordnung gestaltet, Lebensräume wie Land und Meer und Luftraum ein­richtet, und dann Lebewesen in die Welt bringt, Pflanzen, Tiere und Menschen, jedes „nach seiner Art“. Aber muss und kann man diesen Text als „Dokumentarbericht“ ver­stehen und kann man ihn direkt in unsere Zeit übertragen?

Es hat zu allen Zeiten im Christentum unterschiedliche Bibelverständnisse gegeben.

In anderer „Lesart“ fragen Christen, was das (für sie selbst wie für die „Welt“) bedeutet, wenn Gott als „Schöpfer“ wirkt. Sie sind vorsichtig gegenüber dem wörtlichen Verständ­nis der Texte, weil Menschen solch ein Geschehen wohl grundsätzlich nicht verstehen und erklären können. Die biblischen Texte versuchen, etwas auszudrücken, „was nie­mals war und immer ist“. Es ist die Sprache des Mythos, der das tiefere Wesen, den Sinn eines Sachverhaltes ergründen, begründen und deutlich machen will. Erst wenn die bildhaften Darstellungen zu „Schöpfung“ als mythisches Reden verstanden werden, kann ihr tiefer Symbolgehalt entdeckt werden, der auch Bedeutung hat für menschliche Existenz hier und heute.

Wenn die Bibel z.B. vom Rhythmus von „Tagen“ spricht, in denen sich die Schöpfung vollzieht, dann ist auch hier Vor­sicht angesagt: An anderer Stelle in der Bibel, im Psalm 90, steht z.B., dass für Gott „tausend Jahre wie ein Tag“ sind – vielleicht vollzieht sich „Schöpfung“ auch in langen Epochen …
Es gab immer in der Tradition der christlichen Kirche auch die Vorstellung von der „creatio continua“, der Schöpfung, die fortdauert und in der immer wieder Neues ent­steht.

Die Ausführungen im ersten Kapitel der Bibel sind nicht alles, was in der Bibel zu „Schöpfung“ gesagt wird. Die Schönheit der Welt und die Bedrohung durch Natur­gewalten, der Auftrag an den Menschen, die Erde zu erforschen und zu nutzen („Macht euch die Erde untertan“ – das beinhaltet auch die Ermutigung, Naturwissenschaft zu betreiben!), aber auch Verantwortung für die Mitgeschöpfe zu übernehmen - diese und viele andere Aspekte begegnen Men­schen beim Lesen der Bibel und stellen ihnen Fra­gen im täglichen Leben hier und heute.

Die großen christlichen Kirchen vertreten (und lehren an den Universitäten) heute meist das so genannte „historisch-kritische“ Bibelverständnis. Dabei wird davon ausgegan­gen, dass man sich mit der  Bi­bel auch wissenschaft­lich („kritisch“) als einem Zeitzeug­nis („historisch“ überlieferte Text­sammlung aus der Antike) auseinandersetzen kann. Hier seien einige Ansätze benannt:
In biblischen Texten können die zeitgeschichtlichen Umstände der Entstehung, ihr „Sitz im Leben“ für die damali­gen Menschen, erschlossen werden. Oft ist es hilfreich, die verschiedenen li­terarischen Ausdrucks-For­men von den übermittelten Glaubens-Inhalten zu unterscheiden. In der Bibel legen verschiedene Menschen Zeugnis ab von ihren persönlichen Glau­benserfahrun­gen. Sie re­den in einer konkreten Zeit und in einer konkreten Si­tuation zu anderen Menschen, und sie ver­wenden die damals (selbst-)ver­ständli­chen Weltvorstellungen. Reden von Gott ist uns Menschen anders nicht möglich als in der unvollkommenen Sprache von Bil­dern, Meta­phern, Gleichnissen. Der erzähle­rische Rahmen, die Art der literarischen Darstellung (Lieder, Chroniken, Parabeln, Paradoxa, Lehrtexte) haben sich im Laufe der Geschichte immer wieder gewandelt. Der Kern der Glau­bensaussagen, die tiefen Grundwahrheiten, die in immer neuer Weise erlebt und überliefert wurden, blei­ben dennoch zeitlos wichtig. Die Bibel ist ein Buch des Glaubens, das zum Leben helfen will, das Werte und Orien­tierung vermit­telt. Die Bi­bel ist nicht geschrieben und geeignet als Lehrbuch für den naturwissenschaftlichen Un­ter­richt.

Die Vorstellung von der „Konstanz der Arten“

Über lange Zeit der Menschheitsgeschichte ging man selbstverständlich davon aus, dass die Welt höchstens ein paar Tausend Jahre alt sei, und dass sie so, wie sie jetzt erlebt wurde, schon immer war und immer bleiben würde. Alle unterschiedlichen Arten von Lebewesen waren von Anfang an (z.B. seit dem „Datum“ ihrer Erschaffung) in der heutigen Gestalt vorhanden und hatten sich im Laufe der Zeit nicht verändert.
In einigen Schul-Lehrbüchern wird im Zusammenhang mit der „Konstanz der Arten“ von einer „Theorie“, einer „Lehre“ oder einem „Dogma“ gesprochen. Hier sollte besser – wie das in anderen Lehrbüchern auch geschieht - von einer „Idee“ oder einer „Vorstellung“ die Rede sein.

Ein kirchliches Bekenntnis oder Dogma, das glaubende Menschen verbindlich auf eine solche Sicht der Welt festgelegt hätte, hat es nie gegeben. In Wahrheit war es wohl eher so, dass es sich hierbei um eine selbstverständliche, allgemein akzeptierte, aus der Alltagserfahrung abgeleitete Vorstellung gehandelt hat, nicht um eine „Theorie“. Die Vorstellung von der „Konstanz der Arten“ vertrat die Kirche genauso wie der Philosoph Aristoteles (vgl. B28 S.442) oder der Biologe und Systematiker Carl von LINNÉ (vgl. B29 S.386). An manchen Stellen müsste demnach auch sachgerechter gesagt werden, dass die Vorstellung von der Konstanz der Arten nicht etwa aus dem biblischen Schöpfungsbericht abgeleitet wurde, sondern mit dem wörtlichen Verständnis der Dar­stel­lungen dort übereinstimmte, genauso wie sie sich im Einklang befand mit der alltäg­lichen Erfahrung der Menschen.
Man sollte z.B. auch vorsichtig sein, das in der Bibel benutzte Wort für „Art“ gleichzu­setzen mit der Verwendung des Begriffes „Art“ in der modernen Biologie (für den es bis heute keine allgemein akzeptierte Definition gibt).

 

„Schöpfungsvorstellungen“ konkurrieren nicht mit „Evolutionstheorien“!

In manchen Lehrbüchern wird im geschichtlichen Rückblick sachgerecht von der „Ent­wicklung des Abstammungsgedankens“ gesprochen, und in dieser Zuordnung kann dann auch über bestimmte Schöpfungsvorstellungen informiert werden.

Andere Lehrbücher dagegen ordnen „Schöpfungsmythen“ forsch als Teilthema unter der Überschrift „Evolutionstheorien“ ein – neben Lamarck und Darwin und synthetischer Evolutionstheorie! Damit wird aber „Schöpfungsgeschichte“ zu einer nach den Regeln der Naturwissenschaft vergleichbaren Alternativtheorie gemacht. Das verbietet sich zum einen, weil die wörtlich interpretierten Schöpfungsvorstellungen vergangener Generationen ja gerade von der Annahme ausgehen, dass sich in der Natur nichts ver­ändert und entwickelt (hat) es handelt sich also bestenfalls um „Anti-Evolutions-Vor­stellungen“. Und wenn, wie einige Lehrbücher durchaus wissen, „Schöpfungsmythen … keine wissenschaftlichen Theorien sind“, dann dürfen sie auch nicht als solche behan­delt und mit naturwissenschaftlichen Theorien auf eine Ebene gestellt werden. Manch­mal sollen Schüler dann aber religiös fundierte Vorstellungen gegen naturwissenschaft­liche Erklärungsansätze abwägen. Wo all das geschieht, handelt es sich um einen gra­vierenden Kategorienfehler – hier werden Äpfel mit Birnen verglichen!

 

Kreationismus

Der Kreationismus (von lat. creatio = Schöpfung) hält am Wortlaut der biblischen Er­zählungen von der Schöpfung fest (1.Buch Mose, Kap. 1 und 2). Auf der Grundlage dieses Bibelverständnisses (unverrückbares Fundament) wird die Vorstellung abge­lehnt, dass im Prozess einer geschichtlichen Entwicklung Arten neu entstanden sind: Evolution hat nicht stattgefunden. Es wird versucht, die zur Geschichte des Lebens auf der Erde vorliegenden Befunde im Rahmen biblischer Vorgaben naturwissenschaftlich alternativ zu deuten. In der Lesart des sogenannten „Kurzzeit-Kreationismus“ beträgt das Alter des Universums etwa 6000 Jahre. Kosmos, Erde, Pflanzen, Tiere und Men­schen sind „am Anfang“ in sechs Kalendertagen geschaffen worden. An allen Stellen, wo sich die Bibel im Sinne von Faktenwissen konkret äußert (über Geschehensabläufe, Zeiträume, naturkundliche Mitteilungen), handelt es sich für Kreationisten nicht nur um heilsgeschichtlich verbindliche Wahrheit, der geglaubt werden muss; solche Angaben sind auch als naturwissenschaftlich zu lesende Aussagen verbindlich. Für alle in der Bibel genannten Fakten können naturwissenschaftliche Beweise gesucht (und gefun­den) werden.
Kreationismus im engeren Sinne ist ein Phänomen vor allem in den christlichen, beson­ders in den protestantischen Kirchen (ein Motto der Reformation hieß: „Allein die Schrift, allein das Wort!“). Er spielt schon in der katholischen Kirche eine viel geringere Rolle. Weniger reflektiert und öffentlich diskutiert gibt es kreationistische Strömungen aber auch im strenggläubigen Judentum und im Islam. Andere Weltreligionen kennen dieses Phänomen schon deshalb kaum, weil Schöpfungsvorstellungen dort ganz anders über­liefert werden, keine so exakten zeitlichen Angaben gemacht werden und die Erschaf­fung von Pflanzen und Tieren nicht vorkommt.

 

Zur Vertiefung der hier versuchten Begriffsklärung sei auf das ausführliche Kapitel 1.2.3 in Teilband 1 verwiesen.

 

 

 

Im Folgenden wird anhand von Zitaten aus BIOLOGIE-Lehrbüchern nachvollzogen, in welcher Weise Schöpfungsvorstellungen in der Geschichte der Biologie und bei aktuel­len Auseinandersetzungen wahrgenommen, aufgenommen und dargestellt werden.

 

Dabei wurden – nur in diesem Kapitel – die Lehrbücher gemeinsam betrachtet, die je­weils aus einem Hause kommen (Verlag, Verlagsgruppe). Es liegt ja nahe, dass es in den Verlagen „Traditionen“ gibt oder konzeptionelle Vorgaben oder Richtlinien für ein­heitliche abgestimmte Gestaltung; eine spezifische „Handschrift“ ergibt sich auch dar­aus, dass die gleichen Autoren über längere Zeit und für verschiedene Bücher tätig sind.

2.1.4.2 PAETEC/ DUDEN

2.1.4.3 SCHROEDEL

2.1.4.4 KLETT

2.1.4.5 CORNELSEN / VOLK UND WISSEN

2.1.4.6 andere Verlage (BSV, C.C.Buchner)

 

Zur Darstellung und Bewertung von Schöpfungsvorstellungen in der Geschichte der Biologie seien zunächst einige Zitate aus Lehrbüchern für die Sekundarstufe 1 mitge­teilt:

 


 

2.1.4.2 Lehrbücher aus dem Verlag PAETEC / DUDEN
            (B12 bis B15, B24)

 

Als erstes wird ein Buch aus dem Paetec-Verlag vorgestellt, das im Jahre 2000 für die Sekundarstufe 1 angeboten wurde:

 

(Quelle: B15 PAETEC; Biologie 10, Sachsen, Gymnasium, Berlin, 2000)

S.83
“2.3. Die Entstehung und Entwicklung der Arten“
Viele Wissenschaftler haben sich bemüht, die Entstehung des Lebens und die Existenz der Vielfalt der Arten aus z.T. sehr unterschiedlichen Ansätzen heraus zu erklären. Auch die in der Bibel dar­gestellte Schöpfungsgeschichte stellt eine Art Deutung dar …“

S.84
Die Entwicklung des Abstammungsgedankens – historischer Überblick
Heute zweifelt bei uns kaum einer mehr an der Abstammungstheorie
[38] Dies ist jedoch nicht immer so ge­wesen. …
Die ältesten überlieferten Vorstellungen zur Entstehung der Welt und ihrer Organismen finden sich in Schöpfungsmythen. Eine wörtliche Auslegung dieser Mythen steht der Abstammungsidee grundsätzlich entgegen. Pflanzen und Tiere sind danach von Gott in ihrer endgültigen Form geschaffen worden. In der Arche Noah wurden die Tiere (und Pflanzen?) über die in der Bibel dar­gestellte Sintflut hinweggerettet. Die Arten waren damit festgelegt und deren Anzahl begrenzt …

S.91
„Aufgaben"
1. Inwieweit hatte die Kirche Einfluss auf die Vorstellung über die Artenentstehung?
2. Lies die nachstehenden Aussagen über die Evolution und stelle diese den Aussagen der dar­winschen Abstammungstheorie gegenüber!
“Die natürliche Zuchtwahl oder das Überleben des Tüchtigsten kann im besten Falle nur die Tren­nung der Starken von den Schwachen bedeuten. Aber niemals entsteht allein als Folge des Über­lebens des Tüchtigsten eine neue Pflanzen- oder Tierart.
Und da auch durch Mutationen keine neuen Arten entstehen, fehlen der Evolution die Mechanis­men, mit denen sie erklärt werden könnte.“
“Die wahren wissenschaftlichen Tatsachen weisen nicht auf eine Entwicklung des Menschen aus dem Tier hin, sondern darauf, dass der Mensch als eine Art erschaffen wurde, die sich von Tieren klar und deutlich unterscheidet.“
(Aus: Wachtturm, Bibel- und Traktatgesellschaft 1968)“
[39]

(Quelle: B15 PAETEC; Biologie 10, Sachsen, Gymnasium, Berlin, 2000)

 

In den Jahren 2005 und 2007 brachte der gleiche Verlag (nun unter Duden-Paetec) drei Lehrbücher – auch das vorstehend zitierte - in neuer Bearbeitung heraus (B12; B14, B24). Bevor wesentliche Auszüge aus allen drei Büchern wiedergegeben werden, soll der (neue) Grundansatz kritisch zusammengefasst werden.

Der Konflikt zwischen Schöpfungsglaube und Naturwissenschaft wird letztlich doch auf die Frage reduziert, wer die (sachlich-naturwissenschaftlich) richtige Erklärung für Ver­lauf und Ergebnis der Naturgeschichte geben kann („Welche der Theorien erscheint Ihnen am realistischsten und sinnvoll­sten?“). Das grundlegende Ordnungsprinzip heißt EVOLUTION, und alle diskutierten Vorstellungen über Ursprung und Geschichte des Lebens aus den letzten 3000 Jahren werden in den Rang von konkurrierenden „Evolu­tionstheorien“ erhoben, deren Wahrheitsgehalt und Erklärungskraft gegenein­ander ab­gewogen werden können. Auch die „Schöpfungsgeschichte“ (gemeint ist damit exklusiv das erste Kapitel der jüdisch-christlichen Bibel; z.T. auch als „Schöpfungsmythen“ be­zeichnet), wird unter der Hauptüberschrift „Evolutionstheorien“ behandelt, also auf der gleichen Ebene wie die Theorien von Lamarck, Darwin und die Synthetische Evolu­tionstheorie.
Das ist ein doppeltes Unding!
Einmal, weil die hier dargestellten Ansichten von der Konstanz der Arten eben gerade keine Entwick­lung (als Veränderung der Arten im Laufe der Zeit) im Blick haben, also eher ein Gegenentwurf sind, eine „Anti-Evolutions-Vorstellung“, die keine Entwicklung kennt.
Und zum zweiten, weil in den Lehrbüchern an anderer Stelle durch­aus angedeutet wird, dass die biblischen Texte die Welterfahrung des Menschen nicht rational erklä­ren wol­len („sind keine wissenschaftlichen Theorien“), sondern eine „Deutung“ anbieten, Ant­worten versuchen auf die Fragen nach dem Sinn und dem Ziel des menschlichen Da­seins.

Mit Ironie sei noch festgestellt: In diesen drei Lehrbüchern ist (sicher unbeabsichtigt!) ein Wunsch von „Kreationisten“ erfüllt worden, die nämlich fordern, dass die biblische Schöpfungsgeschichte gleichrangig im Biologieunterricht als naturwissenschaftliche Alternative neben der Darwinschen Evolutionstheorie behandelt werden soll!

 

Im Folgenden sind wichtige Zitate aus den Büchern wiedergegeben. Einzelne Aspekte werden jeweils direkt unter den einzelnen „Kästen“ diskutiert.

Wegen der gleichen Autorenschaft ist es unvermeidlich, dass in den folgend wieder­gegebenen Zitaten hin und wieder wortgleiche Dopplungen auftreten.

 

(Quelle: B12 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie, Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin, 2005)

 

 

S.511
Entstehung des Lebens – ein Rätsel?
Viele Wissenschaftler haben sich bemüht, die Entstehung des Lebens und die Existenz der Vielfalt der Arten aus z.T. sehr unterschiedlichen Ansätzen heraus zu erklären. Auch die in der Bibel dar­gestellte Schöpfungsgeschichte stellt eine Art Deutung dar. Die Evolutionstheorie versucht die Ab­stammung der Organismen und ihre Entwicklung als natürlichen Prozess zu erklären.
Wie entwickelte sich der Evolutionsgedanke?
Welche namhaften Persönlichkeiten begründeten die heute verbreitete Evolutionstheorie?
Sind Evolutionsforschung und Religion vereinbar?
[40]

S.514f.
Evolutionstheorien – ein Überblick
[41]
Die Vorstellungen hinsichtlich der Abstammung der Lebewesen haben sich im Laufe der Geschichte, ge­prägt durch den jeweiligen Zeitgeist, verändert bzw. entwickelt.
Die Evolution (Abstammungslehre) ist auch heute noch in einigen Teilen der Welt, insbesondere im Be­reich der Religion, ein heftig diskutierter Themenbereich.
Die Schöpfungsgeschichte
[42]
Die ältesten überlieferten Vorstellungen zur Entstehung der Welt und ihrer Organismen finden sich in Schöpfungsgeschichten. Eine wörtliche Auslegung des Schöpfungsberichtes aus der Bibel steht der Ab­stammungsidee grundsätzlich entgegen. Pflanzen und Tiere sind hiernach von Gott in ihrer endgültigen Form geschaffen worden (Konstanz der Arten). In der Arche Noah sollten Tiere (Pflan­zen?) über die in der Bibel dargestellte Sintflut hinweg gerettet worden sein. Die Arten waren damit festgelegt und in ihrer Zahl begrenzt. Die Schöpfungsgeschichte ist im Glauben tief verwurzelt und entzieht sich dem natur­wissenschaftlichen Ansatz der Überprüfung.
Der Schöpfungsbericht war aber dennoch für seine Zeit eine enorme Erkenntnis, denn die Rei­henfolge der Schöpfung von Erde und Lebewesen beruht schon auf einer „wissenschaftlichen Auseinanderset­zung“ mit der Entstehung des Lebens (Erde und Gestirne, Atmosphäre und Was­ser, Wasserlebewesen, Lebewesen des Landes, Mensch)
[43].
Evolutionstheorien vor DARWIN …
Die Begründung der Abstammungslehre durch DARWIN
… Darwin … studierte zunächst Medizin, ab 1828, nach Abbruch des ersten Studiums, Theologie …
Während der Reise (mit dem Forschungsschiff BEAGLE JK) glaubte Darwin noch an die Konstanz der Arten. Zweifel tauchten erst später, bei der Aufarbeitung des mitgebrachten Materials … auf. …
Darwin wurde in der Westminster Abbey dicht neben Isaac Newton bestattet. …
Die von Darwin gewählten Formulierungen („Kampf ums Dasein“; „Überleben des Best­geeigneten“), die auch zu Missverständnissen geführt haben …

S.519f.
(Merk-Kasten)
Für die Evolution der Organismen wurden verschiedene Theorien aufgestellt. Als Ursache wurden früher die Schöpfung der Organismen durch Gott, die Vererbung erworbener Eigenschaften auf die Nachkom­men sowie die Vernichtung der Organismen durch Katastrophen und ihre Neuerschaffung angesehen.
Ab Mitte des 19. Jh. wird die Evolutionstheorie angenommen. Die besagt, dass alle heutigen Le­bewesen im Verlauf der erdgeschichtlichen Entwicklung aus früheren einfachen Lebewesen ent­standen sind.

 

(Quelle: B12 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie, Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin, 2005)

 

(Quelle: B14 DUDEN / PAETEC; Biologie, Gymnasium, 10, Sachsen, Berlin 2007)

 

 

S.86

„Evolutionstheorien – ein Überblick“

“Die Evolution (Entwicklung der Lebewesen) ist auch heute, insbesondere im Bereich der Religion, ein heftig diskutierter Themenbereich.“

“Schöpfungsmythen“
“Als Schöpfung versteht man in vielen Religionen die Erschaffung der Welt, der Lebewesen und der un­belebten Natur durch eine eigenständige Macht, z.B. einen Gott. In allen Kulturen, die eine eigene Welt­anschauung oder Religion entwickelt haben, gibt es Schöpfungsmythen. Alle beant­worten meist sehr bildhaft die Frage nach der Herkunft der Götter, der Menschen und der Welt.
Ein bis heute bei vielen Menschen als absolute Wahrheit geltender Mythos ist in der biblischen Schöp­fungsgeschichte niedergelegt. Bis ins 19. Jahrhundert hinein galt die göttliche Schöpfung auch vielen Naturwissenschaftlern als gesicherte Grundlage. … Schöpfungsmythen sind keine wissenschaftlichen Theorien.“

S.90
“Während der ganzen Reise (mit dem Forschungsschiff BEAGLE JK) glaubte DARWIN noch an die Kon­stanz der Arten. Zweifel tauchten erst bei der Aufarbeitung des mitgebrachten Materials … auf.“

S.102
“Das Wichtigste auf einen Blick“

Evolutionstheorien

Schöpfungsgeschichte
Gott schuf die Arten; sie sind unveränderlich und entwickeln sich nicht (keine wissenschaftliche Theorie).
Lamarckismus …
Darwinismus …
Synthetische Evolutionstheorie …


S.157
Neben diesen auf naturwissenschaftlicher Basis erklärten Darstellungen von der Entwicklung des Lebens in den Phasen der chemischen Evolution – Übergang vom Nichtleben zum Leben – sowie der biologi­schen Evolution gab es zahlreiche Schöpfungsmythen. Dazu gehört auch die in der Bibel geschilderte Schöpfungsgeschichte.
Gegenwärtig
ist in den USA der Kreationismus (als „intelligent design“) weit verbreitet. Er basiert auf der Schöpfungsgeschichte der Bibel.
[44] Seine Vertreter versuchen, mit wissenschaftlichen Argu­menten die Schöpfungsgeschichte und den Glauben an die Schöpfung zu untermauern.

(Aufgabe)
[45]
9.a) Vergleicht die darwinsche Evolutionstheorie und die Schöpfungsmythen bezüglich ihrer inhalt­lichen Schwerpunkte miteinander. …

 

(Quelle: B14 DUDEN / PAETEC; Biologie, Gymnasium, 10, Sachsen, Berlin 2007)

 

(Quelle: B24 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag; Duden Biologie, Gymnasiale Oberstufe, Berlin, 2005)

 

 

S.358ff.
8.1 Zur Geschichte des Evolutionsgedankens
- Unterschiedliche Schöpfungsmythen sind charakteristisch für fast alle bekannten Kulturkreise
- Schon in der Antike befassten sich die Philosophen mit der Herkunft und Verwandtschaft der Lebewe­sen
- Die Aufklärung bereitete im 18. Jh. den Boden für eine naturwissenschaftliche Erklärung der Ent­stehung der Arten
- Charles DARWIN und Alfred Russel WALLACE veröffentlichten 1858 eine wissenschaftlich fun­dierte Evolutionstheorie. Diese auch als „Darwinismus“ bezeichnete Theorie wurde bis heute mehrfach modifi­ziert und ergänzt, aber nicht grundlegend geändert
8.1.1 Evolutionstheorien im Wandel der Zeiten
Schöpfungsmythen
[46]
In allen Kulturkreisen haben sich die Menschen die Frage nach ihrer eigenen Herkunft, der Her­kunft der Lebewesen und der unbelebten Natur gestellt und darauf sehr unterschiedliche Antworten gefunden. Ein bis heute von vielen Menschen als absolute Wahrheit anerkannter Mythos ist in der biblischen Schöp­fungsgeschichte niedergelegt. Bis ins 19. Jh. hinein galt die biblische Genesis auch vielen Naturwissen­schaftlern und Biologen als gesicherte Grundlage, stimmte sie doch mit der Alltagserfahrung überein, dass Eltern einer Tier- oder Pflanzenart immer wieder Nachkommen derselben Art hervorbringen.
Antike Naturphilosophen
Demgegenüber haben sich schon in der Antike griechische Naturphilosophen um eine „natürliche“ Erklä­rung der Schöpfung bemüht. ANAXIMANDER VON MILET, Schüler des THALES VON MILET, vertrat die Ansicht, dass alle Lebewesen einschließlich des Menschen in stufenweiser Ent­wicklung aus dem Feuchten hervorgegangen seien, das ursprünglich die Erde umgab. Auch ARISTOTELES ordnete die Natur als „Stufenpyramide“ an. Diese Anordnung, die mit dem Unbe­seelten beginnt und mit dem Men­schen an der Spitze der Pyramide endet, sieht ARISTOTELES allerdings statisch und nicht als einen Evolutionsprozess.
Erste Ansätze zu einer naturwissenschaftlichen Abstammungslehre
Mechanismus und Vitalismus …

Wegbereiter einer wissenschaftlichen Evolutionstheorie
Bis zu Beginn des 19. Jh. herrschte auch bei Biologen die Lehre von der Konstanz der Arten vor
CUVIER kam zu der Annahme regelmäßig wiederkehrender Naturkatastrophen, nach denen es jeweils zu einer Neuschöpfung der Lebewesen kam („Katastrophen-Theorie“). Demgegenüber lehnte LAMARCK die biblische Schöpfungsgeschichte als Erklärung für die Vielfalt der Arten ab. Er entwickelte eine Evolutionslehre, nach der die direkte Anpassung der Tier- und Pflanzen­individuen an sich ändernde Umweltbedingungen zum Artenwandel und zur Artenaufspaltung führt.
Die darwinsche Evolutionstheorie …

S.381
Die synthetische Theorie der Evolution …

S.386f.
(Darstellung anderer Theorien, die neben der synthetischen Theorie der Evolution diskutiert werden)
Neutralitätstheorie der Evolution …
Soziobiologie und eigennützige Gene …
Kritische Evolutionstheorie und innere Selektion …
Genomtheorien …
Allmählicher Übergang oder Sprünge ? …
Vererbung erworbener Eigenschaften (Lamarckismus) …
Kybernetische Evolutionstheorie …
Morphogenetische Felder …
Kreationismus

Schließlich spielt nach wie vor – v.a. in den Vereinigten Staaten – der so genannte Kreationismus eine wichtige Rolle. Dieser mit wissenschaftlichen Argumenten untermauerte Schöpfungsglaube gründet sich auf die Schöpfungsgeschichte der Bibel.
[47]

 

S.458
(Aufgaben)
[48]
10. Welche alternativen Theorien neben der synthetischen Theorie sind Ihnen bekannt? Fertigen Sie eine Tabelle an, in der Sie die unterschiedlichen Theorien (inklusive der synthetischen Theorie) aufzählen, ihre wichtigsten Vertreter nennen und die Theorien bezüglich ihrer Schwerpunkte ver­gleichen. Diskutieren Sie im Kurs oder in der Gruppe über die Kritikpunkte bzw. Schwächen der einzelnen Theorien und begründen Sie, welche der Theorien Ihnen am sinnvollsten und realis­tischsten erscheint.

 

(Quelle: B24 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag; Duden Biologie, Gymnasiale Oberstufe, Berlin, 2005)

 

 

 

 

2.1.4.3 Lehrbücher aus dem Verlag SCHROEDEL
            (B16, B28 bis B32)

 

 

(Quelle: B16 SCHROEDEL; Netzwerk Biologie 10, Braunschweig, 2006)

 

 

S.62:
2 Ursachen der Evolution
2.1 Die Evolution der Evolutionstheorien

Bis ins 19. Jahrhundert hinein galt in der Biologie die Theorie von der Konstanz der Arten. Sie wurde aus dem biblischen Schöpfungsbericht abgeleitet.
[49] So vertrat Carl von LINNÈ (1707 bis 1778) die Ansicht, dass die Arten, so wie wir sie jetzt vorfinden, seit Beginn der Welt vorhanden waren. …
Auch zu Zeiten von Charles DARWIN (1809 – 1882) glaubte man noch, dass jede Art von Gott geschaf­fen wurde …

 

S.140:
Vernetze dein Wissen (Aufgaben)
[50]
A3 Es gibt verschiedene Theorien zur Evolution
[51]
1. Die von den Vorfahren erworbenen Eigenschaften werden von Generation zu Generation wei­tergege­ben.
2. Durch natürliche Auslese verändern sich die Arten im Laufe der Generationen.
3. Alle Lebewesen, die heute leben, sind durch einen Schöpfungsakt von Gott geschaffen worden.
a) Wie heißen die zitierten Theorien?
b) Welche der genannten Theorien ist heute allgemein anerkannt?


 

(Quelle: B28 SCHROEDEL; Biologie heute entdecken S II; Braunschweig, 2004)

 

 

S.374
1 Entwicklung des Evolutionsgedankens
Die Frage nach dem Ursprung der Menschheit, anderer Lebewesen, ja der Welt insgesamt, beschäftigt Menschen seit Jahrtausenden. In allen frühen Kulturen entstanden Schöpfungsmythen, denen zufolge mit übernatürlichen Kräften ausgestattete Gottheiten Himmel und Erde, Pflanzen und Tiere sowie den Men­schen erschaffen hatten.
[52] Erste Ansätze, die Welt durch natürliche Ursa­chen zu erklären, sie also zu entmythologisieren, finden sich im alten Griechenland. …
Für den großen Naturforscher und Philosophen ARISTOTELES (384 bis 322 v. Chr.) waren alle Lebewe­sen ewig und unveränderlich.

Das Christentum übernahm ebenso wie die jüdische Lehre und der Islam diese Lehre von der Konstanz der Arten [53] - allerdings mit dem Unterschied, dass Pflanzen, Tiere und der Mensch nicht auf natürliche Weise entstanden seien, sondern von Gott erschaffen worden waren. Bis zum Ende des Mittelalters be­stimmte dieses Dogma das Denken der Menschen. …

Der Horizont auf der Erde wurde durch die ersten großen Entdeckungsreisen erweitert. Ganze Kontinente und eine Vielzahl von neuen Pflanzen und Tieren wurden dadurch in Europa bekannt. Es wurden Fragen aufgeworfen, die die Bibel nicht beantwortete: Hatten all diese Arten in der Arche Noah Platz gefunden? Wenn Fossilien wirklich die Reste von Lebewesen waren, die die Sintflut dahingerafft hatte, warum waren dann so viele im Wasser lebende Arten ausgestorben?
Im 18. Jahrhundert begann der Gedanke an eine allmähliche Entwicklung des Lebens Gestalt anzuneh­men. Man erkannte, dass die Erde nicht erst im Jahre 4004 v. Chr. erschaffen worden war, wie der Bischof James USSHER 1654 nach sorgfältigem Studien der Ahnentafeln in der Bibel berechnet hatte, sondern viel älter sein musste. Aber noch hielten fast alle Gelehrten an der Über­zeugung der Konstanz der Arten fest. Auch der schwedische Naturforscher Carl VON LINNÉ (1707 bis 1778), der Begründer der biologischen Systematik, die auf abgestuften Ähnlichkeiten beruht, war von der Unveränderlichkeit der Arten überzeugt. Einer der Ersten, der den Evolutionsgedanken ernsthaft erwog, war der Franzose Georges de BUFFON (1707 bis 1788), der in seinem Werk „Histoire Naturelle" darüber nachdachte, ob Mensch und Affe „gemeinsame Ursprünge" haben könnten. Allerdings verwarf er diesen ketzerischen Gedanken gleich wieder, da „uns die Autorität der Offenbarung versichert, dass das erste Paar jeder Art voll ausgebildet aus den Händen des Schöpfers hervorging" …
Aber die DARWINsche Evolutionstheorie geht in ihrer Bedeutung weit über das eigentliche Gebiet der Biologie hinaus, denn sie stellte nicht nur die biblische Schöpfungsgeschichte und die heraus­gehobene Position des Menschen als „Krone der Schöpfung" in Frage, sondern erschütterte auch den Glauben an den Fortschritt in der Natur und die Vorstellung einer harmonischen, stabilen Welt. DARWIN war sich dessen bewusst: „Mir ist zumute," schrieb er einem Freund, „als gestehe ich einen Mord."

 

S.413
Exkurs: Kreationismus
Schon lange vor DARWIN waren viele Menschen davon überzeugt, dass die Schöpfungs­geschichte der Bibel, nach der Gott sämtliche Tiere, Pflanzen und auch den Menschen erschaffen hatte, „ein jegliches nach seiner Art“, nicht wörtlich genommen werden könne. …
Kreationistische Strömungen (lat. creatio, Schöpfung) gibt es in allen großen Religionen
[54]. Auch Kreatio­nisten gehen allerdings mit der Zeit. Viele, die sich selbst als „wissenschaftliche Kreatio­nisten“ bezeich­nen, vertreten nicht mehr die alte Lehre von der „Konstanz der Arten“, sondern geben zu, dass Arten bis zu einem gewissen Grad veränderlich sind. …
Der entscheidende Unterschied zwischen einer Wissenschaft und einem Glaubensbekenntnis wie dem Kreationismus ist allerdings ein anderer. An ein Glaubensbekenntnis muss man glaubenoder auch nicht. Eine naturwissenschaftliche Theorie zeichnet sich dagegen dadurch aus, dass man sie überprüfen kann. …
Aufgrund zahlloser derartiger Belege gilt Evolution heute nicht mehr „nur“ als Theorie, sondern als Tatsa­che.

 

S.442
RÜCKBLICK Evolutionsbiologie
Wenn jemand eine Uhr am Wegesrand findet, wird er kaum auf die Idee kommen, dass diese rein zufällig – durch seelenlose Naturkräfte - entstanden ist.

Eine Uhr zeichnet sich durch intelligentes Design aus - und intelligentes Design kann nur das Pro­dukt ei­nes intelligenten Designers sein. Folglich muss es einen Uhrmacher gegeben haben. Dieses Argument des englischen Naturtheologen William PALEY (1743 bis 1804) findet auch heute wieder Anhänger: Le­bewesen zeichnen sich durch „intelligentes Design" aus, und dieses kann nach Mei­nung von Kreatio­nisten unmöglich durch die „blinden Kräfte" der Evolution entstanden sein ...
Die Entwicklung des Lebens auf der Erde war ein historischer Prozess, der direkter Beobachtung nicht zugänglich ist. Daher könnte man zu der Auffassung gelangen, dass die Evolutionstheorie nicht weiter als eine unbewiesene Hypothese ist. Tatsächlich gibt es zwei weitere alternative Theo­rien über die Ge­schichte des Lebens, die prinzipiell ebenfalls „wahr“ sein könnten. Nach der auf ARISTOTELES zurück­gehenden Theorie von der „Konstanz der Arten“
[55] sind alle heute lebenden (rezenten) Arten unabhängig voneinander entstanden – oder erschaffen worden – und haben sich im Laufe der Erdgeschichte nicht verändert. Auch nach der zweiten, von LAMARCK vertretenen Theorie sind die heute lebenden Arten un­abhängig voneinander entstanden, haben sich aber im Laufe der Erdgeschichte verändert. Diese Theorie bezeichnet man auch als Transformismus-Theo­rie (lat. transformere, umwandeln). DARWINS Evolu­tionstheorie geht ebenfalls von der Verände­rung von Arten aus, behauptet aber im Gegensatz zu der LAMARCKS, dass die heute lebenden Arten von gemeinsamen Vorfahren abstammen. Wie lässt sich entscheiden, welche der drei Theo­rien die richtige ist?

S.482
GLOSSAR
Kreationismus:
religiös geprägte Vorstellung, nach der Lebewesen nicht durch Evolution, sondern durch Schöp­fung ent­standen sind

 

(Quelle: B28 SCHROEDEL; Biologie heute entdecken S II; Braunschweig, 2004)

 

(Quelle: B29 SCHROEDEL; Biologie heute S II; Braunschweig, 2004)

 

 

S.386:
1 Entwicklung des Evolutionsgedankens
… In der Antike ging man zwar von einer einmaligen Schöpfung von Pflanzen, Tieren und Men­schen aus, aber es gab schon Ansätze von Entwicklungsgedanken. So sind nach ANAXIMANDER von MILET (611 bis 546 v.Chr.) die ersten Menschen in fischähnlichen Wesen herangewachsen, haben später ihre fischige Hülle abgelegt und auf dem Land weitergelebt.
Solche Ideen aus dem Altertum setzten sich aber nicht durch. Das Christentum machte die Schöpfungs­geschichte und damit die Lehre von der Konstanz der Arten zur herrschenden Lehr­meinung. So schrieb CARL VON LINNÈ (1707 bis 1778): „Es gibt so viele Arten als von Anbeginn geschaffen wurden.“
[56]

 

S.444

Der Kreationismus. Eine starke Opposition gegen die Evolutionstheorie kommt aus der Schule der Kreationisten, die besonders in den USA aktiv sind. Sie meinen, dass die Schöpfungs­geschichte, wie sie in der Bibel aufgezeichnet ist, ein wörtlich zu nehmender Bericht über die Erschaffung der Welt und der Lebewesen ist. Der Streit zwischen den Evolutionsbiologen und den Gegnern der Abstammungslehre wird teilweise mit Polemik und gegenseitiger Diffamierung geführt, wobei sich beide Parteien wechselsei­tig vorwerfen, nicht wissenschaftlich exakt zu argu­mentieren bzw. gar keine Wissenschaft zu betreiben. Die Argumente der Gegenseite werden zum Teil ins Lächerliche gezogen und verzerrt …
Für den Kreationisten kann es also durchaus Stammbäume geben, die die Abstammung einzelner For­men von „stammesgeschichtlichen Vorfahren" zeigen. Sie werden aber nicht wie in der Evo­lutionstheorie zu einem hypothetischen Stammbaum vereinigt, sondern sie stehen als autonome „Stammbüsche" ohne Verbindung nebeneinander. Die Wirkungsmechanismen für ihre Verzwei­gungen sind in den beiden Theo­rien grundsätzlich andere.
Eine weitere Diskrepanz zwischen Kreationismus und Evolutionstheorie besteht in der Beurteilung der Zeit, die für die Entstehung der heute vorhandenen Lebewelt zur Verfügung steht. Für viele Kreationisten hat die Erde ein Alter von etwa 6000 Jahren. Da die Berichte der Bibel wörtlich genommen werden, ergibt sich dieses Alter aus der Addition der Menschenalter, die in den Ahnenfolgen verschiedener Chroniken aufgeführt sind. Fossilien werden durch weltweite Katastro­phen erklärt, für die die in der Bibel beschrie­bene Sintflut einen Anhaltspunkt liefert. Polemische Evolutionisten reagieren darauf mit Hohn und Spott. Eine fundierte, lückenlose Argumentation dagegen ist aber mit gewissen Schwierigkeiten verbunden: Die Evolutionstheorie beruht zu einem großen Teil auch auf den Voraussetzungen, die die Geologie liefert, denn die Fossilien finden sich in geologischen Schichten und die Datierungsmethoden, die die Zeittafel der Evolution bestimmen, sind Datierungsmethoden der Geologen. Diese Verfahren beruhen aber auf der Annahme, dass die Naturgesetze, die heute wirksam sind, auch schon vor Zeiten wirksam waren. Natur­gesetze haben immer in unveränderter Form gegolten und werden immer in unveränderter Form gelten. Dieses Prinzip wird als Aktualismus oder Aktualitätsprinzip bezeichnet und geht auf den engli­schen Geologen CHARLES LYELL zurück, der damit zu DARWINS Zeiten die Geologie in neue Bahnen lenkte. Für uns ist dieses Prinzip heute selbstverständlich. Es ist aber - und das ist der Ansatzpunkt für den Kreationismus - nicht beweisbar.
Der Aktualismus ist ein Axiom, d.h. ein Satz, der zwar als unmittelbar einsichtig gilt, aber nicht beweisbar ist. Auch die Schöpfungstheorie beruht auf einem Axiom, denn auch sie ist nicht beweisbar. Wenn man also das Axiom des Aktualismus bezweifelt, entzieht man der Evolutions­theorie die Grundlage. Ohne das Aktualitätsprinzip ist es durchaus denkbar, andere, wie auch im­mer geartete Zeiträume für die Entste­hung der Erde und ihre Bewohner anzusetzen. Man stellt sich damit aber auf eine Position außerhalb der heute für wahr gehaltenen naturwissenschaftlichen Prinzipien. …

S.445:
(anschließend folgen auf einer ganzen Seite Zitate aus einem kreationistischen Buch)

S.453
GLOSSAR
Kreationismus:
Weltbild, das auf dem Axiom beruht, dass die Schöpfungsgeschichte der Bibel einen tatsächlichen Ablauf beschreibt

 

(Quelle: B29 SCHROEDEL; Biologie heute S II; Braunschweig, 2004)


 

(Quelle: B30 SCHROEDEL; Hoff, P. / Miram, W. / Paul, B.: Evolution, Materialien für den Sekundar­bereich II, Biologie, Hannover, 2004)

 

 

S.8ff.:
2 Die Evolution des Evolutionsgedankens
(Altertum, Mittelalter, Kirche, Bibel, Konstanz der Arten, Lamarck, Darwin)

S.16ff.
2.7 Der Streit um DARWINs Theorie
hierzu S.18f.
(Kasten:)
Der Kreationismus (Zitate aus einem kreationistischen Buch von 1982, Textumfang zwei Druck-Seiten)
[57]

 

(Aufgabe für Schüler:)
A1
a) Fassen Sie die Gedanken der zitierten Texte zusammen und formulieren Sie anhand derer die Grund­gedanken des Kreationismus.
b) Nehmen Sie Stellung zu den kreationistischen Thesen. Nehmen Sie dabei den nebenstehenden Ex­kurs zu Hilfe. (s.u.S.19)

S.19
(Kasten:)
Wie Wissenschaft funktioniert
… Eine Theorie ist also ein Erklärungsmodell, das sich auf durch Fakten begründete Hypothesen stützt. Ein Erklärungsmodell ist natürlich etwas anderes als die „absolute Wahrheit“: Naturwissen­schaftliche Hypothesen lassen sich im streng mathematischen Sinn nämlich nicht „beweisen“. Das liegt daran, dass – so plausibel uns eine Hypothese erscheint – immer auch alternative Erklärun­gen möglich sind, auf die wir einfach noch nicht gekommen sind. Allerdings sollten sich Hypothe­sen dadurch auszeichnen, dass sich aus ihnen Vorhersagen ableiten lassen, die prinzipiell über­prüfbar sind. …

 

In einer früheren Fassung des gleichen Lehrbuchs (Ausgabe 1993) war ein anderer An­satz gewählt worden, um – ebenfalls zum Einstieg in das Thema „Evolution“ – die Ebene der religiösen Wahrnehmung und Deutung der Wirklichkeit mit aufzunehmen:


 

(Quelle: B31 SCHROEDEL; Hoff, P. / Miram, W.: Evolution, Materialien für den Sekundarbereich II, Biologie, Hannover, 1993)

 

 

S.10f.
2.2. Die Schöpfungsgeschichte der Bibel
[58] [59]

Die Schöpfungsgeschichte der Juden, des Volkes Israel, ist am Anfang des Alten Testaments in der Bibel aufgezeichnet. Der Beginn dieses Textes ist in einer modernen Übersetzung neben­stehend wiedergege­ben. Bei der Lektüre fällt auf, dass es sie offensichtlich um zwei Quellen han­delt: Das Kapitel „Der Mensch im Paradies" beginnt noch einmal von vorn, nachdem im voran­gehenden Abschnitt der Prozeß der Schöpfung schon vollständig geschildert wurde. Dieser zweite Bericht (Genesis II), der eine in sich geschlossene Erzählung über Erschaffung des Menschen dar­stellt, ist wahrscheinlich der ältere. Er wurde etwa 900 v. Chr. am Hofe des Königs Salomon in Jerusalem niedergeschrieben.

Von 597 bis 538 v. Chr. lebte das Volk Israel in Babylon; d.h. in Mesopotamien, das ist das Gebiet des heutigen Irak. NEBUKADNEZAR II., der König der Babylonier, hatte Palästina erobert, Jeru­salem zerstört und die Juden in die „Babylonische Gefangenschaft" geführt. Hier im Exil wurde wahrscheinlich der erste Teil der Schöpfungsgeschichte (Genesis I) von Priestern aufgezeichnet. Ein späterer Schreiber hat dann die beiden unterschiedlichen Schöpfungsberichte so zusammen­gefügt, wie sie heute im Alten Testament stehen.

Nach dem Beginn unserer Zeitrechnung entwickelte sich das Christentum auf der Basis der jüdi­schen Religion. Es übernahm die schriftlichen Traditionen des Judentums und damit auch die Schöpfungs­geschichte des Alten Testaments.
Palästina war zu dieser Zeit Teil des römischen Imperiums. Demzufolge breitete sich das Chris­tentum zuerst im römisch beherrschten Teil der Welt aus, da es für die Apostel, wie die ersten Mis­sionare hie­ßen, leicht war, sich innerhalb dieses politisch zusammenhängenden Gebietes zu bewegen. Da die Christen aber, weil sie die römischen Staatsgötter ablehnten, politisch verdächtig waren, wurden sie grausam verfolgt. Es dauerte dreihundert Jahre, bis das Christentum im Jahr 313 n. Chr. durch Verkün­dung der Glaubensfreiheit unter Kaiser KONSTANTIN im römischen Reich neben der römischen Religion geduldet wurde. Unter THEODOSIUS wurde das Christentum 391 zur römischen Staatsreligion.
Das römische Reich hatte eine vorbildliche Verwaltung. Diese vorhandenen Strukturen nutzte die nun als Staatskirche fungierende Organisation der Christen. Rom wurde das geistige und politische Zentrum der Kirche mit dem Sitz des obersten Bischofs, des Nachfolgers des Apostels PETRUS. In den Verwaltungs­bezirken des römischen Reiches wurden eigene Bischöfe eingesetzt, die Ver­waltungsbereiche wurden zu Bistümern. Überall wurden als zusätzliche Zentren Klöster gegründet, die das Christentum weiter aus­breiten sollten.
Im Jahre 476 wurde der letzte weströmische Kaiser ROMULUS abgesetzt. Das römische Weltreich zer­fiel. Die christliche Kirche dagegen konnte, auf die alten römischen Verwaltungsstrukturen gestützt, über­dauern. Die Bischöfe von Rom, die jetzt Päpste genannt wurden, schufen hier ein wichtiges geistiges und politisches Zentrum, das auch über politische Grenzen hinweg wirkte. Ein Zeichen für diese geistige und politische Macht und das Fortwirken der geistigen Wurzeln des alten Rom ist die Bedeutung der lateini­schen Sprache, die bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein die Sprache der Kirche und auch der Wissen­schaft schlechthin gewesen ist.
Die Klöster erwiesen sich als besonders fruchtbare Zentren des geistigen Lebens.
[60] Hier wurden die alten Traditionen gepflegt, alte Schriften aufbewahrt und wissenschaftliche Arbeiten geleistet. Grundlage allen geistigen Lebens aber blieb als Basis des Christentums die Bibel. Zwar wurden auch die griechi­schen Philosophen studiert und ihre Schriften konserviert, aber ihre Lehren muss­ten, um akzeptiert zu werden, mit der Bibel in Übereinstimmung stehen. Da die Bibel als „Gottes­wort" buchstabengetreu inter­pretiert wurde, gab es keinerlei Zweifel an der Richtigkeit der Schöp­fungsgeschichte, und demzufolge wurde auch nicht im heutigen naturwissenschaftlichen Sinne geforscht. Für alle naturwissenschaftlichen Fragen und insbesondere für die Frage nach dem Ursprung der Natur und speziell des Menschen gab die Bibel eine eindeutige Antwort, an der nicht gezweifelt werden konnte.
Unbeschadet aller politischen Veränderungen, die Europa in dem Jahrtausend nach dem Zusam­men­bruch des Römischen Reiches erlebte, blieb das Weltbild der Europäer durch den Gedanken bestimmt: „Alle Lebewesen, die man heute sehen kann, sind ein für allemal in der Schöpfung von Gott erschaffen worden und haben sich seither nicht verändert." Man nennt dieses Dogma die „Lehre von der Konstanz der Arten".
[61]

(am Seitenrand sind die beiden ersten Kapitel der Bibel, Gen.1 und Gen.2,
fast komplett abge­druckt)


S.144-147 (vier Seiten)
9.4. Der Kreationismus
Nachdem die Evolutionstheorie im vorigen Jahrhundert entstanden war, rief sie sofort den Widerspruch derer hervor, die nach wie vor den Schöpfungsbericht der Bibel für eine gültige Darstellung der Entste­hung der Welt und der auf ihr lebenden Arten hielten. An den gegensätzlichen Standpunkten hat sich in den letzten einhundertfünfzig Jahren nichts geändert. Die großen christlichen Kirchen haben sich aller­dings in ihren offiziellen Lehrmeinungen inzwischen aus dem Streit zurückgezogen und stellen ihren Mit­gliedern anheim, die Schöpfungsgeschichte wörtlich zu nehmen oder sie in übertragenem Sinne aufzu­fassen. Man kann sie auch als das Weltbild eines Nomadenstammes aus dem ersten Jahrtausend vor Christus in Palästina ansehen. Es gibt aber einige Gruppen, die die Synthetische Theorie von der Evolu­tion, wie sie heute an Schulen und Universitäten gelehrt wird, ablehnen und angreifen …
Das Ziel der Kreationisten ist, zu erreichen, dass der Evolutionstheorie, wenn sie schon an den Schulen unterrichtet wird, die Schöpfungslehre doch wenigstens gleichberechtigt zur Seite gestellt wird

(in einer durchlaufenden Randspalte werden ausführliche Originalzitate aus einem kreationistischen Buch abgedruckt)

 

(Quelle: B31 SCHROEDEL; Hoff, P. / Miram, W.: Evolution, Materialien für den Sekundarbereich II, Biologie, Hannover, 1993)

 

(Quelle: B32 SCHROEDEL; Linder Biologie, Lehrbuch für die Oberstufe, Braunschweig, 2005)

 

 

S.438:
Bis weit ins 18. Jahrhundert galt in der Biologie die Lehrmeinung von der Unveränderlichkeit der Arten. Diese wurde aus dem biblischen Schöpfungsbericht abgeleitet. Gegen Ende des 18. Jahr­hunderts zogen Biologen erstmals die Veränderlichkeit der Arten in Betracht. Jedoch beruhte dies zunächst allein auf Spekulationen.

 

S.514ff.

Erkenntniswege der Biologie

 

3.1 Anwendung der Wissenschaftstheorie: Evolutionstheorie und Kreationismus

Der Evolutionstheorie werden gelegentlich die Ansichten des Kreationismus („Schöpfungslehre“) gegen­übergestellt. Danach entstand das Leben durch einen einmaligen Schöpfungsakt. Die Lebe­wesen seien in der jetzt bekannten Vielfalt geschaffen worden und hätten sich nicht aus einer- gemeinsamer Urform mit zunehmender Komplexität entwickelt. Viele Lebewesen seien seit der Schöpfung ausgestorben. Fer­ner bestünden Erde und Lebewesen erst seit einigen Zehntausend und nicht schon seit Milliarden Jah­ren. Der Kreationismus nimmt daher auch an, dass Mutation und Selektion nur Variationen innerhalb der Artgrenzen erzeugen können, nicht aber neue Arten und zunehmend kompliziertere Lebensformen.
Diese Ansichten gehen auf eine wörtliche Interpretation des biblischen Schöpfungsberichtes zurück. Die­ser besteht seinerseits aus zwei nicht identischen Darstellungen (Genesis 1 und Gene­sis 2, Vers 4ff.). Er wurde in einer Form verfasst, die dem Weltbild der vorderasiatischen Kulturen vor mehr als 2500 Jahren entsprach. Er hat nicht den Stellenwert eines Modells, sondern ist ein Glaubenszeugnis, das den ganz anderen Aspekt einer Gewissheit gleichnishaft beschreibt.
Der Kreationismus erkennt die im Vorstehenden dargestellten Grundprinzipien der Naturwissen­schaften nicht an und kann daher keine naturwissenschaftlichen Hypothesen liefern. Nimmt man eine Schöpfung im Sinne des Kreationismus an, so ist daraus keine falsifizierbare Hypothese abzuleiten; daher ist diese Ansicht wissenschaftlich leer. Der Erklärungs- und Voraussagewert kreationistischer Ansichten ist viel ge­ringer als jener der Evolutionstheorie. Daher wäre nach dem heutigen Stand der Wissenschaft die Evo­lutionstheorie auch dann überlegen, wenn es sich beim Kreationismus um eine wissenschaftliche Hypo­these handelte.
Die Evolutionstheorie kann zu folgenden Fragen führen:

+ Was ist der Sinn der Evolution?

+ Warum hat die Evolution zum Menschen geführt, einem Wesen mit Geist, d.h. mit der Fähigkeit
   zum Nachdenken und vernünftigen Handeln?

+ Was steckt hinter dem, was die Naturwissenschaft als „Zufall“ beschreibt?

Die Fragen sind mit den Mitteln der Naturwissenschaft unlösbar. Antworten darauf sind dem persönlichen Glauben überlassen[62] Für einen christlichen Naturwissenschaftler ist nach KEPLER die Naturwissen­schaft eine Methode, um einige der göttlichen Schöpfungsgedanken zu erkennen.

DARWIN drückte es so aus: „Es ist wahrlich etwas Erhabenes um die Auffassung, dass der Schöpfer den Keim allen Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder gar nur einer einzigen Form eingehaucht hat und dass, während sich unsere Erde nach den Gesetzen der Schwerkraft im Kreise bewegt, aus einem so schlichten Anfang eine unendliche Zahl der schönsten und wunderbarsten Formen entstand und noch weiter entsteht.“[63]

 

S.541
(Glossar)
Kreationismus (lat. creatio Schöpfung):
Annahme, dass die einzelnen Arten getrennt erschaffen worden seien und eine Evolution nicht statt­ge­funden habe; kann keine naturwissenschaftlichen Hypothesen liefern und ist daher wissen­schaftlich leer.

 

(Quelle: B32 SCHROEDEL; Linder Biologie, Lehrbuch für die Oberstufe, Braunschweig, 2005)

 

 

 

 

2.1.4.4 Lehrbücher aus dem Verlag KLETT
            (B25 bis B27)

 

(Quelle: B25 KLETT; Biologie für Gymnasien, Oberstufe, Stuttgart, 2005)

 

 

S.408
Zettelkasten
Intentionales Denken

Wenn wir etwas Kompliziertes, wie z.B. eine Uhr, einen Computer oder ein Auto vor uns haben, sind wir davon überzeugt, dass solche Dinge nicht zufällig entstanden sein können, sondern Ergebnis einer Tätig­keit sind, die planvoll und absichtlich (intentional) durchgeführt wurde. Mit Blick auf so komplizierte Dinge wie Lebewesen liegt daher der Gedanke nahe, dass ein höheres Wesen (Gott) die Organismen erschaf­fen hat. Aus naturwissenschaftlicher Sicht ist diese Erklärung unbefriedi­gend, weil Kräfte und Mechanis­men herangezogen werden, die naturwissenschaftlich nicht prüf- und widerlegbar sind. DARWIN hinge­gen hat eine Erklärung gegeben, die ohne die Intention eines höheren Wesens auskommt
[64]

 

S.412ff.
(verschiedene Stimmen als Zitate)
Die christlichen Kirchen (4 Zitate) …

Kreationisten (4 Zitate) …

Kritische Positionen
Die Evolutionstheorie versucht, die Entwicklung der Lebewesen allein durch natürliche Vorgänge zu er­klären. Dieser Naturalismus, der u.a. mithilfe von zufälligen Mutationen und Selektions­vorgängen die Entwicklung beschreibt, ist auf gegenwärtige und vergangene Ursachen bezogen und verzichtet auf ein zukünftiges Entwicklungsziel. Dies schließt menschliche Evolution mit ein und gesteht ihm keine Sonder­rolle zu. Dies wird vielfach als Verletzung menschlicher Würde gese­hen und widerspricht dem gewohnten Selbstverständnis, denn in einer Entwicklung auf ein Ziel hin wird vielfach ein Sinn gesehen und der Weg dorthin kann dann nicht auf Zufall gegründet sein. Die Evolutionstheorie gerät damit leicht in Konflikt mit der Religion.
Die großen christlichen Kirchen sehen sich auf einer anderen Ebene als die Naturwissenschaften, näm­lich einer geistigen. Insofern besteht heutzutage kein Widerspruch zur Evolutionslehre, solange die Wis­senschaft ihre materielle Domäne und die Theologie ihre geistige nicht verlassen
.
[65]
Zu den Anhängern des Kreationismus bzw. einer „Schöpfungswissenschaft" genannten Richtung gehö­ren am einen Ende Vertreter, die an einer wörtlichen Bibelauslegung festhalten und in der Evolutionslehre eine Bedrohung sehen. Am anderen Ende sind die Vertreter des intelligenten Designs, die die Evolution zum Teil akzeptieren, aber dennoch in Teilbereichen übernatürliche Ursachen annehmen. Viele Vertreter versuchen, Ergebnisse der Evolutionsforschung zu wider­legen oder zumindest abzuschwächen.
Ein häufiger Vorwurf lautet, dass die Evolution nicht sicher bewiesen sei. Dies zielt eigentlich auf den Hypothesencharakter aller naturwissenschaftlichen Theorien. Theorien sind prinzipiell nicht positiv be­weisbar, nicht verifizierbar. Die Forderung nach völliger Sicherheit ignoriert also den Hypothesencharak­ter und kann generell nicht eingelöst werden. Theorien sollten aber wider­spruchsfrei (interne Konsistenz) und überprüfbar sein, und die Prüfung sollte auch negativ aus­fallen können. Ein positives Ergebnis ist aber kein Beweis, sondern „nur" eine bestandene Bewährungsprobe. Die Evolutionstheorie hat sich schon in vielen voneinander unabhängigen Prüfungen bewährt. Die „Schöpfungslehre" dagegen ist prin­zipiell nicht überprüfbar.
Weiterhin ist Naturwissenschaft und damit auch die Evolutionstheorie eine menschliche Tätigkeit. Als sol­che enthält sie die menschlichen Schwächen wie z.B. die Möglichkeit des Irrtums, auch ist sie unfertig, nicht abgeschlossen. In dieser Situation führen aber neue Erkenntnisse und kritische Prüfung zu ständi­ger Verbesserung. Die Forderung nach völliger Sicherheit und Abgeschlossenheit übersteigt menschliche Fähigkeiten und ist insofern unredlich. …
Die angesprochenen Diskussionspunkte stellen für viele Naturwissenschaftler gar keine Probleme dar, sie sehen so ähnlich wie die großen christlichen Kirchen keinen Widerspruch. Die Faszination der Natur einschließlich der Evolution kann daher für sich allein sehr beeindruckend sein oder als großartiger Plan eines Schöpfers angesehen werden. Dies schließt sich nicht aus.

Wahrscheinlichkeitsargumente (1 Zitat)
Theorie des Intelligenten Designs (2 Zitate) …
Naturwissenschaftler (2 Zitate) …

AUFGABE:
Zeigen Sie, an welchen Stellen der Texte auf verschiedenen Ebenen argumentiert wird und wo Über­schreitungen der Domänengrenzen erfolgen.

 

S.458
Glossar
Kreationismus
Schöpfungslehre; religiöse Strömung, die die Evolution als Ursache der Artenvielfalt ablehnt und statt­dessen von Schöpfung
[66] ausgeht.

 

(Quelle: B25 KLETT; Biologie für Gymnasien, Oberstufe, Stuttgart, 2005)

 

(Quelle: B26 KLETT; Einblicke Biologie, Band 2, Klett, Stuttgart, 2000)

 

 

S.340
(Die Seite beginnt oben mit einem Kasten:)
Die Erschaffung des Lebens
(Textauszug aus der Bibel, 1. Buch Mose; daneben ein Bild: Gott als Schöpfer)

Ursachen der Evolution
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts galt die Lehrmeinung, dass Pflanzen- und Tierarten im Verlauf der Schöpfung entstanden und unveränderlich seien. Man sprach von der Konstanz der Arten …

 

S.352
Zusammenfassung: Ursachen und Verlauf der Evolution
Fragen, welche die Menschen seit frühester Zeit beschäftigten, waren „Wer bin ich?“, „Woher komme ich?“
In vielen Religionen wird die Weltentstehung als eine einmalige Schöpfung Gottes beschrieben. Bis ins 19. Jahrhundert war die Idee von der Konstanz der Arten gültig.

 

(Quelle: B27 KLETT; Natura, Biologie für Gymnasien Band 2, Klett, Stuttgart, 1997)

 

 

S.346f.
Evolution
Wie alt ist die Erde?
Wie ist das Leben auf der Erde entstanden?
Kann das Urpferdchen tatsächlich als Vorfahr unserer heutigen Pferde angesehen werden?
Sind sich Saurier und Menschen jemals begegnet?
Wurden Pflanzen, Tiere und Menschen in einem einmaligen Schöpfungsakt geschaffen oder haben sie sich in einem Millionen Jahre dauernden Prozess entwickelt?
[67]
Mit solchen und ähnlichen Fragestellungen beschäftigen sich Menschen seit alters her. In allen Religio­nen gibt es eine Schöpfungsgeschichte, die auf derartige Fragen eingeht. Doch nicht nur Theologen und Philosophen befassen sich mit diesen Problemen, sondern vor allem auch die Naturwissenschaftler der verschiedensten Fachrichtungen.
Die Evolutionstheorie versucht, die Entwicklung der Lebewesen aus einfachen Vorfahren bis zu den heu­tigen Arten zu erklären …

 

S.354
Die Entstehung der Lebewesen – erste Erklärungsversuche
Bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts galt nur eine Vorstellung über die Entstehung der Pflanzen, der Tiere und des Menschen: Die Schöpfungsgeschichte der Bibel.
[68] Doch mit der rasanten Ent­wicklung der Wissenschaft und Technik im 19. Jahrhundert fand auch die Biologie immer mehr Erkenntnisse, die nach einer naturwissenschaftlichen Erklärung verlangten.

 

 

 

 

2.1.4.5 Lehrbücher aus dem Verlag CORNELSEN /
            VOLK UND WISSEN
            (B11, B17, B18, B23)

 

 

In den Büchern dieser Verlagsgruppe werden Schöpfungsvorstellungen nur in wenigen Ausnahmefällen angesprochen bzw. behandelt:

 

(Quelle: B11 CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Biologie plus, Klasse 10 Gymnasium, Sachsen, Berlin, 2006,
wortgleich auch B18 VOLK UND WISSEN; Biologie plus, Klassen 9/10 Gymnasium, Sachsen, Ber­lin, 2001)

 

 

S.66

Der Evolution auf der Spur
LINNÉ und CUVIER. Menschen haben wohl immer darüber nachgedacht, wie die Welt ent­standen ist und woher sie selbst kommen. Lange Zeit beherrschten religiöse Vorstellungen ihr Denken.
So gingen auch Wissenschaftler von der Unveränderlichkeit (Konstanz) der Arten aus. Diese Vorstellung blieb im Wesentlichen bis zu dem bedeutenden schwedischen Gelehrten CARL VON LINNÉ die vorherr­schende Lehrmeinung: „Es gibt so viele Arten, wie das Unendliche Wesen sie am Anfang hervorgebracht hat.“
Das Vorhandensein von Fossilien, das aus heutiger Sicht zweifelsfrei belegt, dass früher andere Lebe­wesen existierten als in der Gegenwart, wurde durch die Annahme erklärt, nach geologischen Katastro­phen hätten wiederholte Schöpfungsakte stattgefunden. Der bedeu­tendste Vertreter dieser Auffassung war der Franzose GEORGES CUVIER (1769-1832). …
Die Theorie DARWINS geht dagegen von einer indirekten Umwelteinwirkung aus, die über den unter­schiedlichen Fortpflanzungserfolg von individuellen Varianten vermittelt wird. Als er die Entstehung des Menschen mit den gleichen Gesetzmäßigkeiten zu erklären versuchte, war DARWIN vielen Anfeindungen ausgesetzt

 

S.102ff.
(Randspalte)

Schon gewusst?

Schöpfungslehren gehen davon aus, dass die Lebewesen durch ein oder mehrere höhere Wesen ge­schaffen wurden.
[69]
Manche Wissenschaftler glauben, dass die ersten Lebewesen nicht auf der Erde entstanden sind, son­dern beispielsweise mit Meteoriten auf die Erde gelangten. …

 

 

 

 

2.1.4.6 Lehrbücher aus weiteren Verlagen
            (BSV: B21, C.C.BUCHNER: B22)

 

 

(Quelle: B21 BSV (Bayerischer Schulbuch Verlag); Meyer, H. / Daumer, K.: Biologie für die gymna­siale Ober­stufe, München 1999)

 

 

S.5:
Bereits bei den vorsokratischen Naturphilosophen finden sich Gedanken über eine Entstehung der Lebe­wesen aus unbelebter Materie (Urzeugungshypothese) und über die Entwicklung von ein­fachen Formen zu komplizierteren (Abstammungshypothese).
Aristoteles (384-322 v. Chr.) vertrat zwar auch die Urzeugungshypothese, sah aber in den Anpassungen und den abgestuften Ähnlichkeiten der Lebewesen den Ausdruck eines weisen Schöpfungsplanes. Fos­silien betrachtete er als verunglückte Produkte der formgestaltenden Schöpferkraft. Diese aristotelische Naturphilosophie wurde im Mittelalter mit dem biblischen Schöpfungsbericht in Einklang gebracht und so lehrten Theologen, Philosophen und Naturgelehrte über Jahrhunderte hinweg die Entstehung aller Lebe­wesen, der Erde selbst und des gesamten Weltalls durch einen einmaligen Schöpfungsakt. Dabei galt als unantastbare Wahrheit, dass die verschiedenen Arten unveränderlich und deshalb von Beginn der Schöpfung an auch unverändert geblieben seien (Lehre von der Konstanz der Arten).
Im Jahre 1739 veröffentlichte Carl von Linné (1707-1778) den ersten Entwurf für sein „System der Natur" und zwanzig Jahre später hatte er allen ihm damals bekannten Pflanzen und Tieren auf­grund gemeinsa­mer und unterschiedlicher Merkmale einen lateinischen Doppelnamen gegeben und sie in ein hierar­chisch gegliedertes System eingeordnet, von dem er glaubte, dass es den gött­lichen Schöpfungsplan widerspiegelte.
Die inzwischen zahlreich gefundenen Fossilien wurden jetzt als die versteinerten Reste von Lebe­wesen aufgefasst, die entsprechend dem biblischen Bericht in der Sintflut umgekommen seien. Selbst als Georges Cuvier (1769-1832) durch systematische Ausgrabungen und Untersuchungen von Fossilien er­kannt hatte, dass die versteinerten Lebewesen sich von den heute lebenden unter­scheiden, und zwar umso mehr, aus je älteren Schichten sie stammen, hielt er noch am Schöp­fungsbericht und der Vorstel­lung von der Unveränderlichkeit der Arten fest. Dies konnte er nur, indem er mehrere sintflutartige Katast­rophen annahm, die die jeweils vorhandene Lebewelt aus­löschten und eine Neuschöpfung auf höherer Stufe nach sich zogen (Katastrophen-„Theorie“).

 

S.108ff.

Fragen nach dem Beginn einer Ursachenkette wie auch nach der finalen (Zweck-)Ursache sind mit na­turwissenschaftlichen Methoden nicht zu fassen. Sie wurden zu allen Zeiten und in allen Kultu­ren mit Vorstellungen von den zweckvollen Absichten sich selbst erklärender Schöpfer beantwor­tet. Da sich sol­che Begründungen einer Überprüfung mit naturwissenschaftlichen Mitteln entzie­hen, sind sie in den Na­turwissenschaften nicht zulässig. …


 

(Quelle: B22 C.C.BUCHNER; Solbach, H.: Vita nova; Biologie für die Sekundarstufe II; Bamberg 2000)

 

 

S.344f.:
43.1 Am Anfang war ...
[70]
…Nachdem man die Urzeugungstheorie gerade hatte verwerfen müssen, war

 es für viele Gelehrte und andere Menschen dann sehr schwer, die von DARWIN im Jahr 1859 ent­wi­ckelte Evolutionstheorie von der Entstehung der Arten zu akzeptieren (Kap. 45.l, S. 358). Diese führt die Entwicklung der Lebewesen nicht nur über einfachere Formen auf Einzeller zurück, sondern fordert gera­dezu zwingend, dass irgendwann einmal erste Einzeller entstanden sein müs­sen. Man stand vor zwei Alternativen, die sich für viele scheinbar gegenseitig ausschließen: War das Werden des Lebens ein Schöpfungsakt Gottes oder doch eine Art Urzeugung?
Auch wenn sich die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zur Entstehung des Lebens (Kap. 43.2, S.345 ff.) seither vervielfacht und sich die entsprechenden Lehrmeinungen präzisiert haben, so gibt es noch zwei grundsätzliche Schwächen in der Beweisführung, und die lassen sich vermutlich auch in Zukunft nicht beheben:
- Viele Kernaussagen der Theorien können nicht experimentell überprüft werden, da es Zeiträume
   von Millionen und Milliarden von Jahren nachzuvollziehen gilt (Anm. 344.2). Ohne reproduzier­
   bares Experiment gibt es aber keine Beweiskraft im strengen naturwissenschaftlichen Sinn.
- An mehreren Stellen - leider sind das nicht selten ganz entscheidende Stellen - müssen Lücken in
   den Theorien durch Spekulationen überbrückt werden.
Die Folgen dieser Abweichungen von der sonst üblichen naturwissenschaftlichen Beweisführung war es und ist es heute noch, dass die Antworten auf die Fragen nach dem Ursprung und der Ent­wicklung des Lebens sehr unterschiedlich  ausfallen, beeinflusst vom religiösen, weltanschaulichen und philosophi­schen Standpunkt des Antwortenden. Die Palette reicht von der völligen Ablehnung jeglicher naturwis­senschaftlichen Erklärung auf diesem Gebiet durch Menschen mit bestimmten, festgefügten religiösen Überzeugungen bis zur intolerant atheistischen Argumentation anderer, in deren Vorstellungswelt kein Platz für einen Gott, eine übergeordnete Macht ist und die (deshalb?) in einem naturwissenschaftlichen Machbarkeitsglauben danach streben, alles Geschehen in der Welt ausschließlich durch die Gesetze der Physik zu erklären - wobei die Erklärungsgrenze bisher spätestens bei der Frage nach dem „Woher?" dieser Gesetze erreicht ist (Anm. 345.1).
[71] [72]
Trotz aller Unsicherheiten, Lücken und Meinungsverschiedenheiten haben sich jedoch inzwischen einige Grundvorstellungen herauskristallisiert. Dazu gehört auch die Annahme, dass es natürlich vor den ersten Zellen andere Strukturen gegeben haben muss, von denen diese Zellen abstamm­ten.

 

S.345
Seit die ersten Missverständnisse über DARWINS Aussagen geklärt sind, ist die Evolutionslehre in den großen christlichen Kirchen unbestritten
[73]

 

S.346:
So wie das Wort einer Sprache könnte ein solches Molekül eine Information bedeutet haben, näm­lich die für die Bindung einer in der Ursuppe herumschwimmenden Aminosäure nach einem sehr einfachen Code. Jedenfalls stand am Anfang des Lebens höchstwahrscheinlich ein Informations-Molekül. Auch in einer anderen Version über die Entstehung des Lebens heißt es: „Im Anfang war das Wort, …“
Dieses Zitat stammt aus dem JOHANNES-Evangelium im Neuen Testament der Bibel.

S.364f.:
Viele Erkenntnisse der Evolutionsforschung werden noch kontrovers diskutiert. …
Ob die Evolution wohl jemals alle ihre Geheimnisse preisgeben wird?

 

(Quelle: B22 C.C.BUCHNER; Solbach, H.: Vita nova; Biologie für die Sekundarstufe II; Bamberg 2000)

 


Teilband 2.2:

Auswertung der Lehrbücher für die Fächer PHYSIK und ASTRONOMIE (Sachsen 2007/2008)

 

Teilband 2.2:
Auswertung der Lehrbücher für die Fächer PHYSIK und ASTRONOMIE
(Sachsen 2007/2008)

Kapitel

Inhalt

Seite

2.2

Der Umgang mit Erkenntnisgrenzen der Naturwissenschaft sowie die Darstellung und Behandlung von  philosophischen und religiösen Fragen in Schullehrbüchern für die Unterrichtsfächer PHYSIK und ASTRONOMIE im Freistaat Sachsen - 2007/2008

113

2.2.1

Lehrpläne für den Freistaat Sachsen 2004 (PHYSIK und ASTRONOMIE)

114

2.2.2

Zu Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft und zu Wissenschaftstheorie

119

2.2.2.1

Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach PHYSIK für die Sekundarstufe 1

119

2.2.2.2

Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach PHYSIK für die Sekundarstufe 2

122

2.2.2.3

Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach ASTRONOMIE

137

2.2.3

Die Auseinandersetzung um das kopernikanische Weltbild

139

2.2.3.1

Exkurs: Ein Konflikt wird aufgebaut

139

2.2.3.2

Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach PHYSIK für die Sekundarstufe 1

142

2.2.3.3

Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach PHYSIK für die Sekundarstufe 2

144

2.2.3.4

Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach ASTRONOMIE

145

2.2.4

Annäherung an eine Grenzfrage: „Urknall“

150

2.2.4.1

Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach PHYSIK für die Sekundarstufe 1

150

2.2.4.2

Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach PHYSIK für die Sekundarstufe 2

150

 


2.2 Der Umgang mit Erkenntnisgrenzen der Naturwissen-
      schaft sowie die Darstellung und Behandlung von 
      philosophischen und religiösen Fragen in
      Schullehrbüchern für die Unterrichtsfächer PHYSIK und
      ASTRONOMIE
      im Freistaat Sachsen - 2007/2008

 

In diesem Kapitel werden zunächst die Lehrpläne des Freistaates Sachsen für die Fä­cher PHYSIK und ASTRONOMIE in Auszügen vorgestellt.
Anschließend sind Aussagen aus den im Schuljahr 2007/2008 zugelassenen Schul-Lehrbüchern zusammengestellt.
Dabei werden die Bücher nacheinander unter drei verschiedenen Gesichtspunkten ausgewertet.
Zu jeder Fragestellung werden zunächst Lehrbücher für das Fach PHYSIK betrachtet, die bis zur Klassenstufe 10 im Gebrauch sind, danach gesondert solche für die gymna­siale Oberstufe. ASTRONOMIE-Lehrbücher werden danach zur gleichen Problemstel­lung befragt.
In den einzelnen Kapiteln werden die Lehrbücher stets in der Reihenfolge vorgestellt, in der sie im Quellenverzeichnis erfasst sind.

 

 

2.2.1 Lehrpläne für den Freistaat Sachsen 2004
         (PHYSIK und ASTRONOMIE)

 

 

In den Lehrplänen werden unter anderem folgende Abkürzungen verwendet:

MS       = Mittelschule

GY       = Gymnasium

LB        = Lernbereich

Gk        = Grundkurs

LK        = Leistungskurs

WG      = Wahlgrundkurs

AST      = Astronomie

BIO      = Biologie

ETH      = Ethik

PH       = Physik

RE/e     = evangelische Religion

RE/k     = katholische Religion

 

(Quelle: Lehrpläne des Freistaates Sachsen 2004)

 

 

A) Mittelschule Fach Physik (MS-PH)

 

S.2
Ziele und Aufgaben des Faches Physik

… Auseinandersetzung mit physikalischen und astronomischen Sachverhalten zur Erschließung der Le­benswelt und zur Entwicklung eines eigenen Weltbildes[74]

 

S.33
Lernbereich 3: Kosmos, Erde und Mensch
[75]
… Einblick gewinnen in die Geschichte der Astronomie …

Älteste Naturwissenschaft … Abgrenzung zur Astrologie …
Ptolemäus … Kopernikus … Kepler … Galilei …
Wechselwirkung zwischen Forschung und Gesellschaft …

Einblick gewinnen in die Entwicklung des Weltalls …
Entstehung des Weltalls …
Stellung des Menschen im Weltall …
verschiedene Theorien; Erkennbarkeit der Welt

 

S.35

Wahlpflicht 1: Utopische Physik
(4 Unterrichtsstunden) [76]

 

 

 

B) Gymnasium Physik (GY-PH)

 

S.2

Ziele und Aufgaben des Faches Physik

… die Schüler … entwickeln Vorstellungen über den Aufbau der Materie vom Atom bis zum Kosmos. Da­bei wird die Entwicklung eines eigenen Weltbildes gefördert …
die Schüler eignen sich fundiertes physikalisches Wissen an, das ihnen gestattet, Entscheidungen und Entwicklungen in der Gesellschaft im Umfeld von Natur und Technik begründet zu beurteilen
[77], Verantwor­tung beim Nutzen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts zu übernehmen und Technik­folgen abzuschätzen

Der Physikunterricht vermittelt Grundlagen für das wissenschaftliche Arbeiten in den Erfahrungswissen­schaften. So werden durch den Schüler Bedeutung und Grenzen von Experimenten, Hypothesen, Mo­dellen und Theorien für die Gewinnung physikalischer Erkenntnisse erfasst. Themen aus interdis­ziplinären wissenschaftlichen Bereichen können aus der Sicht der Naturwissenschaften reflektiert und pseudowissenschaftliche Bereiche[78] beurteilt werden…

 

S.22
Klassenstufe 9

Ziele

… Die Schüler gewinnen einen ersten Einblick in Grenzen klassischer mechanischer Vorstellungen

 

S.27

Klassenstufe 10

Ziele

… Die Schüler sind zunehmend in der Lage, sich sachbezogen mit pseudowissenschaftlichen Theorien auseinander zu setzen.

Die Schüler erkennen den vorläufigen Charakter wissenschaftlicher Erkenntnisse und vertiefen die Ein­sicht, dass kritischer Umgang mit Theorien und deren Überprüfung durch Experiment und Beobachtung wissenschaftlichen Fortschritt ermöglichen …

 

S.28

Lernbereich 2: Kosmos, Erde und Mensch[79]

Einblick gewinnen in die Eigenschaften astronomischer Objekte und astronomischer Erscheinungen …
(Verweis auf: Methodenbewusstsein; Reflexions- und Diskursfähigkeit)

Einblick gewinnen in die Wandlung unserer [80] Weltsicht vom Altertum bis zur Gegenwart …
Ptolemäus … Kopernikus … Belege durch Galilei, Kepler und Newton …
(Verweis auf: Werteorientierung; ETH Kl10, LB1; RE/e Gk11, LB1) …
moderne Weltsicht …


S.33

Jahrgangsstufen 11/12 – Grundkurs

 

Ziele

… Einblick in die Notwendigkeit der Weiterentwicklung klassischer Vorstellungen am Beispiel der Relati­vität von Raum und Zeit …

vertiefen die Schüler die Möglichkeit und Notwendigkeit der Arbeit mit mehreren Modellen zu einem Sachverhalt

lernen sie die Möglichkeiten und Grenzen ihres menschlichen Vorstellungsvermögens auf wissenschaft­licher Grundlage zu beurteilen[81]

 

S.42
Jahrgangsstufe 12

 

Lernbereich 3: Grundlagen der Quantenphysik

… Richard Feynman: „Quantenobjekte sind weder Welle noch Teilchen, sondern etwas Drittes!“ …

Nichtlokalität der Quantenobjekte

Kopenhagener Deutung

Grenzen der Anschauung[82]

 

S.45
Wahlpflicht 3: Deterministisches Chaos

Kausalitätsprinzip, Determinismus und deterministisches Chaos
Sensitivität bezüglich der Anfangsbedingungen …

Möglichkeit von Kurzzeitvorhersagen …
Erkennen der Chaosfähigkeit …

 

S.46
Jahrgangsstufen 11/12 – Leistungskurs

Ziele

… beim konkreten Wahrnehmen und Idealisieren setzen sich die Schüler mit Modellannahmen auseinan­der …

Sie erkennen die Struktur von Analogieschlüssen und beurteilen deren Zulässigkeit …

positionieren sich zu komplexen Fragen der Naturwissenschaft und Technik in der Gesellschaft …

Die Schüler reflektieren in ausgewählten Bereichen die wissenschaftliche Bedeutung und Stellung von physikalischen Größen und Gesetzen in der Physik. Durch den Einblick in chaotische Systeme und durch die Auseinandersetzung mit der Quantenphysik sowie nichtklassischen Vorstellungen von Zeit und Raum erkennen sie die Möglichkeiten und Grenzen der Vorausberechenbarkeit der materiellen Welt und lernen ihr menschliches Vorstellungsvermögen auf wissenschaftlicher Grundlage zu beurteilen[83]

 

S.51
Lernbereich 6: Einblick in die Relativitätstheorie
gekrümmte Raumzeitschwarze Löcher im KosmosTheorie des Urknalls

(Verweis auf: RE/e Lk12, LB2)

 

S.59
Jahrgangsstufe 12 – Leistungskurs

 

Lernbereich 6: Eigenschaften der Atomkerne

… Ausblick auf den Stand der Wissenschaft zu den Grundkräften der Natur …


S.62
Lernbereich 8: Deterministisches Chaos

Kausalitätsprinzip, Determinismus und deterministisches Chaos

 

C) Gymnasium Astronomie (GY-WG AST)

 

S.2
Ziele und Aufgaben des Wahlgrundkurses Astronomie

… Der Astronomieunterricht regt die Schüler an, sich mit weltanschaulich philosophischen Fragen, dem Sinn der menschlichen Existenz und der Stellung des Menschen im Weltganzen auseinander zu setzen

Auseinandersetzung mit astronomischen Inhalten als Beitrag zur Entwicklung des Weltbildes [84]

 

S.4 Ziele in den Jahrgangsstufen 11 und 12

… setzen sie sich mit unterschiedlichen Weltbildern sowie mit der Wechselwirkung zwischen Astronomie und Astrologie auseinander. Den Schülern wird bewusst, dass die Gewinnung und Akzeptanz wissen­schaftlicher Erkenntnisse an gesellschaftliche Verhältnisse gebunden ist …

Insbesondere bei der Diskussion über dunkle Materie und den Urknall werden den Schülern Möglichkei­ten und Grenzen von Modellen bewusst …

Die Schüler ordnen den Menschen in das Gefüge des Weltalls zeitlich und räumlich ein. Sie erkennen, dass die Annahme, im Weltall wirken dieselben Naturgesetze wie auf der Erde, bisher keine Widersprü­che erzeugt hat. Sie erweitern ihr naturwissenschaftlich fundiertes Weltverständnis [85]

 

S.7 Lernbereich 3: Geschichte der Astronomie

… Kennen wichtiger Etappen der historischen Entwicklung der Astronomie …
(Hinweise auf: Werteorientierung, ETH Kl.10, LB 1 und RE/k Lk11, LB2) …

Bedeutung und Grenzen des kopernikanischen Weltbildes
Abkehr von antiken Vorstellungen, Epizykel, Kreisbewegungen

Modernes Weltbild
(Verweis auf RE/e Gk11, LB1) …
Urknall-Idee
Erkenntnistheorie

 

S.11 Jahrgangsstufe 12 …

Lernbereich 2: Das Milchstraßensystem und andere Galaxien

Interpretation der Rotverschiebung …

 

Lernbereich 4: Kosmologie

kosmologisches Prinzip

Homogenität und Isotropie

Allgemeingültigkeit der Naturgesetze [86]

Modelle zur Entwicklung des Weltalls … Urknall, Standardmodell
alternative Modelle

 

(Quelle: Lehrpläne des Freistaates Sachsen 2004)

 


2.2.2 Zu Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft
         und zu Wissenschaftstheorie

 

Lee Smolin (bedeutender Astrophysiker):

Das würde ich eine Krise nennen …
Nur zu ein paar Prozent besteht unser Universum aus sichtbarer Materie. Für schätzungsweise 95 Prozent des kosmischen Inventars haben Forscher bislang wenig mehr als Namen, und schon die sind mysteriös genug: Dunkle Materie und Dunkle Energie. Das All ist erfüllt von etwas, was wir nicht sehen, und wird getrieben von einer Kraft, die wir nicht verstehen. ... Die Grundlagen­physiker driften zusehends weg von der Naturwissen­schaft, hin zu reinen Mathematik ... Immer kühner türmen die Theoretiker ihre Gedankengebäude. Immer weiter entfernen sie sich von den Möglichkeiten der Expe­ri­men­talphysik. ... Heute ist das meiste, was Theoretiker über die Grundlagen der Physik publizieren, nicht über­prüf­bar.[87]

(Q11 Die Zeit, 29.3.2007 S.29, 32)

 

 

2.2.2.1 Zu Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft
            und zu Wissenschaftstheorie
            Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach
            PHYSIK für die Sekundarstufe 1

 

In einem Physik-Lehrbuch für die Sekundarstufe 1 steht der folgende Satz:

(Quelle: P7 SCHROEDEL; Erlebnis Physik 4, Sachsen, Bildungshaus, Braunschweig, 2007, S.106

 

 

Am Ende des 19. Jahrhunderts war die gedankliche Welt der Physiker in Ordnung. Alle beobach­teten Er­scheinungen konnten mathematisch beschrieben und mit physikalischen Gesetzen zufrie­den stellend er­klärt werden.

 

Man hat beim Lesen auch anderer Physik-Lehrbücher für diese Altersstufe den Ein­druck, dass die Autoren auch heute noch im Wesentlichen gesicherte Gewissheiten zu vermitteln haben. In einigen Büchern fehlt jeder Hinweis auf Grenzen und Unsicherhei­ten in der naturwissenschaftlichen Erkennt­nis.

In den Lehrbüchern P1 S.74f. und P2 S.58f. sind über zwei Seiten hinweg kritische Beiträge zur Astrologie abgedruckt (was richtig und wichtig ist!), in P2 S.103ff. wird auf weiteren neun (!) Seiten über Physik in Utopie, Science fiction und Fernsehserien be­richtet – da sollte doch eigentlich irgendwo auch Platz sein für ein wenig Wissen­schaftstheorie!

 

Wenige Andeutungen auf Erkenntnisgrenzen der Physik finden sich im nächsten Buch:

(Quelle: P3 DUDEN / PAETEC; Physik Sek I, Duden Paetec, Berlin, 2005, S.21f.)

 

 

(Denk- und Arbeitsweisen in der Physik)
Physikalische Gesetze sind allgemeine und wesentliche Zusammenhänge in der Natur, die unter be­stimmten Bedingungen
[88]stets wirken. …
Für ein und dasselbe Objekt kann es verschiedene Modelle geben. Welches Modell benutzt wird, hängt davon ab, was mit dem betreffenden Modell gemacht werden soll. …
Ein Modell ist eine Vereinfachung der Wirklichkeit. In wichtigen Eigenschaften stimmt das Modell mit der Wirklichkeit überein, in anderen nicht. …
Deshalb ist jedes Modell immer nur innerhalb bestimmter Gültigkeitsgrenzen anwendbar. …

Wichtige Naturgesetze und deren Gültigkeitsbedingungen sind in langen, wechselvollen histori­schen Pro­zessen entdeckt worden. Diese Prozesse waren oft von Irrtümern und Irrwegen begleitet.

 

Ein weiteres Buch spricht am Beispiel des „kosmologischen Prinzips“ die Rolle und Reichweite von Axiomen und Prinzipien in der Naturwissenschaft an. Solche „Grund­sätze“ werden aus der „Erfah­rung“ heraus vorausgesetzt. Man benötigt sie, um über­haupt naturwissenschaftlich arbeiten zu kön­nen, sie sind aber nicht beweisbar und da­mit eigentlich „Glaubenssätze“.

Im Zusammenhang mit der Entwicklung wird von Urknalltheorien (Plural!) gesprochen und auf viele noch offene Fragen hingewiesen:

 

(Quelle: P4 DUDEN / PAETEC; Physik, Gymnasium 10, Sachsen, Duden Paetec, Berlin, 2007, S.80f.)

 

 

Die Entstehung unserer Welt
Den Forschungszweig der Astronomie, der sich mit dem Weltall in seiner Gesamtheit beschäftigt, nennt man Kosmologie.
Die Kosmologie kann sich auf die Erfahrung stützen, dass die bisherige Suche nach einem Mittel­punkt des Weltalls erfolglos verlaufen ist. Da sich dieser Mittelpunkt weder in der Erde noch in der Sonne oder dem Zentrum der Galaxis befindet, kann man davon ausgehen, dass es ihn gar nicht gibt. Diese Erfah­rung fasst man im sogenannten kosmologischen Prinzip zusammen:
Im Kosmos gibt es keinen besonders ausgezeichneten Punkt.
Das kosmologische Prinzip hat weitreichende Konsequenzen. Es bedeutet z. B auch, dass überall im All unter gleichen Bedingungen die gleichen physikalischen Gesetze gelten. Wäre dies an irgendeinem Ort nicht so, dann würde dieser Ort – in Widerspruch zum kosmologischen Prinzip - besonders ausgezeich­net sein. …
Gegenwärtig geht man davon aus
[89], dass das Weltall vor etwa 17 Milliarden Jahren in einer gewalti­gen Explosion, dem Urknall, auch Big Bang genannt, geboren wurde. Seither strebt unser Kos­mos, gemein­sam mit der in ihm befindlichen Materie, auseinander …
Die Theorien, in denen diese Prozesse beschrieben werden, nennt man Urknalltheorien
Trotz aller Erfolge der modernen Kosmologie sind aber noch viele Fragen zu den Frühphasen und zur Zukunft unserer Welt ungeklärt.
[90]

 

Auch das nächste Lehrbuch weist auf Unsicherheiten in den derzeitigen Erklärungs­modellen hin:

(Quelle: P6 SCHROEDEL; Erlebnis Physik 3, Sachsen, Bildungshaus, Braunschweig 2006, S.110)

 

 

5.2 Die Entstehung des Weltalls
Die bekannteste Theorie, die die Entstehung des Weltalls beschreibt, ist die Urknalltheorie

Da aber niemand genau weiß, was vor 20 Milliarden Jahren  wirklich geschah, wurden im Laufe der Zeit auch noch andere Entstehungstheorien entwickelt.
Eine der bekanntesten ist die 1948 vorgestelIte Steady-State-Theorie

 

Ein anderes Lehrbuch versucht Auskunft zu geben zur Entwicklung des naturwissen­schaftlichen Fragens und Denkens – als Emanzipationsprozess weg vom Glauben an Geister und Götter.

(Quelle: P8 WESTERMANN; Kuhn: Physik 1.1, Braunschweig, 2002, S.5ff.)

 

 

Die Menschen der Frühzeit waren mit der Natur enger verbunden als wir. Sie fühlten sich ganz und gar von ihr abhängig. Um dem Walten der Natur nicht blind ausgeliefert zu sein, musste man die Natur­erscheinungen beobachten und praktisch nutzen. Die uns überlieferten Aufzeichnungen (3000 v.Chr.) zeigen, dass die Völker des Altertums, Sumerer, Babylonier und Ägypter, dabei recht erfolgreich waren. Aus ihren Erfahrungen bei der Naturbeobachtung entstanden auch beachtliche technische Leistungen, die wir z.T. heute noch bestaunen können.
Die erkannten Regelmäßigkeiten im Ablauf der Naturerscheinungen schrieben die Menschen damals Göttern, Geistern und Dämonen zu, deren Absichten und Launen man erkennen musste. Sie suchten nicht nach „physikalischen“ Erklärungen, d.h. nach grundlegenden Naturgesetzen.
Der erste Schritt zu einer physikalischen Denkweise vollzog sich im 6. Jahrhundert v.Chr. bei den griechi­schen Naturforschern. Naturbeobachtung und Sammeln von Erfahrungen allein genügten ihnen aber nicht. Die tieferen Zusammenhänge wollten sie verstehen. Dabei hatten sie die kühne Idee, dass nicht dunkle und unergründliche Mächte, sondern unveränderliche Naturgesetze die Natur regieren, und dass es dem Menschen möglich wäre, diese durch den Gebrauch seines Verstandes herauszufinden
[91]

2.2.2.2  Zu Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft
             und zu Wissenschaftstheorie
             Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach
             PHYSIK für die Sekundarstufe 2

 

 

Ein erstes Lehrbuch stellt den Anspruch der klassischen Mechanik, die Entwicklung der Welt sei genau berechenbar und könne zielgenau gesteuert werden, am Beispiel der Erkenntnisse der Chaosforschung als Illusion dar:

 

Quelle: (P11 CORNELSEN; Physik Oberstufe, Ausgabe E, Cornelsen, Berlin, 2001, S.124ff.)

 

 

Die klassische Mechanik ist berechenbar
Die Hypothese, dass man das zukünftige Verhalten physikalischer Systeme in alle Ewigkeit vor­aus­berechnen kann, führte den
französischen Philosophen Pierre Simon Laplace 1814 zur Vision eines Wesens (Dämons), das die Entwicklung der Welt berechnen kann. Diese deterministische Überzeugung liegt bis heute dem Glauben an die grenzenlosen Möglichkeiten der Wissenschaft und Technik zugrunde. Das Bemühen, durch immer genauere Kenntnis von Temperatur, Luft­feuchtigkeit und Windverhältnissen und durch immer größere Computer zu einer zuverlässigen Wettervorhersage zu gelangen, ist ebenso Ausdruck dieser Überzeugung wie die Versuche, umweltbedingte Einflüsse auf unser Ökosystem im Vor­aus genau zu berechnen.[92]

Chaotische Pendel – unberechenbare Schwingungen
Das Magnetpendel zeigt ein Verhalten, das nur in gewissen Bereichen vorhersehbar ist …
Es wird praktisch unmöglich, mehrmals die gleiche Bahn zu erzeugen …
Winzige Einflüsse wie etwa die Gravitationskraft, die der Körper des Beobachters auf die Pendel­masse ausübt, reichen vielleicht schon aus, um das Pendel zu einem anderen Magneten zu lenken …
Diesen Sachverhalt bezeichnet man in der Physik als Sensitivität gegenüber den Anfangs­bedingungen.
Nur wenn man die Anfangsbedingungen sensitiver Systeme mit absoluter Genauigkeit kennen würde, wäre ihr Verhalten theoretisch genau vorhersagbar. Eine absolute Genauigkeit kann es aber nicht geben. Denn selbst die Unschärfe eines Atomdurchmessers würde nicht ausreichen, weil sich die ursprüngliche Unschärfe im Lauf der Zeit verstärkt.


Die Sensitivität des Systems macht es unmöglich, die Bahn des Magnetpendels im Realfall zu be­rechnen … Abgesehen vom Messproblem und den unüberschaubaren äußeren Einflüssen kann auch der leistungsfähigste Computer nicht mit unendlich langen Dezimalbrüchen rechnen. Je nach Art der Run­dung ergeben sich unterschiedliche Resultate. Paradoxerweise enthüllt also gerade die Computer­analyse, dass der Berechenbarkeit der Welt prinzipielle Grenzen gesetzt sind.
Sensitivität gegenüber den Anfangsbedingungen ist bei vielen natürlichen, technischen und kultu­rellen Prozessen eher die Regel als die Ausnahme
Auch komplexe ökologische Systeme durchlaufen labile Gleichgewichtslagen und können auf win­zige Störungen völlig unvorhersehbar reagieren
[93]

 

Das nächste Buch schließt hier an und teilt einige grundlegende Einsichten der moder­nen Wissen­schaftstheorie zum Erfahrungs- und Geltungsbereich physikalischer For­schung mit:

 

(Quelle: P12 DUDEN / PAETEC; Physik Gymnasiale Oberstufe, Berlin, 2005)

 

 

S.13f.
Der mechanische Determinismus geht von einer starken Kausalität aus und vertritt die Auffas­sung, dass gleiche oder ähnliche Ursachen auch gleiche oder ähnliche Wirkungen haben. Beim deterministischen Chaos dagegen wird von einer schwachen Kausalität ausgegangen, bei der ähnliche Ursachen zu un­terschiedlichen Wirkungen führen können. …
Ab 1900 entwickelte sich neben der klassischen Physik die moderne Physik, zu der solche Teilge­biete wie die Atom- und Kernphysik, die Quantenphysik, die Relativitätstheorie und die nichtlineare Physik ge­hören.
Die Entwicklung der Wissenschaft Physik ist bis heute nicht abgeschlossen und wird es auch in Zukunft nicht sein.
Neuere Erkenntnisse führen immer wieder zu einer Präzisierung, Umdeutung und Einschränkung der Anwendbarkeit bisheriger Gesetze und Theorien. Ältere Erkenntnisse werden verworfen, präzi­siert oder in neue Theorien eingebaut und so besser verstanden. Häufig erscheinen sie auch als Grenzfälle von umfassenderen Theorien.
Die Physik ist eine Naturwissenschaft. Sie beschäftigt sich mit den grundlegenden Erscheinungen und Gesetzen unserer natürlichen Umwelt und ermöglicht die Erklärung und Voraussage vieler Erscheinun­gen in der Natur und der Technik.

S.19f.
1.2.2 Gesetze, Modelle und Theorien in der Physik
… Wenn sich Zusammenhänge in der Natur unter bestimmten Bedingungen immer wieder einstel­len und damit für eine ganze Gruppe oder Klasse von Objekten gelten, dann spricht man von gesetzmäßigen Zu­sammenhängen, Gesetzmäßigkeiten oder Gesetzen. …
Die Bedingungen, unter denen ein Zusammenhang stets gilt, nennt man auch Gültigkeitsbedin­gungen. …
Um Gesetze zu erkennen, werden in der Physik Erscheinungen unter idealisierten Bedingungen be­trachtet. Nur unter solchen idealisierten Bedingungen lassen sich die Gesetze einfach und über­schaubar formulieren. Für die Beschreibung solcher Idealisierungen nutzt man in der Regel Modelle.
Ein Modell ist ein ideelles (gedankliches) oder materielles (gegenständliches) Objekt, das als Ersatz­objekt für ein Original genutzt wird. Es ist eine Vereinfachung des Originals und damit der Wirklichkeit. In einigen Eigenschaften stimmt das Modell mit dem Original überein, in anderen nicht.
Deshalb kann man mit einem Modell eine Reihe von Erscheinungen erklären und voraussagen, andere wiederum nicht … Ein Modell ist nur innerhalb bestimmter Grenzen gültig und sinnvoll anwendbar. …
Eine Theorie ist ein System von Gesetzen, Modellen und anderen Aussagen über einen mehr oder weni­ger großen Teilbereich einer Wissenschaft. …

S.23
1.2.3 Erkenntniswege in der Physik
Das Erkennen physikalischer Gesetze
Das Erkennen und Anwenden von Gesetzen in den Naturwissenschaften ist ein äußerst komplexer und in der Regel langwieriger Prozess … Diese Prozesse waren oft von Irrtümern und Irrwegen begleitet. In der Regel werden diese Prozesse von Hypothesen bestimmt. Eine Hypothese ist eine wissenschaftlich be­gründete Annahme oder Vermutung über einen Sachverhalt, deren Wahrheits­wert unbekannt ist. Im Verlaufe des weiteren Erkenntnisprozesses wird eine Hypothese durch Ex­perimente, neue Erkenntnisse oder die Praxis bestätigt oder verworfen. …

 

(Quelle: P12 DUDEN / PAETEC; Physik Gymnasiale Oberstufe, Berlin, 2005)

 

Das nächste zitierte Lehrbuch gibt zunächst eine Definition der Physik als Naturwissen­schaft, beschäftigt sich später mit der Arbeitsweise der Mechanik und der klassischen Physik (Kausalität, Determinismus) und geht schließlich am Schluss des Buches kom­pakt auf grundsätzliche Fragen zur Stellung der Physik in der Sicht der Wissenschafts­theorie ein.
Wegen der hier vorliegenden Geschlossenheit der Darstellung wird das relevante Kapitel in wesentlichen Passagen komplett abgedruckt:

 

(Quelle: P13 METZLER; Grehn, J. / Krause, J. (Hrsg.): Physik, Schroedel Verlag, Hannover, 1998)

 

 

S.11
… soll hier am Ende dieser kurzen Betrachtung über die Physik eine Definition gewagt werden:
Die Physik erforscht mit experimentellen und theoretischen Methoden die messend erfassbaren und ma­thematisch beschreibbaren Erscheinungen und Vorgänge in der Natur
[94], insbesondere die Zustände und Zustandsänderungen der (unbelebten) Materie sowie die Bewegungen und die Wechselwirkungen ihrer Bausteine, ohne dabei auf stoffliche Veränderungen dieser Materie einzu­gehen.

S.104
Geschichte der Mechanik und die klassische Physik; Kausalität und Determinismus
GALILEI (1564-1642) ist der Begründer der modernen Naturwissenschaft.
Die naturwissenschaftliche Methode, die er begründete, lässt sich folgendermaßen formulieren:
1. Der Naturvorgang, der - so GALILEI - nur beschrieben (und nicht mehr im Sinne der Antike
    erklärt) werden kann, wird aus seinem natürlichen Zusammenhang gelöst und von allen
    störenden Umständen getrennt betrachtet.
2. Es werden Vermutungen, Hypothesen, über den Vorgang aufgestellt und mathematisch formu-
    liert, wobei das Prinzip möglichst großer Einfachheit gilt.
[95]
3. Die Hypothesen werden im Experiment überprüft, und zwar so, dass diese Überprüfung von
    jedermann wiederholt und nachvollzogen werden kann. …
NEWTON (1643-1727) griff GALILEIS Ideen auf und erhob die Mechanik in den Rang einer exak­ten Wis­senschaft. In seinem Hauptwerk „Philosophiae naturalis principia mathematica" („Mathema­tische Prinzi­pien der Naturlehre") entwickelte er aus den Newton'schen Axiomen (
à 1.2.4 und 1.2.6) die Gesetze der Mechanik. Die Newton'sche Physik gründete auf der Annahme eines abso­luten Raumes, auf den sich alle Vorgänge beziehen ließen, und einer absoluten Zeit, die für alle Vorgänge gleich dahinfließt. Diese Vorstellungen blieben - ungeprüft - bestimmend bis in unser Jahrhundert hinein, bis EINSTEIN (1879-1955) die Relativität von Raum und Zeit erkannte (à Kap.9). …
In der Newton'schen Mechanik werden alle physikalischer Erscheinungen auf die Bewegung von mate­riellen Teilchen zurückgeführt, die durch ihre gegenseitige Anziehung aufgrund der Gravita­tionskraft ver­ursacht wird. Beschrieben werden die Bewegungen durch die Newton'schen Bewe­gungsgleichungen, die aus dem Grundgesetz der Mechanik entwickelt sind, und die die Grundlage der klassischen Mechanik bilden.
Im achtzehnten und zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts wurde die Newton´sche Mechanik durch die Weiterentwicklung der Differential- und Integralrechnung, die NEWTON begründet hatte, vervollstän­digt und zu einem geschlossenen Gedankengebäude ausgebaut. Die Newton'sche Mechanik war in der Lage, die Bewegung der Planeten, des Mondes, der Kometen, den Wechsel der Gezeiten und viele mit der Gravitationskraft zusammenhängende Phänomene zu erklären. Sie erklärte ebenso die Bewegung der Flüssigkeiten und die Schwingungen elastischer Körper. Schließlich konnten sogar Teile der Wärme­lehre auf die Mechanik zurückgeführt werden: Innere Energie wurde als Bewegung der Moleküle verstan­den. Erscheinungen wie das Verdampfen einer Flüssigkeit oder die Temperatur bzw. der Druck eines Gases lassen sich in der kinetischen Gas­theorie mit rein mechanischen Gesetzen beschreiben (
à Kap. 4). …
Die Newton'sche Mechanik mit ihren großen Erfolgen in der Erklärung von Naturvorgängen wurde zum Vorbild jeder wissenschaftlichen Theorie. Bis weit ins neunzehnte Jahrhundert hinein glaubte man einen Vorgang erst dann verstanden zu haben, wenn man ihn mit den Gesetzen der Mecha­nik erklären konnte. So hat z.B. MAXWELL (1831-1879), der die Elektrodynamik theoretisch begründete (
à Kap. 6), noch vergeblich versucht, seine auch heute noch gültige Theorie auf ein mechanisch erklärbares Modell zu­rückzuführen.
Die Entwicklung der Elektrizitätslehre und der Optik am Ende des neunzehnten Jahrhunderts führte so zwar schon über die eigentliche Mechanik hinaus, aber auch diese beiden Gebiete waren von den glei­chen Grundprinzipien geprägt wie die Newton'sche Mechanik. So stellte sich an der Schwelle zum zwan­zigsten Jahrhundert die Physik, aufbauend auf den Ideen NEWTONS, mit den Teilgebieten Mechanik, Wärmelehre, Elektrizitätslehre und Optik als ein geschlossenes wissen­schaftliches Gebäude dar, das als klassische Physik bezeichnet wird und das auch heute noch den Grundstock jeder Beschäftigung mit der Physik (wie auch hier in diesem Buch mit den Kapiteln 1 bis 7) bildet
[96]. Relativitätstheorie und Quan­tentheorie sind die beiden Gebiete, mit denen die moderne Physik (in diesem Buch behandelt in Kap. 9 bis 15) über die klassische Physik hinaus­geht.

Das Weltbild der klassischen Physik

Das Weltbild der klassischen Physik, das in der Beherrschung des Denkens weit über die Fach­wissen­schaft Physik hinausreichte, beruht auf dreierlei: auf dem Prinzip der Kausalität, auf dem mit ihm verbun­denen Prinzip des Determinismus und auf dem Prinzip der Objektivierbarkeit.
Die klassische Physik sagt: Alles Geschehen läuft nach dem Kausalitätsprinzip ab, d.h. unter glei­chen Umständen führen die Naturgesetze zu gleichen Ergebnissen. Genauer formuliert man das so:
Kausalitätsprinzip: Das Ergebnis bzw. der Zustand A, als Ursache bezeichnet, bringt unter bestimmten Bedingungen ein bestimmtes Ergebnis bzw. einen bestimmten Zustand B, als Wirkung bezeichnet, mit Notwendigkeit hervor, wobei die Ursache A der Wirkung B zeitlich vorausgeht und die Wirkung B niemals eintritt, ohne dass die Ursache A vorher bestanden hat. Das (physikalische) Ereignis bzw. der (physikali­sche) Zustand B folge nach dem Kausalitätsprinzip auf das (physikali­sche) Ereignis bzw. den (physikali­schen) Zustand A, heißt also mit anderen Worten, dass man mit­hilfe der Naturgesetze aus der vollständi­gen Beschreibung des Ereignisses bzw. des Zustandes A das Ereignis bzw. den Zustand B logisch ab­leiten oder umgekehrt aus dem Vorliegen vom Ereignis bzw. Zustand B das Ereignis bzw. den Zustand A als zeitlich vorausgegangen betrachten darf.
Dieses Denken in Kausalzusammenhängen, das der klassischen Physik zugrunde liegt, entspricht weit­gehend der täglichen Erfahrung: keine Wirkung ohne Ursache.
Das Weltbild der klassischen Physik war ein mechanistisches Weltbild, in dem nichts ohne Ursa­che ge­schah und in dem infolgedessen jedes Geschehen unabänderlich ablief. Das Kausalitäts­prinzip der klas­sischen Physik ist daher mit dem Prinzip des Determinismus eng verknüpft.
Prinzip des Determinismus: Alles Geschehen in der Welt ist durch (kausale) Gesetzmäßigkeiten in sei­nem Verlauf unabänderlich bestimmt.
Der Determinismus behauptet also, dass man aus einer vollständigen Beschreibung des gesamten Zu­standes der Welt zu einem bestimmten Zeitpunkt allein mithilfe der Naturgesetze jedes Ereignis oder je­den Zustand der Welt in der Vergangenheit oder in der Zukunft logisch herleiten kann. Der französische Mathematiker LAPLACE (1749-1827) hat dem Determinismus mit dem Bild vom Laplace'schen Dämon den klassischen Ausdruck gegeben: „Wenn der Zustand der Welt bei ihrer Erschaffung einem unendlich begabten und unendlich fleißigen Mathematiker bis in alle Einzelhei­ten dargelegt worden wäre, so müsste ein solches Wesen imstande sein, daraus die ganze fol­gende Weitgeschichte abzuleiten. Für ihn würde es keine Unsicherheit geben und Zukunft sowohl wie Vergangenheit wären seinen Augen allge­genwärtig."
[97]
Die klassische Physik geht schließlich aus von dem Prinzip der Objektivierbarkeit.
Prinzip der Objektivierbarkeit: Der beobachtete Naturvorgang läuft unabhängig und unbeein­flusst vom Beobachter ab. Das Naturgeschehen ist objektivierbar, es lässt sich unabhängig vom Beobachter objektiv beschreiben.
Diese drei Prinzipien der klassischen Physik hat die moderne Physik infrage gestellt oder - wie das Prin­zip des Determinismus - zu Fall gebracht. Nach herrschender Meinung lässt sich aus der Quantentheorie folgern, dass man auch bei genauer Kenntnis des Zustandes A den Zustand B nicht in jedem Falle vor­aussagen kann.
Zum einen gilt nach dieser Meinung nicht das Prinzip der Objektivierbarkeit: Bei mikrophysikali­schen Pro­zessen beeinflusst der Beobachter den beobachteten Vorgang.
Zum anderen sind viele Gesetze der Physik rein stochastischer Natur. Ein Beispiel: Zwar lässt sich stets angeben, wie viele Atome einer radioaktiven Substanz im nächsten Zeitabschnitt zerfallen; es lässt sich aber nicht voraussagen, ob dies für ein bestimmtes Atom zutrifft oder nicht.
Damit wird auch der Determinismus verworfen. Denn wenn das Kausalitätsprinzip nicht mehr gilt, kann auch ein Zustand aus dem anderen nicht mehr berechnet werden.

S.398
Interpretationsprobleme der Quantenphysik

… Jeder Messprozess im Bereich der Quantenphysik stellt einen Eingriff dar, der das weitere Ver­halten des Messobjekts entscheidend beeinflusst, sodass einem Quantenobjekt stets nur die Eigenschaft zuge­ordnet werden kann, die gerade gemessen wurde, und man nicht davon ausge­hen kann, dass andere, nicht gemessene Eigenschaften vorhanden sind.
3. Eine strenge Determiniertheit wie in der klassischen Physik ist dementsprechend in der Quan­tenphysik nicht vorhanden. Jedoch gestattet die Ψ-Funktion eine Wahrscheinlichkeitsaussage über das Eintreten eines Ereignisses, z.B. über den Nachweis eines Quantenobjektes in einem Raum­element, zu machen, sodass in diesem Sinne ein Determinismus vorhanden ist.


S.564
15.3 Die Entwicklung des Universums
… Hier die wesentlichen Aussagen des Standardmodells:
Am Anfang waren die grundlegenden Wechselwirkungen - die starke, die elektromagnetische, die schwache und die Gravitationswechselwirkung - vereinigt; da es hierfür noch keine Theorie gibt, kann man diesen Zustand nicht beschreiben.

S.566ff.
16 Physik und Wissenschaftstheorie
Wie zuverlässig ist wissenschaftliche Erkenntnis? Wie steht es um die Begründung von Natur­gesetzen? Was ist physikalische Wirklichkeit? Welche Konzepte hat die Philosophie über die phy­sikalische Erkennt­nismöglichkeit entwickelt?
Am Schluss dieses Buches sollen in aller Kürze und daher natürlich nur sehr unvollständig einige dieser Fragen angesprochen werden. Die folgenden Betrachtungen werden die in den vorherge­henden Kapiteln dargestellten Sachverhalte unter philosophischen Gesichtspunkten problematisie­ren. Die dafür zustän­dige Disziplin ist die Wissenschaftstheorie, ein Teilgebiet der Philosophie, die ihre Prägung von Philoso­phen wie von Naturwissenschaftlern erfahren hat.
Behandelt werden sollen zwei Komplexe: zum einen die Entwicklung einer physikalischen Theorie und zum anderen einige Hauptströmungen der Wissenschaftstheorie, soweit sie sich mit der Phy­sik zuge­wandten Fragestellungen beschäftigen.

16.1 Theorie; Hypothese; Gesetz; Modell
Die Physik ist eine theoriegeleitete experimentelle Wissenschaft. Experimente werden erst durch Theo­rien möglich. Experimente können aber auch über Theorien entscheiden. Im Experiment stellt der Physi­ker eine gezielte Frage an die „Natur" oder an die „Wirklichkeit", was immer auch darunter zu verstehen ist. Ein Experiment ist nicht nur bloße Beobachtung allein, wie sie etwa der Biologe vielfach zum Aus­gangspunkt seiner Wissenschaft nimmt. Experimente „vereinfachen" die vorhan­dene „Natur" in be­stimmter Weise und zielen bewusst nur auf einen Ausschnitt der „Wirklichkeit" ab. Insofern haftet ihnen etwas Theoretisches an.

+   Das Experiment ist eine im Rahmen einer Theorie geplante Beobachtung, die unter
     kontrollierten und reproduzierbaren Bedingungen durchgeführt wird.


Das entscheidende Kriterium für ein Experiment und das mit ihm neu gefundene Phänomen ist deren Reproduzierbarkeit. Das Experiment muss so beschrieben sein, dass es auch an anderer Stelle wieder­holt, reproduziert, werdet kann. Seine Durchführung muss kontrollierbar sein.
Die Ergebnisse eines Experiments werden in so genannten Protokoll- oder Basissätzen fest­gehalten. Ein Basissatz drückt entweder ein erhaltenes oder ein zu erwartendes Messergebnis in der Sprache der Physik aus, wie wir es in vielen Beispielen in diesem Buch kennen gelernt haben. Dabei gehen bei einem Versuch z. B. nicht etwa die Zeigerausschläge in die Beschreibung des Ergebnisses ein, sondern es werden Messgrößen - z. B. Stromstärke und Zeit - registriert. Insofern drücken die Basissätze keines­wegs bloße Wahrnehmungen aus, sondern haben Theoriegehalt.
Ohne physikalische Begriffsbildung kann weder ein Versuch geplant (Was will man messen?) noch kön­nen seine Ergebnisse (Was wurde gemessen?) festgehalten werden.
Ebenso liegen der Verwendung der Geräte, mit denen das Experiment durchgeführt wird, schon theoreti­sche Betrachtungen zugrunde - etwa über das Funktionieren eines Strommessgerätes oder eines Mikroskops. Beide Instrumente sind aufgrund einer schon vorhandenen Theorie (Elektri­zitätslehre bzw. Optik) konstruiert und verstehbar.

+   Experimente und ihre in Basissätzen formulierten Ergebnisse sind nicht voraussetzungslos zu
     gewinnen, sondern setzen bereits physikalische Theorienbildung voraus.


Die Formulierung eines Gesetzes, z.B. des Fallgesetzes, aus den Basissätzen (Wertetabellen) geht na­türlich nicht ohne Festsetzungen und Entscheidungen vor sich.
Wenn man z. B. beim freien Fall die Messwerte, die im Experiment gewonnen sind, mit der Funk­tion
s = g/2 x t2 zusammenfasst, trifft man eine solche Entscheidung, bei der so genannte Prinzi­pien, Leit­linien, ohne Begründung angewendet werden, wie z.B. hier das Prinzip der Einfachheit. Denn keiner Wertetabelle mit der unvermeidlichen Streuung ihrer Werte ist direkt zu entnehmen, dass die genannte quadratische Funktion den Messwerten zugrunde liegt. Ohne solche Leitlinien, ohne solche Entscheidun­gen und Festsetzungen lassen sich keine Gesetze als Ergebnisse von Messungen formulieren. Dennoch haben wir die Intuition, dass die mathematische Formulierung des Fallgesetzes mit s = g/2 x t2 die physi­kalische „Wirklichkeit“ wiedergibt.

+   Die Gesetze der Physik sind keine vordergründigen Beschreibungen von Vorgängen.
     Aus Basissätzen gewonnen sind sie durch allgemeine Festsetzungen und Entscheidungen
     mitbestimmt, die nicht aus dem Experiment entnommen werden können.


Im Vorgehen der heutigen Wissenschaft wird noch ein Weiteres offenbar, das mit der Vorstellung von ei­nem objektiven, d. h. vom Menschen unabhängigen Erkenntnisprozess schwer zu verein­baren ist. Das zeigt besonders der Experimentierbetrieb in den Großforschungslaboratorien mit seinen immer neuen Entdeckungen über Elementarteilchen:
Die Übernahme einer Entdeckung als gültiges Gesetz setzt voraus, dass die Gruppe der damit in aller Welt beschäftigter Physiker das veröffentlichte Ergebnis als neues Phänomen anerkennt, akzeptiert. Erst die allgemeine Akzeptanz macht den wissenschaftlichen Fortschritt aus. In der heutigen Forschung gibt es manche Beispiele, wie (richtige) Entdeckungen zumindestens bis zu einer späteren Neuentdeckung in diesem Sinne für die Wissenschaft nicht existent und vergessen waren, bis es doch noch gelang, eine Generation von Forschern von ihrer Richtigkeit zu überzeu­gen.

+   Die Aufnahme von neuen Phänomenen als gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis setzt neben
     ihrer Reproduzierbarkeit auch die Akzeptanz durch die Forschergemeinschaft voraus.


Wie gewiss ist nun ein physikalisches Gesetz? Sofort einsehbar ist, dass keine noch so große Zahl von Experimenten ein Gesetz „beweisen“ kann. Dies ist das berühmte Induktionsproblem (
à 16.2): Gesetze werden als Allsätze formuliert, sie sollen immer und überall gelten. Gewonnen werden sie aber nur aus einer endlichen Anzahl von Experimenten. Nach den Gesetzen der Logik ist der Schluss von endlich vie­len Fällen auf die allgemeine Gesetzmäßigkeit nicht möglich. Allgemein gilt heute die Auffassung:

+   Naturgesetze bleiben hypothetisch. Man muss jederzeit mit einer Revision des Wissens
     rechnen.


Dabei kann nach dieser heute allgemein vorherrschenden Auffassung ein Naturgesetz nicht bewiesen, sondern nur falsifiziert werden. Nach POPPER (
à 16.2) ist Falsifikation die einzig logisch anzuerken­nende Möglichkeit, nach der ein gefundenes Gesetz so lange gültig bleibt, wie kein Gegenbeispiel gefun­den ist.
Dennoch setzt man allgemein auf seine Gültigkeit: Die Allgemeinheit oder Universalität physikali­scher Erfahrung wird über die Einzelerfahrung hinaus dadurch gewonnen, dass die Vorschriften zur Gewinnung dieser Erfahrung immer wieder von neuem befolgt werden können - und nur darin liegt ihre verlässliche Gesetzmäßigkeit.

+   Gesetze und Theorien, die in vielfältigen Experimenten bestätigt wurden, gelten so lange als
     richtig, wie sie nicht falsifiziert sind.


Experimente und die daraus gewonnenen Gesetze sind Grundlage für die Neuentwicklung einer physika­lischen Theorie.

+   Eine Theorie ist eine systematisch geordnete, strukturierte, in sich widerspruchsfreie
     Zusammenfassung von zumeist gesetzesartigen Aussagen über einen bestimmten
     Gegenstandsbereich. Das Ideal einer Theorie ist ein System von axiomatisch formulierten
     Aussagen, aus denen sich die Gesetzmäßigkeiten über den betreffenden Gegenstandsbereich
    deduktiv herleiten lassen.


Beispiele für Theorien sind die Newton'sche Mechanik, zusammengefasst in den Newton'schen Axiomen, oder die Thermodynamik, deren theoretischer Kern die beiden Hauptsätze der Wärme­lehre sind, oder die Maxwell´sche Elektrodynamik, das Paradebeispiel einer axiomatisch beschrie­benen Theorie; denn aus den Maxwell´schen Gleichungen lassen sich die wesentlichen Gesetze der Elektrodynamik herleiten, wie sie z.B. in den Kapiteln 5, 6 und 7 dieses Buches aufgeführt sind.
Die Theorienbildung ist im ersten Stadium hypothetisch. Eine Theorie wird als Hypothese, als Vermutung eingeführt. Man kann sie prüfen und untersuchen, ob aus ihr dann einerseits schon bekannte „wahre" Sachverhalte, Tatsachen erklärbar, nämlich als Folgerung dieser Hypothese ableitbar sind. Die Theorie wird umgekehrt aber auch als Hypothese überprüft, indem untersucht wird, wie unabhängig von der The­orie gewonnene Ergebnisse über den gleichen Erfahrungs­bereich mit ihren Sätzen vereinbar sind. Darin wird die wechselseitige Beziehung zwischen Theorie und Experiment (oder Basissätzen) deutlich.

+   Physikalische Erkenntnis entsteht aus dem Wechselspiel zwischen Theorie und Experiment.


In der Physik werden Theorien aus Denkvorstellungen, so genannten Modellen entwickelt, deren Eigen­schaften einer genauen mathematischen Analyse zugänglich sind. Die oben angeführten Beispiele sind solche Modelle.
Wir haben viele andere Modellbildungen kennen gelernt:
Je nach dem Sachverhalt, der untersucht werden soll, zieht man ein mehr oder weniger umfangrei­ches Modell heran. So beschreibt man den freien Fall am einfachsten mit dem Modell des Mas­senpunktes; so­bald der Luftwiderstand berücksichtigt werden soll, zieht man statt des Massen­punktes das Modell des starren Körpers heran; das Auftreffen auf eine elastische Fläche würde man mit dem Modell des defor­mierbaren Körpers untersuchen.
Das Modell des Wasserstoffatoms ist ein anderes Beispiel, bei dem nicht nur der Gesichtspunkt der Ver­einfachung, sondern auch der der Anschaulichkeit von Sachverhalten eine Rolle spielt. Das Bohr'sche Atommodell ist zwar durch die Quantenmechanik überholt; dennoch gestattet es, bestimmte Sachverhalte wie z. B. die Spektrallinien des Wasserstoffatoms richtig herzuleiten.
Modelle stellt man aus Gründen der Vereinfachung auf (bei Interferenz und Beugung lässt man im Wel­lenmodell die Polarisation weg) oder zur didaktischen Veranschaulichung Bohr'sches Atom­modell als ein auf klassischen Vorstellungen beruhendes Bild für anschaulich nicht zugängliche Phänomene) oder als Analogiebetrachtung (Strom von Ladungen - Wasserströme).
Der Physiker Heinrich HERTZ hat den Modellbegriff in der Sprache seiner Zeit (Ende des 19. Jahr­hun­derts) formuliert:
Wir machen uns innere Scheinbilder oder Symbole der äußeren Gegenstände, und zwar machen wir sie von solcher Art, dass die denknotwendigen Folgen der Bilder stets wieder Bilder seien von den Folgen der abgebildeten Gegenstände."

+   Modelle sind Vorstellungshilfen, sie sind Wirklichkeitskonstruktionen, die eine Theorie exakt
     erfüllen. Diese Wirklichkeitskonstruktionen sind aber nicht die Wirklichkeit selbst.


Wir fassen zusammen:
1. Naturwissenschaftliche Erkenntnis beruht auf dem Wechselspiel von Theorie und Experiment.
2. Naturgesetze können nicht im Sinne der Mathematik bewiesen werden.
3. Die Modelle der Wissenschaft sind in keiner Weise als Abbildungen der Realität aufzufassen. Ein Mo­dell dient zur Beschränkung der Untersuchung auf jeweils als wesentlich betrachtete Phä­nomene.
4. Bei der Formulierung neuer Naturgesetze aufgrund neuer experimenteller Ergebnisse und neuer theo­retischer Einsichten spielt die Konsensbildung innerhalb der Physikergemeinschaft eine we­sentliche Rolle.
Die in Lehrbüchern - wie auch in diesem Buch - übliche Beschreibung der Physik kann das Aus­maß der Verknüpfung der miteinander in Wechselwirkung stehenden Modelle, Ideen, Theorien, Experimente, ma­thematischen Verfahren, Instrumente, Materialien usw., die den Erkenntnis­umfang dieser Wissenschaft ausmachen, nur unzulänglich und bruchstückhaft wiedergeben. Unser Vertrauen in bestimmte Gesetz­mäßigkeiten beruht auf einer Vielzahl miteinander verknüpfter Fak­ten und Vorstellungen, die hinter jeder Aussage stehen.

16.2  Philosophische Strömungen der Erkenntnisgewinnung
Nach einer weit verbreiteten, naiven Meinung liefern unsere Sinnesempfindungen ein zutreffendes Bild der „Außenwelt"; Erkenntnis ist demnach die Abbildung einer irgendwie gegebenen „Realität".
Der wissenschaftliche Realismus, zu dem sich wohl spontan viele Wissenschaftler bekennen dürf­ten, be­sagt, dass die von richtigen Theorien beschriebenen Gegenstände, Zustände, Vorgänge wirklich existie­ren. Protonen, Photonen, Kraftfelder, schwarze Löcher sind ebenso real wie Lebe­wesen, Maschinen, Vulkane. Die Tatsache, dass die Messung der Lichtgeschwindigkeit aus von­einander unabhängigen Beobachtungen und Versuchen zum gleichen Ergebnis führt oder dass mehrere Versuche aus verschie­denen Gebieten zu demselben Wert der Avogadro'schen Zahl kommen, stützen diese vordergründige Ansicht.
Bei näherer Nachfrage jedoch wird sich heute wohl die Mehrheit der Forschenden zu der folgenden – vereinfacht formulierten - Analyse als wesentlichem Element der naturwissenschaftlichen For­schung ver­stehen: „Die Physik gelangt zu einer Beschreibung der Wirklichkeit, indem sie darauf verzichtet, das We­sen der Wirklichkeit zu erforschen.“
[98] Die Quantenmechanik bietet dafür hinrei­chende Anhaltspunkte. Jedoch darf nicht übersehen werden, dass es namhafte Forscherpersön­lichkeiten gibt und gab wie EIN­STEIN, der sich bis an sein Lebensende nicht mit einer antirealisti­schen Ansicht über die Welt an­freun­den konnte.
Die Wissenschaftstheorie als Teilgebiet der Philosophie beschäftigt sich in der Auseinander­setzung über diese Fragen mit den Erkenntnisprinzipien und Methoden vornehmlich der exakten Wissenschaften. Lo­gischer Positivismus, Kritischer Rationalismus und einige Weiterentwicklungen umreißen Hauptströmun­gen in der Wissenschaftstheorie des 20. Jahrhunderts.
Mit Logischem Positivismus wird eine sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwi­ckelnde Richtung naturwissenschaftlich orientierter Wissenschaftstheorie bezeichnet, als dessen Hauptvertreter der deutsch-amerikanische Philosoph Rudolf CARNAP (1891-1970) gilt. Sie baut auf einer Weiterent­wicklung des Empirismus auf, jener alten philosophischen Grundüberzeugung, die die generelle und aus­schließliche Abhängigkeit allen Wissens von der Erfahrung und von nichts anderem als von dieser be­hauptet.
Das Wort logisch drückt aus, dass neben der Beschränkung auf die Erfahrung, der Empirie, nur die Schlüsse gelten sollen, die sich bei Anwendung der Logik auf die Sätze der empirischen Wissen­schaft ergeben.
Nichts außer dem Beobachtbaren könne als etwas Reales erkannt werden. Es gibt weder Elektro­nen noch sonst irgendwelche theoretischen Entitäten (Seinsgegenstände). Die Positivisten neigen zum Nicht­realismus, und zwar nicht nur deshalb, weil sie die Realität auf das Beobachtbare beschränken, sondern auch deshalb, weil sie metaphysische Überlegungen wie die Annahme einer Kausalität oder die Richtig­keit von Erklärungen für überflüssig und falsch halten.
Die Positivisten, deren Tradition auf David HUMES „A Treatise of Human Nature" (1793) zurück­reicht, vertreten die metaphysikfeindliche These: Nicht prüfbare Sätze, nicht wahrnehmbare Enti­täten, Kausali­tät, tiefe Erklärungen - dies alles gehört zur Metaphysik, d.h. zur philosophischen Lehre von dem hinter der sinnlich-erfahrbaren, natürlichen Welt Liegenden. Und das alles, so mei­nen die Positivisten, muss man hinter sich lassen.
Die positivistischen Grundüberzeugungen sind:
1. Pro Beobachtung: Die beste Grundlage für alle unsere nicht mathematischen Kenntnisse liefert
    das, was wir sehen, fühlen, berühren usw. können.
2. Pro Verifikation: Sinnvoll sind diejenigen Sätze, deren Wahrheit oder Falschheit mithilfe eines
    bestimmten logischen Verfahrens aus der Wahrheit oder Falschheit von Beobachtungen
    abgeleitet wird.
3. Kontra Kausalität: Außer der Beständigkeit, mit welcher Ereignisse der einen Art auf Ereignisse
    der anderen Art folgen, gibt es in der Natur keine Kausalität.
4. Kontra Erklärungen: Erklärungen geben keine tieferen Antworten über die „Natur", die wir
    sowieso nicht erkennen, sondern tragen nur dazu bei, die Phänomene gedanklich in eine
    gewisse Ordnung zu bringen.
5. Kontra theoretische Entitäten: Es gibt hinter den Beobachtungen keine Seinsgegenstände wie
    Elektronen, Felder usw.
Der Positivist ist davon überzeugt, zu positiver Erkenntnis, d.h. zu beweisbarem Wissen fähig zu sein. Es gibt etwas Gegebenes, die Tatsachen, die in den so genannten Protokollsätzen fest­gehalten werden können. Die Protokollsätze des Positivisten sind einzelne Aussagen über Sinnes­eindrücke, gewonnen aus Beobachtungen in Experimenten. Sie werden als theorieunabhängig angesehen, weil aus ihnen erst durch logische Verknüpfungen Theorien gefunden werden sollen.
Der Schwierigkeit, die darin liegt, die Augemeingültigkeit der Naturgesetze nur an einer begrenzten An­zahl von Experimenten überprüfen zu können - der induktive Schluss ist kein logischer
Schluss -, begegnet der Logische Positivismus durch eine Wahrscheinlichkeitsbetrachtung. Dazu hat CARNAP den induktiven Bestätigungsgrad eingeführt, der als eine analytische Beziehung zwi­schen der zu bestätigenden Hypothese und der Zahl der positiven Anwendungsfälle bestimmbar sein sollte. Das für den Logischen Positivismus charakteristische Verifikationsprinzip besagt, dass in der Aussage eines Na­turgesetzes eine eindeutige Prüfmethode beschrieben sein muss. Nicht verifizierbare Aussagen sind we­der wahr noch falsch, sondern sinnlos.
Diejenigen Hypothesen also, die prinzipiell keine empirischen Anwendungsfälle haben können, werden als unwissenschaftlich verworfen, abgesehen von den so genannten analytischen Aussa­gen der Logik und Mathematik.
Aus der Auseinandersetzung mit dem Logischen Positivismus, vor allem mit seinem Induktions­problem „Wie folgen aus einer beschränkten Anzahl von Beobachtungen allgemeine Sätze?" ent­wickelte der Phi­losoph und Wissenschaftstheoretiker Karl Raimund POPPER (1904-1994) eine Gegenposition, die die Philosophie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachhaltig beein­flusste.
Der Kritische Rationalismus nach POPPER vertrat als wichtigsten Unterschied zum Logischen Empi­rismus nach CARNAP die Überzeugung, ein induktives Vorgehen in den Naturwissenschaften für unbe­gründbar zu halten und stattdessen ein deduktives Vorgehen im Rahmen eines „Falsifika­tionismus" als adäquate Beschreibung der Naturwissenschaften zu behaupten.
Danach formulierten Naturwissenschaftler allgemeine Hypothesen, die sie einer Bewährungsprobe durch Widerlegungsversuche unterwarfen. Die Gültigkeit naturwissenschaftlicher Theorien sei nicht mehr als eine Bewährtheit relativ zu erfolglos verlaufenen, empirischen Widerlegungsversuchen. Und die Abgren­zung der naturwissenschaftlichen Aussagen von den metaphysischen und speku­lativen Aussagen liege darin, dass für naturwissenschaftliche Aussagen prinzipiell Falsifizierbarkeit bestünde, d. h. wissenschaft­liche Aussagen (außer den logisch-mathematischen) sollten an Erfah­rungen scheitern können.
Der Erfolg POPPERS ist eindrucksvoll darin zu sehen, dass nicht nur viele Naturwissenschaftler ihr eige­nes Selbstverständnis in seiner Wissenschaftstheorie angemessen ausgedrückt finden; die Philosophie des Kritischen Rationalismus hat auch wegweisend gewirkt, das (vermeintliche) Vor­bild der erfolgreichen Naturwissenschaften auf Disziplinen wie Psychologie, Sozial- und Wirt­schaftswissenschaften und andere zu übertragen.
Dem Kritischen Rationalismus zufolge kann die Wahrheit allgemeiner Aussagen über die Wirklich­keit nur in solchen Sätzen enthalten sein, die sich empirisch überprüfen lassen.
Einzelne Aussagen über sinnliche Wahrnehmungen können nur die Falschheit allgemeiner empiri­scher Aussagen erweisen, sie beweisen nicht deren Wahrheit.
Aus diesen beiden - metaphysisch gefassten – Sätzen des Kritischen Rationalismus ergibt sich POP­PERS Abgrenzungskriterium, das Falsifizierbarkeitskriterium: Theorien werden nur dann als wissen­schaftlich angesehen, wenn sie die Möglichkeit empirischer Überprüfung zulassen.
Der Kritische Rationalismus akzeptiert die Unmöglichkeit eines direkten Zugangs zur gegebenen Realität; insofern berücksichtigt er die Kant´sche Kritik, mit der dieser auf den Anspruch verzich­tete, das Wesen der Dinge erkennen zu können. Dennoch gilt der naturwissenschaftliche Fort­schritt nach POPPERS Überzeugung als ständige und stetige Verbesserung und Erweiterung eines „Bildes" der Realität.
Die Wissenschaftstheorie der mathematischen Naturwissenschaft hatte sich in den Traditionen des Logi­schen Empirismus und des Kritischen Rationalismus zu einer Spezialdisziplin entwickelt, die - häufig in einer Darstellung mit einem gewaltigen Formelaufwand - in ihrer letzten Form eine rein strukturalistische Wissenschaftstheorie geworden war („strukturalistisch'' heißt, dass nur noch die formalen Strukturen von Theorien gesucht und diskutiert werden).
In dieser Situation war dem Buch „Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen" des amerikani­schen Wissenschaftshistorikers und Wissenschaftstheoretikers Thomas S. KUHN (1922-1996), in dem die Kuhn'sche Paradigmentheorie begründet wurde, ein überwältigender Erfolg beschieden: Dem Popper'­schen Gedanken einer kumulativen (anhäufenden) Vermehrung naturwissenschaftli­chen Wissens durch Erhöhung des Falsifizierbarkeitsgrades ihrer Theorien wurde eine Auffassung vom Paradigmenwechsel gegenübergestellt:
KUHN hatte mit Verweis auf viele wissenschaftshistorische  Beispiele aus Astronomie, Physik und Che­mie ins Bewusstsein gehoben, dass Wissenschaft von Menschen unter historischen Bedin­gungen betrie­ben wird. Danach vollzieht sich Wissenschaft insgesamt oder die eines Teilgebietes nach einem Para­digma, einem Denkmuster, das das wissenschaftliche Weltbild einer Zeit prägt. Unter der Vorherrschaft einer solchen Grundüberzeugung entwickelt sich eine bestimmte Wissen­schaftsauffassung, die richtig oder falsch sein kann, vor der aber ihr entgegenstehende Ansätze keine Aussicht auf Anerkennung fin­den, bis die Generation von Forschern mit dieser Überzeugung ausstirbt und eine gänzlich andere wis­senschaftliche Auffassung sich durchsetzt. Die Geschichte der Wissenschaft ist damit eine Folge von Pa­radigmenwechseln.
Ein berühmter Paradigmenwechsel ist die Ablösung des ptolemäischen Systeme durch die koper­nikani­sche Astronomie. Im ptolemäischen System, jahrhundertelang erfolgreich in der Voraussage der Positio­nen von Fixsternen und Planeten, suchte man die immer stärker auftretenden Unstim­migkeiten zwischen Theorie und Beobachtung durch immer weiter gehende Verfeinerungen zu beheben, bis die kopernikani­sche Revolution zu einer neuen, einfacheren Theorie führte, in der sich bisher offene Fragen beantworten ließen.
KUHNS großes Verdienst besteht zweifellos darin, die Wissenschaftstheorie der Naturwissen­schaften aus einer einseitigen Berücksichtigung rational-logischer Begründung herausgeführt und stattdessen auf die historische und soziologische Bedingtheit, unter der Forschung vonstatten geht, hingewiesen zu ha­ben.
[99] Gegen seine Ansicht, die zu einer gewissen Relativierung  naturwissen­schaftlicher Erkenntnis führte, dass nämlich mit einem Paradigmenwechsel nicht unbedingt wis­senschaftlicher Fortschritt ver­bunden sei, sondern nur aus einer anderen Sicht ein Gegenstands­bereich neu erfasst würde, wird man allerdings kritisch einwenden müssen, dass das technische Fundament der naturwissenschaftlichen For­schung und Beobachtungskunst einen eigenständigen, kumulativen Zuwachs an technischem Hand­lungswissen durchläuft und damit zu einem stetigen Fortschritt in den Wissenschaften führt.
In den letzten Jahrzehnten mehren sich die Ansätze von Wissenschaftstheoretikern, die stärker auf diese historische und kulturelle Gebundenheit der Wissenschaft hinweisen. Die Naturwissen­schaften beziehen ihre Gegenstände und Denkvoraussetzungen eben nicht nur aus rein wissen­schaftlichen Bereichen, son­dern ebenso aus vor- und außerwissenschaftlichen Erfahrungen.
Die Wissenschaft und ihre Resultate, seien sie als technisches Verfügungswissen oder als theore­tisches Erklärungs- und Prognosewissen gefasst, sind Teil der Kultur und somit beeinflusst durch ihren jeweiligen historischen Zustand. Die Wissenschaften verlangen als Kulturleistungen daher auch wegen ihrer Orien­tierung auf Zwecke hin nach einer moralischen und politischen Legitimation dessen, was sie in ihren An­wendungen bewirken.

 

(Quelle: P13 METZLER; Grehn, J. / Krause, J. (Hrsg.): Physik, Schroedel Verlag, Hannover, 1998)

 

Das nächste Buch weist am Beispiel der Quantenphysik darauf hin, dass naturwissen­schaftliche Befunde offen sind für unterschiedliche philosophische Deutungen:

 

(Quelle: P14 SCHROEDEL; Dorn / Bader: Physik Sek II; Schroedel, Hannover, 2000)

 

 

S.424
Modelle in der Physik
Die Gesetze der Quantenphysik sind heute unbestritten. Doch werfen sie philosophisch geprägte Deu­tungsfragen auf.
Y-Zeiger sind Symbole, von klassischen Vorstellungen unbelastete Hilfsmittel. Sie stellen nichts Reales dar, so wenig wie Feldlinien; sie rotieren nur in unseren Köpfen und auf dem Bildschirm. Deshalb können wir damit das Verhalten der Quantenobjekte widerspruchsfrei beschreiben; Modellballast ist abgeworfen. Weil aber das IYI2 als Antreffwahrscheinlichkeit messbar ist, sind die so gewonnenen Ergebnisse kor­rekte, kontrollierbare Physik. Dass dies funktioniert, ist nicht selbst­verständlich. EINSTEIN sagte biswei­len: „Raffiniert ist der Herrgott, boshaft aber ist er nicht".
Das Formale und Abstrakte am
Y, am Hilfsmittel rotierende Zeiger, lässt erkennen, dass den logi­schen Fähigkeiten des Menschen auch unanschauliche Bereiche zugänglich sind. Damit reichen sie viel weiter als die auf unsere Umwelt beschränkte Anschauung. Mit der Quantenphysik bekommen wir nicht nur tiefe Einblicke in die Natur, sondern auch in unsere eigenen geistigen Fähigkeiten. Wir erkennen dabei Gren­zen und zugleich grenzüberschreitende Möglichkeiten. Wer trotzdem versucht. Quantenphänomene mit gegenständlichen Bildern zu verstehen, wird der Natur nicht gerecht. Zudem verschenkt er viel von den weitreichenden logischen, mit abstrakten Symbo­len arbeitenden Fähigkeiten des Menschen. Sie sind ein wichtiger Teil menschlicher Kulturleistung, deren Faszination sich kein denkender Mensch entziehen sollte. Hier liegt eine wichtige Bedeutung moderner Physik für Philosophie und Kultur.

S.432
Vertiefung
Was heißt „unbestimmt“? …
Die Unbestimmtheitsrelation beseitigt die Begriffe Ort und Impuls an sich nicht; sie beschränkt nur ihren gemeinsamen Gebrauch.
HEISENBERG sagt: „Ein über diese Relation hinausgehender, genauerer Gebrauch der Wörter Ort und Geschwindigkeit ist ebenso sinnlos wie die Anwendung von Wörtern, deren Sinn nicht definiert ist.“ Des­halb darf man nicht sagen, das einzelne Quantenobjekt habe objektiv gesehen im Unbe­stimmtheits­bereich einen bestimmten Ort x, den wir subjektiv gesehen nicht genau kennen“Unbestimmt“ geht eben viel weiter als „unbekannt“; es betrifft die Nichtobjektivierbarkeit der Quanten
[100]

S.434
Interessantes
Akausale Physik im Mikrokosmos
Der Franzose P. LAPLACE beschrieb 1850 die kausale, streng berechenbare (deterministische) Physik angesichts der Erfolge der newtonschen Mechanik in der grandiosen Vision des Laplace-Dämons: „Wir müssen den jetzigen Zustand des Weltalls als Wirkung eines früheren und als Ursa­che des folgenden betrachten. Ein Dämon möge alle Kräfte der Natur sowie die Lage und die Geschwindigkeit aller Teil­chen, aus denen die Natur besteht, in einem bestimmten Augenblick kennen. Könnte er zudem all diese Daten einer Rechnung zugrunde legen, so wäre er fähig, die Bewegung der größten Körper des Weltalls und die der kleinsten Atome vorherzusagen. Für ihn wäre nichts unbestimmt, Zukunft und Vergangenheit lägen offen vor ihm". Nach der Unbestimmt­heitsrelation
Dx Dpx » h sind jedoch im Mikrokosmos Ort und Geschwindigkeit nicht mehr zugleich scharf bestimmt. Sie entzieht die Voraussetzung für strenge Vor­ausberechenbarkeit. EINSTEIN konnte sich mit einer im Prinzip akausalen Natur lange nicht abfinden. Er suchte in zahlreichen Gedankenversuchen die akausale Quantentheorie gegen die streng deterministi­sche klassische Physik und deren Krönung, die Relativitätstheorie, auszuspielen. Experimente der letzten Jahre bestätigen jedoch die Quantenphysik so eindeutig, dass ein Zurück zur durchgängig kausalen, klassischen Beschreibung als völlig ausgeschlossen gilt.

S.465
C Misst man Realitäten oder schafft man sie erst?
SCHRÖDINGER zielte auf den Messprozess. Er fragte: Wandelt sich die Superposition „tot und zugleich lebend" erst durch eine Messung, beim Öffnen des Kastens, beim Ablesen des „Mess­geräts Katze", in eine der Realitäten „tot" oder „lebend" um? Wir skizzieren zwei ernsthaft disku­tierte Hypothesen zu die­sem auch die Philosophie betreffenden Realitätsproblem:

+ Nach H. EVERETT spaltet sich zu jedem a-Klick die Welt in zwei vollwertige, neue Welten auf, desglei­chen jeder Beobachter in zwei, die nichts voneinander wissen. Beobachter 1 in Welt 1 findet seine Katze tot; zugleich findet Beobachter 2 in Welt 2 seine lebend. Nach dieser Many-World-Theorie sollte es Myri­aden Welten geben, die nur Reales kennen. Diese Hypothese ist empirisch nicht widerlegbar. Sie wider­spricht auch nicht der Quantentheorie!
+ Nach E. WIGNER ändert beim Öffnen des Kastens allein das Bewusstsein des Beobachters (als hypothetischer Eingriff) das Zugleich
Y = Ytot + Ylebend entweder in „tot" oder in „lebend" ab. Danach wür­den bereits Gedanken an sich die Welt verändern!
Man möchte gerne ohne solche Hypothesen auskommen und sagt oft gemäß der klassischen Phy­sik: Das grobe Messgerät störe am subtilen Quantenobjekt ein schon vor dem Messen real vorlie­gendes Faktum. Beim Knallertest fanden wir jedoch: Bei gleichberechtigten Pfaden (kein Knaller) zeigt sich In­terferenz als Superposition
Y = Y1 + Y2 von zwei zugleich angebotenen, noch nicht realen Möglichkeiten. Erst beim Messen (Einbringen des Knallers) wählt davon der reine Zufall eine aus und realisiert sie. So erzeugt er die klassisch vertraute Realität Entweder-Oder (Knall oder kein Knall). Realität wird erzeugt, nicht einfach nur festgestellt![101] Da die Theorie dieses Überführen vom Möglichen ins Real-Faktische nicht erklären konnte, stellte v. NEUMANN 1932 sein experi­mentell hervorragend bestätigtes Mess­postulat auf. Sie kennen es vom Tunneleffekt und vom Knallertest:
Beim Messen realisiert der pure Zufall von den mit der Wahrscheinlichkeit I
YI2 angebotenen Mög­lichkei­ten eine. Er wandelt sie unverändert und unumkehrbar in ein reales Messergebnis. Dabei wird Y so ver­ändert, dass eine sofortige Wiederholung am gleichen Objekt die erste Messung bestätigt. Die anderen Möglichkeiten sind vergessen. Bei diesem Kollaps der Y-Funktion explodiert der Knaller, ein Zähler tickt, eines von vielen Silberkörnchen wird geschwärzt usw.

S.465/467
Ähnliches kennen wir aus dem täglichen Leben, auch den Begriff Möglichkeit. Doch sagt das Quanten-
Y noch nicht, wie die Welt wirklich ist. Die Kopenhagener Deutung bleibt eine vorsichtige, unsere Erkennt­nisfähigkeit beachtende Minimalbeschreibung. Sie macht keine das Sein betreffen­den (ontologischen) Aussagen …
Die Quantentheorie lässt manche philosophisch vorgeprägte Frage offen. Wohl jede(r) versucht insge­heim oder offen, sie durch zusätzliche philosophische Spekulationen zu bereichern. …

S.515
Wissenschaft und Verantwortung
1. Verantwortung übernehmen
„Wer ist dafür verantwortlich?" - „Kannst du dafür wirklich die Verantwortung übernehmen?" – Sol­che Fragen kennen wir aus dem Alltag. Aber was ist damit genau gemeint: „Willst du die Verant­wortung über­nehmen?“ „Weißt du genug, um die Folgen deines Handelns bewerten zu können?" - „Kannst du überse­hen, ob andere dich das Richtige tun lassen?" Einfache Fragen nach der Ver­antwortung haben also un­terschiedliche Facetten, die alle damit zu tun haben, dass Verantwortung eine ethische Dimension hat: Wir sind für (voraussehbare) Folgen unseres Handelns verantwort­lich. An den Elementen der Verant­wortungsrelation in Bild 2 sieht man, dass es nicht immer ein­fach ist, dieser Verantwortung gerecht zu werden. ...
3. Verantwortung für politische Entscheidungen
Für den Berufsalltag der an einer Universität forschenden Physikerin oder des Physikers in der Entwick­lungsabteilung eines Unternehmens spielt unter den heutigen Bedingungen der gesell­schaftlich-politische Aspekt eine weitere wichtige Rolle. Es gilt: Wissenschaft ist unpolitisch, aber politisch relevant. Die in der Wissenschaft Tätigen sind für die Gesellschaft unentbehrliche Exper­ten, aber sie können nicht den An­spruch erheben, politische Entscheidungen zu bestimmen.
Hans-Peter DÜRR schreibt dazu: „Wenn ein Kernphysiker oder Elementarteilchenphysiker zum Thema „friedliche Nutzung der Kernenergie“ seine Meinung äußert, dann misst die breite Öffent­lichkeit dieser Meinung automatisch ein besonderes Gewicht zu, da ja hier, wie sie meint, ein Fachmann seine Meinung bekundet. Dies ist strenggenommen falsch! Richtig ist, dass dieser Phy­siker aufgrund seiner speziellen Erfahrung bestimmte physikalische Fakten und Zusammenhänge umfassender, sicherer und tiefgründi­ger verstehen und würdigen kann. Solche Spezialkenntnisse befähigen ihn aber noch nicht dazu, in an­deren für das Kernenergieproblem wesentlichen Fragen, wie etwa wirtschaftlicher, soziologischer oder ökologischer Art, ein ähnlich sicheres Urteil zu erlan­gen ... Fakten und Spezialkenntnisse sind wertfrei, sie können Verknüpfungen aufzeigen, verwi­ckelte Zusammenhange übersichtlich machen und damit eine angemessene Bewertung erheblich erleichtern, sie aber nie ersetzen.“

(Quelle: P14 SCHROEDEL; Dorn / Bader: Physik Sek II; Schroedel, Hannover, 2000)

 

Auch das nächste Lehrbuch für die Sekundarstufe 2 bietet Denkanstöße zu Erkenntnis­grenzen und Wissenschaftstheorie am Beispiel von „Determinismus“, „Kosmologie“ und „Dualismus“:

 

(Quelle: P15 WESTERMANN; Kuhn Physik 2; Braunschweig, 2000)

 

 

S.91
Die Ohnmacht des laplaceschen Dämons
Der LAPLACE-Dämon, jener übermächtige Geist, der aus der Kenntnis des jetzigen Bewe­gungs­zustands aller Atome in der Lage sein sollte, die Zukunft der Welt vorherzusagen, ist in Wirk­lichkeit ein ohnmächtiger Papiertiger. Trotz des Determinismus der mechanischen Bewegungs­gleichungen ist nur eine begrenzte Vorhersage möglich und dem Zufall bleibt genügend Spielraum. Der Schlüssel zur Auflö­sung dieses scheinbaren Widerspruches liegt im Prinzip der schwachen Kausalität. Da die mechanischen Bewegungszustände nur mit endlicher Genauigkeit bekannt sind, macht der Schmetterlingseffekt, die ex­ponentielle Fehlerfortpflanzung, eine exakte Vorhersage unmöglich. …

 

S.296

Kosmologie: das physikalische Bild des Universums
… Dieses singuläre Ereignis[102] nennt man den „Urknall“. Der Urknall bedeutet die „Geburt des Univer­sums“, den zeitlichen Anfang der Welt.
Man darf sich den Urknall nicht als eine Explosion in Raum und Zeit vorstellen. Er hat nicht an einer spe­ziellen Stelle im Raum stattgefunden, vielmehr war zu diesem Nullpunkt der Zeit die Dichte überall im Universum unendlich groß. Nach heutigem Verständnis nahmen Raum und Zeit im Urknall erst ihren An­fang. Ein „vorher“ gab es nicht – eine Aussage, die unser Vorstellungs­vermögen übersteigt. …

Die kosmologischen Rätsel
Trotz der gewaltigen Fortschritte im Verständnis des Weltalls als Ganzem wirft die Kosmologie noch etli­che Rätsel auf. Aus Beobachtungen der Sternbewegungen in Galaxien erschließt man, dass bis zu 90 % der eine Gravitationswirkung ausübenden Materie in den Teleskopen nicht sicht­bar ist. Über die Natur dieser dunklen Materie weiß man kaum etwas. Hier liegt eine der großen noch offenen Fragen der Kos­mologie.
[103]
Seit 1998 häufen sich die Hinweise auf die Existenz einer kosmologischen Konstanten. Damit be­zeichnet man eine den ganzen Kosmos erfüllende Energie, die eine abstoßende Gravitations­wirkung be­sitzt. Sie führt dazu, dass sich die Expansion des Universums immer weiter beschleu­nigt. Wiederum kann man über ihren Ursprung nur spekulieren – möglicherweise spielt die quan­tenmechanische Vakuumener­gie eine Rolle. …

S.307
“Dualismus“ von Welle und Teilchen beim Licht
Welle oder Teilchen?
Die Interferenzerscheinungen der Lichtes lassen sich mit Hilfe der Wellenvorstellung erklären. Photo­effekt und COMPTON-Effekt verweisen dagegen stärker auf ein Teilchenmodell. Was bedeutet diese rät­selhafte Doppelnatur des Lichtes? Nach der Vorstellung der klassischen Physik stehen diese Modelle ja in krassem Widerspruch zueinander. Welche Vorstellung ist „richtig“?
Zunächst verbreitete sich die Vorstellung eines sogenannten „Dualismus“ der beiden klassischen an­schaulichen Modelle von Welle und Teilchen. Danach ist Licht nicht entweder Welle oder Teil­chen, son­dern „sowohl als auch“. Je nach den Versuchsumständen zeigt es sich als eines von bei­den …
Der Welle-Teilchen-Dualismus ist nur dann eine mysteriöse Angelegenheit, wenn man die Quan­ten­phänomene mit anschaulichen Bildern erfassen will. Solchen anschaulichen Vorstellungen widersetzen sich die Quantenobjekte hartnäckig.
Die heutige Situation ist gekennzeichnet durch die Antwort, die der amerikanische Nobelpreisträger RICHARD FEYNMAN auf die Frage „Was ist Licht?“ gegeben hat: „“Keins von beiden!“; d.h. weder Welle noch Teilchen, sondern – wie er es formuliert – „etwas Drittes“.

 

(Quelle: P15 WESTERMANN; Kuhn Physik 2; Braunschweig, 2000)

 

 

 

 


2.2.2.3  Zu Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft
             und zu Wissenschaftstheorie
             Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach
             ASTRONOMIE

 

Ein Astronomie-Lehrbuch für die gymnasiale Oberstufe beschäftigt sich im Zusammen­hang mit kos­mologischen Fragen mit den Erkenntnisgrenzen der Naturwissenschaft sowie mit philosophischen Deutungen der Befunde moderner Astrophysik:

 

(Quelle: P21 PAETEC; Astronomie, Gymnasiale Oberstufe, Paetec, Berlin 2001)

 

 

S.213 ff.
7.2 Das anthropische Prinzip
Aus der Tatsache, dass es uns Menschen im Universum gibt, leitet sich fast zwangsläufig die Frage ab, ob diese zum Menschen führende Evolution zufällig oder unabwendbar erfolgt ist. Sind wir Menschen die von Anbeginn geplante „Krone der Schöpfung" oder doch nur Produkte des Weltalls von außerordent­licher Unwahrscheinlichkeit?
Die Antwort auf diese Frage wäre bedeutungsvoll für das Verständnis unserer eigenen Rolle im Kosmos, vielleicht sogar ein Hinweis darauf, dass es hinter der von uns Menschen beobachteten und durch­forschten kosmischen Raumzeit ein transzendentes Wesen gibt, das unsere Existenz herbeigeführt hat; nicht in dem naiven Sinn der wörtlich genommenen biblischen Schöpfungs­geschichte von Adam und Eva im Paradies, sondern in einem viel raffinierteren Weltszenario.
Das gedachte transzendente Wesen könnte das Weltall gerade so erschaffen haben, dass es zur Entste­hung des Menschen kommen musste. Das sogenannte schwache anthropische Prinzip besagt:
Die beobachteten Werte aller physikalischen und kosmologischen Konstanten sind nicht gleich wahr­scheinlich; sie nehmen vielmehr Werte an unter der Einschränkung, dass es Orte gibt, an denen sich Le­ben auf Kohlenstoff-Basis entwickeln kann und das Universum alt genug ist, damit sich dies bereits er­eignet hat.
In der Tat erweist sich das Weltall in vielerlei Hinsicht als so beschaffen, dass die Entstehung von Leben möglich wurde. So musste schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt in der Geschichte des Universums eine feine Abstimmung zwischen der Dichte der Materieansammlungen, aus denen später die Galaxien ent­standen, und der Expansionsrate bestehen. Eine deutlich langsamere Ex­pansion hätte die Materie­klum­pen zusammenbrechen lassen, noch ehe es zur Ausbildung von Galaxien hätte kommen können. Eine deutlich raschere Expansion wiederum hätte dazu geführt, dass auch die Gebiete höherer Dichte ausein­ander geflogen wären. Auch in diesem Fall wären keine Galaxien entstanden.
Auch die vier grundlegenden Wechselwirkungen, die das Geschehen im Universum bestimmen, können nicht willkürlich gedacht werden, wenn es uns Menschen schließlich im Weltall geben soll. Wenn z.B. die elektromagnetische Kraft nur geringfügig größer wäre (1/1040), als wir sie vorfinden, so bestünde die Hauptreihe des HERTZSPRUNG-RUSSELL-Diagramms nur aus kühlen, roten Sternen. Diese beenden ihr Leben nicht in Supernova-Ausbrüchen, sodass es gar nicht zur Anrei­cherung schwerer Elemente im interstellaren Raum kommen könnte. Bei gleichermaßen geringerer Stärke der elektromagnetischen Kraft gäbe es hingegen nur sehr heiße und folglich kurzlebige Sterne. Auch die Gravitationskonstante muss in sehr engen Grenzen jenen Wert besitzen, den wir tatsächlich feststellen.
Die Baupläne der Biochemie sind ähnlich kritisch.
Alle diese Erkenntnisse sind im oben zitierten anthropischen Prinzip zusammengefasst.
Als starkes anthropisches Prinzip besagt es:
Das Universum muss jene Eigenschaften aufweisen, die in irgendeinem Stadium seiner Ge­schichte zur Entstehung von Leben führen.
Der Mensch hat die Eigenschaft, alle Feststellungen zu hinterfragen. Die Fakten allein reichen ihm nicht aus. Er möchte wissen, warum die Welt so beschaffen ist, wie wir sie vorfinden.
Gegenwärtig werden folgende Erklärungsmöglichkeiten für die im Weltall vorhandenen Fein­abstimmun­gen diskutiert:

1. Die Koinzidenzen sind rein zufällig. Wir haben sie zur Kenntnis zu nehmen.
2. Im Weltall gibt es eine irgendwie geartete zielgerichtete „Kraft“ die für die vorgefundene Fein­abstim­mung sorgt. Demnach gäbe es so etwas wie einen „Sinn" des Universums, nämlich die Erreichung seines „Entwicklungsziels". In der Wissenschaft genießt diese Argumentation allerdings wenig Ansehen, weil man über die teleologischen Potenzen definitiv nichts aussagen kann und auch nicht wüsste, wie man sie mit kausalen Faktoren in Beziehung bringen sollte.
3. Die Feinabstimmung ist ein Hinweis auf die Existenz einer transzendenten Macht, die mit dem Univer­sum ihre Absicht verwirklicht. Auch dieser Erklärungsvorschlag liegt außerhalb des Rah­mens wissen­schaftlicher Argumentation. Außerdem bliebe offen, warum die transzendente Macht gerade die zum Le­ben führenden Anfangsbedingungen gewählt haben sollte.
4. Die Wissenschaft selbst hat die Vielweltenhypothese zur Erklärung der Feinabstimmung vorge­schla­gen. Demnach gibt es eine Vielzahl von Welten als Teile des Universums, die sehr verschie­dene physi­kalische Eigenschaften aufweisen. In unserer Welt herrschen gerade jene Bedingungen, die zur Heraus­bildung von Leben erforderlich sind. In den anderen Welten gibt es keine Beobach­ter. Die besondere Be­deutung unseres Universums wird uns nur vorgespiegelt. In Wirklichkeit spielt unsere Welt keine ausge­zeichnete Rolle. ...

Wie immer man zu diesen Fragen steht und welche Schlüsse der Einzelne daraus auch ziehen mag, so zeigen uns diese Diskussionen doch:
Die mit den Forschungsergebnissen der modernen Astronomie verbundenen Fragen greifen tief in Pro­b­leme unseres Selbstverständnisses als Bewohner dieses Planeten, aber auch als reflektie­rende Ge­schöpfe dieses Universums
[104] ein.
Wie stets in ihrer Geschichte vermittelt die Astronomie auch heute über die exakt-naturwissen­schaftlichen Erkenntnisse hinaus vielfache Impulse, über uns Menschen nachzudenken, nach dem Sinn unserer Existenz und den Normen unseres Handelns sowie nach unserer Stellung im Welt­ganzen zu fragen. Nicht zuletzt darin liegt wohl auch die starke Faszination begründet, die von der Naturwissenschaft Astro­nomie ausgeht und weltweit ein zunehmendes Interesse breiter Kreise der Bevölkerung erweckt.

„Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht“ schrieb IMMANUEL KANT in seiner „Kritik der praktischen Vernunft" 1788, „der gestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir". Vielleicht haben diese „zwei Dinge" mehr miteinander zu tun, als wir bis­her anzunehmen bereit sind.
[105]

 

(Quelle: P21 PAETEC; Astronomie, Gymnasiale Oberstufe, Paetec, Berlin 2001)

 

Das Lehrbuch Quelle P23 Dieter B. Herrmann, Faszinierende Astronomie, Paetec, Berlin, 2000, S.154ff. gibt fast wortgleich Textpassagen wieder, die bereits oben in Ka­pitel 3.4.2.1 bei der Quelle P4 vorgestellt wurden.

 


2.2.3     Die Auseinandersetzung um das kopernikanische
             Weltbild

 

 

 

2.2.3.1 Exkurs: Ein Konflikt wird aufgebaut

 

Mit dem Ringen um die Durchsetzung des Kopernikanischen Weltbildes sind die Schü­ler schon ein paar Jahre früher, in Klasse 7, in Berührung gekommen, und zwar im Fach Geschichte.
Vielleicht haben sie damals in ihrem Lehrbuch folgendes gelesen (es handelt sich um eine fiktive Collage aus mehreren Lehrbüchern):

Um 1400 dachten die meisten Menschen in Europa, die Erde sei eine Scheibe … Das Befahren des Ozeans galt als unheimlich. ... Auch … Kopernikus … war davon über­zeugt, dass sich die Erde als flache Scheibe im Mittelpunkt des Weltalls befinde; um sie drehen sich alle anderen Planeten und die Sonne. So lehrte es die Kirche … Seine Beobachtungen und Berechnungen … ergaben ganz eindeutig, dass die Erde und die Planeten sich um die Sonne drehen. Die Lehre der Kirche von der Erde als Zentrum des Weltalls musste also falsch sein. Dreißig Jahre lang hielt Kopernikus die Ergeb­nisse in seinem Schreibtisch verschlossen. Erst kurz vor seinem Tod gab er die Erlaub­nis zum Druck seines Buches, das den Titel trug: „Über die Umlaufbahnen der Him­melskörper“. Von der Kirche wurde das Buch sofort verboten. …

Der Italiener Giordano Bruno (1548-1600) wurde für sein Bekenntnis zur helio­zentri­schen Hypothese von der römischen Inquisition als Ketzer auf dem Scheiter­haufen ver­brannt. …

… war die Autorität der Kirche herausgefordert. Das bekam Galileo Galilei zu spüren, als er die Richtigkeit des kopernikanischen Systems zu beweisen suchte. Da er nicht auf dem Scheiterhaufen enden wollte, gab er vor, sich geirrt zu haben, und kam mit lebenslangem Hausarrest davon. Seine Schriften wurden verbrannt. …

 

Damit ergibt sich ein „Stimmungs“-Bild, das sich unauslöschlich in vielen Köpfen einge­prägt hat.

Die im folgenden in den ausführlichen Zitaten angebrachten Fußnoten zu einzelnen An­gaben verweisen auf manche Ungereimtheiten.


 

(Quelle: G3 CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Entdecken und verstehen 7, Cornelsen Verlag Berlin, 2005, S.7ff.)
„Um 1400 dachten die meisten Menschen in Europa, die Erde sei eine Scheibe, die auf dem Wasser, dem Ozean, schwimme. Kein Mensch könne auf der anderen Seite der Erde mit dem „Kopf nach unten“ leben. Das Befahren des Ozeans galt als unheimlich.[106] ... Auch der polnische Priester und Astronom Kopernikus … war davon überzeugt, dass sich die Erde als flache Scheibe im Mittelpunkt des Weltalls befinde[107]; um sie drehen sich alle anderen Planeten und die Sonne (Abb.2). So lehrte es die Kirche[108] … Seine Beobachtungen und Berechnungen … ergaben ganz eindeutig[109], dass die Erde und die Plane­ten sich um die Sonne drehen. Die Lehre der Kirche von der Erde als Zentrum des Weltalls musste also falsch sein. Dreißig Jahre lang hielt Kopernikus die Ergebnisse in seinem Schreibtisch verschlossen. Erst kurz vor seinem Tod gab er die Erlaubnis zum Druck seines Buches, das den Titel trug: „Über die Umlaufbahnen der Himmelskörper[110]. Von der Kirche wurde das Buch sofort verboten[111].“

 

(Quelle: G1 C.C. BUCHNER; Buchners Kolleg Geschichte – Ausgabe C, Die Herausbildung des modernen Europa; C.C. Buchners Verlag, Bamberg 1995, S.70)

 

 

„Der Italiener Giordano Bruno (1548-1600) wurde für sein Bekenntnis zur heliozentrischen Hypothese von der römischen Inquisition als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt.“ [112]

 

(Quelle: G7 Klett, Geschichte und Geschehen, 3, Sachsen, Sekundarstufe I, Ernst Klett Schul­buchverlag, Leipzig 2006, S.14, fast wortgleich G8, S.14)

 

 

„Damit war die Autorität der Kirche herausgefordert. Das bekam Galileo Galilei zu spüren, als er die Rich­tigkeit des kopernikanischen Systems zu beweisen suchte. Da er nicht auf dem Scheiterhaufen enden wollte, gab er vor, sich geirrt zu haben, und kam mit lebenslangem Hausarrest davon. Seine Schriften wurden verbrannt[113]. So bestimmte das geozentrische Weltbild noch lange Zeit das Bewusstsein der meisten Menschen. Im 18. Jahrhundert begann sich das heliozentrische Weltbild durchzusetzen.“

 

Die Kommentare in den Fußnoten machen vielleicht deutlich, an wie vielen Stellen hier nicht sachgemäß informiert wird. Die verkürzte Darstellung – auf der einen Seite mutige Naturwissenschaftler mit untrüglichen Beweisen, als ihr Gegenspieler eine nicht lern­fähige Kirche mit ideologischen Scheuklappen, die gewaltsam ihren Einfluss verteidigt – stimmt nicht mit dem tatsächlichen Verlauf der Auseinandersetzung überein.

 

(Quelle: Q58 GEO kompakt 14, Die 100 größten Forscher aller Zeiten, 2008

 

 

„Es gehört zum Mythos der modernen Naturwissenschaft, dass ihre frühen Entdeckungen die Menschen wie selbstverständlich überzeugt hätten, allein durch die Macht ihrer Wahrheit. Und dass nur verstockte Ewiggestrige wie die kirchlichen Inquisitoren sich deren Evidenz verweigert hätten.
Aber so ist es nicht gewesen.

 

Differenziertere Darstellungen finden sich in Lehrbüchern für das Fach Astronomie, auf die in diesem Kapitel noch eingegangen wird:

·        Quelle: P21 PAETEC; Astronomie, Gymnasiale Oberstufe, Paetec, Berlin 2001

·        Quelle: P23 PAETEC; Dieter B. Herrmann; Faszinierende Astronomie; Paetec, Berlin, 2000
(entsprechende Zitate aus beiden Lehrbüchern werden in Auszügen wiedergegeben in diesem Kapitel weiter unten)

sowie in weiteren Quellen:

·        Quelle: Q58 GEO kompakt 14, Die 100 größten Forscher aller Zeiten, 2008

·        Quelle: Q70 WIKIPEDIA; zu „Kopernikus“, „Galilei“ und „Religion und heliozentri­sches Weltbild“; gelesen 16.12.08
(ausführliche Zitate aus diesen beiden Quellen werden in Auszügen wiedergegeben in Teilband 4 = Kapitel 4.2).

Eine weitere gute und differenzierte Darstellung des Konfliktes findet sich auch bei:

·        Quelle: Q81 Drake, Stillman: Galilei, Herder/Spektrum, Freiburg o.J. (nach 1999, ISBN: 3-926642-38-6)

 

 

 

2.2.3.2  Die Auseinandersetzung um das kopernikanische
             Weltbild
             Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach
             PHYSIK für die Sekundarstufe 1

 

In den Physik- und Astronomie-Lehrbüchern der Sekundarstufe 1 wird das Thema durchgängig etwas differenzierter dargestellt, enthält aber oft dennoch Unklarheiten.

 

Zunächst zwei Stimmen aus dem Hause „Volk und Wissen“:

(Quelle: P1 CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Physik plus Gymnasium 10, Sachsen, Cornelsen, Berlin, 2006, S.68;
wortgleich P2 CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Physik Mittelschule 9/10, Sachsen, Cornelsen, Berlin, 2006, S.56)

 

 


KOPERNIKUS arbeitete dieses heliozentrische System detailliert mathematisch aus. Da sein Sys­tem aber nicht nur der Anschauung, sondern auch der Lehrmeinung der katholischen Kirche wider­sprach, ließ er offen, ob er sein System als besonders einfache Rechenmethode vorschlug oder ob er es als Modell für die Wirklichkeit verstanden wissen wollte. …
Als JOHANNES KEPLER herausfand, dass sich die Planetenbahnen mit Ellipsen viel genauer beschrei­ben lassen als mit Kreisen, zerstörte er die Vorstellung, Gottes Wirken äußere sich in perfekten Kreis­bewegungen.
[114]

P1 S.69:
(Beobachtungen des GALILEI: Jupitermonde, Venusphasen)
Diese Beobachtungen stützten zwar das heliozentrische System. Sie bewiesen aber nicht, dass die Erde die Sonne umläuft. Die Behauptung, die Erde bewege sich, widersprach jedoch der katholi­schen Glau­benslehre. GALILEI …

 

P2 S.57:
(Beobachtungen des GALILEI: Jupitermonde, Venusphasen)
Diese Beobachtungen stützten zwar das heliozentrische System. Sie bewiesen es aber für die katholi­sche Kirche nicht.
[115] [116]GALILEI …

 

Ein anderes Lehrbuch weist zunächst darauf hin, dass das Weltbild des Ptolemäus eine wichtige Geistesleistung darstellte:

 

(Quelle: P3 DUDEN / PAETEC; Physik Sek I, Duden Paetec, Berlin, 2005, S.12).

 

 

CLAUDIUS PTOLEMÄUS fasste die Ergebnisse zusammen. Dieses Weltbild war eine großartige Leis­tung der antiken Wissenschaft, denn man konnte die Bewegung von Sonne und Mond vorausberechnen. So blieb dieses Weltbild viele Jahrhunderte lang erhalten …

 

Auch das nächste Lehrbuch weiß das:

 

(Quelle: P4 DUDEN / PAETEC; Physik, Gymnasium 10, Sachsen, Duden Paetec, Berlin, 2007)

 

 

S.74
Fast 1500 Jahre lang hielten die meisten Gelehrten das geozentrische Weltbild für die richtige Beschrei­bung des Alls. Erst Anfang des 16. Jahrhunderts zog NIKOLAUS KOPERNIKUS in Betracht, dass sich die Erde um die Sonne bewegen könnte. …
KOPERNIKUS hielt noch an der alten Vorstellung der Kreisbahnen fest. Deshalb waren die von ihm be­rechneten Positionen der Planeten nicht genauer als diejenigen, welche man im geo­zentrischen Weltbild ermittelt hatte
[117]

S.75
Die Menschheit benötigte über 100 Jahre, um sich vom geozentrischen Weltbild zu lösen. Die ver­meint­liche Mittelpunktstellung der Erde war mit vielen religiösen und philosophischen Vorstellungen verknüpft, von denen man sich nicht trennen wollte. …

 

Um eine noch klarere Darstellung bemüht sich ein Lehrbuch für die Sekundarstufe 2 (Quelle P14; s. im anschließenden Kapitel 2.2.3.3).


2.2.3.3  Die Auseinandersetzung um das kopernikanische
             Weltbild
             Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach
             PHYSIK für die Sekundarstufe 2

 

Das Lehrbuch P14 führt unter anderem aus:

(Quelle: P14 SCHROEDEL; Dorn / Bader: Physik Sek II; Schroedel, Hannover, 2000, S.126)

 

 

Vom Mythos zur Wissenschaft
Die Grundvorstellung der griechischen Kosmologie war folgende: Die Erde ruht im Zentrum der Welt und von hier aus steigt man auf zu immer höheren Sphären, bis man die Fixsternsphäre, als oberste und voll­kommenste, erreicht. Diese Sphären in Kugelform [118]wurden als ideale Gestalten mit vollendeter Symmetrie betrachtet. Aufgabe der Himmelsmechanik war es, die Bewegung der Gestirne auf gleich­mä­ßige Kreisbewegungen zurückzuführen. Um die Bewegung der Sonne, des Mondes, der Planeten und der Fixsterne durch Bewegung auf Kreisen zu beschreiben, brauchte EUDOXOS, ein Schüler PLATOS, allerdings schon 27 ineinander gelagerte Hohlkugeln. …

Die kopernikanische Wende
NIKOLAUS KOPERNIKUS (1473-1543), Domherr [119] von Frauenburg in Ostpreußen, gab in seinem be­rühmten Werk De revolutionibus orbium coelestium (Über die Umdrehung der Himmelskreise) den geo­zentrischen Standpunkt auf. Er beließ aber noch die Kreisbahnen. Sein heliozentrischer Standpunkt war für die meisten Gelehrten und Theologen unannehmbar. …
Doch die Einwendungen gegen KOPERNIKUS waren groß und scheinbar berechtigt. Ein Gegen­argu­ment des genauen Beobachters Tycho BRAHE war: Wenn die Erde um die Sonne läuft, so müssen wir die Fixsterne im Abstand von einem halben Jahr von zwei weit entfernten Stellungen gegeneinander ver­schoben sehen. Diese Parallaxe konnte jedoch wegen der großen Entfernung der Fixsterne erst im 19. Jahrhundert gemessen werden. Zu Zeiten von KOPERNIKUS aber fand man keine Fixsternparallaxe und hielt das heliozentrische Weltbild damit für widerlegt.
[120]

 

Die klarsten Darstellungen zum Konflikt über das kopernikanische Weltbild und die be­teiligten Akteure liefern Lehrbücher zum Fach Astronomie (siehe das folgende Kapitel 2.2.3.4).

 


2.2.3.4  Die Auseinandersetzung um das kopernikanische
             Weltbild
             Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach
             ASTRONOMIE

 

 

Hier ein erstes Beispiel:

(Quelle: P21 PAETEC; Astronomie, Gymnasiale Oberstufe, Paetec, Berlin 2001)

 

 

S.5
Vom Dunkel der Vorzeit zur Wissenschaft Astronomie
Oft sind die himmelskundlichen Kenntnisse in stark symbolhafte mythologische Gewänder gekleidet und müssen erst entschlüsselt werden. Hieraus ergibt sich eine der großen Schwierig­keiten der Paläo­astronomie, zumal ein beträchtlicher Interpretationsspielraum entsteht, der oft zu wissenschaftlichen Kontroversen über die Aussagekraft der „Dokumente“ führt.
Verständlicherweise können Astronomen oder Astronomiehistoriker allein diese Forschungen nicht betreiben. Hier bedarf es der engen interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Astronomen, Archäo­lo­gen, Ethnologen, Kunst- und Religionswissenschaftlern sowie Philologen.
[121]

S.13f.
Die philosophisch-religiöse These von der Göttlichkeit der Gestirne hat PTOLEMÄUS seiner Theo­rie be­wusst zugrunde gelegt
[122], wie er selbst schreibt:
“Wenn wir uns die Aufgabe gestellt haben, auch für die fünf Wandelsterne … den Nachweis zu füh­ren, dass ihre scheinbaren Anomalien alle vermöge gleichförmiger Bewegungen in Kreisen zum Ausdruck gelangen, weil nur diese Bewegungen der Natur der göttlichen Wesen entsprechen, während Regellosig­keit und Ungleichförmigkeit ihnen fremd sind …“
Das geozentrische Weltsystem des PTOLEMÄUS befand sich im Einklang mit dem Augenschein, mit den anerkannten philosophischen Prämissen seiner Zeit und mit der Physik des ARISTOTE­LES. …
Die allseitige Übereinstimmung der ptolemäischen Theorie mit Physik, Augenschein und „Zeitgeist“ sicherte ihr hohe Anerkennung und lieferte zugleich stichhaltige Argumente gegen all ihre Kritiker. …
[123]

S.16f.
Obwohl COPERNICUS nach Beendigung seiner Studien „hauptberuflich" im Dienste der Kirche stand, seinen Onkel bei dessen Tätigkeit als Bischof des Ermlandes unterstützte und sogar selbst einer der Domherrn von Frauenburg wurde, beschäftigte er sich in seinen Mußestunden immer in­tensiver mit der Astronomie. ...
Allerdings hält COPERNICUS an der Kreisbahn der Himmelskörper fest. Zwar beruft er sich dabei nicht mehr auf die Göttlichkeit der Gestirne, sondern auf das geometrische Argument, dass die Himmelskörper kugelförmig seien und die ihnen gemäßen Bahnen daher kreisförmig. Dennoch hat dieses Postulat schwerwiegende Folgen: COPERNICUS ist gezwungen, das antike Rüstzeug der Epizykel und Deferen­ten weiterhin zu verwenden, um die beobachteten Bewegungen beschreiben zu können. ...
So stellt das Hauptwerk des COPERNICUS eine seltsam widersprüchliche Mischung aus Elemen­ten der antiken Astronomie und einer wahrhaft revolutionären Abkehr vom Kerngedanken des ptolemäischen Weltsystems, der Mittelpunktstellung der Erde, dar.
Die Hoffnung, dass auf der Grundlage der Hypothese des COPERNICUS bessere Tafeln zu be­rechnen wären, die zur völligen Übereinstimmung zwischen Prognose und Realität führen, erfüllte sich nicht. Die „Prutenischen Tafeln", die ERASMUS REINHOLD (1511-1553) aus den kopernika­nischen Daten berech­net hatte, wichen von den tatsächlichen Positionen der Planeten deutlich ab.
Ein entscheidendes Argument gegen COPERNICUS ergab sich daraus, dass keine Fixstern­parallaxen festzustellen waren: Wenn sich die Erde tatsächlich um die Sonne bewegt, hätte sich diese Bewegung in einer mit Jahresperiode schwankenden Position der Fixsterne widerspiegeln müssen. Davon war jedoch nichts zu bemerken.
Wie bereits COPERNICUS behauptete, war dies eine Folge der Kleinheit des Effekts, der mit den dama­ligen Messmethoden nicht festzustellen war. Es dauerte immerhin etwa 300 Jahre, bis die ersten Fix­sternparallaxen tatsächlich messtechnisch erfasst werden konnten.
[124]

S.18f.
Auf dem Erkenntnisweg von COPERNICUS zu NEWTON kam es zu einer der dramatischsten Ausein­an­dersetzungen zwischen Geist und Macht, zwischen Naturwissenschaft und Kirche. An dem Konflikt wird exemplarisch deutlich, wie tief die althergebrachte geozentrische Weltvorstellung zum Bestandteil einer für verbindlich erklärten Weltsicht geworden war, zu einer ideologischen Hülle des katholischen Chris­tentums - ein Vorgang, der in der Geschichte keineswegs einmalig ist. …
Zu Lebzeiten des COPERNICUS gab es noch keinen Konflikt zwischen der katholischen Kirche und den Verfechtern des heliozentrischen Weltsystems. …
Durch die erheblichen Abweichungen zwischen dem gebräuchlichen julianischen Kalender und den Posi­tionen der Sonne war eine Unordnung in das Kalendersystem gekommen, die der Kirche ernsthafte Sor­gen bereitete. Die Ursache lag in der unzutreffenden Annahme über die Länge des Jahres von 365,25 Tagen, wie sie dem julianischen Kalender zugrunde lag. Zur Lebenszeit des COPERNICUS klaffte zwi­schen dem kalendarischen Frühlingsanfang und dem astronomischen Frühlingsanfang bereits eine Lücke von ca. 10 Tagen. …
Da die beweglichen Feste im Kirchenkalender (Ostern und Pfingsten) direkt an das Datum des Frühlings­anfangs angeschlossen sind (Ostern ist z. B. der erste Sonntag nach dem ersten Voll­mond nach Früh­lingsanfang), wusste man nicht mehr, wann eigentlich wirklich Ostern war.
Daher nahm die Kirche jede Bemühung um eine Reform der Astronomie mit großem Interesse auf. Ein prinzipieller Widerspruch zwischen kirchlichen Lehren und astronomischen Thesen war damals nicht zu erkennen. Es gab aber vereinzelt auch Äußerungen aus kirchlichen Kreisen, in denen auf die Unverein­barkeit von (wörtlich ausgelegten) Bibelstellen mit der Lehre des COPERNICUS hin­gewiesen wurde.

(Quelle: P21 PAETEC; Astronomie, Gymnasiale Oberstufe, Paetec, Berlin 2001)


weiter aus (Quelle: P21 PAETEC; Astronomie, Gymnasiale Oberstufe, Paetec, Berlin 2001)

 

So bezog sich z.B. MARTIN LUTHER (1483-1546) auf das Buch Josua im Alten Testament der Bibel (Josua 10, 12-13), wo es heißt, dass Josua die Sonne stillstehen hieß und sie „beinahe einen ganzen Tag" später unterging als gewöhnlich. Josua konnte aber der Sonne nur befehlen stillzu­stehen, wenn sie sich vorher bewegt hatte, argumentierte LUTHER. Und COPERNICUS wird von ihm als „Narr" bezeich­net, der die „ganze Kunst Astronomie umkehren“ wolle.[125] Die Auslegung der Bibel in ihrem buchstaben­getreuen Sinn stieß aber auf den Widerstand namhafter Naturforscher, so z.B. auch KEPLERS, der ausdrücklich hervorhob: „In der Theologie gilt das Gewicht der Autori­täten, in der Philoso­phie aber das der Vernunftgründe." Und an anderer Stelle: „Heilig ist zwar Laktanz, der die Kugelgestalt der Erde leugnete, heilig Augustinus, der die Kugelgestalt zugab, aber Antipoden leugnete, heilig das Offizium unserer Tage, das die Kleinheit der Erde zugibt, aber ihre Bewegungen leugnet. Aber heiliger ist mir die Wahrheit, wenn ich, bei aller Ehrfurcht vor den Kirchlehrern, aus der Philosophie beweise, dass die Erde rund, ringsum von Antipoden bewohnt, ganz unbedeutend und klein ist und auch durch die Ge­stirne hineilt".
Hier deutete sich bereits ein Konflikt zwischen Kirche und Naturwissenschaft an, der sich rasch drama­tisch zuspitzen sollte und im Urteil der römischen Inquisition gegen GALILEI (1564 bis 1642) einen histo­rischen Gipfelpunkt erreichte. Der eigentliche Kernpunkt bestand allerdings weniger darin, wie man die Bibel richtig auslegen sollte und welche Kompetenz der Wissenschaft überhaupt zukommt, sondern in dem grundsätzlichen Angriff auf das christlich-aristotelische Weltbild. Die Stellung des Menschen im „Welttheater" erfuhr eine durchgreifende  Änderung: Der Mensch sollte sich künftig nicht mehr im Zen­trum der Welt befinden (folglich übrigens auch der Papst nicht mehr) und die Reiche von „unten" und „oben" gerieten in Gefahr. Oben - das war die Welt der Seligen, die in Gottes Nähe wohnten. Unten - das war die Welt der Menschen, ferner von Gott, wenn auch seinem sorgenden Auge ausgesetzt und auf Er­lösung hoffend.
Diese sittliche Weltordnung der Kirche war es, die gefährdet schien durch die Anerkennung der helio­zentrischen Lehre des COPERNICUS und deshalb entbrannte der Konflikt. ...
Erst 1992 - im 350. Todesjahr GALILEIS – wurde der Gelehrte durch Papst Johannes Paul II. rehabilitiert.
[126]
Ein für alle Mal erklärte der Papst in diesem Zusammenhang, aus der Bibel könne man nicht die Einzel­heiten der physikalischen Welt entnehmen, deren Kenntnis sei „der Erfahrung und dem Nachdenken des Menschen anvertraut"
. Vielmehr gäbe es zwei Bereiche des Wissens: „Der eine hat seine Quelle in der Offenbarung, der andere aber kann von der Vernunft mit ihren eigenen Kräften entdeckt werden".
Die Auseinandersetzungen um die heliozentrische Lehre haben den Fortgang der Wissenschaft insge­samt wenig beeinflusst, obwohl das Hauptwerk des COPERNICUS seit dem Jahre 1616 praktisch ver­boten war, weil die dort geäußerten Meinungen „nicht zum Verderben der katholi­schen Wahrheit weiter um sich" greifen sollten.

 

(Quelle: P21 PAETEC; Astronomie, Gymnasiale Oberstufe, Paetec, Berlin 2001)

 

Zitate aus einem weiteren Astronomie-Lehrbuch ergänzen die vorstehenden Ausfüh­rungen:

 

(Quelle: P23 PAETEC; Dieter B. Herrmann; Faszinierende Astronomie; Paetec, Berlin, 2000)

 

 

S.12f.
Das griechische Weltsystem entsteht …
Einen bedeutsamen Einfluss auf die Herausbildung des griechischen Weltsystems übte die Lehre von PLATON (427-347 v.Chr.) aus. Für ihn waren die Sterne und die Planeten Lichter, in denen das Denken der „Weltseele“ zum Ausdruck kommt. Deshalb konnten sich die Sterne nur auf der vollkommensten denkbaren geometrischen Bahn, dem Kreis, bewegen.
Daraus ergab sich für die Astronomen die Zielstellung, alle beobachteten Bewegungen auf Kreis­bewe­gungen zurückzuführen. …
Mit dem geozentrischen Weltbild wurde eine Vorstellung vom Aufbau des Weltalls entwickelt, die eine der großartigsten Leistungen der antiken Wissenschaft war. Mit seiner Hilfe gelang es, die Positionen der Wandelsterne im Voraus zu bestimmen. Das war zugleich ein überzeugendes Argument für die Richtig­keit des Weltbildes.
Ein weiterer Vorzug des geozentrischen Weltbildes war seine Übereinstimmung mit der damals fort­ge­schrittensten Physik, (der) des ARISTOTELES (384-322 v.Chr.). Nach ARISTOTELES haben alle Kör­per die Eigenschaft, sich zu ihrem „natürlichen Ort“ zu bewegen. Der „natürliche Ort“ der schweren Kör­per sollte die Weltmitte sein. Da die Erde zweifellos ein schwerer Körper ist, musste sie sich nach der Theorie vom „natürlichen Ort“ in der Weltmitte befinden.

S.15
Bereits im Jahre 1502 begann der bedeutende Forscher NIKOLAUS KOPERNIKUS mit der Aus­arbeitung eines Weltbildes, bei dem nicht die Erde, sondern die Sonne im Zentrum steht.
Von diesem Gedanken ausgehend, arbeitete KOPERNIKUS fast 30 Jahre lang daran, das helio­zentri­sche Weltbild mathematisch so zu entwickeln, dass es dem geozentrischen System des PTOLEMÄUS zumindest ebenbürtig war.
[127] Dabei hielt er auch an der Auffassung fest, dass sich alle Planeten auf Kreis­bahnen bewegen. Seine Erkenntnisse fasste KOPERNIKUS in einem Werk zusammen, das 1543 unter dem Titel „Über die Umschwünge der himmlischen Kreise“ (De revolu­tionibus orbium coelestium) erschien.
Beweise für die Hypothese von der Mittelpunktstellung der Sonne hatte KOPERNIKUS nicht.

S.16f.
Streit um das Weltbild
Das Werk des KOPERNIKUS führte wenige Jahrzehnte nach dem Tod seines Verfassers zu einer stür­mischen Debatte, die sowohl mit rein fachlichen Argumenten als auch zunehmend mit Blick auf die christ­liche Lehre geführt wurde.
Zunächst wurde behauptet, die Hypothese des heliozentrischen Weltbildes stehe im Widerspruch zur Bibel. Doch bald ging es um mehr als nur um Bibelzitate. Die Einmaligkeit der Offenbarung, die Berichte vom Sündenfall und von der Erlösung passten nicht zu einer Lehre, deren Kernpunkt in der Behauptung bestand, die Erde sei nur ein Planet unter anderen.
GIORDANO BRUNO (1548-1600) vertrat, ausgehend von der Lehre des KOPERNIKUS, die Auf­fassung, dass es unzählige Planeten im Universum gäbe, die ebenso von denkenden Wesen be­wohnt seien wie die Erde …
Etwa ab 1616 wurde die Lehre des KOPERNIKUS zu einer Glaubenssache der Kirche. Die Aus­einander­setzungen der Inquisition mit den Auffassungen GALILEIS führten zu seiner formalen Verurteilung. Die Beschäftigung mit dem Fall GALILEI hat seither niemals aufgehört.
Unter Papst JOHANNES PAUL II. wurde eine Überprüfung des Falls GALILEI eingeleitet, die 1992 – im 350. Todesjahr des Gelehrten – zu dessen Rehabilitation durch die Kirche führte.
Der Papst erklärte in diesem Zusammenhang vor der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, der Fall GALILEI könne der Kirche die bleibend aktuelle Lehre für ähnliche Situationen sein: „Galilei, der praktisch die experimentelle Methode erfunden hat, hat dank seiner genialen Vorstel­lungskraft als Physiker und auf verschiedene Gründe gestützt verstanden, dass nur die Sonne als Zentrum der Welt, wie sie damals be­kannt war, ... infrage kam. Der Irrtum der Theologen von damals bestand dagegen am Festhalten an der Zentralstellung der Erde in der Vorstellung, unsere Kenntnis der Strukturen der physischen Welt wäre irgendwie vom Wortsinn der Heiligen Schrift gefordert. ... Tatsächlich beschäftigt sich die Bibel nicht mit den Einzelheiten der physischen Welt, deren Kenntnis der Erfahrung und dem Nachdenken des Men­schen anvertraut wird."

 

(Quelle: P23 PAETEC; Dieter B. Herrmann; Faszinierende Astronomie; Paetec, Berlin, 2000)

 

 


2.2.4 Annäherung an eine Grenzfrage: „Urknall“

 

2.2.4.1 Annäherung an eine Grenzfrage: „Urknall“
            Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach
            PHYSIK für die Sekundarstufe 1

 

Die Frage nach der physikalischen Herkunft des Universums wirft naturgemäß grund­sätzliche und philosophische Fragen auf, auch solche nach Erkenntnisgrenzen der Na­turwissenschaft. In Physik-Lehrbüchern für die Sekundarstufe 1 werden solche Aspekte aber kaum thematisiert (das geschieht z.B. „sparsam“ in P4 S.80f.; P6 S.110).

 

2.4.4.2 Annäherung an eine Grenzfrage: „Urknall“
            Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach
            PHYSIK für die Sekundarstufe 2

 

Ein Lehrbuch weist auf eine interessante Fußnote der Wissenschaftsgeschichte hin:

(Quelle: P13 METZLER; Grehn, J. / Krause, J. (Hrsg.): Physik, Schroedel Verlag, Hannover, 1998, S.548)

 

 

15.1.4 Die Expansion des Universums
... ein stabiles und damit stationäres Universum sollte es nach EINSTEINS Gravitationstheorie jedoch nicht geben. FRIEDMANNS Erkenntnis von einem instabilen Kosmos blieb zunächst unbe­achtet, bis der belgische Abbe George LEMAITRE
[128]das Problem aufgriff und, gestützt auf HUBBLES Beobachtung, die Vorstellung von einem expandierenden Universum entwickelte, das in einer großen Explosion, dem so genannten Urknall, seinen Anfang nahm. Nach dieser heute all­gemein akzeptierten Theorie ... [129]

 

Auch die Darlegungen in einem weiteren Lehrbuch „verlocken“ zu grundlegenden philo­sophischen Überlegungen:

 

(Quelle: P14 SCHROEDEL; Dorn / Bader: Physik Sek II; Schroedel, Hannover, 2000)

 

 

S.530
Der Urknall und die Hintergrundstrahlung
… dass einst alle Masse, alle Energie, auf ein Universum von winzigem Ausmaß konzentriert war. Außerhalb und vorher existierte nichts, kein Raum, keine Zeit! Das Universum hatte also einen Anfang
[130]

S.531
Wir sind Sternenstaub
… Der Kohlenstoff in unseren Zellen, das Eisen im Blut und das Kalzium in unseren Knochen ist früher einmal durch Supernova-Explosionen in den Weltraum geschleudert worden. Wir bestehen also aus Sternenstaub.
[131]

 

Auch das Lehrbuch P15 bringt auf S.296f. ähnliche Gedanken ein, besonders Denk­anstöße zu Erkenntnisgrenzen und Wissenschaftstheorie (zitiert in Kapitel 2.2.2.2)

 

Der nächste Text geht ausführlich auf philosophische Implikationen der Urknall­physik ein und wird wegen seiner Prägnanz ausführlich wiedergegeben:

 

(Quelle: P16 WESTERMANN; Kuhn, Physik, Band 2 12/13; Braunschweig, 2004, S.513-524)

 

 

Modelle des Universums
47. Kosmologie
47.1 Kosmologie und Elementarteilchenphysik

In den vorhergehenden Abschnitten haben wir gesehen, wie die Physik versucht, die vielfältigen Erschei­nungen der Natur mit Hilfe weniger elementarer Bausteine zu erklären. Dabei ist man immer weiter in den Mikrokosmos vorgestoßen, d. h. man analysierte immer kleinere Teile der Materie.
Es entstand ein Bild der Materie, in dem man viele Eigenschaften komplexer Systeme verstehen kann, wenn man nur die Existenz und die speziellen Eigenschaften der fundamentalen Teilchen (bzw. der fun­damentalen Quantenfelder) als gegeben voraussetzt. Damit muß die Suche nach tief­liegenden Erklärun­gen jedoch nicht aufhören.
Woher kommen die Elementarteilchen?
War die Materie schon immer so, wie sie heute ist?

Kann man die gegenwärtigen Eigenschaften der fundamentalen Teilchen mit Hilfe ihrer Ent­stehungs­ge­schichte besser verstehen?
Diese Fragen verweisen auf eine Beschäftigung mit der Entwicklung des Universums. Die Ver­knüpfung von Elementarteilchenphysik und Kosmologie, also die Verknüpfung der Theorien von Mikrokosmos und Makrokosmos sind ein faszinierender Zweig der gegenwärtigen Forschung. Die Symbiose von Kosmolo­gie und Elementarteilchenphysik gibt den Astrophysikern die Möglichkeit, physikalische Details der Vor­gänge in der Frühzeit des Universums zu verstehen, und hilft ande­rerseits den Teilchenphysikern, das Verhalten der Materie unter extrem hohen Temperaturen zu erklären und vermittelt wesentliche Einblicke in die Entstehung der Elementarteilchen. …

47.2 Entwicklung des Universums
In Kap. 9 sind wir auf die historische Entwicklung der Kosmologie eingegangen. In allen Kulturkrei­sen gibt es Schöpfungsgeschichten. Der entscheidende Aufbruch zu einer wissenschaftlichen Beschreibung und Erklärung des Aufbaus des Kosmos vollzog sich in der Antike, als griechische Denker die Schöpfungs­ge­schichten und mythologischen Vorstellungen über die Natur durch neue Erklärungsmethoden ersetz­ten, in denen nicht mehr das Wirken von Göttern, sondern die gesetz­mäßige Ordnung der Naturkräfte zur Er­klärung der Phänomene herangezogen wurden. Am einflußreichsten war das kosmologische Modell des Aristoteles, das noch das ganze Mittelalter bis zur „kopernikanischen Wende" prägte. Seit Kopernikus und der Erfindung des Fernrohres galt die Erde nicht mehr als das Zentrum der Welt, sondern nur noch als ein kleiner Planet des Zentral­gestirns Sonne. Im Laufe der weiteren Entwicklung der Astronomie ver­lor auch unsere Sonne ihre Sonderstellung. Sie wurde als ein Stern unter Milliarden anderer gleichartiger Sterne in unsere Milchstraße (Galaxie) eingeordnet. Riesige moderne Teleskope haben uns die Erkennt­nis vermit­telt, daß es — ähnlich wie unser Milchstraßensystem — noch Milliarden von Galaxien gibt. …

47.5 Gravitation bestimmt die Entwicklung im Kosmos
Probleme des kosmologischen „Urknall“-Modells
Das Flachheitsproblem
Die Frage, ob das Universum sich immer weiter ausdehnt oder ob es sich wieder einmal zusam­men­zie­hen wird, hängt, wie wir gesehen haben, von der heutigen Materiedichte ab.
Wenn die Materiedichte genau mit der kritischen Dichte ρk übereinstimmt (ε = 0), dann sprechen wir von einem „flachen" Universum. Die beobachtete Dichte ρm kommt dem Wert der kritischen Dichte ρk sehr nahe.
Unser Universum ist daher „fast flach".
Diese erstaunliche Tatsache bezeichnet man als Flachheitsproblem.
Im Prinzip könnte nämlich der heutige Dichtewert entweder weit unter- oder weit oberhalb der kriti­schen Dichte ρk liegen.
Damit beim heutigen Weltalter der Wert ρm vorliegen kann, muß bei einem Weltalter von 1 s die damalige Dichte extrem genau gleich der kritischen Dichte ρk gewesen sein (Abb. 516.2). Es müßte demnach für dieses frühere Entwicklungsstadium eine extreme Feineinstellung der Materie­dichte, die nur einen maxi­malen Fehler der Größenordnung 10-15 zuläßt, existiert haben. Im Rah­men des Standardmodells ist je­doch kein physikalischer Mechanismus denkbar, der eine solche extreme Feinabstimmung hätte bewir­ken können.

Begründungsstrategien
Im Standard-Modell werden das Horizontproblem und das Flachheitsproblem durch Setzen entspre­chender Randbedingungen „gelöst". Ein solches Setzen von Anfangsbedingungen ist in der Physik ein legitimes und unvermeidliches Verfahren. Dadurch gelingt es, aus einem allgemei­nen Gesetz spezielle Aussagen für eine konkrete Situation zu gewinnen. Im naturhistorischen Kontext der Kosmologie erhebt sich jedoch die Frage:
„Was oder wer hat diese Ausgangsbedingungen gesetzt?"
Naturwissenschaftlich sucht man die Rückführung der Randbedingungen auf einen neuen physika­lischen Mechanismus.
Diese Erklärung von Anfangsbedingungen durch gesetzliche physikalische Begründungen bezeichnet man in der Wissenschaftstheorie als Übergang von einer „deskriptiven" (beschreiben­den) zu einer „explanativen" (erklärenden) Betrachtungsweise.
Dabei sollte man jedoch bedenken, daß Letztbegründungen nicht möglich sind
.

47.6 „Inflationäres" Szenarium
Um die aufgezeigten Probleme des Standard- oder Urknall-Modells zu lösen, wurden verschiedene theo­retische Konzepte entwickelt.
Das heute am meisten diskutierte Modell bezeichnet man als „Inflationäres Universum".
Sein Grundgedanke ist, daß sich das Universum in der Zeit von 10-43 bis 10-36 s (vgl. Abb. 520.1) unge­heuer schnell, d. h. in „inflationärer" Weise beschleunigt ausgedehnt hat.
Mit diesem Modell läßt sich sowohl das Horizontproblem als auch das Flachheitsproblem verste­hen.
Unser Universum ist nach dieser Vorstellung durch explosive Aufblähung eines mikrosko­pischen Bereiches entstanden
. …
Auch die Bildung von Galaxien kann in diesem Modell verstanden werden.
Die explosionsartige, beschleunigte inflationäre Aufblähung löst zwar all diese Probleme des Urknall-Modells. Aber, woher kommt eigentlich die Energie, die eine solche gewaltige Explosion bewirken kann? Es gibt zwei Möglichkeiten, diese Frage zu beantworten. Man kann das Auftau­chen der Energie als „Schöpfungsakt" aus dem „Nichts" im Sinne der christlichen Religion als eine „creatio ex nihilo" deuten (Augustinus).
Will man den Schöpfer als „Anfangsbedingung" vermeiden, dann muß man nach einem physikali­schen Mechanismus suchen, der eine Energieschöpfung aus dem „Nichts '' erklären kann.
Unser an der klassischen Physik geschultes Denken sagt uns zwar, „von nichts kommt nichts", aber die Quantenphysik hält jedoch die überraschende Erkenntnis bereit, daß das „Vakuum" kein physikali­sches „Nichts" ist, sondern daß der „leere" materiefreie Raum eine höchst kom­plexe Struktur aufweist. Den Schlüssel zum Verständnis dieser zunächst sehr überraschenden Situation liefert uns die Heisen­bergsche Energie-Zeit-Unschärfe
[132]-Relation (vgl. S. 427):
ΔE  x Δt > h (12)
Sie erlaubt eine Durchbrechung des Satzes von der Erhaltung der Energie um die Größe ΔE, wenn ent­sprechend (12) Δt hinreichend kurz ist (vgl. S. 427). Die Möglichkeit einer sehr kurzfristigen Durch­bre­chung des Energieerhaltungssatzes verleiht dem Vakuum die Eigenschaft, daß in ihm ständig virtuelle Teilchen auftauchen und wieder verschwinden können. Diese „Quantenfluktuatio­nen" sind keine rein theoretischen Erfindungen. Ihr Realitätscharakter offenbart sich bei recht ungewöhnlichen physikalischen Effekten. Der eindrucksvollste Effekt zum Nachweis der Vakuum­schwankungen ist der nach dem hollän­dischen Physiker Casimir benannte Effekt. …

47.8 Epilog
Nach dieser physikalischen Erklärung erscheint uns die Evolution des Universums als spannendes Schauspiel. Die acht Akte des kosmischen Dramas sind in Kurzform in Abb. 520.1 dargestellt. Dabei wird deutlich, in welch entscheidender Weise die Regie der Handlung durch Symmetrien und Symmetrie­brechungen als Auswirkungen der verschiedenen Kraftfelder und Teilchen bestimmt wird. Von besonde­rer Dramatik ist der zweite Akt, das „Inflationäre Szenarium".
Für uns, die wir erst im letzten Akt selbst auftreten, sind trotz der inneren Geschlossenheit des fas­zinie­renden Evolutions-Modells des Kosmos Fragen offen geblieben:
Was war vor dem Urknall?
Wodurch wurde der Urknall in Gang gesetzt?
Hat er einen Zweck oder ein Ziel?
Ist die Evolution des Kosmos „geplant" oder ein rein zufällig auftretendes Ereignis?
Welche Rolle fällt uns als Beobachter und Mitspieler im kosmischen Drama zu?
Hat unser Dasein in diesem Universum einen Sinn?

Ähnliche Fragen werden auch in den Schöpfungsmythen der verschiedenen Religionen gestellt. Die dort gegebenen Antworten verweisen auf ein höheres Wesen, einen „Schöpfer" des Univer­sums, der nach seinem Bauplan dem Universum Zweck und Ziel gibt und menschlicher Existenz einen tieferen Sinn ver­leiht.
Wir wollen uns hier darauf beschränken, zu untersuchen, inwieweit es möglich ist, mit physikali­schen Methoden und Modellen Antworten oder Teilantworten auf diese jeden denkenden Men­schen bedrän­genden Fragen zu finden.
Was war vor dem Urknall?
Wenn die Frage nach dem „vor" raumzeitlich verstanden wird, dann ist sie im Rahmen des Urknall-Modells physikalisch nicht sinnvoll, weil es vor dem Big Bang weder Raum noch Zeit gab, sondern die Raum-Zeit erst in dieser gewaltigen Explosion entstanden ist. Man kann dann nicht nach einer gesetz­mäßigen Erklärung des Urknalls fragen, sondern man muß die extremen Verhältnisse zu Beginn der Explosion als physikalisch unerklärbare Anfangs- oder Randbedingungen des Urknall-Modells anse­hen.
Im Rahmen des Urknall-Modells
hat die Frage, was „vor" diesem spektakulären Ereignis war, kei­nen Sinn. Gibt es andere physikalische Modelle, die das schwierige Problem der Anfangssingula­rität ohne Rückzug auf das Setzen von Anfangsbedingungen bewältigen?
Als Versuch einer Antwort auf die Frage nach der Herkunft des Universums werden zur Zeit Modelle dis­kutiert, bei denen das Universum weder Anfang noch Ende hat. Im Rahmen solcher Modelle beginnt das Universum nicht durch einen dramatischen Schöpfungsakt sein Dasein, son­dern der Kosmos existiert ewig.
Während das Urknall-Modell einen die Explosion auslösenden „Schöpfer" nicht ausschließt, stellt sich bei diesen Modellen ohne Anfangs- und Endsituation das Problem der Herkunft der „Anfangs­bedingung" nicht in gleicher Weise.
Die Astrophysiker F. Hoyle, T. Gold und H. Bondi haben ein Steady-State-Modell entworfen, bei dem das Universum ewig „gleichbleibend" ohne Anfang und Ende ist. Danach findet „Schöpfung" permanent statt, indem zwischen den Galaxien Materie beständig neu entsteht. Dadurch wird angesichts der dau­ernden Expansion des Kosmos ein „Zustand gleichbleibender Materiedichte" aufrecht erhalten. Zur Erklä­rung der Hintergrundstrahlung, dem Kronzeugen des Urknall-Modells, hat Hoyle einen besonderen Me­chanismus ausgedacht. Bei Supernova-Explosionen alter Sterne soll deren Eisenkern in Form von winzi­gen Nadeln in den Raum zerstäuben, welche die Mikro­wellenstrahlung junger Sterne absorbieren, um sie dann als „Hintergrundstrahlung" auszusenden. Nach diesem Modell sollte in 109 m3 eine einzige dieser Eisennadeln zu finden sein. Ihr experi­menteller Nachweis scheint daher wohl aussichtslos.
Obwohl das Urknall-Modell noch nicht alle kosmischen Fragen, z. B. Galaxienentstehung, hinrei­chend erklären kann, kommt ihm wegen seiner größeren inneren Geschlossenheit im Vergleich zu den ad-hoc- Hypothesen des Stady-State-Modells der höhere Erklärungswert zu.
In jüngster Zeit hat ein rein mathematisches Modell von St. Hawking, in dem das Problem des Anfangs durch „Verräumlichung der Zeit" formal zum Verschwinden gebracht werden kann, Aufsehen erregt. Ob dieses quantenkosmologische Modell mit „imaginärer Zeit" und „kosmischer Wellenfunktion" eine physi­kalische Lösung der naturphilosophischen Problematik darstellt, ist hier das eigentliche Problem. Ideen­geschichtlich kann das Hawking-Modell als Mathematisierung der Weltsicht von Parmenides (5. Jahr­hundert v. Chr.), nach der die „wahre Welt unbeweglich und zeitlos, ohne Ende und Anfang" sei, angese­hen werden.
Bei Entstehungsprozessen verlangt unser kausales Erklärungsbedürfnis einen „Verursacher". Dabei ist jedoch zu bedenken, daß logisch gesehen der Begriff der Kausalität nicht die Forderung enthält, daß alle Kausalketten einen Anfang in der endlichen Vergangenheit haben und einem un­verursachten ersten Schöpfungsakt entspringen müssen.
Bei der Behandlung des Inflationären Szenariums, das die Rätsel des Urknall-Modells (Horizont­problem, Flachheitsproblem, Asymmetrie von Materie und Antimaterie, Galaxienbildung) weitge­hend erklären kann, sind wir bereits auf das ihm zugrunde liegende Konzept einer „Energie-Schöpfung aus dem Nichts" eingegangen. Wir haben erfahren, daß die Energie aus der Instabilität des Quantenvakuums hervorgeht. Ist dies nun die physikalische Interpretation der „creatio ex nihilo" der christlichen Lehre bzw. hat das physikalische „Nichts" doch den Charakter einer ewi­gen, sich selbst reproduzierenden „Ursubstanz"?
Die altorientalische Mythologie stellt an den Anfang ein ungeordnetes „Chaos" kosmischer Ele­mente und Kräfte. Im Rahmen der griechischen Naturphilosophie formt sich der Kosmos aus einem ewigen, zeitlich und räumlich unbegrenzten „Urstoff", dem „Apeiron" Anaximanders (vgl. S. 436), das bereits alle Tenden­zen für die spätere Entwicklung durch das Wirken eines an zielgerichteten (teleologischen) Prinzipien ge­bundenen Weltenbaumeister (Demiurgen) enthält.
Das Quantenvakuum steht offenbar begrifflich in größerer Nähe zu der Apeiron-ldee als die Vor­stellung eines absoluten „Nichts".
Hinsichtlich der Fragen, wodurch der Urknall verursacht wurde, ob ein Plan und Ziel dahinter stehen, sind in allerjüngster Zeit interessante physikalische Antworten versucht worden.
Die Entstehung der Raum-Zeit mit der Materie wird als ein einziges, spontanes Quantenphänomen ohne Ursache und Ziel („Quantenfluktuation") interpretiert. In diesem Modell wird die rätselhafte Anfangs­singularität durch die Aussage umgangen, das Universum sei durch einen „quanten­mechanischen Tun­neleffekt" (vgl. S. 436) ins Dasein getreten, also ein Ereignis, wie es eben von Zeit zu Zeit vorkommen kann. …
Es bleibt die Frage, in welchem Sinne eine solche formale Antwort ontologisch befriedigend sein kann.
Hat das Universum ein Ziel oder einen Sinn?
Die Frage, ob der Mensch letztlich das Ziel der ganzen Entwicklung des Universums sei, wird von Kos­mologen kontrovers diskutiert.
Das sogenannte Anthropische Prinzip
„Das Universum ist so, wie es ist, weil es uns Menschen gibt", kann als eine Art Gegenbewegung zum kopernikanischen Prinzip angesehen werden, das seit Kopernikus den Menschen Schritt für Schritt aus der räumlichen Mitte des Universums vertrieben hat.
Einerseits erscheint damit dem Planet Erde und seinen Bewohnern nicht der Charakter des Einma­ligen und Besonderen zuzukommen. Andererseits haben wir als intelligente Beobachter für das Universum eine existentielle Bedeutung, weil im Geist denkender Individuen das Universum erst seiner selbst an­sichtig werden, sich erkennen kann. Damit wäre der Mensch nicht zu einem „hei­matlosen Zigeuner am Rande des Universums" (Monod) degradiert, sondern auf ganz unerwartete Weise in seiner Teilhaber- und Beobachterrolle, als Wesen, in dessen Denken sich der Kosmos gleichsam „spiegelt".
Gibt es physikalische Indizien dafür, daß die Evolution des Kosmos nicht rein zufällig ist, sondern nach einem Plan verläuft?
Einen Hinweis könnte uns die Feinabstimmung der Fundamentalkonstanten geben: Elementar­ladung e, Plancksches Wirkungsquantum h, Lichtgeschwindigkeit c, Gravitationskonstante G, Hubble-Konstante H0, Masse des Elektrons me Masse des Protons mp, Stärke der starken und schwachen Wechselwirkung gs, gw.
Die Werte dieser Fundamentalkonstanten bestimmen nicht nur die Größe der Kerne, Atome und Mole­küle, sondern auch die der Planeten, Sterne und Galaxien. So hätte z. B. nur ein sehr gering­fügig größe­rer Wert der starken Kraft dazu geführt, daß beim Urknall alle Wasserstoffkerne „ver­braucht" d.h. zu He­lium fusioniert worden wären. Ohne diesen wichtigen Brennstoff wäre dann ein öder, langweiliger Kos­mos ohne Beobachter zurückgeblieben. Würde im Rahmen der Feinabstim­mung die schwache Kraft nur etwas von ihrem beobachteten Wert abweichen, dann gäbe es keine Supernova-Explosionen, aus deren „Asche" die schweren Elemente, z. B. der für die Entwicklung des Lebens wichtige Kohlenstoff, hervor­gegangen sind.
Ganz geringe Änderungen der Werte der Fundamentalkonstanten würden zu einem Kosmos führen, in dem kein menschliches Leben entstehen kann.
In dieser Sichtweise erscheint das ganze kosmische Arrangement wie ein „Maßanzug" für den Men­schen. Um in der Metapher zu bleiben, erhebt sich damit die Frage nach dem „kosmischen Schneider"
. Ist es ein personaler Schöpfer oder handelt es sich um ein bisher noch nicht erkanntes grundlegend neu­artiges Steuerungsprinzip, das im Selbstorganisationsprozeß aus dem Chaos den Kosmos formt?
Ist das Anthropische Prinzip eine Antwort auf die Frage nach Ziel und Sinn des Universums?
Aus­gangs­punkt der Überlegungen waren die deskriptiven Tatsachen der hohen Isotropie des Univer­sums, wie sie uns in der heutigen Hintergrundstrahlung erscheint und das unwahrscheinliche Fak­tum, daß unser Uni­versum nahe der kritischen Rate expandiert, die gerade den Rekollaps vermei­det, um die für die Existenz eines menschlichen Beobachters notwendigen Voraussetzungen eines bewohnbaren Universums zu schaffen.
Die Frage ist jetzt: Hatte ein verborgener Plan den Menschen zum Ziel oder ist die exakte Feinab­stim­mung der Fundamentalkonstanten nur eine subjektive Spiegelung des Zusammenhangs zwi­schen dem Beobachter und seinen notwendigen Existenzbedingungen?
Die scheinbare Unwahrscheinlichkeit kosmischer Koinzidenzen läßt sich im Rahmen der in Kap. 36.3 dis­kutierten Everett- Wheeler-Graham–Interpretation der Quantenmechanik ohne teleologi­sche Ausrichtung mit der Vielwelten-Hypothese deuten.
Demnach existieren viele Universen nebeneinander.
Die Mehrheit dieser Welten ist jedoch nicht erkennbar, weil hier eben kein Beobachter existieren kann. Beobachter gibt es nun in jenen Untermengen von Universen, welche die für seine Existenz notwendigen Bedingungen enthalten.
Obwohl die vielen Welten physikalische und keine metaphysischen Welten sind, bleibt doch die Frage, ob dieser ungewöhnliche begriffliche Aufwand als eine Erklärung der erstaunlichen Feinab­stimmung der Pa­rameter angesehen werden kann. David Lewis meint, die Vielweltenhypothese liefere zwar keine Erklä­rung, aber einen Grund, warum wir keine Erklärung benötigen.
Ziel der physikalischen Kosmologie ist es, alle zunächst als Anfangsbedingungen gesetzten Unverständ­lichkeiten aus einer selbstkonsistenten Struktur des Universums kausal aus einigen wenigen Grundprin­zipien zu erklären.
Horizont- bzw. Kausalitätsproblem und das Flachheitsproblem haben im Rahmen des Inflationären Sze­nariums eine dynamische Erklärung gefunden.
Bei diesen mathematischen Erklärungen des Kosmos müssen wir immer bedenken, daß es sich bei den augenblicklich diskutierten theoretischen Konzepten um Modellvorstellungen handelt, mit denen man versucht, physikalische Aspekte der „Wirklichkeit" in einem einfachen Bild einzufangen.
Die Beschäftigung mit der Kosmologie hat uns wichtige Einsichten hinsichtlich unserer Rolle als Beob­achter und Teilhaber des Universums vermittelt.
Dies führt zur letzten Frage:
Hat unser Leben in diesem Universum einen Sinn?
Eine Antwort kann nicht direkt aus den physikalischen Erkenntnissen deduziert werden
. I. Kant hat die Grundfragen der Philosophie prägnant formuliert:
Was kann ich wissen? -
Was soll ich tun? -
Was darf ich hoffen?
-
Antworten auf die erste Frage gibt die Physik. Die zweite Frage betrifft die Ziele und Maßstäbe unseres Handelns.
Solche „praktischen Fragen der Philosophie" sind nicht mit Hilfe der deskriptiven (theoretisch beschrei­benden) Methode der Naturwissenschaft zu beantworten.
Diese Unterscheidung betont I. Kant in einer berühmten Formulierung am Ende seiner Schrift „Kri­tik der praktischen Vernunft":
„Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der gestirnte Himmel über mir und das morali­sche Gesetz in mir."
Trotz der Verschiedenheit der „zwei Dinge" darf man dennoch hoffen, daß jene „Bewunderung und Ehr­furcht" vor dem naturgesetzlich, harmonisch geordneten Kosmos nicht ohne Wirkung auf mora­lisches, verantwortungsvolles und humanes Handeln sein kann.
Dieser Hoffnung verlieh Euripides vor zweitausend Jahren am Beginn des naturwissenschaft­lichen Den­kens dichterischen Ausdruck:
„Glücklich ist, wer Erkenntnis gewann vom erkundbaren Wesen der Dinge.
Denn er trachtet nicht nach dem Leide des Menschen.
Nicht sinnt er auf unechte Taten.
Wer überdenkt den nichtalternden Kosmos,
Wie er — unsterblicher Natur - besteht eh und je,
Erliegt nicht der Versuchung zum schändlichen Handeln!"
[133]

(Quelle: P16 WESTERMANN; Kuhn, Physik, Band 2 12/13; Braunschweig, 2004, S.513-524)

 


 


Teilband 2.3:

Auswertung der Lehrbücher
für das Fach RELIGION
(Sachsen 2007/2008)

 

 

Teilband 2.3:
Auswertung der Lehrbücher für das Fach RELIGION (Sachsen 2007/2008)

Kapitel

Inhalt

Seite

2.3

Der Umgang mit Erkenntnisgrenzen der Naturwissenschaft sowie die Darstellung und Behandlung von philosophischen und religiösen Fragen in Schullehrbüchern für das Unterrichtsfach RELIGION im Freistaat Sachsen - 2007/2008

157

2.3.1

Lehrpläne für den Freistaat Sachsen 2004 (RELIGION)

158

2.3.2

Zu Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft
und zu Wissenschaftstheorie -
Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach RELIGION

163

2.3.3

Zum Verhältnis zwischen Glaube und Naturwissenschaft -
Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach RELIGION

165

 

 


2.3   Der Umgang mit Erkenntnisgrenzen der Naturwissen-
        schaft sowie die Darstellung und Behandlung von
        philosophischen und religiösen Fragen in
        Schullehrbüchern für das Unterrichtsfach RELIGION
        im Freistaat Sachsen - 2007/2008

 

In diesem Kapitel werden zunächst die Lehrpläne des Freistaates Sachsen für das Fach RELIGION in Auszügen vorgestellt.
Anschließend sind Aussagen aus den im Schuljahr 2007/2008 zugelassenen Schul-Lehrbüchern zusammengestellt, wobei nacheinander auf zwei unterschiedliche Fragen eingegangen wird.
In den beiden Kapiteln werden die Lehrbücher in der Reihenfolge vorgestellt, in der sie im Quellenverzeichnis erfasst sind.

 

 

2.3.1   Lehrpläne für den Freistaat Sachsen 2004
           (RELIGION)

 

In den Lehrplänen werden unter anderem folgende Abkürzungen verwendet:

MS       = Mittelschule

GY       = Gymnasium

LB        = Lernbereich

Gk        = Grundkurs

LK        = Leistungskurs

WG      = Wahlgrundkurs

AST      = Astronomie

BIO      = Biologie

ETH      = Ethik

PH       = Physik

RE/e     = evangelische Religion

RE/k     = katholische Religion

 

(Quelle: Lehrpläne des Freistaates Sachsen 2004)

 

 

A1) Mittelschule evangelische Religion (MS-RE/e)

 

S.2
Ziele und Aufgaben des Faches evangelische Religion

… theologisches Reflektieren der Vieldimensionalität der Wirklichkeit

 

S.24

Klassenstufe 10

 

Lernbereich 1: Die Botschaft der Bibel

Einblick gewinnen in Theorien zur Entstehung der Welt und des Weltalls durch Nutzung ausgewählter Medien

Urknalltheorie, Evolutionstheorie
(Verweis auf BIO
[134] Kl.9, LB2) …

Anwenden der Kenntnisse über die biblischen Schöpfungsberichte im Vergleich mit naturwissenschaft­lichen Weltentstehungstheorien

Weltbilder

Schöpfungsmythen in anderen Völkern

Vergleich der biblischen Schöpfungsberichte[135]

 

Kennen von Glauben und Wissen als zwei verschiedene und zugleich zusammenhängende Zugänge zur Wirklichkeit

Naturwissenschaftliche Methoden[136]

Modellvorstellungen

 

 

A2) Mittelschule katholische Religion (MS-RE/k)[137]

 

S.25

Klassenstufe 9

 

Lernbereich 2: Botschaft der Bibel

Einblick gewinnen in Theorien zur Entstehung der Welt und des Weltalls durch Nutzung ausgewählter Medien …

Urknall- und Evolutionstheorie und deren Weiterentwicklung[138]
in Zusammenarbeit mit PH

(Verweis auf BIO[139] Kl.9, LB2 und BIO Kl.10, LB2) …

 

Anwenden der Kenntnisse über die biblischen Schöpfungsberichte im Vergleich mit naturwissenschaft­lichen Weltentstehungstheorien

Weltbilder in geschichtlicher Entwicklung

Stationen der Auseinandersetzungsgeschichte zwischen Religion und Naturwissenschaft
Kopernikus … Galilei … Bruno … Darwin …

Weltbild und Wissenschaftsverständnis des 19. Jahrhunderts

Marxismus – Leninismus als „wissenschaftliche Weltanschauung“ [140]

 

Kennen von Glauben und Wissen als zwei verschiedene und zugleich zusammenhängende Zugänge zur Wirklichkeit

Naturwissenschaftliche Erkenntnismethoden, hypothetischer Charakter, Glaube an die Erkennbarkeit der Welt

Chancen und Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis[141]

 

 

 

B1) Gymnasium evangelische Religion (GY-RE/e)

 

S.2
Ziele und Aufgaben des Faches Evangelische Religion

Das Fach Evangelische Religion hilft den Schülern, sich in der Vielfalt möglicher Lebensentwürfe und Weltdeutungen zurechtzufinden
Leistungskurs … die Schüler setzen sich … mit Themen, Texten, Inhalten und Modellen zur Welterfas­sung und Weltdeutung auseinander. Dadurch erwerben sie vertiefte Kenntnisse, stärken ihr Methoden­bewusstsein und gelangen zu einer reflektierteren Sicht auf Theologie und Philosophie sowie Welt und Gesellschaft …

Im Sinne eines hermeneutischen Zirkels sind weder Wahrnehmen, Verstehen noch Deuten endgültig ab­schließbar

multiperspektivisches Lernen


S.34

Jahrgangsstufe 11 – Grundkurs

 

Lernbereich 1: Religion und Wirklichkeit

… Kennen der Konstruktion von Wirklichkeit in Naturwissenschaft und Theologie
Begriffsklärungen
[142]:
Wirklichkeit und Wahrheit

Wahrheit und Richtigkeit

Wahrheit und Perspektivität

Wissenschafts- und Erkenntnistheorie …

Verhältnis Naturwissenschaft und Religion

Mythos und Logos


Übertragen der Kenntnisse über Naturwissenschaft und Theologie auf die Rede über Evolution und Schöpfung …
Begriffsklärungen: Schöpfung und Evolution

Historische Bedingtheit naturwissenschaftlicher Weltbilder
Exegese Gen 1-2, Ps 104
Vergleich mit antiken Schöpfungsmythen

Recherche zu neueren Weltentstehungstheorien
(Verweis auf BIO Kl.10, LB2 und PH Kl10, LB2; Interdisziplinarität und Mehrperspektivität)

 

S.41
Jahrgangsstufe 11 – Leistungskurs


Lernbereich 1: Religion und Wirklichkeit

Sich positionieren zu religiösen Phänomenen in Biografie und Alltag …
Welterklärung und Identitätsstiftung …
moderne Mythen, Kulte und rituelle Formen …
Formen säkularisierter Religion …
(Verweis auf: Reflexion und Diskursfähigkeit)

Kennen des Verhältnisses von Wissenschaft und Religion …
Begriffsklärungen:
Wissenschaft, Religion

Vernunft und Offenbarung

Theologie als Wissenschaft

Verhältnis Theologie und Naturwissenschaft

Wirklichkeit, Richtigkeit, Wahrheit und Perspektivität

Wahrheitstheorien: …

Wissenschafts- und Erkenntnistheorie …

Welterklärung durch Mythos und Logos …
Physik, Metaphysik, Religion in der Antike

Dominanz der Theologie im Mittelalter

Wissenschaftsfeindlichkeit der Kirche

Kirchen- und Religionsfeindlichkeit der Wissenschaft

Nominalismus, Aufklärung …
Glaubensbekenntnisse moderner Naturwissenschaftler …

Pro- und Kontra-Diskussion

(Verweis auf: Interdisziplinarität und Mehrperspektivität; Reflexion und Diskursfähigkeit)[143]

 


S.47

Jahrgangsstufe 12 – Leistungskurs

 

Lernbereich 2: Kirche, Reich Gottes und Eschatologie

… Kennen unterschiedlicher Raum- und Zeitverständnisse …
Subjektivität der Wahrnehmung von Raum und Zeit
naturwissenschaftliches Verständnis

Relativitäts- und Chaostheorie …

S. Hawkins[144]: „Geschichte der Zeit“
(Verweis auf: PH Lk11, LB6; Interdisziplinarität und Mehrperspektivität; Reflexion und Diskursfähigkeit)

 

 

B2) Gymnasium katholische Religion (GY-RE/k)[145]

 

S.43
Jahrgangsstufe 11 – Leistungskurs

 

Lernbereich 2: Christlicher Gottesglaube im Diskurs

Sich positionieren zum Spannungsfeld von Glauben und Wissen

Naturwissenschaft …
Glaubensbegriff, Wissensbegriff, Wahrheitsbegriff

Naturwissenschaftliche Modelle

Geschichte der Auseinandersetzung zwischen Religion und Naturwissenschaft

 

 

(Quelle: Lehrpläne des Freistaates Sachsen 2004)

 


2.3.2    Zu Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft
            und zu Wissenschaftstheorie -
            Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach
            RELIGION

 

„… da sandte das kybernetische Megahirn eine entmaterialisierte Elektronenwolke herab. Vor den Augen seines gebannt starrenden Teams betrat Commander Jesus das Kraftfeld und beamte sich zurück in die 5. Dimension …“

(Text zu einer Karikatur von MESTER, Quelle unbekannt)

 

Anschließend werden Zitate aus Lehrbüchern für den Religionsunterricht wiedergege­ben.
In der folgenden Auswertung werden nicht alle Religionslehrbücher erfasst, die in Schulen in Sachsen verwendet werden. Das liegt darin begründet, dass im Fach Religion keine verbindliche Zulassung von Lehrbüchern durch das Sächsische Bildungsinstitut erfolgt – so wurden hier nur die im Bestand des Bildungsinstitutes vorhandenen Bücher berücksichtigt.

Zum einen ist erkennbar, dass eine kritische Reflexion der Arbeitsweise und der Er­kenntnisgrenzen der Naturwissenschaften stattfindet, dass aber auch mit Methoden der historisch-kritischen Bibelexegese die Entstehungsgeschichte biblischer Texte, ihr „Sitz im Leben“ damals und ihre Bedeutung für die Lebensbewältigung hier und heute hinter­fragt werden.
Es ist zu hoffen, dass vor allen Dingen eine Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Deutungen der entsprechenden Bibeltexte stattfindet, denn im Fach Religion ist das noch weitaus wichtiger als die Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen Pro­blemen.

Die Auseinandersetzung mit den weltanschaulichen und ethischen Implikationen der modernen Naturwissenschaft (und Technik) erfolgt zum Teil auf einem an­spruchvollen, manchmal auch sehr abstrakten Niveau. Ob Religionslehrer (allein auf sich gestellt) es wirklich leisten können, sich auch mit fachspezifi­schen na­turwissenschaftlichen Aspekten in der nötigen Tiefe auseinanderzu­setzen?

Dieses hohe Abstraktionsniveau, der kommentarlose Abdruck bedeutungs­schwangerer Texte, aber das weitgehende Fehlen von formulierten Positionen machten es dem Leser schwer, Fußnoten anzubringen …

 

(Quelle: R1 VANDENHOECK & RUPRECHT; Koretzki, G.-R., Tammeus, R. (Hg.): Werkbuch Religion – entdecken, verstehen, gestalten; Materialien für Lehrerinnen und Lehrer, Göttingen 2002, S.78)

 

 

Intentionen
Die Schüler sollen …
das ständige Hinterfragen einer wissenschaftlichen Theorie als Notwendigkeit erkennen und die Vorläu­figkeit aller wissenschaftlichen Theoriebildung reflektieren …

 

(Quelle: R3 PATMOS; Zeichen der Hoffnung, Patmos Düsseldorf, 2002, S.36)

 

Der Stand der Wissenschaften
… Aber je mehr wir wissen, umso mehr wird uns bewusst, wie viel wir nicht wissen. Insgesamt spielt in der Forschung die Beherrschung der technischen Medien (Radioteleskope, Mikroskope, Computer usw.) ebenso eine Rolle wie kreative Intelligenz, Phantasie, Glück und Zufall. Alle neu gewonnenen Einsichten unterliegen grundsätzlich einer späteren Revision. Darum vermitteln die Wissenschaften keine unum­stößlichen Wahrheiten, wohl aber begründete Wahrscheinlichkeiten.

 

(Quelle: R4 CORNELSEN; Religionsbuch Oberstufe, Cornelsen, Berlin, 2006)

 

 

S.68
Wissenschaftlich denken und arbeiten
Theorien in den Naturwissenschaften

S.69
Hypothese (griech: Unterstellung): Annahme, Vermutung, mit der Protokollaussagen (etwa zum Stand der Planeten) erklärt werden sollen (z.B. durch die Annahme elliptischer Bahnen von Planeten um einen Zentralkörper im Ellipsenbrennpunkt) …

Wichtig:
Gesetze und Theorien sind grundsätzlich nie endgültig, sondern werden bereits durch eine abweichende oder gar gegensätzliche Beobachtung / Protokollaussage falsifiziert, sodass sie dann neu formuliert oder gar zurückgenommen werden müssen. …

S.70
Die Anschaulichkeit ist ein anthropologisches Element, das man in die Erkenntnis hineingetragen hat. Die Natur braucht nicht so beschaffen zu sein, dass ihre Gesetze für uns anschaulich sind.
Wohl aber gibt es innerhalb der Theorien Bilder; man macht sich auch heute noch anschauliche Bilder auf Grund einer Theorie. Aber diese Bilder stellen dann niemals die gesamte Wirklichkeit des betreffen­den Gebietes dar, sondern immer nur eine Ansicht der Wirklichkeit

 

(Quelle: R5 CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Abenteuer Mensch sein, Cornelsen Berlin 2008)

 

 

S.205
In der Wissenschaft darf es keine Sätze geben, die einfach hingenommen werden. …
Wissenschaftliche Theorien haben den Charakter von gut begründeten Vermutungen, die jedoch durch neue Erkenntnisse widerlegt werden können

S.207
Alles Wissen ist Vermutungswissen. Wir wissen zwar ungeheuer viel, aber nichts wissen wir absolut sicher. (Karl Raimund Popper)

 

(Quelle: R7 CALWER / DIESTERWEG; Kursbuch Religion, Oberstufe; Stuttgart – Braunschweig 2004, S.29)

 


Die Grenzen der Naturwissenschaft sind in ihrer Erkenntnismöglichkeit zu sehen: sie kann nicht die „Wirklichkeit / Natur an sich“ erfassen, sondern lediglich die unter ihren experimentellen Voraussetzungen erkennbare Wirklichkeit.

 

(Quelle: R8 CORNELSEN; Religionsbuch 7/8; Cornelsen, Berlin, 2001, S.64)

 

(Physikprofessor Knut Petersen:)
Wir Naturwissenschaftler machen keinerlei Aussagen über das, was unser Leben so reich macht, was uns so wichtig ist, dass wir ständig darüber nachdenken und uns mit anderen austauschen. Das, was wir erleben, was wir fühlen und glauben, Liebe und Freundschaft, Freude und auch Angst kommen in der Sprache der Naturwissenschaften nicht vor. Und deshalb darf man auch nicht zu viel von ihr erwarten.

 


2.3.3    Zum Verhältnis zwischen Glaube und
            Naturwissenschaft -
            Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach
            RELIGION

 

 

(Quelle: R1 VANDENHOECK & RUPRECHT; Koretzki, G.-R., Tammeus, R. (Hg.): Werkbuch Religion – entdecken, verstehen, gestalten; Materialien für Lehrerinnen und Lehrer, Göttingen 2002)

 

 

S.60
Die konfliktgeladene Polarität zwischen naturwissenschaftlicher Erklärung der Weltentstehung und gött­licher Schöpfung liegt vor allem darin begründet, dass aus den Erzählungen von der Schöpfung eine Schöpfungslehre gemacht wurde, von der die Kirche anfangs glaubte, sie müsse sie gegen die neuen Er­kenntnisse der Naturwissenschaften verteidigen.

S.61
Wissenschaft will den Mechanismus des Universums herausfinden, Religion seine Bedeutung (Charles Townes, Physiker)

 

(Quelle: R2 VANDENHOECK & RUPRECHT; Koretzki, G.-R., Tammeus, R. (Hg.): Religion – entde­cken, verstehen, gestalten - 9/10; Ein Unterrichtswerk für den evangelischen Religionsunterricht, Göttingen 2002)

 

 

S.86
Ich habe niemals die Existenz Gottes verneint. Ich glaube, dass die Entwicklungstheorie absolut versöhn­lich ist mit dem Glauben an Gott. Die Unmöglichkeit des Beweisens und Begreifens, dass das großartige, über alle Maßen herrliche Weltall ebenso wie der Mensch zufällig geworden ist, scheint mir das Haupt­argument für die Existenz Gottes.
(Charles Darwin)
[146]

S.89[147]


Bekenntnis der Creation Research Society
[148]
1. Die Bibel ist das geschriebene Wort Gottes, und da wir glauben, dass sie durch und durch göttlich in­spiriert ist, sind alle ihre Behauptungen in ihren ursprünglichen Manuskripten historisch und wissen­schaftlich wahr.
2. Alle Grundtypen lebendiger Wesen, den Menschen eingeschlossen, wurden geschaffen durch direkte, kreative Handlungen Gottes während der Schöpfungswoche, wie im Buch Genesis beschrieben. Welche biologischen Veränderungen seit der Schöpfung auch immer aufgetreten sein mögen, sie haben lediglich zu Veränderungen innerhalb der ursprünglich geschaffenen Arten geführt.
3. Die große Flut, die im Buch Genesis beschrieben wird und im Allgemeinen als Noahs Sintflut bekannt ist, war ein historisches Ereignis von weltweiten Ausmaßen und Auswirkungen.
4. Wir sind eine Organisation christlicher Wissenschaftler, die Jesus Christus als unseren Herrn und Retter anerkennen. Der Bericht von der besonderen Erschaffung von Adam und Eva als einem Mann und einer Frau und ihr anschließender Sündenfall ist die Grundlage für unseren Glauben an die Notwendig­keit eines Retters der ganzen Menschheit.

 

Grundzüge der Evolutionstheorie
Dieses Konzept einer aufeinander folgenden und allmählichen Entwicklung der Pflanzen- und Tierarten lässt sich auf drei Theorien reduzieren: 1. Vervielfältigung der Arten, 2. allmähliche, graduelle Evolution, 3. natürliche Selektion.
Neueste Erkenntnisse der Genetik, der Populationsbiologie und der Ökologie haben zu folgendem, er­weiterten Erklärungskonzept geführt:
1. Mutationen ergeben die genetischen Varianten und schaffen so neues Ausgangsmaterial.
2. Über die Umweltbedingungen wird eine Selektion getroffen, indem einige nicht überleben
und andere sich stärker fortpflanzen.
3. Bei der reproduktiven Trennung bilden sich zwischen Populationen Isolationsmechanismen.
4. In extrem kleinen Populationen entscheidet der Zufall bzw. die Gendrift, ob eine seltene Zustandsform eines Gens in der nächsten Generation fehlt oder doppelt so häufig auftritt.
5. Das Einnischen bzw. Annidation von mutierten Populationen in nicht genutzte Umweltbereiche kann zur Artbildung führen.

 

(Quelle: R3 PATMOS; Zeichen der Hoffnung, Patmos Düsseldorf, 2002)

 

 

S.34
Mythen handeln oft von dem, was niemals war und immer ist.
S.38
Gott macht, dass die Dinge sich selber machen (Teilhard de Chardin)

S.40
Die biblischen Schöpfungstexte werden oft abgelehnt, weil man sie für längst überholt hält. Außer ein paar Fundamentalisten – vor allem in den USA – glaubt heute niemand mehr, dass die Welt vor ca. 6000 Jahren in sechs Tagen geschaffen wurde, dass Gott den Menschen aus Ackerboden geformt und Eva aus der Rippe des Adam gebildet hat oder dass der Tod erst durch die Sünde in die Welt gekommen sei. Aber das verlangen die Texte auch nicht. Sie sind nicht das Zeugnis einer restlos veralteten Auffassung, die Christen heute noch für richtig ansehen sollen. Sie sind nicht Dokumente vergangener Weltbilder, die wider besseres Wissen zu akzeptieren wären. Die biblischen Texte konkurrieren nicht mit den Natur­wis­senschaften. Sie tun etwas, was die Naturwissenschaften nicht leisten können und wollen. Sie ent­werfen Bilder des Glaubens, die nicht Realität exakt beschreiben, sondern Sinn erschließen. Es geht ihnen nicht um Entstehung, Alter, Größe und Gesetze dieser Welt, sondern um Welt und Mensch in der Per­spektive Gottes.

S.287
(Dieses Lehrbuch wurde) Zugelassen durch die Lehrbuchkommission der Deutschen (katholischen) Bischofskonferenz;
Unterrichtswerk für den Religionsunterricht an Gymnasien, Gesamtschulen und Realschulen

 

(Quelle: R6 CALWER / DIESTERWEG; Das Kursbuch Religion 3 (Klassen 9/10); Stuttgart – Braun­schweig 2007, S.67)

 

 

(zur Schöpfungserzählung in 1. Mose, 1.1-2,4a; Teil der so genannten Priesterschrift P)
Für P gibt es einen Gegensatz zwischen naturwissenschaftlicher und theologischer Erklärung der Entste­hung von Welt und Mensch noch nicht … Die entmythisierende Tendenz bei P bewirkt, dass das Weltall, dass Himmel und Erde radikal entgöttert werden. Himmel und Erde werden darin für das menschliche Forschen und Fragen zugänglich, dass ihnen jeder mythisch-göttliche Charakter abgesprochen wird. So zeigt sich denn bei P schon deutlich eine Richtung auf naturwissenschaftliches Denken hin dort, wo er kategoriale Scheidungen wertet, wo er die Gestirne auf ihre bloße Funktion reduziert, wo er die Entste­hung der Pflanzen und Tiere in Gattungen begreift, und schließlich auch, wo er die Entstehung der Welt in Perioden sieht. Diese Schöpfungsdarstellung kann nicht auf einen absoluten Gegensatz zur wissen­schaftlichem Forschen festgelegt werden. 1.Mose1 schließt eine wissenschaftliche Erklärung der Entste­hung der Welt und der Entstehung des Menschen nicht aus, sofern solche wissenschaftliche Erklärung für die gleiche ehrfürchtige Anerkennung des Schöpfers frei bleibt, die den Schöpfungsbericht des P be­stimmt (Claus Westermann
[149])

 

(Quelle: R7 CALWER / DIESTERWEG; Kursbuch Religion, Oberstufe; Stuttgart – Braunschweig 2004)

 

 

S.20
Dem Mythos geht es nicht um eine rationale Erklärung der Weltphänomene und ihrer Ursachen, sondern er erzählt von den guten Anfängen der Welt im Sinne des Gründens, des Grundgebens, des Grund­fest­haltens
Der Mythos gibt Kunde von einem Urgeschehen, das „in jener Zeit“ geschehen ist, und von dem alle weiteren Geschehnisse begründet, normiert und als sinn- und heilvoll qualifiziert werden …Die altorienta­lischen Schöpfungsmythen und analog die biblischen Schöpfungsgeschichten reden eigentlich nicht dar­über, wie es zu zu dieser Welt gekommen ist, sondern wie diese Welt eigentlich ist, wie der Mensch sie und sich in ihr sehen soll

S.21
(Bruno, Galilei, Darwin)
Es war nicht ein Konflikt zwischen Theologie und Naturwissenschaft als solchen, sondern zwischen der vergehenden religiösen Kultur des Mittelalters und der aufkommenden säkularen Kultur der Modernen Welt. (Jürgen Moltmann)

S.22
Der Hinduismus ist keine Religion im üblichen Sinne mit schriftlich fixierten Glaubensinhalten und Dog­men, die allgemein gültig und unveränderlich sind. …
Der Hinduismus ist eher eine Föderation verschiedener Wege zum Einen, das allem Leben zugrunde liegt. Dies gilt im Feld der Mythologie noch stärker. Die Schöpfungsmythen belegen dies zu Genüge. Auch diese werden mit einem Schöpfergott oder auch ohne ihn erzählt
In einem gewissen Gegensatz zur Einmaligkeit des Schöpfungsmythos des Judentums, Christentums und des Islams stehen die Schöpfungsmythen des Hinduismus. Denn diese berichten von einem end­lo­sen Kreislauf des Weltentstehens und Weltvergehens. Auch die Zahl der Schöpfungskosmogonien ist pluralistisch angelegt.

S.26
… fragt die Evolutionstheorie nach der Entwicklungsgeschichte des Menschen und den dabei wirksamen Faktoren … Dem scheint die biblische Aussage, der Mensch sei von Gott geschaffen, zu widersprechen. Der Widerspruch ist aber nur scheinbar und liegt in den oben aufgezeigten Perspektiven einer komplexen Wirklichkeit: auf der einen Seite die kausalanalytische Frage: „Wie wurde der Mensch?“ (Evolutions­per­spektive), auf der anderen Seite die existenzielle Wesensfrage: „Was ist der Mensch?“ – eine Frage, die um metaempirische Überlegungen nicht herumkommt (Glaubensperspektive).

 



Teilband 3:

Weltall Erde Mensch“ -
Ideologisierte Naturwissenschaft im Bildungssystem der DDR
(Fach BIOLOGIE)

 

Teilband 3:
Ein Blick zurück: Ideologisierte Naturwissenschaft im Bildungssystem der DDR

Kapitel

Inhalt

Seite

3

Weltall Erde Mensch“ - Ideologisierte Naturwissenschaft im Bildungssystem der DDR (Fach BIOLOGIE)

169

3.1

Eine „wissenschaftliche Weltanschauung“ als ideologisches Fundament von Bildung und Erziehung

170

3.2

„Weltall Erde Mensch“ (1955)

170

3.3

Die „Grundsätze für die Gestaltung des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems“ (1964)

178

3.4

Schulunterricht im Fach BIOLOGIE in der DDR in den 1970er und 1980er Jahren

181

3.4.1

Die Unterrichtshilfen für Lehrer im Unterrichtsfach BIOLOGIE Klasse 10

181

3.4.2

Das Lehrbuch für Schüler im Unterrichtsfach BIOLOGIE Klasse 10

185

 


3 Weltall Erde Mensch“ - Ideologisierte Naturwissenschaft
   im Bildungssystem der DDR (Fach BIOLOGIE)

 

3.1 Eine „wissenschaftliche Weltanschauung“ als
      ideologisches Fundament von Bildung und Erziehung

 

Das ideologische Fundament für den „sozialistischen Staat DDR“ bildete die „wissen­schaftliche Weltanschauung“ des Marxismus-Leninismus.
Sie verstand sich als besonders gesicherte und allein richtige Weltanschauung, weil sie sich ganz wesentlich auch auf die „objektiven“, „wahren“ Erkenntnisse der Naturwissen­schaften stützte.

Diese Weltanschauung sollte zunehmend auch zur tragenden Basis des sozialistischen Bildungssystems werden.
Im weiteren Text ist immer wieder auch von Ideologie die Rede. Zur inhaltlichen Klärung des Begriffes, der in der marxistischen Philosophie – anders als in der heutigen Er­kenntnistheorie - durchaus auch positiv verstanden wurde, siehe Exkurs „Ideologie“ in Teilband 1 Kap.1.2.4.1.

 

 

 

 

 

3.2 Weltall Erde Mensch (1955)

 

 

Schon frühzeitig war die grundlegende Orientierung in dem Buch „Weltall Erde Mensch“ nachzulesen. Dieses Buch wurde den Teilnehmern an der Jugendweihe (dem sozialisti­schen Ritual des Übergangs ins Erwachsenen-Leben), also vielen Generationen von Jugendlichen in den Jahren 1955 bis 1975 überreicht.
Zunächst werden einige Zitate aus diesem Buch wiedergegeben:

 

(Quelle: Q42 Weltall Erde Mensch, Verlag Neues Leben, (Berlin) 1955)


S.3
(Walter Ulbricht)
[150]
… In dem vorliegenden Buch wird, ausgehend von den Erkenntnissen der fortgeschrittensten Wissen­schaft, der Sowjetwissenschaft, die Entwicklung in Natur und Gesellschaft dargelegt und den realen wis­senschaftlichen Erkenntnissen
[151] entsprechend aufgezeigt, dass wir durch unseren Kampf die Entwick­lung der menschlichen Gesellschaft zum Höheren, zum Vollkommeneren beschleunigen können.
Gleichzeitig wird der Kampf gegen Aberglauben
[152], Mystizismus, Idealismus und alle anderen unwissen­schaftlichen Anschauungen geführt. …

 

S.5
(Erich Honecker)
… Jeder Jugendliche wird mit Begeisterung und Spannung die vielen Beiträge über die Entstehung der Erde und des Menschen aufnehmen. Gleichzeitig hilft dieses Buch den Nebel zu zerreißen, der noch all­zuoft über den Werdegang der menschlichen Entwicklung, über die Entstehung der Natur und die Ge­setze des gesellschaftlichen Fortschritts gehängt wird

 

S.7ff.
(Professor Dr. Robert Havemann
[153]
Die Einheitlichkeit von Natur und Gesellschaft

…wurde eine Naturgottheit nach der anderen entthront. Als letzte blieb für einige Jahrtausende die eine Gottheit der monotheistischen Religionen übrig, die nichts anderes darstellt als die nicht weniger naive Personifizierung der Gesamtheit der vom Menschen noch unerkannten Gesetzmäßigkeiten seines eige­nen gesellschaftlichen Lebens. …
Die Ausbeuter waren darum stets daran interessiert, die ausgebeutete Klasse in Dumpfheit und Unkennt­nis zu erhalten. Die Inkarnation der Macht der Ausbeuter über die Ausgebeuteten stellt der Zauberer, der Medizinmann, der Hohepriester
[154] dar, der direkt mit der Gottheit verkehren kann, weil er selber um ihre Natürlichkeit weiß. …

Heute ist das einst revolutionäre Bürgertum zur absterbenden Klasse einer untergehenden Gesell­schaftsordnung entartet. Nichts blieb vom dem Kampf gegen den phantastischen Glauben der Kirche

Die moderne Naturwissenschaft, die sich auf materialistischer Grundlage entwickelte, gelangt heute zu den gleichen philosophischen Positionen, die schon von den großen griechischen Philosophen errungen wurden und in den Worten des Heraklit unvergleichlichen Ausdruck finden: „Die Welt, eine und dieselbe aus allem, hat keiner der Götter noch Menschen gemacht, sondern sie war und ist und wird sein ewig lebendes Feuer, nach Maß sich entzündend und nach Maß erlöschend.“[155]

Wenn es auch heute viele und darunter bedeutende Naturforscher gibt, die sich selbst nicht für Mate­rialisten halten, so sind diese Naturwissenschaftler doch in ihrer Arbeit im Laboratorium urwüchsige Mate­rialisten und geben sich nur sonntags, wenn die Arbeit ruht, zum Zwecke ihrer Erbauung theologischen und idealistischen Spekulationen hin[156]. …

… Die längst verstaubten Ideen des englischen Bischofs Berkeley aus dem Jahre 1710 werden seit Mach und Avenarius in immer neuer Maskerade als angeblich allerneueste, streng wissenschaftliche Philoso­phie der modernen Naturwissenschaft angepriesen. Und sie dienen doch alle, einschließlich der Sophis­men ihrer neuesten Vertreter, der englischen Modephilosophen Bertrand Russell, Wittgenstein und Carnap, keinem anderen Zweck als der Zerstörung der materialistischen philosophischen Grundlage der Naturwissenschaft[157]

Der große Einbruch in das mechanische Denken der klassischen Naturwissenschaft erfolgte auf dem Gebiet der Biologie durch die genialen Gedanken des großen Charles Darwin. Darwin bewies, dass nichts unsinniger ist als die Vorstellung eines einmaligen Schöpfungsaktes aller Arten und Gattungen von Lebewesen, die seit dem Tage der Schöpfung unverändert existiert haben sollen. Darwin führte den dia­lektisch-materialistischen Entwicklungsgedanken in die Biologie ein[158] Seit Darwin wissen wir, dass Pflan­zen und Tiere in einem langen Entwicklungsprozess sich von Stufe zu Stufe von einfachen zu höhe­ren und immer komplizierteren Formen weiterentwickelt haben und dass auch der Mensch nichts anderes darstellt als die Fortsetzung des allgemeinen biologischen Entwicklungsprozesses[159]

… Im Unterschied zu allen vergangenen philosophischen Lehren stellt der dialektische Materialismus kein System von Dogmen dar[160], sondern nur die Widerspiegelung der objektiven Dialektik von Natur und Gesellschaft in der subjektiven Dialektik der menschlichen Erkenntnis. …
Die allgemeinen Grundzüge der Dialektik, die von Stalin in genialer Weise formuliert
[161] wurden …

… Da, wie der erste Grundsatz der Dialektik lehrt, alle Erscheinungen in der Natur miteinander in unlös­barem Zusammenhang stehen, liegt in der Beschränktheit unserer sinnlichen Wahrnehmungsfähigkeit keinerlei Schranke für den Fortschritt unserer Erkenntnis.

 

S.19ff.
(Diedrich Wattenberg)
Unsere Erde und das Weltall

Das kopernikanische Weltsystem …
Aber dennoch waren es zunächst Luther und Melanchthon, die auf die Bibelwidrigkeit des Werkes
[162] hin­wiesen, weil an einer einzigen Stelle (Josua 10,12) in der Bibel gesagt sei, „Sonne stehe still zu Gibeon“. Das sollte, wie Luther meinte, so auszulegen sein, dass die zuvor bewegte Sonne stillgestanden habe, und nicht die Erde. Aber nicht nur die rein astronomischen Beziehungen waren es, die einen sol­chen Widerspruch auslösten, sondern vor allem auch rein religiöse Grundannahmen, die in der anthropo­zentrischen (den Menschen in den Mittelpunkt stellenden) Weltauffassung der Bibel ihren Ausdruck fan­den. …

Aber auch die Astronomen haben das neue Weltbild nicht sofort angenommen. Das lag daran, weil es einmal noch keinen unmittelbaren und nicht widerlegbaren Beweis für die Wahrheit des neuen Systems gab, und zum anderen auch daran, dass Kopernikus eine ihnen wohlvertraute Denkgewohnheit erschüt­terte …
So wurde Tycho de Brahe (der als der größte beobachtende Astronom des 16. Jahrhunderts galt) zu ei­nem Gegner des Kopernikus, weil die Beobachtungen ihm keine andere Wahl zu lassen schienen
[163]

Es ist (heute) gelungen, ein umfangreiches Tatsachenmaterial zu sammeln, das es gestattet, eine wis­senschaftlich begründete Entwicklungsgeschichte des Weltalls zu schreiben. In einer solchen Kosmogo­nie bleibt für mystische Gedankengänge kein Raum. Die Materie selbst ist an keinen Ursprung gebunden; sie ist ewig währender Bestand des Weltalls[164], aber doch eindeutiger Entwicklungen fähig. …

 

S.125ff.
(Prof. Dr. Jacob Segal)
Wie das Leben auf der Erde entstand

Die Theorie der „natürlichen Zuchtwahl“, wie sie Darwin nannte, geht im wesentlichen von zufälligen, angeborenen Schwankungen der Tierart aus und zieht die im Laufe des individuellen Lebens dabei erlit­tenen Veränderungen kaum in Betracht. Später wurde unter dem Einfluss Weismanns diese einseitige Beurteilung noch übertrieben.[165] Weismann und seine Nachfolger leugnen überhaupt, dass Veränderun­gen eines Lebewesens nach seiner Zeugung auf die Nachkommen vererbt werden können. Nennens­werte Veränderungen der Arten können nach Ansicht der Weismannisten nur dadurch entstehen, dass in der Erbmasse von Zeit zu Zeit zufällige Änderungen auftreten, sogenannte Mutationen, die erbliche Ver­änderungen hervorrufen können. … Es ist schwer, sich die Entwicklung der Arten durch Anhäufung nütz­licher zufälliger Mutationen vorzustellen. Ein lebender Organismus stellt einen Präzisionsapparat dar, bei dem sämtliche Teile aufs genaueste aufeinander abgestimmt sind. Wird ein Teil abgeändert, so müssen Hunderte andere ebenfalls umgebaut werden, wenn die Gesamtleistung gerettet werden soll. In der Tat sind die uns bekannten Mutationen vom biologischen Standpunkt als Misserfolge zu werten. … Wirklich biologisch nützliche Mutationen scheinen zur Zeit nicht bekannt zu sein.[166]
Einen ganz neuen Weg der Entwicklung von Pflanzen und Tieren zeigte der sowjetische Pflanzenzüchter Mitschurin. Er versuchte, im mittleren Teil der Sowjetunion Apfelsorten aus dem südlichen heimisch zu machen; aber alle seine Versuche, kräftige, ausgewachsene Stämme in das neue Klima zu verpflanzen, endeten mit Misserfolgen. Früher oder später vernichtete sie ein besonders kalter Winter, ein besonders scharfer Frostwind. Zog er dagegen selbst Sämlinge auf und setzte die empfindlichen jungen Pflanzen auf den kältesten, sturmgepeitschten Hügelhang, so stellte er fest, dass ein Teil von ihnen überlebte und sich zu widerstandsfähigen Bäumen entwickelte, die allen Unbilden der Witterung standhielten. Diese Winterhärte übertrug sich auch auf ihre Nachkommen. Neue, erbliche Eigenschaften waren somit ent­standen, eine Anpassung an die neuen Bedingungen war erfolgt.
Mitschurin und sein Nachfolger Lyssenko …
Diese sprunghafte Entwicklung, die von Art zu Art führt, konnte Lyssenko in folgender Weise anschaulich nachweisen. Im Vorgelände des Kaukasus, wo der Weizen nur noch spärlich gedeiht, findet man in Wei­zenfeldern eine starke Verunreinigung durch Roggenähren, weit mehr, als dies bei normaler Saatgut­reinigung der Fall sein sollte. Lyssenko fragte sich, ob dies nicht von einem Umschlag des Weizens zum Roggen, einer nah verwandten, aber den klimatischen Bedingungen des Vorgebirges besser angepass­ten Form herrührt. Der Beweis hierfür wurde erbracht, als er in einigen Weizenähren vereinzelte Roggen­körner entdeckte, die also unmöglich durch eine Verunreinigung des Saatgutes hineingekommen sein konnten. Auch bei anderen Kulturpflanzen und auch Unkräutern wurden derartige Umschläge von einer Art in eine andere beobachtet
Weinberge um Leningrad, Getreidefelder in der sibirischen Tundra und Gemüsekulturen jenseits des Polarkreises, sie alle legen ein beredtes Zeugnis ab von der Richtigkeit der Vorstellung über den Mecha­nismus der Entwicklung der Lebewesen, die wir Mitschurin und Lyssenko verdanken.

 

 

S.241ff.
(Wolfgang Padberg)
Was wir von der Entstehung des Menschen wissen

… Im Orient, wo sich sehr frühzeitig eine hochstehende Töpferkunst entwickelte, war es nur natürlich, dass man sich die Schaffung des Menschen aus Ton (beziehungsweise Lehm) vorstellte (Abb.1). …

 

(Unterschrift zu nebenstehendem Bild:)
Abb.1. Eine ägyptische Göttin modelliert die ersten Menschen[167]


Die Forschungen des 19.Jahrhunderts hatten also, sich stützend auf die Evolutionstheorie Darwins und das entdeckte archäologisch-anthro­pologische Material, zu dem Gesamtergebnis geführt, dass der Mensch nicht einer übernatürlichen Schöpfung sein Dasein verdankt, sondern von tierischen Vorfahren abzuleiten sei.

 

 

S.343ff.
(Ludwig Einicke)
Der Sozialismus und Kommunismus – die Epoche der revolutionären Umgestaltung von Natur und Gesellschaft

Die Wissenschaft überwindet den Aberglauben und die Scheintheorie

Die in den kapitalistischen Ländern herrschenden reaktionären Kräfte haben sich zum Zwecke der Auf­rechterhaltung ihrer Herrschaft der Mystik, des Aberglaubens, des Dunkelmännertums und der Religion schon immer bedient, um die Volksmassen niederzuhalten und zu unterdrücken. Die herrschende Klasse propagierte die Idee, dass die bestehende Ordnung gottgewollt und vorausbestimmt sei. Eine Verände­rung dieser Ordnung sei daher also gar nicht möglich, so lehrten und lehren die „Geschichtswissen­schaftler“ der herrschenden Klassen.
Alles, also auch die gesellschaftlichen Verhältnisse, seien unabänderlich, und die Menschen müssten sich daher in das für sie bestimmte Schicksal fügen.
Nach dieser „Theorie“ ist die Welt von einer außerhalb der Welt bestehenden und für die Menschen nicht erkennbaren Kraft, von einem Gott, erschaffen
[168]. Es gibt viele Beispiele in der Geschichte, aus denen hervorgeht, dass die fortschrittlichen Wissenschaftler, die an dem Dogma von der Erschaffung der Welt zu rütteln wagten, von den herrschenden Mächten verfolgt, in den Kerker geworfen und auf dem Schei­terhaufen verbrannt wurden[169]

… In der Sowjetunion … haben die Lehren der weltberühmten Biologen und Naturwissenschaftler Mit­schurin und Lyssenko durch die Anwendung der dialektischen Methode den vollen Sieg über die Biologen des idealistischen Lagers davongetragen. … dass es möglich ist, durch die bewusste Steuerung der Le­bensbedingungen bestimmter Organismen pflanzliche und tierische Organismen zu verändern … dass durch Eingreifen des Menschen jede Tier- und Pflanzenform gezwungen werden kann, sich schneller, und zwar nach der dem Menschen erwünschten Seite, zu verändern[170]

… In den kapitalistischen Ländern verbreitet sich immer mehr die Scheintheorie vom sogenannten „phy­sikalischen“ Idealismus. …
Auf diesem Wege wird auch der Versuch unternommen, die materialistische Grundlage der Naturwissen­schaften zu erschüttern und idealistische religiöse Vorstellungen in die wissenschaftliche Arbeit einzu­schmuggeln. …
Das Bestreben, abstrakte religiöse Behauptungen von der Endlichkeit und Unerkennbarkeit der Welt
[171] zur Grundlage der Wissenschaft zu machen, ist ein Ausdruck der tiefen Krise … im Lager der im Dienste des Kapitalismus stehenden Forscher…
im Gegensatz … stehen die Wissenschaftler, die sich in ihrer Arbeit auf den dialektischen und histori­schen Materialismus stützen … sie beweisen, dass die Materie tatsächlich vorhanden ist; dass sie unab­hängig vom Bewusstsein der Menschen existiert; dass die Einheit der Welt in ihrer Materialität besteht und dass die Materie und ihre Bewegung ewig und unzerstörbar sind. Nach der Auffassung des dialekti­schen Materialismus gibt es ein absolutes Naturgesetz
[172], nach dem weder Materie noch Bewegung beim Vorgang einer Veränderung der Materie oder in der Bewegung der Materie einfach irgendwohin verschwinden kann. Materie und Bewegung können auch nicht aus dem Nichts entstehen

Eine solche wissenschaftliche Auffassung lässt keine Märchen vom „Schöpfer“, „Weltgeist“ und „Lenker“ der Welt zu. Sie liefert den Beweis, dass sich die Welt aus den der Materie innewohnenden Gesetzen in ewiger Bewegung und Veränderung entwickelt….
Die Anhänger des Idealismus sind dagegen der Meinung, es sei nicht möglich, die Welt und ihre Ge­setzmäßigkeiten zu erkennen. Sie bestreiten die Zuverlässigkeit des menschlichen Wissens und sind der Ansicht, dass es in der Welt Erscheinungen und Dinge gibt, die die Wissenschaft niemals erkennen kann. …
Die Welt und ihre Gesetzmäßigkeiten sind erkennbar, und das vom praktischen Leben bewiesene Wis­sen hat, wie Stalin sagt, die Bedeutung objektiver Wahrheit

Die marxistische Philosophie ist eine geschlossene, konsequente Weltanschauung. Sie umfasst den dialektischen und den historischen Materialismus. Der dialektische Materialismus ist die Methode und Theorie zur Erforschung der Natur, der historische Materialismus ist die Methode und Theorie zur Erfor­schung der menschlichen Gesellschaft.[173]

… Die Begründer der materialistischen Auffassung von der Welt beweisen, dass die Entwicklung der Welt aus der Materie zu erklären ist. …
Dagegen vertreten die Anhänger des philosophischen Idealismus der verschiedenen Richtungen letzten Endes den unwissenschaftlichen Standpunkt, dass die Welt und alle ihre Erscheinungen das Werk eines „Schöpfers“, das heißt also eines Gottes sind. …

Der dialektische und historische Materialismus dient als Mittel zur Erkenntnis der Welt

 

(Quelle: Q42 Weltall Erde Mensch, Verlag Neues Leben, Berlin, 1955)

 

 

 

Ergänzend seien hier noch einige Sätze aus der Neufassung von „Weltall Erde Mensch“, Ausgabe 1968, mitgeteilt:

 

(Quelle: Q79 Weltall Erde Mensch, Neufassung, Verlag Neues Leben, Berlin, 1968)

 

S.3
Weltall Erde Mensch
Ein Sammelwerk zur Entwicklungsgeschichte in Natur und Gesellschaft

 

S.5f.
Zum Geleit

Dieses Buch ist das Buch der Wahrheit. …
(Walter Ulbricht)

 

Die Wissenschaft beweist, dass die Welt und ihre Gesetzmäßigkeiten erkennbar sind und dass es für den forschenden Menschen keine „ewigen Rätsel“ gibt. Was uns heute noch verborgen ist, werden wir mit Sicherheit morgen wissen …

 

(Das Kapitel von Robert Havemann, das in den ersten Auflagen enthalten war, ist in dieser Aus­gabe entfallen)

 

S.14
Was ist eine Weltanschauung? Man versteht darunter die umfassende Anschauung oder denkende Be­trachtung des Weltganzen; genauer, die Auffassungen der Menschen von der Natur des Weltalls, vom Ursprung und der Entwicklung aller Dinge, vom Wesen und Wert des Menschen, vom Sinn seines Le­bens und davon, was der Tod ist, von der Entwicklung der Menschheit und ihrer Zukunft, von der Kraft des menschlichen Denkens und der Macht der Erkenntnis und ähnlichen grundsätzlichen „letzten“ Fra­gen. Jeder Mensch besitzt so eine Weltanschauung, und sie beeinflusst sein Denken und Handeln, sein Fühlen und Wollen in starkem Maße. …

Nun gibt es jedoch sehr verschiedene Weltanschauungen, und nicht jede von ihnen hilft uns zu erkennen, was die Welt „im Innersten zusammenhält“, wie die Welt sich gesetzmäßig entwickelt und wie wir uns heute im praktischen Leben verhalten müssen. Die noch weitverbreitete religiöse Weltanschauung steht in völligem Gegensatz zu den Ergebnissen der Natur- und Gesellschaftswissenschaften, sodass ihre Antworten in Wirklichkeit Scheinantworten sind. Diese Weltanschauung, die meist von der Unantastbar­keit der gottgewollten Ordnung ausgeht, kann keine Grundlage für die praktische Veränderung der Welt, für die Errichtung einer neuen gesellschaftlichen Ordnung sein. Die Geschichte beweist, dass die reli­giöse Weltanschauung fast immer direkt oder indirekt von reaktionären Kräften dazu benutzt worden ist, Ausbeutung, Unterdrückung und sogar Kriege zu rechtfertigen und zu sanktionieren. Aus den genannten Gründen gibt diese Weltanschauung keine Antwort auf die Probleme, die uns heute bewegen. Um ein Missverständnis zu vermeiden: Viele religiös gebundene Menschen nehmen in unserer Republik aktiv am Aufbau des Sozialismus teil, und oft schöpfen sie aus ihrer religiösen Überzeugung Impulse für die Arbeit im Dienst des Fortschritts. Wir achten ihren religiösen Glauben und sehen darin kein Hindernis für eine enge freundschaftliche Zusammenarbeit, wie sie sich seit langem bewährt hat. Doch kann der religiöse Glaube keine Grundlage für die heute zu lösenden Aufgaben sein. Dazu benötigen wir eine Welt­an­schauung, die nicht auf Glaubensannahmen, sondern auf den Ergebnissen der Wissenschaften beruht …

 

(Quelle: Q79 Weltall Erde Mensch, Neufassung, Verlag Neues Leben, Berlin, 1968


3.3 Die „Grundsätze für die Gestaltung des einheitlichen
      sozialistischen Bildungssystems“ (1964)

 

 

Im Schul- und Bildungssystem spielte der weltanschauliche (Führungs-)Anspruch der SED eine wesentliche Rolle.
Die Aufgaben des Bildungssystems der DDR wurden in insgesamt drei Gesetzen fest­geschrieben.

 

1946 wurde das „Gesetz zur Demokratisierung der deutschen Schule“ erlassen.

§1
… Die deutsche demokratische Schule … wird … jedem Kind und Jugendlichen ohne Unterschied des Besitzes, des Glaubens oder seiner Abstammung die seinen Neigungen und Fähigkeiten entspre­chende vollwertige Ausbildung geben …

 

1959 trat das „Gesetz über die sozialistische Entwicklung des Schulwesens in der Deutschen Demokratischen Republik“ in Kraft.

§3
… Die Schule hat die Jugend auf das Leben und die Arbeit im Sozialismus vorzubereiten

 

1965 wurde ein neues Gesetz erlassen, das „Gesetz über das einheitliche sozialisti­sche Bildungssystem“, das praktisch bis zum Ende der DDR-Zeit in Geltung blieb.

Präambel

Alle Bürger unseres Staates, unabhängig von ihrem Geschlecht, von Ihrer sozialen Stellung, ihrer weltanschaulichen Überzeugung, ihrem Glaubensbekenntnis und ihrer Rasse, besitzen gleiche Rechte. …

 

§5 (4)
Den Schülern, Lehrlingen und Studenten sind gründliche Kenntnisse des Marxismus-Leninismus zu vermitteln. Sie sollen die Entwicklungsgesetze der Natur, der Gesellschaft und des menschlichen Denkens erkennen und anzuwenden verstehen und feste sozialistische Überzeugungen gewinnen. …

 

Seit 1963 (bis zum Ende der DDR im Jahre 1989) war Margot Honecker Minister(in) für Volksbildung in der DDR. Durch ihre politische Prägung und ihre Erfahrungen in der Ar­beiterbewegung, die sie mit anderen Mitgliedern der Führungselite der DDR teilte, setzte sie deutliche Akzente.[174]


Im April 1964 – im Zusammenhang mit der Erarbeitung des „Gesetzes über das einheit­liche sozialistische Bildungssystem“ (das 1965 in Kraft trat) - wurden „Grundsätze für die Gestaltung des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems (Entwurf)“ ver­öffentlicht.

Im Herbst 1964 hielt die für die kirchliche Bildungsarbeit bei Kindern und Jugendlichen zuständige Landeskatechetin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Sachsen vor der Landessynode (dem Kirchenparlament) dazu einen Vortrag. Aus ihm sollen im Folgenden einige wichtige Aussagen notiert werden:

 

(Quelle: Q43 Tietz, Gertraudis; Landeskatechetin der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens; Vortrag auf der Herbsttagung der Landessynode der Ev. Luth. Landeskirche Sachsens 1964, Reg.Nr.2243/14: „Das sozialistische Bildungssystem“)

 

 

S.1f.
Der Öffentlichkeit sind im Entwurf „Grundsätze für die Gestaltung eines einheitlichen sozialistischen Bil­dungssystems“ zur Stellungnahme vorgelegt worden
Was besagt nun der Entwurf des neuen Schulsystems?
Es handelt sich in ihm um Grundsätze im eigentlichen Sinne des Wortes. Es sind Leitlinien ausgeführt, die die Basis für schulische Gesetze, Verordnungen, Lehrpläne und zu erstellende Schulbücher bilden sollen. Sie wollen die Richtung der Entwicklung des Schulwesens für die nächsten 10 bis 15 Jahre ange­ben. …

 

S.2f.
… die Grundprinzipien … es sind drei …

1. Die Schule konstituiert sich als Weltanschauungsschule.
Der eindeutig sich zur Weltanschauung des Marxismus-Leninismus sich bekennende und danach han­delnde Mensch ist das Erziehungsziel. Die weltanschauliche Durchdringung aller Unterrichtsfächer und die Einführung des Fachs Staatsbürgerkunde als Konzentrationspunkt der ideologischen Erziehung ist der eingeschlagene Weg zur Erreichung dieses Zieles.

Gleichzeitig (zugleich mit der Übermittlung mathematischer, naturwissenschaftlicher und ökonomischer Kenntnisse) sind ihnen (den Mitgliedern der Gesellschaft) feste Grundlagen der sozialistischen Weltan­schauung zu vermitteln.“ (I, Vorwort, Sonderdruck S.30). …

„Zur Allgemeinbildung gehören die Einführung in die Gesellschaftswissenschaften, besonders in die marxistisch-leninistische Philosophie als Grundlage für die Formung der wissenschaftlichen Welt­an­schauung …“ (I,2 S.38)

Als weltanschauliche, erkenntnistheoretische und methodologische Grundlage der Natur- und Gesell­schaftswissenschaften trägt die Philosophie eine große Verantwortung für die Festigung und Entwicklung der wissenschaftlichen Weltanschauung, die weltanschaulich-atheistische Propaganda und für die poli­tisch-ideologische Erziehung der studentischen Jugend und aller Werktätigen.“ (II,8 S.103) …
sagt der Minister für Volksbildung: „Ganz klar ist die Forderung im Parteiprogramm, dass die politische und weltanschauliche Erziehung der Schüler Prinzip aller Unterrichtsfächer sein muss …“ (Deutsche Leh­rerzeitung 17/1964) …

 

S.4
“Insbesondere sollte an allen Schulen … über den Beitrag der einzelnen Unterrichtsfächer zur ideologi­schen Erziehung und Bildung beraten werden. … Durch diese weltanschaulichen Vorleistungen der ein­zelnen Unterrichtsfächer wird der Staatsbürgerkundeunterricht in Zukunft ein festes Fundament erhalten.“ („Pädagogik“ 5/1964 S.388).
Im Sinne dieser Zielsetzungen veranstaltete die Zeitschrift „Biologie und Schule“ gemeinsam mit dem Pädagogischen Institut Mühlhausen und dem Institut für Philosophie der Humboldt-Universität (Berlin) im Oktober 1963 eine Konferenz zur ideologischen Erziehung im Biologieunterricht. In den Verlautbarungen darüber heißt es: „Die moderne Biologie führt notwendig zum dialektischen Materialismus.“

 

S.5
“Was die sozialistische Schule betrifft, so gilt es, als besondere Aufgabe der weltanschaulich-erzieheri­schen Einwirkungen, die atheistische Erziehung der Kinder herauszustellen. Die Herausbildung der dia­lektisch-materialistischen Weltanschauung ist notwendig mit wissenschaftlich-atheistischer Erziehung verbunden.“ (Wiss. Zeitschrift der Universität Rostock, gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe, 8. Jahrgang, Heft 3)

 

(Kommentar von G. Tietz:)
Es ist kein wissenschaftlicher Satz, zu behaupten, die moderne Biologie führe notwendig zum dialekti­schen Materialismus. … Weltanschaulicher Unterricht verfälscht die Wissenschaft. Es gibt keine wissen­schaftliche Weltanschauung. Wissenschaft führt weder zum Idealismus noch zum Materialismus noch zum Gottesglauben. Eine Schule, die die Weltanschauung in alle Unterrichtsfächer einbezieht, verwischt fortgesetzt die Grenze zwischen Weltanschauung und Wissenschaft. … Echte Wissenschaftlichkeit lässt den Raum frei für diese oder jene weltanschauliche Entscheidung. …

Es ist aber ein Unterschied, ob eine Schule Kenntnisse über eine Weltanschauung vermittelt, oder ob sie sich vornimmt, das Denken, Handeln und Fühlen von einer Weltanschauung her zu bestimmen.

 

S.10
unsere Stellungnahme
[175] so lautet: Es möge die weltanschauliche Überlagerung der Wissenschafts­übermittlung abgebaut … werden

Die Gemeinde muss über alle Fragen, die an die Kinder durch ihren Lehrstoff herantreten, orientiert sein: Naturwissenschaft und Glaube; Weltbild und Glaube; Luther – ein Verräter; im Himmel ist kein Gott zu finden. Gemeinde, gib Antwort![176]

(Quelle: Q43 Tietz, Gertraudis; Landeskatechetin der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens; Vortrag auf der Herbsttagung der Landessynode der Ev. Luth. Landeskirche Sachsens 1964, Reg.Nr.2243/14: „Das sozialistische Bildungssystem“)

 

Aus den im vorstehend dokumentierten Vortag enthaltenen staatlich-„amtlichen“ Zitaten wird die klare Zielstellung ersichtlich: Schule soll Weltanschauung vermitteln, in allen Fächern, vor allem auch über naturwissenschaftliche Inhalte soll das geschehen!

 

In den nächsten Jahren entstanden unter Zugrundelegung der skizzierten Leitlinien neue Lehrpläne, neue Unterrichtshilfen für Lehrer und neue Lehrbücher für den Schul­unterricht wurden erarbeitet.
Im Weiteren soll am Beispiel des Faches BIOLOGIE und hier zum Themenbereich ABSTAMMUNGSLEHRE / EVOLUTION, der in Klassenstufe 10 behandelt wurde, dokumentiert werden, wie dort die neuen „Grundsätze“ ihren Niederschlag fanden.


3.4    Schulunterricht im Fach BIOLOGIE in der DDR
         in den 1970er und 1980er Jahren

 

 

3.4.1 Die Unterrichtshilfen für Lehrer
         im Fach BIOLOGIE Klasse 10 (DDR 1971)

 

 

(Quelle: Q41 Unterrichtshilfen Biologie 10. Klasse, zum Lehrplan 1971, Volk und Wissen Volks­eigener Verlag Berlin, 1971)

 

 

S.9ff.
Zu den Aufgaben des Biologieunterrichts der 10. Klasse für die Bildung und Erziehung sozialisti­scher Persönlichkeiten

… Die Stoffgebiete in Klasse 10 sind besonders geeignet, Wesentliches zur Erziehung sozialistischer Staatsbürger beizutragen. Anliegen des Unterrichts muss also sein, zusammen mit der Stoffvermittlung vor allem die Herausbildung politisch-ideologischer Grundüberzeugungen zu unterstützen …

Der Stoff der 10. Klasse ist besonders geeignet, die wissenschaftliche Weltanschauung der Schüler zu festigen

(Schülervorträge) Für die Vorbereitung … müsste ihnen entsprechende Literatur (z.B. „Weltall, Erde, Mensch“, Brockhaus „ABC Biologie“[177], Urania-Bände) … empfohlen werden …
Die Überzeugung von der Richtigkeit der Abstammungslehre wird weiter gefestigt. Sie hat große Bedeu­tung für die weltanschauliche Bildung und Erziehung der Schüler

S.15
Stoffgebiet „Genetik“ …
Vorbemerkungen zum Stoffgebiet „Genetik“

… Bei der Behandlung dieses Stoffgebietes sollen die Schüler die Grundlagen und Gesetzmäßigkeiten der Vererbung kennenlernen. Dabei soll besonderer Wert auf das Erläutern philosophischer Zusammen­hänge gelegt werden. Der Schüler muss erkennen, dass auch das Vererbungsgeschehen materielle Grundlagen hat und nichts Mystisches darstellt. Die Erkennbarkeit der Welt durch ständig neue, fort­schreitende Erkenntnisse der Wissenschaft soll dem Schüler bewusst werden

 

S.63
Stoffgebiet „Abstammungslehre“ …
Stoffeinheit „Theorie der Stammesentwicklung“

Vorbemerkungen zur Stoffeinheit „Theorie der Stammesentwicklung“ …

Durch den gesamten Biologieunterricht der Klassen 5 bis 9 zieht sich immanent die Tatsache der Evolution der lebenden Materie
Die einführende Stoffeinheit festigt in vielfacher Weise die philosophisch-weltanschaulichen Einsichten der Schüler und ist in dieser Hinsicht bewusst erzieherisch zu nutzen

S.67ff.
Stundenentwürfe …
Faktoren der Evolution – Wirken der Auslese in der Population …

Überzeugung von der Entwicklung der lebenden Materie festigen. Einsicht entwickeln, dass es für „zweckmäßige“ Erscheinungen in der lebenden Natur eine wissenschaftlich exakte, materialistische Er­klärung gibt, dass alle Erscheinungen kausal erklärbar und streng determiniert sind …
mündliches Erörtern von weltanschaulichen Problemen

… sind folgende Probleme mit den Schülern zu erörtern: Wissenschaftliche Erklärung für die Zweck­mä­ßigkeit in der Natur als Teil der materialistischen Weltanschauung und andererseits Annahme einer ziel­gerichteten Zweckmäßigkeit unter dem Wirken einer überirdischen Macht in der idealistischen Natur­auffassung

S.72
Stammesentwicklung und Höherentwicklung …
Stundenziele …

…Einsicht von der Entwicklung der Organismen festigen, damit Vertiefung der materialistischen Welt­an­schauung der Schüler

 

S.95

Stoffeinheit „Aus der Geschichte der Abstammungslehre“ …

Vorbemerkungen zur Stoffeinheit „Aus der Geschichte der Abstammungslehre“

Diese Stoffeinheit ist besonders gut geeignet, die wissenschaftliche Weltanschauung der Schüler weiter zu festigen. Die Schüler sollen erkennen, „dass die Abstammungslehre eine naturwissenschaftliche Lehre von großer ideologischer Bedeutung ist“ (Lehrplan Klasse 9/10, S.49). Es kommt deshalb darauf an, die Zusammenhänge zwischen gesellschaftlicher Entwicklung und Entwicklung der Wissenschaften deutlich hervorzuheben. An ausgewählten Beispielen muss erarbeitet werden, warum …
3. die wissenschaftlich begründete Abstammungslehre Darwins große Bedeutung für die Verbreitung der wissenschaftlichen Weltanschauung der Arbeiterklasse erlangte
. …
Die Verbreitung der wissenschaftlichen Abstammungslehre ist ein einprägsames Beispiel dafür, dass sich der Fortschritt nur im Kampf mit dem Alten und historisch Überlebten durchsetzt. Als einen der bedeuten­den Kämpfer für den Darwinismus lernen die Schüler Ernst Haeckel kennen. Neben seinen großen wis­senschaftlichen Leistungen auf dem Gebiet der Zoologie und der Abstammungslehre sollen sie auch die Bedeutung seiner Auseinandersetzungen um den Darwinismus für die Arbeiterklasse kennenlernen. …

 

S.96ff.
Einige Vorstellungen aus der Zeit vor Charles DARWIN über die Entstehung der Arten

Stundenziele
Die Abstammungslehre gibt eine wissenschaftliche Erklärung der Herkunft der Organismenarten. Manche Gelehrte des Altertums (Jahrhunderte v.u.Z.) vertraten bereits die Auffassung von einer natürlichen Ent­wicklung der Arten. Bedingt durch die gesellschaftliche Situation war jedoch die idealistische Auffassung von der Erschaffung der Organismen durch ein höheres Wesen und ihre Unveränderlichkeit (Konstanz) bis ins 19. Jahrhundert eine verbreitete Lehre. …

Stoffliche Gliederung

(1) Idealistische Vorstellungen von der Herkunft der Formenmannigfaltigkeit
- Schöpfungslehre – älteste Auffassungen der Menschen
- Konstanz der Arten
- Gesellschaftliche Bedingtheit der Verbreitung dieser Lehren

(2) Die Schaffung der naturwissenschaftlichen Voraussetzungen für eine wissenschaftliche Abstam­mungslehre …

 

Methodische Hinweise
(1) In einem Lehrervortrag erhalten die Schüler einen Überblick über die verschiedenen unwissenschaft­lichen Vorstellungen über die Herkunft der Organismen und ihre Formenmannigfaltigkeit …
es ist darauf zu achten, dass nur wirklich wesentliche Fakten diskutiert werden
[178]

(Tafelübersicht)
Wichtige Etappen der Geschichte der Abstammungslehre

Schöpfungsgeschichte

Konstanz der Arten …

 

S.98f.
Die Begründung der wissenschaftlichen Abstammungslehre durch Charles Darwin

… In seinem Hauptwerk … (1859) legt Darwin die nach objektiven Gesetzen verlaufende Entwicklung dar. Marx und Engels maßen Darwins Werk große Bedeutung bei[179]….

(Methodische Hinweise)

… (4) Der Lehrer legt dar, worin die große Bedeutung von Darwins Werk für die Entwicklung der Biologie und der Gesellschaft liegt. Er verweist auf die Äußerungen von Marx und Engels zu Darwins Hauptwerk.

 

S.99f.
Der Kampf um die Durchsetzung des Darwinismus

(Stundenziele)
… Im Bündnis mit der Kirche setzte die Bourgeoisie alle Mittel ein, um die Verbreitung von Theorien zu verhindern, die die Herausbildung einer wissenschaftlichen Weltanschauung fördern konnten. Die fort­schrittlichen Teile der Arbeiterklasse aber griffen Darwins Lehre auf. Die Auseinandersetzung war und ist also eine gesellschaftliche Auseinandersetzung.

(Stoffliche Gliederung)

(1) Die Ursachen für die Auseinandersetzungen um den Darwinismus

- Die Bedeutung der Theorie für die Klassenauseinandersetzungen
- Die wissenschaftlichen „Lücken“ der Theorie …

(Methodische Hinweise)
… deutlich zu machen, das Darwin noch nicht alle Fragen befriedigend lösen konnte, das dadurch aber die Bedeutung seiner Arbeit nicht gemindert wird und der Hauptwiderstand gegen seine Lehren gesell­schaftlich bedingt war. Die richtige Einschätzung des Darwinismus durch Marx und Engels wird heraus­gestellt. …

 

S.101ff.

Stoffeinheit „Die Entstehung des Lebens auf der Erde“ …

Wissenschaftlich begründete Theorien über die Entstehung des Lebens auf der Erde …

(Stundenziele)

Die im Urozean entstandenen makromolekularen Verbindungen waren noch keine Lebewesen. Wie diese entstanden, ist noch nicht im einzelnen bekannt. Dazu gibt es verschiedene wissenschaftliche Theorien. Beide gehen davon aus, dass Leben aus Nichtlebendem entstand. …
Obwohl die einzelnen Schritte der Entstehung des Lebens bisher nicht bewiesen sind, muss deutlich werden, dass die bisherigen Ergebnisse der Forschung schlüssig beweisen, dass die Entwicklung so verlaufen sein kann. Die Überzeugung von der Materialität des Lebens und von der Erkennbarkeit der Welt wird weiter gefestigt. …

(Methodische Hinweise)

… Zu betonen ist, dass noch nicht Bewiesenes bzw. nicht Erkanntes nicht zugleich nicht Erkennbares ist, sondern dass mit Sicherheit das gesamte Problem der Entstehung des Lebens gelöst werden kann. …

 

S.106ff.
Stoffeinheit „Die Stammesentwicklung des Menschen“

Vorbemerkungen zur Stoffeinheit „Die Stammesentwicklung des Menschen“ …

Wesentliche Voraussetzungen für das Verständnis der gesellschaftlichen Entwicklung des Menschen bringen die Schüler aus dem Geschichts- und Staatsbürgerkundeunterricht sowie aus den Stunden zur Vorbereitung auf die Jugendweihe mit[180]
… sollen die Schüler an evolutionsgenetische Überlegungen herangeführt werden und begreifen, dass sie die zum Menschen führende Entwicklung nur von einem materialistischen Standpunkt aus wissen­schaftlich exakt erfassen können. Das ist besonders für die Nutzung der erzieherischen Potenzen der Stoffeinheit von Bedeutung …

Die Stoffeinheit „Die Stammesentwicklung des Menschen“ enthält zahlreiche erzieherische Potenzen, die im Verlauf des Aneignungsprozesses genutzt werden müssen, um die Vorstellungen der Schüler von der Materialität und der Erkennbarkeit der Welt weiter zu konkretisieren und zu vertiefen. Die Schüler werden dadurch ein weiteres Mal in die Lage versetzt, die Unhaltbarkeit der Lehre von der Schöpfung und den Missbrauch der Religion durch die herrschenden Gesellschaftsklassen in feudalistischen und kapitalisti­schen Staaten zur Unterdrückung, Ausbeutung und Knechtung der Menschen zu erkennen und zu ver­urteilen. …

 

S.112
Die Stellung des Menschen in Natur und Gesellschaft …

… So gab es über die Herkunft des Menschen bis in die jüngste Zeit noch verschiedene Auslegungen. Idealistische Vorstellungen wurden unter feudalistischen und kapitalistischen Gesellschaftsverhältnissen von den herrschenden Klassen ausgenutzt, um die unterdrückten Massen besser beherrschen und aus­beuten zu können. Diese Tendenz ist in einigen kapitalistischen Staaten bis heute noch nicht überwun­den. Die Erkenntnisse der Wissenschaft, die besonders durch Darwin und Haeckel eingeleitet wurden, lassen jedoch keinen Zweifel über die Abstammung des Menschen aus dem Tierreich mehr zu. …

Die Bedeutung dieser wissenschaftlich-materialistischen Position auch in Bezug auf den Menschen bietet wesentliche Potenzen für die ideologische Erziehung vom Standpunkt der Arbeiterklasse aus.

 

S.130ff.

Stoffeinheit „Wiederholung und Systematisierung“ …

Die Bedeutung und Wissenschaftlichkeit der Abstammungslehre …

(Stundenziele)
Die Abstammungslehre hat einen entscheidenden Anteil an der Herausbildung einer wissenschaftlichen Weltanschauung

(Methodische Hinweise)
In einem einleitenden Gespräch erörtert der Lehrer mit den Schülern die Frage, warum sich im Bereich der Biologie unwissenschaftliche, idealistische Auffassungen über das Wesen des Lebens, seine Entste­hung und über das Auftreten des Menschen im Bereich der lebenden Natur sehr lange halten konnten und zum Teil heute noch vorhanden sind. Da im Verlauf des Unterrichts bisher kaum Fragen in dieser Hinsicht an die Schüler herangetragen wurden … sind die Schüler unter Umständen mit dieser Tatsache erst bekannt zu machen (z.B. religiöse Auffassungen)
[181]. …
Das Gespräch wird unter der Thematik „Die Bedeutung der Abstammungslehre für die materialistische Auffassung der Natur“ fortgeführt. Hier sind folgende Antworten zu erwarten: die Abstammungslehre hat den Nachweis für die Entwicklung vom Niederen zum Höheren erbracht, sie hat bewiesen, dass auch der Mensch der biologischen Evolution unterliegt. Forschungen über die Entstehung des Lebens schließen eine Schöpfung durch ein überirdisches Wesen aus. …

(Tafelübersicht)
Bedeutung der Abstammungslehre

- Sie dient der Herausbildung einer wissenschaftlichen Weltanschauung

 

S.158

Stoffgebiet „Wiederholung, Systematisierung, Ausblick“ …

In der Stoffeinheit „Zelle-Lebewesen-Population-Biozönose-Biosphäre“ sind zahlreiche Möglichkeiten gegeben, philosophisch-weltanschauliche Grunderkenntnisse zu festigen und zu untermauern. Das gilt vor allem für die Materialität des Lebens, die prinzipielle Erkennbarkeit der Welt, das Verhältnis von Ein­zelnem und Ganzem. …

(Quelle: Q41 Unterrichtshilfen Biologie 10. Klasse, zum Lehrplan 1971, Volk und Wissen Volks­eigener Verlag Berlin, 1971)

 


3.4.2 Das Lehrbuch für Schüler
         im Fach BIOLOGIE Klasse 10 (DDR 1982)

 

 

Im Schulsystem der DDR wurde im Fach Biologie eine Lehrbuchreihe eingesetzt, deren Verwen­dung in den Klassen 9 bis 12 verbindlich war.
Ein Teil der Schüler beendete seine Ausbildung mit der mittleren Reife nach der 10. Klasse (POS – „Zehnklassige Allgemeinbildende Polytechnische Oberschule“), andere setzten ihre Ausbildung bis zum Abitur in der 12. Klasse fort (EOS – „Erweiterte Allge­meinbildende Polytechnische Oberschule“)
Das im Folgenden behandelte Lehrbuch für die Klassenstufe 10 wurde also von allen Schülern in der DDR genutzt.

(Quelle: B1 DDR; VOLK UND WISSEN; Biologie, Lehrbuch für die Klasse 10, Volk und Wissen Volkseigener Verlag, Berlin, 1982)

 

 

S.57ff.
Abstammungslehre

 

S.62
Hinweise
[182]auf die Abstammung liefern vor allem morphologische und anatomische Vergleiche von Tie­ren und Pflanzen untereinander.

S.63
Wenn während der Embryonalentwicklung bestimmte Stadien der Embryonen verschiedener Tier­arten miteinander verglichen werden, können vielfach Rückschlüsse auf deren Stammesgeschichte gezogen werden. Lebewesen mit Übereinstimmungen müssen sich im Verlaufe ihrer Stammes­entwicklung aus gemeinsamen Vorfahren entwickelt haben.
In der neunmonatigen Embryonalentwicklung des Menschen treten zum Beispiel ein knorpeliges Skelett, Anlagen für Kiemen, eine Schwanzanlage und ein vollständiges wolliges Haarkleid auf. Alle diese Bildun­gen sind für den menschlichen Embryo nicht lebensnotwendig. Sie deuten aber darauf hin, dass sich der Mensch in einem sehr langen Entwicklungsprozess aus dem Tierreich entwickelt hat.
Ernst Haeckel formulierte diese Zusammenhänge im „Biogenetischen Grundgesetz
[183]

S.91ff.
Aus der Geschichte der Abstammungslehre …
Da alles Bestehende eine Geschichte hat, erfordert die Erkenntnis der Dinge auch die Erkenntnis ihrer Entwicklung.
Die wissenschaftliche Erklärung der Herkunft der Organismenarten gibt die Abstammungslehre. Die Her­ausbildung einer wissenschaftlichen Theorie der stammesgeschichtlichen (phylogeneti­schen) Entwick­lung der Lebewesen ist ein langer historischer Prozess. Wie alle Erkenntnis­prozesse wurde er von der Entwicklung, den Erfordernissen und Ergebnissen der produktiven Tätigkeit des Menschen beeinflusst. Dabei spielten der Stand der Erkenntnisse und die welt­anschauliche Position der jeweils in einer Epoche herrschenden Klasse und des einzelnen For­schers eine entscheidende Rolle.
Schon früh entstanden mit den Anfängen wissenschaftlicher Arbeit (etwa 5. Jahrh. v. u. Z.) Auffas­sungen über die natürliche Entwicklung der Organismen. Das Fehlen vieler heute bekannter wis­senschaftlicher Erkenntnisse und Arbeitsmethoden bedingte, dass die Auffassungen der Denker des Altertums selten durch exakte Untersuchungen belegt werden konnten. Viele sahen das Prob­lem in richtiger Weise und waren um eine materialistische Erklärung bemüht. Neben solchen mate­rialistischen Auffassungen von der Entwicklung der Organismen entstanden auch zahlreiche idea­listische Lehren. Sie gingen alle davon aus, dass eine übernatürliche Kraft den Entwicklungs­prozess der Arten steuert.
Nach diesen Auffassungen von der Geschichte der Lebewesen gab es in der Generationenfolge der ein­mal von einem höheren Wesen geschaffenen Arten keine wesentlichen Veränderungen mehr (Konstanz der Arten). Unter dem Einfluss der Kirchen
[184] haben sich diese Lehren bis in die Mitte des 19. Jahrhun­derts behauptet. Sie wurden erst durch die von DARWIN begründete und seitdem weiterentwickelte wis­senschaftliche Theorie von der natürlichen Entwicklung der Organis­men widerlegt.

ARISTOTELES entwickelte die Auffassung, dass eine stufenweise Entstehung der Arten erfolgte, wobei übernatürliche, zielstrebige Entwicklungskräfte wirken und durch sie die in der lebenden Natur erkenn­bare Zweckmäßigkeit (Angepasstheit) erreicht wird. Die weitere Ausarbeitung einer wissenschaftlichen Lehre von der Entwicklung der Lebewesen wurde wesentlich behindert durch die sich mit dem Nieder­gang der Sklavenhalterordnung entfaltende und auch von den Feudal­herren genutzte Macht der Kirche. Im Mittelalter wurden die Schriften antiker Gelehrter wieder be­kannt. Da sich solche Anschauungen wie die von ARISTOTELES besonders gut den kirchlichen Glaubenssätzen anpassen ließen, durften nur sie gelehrt werden. Wer aufgrund eigener Beob­achtungen und Untersuchungen an ihren Erkenntnissen zweifelte, wurde als Ketzer verfolgt.“[185]

 

 

(Eingebettet in den hier wiedergegebenen Text befindet sich die obenstehende Abbildung mit dem er­läuternden Text:)

„Der ägyptische Gott Chnumu modelliert die ersten Menschen aus Ton.“[186]

S.92ff.

Die Schaffung naturwissenschaftlicher Voraussetzungen für die wissenschaftliche Abstam­mungslehre …
Stärker als alle kirchlichen Dogmen und aller Aberglaube sind die objektiven Entwicklungsgesetze der Gesellschaft.[187] … Erkannte Naturgesetze waren technisch nutzbar, und ein naturwissenschaft­lich begrün­detes Weltbild gab Argumente gegen kirchliche, die Feudalordnung stützende Dogmen … Das in dieser Zeit progressive Bürgertum … musste weitgehend davon ausgehen, dass die materielle Welt un­abhängig von allen „heiligen Kräften“ existiert, erkennbar ist und durch Anwen­dung der wissenschaft­li­chen Erkenntnisse vom Menschen verändert werden kann. Die Entwicklung der Naturwissenschaften und eines materialistischen Weltbildes waren notwendige Voraussetzun­gen für den damals vom Bürger­tum erstrebten gesellschaftlichen Fortschritt. …
Dieser Prozess vollzog sich unter harter Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Stand­punkten. Teilweise wurde versucht, die neuen Erkenntnisse wieder mit den alten kirchlichen Dog­men in Einklang zu bringen …
wurden durch bessere Kenntnis der geologischen Schichten und durch zahlreiche Fossilfunde zu­nächst Tatsachen bekannt, die dem in der Bibel verkündeten Erdalter von 5000 Jahren und der Schöpfungs­ge­schichte widersprachen. Immer unhaltbarer wurden die zur Rettung der religiösen Position unternom­me­nen Versuche

S.99ff.
Der Kampf um die Durchsetzung des Darwinismus …
Mit der Begründung der wissenschaftlichen Abstammungslehre erhielt die Biologie eine neue wis­sen­schaftliche Grundlage. Damit war allen religiös-idealistischen Auffassungen über die Schöpfung und die Konstanz der Arten die Grundlage entzogen. Das gab auch allen anderen nicht mit der Ab­stammung der Organismen beschäftigten Arbeitsgebieten der Biologie eine neue Orientierung. Diese Theorie hatte weit über die Biologie hinausgehende gesellschaftliche Bedeutung und Aus­wirkungen. Sofort nach ihrem Be­kanntwerden wurde sie auch von Karl MARX und Friedrich ENGELS unterstützt und gewürdigt.
[188]
Mit der Lehre von MARX und ENGELS war eine wissenschaftliche Begründung für den Untergang des Kapitalismus gegeben und der Arbeiterklasse der Weg zur Erfüllung ihrer historischen Mission gewiesen.
In einer solchen politischen Situation wurde die Bourgeoisie im Bündnis mit der Kirche zum erklär­ten Gegner aller Theorien, die eine unaufhörliche Entwicklung und Veränderung der Welt und eine materia­listische, atheistische Weltanschauung vertraten. Zugleich griffen die revolutionärsten und fortgeschrit­tensten Teile der Arbeiterklasse die Darwinsche Lehre begeistert auf, denn sie bestä­tigte und erweiterte das materialistische, atheistische und auf Entwicklung gerichtete Weltbild des Proletariats. Darwins Theo­rie entsprach der marxistischen Weltanschauung. Den umfangsreichs­ten und wirksamsten Beitrag zur Verteidigung und Verbreitung des Darwinismus leistete in Deutschland Ernst HAECKEL. …
HAECKELS wirksamste Schrift zur Verbreitung des Darwinismus, die „Welträtsel“ (1899), trug in breiten Kreisen der Arbeiterklasse wesentlich zur Formung eines materialistischen und atheisti­schen Weltbildes bei. Durch seinen unerschrockenen Kampf gegen die kirchlichen Dogmen wurde HAECKEL zum Vorbild vieler Menschen. HAECKEL selbst hatte keine politischen und organisato­rischen Beziehungen zur Ar­beiterbewegung. Er stand ihr ablehnend gegenüber. Die Wirkung sei­ner Schriften auf die Arbeiter­klasse beruht auf der Übereinstimmung der theoretischen Grundlagen des Darwinismus und der Arbei­terbewe­gung. Beide beruhen auf Materialismus, Atheismus und Entwicklung (Evolution).

S.102
Zur Entstehung des Lebens auf der Erde
Die Möglichkeit, wissenschaftliche Probleme zu erkennen, zu lösen und ihre Ergebnisse im Inter­esse der Menschheit zu nutzen, ist wesentlich abhängig von den gesellschaftlichen Verhältnissen, den materiellen Mitteln der Gesellschaft, der Gesamtentwicklung der Wissenschaften, den Fähig­keiten und den welt­an­schaulichen Positionen des Forschers.
[189]

 

S.104

Die Entstehung des Lebens auf der Erde
Unwissenschaftliche Theorien von der Entstehung des Lebens:
Die Vorstellung, dass das Leben durch eine übernatürliche, göttliche Kraft erschaffen wurde, ist wissen­schaftlich unhaltbar. Sie widerspricht der menschlichen Erfahrung von der Erkennbarkeit der Welt und stellt das Problem außerhalb des wissenschaftlich erforschbaren Bereichs.
[190]

 

S.105

Wissenschaftliche Theorien von der Entstehung des Lebens
Der Kampf um die wissenschaftliche Lösung des Problems der Entstehung des Lebens auf der Erde er­fordert für seinen Erfolg neben der allseitigen Entwicklung der Naturwissenschaften, dem Können der Forscher und den gesellschaftlichen Mitteln vor allem eine wissenschaftliche Welt­anschauung als Grundlage.
Nur wenn davon ausgegangen wird,
- dass das Leben auf der Erde unter bestimmten Bedingungen gesetzmäßig
  aus nichtlebender Materie entstanden ist und
- dass dieser gesetzmäßige Prozess mit wissenschaftlichen Methoden erkennbar ist,
kann man das Problem wissenschaftlich bearbeiten
[191]

S.130
Wiederholung und Systematisierung

Es gibt ausreichend Beweise dafür, dass alle Lebewesen natürlichen Ursprungs sind und im Ver­laufe ei­ner langen Entwicklung eine große Mannigfaltigkeit in ihrer Gestalt, ihren Funktionen und in ihrer Le­bensweise herausgebildet haben. Die Durchsetzung dieser Erkenntnis erforderte einen jahrhunderte­lan­gen Kampf zwischen den Anhängern mystischer und religiöser Auffassungen und den Vertretern des wissenschaftlichen Fortschritts. …
Wenn heute der Gesamtablauf der Evolution in mancher Hinsicht auch noch unbekannt ist, über die Ent­stehung des Lebens noch keine völlige Klarheit besteht und auch in der Kenntnis über die Abstammung des Menschen noch Lücken vorhanden sind, kann mit Sicherheit gesagt werden, dass das Leben auf der Erde aus Nichtlebendem entstanden ist und eine Höherentwicklung der Organismen stattgefunden hat. Die Richtigkeit der materialistischen Auffassung, dass die Welt erkennbar ist, ist auch auf dem Gebiet der Abstammungslehre seit DARWIN vielfach bewiesen worden.
[192]

S.169f.
Die Bedeutung der Biologie für die Gesellschaft …

… Der Biologieunterricht vermittelte Kenntnisse über die historische Entwicklung der Arbeitstech­niken und Methoden der Forscher, über die praktische Nutzung biologischer Kenntnisse und über den Zusam­menhang von Biologie und Weltanschauung [193]. …
Gegenstand der Betrachtung waren die Vielfalt der Pflanzensippen und Tiergruppen und ihre stammes­geschichtliche Verwandtschaft, die Vorgänge der Vererbung und die Ursachen der stam­mesgeschicht­lichen Entwicklung der Lebewesen sowie die Tatsache, dass sich der Mensch aus dem Tierreich ent­wi­ckelt hat.


(Quelle: B1 DDR; VOLK UND WISSEN; Biologie, Lehrbuch für die Klasse 10, Volk und Wissen Volkseigener Verlag, Berlin, 1982)

 


Teilband 4:

Horizonterweiterung:
Weitere Stimmen zum Thema
in ausführlichen Zitaten

 

Teilband 4:
Ausführliche Zitate aus weiteren Quellen

Kapitel

Inhalt

Seite

4

Horizonterweiterung: Weitere Stimmen zum Thema in ausführ­lichen Zitaten                                            .

191

4.1

Zu Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft
und zu Wissenschafts­theorie

192

4.2

Zum Verhältnis von (Schöpfungs-)Glaube und Naturwissenschaft

208

 


4 Horizonterweiterung:
   Weitere Stimmen zum Thema in ausführ­lichen Zitaten

 

4.1 Zu Erkenntnismöglichkeiten der Naturwissenschaft
      und zu Wissenschaftstheorie

 

 

(Quelle: Q1 Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Zeitung „Das Parlament“, 46/2007: „Geis­teswissenschaften“, S.15ff.))

 


(Beitrag des Präsidenten der Leibniz-Gesellschaft und des Generalsekretärs der Leibniz-Gemein­schaft:)

Während die Betrachtung einzelner Gegenstände von Wissenschaft zur Herausbildung von Fächern bzw. Disziplinen führte, also beispielsweise der Geschichte (Vergangenheit), der Medizin (der kranke oder verletzte Mensch), der Biologie (Tiere und Pflanzen) oder der Theologie (Gott und der Mensch), hat der Ansatz der methodischen Herangehensweise die Einteilung der Wissenschaften in Naturwis­senschaften (Außenperspektive, auf Beobachtung beruhend mit Beschreibung, Versuch und Beweis) und Geistes­wis­senschaften (Innenperspektive, auf Empathie beruhend mit Beschreibung und Inter­pretation) zur Folge. So galt die Naturwissenschaft als die beschreibende und erklärende Wissen­schaft, während die Geistes­wissenschaft als die verstehende und interpretierende Wissenschaft (Hermeneutik) definiert wurde. Inter­essant ist an dieser Stelle anzumerken, dass im angelsächsischen Kulturkreis nur die Natur­wissenschaf­ten als science anerkannt sind, während die – im deutschen Sprachraum so bezeichneten Geistes-, Kul­tur- und Sozialwissenschaften als humanities firmieren.;
In der aktuellen Diskussion heißt es, dass die Natur- und Technikwissenschaften Verfügungswissen generieren (was mit dem Begriff Verstand markiert wird), während die Geisteswissenschaften danach Orientierungswissen bereitstellen (gekennzeichnet mit dem Begriff Vernunft).

 

(Quelle: Q5 Campbell, N.A. / Reece, J.B.: Biologie, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Berlin, 6. Auflage, 2003)

(Biologie-Lehrbuch für Hochschulen)

 

 

S.16
Naturwissenschaftliche Forschung ist ein Weg zur Erkenntnis. Sie erwächst aus unserer Neugier für uns selbst, für die Welt und für das Universum.;
(18) Max Perutz, Nobelpreisträger: „Eine Entdeckung ist wie sich gleichzeitig zu verlieben und nach ei­nem anstrengenden Aufstieg den Gipfel des Berges zu erreichen, sie ist eine Ekstase, die nicht durch Drogen hervorgerufen wird, sondern durch die Offenbarung einer Facette der Natur, die noch nie zuvor jemandem zuteil geworden ist.“;
Die Naturwissenschaft sucht nach natürlichen Ursachen für natürliche Phänomene. Dadurch ist sie auf die Untersuchung von Strukturen und Prozessen beschränkt, die sich direkt oder indirekt beob­achten und messen lassen, wobei oft technische Geräte wie z.B. Mikroskope unsere Sinne erweitern. ... Es lässt sich naturwissenschaftlich weder widerlegen noch nachweisen, ob übernatürliche Wesen wie Engel, Götter oder Geister für Unwetter, Regenbögen, Krankheiten und Heilungsprozesse verant­wortlich sind; solche Erklärungen liegen jenseits der Grenzen der Naturwissenschaft. …

S.19
Hypothesen sind vorläufige Antworten auf eine Frage – also versuchsweise Erklärungen. In der Regel handelt es sich dabei um mehr als bloße Vermutungen.

 

S.22
Verglichen mit einer Hypothese hat eine wissenschaftliche Theorie eine viel größere Reichweite …
Die Verwendung des Begriffs “Theorie“ in den Naturwissenschaften für eine umfassende Erklärung, die durch zahlreiche Beweise gestützt wird, steht im Gegensatz zu unserem alltäglichen Gebrauch des Be­griffs; hier setzen wir Theorien eher mit Spekulationen oder Hypothesen gleich …
Naturwissenschaftliche Theorien sind natürlich nicht die einzige Möglichkeit, Erkenntnisse über die Natur zu erlangen. ... Naturwissenschaft und Religion sind zwei grundverschiedene Ansätze, sich mit Natur­phänomenen zu befassen. Die Kunst ist wieder eine andere Möglichkeit ... Das Lehrbuch Biolo­gie be­schreibt das Leben aus rein naturwissenschaftlicher Sicht ...;
Forschungsergebnisse sind nutzlos, solange sie nicht mit einer größeren Gruppe von Fachkollegen ge­teilt werden. Nur wer publiziert, kann eine Resonanz auf seine Ergebnisse bekommen ... Beharren auf Nachweisen, Kontrollexperimenten und unabhängiger Bestätigung ...

S.23
Naturwissenschaftler ziehen alle Behauptungen zunächst einmal in Zweifel. …
Naturwissenschaft … beruht auf Beobachtungen und Messungen, die von anderen bestätigt werden kön­nen, und ihre Ideen (Hypothesen und Theorien) müssen sich durch wiederholbare Beobachtungen und Experimente überprüfen lassen. …
Erkenntnisse auf naturwissenschaftlicher Basis haben stets einen vorläufigen Status, im Gegensatz zu religiösen Dogmen. ...
Naturwissenschaftler lassen Theorien nicht zum Dogma aufsteigen (520) …
Normalerweise gilt in den Naturwissenschaften etwas nicht mehr als „wahr“, sobald ein klarer Befund da­gegen spricht.

 

S.519
Manche Menschen tun den Darwinismus als „bloße Theorie“ ab. Diese Argumentation hat zwei Schwachpunkte. Erstens trennt sie die beiden Behauptungen Darwins nicht: Moderne Arten entwi­ckelten sich aus altertümlichen Formen, und die natürliche Selektion ist der Hauptmechanismus dieser Evolution. Die Erkenntnis, das Leben habe sich entwickelt, beruht auf historischen Belegen – jenen Spuren der Evolution, die wir im vorigen Abschnitt diskutiert haben. Da dieses Beweismaterial gera­dezu überwälti­gend umfangreich und vielschichtig ist, gilt die Evolution der Organismen bei nahezu allen Biologen als historische Tatsache.
Was ist dann aber theoretisch an der Evolutionstheorie? Theorien sind unsere Versuche, Phänomene zu erklären und sie in übergeordnete Konzepte einzugliedern. Eine solche Theorie ist Darwins Idee der na­türlichen Selektion - sein Vorschlag zur Erklärung des Evolutionsgeschehens.

 

S.559
„plötzlich auftretende Veränderungen“?
Angenommen, eine bestimmte Art überlebt fünf Millionen Jahre, doch die meisten ihrer morphologi­schen Veränderungen traten während der ersten 50.000 Jahre ihrer Existenz auf … die Entwicklung der art­definierenden Merkmale in nur in einem Prozent der Zeitspanne zusammengedrängt (= plötz­lich!) … dass „plötzlich“ … viele tausend Jahre sein kann

 

S.560
Die meisten evolutionären Neuerungen sind abgeänderte Versionen älterer Strukturen;
(Beispiel: Entwicklung von Augen geschah in der Evolutionsgeschichte mehrmals und unabhängig von­einander, Übergänge sind deutlich nachzuvollziehen);


S.564
Kontinentaldrift und Massenaussterben wirkten sich vermutlich mindestens genauso stark auf die Ge­schichte der biologischen Vielfalt aus wie die graduelle Anpassung durch Selektion, die auf der Popula­tionsebene auf Genpools einwirkt. ... historischer Zufall, Auftreten unvorhersehbarer Ereignisse ...

S.564
„Frankfurter Theorie“ als alternatives Erklärungsmodell zur Synthetischen Evolutionstheorie


S.592
Stammbäume sind hypothetisch

 

S.608
Geschichte jedweder Art kann keine exakte Disziplin sein, da sie abhängig ist vom Erhaltungsgrad sowie der Zuverlässigkeit und Interpretation der jeweiligen Zeitzeugnisse …

 

(Quelle: Q5 Campbell, N.A. / Reece, J.B.: Biologie, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Berlin, 6. Auflage, 2003)

(Biologie-Lehrbuch für Hochschulen)


 

(Quelle: Q9 Deutsches Institut für Fernstudien der Universität Tübingen, Fernstudium Naturwissenschaften, EVOLUTION, Heft 4: Ursprung und frühe Evolution des Lebens, Tübingen, 1985)

 

 

Universität Tübingen; Lehrbrief Fernstudium; Evolution:

 

S.8
1. Einleitung: Problemstellung und historischer Hintergrund
… Seit einigen Jahrzehnten wird nun auch erforscht, ob und wie jener hypothetische Erstahne auf natür­liche Weise aus unbelebten Stoffen entstanden sein könnte. Der Ursprung ersten Lebens - von Ernst HAECKEL 1866 „Biogenese“ genannt - muß weit zurückliegen. Das Forschungsgebiet, die „Bio­genetik", hat inzwischen Lehrbuchumfang erreicht, jedoch noch keine gefestigte umfassende Theorie der Bioge­nese erarbeitet, sondern erst alternative Hypothesen und Teiltheorien über gewisse Weg­abschnitte. Die Schwierigkeit liegt vor allem darin, daß - anders als bei Erforschung der Phänomene heutigen Lebens - der Lebensursprung ein weit zurückliegendes historisches Ereignis war, das nie­mand beobachtete. Es kann daher nur „kriminalistisch" rekonstruiert werden, indem man Möglichkei­ten des Geschehens auf­grund der Naturgesetze ausdenkt und zwischen diesen Hypothesen durch beobachtbare Indizien (rele­vante Fakten) und Logik (folgerichtiges Denken) zu entscheiden sucht. Auch wenn ein natürlicher Weg der Biogenese gefunden wird, der mit allen Naturgesetzen (d.h. logi­schen Folgen aus den Wirkweisen aus Atomen bestehender Systeme) und mit allen einschlägigen Fakten verträglich ist, so ist er keine „ab­solute Wahrheit". Keine menschliche Erkenntnis über die Realität ist absolut sicher. Auch wissen­schaft­liche Theorien gelten nur so lange als zutreffend, als sie relevante Erfahrungsfakten erklären, vor­hersa­gen lassen und ihnen nicht widersprechen. Das gilt für jede Aussage über die Wirklichkeit, auch für auf nichtwissenschaftlichen Wegen z.B. durch „über­natürliche Eingebungen" oder „Intuition" gefundene.

S.163ff:
Zur Kontroverse um die Entstehung des Lebens
(Nobelpreisträger) M. Eigen:
Leben kann nicht sein ?
Es ist aber
Wer heute behauptet, das Problem des Ursprungs des Lebens auf unserem Planeten sei gelöst, sagt mehr, als er wissen kann. Doch um wieviel mehr müßte der wissen, der die Gegenbehauptung auf­stellt und uns einreden will, dass Leben auf natürliche Weise, also auf der Grundlage von Naturgeset­zen, mit Gewißheit nicht entstehen konnte. Er müßte nicht nur sämtliche Bedingungen kennen, unter denen Le­ben möglicherweise entsteht, er muß auch beweisen, daß gerade diese unter all den vielen möglichen Bedingungen der frühen Erde nicht realisierbar waren. …

 

(Quelle: Q10 Deutsches Institut für Fernstudien der Universität Tübingen, Fernstudium Natur­wis­senschaften, EVOLUTION, Heft 3: Theoretische Grundlagen der Evolution, Tübingen, 1986)

 

 

Universität Tübingen; Lehrbrief Fernstudium; Evolution:

 

S.7ff.

Wissenschaftstheoretische Betrachtungen sind besonders gut als Themen für eine Zusammenarbeit von Lehrern verschiedener Fächer geeignet.


Theoretisches über Theorie

Die folgenden wissenschaftstheoretischen Überlegungen sollen eine gemeinsame Ausgangsbasis für die Diskussion der theoretischen Grundlagen der Evolutionsbiologie schaffen, die im Wesen eine his­torische Wissenschaft ist, wenn auch die Rekonstruktion des geschichtlichen Ablaufs durch natur­wissenschaft­liche Methoden erfolgt. Die Klärung der Ausgangsbasis ist besonders wichtig im Hinblick auf die zuneh­mende Verbreitung unwissenschaftlicher Thesen zur Geschichte des Lebens (Kreatio­nismus).

1.1 Allgemeines

Selbstverständlich ist die Grundlage der Evolutionsbiologie die Evolutionstheorie. Es ist aber zum einen zu fragen, ob es die Evolutionstheorie im Sinne eines einheitlichen, widerspruchsfreien Erklä­rungs­systems überhaupt gibt, und zum andern, was denn eine wissenschaftliche Theorie, die die Evolutions­theorie ja zu sein beansprucht, gegenüber nichtwissenschaftlichen Aussagen auszeichnet.

1.2 Definitionen und Kriterien

Eine Theorie ist eine Menge von systematisch geordneten Aussagen über einen Bereich der Wirklich­keit, die sowohl erklärende (explikative), als auch voraussagende (prognostische) Funktion hat (vgl. KLAUS und BUHR, Philosophisches Wörterbuch, 1964).
Das heißt, eine Theorie muß bekannte Fakten und bekannte Zusammenhänge erklären, und sie muß Vorhersagen über zukünftige Erkenntnisschritte erlauben.
Eine wissenschaftliche Theorie* zeichnet sich dadurch aus, daß sie, mindestens im Prinzip, widerleg­bar ist. Sie muß ein Falsifikationskriterium enthalten, oder ein solches muß aus ihr ableitbar sein.
Das hier vertretene Verständnis von Wissenschaftlichkeit fußt im großen und ganzen auf K. POPPER (1973). Ausgangspunkt dieses Wissenschafts-Verständnisses ist die Erkenntnis, daß es keine formal-logische Begründung dafür gibt, von einer Serie von Ereignissen auf ein zukünftiges zu schließen, weil man glaubt, eine allgemeine Gesetzmäßigkeit gefunden zu haben. Mit anderen Worten, Induktion ist logisch unzulässig. Induktives Vorgehen, d.h. das Beobachten von Einzelfällen und das Schließen auf allgemeine Gesetzmäßigkeiten, wird aber weithin als grundlegend für die Naturwissenschaften betrach­tet. POPPER leugnet keineswegs die Bedeutung und Berechtigung der Induktion für den All­tagsverstand (so können wir selbstverständlich hundertprozentig sicher sein, daß morgen die Sonne aufgeht), aber er betont die Hinfälligkeit dieser Methode für die Erkenntnistheorie. Daraus folgt, daß eine Theorie nie logisch bewiesen werden kann: Keine noch so lange Versuchsreihe kann ausschlie­ßen, daß genau der nächste, nicht mehr durchgeführte Versuch die Theorie widerlegt hätte, die er „beweisen" sollte. Was man tun kann, ist, aus einer Theorie überprüfbare Hypothesen abzuleiten. „Überprüfbar“ heißt, man muß einen Test durchführen können, der positiv oder negativ ausgehen kann. Für den Fall des negativen Ausgangs muß klar sein, daß dann die Theorie, zumindest in der formulierten Fassung, widerlegt ist. Bei positivem Ausgang eines solchen Tests kann man sagen, daß die Theorie sich einmal „bewährt" hat. …
Je mehr Widerlegungsversuchen eine Theorie standhält, d.h., je häufiger sie sich bewährt hat, desto verläßlicher ist sie, desto näher dürfte sie der Wahrheit kommen. Man kann auch sagen, desto „wah­rer" ist sie. POPPER spricht in diesem Fall von „wahrheitsähnlicher" (1971 in 1973).
Wenn aus einer Theorie keine oder nur schwer prüfbare Hypothesen ableitbar sind, dann ist sie nicht oder nur schwer widerlegbar. Allerdings kann sie sich auch nicht oder nur schwer „bewähren“  Eine Theo­rie ist also nicht um so besser, je schwerer, sondern je leichter sie prinzipiell zu widerlegen ist. Wenn sie trotzdem in den durchgeführten Tests nicht widerlegt werden konnte, ist es um so unwahr­scheinlicher, daß sie falsch ist.
… die Qualität einer Theorie bemißt sich nicht nur nach dem Falsifikationskriterium, auch nicht aus­schließlich nach dem Grad der Bewährtheit (wie vielen Widerlegungsversuchen sie standgehalten hat), sondern auch nach
+ dem Erklärungsgehalt: wie viele schon bekannte Tatsachen sie in sich aufnehmen kann,
+ der Plausibilität: mit wie vielen bewährten bzw. allgemein akzeptierten Theorien sie kongruent ist und
+ der Parsimonität: „Sparsamkeit", d.h. wie viele Zusatzannahmen sie erforderlich macht.
Dies alles kann nur im Vergleich zwischen konkurrierenden Theorien bemessen werden.
Eine Theorie kann immer nur vorläufig „wahr" sein. Wenn sie eine echte wissenschaftliche Theorie ist, muß die Möglichkeit bestehen, sie zu widerlegen. Das gilt nicht nur für einzelne Theorien, sondern auch für größere Erklärungszusammenhänge. Eine Sache gilt als erklärt, wenn sie als konkreter Fall einer all­gemeinen Gesetzmäßigkeit formuliert werden kann. Daraus ergibt sich eine Hierarchie von Erklärungs­zusammenhängen, d. h. von Theorien. Die Widerlegung einer Theorie hat daher zwangs­läufig Konse­quenzen für die Hierarchieebenen darüber und darunter.
Häufig wurde in der Geschichte der Wissenschaft eine Theorie als Spezialfall einer übergreifenden Ge­setzmäßigkeit erwiesen (z.B. die NEWTONsche Mechanik als Spezialfall der EINSTEINschen Relati­vi­tätstheorie), oder konkurrierende Theorien stellten sich als vereinbare Teilaspekte einer über­greifenden Theorie heraus …

Weit übergreifende Erklärungsrahmen, die für bestimmte geschichtliche Phasen bestimmend waren oder sind, werden „Paradigmen“ (oder „Paradigmata", Singular „Paradigma") genannt. Beispielsweise war die Ansicht, die Sonne und alle anderen Himmelskörper drehten sich um die stillstehende Erde, geltendes Paradigma vor der „kopernikanischen Wende". Ein weiteres Beispiel ist die Lehre von der Unveränder­lichkeit der Arten, die bis zur „DARWINschen Wende" geltendes Paradigma war.
Ein Paradigma ist nichts anderes als eine Über-Theorie (Metatheorie), die als Bezugs- und Erklä­rungs­rahmen für alle Theorien auf einem bestimmten Gebiet zu einer bestimmten Zeit dient(e). Wech­sel von einem Paradigma zu einem neuen vollziehen sich häufig innerhalb kurzer Zeit und unter erheblichen in­ner- und außerwissenschaftlichen Auseinandersetzungen („wissenschaftliche Revoluti­onen" nach TH. S. KUHN 1967). Diese Heftigkeit der Paradigmenwechsel rührt (nach KUHN) daher, daß zunehmende Un­verträglichkeiten neuer Daten mit dem alten Paradigma zunächst zur Bildung von Ergänzungen und Er­weiterungen des Paradigmas führen. Aus verständlichen Gründen ist zunächst die überwiegende Mehr­heit der Wissenschaftler daran interessiert, das Erklärungskonzept, das ihnen allen als Bezugs­rahmen dient, ihnen hilft, Wahrheit oder Falschheit einer Aussage festzustellen, ihnen über lange Zeit vertraut war und mit dem sie sich identifizieren, so lange wie möglich zu bewahren. In solchen Situatio­nen „ist die Zeit reif" für neue übergreifende Theorien. Wenn nun ein solches neues Erklärungskonzept die angewachse­nen Widersprüche auflöst und gleichzeitig zu neuen Untersuchun­gen anregt, dann ist die Wahrschein­lichkeit groß, daß dieses neue Konzept zuerst wenige, aber streit­bare, dann aber auch eine rasch wach­sende Zahl von Anhängern gewinnt. Allerdings muß gesagt werden (was auch KUHN schon erwähnte), daß nicht immer nur wissenschaftliche Gründe für Annahme oder Nichtannahme bzw. verzö­gerte An­nahme eines neuen Paradigmas verantwortlich sind. Nationalität, Geschlecht, gesellschaftliche Stellung, Zugehörigkeit zu einer bestimmten „Schule" und ähnliche Prädikate des/der Autor/s/en bzw. Autorin/neu bestimmten und bestimmen immer noch darüber mit. Es gilt festzuhalten, daß gesellschaft­liche Bedin­gungen und innerwissenschaftliche immer und notwendigerweise verzahnt sind, denn die Menschen, die Wissenschaft betreiben, sind Teil der Gesellschaft, in der sie leben. Es wäre demnach sinn- und aus­sichtslos, die Forderung nach einer von gesellschaftlichen Einflüssen freien Wissenschaft zu erheben. Dies heißt jedoch auch, daß die Aufhebung von Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft den – auch sozia­len - Prozeß der Annahme einer wissenschaftlichen Theorie gerechter werden ließe.

1.3 Historische Theorien und nichtwissenschaftliche Erklärungen

Das Kriterium der Widerlegbarkeit einer Theorie gewinnt besonderes Gewicht bei der Behandlung einma­liger zeitlicher Abläufe. Aus einer Theorie über einen geschichtlichen Prozeß lassen sich nur indirekt widerlegbare Hypothesen ableiten. „Die Erforschung der Geschichte ist der Versuch einer Rekonstruktion von einmaligen Ereignissen, die sich in der Vergangenheit abgespielt haben. Für solche Rekonstruk­tionsarbeit gibt es keine echte Testbarkeit. Evolutionslehre sowie Geschichts­forschung haben nach POPPERS Definition von Wissenschaft als Metaphysik zu gelten" (RIEPPEL 1983, S. 16)
[194]. Wie aber oben schon aufgeführt, ist die Möglichkeit zur Herleitung widerlegbarer (d.h. testbarer) Hypothesen nicht das einzige Qualitätskriterium für die Beurteilung einer Theorie. Auch im Bereich der „Metaphysik" kön­nen konkurrierende Theorien rational gegeneinander abgewogen wer­den (z.B. die Theorie von der Kon­stanz der Arten gegen DARWINS Evolutionstheorie).
Zudem können indirekte Tests (beispielsweise Vorhersagen über noch nicht gemachte Entdeckungen) für historische Theorien ebenso gewertet werden wie direkte Tests in Form von wiederholbaren Expe­rimen­ten für die „exakten" Naturwissenschaften (s. RUSE 1982, S. 135 ff.). Jüngst wurde sogar behauptet, die Deszendenztheorie (die Theorie der Abstammung der heute lebenden Tierarten von gemeinsamen Vor­fahren) sei eine im Prinzip „leicht falsifizierbare, oft getestete und noch nicht wider­legte Theorie" (VAN DONGEN und VOSSEN 1984). Allerdings ist zu betonen, daß es keine Theorie gibt, die ein Urteil über die Gültigkeit von wissenschaftlichen (bzw. rational-metaphysischen) Aussa­gen und gleichzeitig von Glaubenssätzen oder mythischen Erklärungen erlaubt. Es ist daher eminent wichtig, in Diskussionen um solche Probleme zu klären, welche Maßstäbe für eine Theorie gelten sollen, resp. sich zu einigen, wann eine Aussage wahr sein soll. Innerhalb der Wissenschaft wird das der Fall sein, wenn eine Theorie vielen Widerlegungsversuchen standgehalten hat (d.h. wenn ihr Bewährungsgrad hoch ist), oder, wo dies nicht anwendbar ist, wenn eine Theorie die Beobachtungs­daten umfassend, in sich widerspruchsfrei und in Übereinstimmung mit anderen, testbaren Theorien erklärt.
Ein weiterer Punkt ist wichtig: Nichtwissenschaftliche „Theorien" über die Entstehung der Lebewesen und ihrer Vielfalt (z.B. Schöpfungsgeschichten in Märchen, Sagen und Mythen) sollen gar nicht über­prüfbar sein, sie sollen vielmehr geglaubt werden. Auch die gesamten Erklärungsmodelle der Natur­wissenschaft gehen letzten Endes auf empirisch nicht widerlegbare (wohl aber rationale) Grund­annahmen zurück (z.B. mathematische Axiome wie die PEANOschen**, oder daß es eine objektive Realität unabhängig von un­serer Erkenntnis gibt, daß die Welt nur einmal existiert, dass die Zeit aus dem Unendlichen kommt und linear ins Unendliche geht usw.). Der entscheidende Unterschied zum Mythos ist jedoch, daß innerhalb der Wissenschaft jede Erklärung überprüfbar sein soll und damit hinterfragt werden darf. Intuition, Emo­tion und Ästhetik spielen zwar in der Praxis des Experimentie­rens und Datensammelns eine nicht uner­hebliche Rolle, dürfen jedoch in Begründungen und Erklä­rungen gar nichts gelten (hier liegt z.B. einer der großen Unterschiede zwischen Wissenschaft und Anthroposophie, vgl. z.B. SCHRAMM 1984).

* „Wissenschaft“ wird hier im Sinne von „science“, d.h. ungefähr „Naturwissenschaft“, verwendet

** Guiseppe PEANO (1858-1932) entwarf 1891 sein Axiomensystem, aus dem sich die Eigenschaften der natürlichen Zahlen herleiten lassen:
1.  0 ist eine Zahl.
2. Jede Zahl hat genau einen Nachfolger.
3. 0 ist nicht Nachfolger einer Zahl.
4. Jede Zahl ist Nachfolger höchstens einer Zahl.
5. Von allen Mengen, die die Zahl 0 und mit der Zahl n auch deren Nachfolger n´ enthalten, ist die Menge der natürlichen Zahlen die kleinste.
(Nach GELLERT u. a. (Hrsg.): Handbuch der Mathematik. 739 S., Buch und Zeit Köln o. J.)

 

(Quelle: Q10 Deutsches Institut für Fernstudien der Universität Tübingen, Fernstudium Natur­wis­senschaften, EVOLUTION, Heft 3: Theoretische Grundlagen der Evolution, Tübingen, 1986)

 

(Quelle: Q12 Farouki, N. / Serres, M. (Hrsg.): Thesaurus der exakten Wissenschaften, Zweitau­sendeins Verlag, Frankfurt/Main, 2001)

 

 

Aus dem „Thesaurus der exakten Wissenschaften“
(Grenzen der naturwissenschaftlichen Erkenntnis)

„Anfang, Ursprung“

Die Frage nach dem Anfang und Ursprung ist natürlich keine wissenschaftliche Frage. Zwar sind viele Menschen fasziniert von den vier großen Fragen nach dem Ursprung des Universums, des Lebens, des Menschen und des Bewusstseins, doch diese Faszination beruht eher auf den religiösen Konno­tationen dieser Fragen als auf einem Interesse an den Antworten, die unsere Wissenschaften darauf geben. Denn, genau gesagt, geben die Wissenschaften darauf keine Antwort. Und das hat seine Gründe. Jede dieser Entitäten – das Universum, das Leben, der Mensch, das Bewusstsein – existiert als solche auf der Ebene ihrer Entstehung nur im Rahmen der philosophischen oder religiösen Frage­stellung, aber nicht im Zusammenhang einer wissenschaftlichen Realität …
Wer vom Ursprung des Universums spricht, der meint, dass es eine Zeit gab, da das Universum sei­nen Anfang nahm. Dieser Ausdruck setzt voraus, dass die Zeit außerhalb des UNIVERSUMS existiert, dass es eine absolute, gleichsam göttliche Zeit gibt. Die Physik lehrt uns aber, dass Raum, Zeit und Materie untrennbar miteinander verbunden sind … Für Physiker hat es deshalb gar keinen Sinn, von einem An­fang oder Ursprung des Universums im zeitlichen Sinne zu sprechen; sie vermögen nur die Veränderun­gen des bereits existierenden Universums zu beschreiben. Ein zeitlicher „Nullpunkt“ ist nur eine Konven­tion, die aus Gründen der leichteren mathematischen Behandlung eingeführt wird.
Die wissenschaftliche Erforschung des Ursprungs des Lebens konzentriert sich auf die Bedingungen, die dessen Entstehung ermöglicht haben. Da Leben durch die Fähigkeit definiert ist, sich zu reprodu­zieren, durch eine Fähigkeit also, die das Leben bereits voraussetzt, können wir uns aus dem darin enthaltenen circulus vitiosus nur befreien, indem wir uns den physikalischen und chemischen Eigen­schaften der Grundbausteine des Lebens zuwenden. Stehen am Anfang des Lebens einfache Mole­küle? Ist die Biolo­gie letztlich auf die Chemie zurückzuführen? Falls man diese Frage bejaht, verlagert sich die Frage nach dem Ursprung des Lebens in ein anderes Fachgebiet, die Chemie. Aber hat der Begriff des Lebens dann überhaupt noch einen Sinn?
Die beiden letzten Ursprungsfragen betreffen das Wesen des Menschen ...
Wollen wir die Frage nach der Entstehung des Menschen im Rahmen der Evolution beantworten (an wel­chem Punkt der Entwicklung löste er sich von der Abstammungslinie unserer nahen Verwandten, der großen Primaten?), müssen wir wissen, aufgrund welchen Kriteriums wir wirklich von einem Men­schen sprechen können.
Die Frage nach dem Ursprung des Bewusstseins wiederum (ab welchem Punkt der individuellen Ent­wicklung besitzt ein menschliches Wesen ein Bewusstsein, das seine Menschlichkeit ausmacht und ihm seine Einzigartigkeit verleiht?) hat nur dann Sinn, wenn wir genau angeben können, was „Bewusstsein“ bedeutet. …
Die Naturwissenschaft ist in ihrem Element, wenn es darum geht, Veränderungen zu analysieren und zu verstehen; die Frage nach der Entstehung von Dingen aus dem Nichts, der creatio ex nihilo, bildet dage­gen eine Grenze, jenseits derer die Wissenschaft keine Antworten zu geben vermag
.

„Hypothese, Theorie“
… Die großen Umwälzungen in der Geschichte der Wissenschaft zwingen die Forscher, sehr vorsich­tig mit dem Begriff der Wahrheit umzugehen. Da der Aufbau der Welt sich ihnen nicht a priori erschließt, müssen sie eingestehen, dass der wissenschaftliche Diskurs über die Welt bestenfalls eine theoretische Erklärung liefert, die für den Augenblick Geltung beansprucht, aber jederzeit durch neue Beobachtungen und EXPERIMENTE widerlegt werden kann.
Auch wenn eine Theorie ... ein allgemeines Weltbild darstellt, in dessen Rahmen wissenschaftliche Me­thoden Anwendung finden, handelt es sich dennoch um eine Hypothese, die man in den Rang einer The­orie erhoben hat, weil sie so umfassend ist und so viele Fachgebiete sich in ihrem Rahmen bewegen können. Zu diesen umfassenden Theorien gehören etwa die Darwinsche Evolutionstheorie, die Theorie des expandierenden Universums und das Standardmodell der Quantenphysik ...

„Singularitäten in der Astrophysik“
Von einer Singularität spricht man in der Astrophysik wie allgemein in der Physik, wenn in der mathe­mati­schen Formel, die die Realität darstellen soll, Größen (wie Dichte, Ladung, Druck, Temperatur usw.) auf­treten, die an einem Punkt im RAUM oder in der ZEIT unendliche Werte annehmen. Diesen mathemati­schen Ergebnissen kann keine physikalische Realität entsprechen, denn in der Physik kennt man nur messbare, das heißt endliche Größen. Die Singularität verweist daher auf eine man­gelhafte Überein­stimmung zwischen Theorie und Wirklichkeit und kann gerade deshalb äußerst fruchtbar sein, denn sie bezeichnet eine Stelle, an der die Theorie mangelhaft und die mathematische Darstellung allzu summa­risch gegenüber der Realität ist. …
(in Modellen zur Beschreibung des Kosmos gibt es Zustände) … dass die Dichte von Materie und Ener­gie unendlich groß wird; solch ein Zustand hat im Universum keinen physikalischen Sinn und kann im Universum nicht real eintreten. Es handelt sich um eine Singularität; sie gehört für den Mathematiker nicht zur RAUM-ZEIT, der alle übrigen Zustände angehören

„unmöglich“
Auch wenn manche gern sagen, nichts sei unmöglich, kennt man in den Wissenschaften doch man­cher­lei Unmögliches, und sei es nur dadurch bedingt, dass jede Wissenschaft ihren Gegenstands­bereich prä­zise abgrenzen muss. Da Wissenschaften niemals die Gesamtheit des Wissens über die Gesamtheit aller Objekte in sich vereinigen, bestimmen sie durch die Abgrenzung ihres Gegenstands­bereiches stets auch jenen Bereich, über den sie mit ihren Methoden unmöglich etwas auszusagen vermögen. Hierzu gehören z.B. alle Fragen, die den Ursprung der Dinge betreffen.

„Widerlegbarkeit“
Oft besteht die Tendenz, das wissenschaftliche Vorgehen über die „Verifizierbarkeit“ seiner Schluss­folge­rungen zu definieren. So bezeichnet man jede Information als wissenschaftlich, die durch Beob­achtung und Experiment bestätigt wird. Implizit bedeutet diese Sichtweise, dass der wissenschaftliche Diskurs die Wirklichkeit der uns umgebenden Welt so objektiv und passiv wie möglich beschreibt.
Diese Vorstellung lehnte Karl Popper ab, da für ihn keine wissenschaftliche Erkenntnis existiert, in der sich die REALITÄT der Welt lediglich widerspiegelt. Tatsächlich ist jede wissenschaftliche Erkenntnis eine von unserem Verstand aufgestellte Hypothese, die wir vielfältigen Prüfungen unterziehen, damit die Außenwelt sie widerlegt oder bestätigt. Sagt die Natur „ja“, so ist es meist lediglich ein „vielleicht ja“. Sagt sie dagegen „nein“ – widerlegt sie also die Hypothese -, so geschieht dies kategorisch.

 

(Quelle: Q12 Farouki, N. / Serres, M. (Hrsg.): Thesaurus der exakten Wissenschaften, Zweitau­sendeins Verlag, Frankfurt/Main, 2001)

 


(Quelle: Q13 Ferguson, K.: Gott und die Gesetze des Universums, Econ, Düsseldorf 2002)

 

 

Kitty Ferguson (Wissenschaftsjournalistin):

 

S.29
erinnern uns Wissenschaftler immer wieder daran, dass das „Gesetz“ von Ursache und Wirkung ein „Glaubensartikel“ ist und mitnichten ein Gesetz

S.47f.
Naturwissenschaft behauptet nicht, sie habe die letzte Wahrheit über irgend etwas entdeckt … dass sie ein tieferes Verständnis der Natur suchen … „Standardmodell“ , das die meisten Experten zum gegen­wärtigen Zeitpunkt akzeptieren
sie sprechen von „approximativen Theorien“, die zwar in einem bestimmten Bereich zufriedenstellend funktionieren, aber nicht die ganze Wahrheit zu sein beanspruchen …
sie sprechen von „effektiven Theorien“ d.h. von etwas, mit dem man gegenwärtig arbeiten kann
Es besteht allgemeine Einigkeit darüber, dass in der Naturwissenschaft nichts jemals „bewiesen“ wer­den kann

S.67:
Werner Heisenberg:
Auch in der Naturwissenschaft ist also der Gegenstand der Forschung nicht mehr die Natur an sich, sondern die der menschlichen Fragestellung ausgesetzte Natur“;

S.120:
An den Grenzen der wissenschaftlichen Wahrheit
Religion, Kunst, Philosophie, Musik, Dichtung, Literatur, die Künste und die Geisteswissenschaften haben die Grenzen der menschlichen Erfahrung erweitert und uns Einsichten und Erklärungen ver­mittelt, denen unverkennbar Wahrheit anhaftet. Sie verkörpern etwas, wozu die Naturwissenschaft nicht in der Lage ist – und feiern es sogar -, nämlich das Unerklärliche, das Abseitige, das Nichtein­ordenbare, das Unvorher­sehbare, das Sinnlose, das Einmalige, das Einzigartige, das Wunderbare, das Absurde und das Irratio­nale.

Der Physiker Stephen Hawking selbst hat als erster darauf hingewiesen, dass sein Konzept nur ein Vor­schlag ist. Er bezeichnet es nicht einmal als eine Theorie. Es ist ein spektakuläres, wildes Phanta­sie­gebilde.

 

(Quelle: Q15 GEOkompakt Nr.4: Die Evolution des Menschen, Hamburg 2005)

 

 

S.3
Doch so viel wir auch in den vergangenen 150 Jahren über den Ursprung der Arten gelernt haben: Die meisten evolutionsbiologischen Erklärungen sind dennoch keine unumstößlichen Wahrheiten, „son­dern Hypothesen und Denkmodelle, die aber eine enorme Erklärungskraft und große Plausibilität haben“, so mein Kollege Henning Engeln, der das Konzept für dieses Heft erarbeitet hat. Denn eines darf man bei allem Respekt vor der akribischen Forschung besonders in den letzten Jahrzehnten nie vergessen: Die Paläoanthropologen versuchen die rund sieben Millionen Jahre währende Entwick­lungsgeschichte des Menschen aus gerade mal 3000 Funden herauszulesen. Das entspricht einem einzigen Fossil für einen Zeitraum von jeweils etwa 2500 Jahren.

S.25
dass es mittlerweile einen ganzen „Wald“ von Stammbäumen des Menschen gibt;

S.55
statistisch wird nur alle fünf Jahre ein wichtiges fossiliertes Relikt der Menschheitsgeschichte entdeckt. Hominidenforscher sind daher zahlreicher als Hominidenfunde;

 

S.77 Für mehr als 99% unserer Evolution haben wir nicht einen einzigen fossilen Beleg;


 

(Quelle: Q16 Haeckel, E.: Die Lebenswunder, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1906)

 

 

Ernst Haeckel:

 

S.2ff.
Gustav Kirchhoff (Entdecker der Spektralanalyse): „Die Aufgabe der Wissenschaft ist, die in der Natur vor sich gehenden Bewegungen zu beschreiben, und zwar vollständig und auf die einfachste Weise zu be­schreiben.“. Diese Weisung hat nur dann einen Sinn, wenn man dem Begriffe „Beschreibung“ eine ganz andere Bedeutung unterlegt, als üblich ist, d.h. wenn die „vollständige Beschreibung“ zugleich eine Erklä­rung enthält. Denn alle wahre Wissenschaft geht seit Jahrtausenden nicht auf ein­fache Kenntnis durch Beschreibung der einzelnen Tatsachen, sondern auf deren Erklärung durch die bewirkenden Ursachen. Freilich bleibt deren Erkenntnis immer mehr oder weniger unvollkommen oder selbst hypothetisch ...
Das Streben nach möglichster Genauigkeit und Objektivität der Beobachtung lässt vielfach den wich­tigen Anteil übersehen, den die subjektive Geistestätigkeit des Beobachters an ihrem Ergebnis hat ...
In dem modernen Kampfe um die Deszendenztheorie ist nicht selten der Versuch unternommen wor­den, die Entstehung neuer Arten experimentell zu beweisen oder zu widerlegen. Dabei wurde ganz vergessen, dass der Begriff der Art oder Spezies nur relativ ist und dass kein Naturforscher eine befriedigende absolute Definition dieses Begriffes geben kann. Nicht minder verkehrt ist es, das Expe­riment auf histori­sche Probleme anwenden zu wollen, wo alle Vorbedingungen für sein Gelingen feh­len. ... Die Sicherheit der Erkenntnis, die wir empirisch durch Beobachtung und Experiment gewinnen, ist direkt nur möglich in der Gegenwart. Dagegen sind wir bei der Erforschung der Vergangenheit auf andere Methoden der Er­kenntnis angewiesen, die minder zuverlässig und zugänglich sind, auf Geschichte und Tradition. ...
Trotzdem bleiben hier stets unzählige Pforten des Irrtums offen, da diese Urkunden meist unvollstän­dig sind, und da ihre subjektive Deutung oft ebenso zweifelhaft ist wie ihr objektiver Wahrheitsgehalt.

S.23
Unter „Wunder“ versteht man im gewöhnlichen Sprachgebrauch sehr verschiedene Vorstellungen. Wir nennen eine Erscheinung wunderbar, wenn wir sie nicht erklären und ihre Ursachen nicht begreifen kön­nen. Wir nennen aber ein Naturobjekt oder ein Kunstwerk wunderschön oder wundervoll, wenn es außer­ordentlich schön oder großartig ist, wenn es die gewohnten Grenzen unseres Vorstellungs­kreises über­schreitet. Nicht in diesem übertragenen relativen Begriff sprechen wir hier vom Wunder, sondern in dem absoluten Sinne, in welchem eine Erscheinung die Grenzen der Naturgesetze über­schreitet und für die menschliche Vernunft überhaupt unerklärbar ist.;

S.37
Kunst und Wissenschaft ... unsere Einbildungskraft strebt nach der Produktion einheitlicher Gebilde, und wenn sie  ... auf Lücken stößt, so sucht sie diese durch Neubildungen zu fül­len. Solche selbständige, die Lücken der Vorstellungskreise ergänzende Produkte ... nennen wir Hypothesen, wenn sie mit den erfah­rungsmäßig festgestellten Tatsachen logisch vereinbar sind, dagegen Mythen, wenn sie diesen Tat­sa­chen widersprechen;

S.39

Naturwissenschaft ... betrachtet ihre Objekte ... als wirklich existierende Dinge, deren Eigenschaften uns durch unsere Sinne ... und unsere Denkorgane ... bis zu einem gewissen Grade erkennbar sind. Dabei sind wir uns kritisch bewusst, dass beiderlei Erkenntnisorgane – also auch die durch sie gewonnene Er­kenntnis selbst – unvollkommen sind und dass vielleicht noch ganz andere Eigen­schaften der Orga­nis­men existieren, die uns unzugänglich sind.


 

(Quelle: Q26 Vollmer, G.: Biophilosophie, Reclam, Stuttgart, 1995)

 

 

Gerhard Vollmer (Erkenntnis-Theoretiker):

 

S.38
Biologie ist, wie alle Wissenschaft, fehlbar, vorläufig, hypothetisch. Allerdings sollte man aus dieser Ein­sicht nicht den Schluss ziehen, wissenschaftliche Erkenntnis sei, weil nicht sicher, im Grunde nur speku­lativ und darum wertlos. Zwischen Sicherheit und bloßer Spekulation liegt ein weites Spektrum …

Notwendige Merkmale einer guten erfahrungswissenschaftlichen Theorie sind Zirkelfreiheit, Wider­spruchsfreiheit, Erklärungswert, Prüfbarkeit und Testerfolg; wünschbar sind darüber hinaus: Einfach­heit, Anschaulichkeit, Breite, Tiefe, Lückenlosigkeit, Präzision, Axiomatisierbarkeit, Anwendbarkeit ...
Alle diese Kriterien reichen zwar nicht aus, die einst erträumte Sicherheit wissenschaftlicher Erkennt­nis wiederherzustellen; sie können aber doch dazu dienen, wissenschaftliche Hypothesen als zulässig und bewährt, sogar als zuverlässig oder vertrauenswürdig auszuzeichnen. …

S.51
Biologie als Naturwissenschaft schließt gewisse Fragen einfach aus, die anderswo gestellt werden. Fra­gen nach Daseinszielen, nach dem Sinn des Lebens, nach einem Weltenschöpfer oder Weltenlenker, nach Geltungsgründen oder moralischen Rechtfertigungen werden in der Biologie nicht nur nicht beant­wortet: Sie werden gar nicht erst gestellt, nicht einmal zugelassen. Als legitim gelten innerhalb der Erfah­rungswissenschaften nur Fragen, die Tatsachen betreffen und die im Rahmen erfahrungswissenschaft­licher Methoden wenigstens prinzipiell Aussicht auf Beantwortung haben.

S.53
Selbst ein so gut bewährter, bisher nie widerlegter und in die gesamte Naturwissenschaft eingebun­dener Satz wie der Energiesatz könnte sich eines Tages doch als falsch erweisen. Auch Behauptun­gen über Unmögliches stehen deshalb grundsätzlich unter dem Vorbehalt möglichen Irrtums. …

S.55
Aus Fakten (der Erfahrungswissenschaften) lassen sich Normen nicht gewinnen ... Wer es gleichwohl versucht, begeht den sogenannten naturalistischen Fehlschluss: Allein aus der Tatsache, dass ein Ver­halten sich in der Evolution herausgebildet und somit bewährt hat, folgt beispielsweise noch nicht, dass es gut oder richtig wäre. Das Natürliche ist nicht automatisch auch schon das Richtige. …

S.100
Die Wissenschaftstheorie hat zu interessanten Ergebnissen geführt … Eines ihrer Hauptergebnisse ist die Einsicht in den vorläufigen, hypothetischen oder Vermutungscharakter allen Tatsachenwissens, auch der wissenschaftlichen Erkenntnis …

S.108
Wirklichkeitserkenntnis ist eine adäquate (interne) Rekonstruktion und Identifikation äußerer Objekte. …

S.111
Die realen Objekte werden – durch Licht, Schallwellen, chemische Substanzen, Wärmestrahlung oder Gravitationsfelder – projiziert auf unsere Sinnesorgane, die meist auf der Körperoberfläche liegen. Auch technische Geräte, Beobachtungs- und Messinstrumente, Fernrohre, Mikrophone, Thermo­meter, Kom­pass oder Geigerzähler, dienen lediglich der Verbreiterung dieses Projektions-„Schirmes“, der Über­set­zung von Projektionssignalen in solche, die unser natürlicher Apparat verarbeiten kann. …
Alles Tatsachenwissen ist hypothetisch

S.128
Unser Gehirn ist freilich nicht als Erkenntnisorgan, sondern als Überlebensorgan entstanden. …

S.35
Nach dem Popperschen Falsifikationskriterium – eine gute erfahrungswissenschaftliche Theorie muss an der Erfahrung scheitern können – böte die Biologie, vor allem aber die Evolutionstheorie, also nur ein zwar fruchtbares, letztlich aber doch metaphysisches Forschungsprogramm
(Seite 105:
Popper selbst hat sein Urteil über die Evolutionstheorie widerrufen. 1977 erklärte er, die Theo­rie der natürlichen Auslese sei doch eine prüfbare Theorie)

S.42
Genetik und Entwicklungsbiologie erklären zwar (ansatzweise), wie aus Lebewesen neue Lebewesen entstehen, und die Evolutionstheorie erklärt (ansatzweise), wie aus Arten neue Arten entstehen, wie je­doch die ersten Lebewesen entstanden sind, das erklären sie nicht. Sie können das auch gar nicht, da sie die Existenz von Lebewesen ja schon immer voraussetzen. Erste Lebewesen können offenbar nicht aus belebten Systemen entstehen, (da sie sonst nicht die ersten Lebewesen wären), sondern nur aus unbelebten. ...
Die Entstehung des Lebens kann also, wenn überhaupt, nur durch Physik und Chemie erklärt werden
Zufällige Ereignisse haben keine Ursache und damit auch keine Erklärung …
sind nicht völlig gesetzlos, sondern genügen statistischen Gesetzmäßigkeiten
. Solche Gesetze sind je­doch nur dann anwendbar, wenn es sich um Ereignisklassen handelt, der Erklärung von Einzel­ereignis­sen können sie dagegen nicht dienen …

S.105
Tatsächlich ist bisher kein Faktum bekannt, das der Evolutionstheorie widersprechen oder sie wider­legen würde. Freilich gibt es noch viele ungelöste Probleme. Viele Kritiker verwechseln die beste­hende Unvoll­ständigkeit der Evolutionstheorie mit Falschheit.

 

(Quelle: Q26 Vollmer, G.: Biophilosophie, Reclam, Stuttgart, 1995)

 

(Quelle: Q28 Vollmer, G., UNIVERSITAS 8/1991, S.768f.)

 

 

Gerhard Vollmer (Erkenntnis-Theoretiker):

 

Klassischer Determinismus

Das klassische Ideal einer erfolgreichen Ordnungssuche stellt der Laplacesche Dämon dar:

„Ein Geist, der für einen Augenblick alle Kräfte kennte, welche die Natur beleben, und die gegen­seitige Lage aller Wesenheiten, aus denen die Welt besteht, müßte, wenn er zudem umfassend genug wäre, um alle diese Angaben der (mathematischen) Analyse zu unterwerfen, in derselben For­mel die Bewegungen der größten Himmelskörper und die der leichtesten Atome überblicken. Nichts wäre ungewiß für ihn, und Zukunft wie Vergangenheit wären seinen Augen gegenwärtig.“

Laplace behauptet also, daß unter gewissen Bedingungen die ganze Welt berechenbar wäre. Es ist lehr­reich, sich die Voraussetzungen und die Konsequenzen dieses epistemischen Ideals klarzu­machen. Dies versuchen wir in der Ta­belle.

In dieser Darstellung wird vom Prinzip der schwachen Kausalität Gebrauch gemacht: Gleiche Ursa­chen haben gleiche Wirkungen. Die klassische Physik hat stillschweigend ein weit stärkeres Prinzip zugrunde­gelegt, das Prinzip der „star­ken" Kausalität: Ähnliche Ursachen haben ähnliche Wirkungen. Danach wir­ken sich kleine Abweichungen in den An­fangsbedingungen auch auf die späteren Zustände des be­trachteten Systems nur geringfügig aus; kleine Ursachen haben nicht beliebig oder unvorhersagbar große Wirkungen. Laplace hat dieses Prinzip nicht formuliert; wir dürfen aber anneh­men, daß er es, wie die spätere Physik auch, uneingeschränkt bejaht hätte. Bei den Prämissen in der Ta­belle entfällt dann die Forderung der absoluten Genauigkeit, und deshalb dürfen dann auch die Rechenergebnisse entspre­chende, d. h. mit den anfänglichen Abweichungen vergleichbare Unge­nauigkeiten aufweisen.

 

Tabelle: Voraussetzungen und Konsequenzen des klassischen Determinismus

WENN die Welt

·         deterministisch wäre und

·         ausschließlich aus (untereinander wechselwirkenden) Teilchen bestünde,

wenn die Newtonsche Bewegungsgleichung m • b = K uneingeschränkt gültig wäre,

wenn wir

·         alle Naturgesetze, insbesondere alle Kraftgesetze, und

·         alle Rand- und Anfangsbedingungen zu einem bestimmten Zeitpunkt (d. h. bei Gültigkeit der Newton­schen Gleichung die Orte und Geschwindigkeiten aller Teilchen)

·         mit absoluter Genauigkeit kennten und

wenn wir

·         alle diese Daten speichern,

·         mathematisch verarbeiten und

·         schnell genug

·         alle einschlägigen Gleichungen lösen könnten,

 

DANN wäre nicht nur der Lauf der Welt

·         in allen Einzelheiten

·         eindeutig bestimmt (gleiche Ursachen haben gleiche Wirkungen),

sondern dann könnten wir (oder wenigstens der Laplacesche Dämon oder ein gigantischer Super­com­puter) sogar

·         alle Ereignisse

·         der Vergangenheit und der Zukunft rechnerisch ermitteln.

 

Grenzen der Ordnungssuche

Die Suche nach Ordnung und Struktur, nach Regelmäßigkeiten und Naturgesetzen, war, das lehrt die Wissenschafts­geschichte, recht erfolgreich. Aber eine Garantie, daß sie immer und überall zum Ziel füh­ren werde oder gar müsse, gibt es nicht. Tatsächlich haben sich längst auch Grenzen dieses Ansatzes gezeigt. Sie liegen zum einen in der Ver­faßtheit der realen Welt, zum anderen in den Mög­lichkeiten (oder vielmehr in den Beschränkungen) des erkennenden Subjekts. Sieht man genau hin, so erweisen sich alle Prämissen des Laplaceschen Determinismus, soweit sie nicht sowieso nur epistemische Idealisierungen unbeschränkten Wissens und Könnens darstellen, als verfehlt. Dies kann hier allerdings nur noch durch eine Aufzählung belegt werden.

·         Die Welt ist nicht deterministisch. Nach der üblichen Deutung der Quantenphysik gibt es absolu­ten Zufall (und da­mit z.B. für den Zeitpunkt eines spontanen Kernzerfalls nicht nur keine Ursache, son­dern auch und erst recht keine Erklärung).

·         Die Welt besteht nicht nur aus Teilchen; sie enthält auch Felder. Der klassische Determinismus läßt sich aller­dings auf (klassische) Felder übertragen, so daß die Entdeckung von Feldern im 19. Jahr­hundert den Determinis­mus noch nicht ernsthaft gefährdete.

·         Die Newtonsche Bewegungsgleichung ist nicht universell anwendbar, insbesondere nicht auf Teil­chen ohne Ru­hemasse, etwa auf Photonen.

·         (Ob wir alle Kraftgesetze kennen oder kennen könnten, darf offenbleiben; daß es so sei, hat ja auch Laplace nicht behauptet.)

·         Messungen können den Zustand eines Systems verändern (stören), in einer Weise, die weder vor­her­ge­sagt noch nachträglich bestimmt werden kann.

·         Ort und Impuls eines einzelnen Teilchens sind nicht nur nicht gleichzeitig beliebig genau meßbar; reale Sys­teme haben überhaupt nicht scharfen Ort und Impuls. Die Quantenphysik definiert den Zu­stand eines Teil­chens deshalb anders als die klassische Physik.

·         Absolute Genauigkeit einer  Messung würde bei einer kontinuierlichen Größe (wie Ort, Zeit, Geschwin­digkeit) die empirische Bestimmung einer reellen Zahl, also von unendlich vielen Dezi­mal­stellen bedeuten. Das ist nicht reali­sierbar.

·         Daß die Prämissen der umfassenden Datenspeicherung, Datenverarbeitung und Rechengeschwin­digkeit für uns Menschen nicht erfüllbar sind, wußte natürlich auch Laplace; gerade deshalb hat er ja einen Geist mit über­menschlichen Fähigkeiten eingeführt. Jedoch durfte Laplace noch davon ausge­hen, daß alle mathemati­schen Probleme durch angebbare Verfahren, also letztlich algorithmisch, gelöst werden können. Heute wissen wir, daß auch diese Annähme falsch ist. Für manche Probleme konnte gezeigt werden, daß es für sie keinen Lösungsalgo­rith­mus geben kann. Außerdem ist für viele durchaus realistische Probleme ein Lösungsweg zwar bekannt; jedoch würde er selbst den ins Auge gefaßten kosmischen Supercomputer nachweislich  weit überfordern. Und einen eleganteren Lö­sungsweg gibt es dabei nicht; in einigen Fällen ist das bewiesen, in anderen ist es höchstwahr­schein­lich.

·         Das Prinzip der starken Kausalität ist nicht erfüllt. Wie die Untersuchungen an chaotischen Syste­men zeigen, kön­nen auch beliebig kleine Änderungen der Anfangsbedingungen immer noch zu unüber­sehbaren Abwei­chungen in späteren Zuständen führen. Bei solchen Systemen ist trotz ihrer determi­nistischen Struktur (also trotz schwacher Kausalität) keine zuverlässige langfristige Prognose mög­lich.

 

Es sind also drei Entwicklungen in der modernen Wissenschaft, die den Laplaceschen Dämon, den klas­sischen De­terminismus und damit die traditionelle Ordnungssuche ganz entscheidend in Frage stellen: Quantenphysik, Algorith­mentheorie (Metamathematik) und Chaos-Theorie.

 

(Quelle: Q28 Vollmer, G., UNIVERSITAS 8/1991, S.768f.)


 

(Quelle: Q47 Hemminger, Hansjörg: Das Wirklichkeitsverständnis der Naturwissenschaft, EZW-Texte Impulse Nr.23, Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Stuttgart, 1986)

 

 

S.4
Das Ziel der Wissenschaft besteht in der planmäßigen, gezielten Annäherung der gedanklichen Wirklich­keit des Menschen an die Realität der Welt, also der immer besseren – weil realistischeren – Abbildung der Welt in die Wirklichkeit menschlichen Denkens und Tuns. …

 

Allerdings gibt es viele Wissenschaftler, die mit der hier gegebenen Charakterisierung der Naturwissen­schaft nicht einverstanden wären. Sie fassen den Teil als Ganzes auf und betrachten die „natürlichen Dinge“ als die einzigen, denen Realität zukommt. Wenn man so denkt, wird die Naturwissenschaft zur einzig möglichen Wissenschaft, die Wirklichkeit und Realität einander näher annähern kann, und ihre empirische Methodik wird die einzige legitime wissenschaftliche Arbeitsweise.
Der Name für diese Art von Erkenntnistheorie ist bekannt, er lautet Positivismus. Und die dazugehörige Naturphilosophie trägt den Namen Naturalismus – beides bezeichnet Einstellungen, die innerhalb und außerhalb der Naturwissenschaft von unzähligen Menschen geteilt werden.

 

S.5
Die Unterschiede der Gewissheit oder Wahrheitsnähe werden durch verschiedene Begriffe wie Arbeits­hypothese, Hypothese, Theorie, Theorem und … Paradigma ausgedrückt. Unter „Theorem“ und „Para­digma“ werden dabei nur Gesetze mit weitem Geltungsbereich verstanden. … gehen alle diese Aussa­geformen fließend ineinander über, und die Grenzziehungen sind mehr oder weniger willkürlich.

 

S.14f.
Die Naturwissenschaft benötigt die Annahme nicht, dass es keine anderen Arten von Ursachen gäbe, als sie dem Menschen durch mittelbare Sinneserfahrungen zugänglich sind. Diese Annahme bildet die Grundlage des philosophischen Naturalismus, nicht diejenige der Naturwissenschaft. Was in der Natur­wissenschaft allerdings vorausgesetzt werden muss, ist eine gewisse Regelhaftigkeit im Bereich der „natürlichen Dinge“ …
Daher darf der Begriff der Kausalität in der Naturwissenschaft nur erkenntnistheoretisch und nicht natur­philosophisch verstanden werden, nämlich als ein vom Menschen formulierter logischer Zusammenhang in Form eines „wenn-dann-Satzes“, durch den die menschliche Naturerfahrung verallgemeinert wird …
Die Aussage „A ist Ursache von B“ heißt für Naturwissenschaftler lediglich: „Wenn A von uns methodisch richtig beobachtet (gemessen, erzeugt) wurde, brachte es B hervor.“ Dass auf A immer und notwendig B folgen muss, stellt die Naturwissenschaft nicht fest. …
Aus dem erkenntnistheoretischen Verständnis der Kausalität folgt, dass die pouläre Vorstellung von un­bedingt gültigen „Naturgesetzen“ keinen Teil naturwissenschaftlichen Denkens darstellt. Die Kausal­beziehungen, die die Naturwissenschaft feststellt, sind keine Gesetze, nach denen sich die Natur richtet. Wenn überhaupt, dann sind die Naturgesetze Regelmäßigkeiten, die der Mensch anhand seines momentanen Erfahrungsschatzes formuliert. Nicht die Natur folgt den Naturgesetzen, sondern diese fol­gen der Natur, indem der Forscher sie immer wieder an die zunehmende Erfahrung anpasst.

… wenn „Naturgesetze“ nicht nur beschreibend und erklärend benutzt werden, sondern wenn sie norma­tive, wertende Deutungen erfahren. Von „ewigen Naturgesetzen“ oder von den „unerbittlichen Gesetz­mäßigkeiten der Natur“ kann man nur als Naturphilosoph, nicht aber als empirischer Forscher sprechen.

 

S.17

Trotzdem widerlegt nicht jede falsche Erklärung, jede nicht eingetroffene Vorhersage, gleich grund­legende Naturgesetze: Denn naturwissenschaftliche Erklärungen beruhen … nicht nur aus Gesetzen, sondern auch auf den Anfangs- und Randbedingungen eines Naturgeschehens. Und da diese Bedingun­gen nur durch vereinfachende Annahmen verfügbar werden, ist es häufig nicht ohne weiteres festzustel­len, ob eine nicht eingetroffene Vorhersage ein Naturgesetz tatsächlich widerlegt. Man kann vermuten, es habe an der Kontrolle über die Randbedingungen gefehlt, eine der vereinfachenden Voraussetzungen sei unzulässig gewesen usw. Ob und in welchem Maße die „scientific community“ zu solchen Annahmen Zu­flucht nimmt, anstatt ihre Theorien zu überprüfen, hängt vom Stellenwert der Theorie im Gesamtgebäude der Naturwissenschaft ab, in hohem Maß aber auch von außerwissenschaftlichen Einflüssen. Für die Wissenschaft grundlegende oder soziokulturell bedeutsame Theorien können viele Falsifikationen über­stehen, ohne ernsthaft überprüft oder gar ersetzt zu werden. Bestätigungen erhalten dadurch in der Pra­xis einen höheren (und z.T. außerwissenschaftlich bedingten) Erkenntnisrang, als ihnen abstrakt logisch zusteht,und Misserfolge werden praktisch weniger bedeutsam. Diese geschichtliche Erfahrung wurde von KUHN in seiner Theorie des „Paradigmenwechsels“ aufgenommen und systematisiert.

 

S.19
Viele scheinbar oder wirklich „ganz natürliche“ Ereignisse, die für den Menschen von höchster Bedeutung sind, unterliegen einer mehr oder weniger stark ausgeprägten objektiven Unerklärbarkeit. Und selbst sicher naturwissenschaftliche Aussagen lasen sich nur dann in Handeln umsetzen, wenn sie normativen Vorgaben, wenn sie einem Ethos oder einer konkreten Utopie dienen können. Die Unerklärbarkeiten der Existenz und die Notwendigkeit von Normen, von ethischem Handeln machen die Lebenspraxis des Menschen für die Naturwissenschaft unverfügbar. Dies zu missachten, führt zu einer irreführenden Wissenschaftsgläubigkeit, zum sogenannten Szientismus. Nur allzuleicht wird die scheinbar wissen­schaftliche Aussage dann zum ideologischen Dogma …

 

S.21
Falsche Wissenschaftlichkeit beruht, wie am Beispiel des KKW-Unfalls, immer entweder auf dem Ver­schleiern objektiver Unerklärbarkeiten, also auf einer Scheingewissheit, oder auf dem Verschleiern von außerwissenschaftlichen Interessen und Absichten, also auf einer Scheinobjektivität.

 

S.22f.
christlicher Schöpfungsglaube:
Nach ihm bildet die Natur und der ganze Kosmos das Werk eines Schöpfers. Sie ist nicht alles, was ist, sondern etwas Gemachtes, dem der Mensch als Statthalter Gottes prüfend und fragend gegenübertreten kann. Die Naturkräfte haben keinen eigenen Willen oder Charakter, sie sind Werkzeuge göttlichen Wil­lens, auch wenn der Mensch ihnen unterliegt. Dadurch wird die menschliche Vernunft imstande gesetzt, hinter dem ungeordneten Katarakt der Naturerscheinungen die göttliche Ordnung zu suchen. Nur vom Schöpfungsglauben geprägte Männer wie Isaac Newton oder Johannes Kepler konnten annehmen, dass „Gott ein Mathematiker“ ist. Damit drückten sie ihren Glauben aus, dass die menschliche Vernunft Abbild göttlicher Vernunft und als solche fähig zum Nachvollziehen der Schöpfungsordnung sei. …

 

Bertolt Brecht charakterisiert in seinem „Galileo Galilei“ die Wissenschaft in meisterhafter Kürze als „Kunst des Zweifelns“ …

 

… war und ist die naturwissenschaftliche Forschung … ein Unternehmen der Wahrheitssuche, ein Stre­ben nach immer besserer Aneignung der Realität durch das menschliche Denken. Als Wahrheitssuche konnte die Naturwissenschaft zwar sehr wohl in Widerspruch zur kirchlichen Autorität und zu Detaillehren geraten, kaum aber in Gegensatz zum christlichen Schöpfungsglauben. Der Konflikt zwischen Kirche und Naturwissenschaft war also ursprünglich kein Konflikt zwischen Schöpfungsglaube und Vernunft ... Er war jedoch ein Konflikt zwischen der Autorität einer Institution und der Gedankenfreiheit des einzelnen Forschers. Die Naturwissenschaft war und ist daher auch ein emanzipatorisches Unternehmen, ein Ver­such, die Autonomie des erkennenden Menschen gegenüber allem scheinbar sicheren Wissen und ge­genüber allen Lehrautoritäten zu erreichen …

 

S.29
(christliche Naturwissenschaftler des 19. und 20. Jh. orientierten sich nicht an liberaler oder existenzialis­tischer Theologie) …
Sämtliche mir bekannten Naturwissenschaftler, die sich selbst als Christen bezeichnen, vertreten eine Theologie, die man nur als orthodox oder „mythologisch“ kennzeichnen kann, und dabei scheinen sie nicht unter ungewöhnlichen erkenntnistheoretischen Spannungen zu leiden. …
Naturwissenschaftler waren und sind entweder ziemlich orthodoxe Christen oder – was viel häufiger ist – bewusste Nichtchristen.

 

S.31f.
… von der „Kunst des Zweifelns“ allein kann man nicht leben, der Mensch verlangt nach einer Sinndeu­tung der eigenen Existenz und nach verlässlichen Wahrheiten, die dem Zweifel entzogen sind. Daher kann auch die naturwissenschaftliche Forschung nur dort ihren eigenen Gesetzen gemäß arbeiten, wo sie in einen deutenden, weltanschaulichen Gesamtzusammenhang eingebettet wird, der ihr Sinn und Ziel zuspricht. Dieser Sinn wurde ursprünglich vom christlichen Schöpfungsglauben her gewonnen, der in der Forschung das Nachvollziehen göttlicher Ordnungen erblicken konnte. Die Aufklärung erblickte den Sinn des Forschens dagegen in der Emanzipation des Menschen und damit in der Macht über Natur und Mit­mensch, die durch den Fortschritt eine heilere Welt schaffen würde. Diese aufklärerische Sinngebung hat heute an Überzeugungskraft verloren, obwohl sie noch keineswegs ganz überwunden ist. Bereits die Zerfallssymptome führen jedoch zu einer neuen Suche nach Sinnhaftigkeit, und vor dies allem unter den naturwissenschaftlich und technisch gebildeten Schichten der Bevölkerung.

Dass die weltanschauliche Sinnfrage mitten in der säkularen Welt neu gestellt wird, zeigt sich bereits darin, dass bei der Entwicklung der pantheistischen „New-Age“-Mythologien der letzten Jahre Natur­wis­senschaftler eine führende Rolle spielten. Diese Mythologien wirken sich … keineswegs so gravierend auf unser Weltbild aus, wie die Propheten der „Wendezeit“ selbst glaubten. Trotzdem belegt ihre schnelle Aufnahme, dass die Sehnsucht nach neuen Existenzdeutungen sich weit verbreitet hat. Nichts hätte deutlicher machen können, dass die „Kunst des Zweifelns“ der Naturwissenschaftler … nicht selbst Welt­anschauung ist, sondern dass sie für ihren existenziellen Vollzug eine tragende Weltanschauung benö­tigt. Und nichts hätte den theologischen Grundgedanken der Entmythologisierung drastischer in Frage stellen können als der bunte und vielfältige Aufbruch weltanschaulicher Mythologien in der naturwissen­schaftlich gebildeten Schicht der westlichen Welt. Der spitze Satz Rudolf Bultmanns: „Man kann nicht elektrisches Licht und Rasierapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische Hilfe in An­spruch nehmen, und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testament glauben“ wirkt vor diesem Hintergrund wie eine naturalistische Beschwörungsformel vergangener Zeiten. Die Gegen­wart beweist, dass elektrisches Licht schamanistische Rituale beleuchten kann, dass Ärzte moderner Kli­niken mit der Hoffnung meditieren können, sie würden dadurch in der Luft schweben lernen, und dass Intercity-Züge die Teilnehmerinnen von Hexenkongressen zusammenführen. Die Ansicht, dass Hexen­glauben nur dort möglich sei, wo anstatt Intercity-Zügen Reisigbesen verkehren, wurde in nur 30 Jahren vielfach widerlegt …

Das Missverständnis liegt darin, dass das naturalistische Weltbild mit der Naturwissenschaft verwechselt wird. Es wird übersehen, dass der Naturalismus – noch mehr der Materialismus oder gar der Mechanis­mus – als weltanschauliche Gesamtdeutungen von Existenz und Kosmos nicht zwingend aus der Natur­wissenschaft hervorgehen, dass sie geschichtlich nicht so eng mit der Naturwissenschaft verbunden sind, wie viele Menschen meinen, und dass sie mit der Wahrheitsnähe und dem Erkenntniswert von Natur­ge­setzen nichts zu tun haben. Nur durch eine Ideologisierung naturwissenschaftlichen Denkens kann dem ganzheitlichen naturalistischen Weltbild, das alles Übernatürliche ausschließen und alle Unerklär­barkei­ten leugnen will, dieselbe Gewissheit und Realitätsnähe zugestanden werden, die nur die besten Einzel­erklärungen der Naturwissenschaft haben. Nur von daher kann man meinen, man könne das natu­ralisti­sche Weltbild den sonstigen Weltanschauungen gegenüberstellen und seine Aussagen als unmy­tholo­gisch, alle anderen aber als „mythologisch“ klassifizieren. In Wirklichkeit ist es genauso mythologisch oder unmythologisch, den Kosmos als ein großes Uhrwerk zu betrachten, in dem ewige Kausalgesetze gelten, wie ihn als Schöpfungswerk zu sehen, in dem der Schöpferwille Gestalt gewinnt und es Phäno­mene gibt, die sich der Erklärung aus Logik und Sinneserfahrung entziehen. Aus der Sicht der Natur­wis­senschaft sind Naturalismus, Materialismus und Mechanismus ebenso ganzheitliche philosophische Weltdeutungen wie der Schöpfungsglaube der Bibel. …

 

S.33f.
Das Eigentliche der Naturwissenschaft liegt in dem Bestreben, alles durch Logik und Erfahrung kritisier­bare Wissen zu kritisieren, sobald dieses Wissen zu Problemen führt. Auf diesem Erkenntnisweg lässt sich die menschliche Wirklichkeit der Realität annähern, aber es werden dabei auch die Grenzen erkenn­bar, die menschlicher Logik und Sinneserfahrung gesetzt sind …

 

Der Glaube muss sich ideologiekritisch äußern, wenn er in der nachchristlichen … Kultur des späten 20. Jahrhunderts gehört werden will. Denn dass Naturalismus und Szientismus in Kultur und Politik ein schreckliches Eigenleben gewinnen und Freiheit und Gerechtigkeit zerstören können, haben Sozial­darwinismus und Rassismus, Atombombe und Umweltbelastung deutlich genug bewiesen. Es ist Auf­gabe der Christen, solchen Ideen und Zielen gegenüber selbst die „Kunst des Zweifelns“ anzuwenden und ihnen ein Menschenbild entgegenzuhalten, das Verantwortung vor Gott und Mitmensch möglich macht, das auf einen Lebenssinn hinweist, den der Mensch nicht für sich selbst schaffen muss. Ein sol­ches Menschenbild wird niemals im Widerspruch zu dem Teil der Realität stehen, den der Naturwissen­schaftler zu erforschen sucht, aber es reicht weit darüber hinaus.

 

(Quelle: Q47 Hemminger, Hansjörg: Das Wirklichkeitsverständnis der Naturwissenschaft, EZW-Texte Impulse Nr.23, Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Stuttgart, 1986)


 

(Quelle: Q50 Heller, Bruno: Naturwissenschaft und die Frage nach der Religion; EZW-Texte Im­pulse Nr.28, Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Stuttgart 1989)

 

 

S.4
So bildet denn die griechische Idee der Wissenschaft keinen Gegensatz zu dem, was auch die antiken Philosophen noch als ein Göttliches ansahen: zum „theorein“ (dem Betrachten) des höchsten Wesens

 

S.8
Redet man davon, dass man ein „Weltbild“ habe, so ist wohl gemeint, dass man sich das Ganze der Welt so oder so vorstelle … im Sinne von Vor-sich-Hinstellen …

 

S.9f.
Hypothesenbildung ist eine Sache des schöpferisch-produktiven Verstandes … Auch die (hypothetisch entworfenen) Weltbilder der modernen Naturwissenschaft sind Kunstwerke, wenngleich nicht mit dem Pinsel gemalte …
sind solche Weltbildentwürfe auch stets korrigierbar und ändern sich mit dem Fortgang der Hypothesen­bildung, denn immer bleibt sich der (kritische) Forscher dessen bewusst, dass er Konstrukteur ist und seine Konstruktionen nicht Endgültigkeit beanspruchen dürfen. Das „ego cogito“ („ich denke“, ICH bin es, der denkt JK) wird auch aus noch so gut fundierten Theorien nicht hinauskatapultiert.

 

Erst die Neuzeit hat den Typus Mensch hervorgebracht, der Weltbilder entwirft, sich als Subjekt einem Erkenntnisobjekt gegenüberstellt und damit auch die Freiheit beansprucht, seine eigenen Entwürfe (Hypothesen, Theorien) gegebenenfalls zu korrigieren oder auch wieder zu verwerfen. Moderne Welt­bil­der sind prinzipiell kritisierbar, gerade weil sie gedankliche Freiheit voraussetzen. Sie bergen beides: die Chance des gedanklichen Vorankommens und das Risiko, nirgendwo beruhigende Gewissheit finden zu können. Fordern sie endgültige Anerkennung, so verwandeln sie sich in Ideologien bzw. schlagen in Dogmatismus um. …

 

S.11
Albert Einstein, der einem seiner Werke den schlichten Titel „Mein Weltbild“ gab …

 

S.32f.
Wissenschaftliches Arbeiten beginnt mit heuristischen Vorstellungen über das, was man suchen will, mit Annahmen und Erwartungen. Das gilt sogar schon für die einfache Beobachtung. Während Wahr­neh­mung zufällig sein kann, ist Beobachtung immer zielgerichtet, setzt also eine Beobachtungsabsicht vor­aus, und auch für sie gib es dann irgendein apriorisches Konzept …
Jedes Modell zeigt die Handschrift dessen, der es entworfen hat, ist also in einem entscheidenden Sinne subjektiv, und das gilt auch für die Naturwissenschaften ….

 


4.2 Zum Verhältnis von (Schöpfungs-)Glaube
      und Naturwissenschaft

 

 

(Quelle: Q1 Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Zeitung „Das Parlament“, 46/2007: „Geis­teswissenschaften“, S.15ff.)

 


(Beitrag des Präsidenten der Leibniz-Gesellschaft und des Generalsekretärs der Leibniz-Gemein­schaft:)
Die Naturwissenschaften stellen – zumindest im eigenen Verständnis – mit ihrer kritisch-empirisch-ratio­nalen Methode die Erkenntnis der natürlichen (im Sinne von Natur) Lebenswelt des Menschen in den Mittelpunkt – nach Aristoteles der Welt, die nicht vom Menschen gemacht wurde. Wer demnach keine anderen Quellen von Erkenntnis im Sinn von Wissenschaft gelten lässt, für den gibt es zu den Natur­wis­senschaften keine Alternative – wahr ist, was beweisbar ist!;
Es besteht Einigkeit darüber, dass die Biologie die Frage „Was ist der Mensch?“ nicht in einem umfas­senden Sinn beantworten kann.
Sie kann seine Einzelteile (im Sinne von Bauteilen) definieren und deren Zusammenwirken erklären, mehr jedoch nicht.

 

(Quelle: Q2 Bild der Wissenschaft 12/1999 S. 42ff)

 

 

George Coyne (Astrophysiker und Jesuiten-Pater, Leiter des Observatoriums des Vatikans):

„Die Schöpfungsgeschichte ist kein Lehrbuch.
Sie sagt uns nicht, wie der Himmel funktioniert, sondern wie wir dort hinkommen.“

 

(Quelle: Q5 Campbell, N.A. / Reece, J.B.: Biologie, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Berlin, 6. Auflage, 2003)

(Biologie-Lehrbuch für Hochschulen)


S.505
Eine Reihe klassischer griechischer Philosophen hatte bereits eine Vorstellung von einer graduellen Evolution des Lebens. Doch jene Philosophen, welche die westliche Kultur am meisten beeinflussten – Platon (427-347 vor Christus) und sein Schüler Aristoteles (384-322 vor Christus) – vertraten Sicht­wei­sen, die jeder Vorstellung von Evolution entgegenstanden. Platon glaubte an zwei Welten: an eine un­sichtbare Welt der Ideen, ideal und unwandelbar (Ideenwelt), und an eine empirische Welt der Unvoll­kommenheit, die wir mit unseren täuschenden Sinnen wahrnehmen (Sinnenwelt). Eine Evolu­tion hätte nur Nachteile gebracht in einer Welt, in der ideale Musterorganismen bereits perfekt an ihre jeweilige Umwelt angepasst waren.
Aristoteles war der Ansicht, man könne alle Lebensformen auf einer Skala zunehmender Komplexität an­ordnen, welche die Römer später scala naturae („Stufenleiter der Natur“) nannten. Jede Lebens­form auf dieser kontinuierlich besetzten Leiter des Lebens stand auf der ihr zugewiesenen Stufe. Bei dieser Sicht des Lebens, die für über 2000 Jahre vorherrschte, sind die Arten dauerhaft fixiert und evolvieren nicht.
In der jüdisch-christlichen Kultur bekräftigte der Schöpfungsbericht im Alten Testament die Vorstel­lung, Arten seien individuell erschaffen und entwickelten sich nicht weiter. Im 18. Jahrhundert war die Biologie in Europa und Amerika von der natürlichen Theologie beherrscht – einer Philosophie, die sich der Auf­deckung des göttlichen Schöpfungsplanes durch das Studium der Natur widmete. Die Naturtheologen sahen die Anpassungen von Organismen als Beweis dafür, dass der Schöpfer jede Art zu einem be­stimmten Daseinszweck geschaffen hatte. Eines der Hauptziele der natürlichen Theologie war die Klassi­fizierung der Arten, um die Stufenleiter des Lebens ans Licht zu bringen, die Gott geschaffen hatte.
Der schwedische Arzt und Botaniker Carl von Linné (1707-1778) suchte nach einer Ordnung in der Viel­falt des Lebens „zum höheren Ruhme Gottes“.


 

(Quelle: Q6 Coyne, G. in: Der Spiegel 52/2000 S.118ff)

 

 

George Coyne (Astrophysiker und Jesuitenpater; Leiter des Observatoriums des Vatikans):

Brauchen wir Gott, um das Universum zu erklären? Meine persönliche Antwort lautet: Ganz und gar nicht. Ich brauche Gott nicht. Vielen Dank, aber ich komme beim Versuch, das Universum zu begrei­fen, ganz gut zurecht, indem ich meine Fähigkeit benutze, das Universum in meinen Kopf zu stecken. Ach übri­gens, ich glaube durchaus, dass mir diese Fähigkeit von Gott gegeben wurde.;
Sterne werden geboren und sterben. Und wenn dieser Prozess nicht stattfände, wäre keiner von uns hier. Damit die chemischen Elemente entstehen, aus denen der menschliche Körper aufgebaut ist, sind drei Sternengenerationen nötig.;
wir wissen heute, dass es in unserer Galaxie 100 Milliarden Sterne gibt und sie einen Durchmesser von 100.000 Lichtjahren hat, ich kann diese Werte mit derselben Gewissheit angeben, wie ich meine Körper­größe kenne (Anwendung der Gesetze der Physik, der Chemie...);
wir sehen die Dinge niemals so, wie sie sind;
ein weiteres Schlüsselereignis: nach 11 Mrd. Jahren entstanden im heute 15 Mrd. Jahre alten Univer­sum die ersten mikroskopisch kleinen Formen von Leben. Und wie kommen wir Menschen in dieses sich ent­wickelnde Universum? ... es wäre wissenschaftlich absurd zu bestreiten, dass das mensch­liche Gehirn nichts anderes ist als das Ergebnis eines Prozesses zunehmender chemischer Kom­plexität in einem sich immer weiterentwickelnden Universum;
Sind wir .. durch Zufall entstanden oder aus Notwendigkeit? Als erstes muss man sagen, dass das Pro­blem nicht korrekt formuliert ist. Es ist nicht einfach eine Frage von Zufall ODER Notwendigkeit, denn zu­nächst einmal ist es beides. Des Weiteren gibt es eine dritte Komponente, die sehr wichtig ist. Ich nenne sie „Gelegenheit“. Das Universum schafft so viele Gelegenheiten für den Erfolg sowohl zufälliger als auch notwendiger Prozesse, dass wir diese Eigenschaft der Welt mit berücksichtigen müssen ...Das Univer­sum spielt seit 15 Mrd. Jahren Lotterie. In diesen langen Zeiträumen haben auch „sehr unwahrschein­li­che“ Prozesse eine statistisch berechenbare Chance, zu passieren.... es zur Ein­engung des evolutio­nä­ren Prozesses kommt (Vorhandenes legt weitere Entwicklung fest, nicht mehr alles ist möglich);
Wir brauchen Gott nicht, um das Universum zu erklären, so wie wir es heute sehen... Und wenn Gott uns doch etwas über sich selber sagen will, dann tut er das durch seine Schöpfung;
Wenn wir die Ergebnisse der modernen Wissenschaft ernst nehmen, fällt es schwer zu glauben, dass Gott allmächtig und allwissend ist im Sinne der scholastischen Philosophen. Die Wissenschaft erzählt uns von einem Gott, der sehr anders sein muss als der Gott, den mittelalterliche Philosophen und Theologen sahen. Könnte Gott z.B. nach einer Mrd. Jahren ... vorhergesagt haben, dass mensch­liches Leben ent­stehen würde? ... selbst wenn Gott im Besitz der „Universaltheorie“ wäre, alle Gesetze der Physik, alle Elementarkräfte kennen würde ... dass es neben deterministischen Vorgän­gen auch Zufallsprozesse gibt, .... dann sieht es so aus, als könnte Gott selbst das Endergebnis nicht mit Sicherheit kennen. Gott kann nicht wissen, was nicht gewusst werden kann. Das ist keine Ein­schränkung Gottes. Ganz im Gegenteil. Es offenbart uns einen Gott, der ein Universum erschaffen hat, dem eine gewissen Dynamik innewohnt und das somit am Schöpfungsakt Gottes teilnimmt ... müssen Gläubige Abstand nehmen von der Vor­stellung eines diktatorischen Gottes, eines Newton­schen Gottes, der das Universum als Uhrwerk er­schaffen hat, das regelmäßig weitertickt. Vielleicht sollte man Gott eher als ein Elternteil sehen. Die Hei­lige Schrift ist erfüllt von diesem Gedanken. Sie stellt sogar – vermenschlichend – einen Gott dar, der zornig wird, der maßregelt, einen Gott, der das Universum hegt und pflegt. Theologen haben den Begriff von Gottes fortwährender Schöpfung geprägt. ... Gott arbeitet mit dem Universum. Das Universum hat eine gewisse eigene Vitalität, genauso wie ein Kind. Man erzieht ein Kind, aber man versucht die eigen­ständige Persönlichkeit des Kindes zu erhalten und zu bereichern ... Eltern müssen einem Kind erlauben, erwachsen zu werden, so weit zu kommen, dass es seine eigenen Entscheidungen trifft, seinen eigenen Weg ins Leben geht. Das ist die Art und Weise, wie Gott mit dem Universum umgeht. das sind sehr schwache Bilder, aber wie sollten wir sonst über Gott reden? ... Für diejenigen, die glauben, sagt uns die moderne Natur­wissenschaft etwas über Gott. Sie ist eine Herausforderung, eine bereichernde Herausfor­derung, für den traditionellen Gottesglauben.


 

(Quelle: Q8 Darwin, Ch.: Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl, Reclam Leipzig 1980)

 

 

Charles Darwin
(Letzter Satz in seinem wichtigsten Buch „Die Entstehung der Arten …“):

 

„There is grandeur in this view of life, with its several powers, having been originally breathed by the Creator into a few forms or into one; and that, whilst this planet has gone cycling on according to the fixed law of gravity, from so simple a beginning endless forms most beautiful and most wonderful have been, an are being, evolved.“

(Übersetzung Joachim Krause):
Es ist wahrlich etwas Erhabenes um die Auffas­sung, dass das Leben mit seinen verschiedenen Fähig­keiten vom Schöpfer ursprünglich nur wenigen oder gar nur einer einzigen Form ein­gehaucht wurde, und dass, während dieser Planet nach dem ehernen Gravitations­gesetz seine Kreise zieht, aus ei­nem so schlichten Anfang unzählige der schönsten und wunderbarsten Formen entwickelt wur­den und immer weiter entwickelt werden.

 

(Quelle: Q9 Deutsches Institut für Fernstudien der Universität Tübingen, Fernstudium Natur­wissenschaften, EVOLUTION, Heft 4: Ursprung und frühe Evolution des Lebens, Tübingen, 1985)

 

 

Universität Tübingen; Lehrbrief Fernstudium; Thema Evolution:

 

S.163ff:
Zur Kontroverse um die Entstehung des Lebens
(Nobelpreisträger) M. Eigen:
Für wichtiger noch halte ich den Erkenntnisgewinn. Dieser allein versetzt uns in die Lage, Leben als das große Wunder einer Schöpfung zu begreifen – einer Schöpfung, welche die Naturgesetze ein­schließt.

 

(Quelle: Q10 Deutsches Institut für Fernstudien der Universität Tübingen, Fernstudium Natur­wissenschaften, EVOLUTION, Heft 3: Theoretische Grundlagen der Evolution, Tübingen, 1986)

 

 

Universität Tübingen; Lehrbrief Fernstudium; Thema Evolution:

S.216f.
2. Schöpfungsglaube – Kurzformel
„Schöpfung" kann in der Naturwissenschaft schlechterdings nicht vorkommen, genausowenig wie es dem Naturwissenschaftler möglich ist, mit seinen Methoden Gott zu entdecken, zu erreichen oder zu bewei­sen. Naturwissenschaft befaßt sich mit dem sinnlich Wahrnehmbaren, dem Nachprüfbaren, den soge­nannten „objektiven Daten", ihre Stärke liegt in ihrer Selbstbeschränkung. Diese Aussagen als die einzig möglichen für eine Welterklärung zu fordern, ist eine Grenzüberschreitung und - z.B. im Positivis­mus - eine Ideologie. Der „methodische Atheismus" des wissenschaftlichen Arbeitens ist somit sach­gerecht.
Schöpfungsglaube gründet auch auf einer Art Axiom, nämlich auf der logisch nicht ableitbaren oder be­weisbaren Uraussage: Gott existiert. Wissenschaft setzt ihr Forschen beim bereits Gegebenen an – Schöpfungsglaube fragt darüber hinaus, fragt nach dem Urgrund, nach dem Sinn des Ganzen. Ein Schöpfungsglaube ist mit Mitteln und Methoden der Naturwissenschaft weder zu bestätigen noch zu widerlegen.
Schöpfungsglaube steht aber auch nicht der naturwissenschaftlichen Forschung im Wege oder entge­gen. Es gibt nach ihm keine Einwände gegen die Tatsache, daß die Vorgänge innerhalb eines jeden Atoms und alle Beziehungen zwischen Materie, Raum und Zeit sich nach exakten Gesetzen, den Natur­geset­zen, vollziehen. Es ist unbestreitbar, daß aus diesen Grundfaktoren das gesamte physikali­sche und che­mische Geschehen dieser Welt ableitbar ist. Wie und warum jene Grundfaktoren aber entstanden sind, bleibt das ureigenste Geheimnis der Schöpfung. Ihr Werden beruht - im Sinne eines recht verstan­denen Schöpfungsglaubens - allein auf dem nicht ergründbaren Willensentschluß Gottes und auf dem „Know how" des Schöpfers, das keiner Werkspionage durch menschliche Forschung zugänglich ist. Anfang (Schöpfung) und Ende (Vollendung) bleiben uns verborgen, bleiben für uns unaufhebbares Ge­heimnis. … Das „Wie" der Schöpfung kann auch Schöpfungsglaube nicht aussa­gen, ja die Bibel weist uns in ihrem ganzen vielfältigen Reden von Schöpfung gerade auf diese Tatsa­che hin. Beispiel: Aus­drücklich wird mit einem besonderen Verbum „schaffen" (hebr.: bara) heraus­gestellt, daß Gott keines vorgegebenen Stof­fes bedarf. Indem dieses Wort im Alten Testament Gott allein vorbehalten bleibt, wird die Schöpfung zugleich jeder Ähnlichkeit menschlichen Tuns und so jeder Anschaulichkeit enthoben. Eine Vorstellung des göttlichen Wirkens ist ja nur möglich, wenn eine Analogie zu menschlichem Handeln besteht. Das betreffende Wort sagt also nichts mehr über das Wie der Weltentstehung, d.h. es läßt die Frage, „wie es gewesen ist", bewußt offen.
Wenn Naturwissenschaft überhaupt etwas über den Anfang sagen kann, bedarf sie eines Etwas, das von vornherein da ist, aus dem dann gegebenenfalls auf der Basis naturwissenschaftlicher Einsichten die ge­genwärtige Erscheinungswelt ableitbar ist. Das aber, was Glaube über den Anfang sagt, liegt auf einer ganz anderen Ebene: es ist nicht das von der Naturwissenschaft nicht mehr fassbare Erklä­ren des An­fangs, des Ursprungs, sondern Schöpfungsglaube ist ein existentielles Einlassen auf ein Geheimnis, das dem menschlichen Verstand prinzipiell unaufhellbar ist. Es ist ein vertrauensvolles Einlassen auf die nicht beweisbare Zusage, daß mein Leben, daß die Welt und das Dasein einen Sinn hat. Christlicher Glaube gibt diesen Sinn.
An Schöpfung glauben heißt, die von der Wissenschaft erschlossene Werdewelt im Glauben als eine sinnvolle, aus schöpferischem Sinn kommende Welt zu verstehen
. Schöpfungsglaube kann demnach gar nicht in Konkurrenz treten zur Evolutionstheorie, allein schon wegen der Andersartigkeit der Fra­ge­stel­lung und der Aussageebene. Gott ist kein Gegenstand wissenschaftlicher Beobachtung, weil er kein Stück Weltwirklichkeit oder Weltursächlichkeit ist, sondern die ungegenständliche  Voraussetzung  von allem, was ist. Es ist eine der wichtigsten Funktionen der Theologie, das Wissen von den Grenzen unse­res Erkennens und Aussagens in dem, was Gott betrifft, lebendig und gegenwärtig zu halten. Es gibt die Positivität des Nichtwissens: Ich weiß, daß ich nichts weiß! Alle Begriffe, die wir von Gott, vom Schöpfer­gott, in Anspruch nehmen, stammen aus der innerweltlichen Erfahrung und können darum nie den um­greifen, den sie meinen. Deshalb kann unser Erkennen über Gott nicht verfügen, deshalb gibt es Gott nicht, wie es alles andere gibt (vgl. AUGUSTINUS: Wenn du ihn faßt, ist es nicht Gott!).
Mag sein, daß für den Naturwissenschaftler (Positivisten) die Problemstellung des Schöpfungs­glaubens als eine illegitime Frage erscheint, die für den Menschen unbeantwortbar ist. Aber solche Letztfragen werden für der Menschen, der selbst im Angesicht des Letzten existiert und nicht auf das wissenschaft­lich Belegbare reduziert werden kann, immer unerläßlich sein. Beim Glauben an die Schöpfung geht es um den Glauben an ein Wort Gottes, das uns unter eine Verheißung stellt; der Schöpfungsbegriff ist von vornherein mit dem Gedanken des Bundes zwischen Gott und Mensch ver­bunden; Schöpfungsglaube ist zustimmende Antwort des Menschen auf die Botschaft und Selbst­mitteilung Gottes in Jesus Christus: sein Kern ist Vertrauen auf die Liebe Gottes.
Diese mehr abstrakten und systematischen Aussagen über das Geheimnis der Schöpfung verkünden die biblischer Berichte dem Menschen (ihrer Zeit) in einer bildhaft-anschaulichen Weise - und daher für je­dermann verstehbar.

 

(Quelle: Q10 Deutsches Institut für Fernstudien der Universität Tübingen, Fernstudium Natur­wissenschaften, EVOLUTION, Heft 3: Theoretische Grundlagen der Evolution, Tübingen, 1986)

 

(Quelle: Q12 Farouki, N. / Serres, M. (Hrsg.): Thesaurus der exakten Wissenschaften, Zweitau­sendeins Verlag, Frankfurt/Main, 2001)

 

 

Aus dem „Thesaurus der exakten Naturwissenschaften“

Schöpfung“
… Selbst wenn die Modelle der Kosmologie für die fernste Vergangenheit des Universums einen Zustand vorsehen, der sich durch solch eine Dichte und so außergewöhnliche Eigenschaften aus­zeichnete, dass man ihn mit dem aus der Mathematik übernommenen Begriff der SINGULARITÄT bezeichnet, spricht doch nichts dafür, diesen Zeitpunkt, jenseits dessen die uns vertraute Zeitvorstel­lung keine Geltung mehr besitzt, mit einer Entstehung aus dem Nichts gleichzusetzen. Auch die Sin­gularität ist kein Schöpfungs­vorgang. Den Gebrauch dieses Begriffs müssen wir den Metaphysikern und Theologen überlassen und die Wissenschaft bescheiden, aber auch erfreut auf den Bereich der Transformationen beschränken, über die im Übrigen noch nicht das letzte Wort gesagt ist.

 

(Quelle: Q18 Horn, S.O., Wiedenhofer, S. (Hrsg.):Schöpfung und Evolution – Eine Tagung mit Papst Benedikt XVI. in Castel Gandolfo; Sankt Ulrich Verlag, Augsburg, 2007)

 

 

Tagung zu „Schöpfung und Evolution“ in Anwesenheit von Papst Benedikt XVI.:

 

S.57ff.
(Vortrag Robert Spaemann, Philosoph)

Friedrich Schiller hat Naturwissenschaftlern und Philosophen schon zu seiner Zeit die Mahnung gege­ben:
„Feindschaft sei zwischen euch, noch kommt das Bündnis zu frühe./ Wenn ihr im Suchen euch trennt, wird erst die Wahrheit erkannt.“

S.84ff.
(Vortrag Kardinal Schönborn)
Die „kreationistische“ Position basiert auf einem Bibelverständnis, das die katholische Kirche nicht teilt. Die erste Seite der Bibel ist nicht ein kosmologischer Traktat über die Weltentstehung in sechs Sonnen­tagen.
Die Bibel lehrt uns nicht, „how the heavens go, but how to go to heaven“. …
Der katholische Glaube[195] hält, mit der Bibel des Alten und des Neuen Bundes, daran fest, dass die Ver­nunft die Existenz des Schöpfers aus seinen Spuren in der Schöpfung mit Gewissheit, wenn auch nicht ohne Mühe erkennen kann.

S.129
(Diskussion; Beitrag Vincent Twomey:)
Das Problem ist, glaube ich, dass die Naturwissenschaft wahrscheinlich von Anfang an einen falschen Schöpfungsbegriff hatte.
[196]

S.133
(Diskussion, Beitrag Christop Kardinal Schönborn:)
viele Probleme, die schon bei Darwin sehr deutlich zu sehen waren, rühren daher, dass man in diesen Kreisen eine sehr defiziente Schöpfungstheologie
3 hatte, gegen die man dann zu Felde zog

S.149f.
(Papst Bendikt XVI.)
dass es nicht darum geht, sich entweder für den Kreationismus zu entscheiden, der sich der Wis­sen­schaft grundsätzlich verschließt, oder für eine Evolutionstheorie, die ihre eigenen Lücken über­springt und die über die methodischen Möglichkeiten der Naturwissenschaft hinausreichenden Fragen nicht sehen will. Es geht vielmehr gerade um dieses Zusammenspiel von verschiedenen Dimensionen der Vernunft, in dem sich auch der Weg zum Glauben öffnet

S.159
(Siegfried Wiedenhofer)
Ich denke aber, dass man die Vernünftigkeit des Glaubens nicht in einer möglicherweise intensiven oder extensiven Ordnungsstruktur der Welt suchen sollte, darin, dass sozusagen alles gut läuft. Gerade weil das tatsächlich ja nicht der Fall ist, sollte man das Argument der Schöpfungsordnung nicht überstrapazie­ren. …

S.161
(Papst Benedikt XVI.)
Auf die Erklärungsfähigkeit des Glaubens allein für das Ganze würde ich nicht setzen.

S.173ff.
(schriftlicher Beitrag Siegfried Wiedenhofer, Theologe)
Insofern ich die Welt wissenschaftlich erfahre, erfahre ich sie nicht religiös, und umgekehrt. Und auch die Gegenstände der Wissenschaftswelt sind andere als die Gegenstände der Welt der Religion. In dieser Hinsicht handelt es sich beim Verhältnis von Schöpfung und Natur, Schöpfungslehre und Evo­lutionstheo­rie, religiösem Glauben und wissenschaftlichem Wissen um klare Alternativen; sie dürfen daher nicht vermischt werden. …
Die schöpferische Verursachung und Wirkung bedeutet Entlassung in das Selbstsein, Befähigung zur Autonomie. Gott ist der, der macht, dass Welt und Mensch machen können …
Schaffen und Wirken Gottes sind ein personales Freiheitsgeschehen.
Sie schließen die freie Mitwirkung des Geschöpfs, der Welt und des Menschen ein. Gott wirkt, indem er je schon gewirkt hat und nun Natur und Mensch wirken lässt …
Gottes schöpferisches Wirken … ist Nähe und Ferne zugleich, das Geschenk einer zuverlässigen „Welt“ und die Raum zum Selbstsein gewährende Selbstrücknahme, vergleichbar der Dialektik elterli­cher Nähe und Ferne zum Kind, die eine notwendige Bedingung dafür sind, dass Sozialisation und Individuation ge­lingen. …
Der biblische Schöpfungsglaube selbst hat außerdem sehr unterschiedliche Erfahrungs- und Motiva­tionsgrundlagen. Dazu gehört sicher auch die Erfahrung der Geordnetheit und Schönheit der Welt. Der dominante Ausgangspunkt der religiösen Erfahrung und Deutung der Welt als Schöpfung ist jedoch nicht die Erfahrung des Überflusses, der Schönheit und Wohlgeordnetheit der Welt, sondern die alles­umgreifende Grunderfahrung der Ambivalenz und Labilität der Wirklichkeit, des Miteinanders von Werden und Vergehen, der ständigen Bedrohung des Seins durch das Nichts, der Ordnung durch das Chaos, des Lebens durch den Tod, der Omnipräsenz des Leidens, der Negativität, des Bösen und des Unheils. Der Schöpfungsglaube ist daher seit seinem Ursprung Teil der religiösen Soteriolo­gie, eine kontrafaktische Gewissheit, die Hoffnung und Bestand gewährt: Trotz allen Anscheins hat die Welt einen guten und zu­verlässigen Grund.
Theologisch muss daher der Gedanke der Schöpfungsordnung und des Schöpfungsplanes und damit auch die Vorstellung von einem intelligent design mit großer Vorsicht verwendet werden.

 

(Quelle: Q18 Horn, S.O., Wiedenhofer, S. (Hrsg.):Schöpfung und Evolution – Eine Tagung mit Papst Benedikt XVI. in Castel Gandolfo; Sankt Ulrich Verlag, Augsburg, 2007)

 

(Quelle: Q24 Reichholf, J.H.: Was stimmt? Evolution – Die wichtigsten Antworten; Herder spekt­rum, Freiburg, 2007)

 

 

Joseph H. Reichholf (Evolutionsbiologe):

 

S.9
Die uns nächstverwandten Schimpansen unterscheiden sich im Erbgut, im Genom, nur zu gut einem Prozent von uns Menschen. Weshalb uns das „erniedrigen“ sollte, wenn wir davon ausgehen, dass Gott alles geschaffen hat, verstehen sicherlich jene Biologen am wenigsten, die sich mit der Groß­artigkeit der Evolution befassen. …

 

S.10
Allerdings vertritt die Evolutionsbiologie überhaupt keine Sinnfragen, denn diese liegen gänzlich außer­halb ihres wissenschaftlichen Forschungsfeldes. Niemandem wird von der Evolutionsbiologie angeraten oder vorgeschrieben, im Leben, in seinem Werden und Vergehen keinen Sinn zu sehen.

S.34
Natürliche Auslese, Selektion, verursacht weit seltener die „Natur“, die wir zumeist meinen, also Wet­ter und Klima, Wasser oder Trockenheit oder gar die Naturkatastrophen, sondern weitaus wirkungs­voller greifen Mikroben in den Gang des Geschehens ein. Krankheiten verursachen oft die hohen Verluste, denen zufolge sich die genetische Zusammensetzung verändert.

S.85ff.
“Es gibt nichts dahinter oder darüber“
Hat die Evolution einen Sinn?
Der Mensch, das Leben, die Welt, das alles muss doch einen Sinn haben? Wer oder was treibt die Evo­lution an? Solche und ähnliche Fragen bewegen die meisten Menschen. Dass wir auf unserer Erde nichts weiter seien als „Zigeuner am Rande des Universums“, wie es der französische Nobel­preisträger Jacques Monod ausgedrückt hatte, wollen die wenigsten glauben. Manch angesehener, von der Öffent­lichkeit wahrgenommener Physiker vermutete oder erkannte vor dem Urknall, mit dem vor mehr als 10 Milliarden Jahren alles begonnen haben soll, oder jenseits der Wirklichkeit den Anstoß oder das Wirken einer höheren Kraft. Besonders Astrophysiker und Physiker, die sich mit dem auf mathematische Formeln verdichteten Unbegreiflichen befassen, landeten in ihrem Denken vielfach bei Gott. Dass dieser aber will­kürlich in den Lauf der Welt eingreife und zeitweise die Naturgesetze außer Kraft setze, schließen sie hingegen in aller Regel aus. Das allumfassende Wunder des Seins ist aus naturwissenschaftlicher Sicht nicht teilbar in viele beliebige kleine Wunder, die ohne naturgesetz­liche Verursachung geschehen. …
Seriöse Naturwissenschaft sollte darauf bedacht sein, ihre Befunde und Erkenntnisse von den Schluss­folgerungen, die sie daraus zieht, zu trennen. Etwas, das „ist“, zu bewerten, stellt ein anderes Unterfan­gen dar als die Feststellung selbst. Die häufigsten Missverständnisse ergeben sich aus dieser – unbeab­sichtigten oder durchaus auch absichtlichen – Vermengung von Befunden und Bewertungen.

S.91
Ergibt sich aus alledem die Notwendigkeit, eine lenkende, die Richtung vorgebende Kraft für die Evo­lu­tion anzunehmen oder gar einzufordern? Die meisten Evolutionsbiologen werden dazu genauso nein sagen wie die Physiker und Chemiker als „exakte Naturwissenschaftler“, die ein zeitweises Außerkraft­setzen der Naturgesetze durch Wunder ablehnen. …
Lenkende Eingriffe oder Wunder sind nirgends in der Evolution zu finden oder als Erklärung für die Vor­gänge notwendig. Schließlich gibt es auch keine Anzeichen dafür, dass die Evolution einer bestimmten festgelegten Richtung folgen würde. Im Gegenteil: Sie erscheint uns offen und frei für die Zukunft, nicht vorbestimmt und auf eine Bahn gezwungen. Freiheit kennzeichnet den Verlauf – und eben diese Freiheit wollen wir auch für uns, für unser eigenes Leben in Anspruch nehmen. Wir betrachten uns nicht wie Marionetten, denn wenn wir solche wären, hätten wir auch keine Verantwor­tung und keinen freien Willen.

S.92ff.
“Durch die Gesetze der Evolution ist alles festgelegt“ …
Beide Möglichkeiten der Antwort sind daher aller Wahrscheinlichkeit nach falsch, wenn wir die „Fest­stel­lung“ am Anfang dieses Kapitels als Frage betrachten. Nein, es gibt keine allgemeine Festlegung der Evolution durch unverrückbare „Gesetze“! Nein, es ist auch nicht alles frei! Die Abläufe in der Zeit, die wir als „Evolution“ zusammenfassen, zeichnen sich durch beides aus; Bedingtheit und Freiheit!

S.99
Das Geistige existiert dennoch, auch wenn es stofflich nicht fassbar ist. Zur Evolution wäre dies nicht nur kein Widerspruch, sondern vielmehr die Fortsetzung der grundlegenden Vorgänge in eine weitere Sphäre hinein (vorher: Eroberung des Landes und der Luft als Lebensraum).

S.104
Brauchen wir nicht doch eine alles lenkende Kraft, die zwar viel Freiheit lässt, aber dem Strom des Le­bens durch die Zeit Richtung gibt, so wie die Schwerkraft das Wasser eines wirklichen Stroms lenkt, aber keinen bestimmten Weg vorschreibt?

Naturwissenschaft und Transzendenz …
Diese Fragen reichen weit über den Forschungsbereich der Biologie und der Naturwissenschaften im All­gemeinen hinaus. Sie kann mit ihrer Denk- und Vorgehensweise nichts über „letzte Ursachen“ aus­sagen und auch „Endziele“ nicht behandeln. Ihr Forschungsbereich ist die erfassbare Wirklichkeit. Was diese Wirklichkeit durchdringt, verlässt oder außerhalb davon existiert, das Transzendente also, ist der Natur­wissenschaft nicht zugänglich. Das bedeutet aber nicht, dass sich Biologen wie alle ande­ren Natur­wis­senschaftler auch keine Gedanken dazu machen würden oder gar machen dürften. Sie müssen nur die Grenzen beachten, die ihnen der Stand der Forschung und die verfügbaren, von anderen Wissen­schaft­lern nachvollziehbaren Methoden setzen. Die fortschreitende Forschung ver­schiebt beständig die Gren­zen des Wissens und des Erforschbaren. Wie viel es jenseits dieser Gren­zen gibt, die zur betreffen­den Zeit vorhanden sind, entzieht sich jeglicher Abschätzung. Weil wir nichts über das wissen können, was wir nicht kennen. Jenseits dieser Grenze beginnt daher die Domäne des Glaubens …

S.110
Vielleicht werden wir das Sein auch nie begreifen, sondern nur glauben können. …

S.118f.
Dieser Urknall kann der Schöpfungsakt gewesen sein. …
Alles, das gesamte All von Anfang an als ein Schöpfungswerk begreifen zu wollen, stellt keinen Wider­spruch zur naturwissenschaftlichen Erforschung von Weltall, Erde und Evolution dar. …
(naturwissenschaftliche) Forschung sucht nach Einsichten in die Wirklichkeit. Sie schafft Wissen, das durch besseres Wissen korrigiert werden kann, und sie trifft keine dogmatische Festlegung auf eine be­stimmte Sicht. Ihre Vorgehensweise schließt das Staunen über die Natur nicht nur nicht aus, son­dern setzt dieses in aller Regel voraus. … Gerade weil dieses Eindringen in die Natur mehr Einblick eröffnet, als mit dem bloßen Augenschein möglich ist, offenbart sich den Naturwissenschaften die Größe der Natur in besonderer Weise. Vielleicht ist vielen Naturwissenschaftlern ein „intelligenter Designer“ einfach zu klein geraten. Wer das Göttliche für die gesamte Natur, für alles Sein sucht, muss dafür wohl auch das denkbar Größte annehmen.


S.120f.
Die Genesis (= 1.Buch der Bibel) ist aus der Sicht der Naturwissenschaft keine wissenschaftliche Kurz­fassung zum Verlauf der Schöpfung. Daher kann sie auch nicht „wissenschaftlich überholt“ sein.
Problematisch wird die Betrachtung der Genesis also nur, wenn man sie allzu wörtlich nimmt. Dass dies weder das Ziel der Bibel gewesen sein kann, noch die Botschaft, welche die Zeiten überdauern sollte, er­gibt sich für die Evolutionsbiologie allein schon daraus, dass die Theologie eine geschätzte Wissenschaft ist und dies auch bleiben wird. Bedürfte die Bibel aber keiner Auslegung, keiner Exe­gese, wie sollte sich da die Theologie rechtfertigen?
Auch der naturwissenschaftliche Befund, seien es Messungen oder Fossilien, muss „ausgelegt“, also ei­ner Art Exegese unterworfen werden. …
Die Bibel wird daher aus guten Gründen nicht für ein kurz gefasstes Lehrbuch der Evolution gehalten – und sollte dafür auch lieber nicht ge- oder gar missbraucht werden! Die Evolutionsbiologen haben daher wie die Theologen und wohl so gut wie alle übrigen Wissenschaftler und die allermeisten Men­schen auch keine Probleme mit dem Text der Genesis. …
Das „Woher“ als eine der beiden Grundfragen des Menschen konnte die Wissenschaft ganz gut klä­ren. Zum „Wohin“ weiß sie nichts Verbindliches zu sagen, weil sich Ziele nicht mit ihren Forschungs­methoden erfassen lassen …
Streng genommen kann die Naturwissenschaft auch nicht erklären, was gut oder böse, was Recht oder Unrecht ist
. …
Warum möchten wir nicht hinnehmen, dass wir das Ziel setzen müssen, wenn wir etwas erreichen wol­len? …
Die Sinnsuche liegt in uns Menschen. Sie wird uns nicht abgenommen, so wenig wie die Verantwor­tung. Beide sind der Preis für die Freiheit des Menschen. Wer Hilfe bei der Suche nach Sinn braucht, wird sie in den Religionen finden.

 

(Quelle: Q24 Reichholf, J.H.: Was stimmt? Evolution – Die wichtigsten Antworten; Herder spek­trum, Freiburg, 2007)

 

(Quelle: Q29 Wabbel, T.D. (Hrsg.): Im Anfang war (k)ein Gott – naturwissenschaftliche und theolo­gische Perspektiven; Patmos, Düsseldorf, 2004)

 

 

Im Anfang war (k)ein Gott – naturwissenschaftliche und theologische Perspektiven“:

 

S.14ff.
George Coyne:
Die Behauptung, dass alle Dinge geschaffen wurden, ist eine metaphysische und religiöse Behaup­tung.

S.67ff.
Ulf von Rauchhaupt:
Große vereinheitlichte Theorie, Supersymmetrie, String- oder M-Theorie, wie solche Theorien heißen, enthalten kaum testbare Hypothesen. Es sind von mathematischer Ästhetik geleitete Extrapolationen von bekannter, durch Beobachtung geprüfter Physik auf unbekannte.

S.99
William C. Mitchell, jr.:
Die Wissenschaft kann nicht zur Beurteilung der Religion herangezogen werden. Ebenso wenig eignet sie sich zur Problematisierung von Literatur, Malerei, Musik, den darstellenden Künsten usw.

S.149ff.
Gerd Theißen:
Die katholische Kirche hatte schon 1950 in der Enzyklika Humani Generis die Evolutionstheorie, wenn auch noch mit Vorbehalten, die später wegfielen, bejaht. In den großen protestantischen Kirchen war es ohnehin selbstverständlich, naturwissenschaftliche Ergebnisse zu akzeptieren. …
Die Naturwissenschaft fragt nach dem Faktischen, die Theologie nach Sinn und Wert. …
Das anthropische Prinzip ist freilich kein Beweis dafür, dass der Mensch im Kosmos gewollt ist. Aber es kann im Lichte religiösen Glaubens die Welt transparent für etwas anderes machen. …
Der Sozialdarwinismus wollte aus der Feststellung, dass im biologischen Kampf ums Dasein der Geeig­netste siegt, eine Norm machen: Auch unter Menschen solle es so zugehen. Das ist ein unzu­lässiger Rückschluss von dem, was faktisch geschieht, auf das, was sein soll … (naturalistischer Fehlschluss) …
Das biblische Ethos ist antiselektionistisch. … (bis Liebe zu den Feinden) …
Die Wirklichkeit, an die sich alle Lebewesen durch harte Selektion anpassen müssen, erweist sich auf einer fortgeschritteneren Stufe als eine Wirklichkeit, die nicht den Tod des Sünders will: sie will, dass er umkehre und lebe! Anpassung an sie heißt nicht, Überlegenheit … sondern Liebe gegenüber dem Schwachen, der keine Überlebenschancen hat …
Überwindung der biologischen Selektion in der kulturellen Evolution
der Mensch als erster Freigelassener in einem kleinen Bereich der Welt, der kultureller Gestaltung zu­gänglich ist
Wenn man naturwissenschaftliche Welterklärungen mit theologischen Weltdeutungen ins Gespräch brin­gen will
Vor kurzem antwortete ein deutscher Wissenschaftler (H.M. Keplinger) auf die Frage, was ihm Gott be­deute, zunächst im Sinne einer wohlwollenden soziobiologischen Religionsdeutung. Gott sei für ihn „eine Hypothese, die auch dann mehr positive als negative Auswirkungen auf die Lebenden hat, wenn sie falsch ist.“ Doch dann fügte er hinzu: „Die Liebe ist die Ahnung von dem, was sein könnte, wenn die Hypothese richtig ist.“

S.212
Roger Trigg:
(zwei Vorgaben für Naturwissenschaft, Naturalismus)
erstens, dass die Welt geordnet sein muss (nicht selbstverständlich und notwendig)
zweitens, dass sie vom menschlichen Verstand erfasst werden kann (Einschränkung von Realität)

S.232
Hans Küng:
Descartes, Pascal, Kopernikus, Kepler, Galilei, Leibniz, Newton, Boyle – sie alle waren nicht nur Gott­gläubige, sie waren bekennende Christen! …
Die moderne Wissenschaft – und analog zu den Naturwissenschaften selbstverständlich auch die Humanwissenschaften – musste und muss, wenn sie methodisch einwandfrei vorgehen will, Gott, der ja nicht wie andere Objekte empirisch konstatiert und analysiert werden kann, notwendig aus dem Spiel las­sen. Darin hat der wissenschaftliche Atheismus entschieden Recht.

 

(Quelle: Q29 Wabbel, T.D. (Hrsg.): Im Anfang war (k)ein Gott – naturwissenschaftliche und theolo­gische Perspektiven; Patmos, Düsseldorf, 2004)

 

(Quelle: Q37 Thesen zum Kreationismus“, Amtsblatt der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, Dresden, 31. Juli 1990)

 

 

Thesen zum Kreationismus

(Dieses Papier wurde 1989 vom Beirat für Glaube und Naturwissenschaft beim Ev.-Luth. Landeskir­chen­amt Sachsens erstellt und am 4. Mai 1990 durch die Kirchenleitung zustimmend zur Kenntnis ge­nommen;

veröffentlicht im Amtsblatt der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, Dresden, 31. Juli 1990, S.B57)

 

In den letzten Jahren ist das Gedankengut des sog. "Kreationismus" in  unseren Gemeinden  ver­breitet wor­den und hat - vor allem unter Jugendli­chen – zu Verwirrung und Verunsicherung geführt. Wir halten - in dem Wissen, dass es im Kreationismus sehr ver­schiedene Spielarten gibt - eine Ausei­nandersetzung mit bestimmten Formen und Inhalten für notwendig, vor allem, wenn sie ihren Aus­druck in agitatorischer Missionstätigkeit und der Verbreitung gewisser lite­rarischer Erzeugnisse finden.

 

1. Kreationismus

Der Kreationismus (auch "wissenschaftlicher Kreationismus" oder "Schöpfungswissenschaft") ist vor al­lem be­wegt von der Sorge, den christlichen Glauben gegenüber der Evolutions-Lehre zu verteidi­gen. Er erhebt die "Entscheidung für Schöpfung oder Evolu­tion“ zu einer zentralen Frage christlichen Glaubens und Be­kennens. Der Kreationismus sieht den Schöpfungsglauben durch den Entwicklungs­gedanken in der moder­nen Natur­wis­senschaft bedroht und leitet dar­aus ab, dass ein Christ der Evolu­tionslehre nur ablehnend be­gegnen kann. Den Nachweis für die Richtigkeit seiner Thesen führt der Kreationismus vor allem mit natur­wissen­schaftlichen Argu­menten und glaubt, dass zwischen moder­nen Erkenntnissen der Wissenschaft und dem Wortlaut der biblischen Überlieferung Harmonie herge­stellt und da­durch der Glaube des einzelnen ge­stärkt werden kann.

Wir stellen fest:

Der Kreationismus ist eine Bewegung, die in den 60er Jahren außerhalb der verfassten Kirchen in den USA entstan­den ist. Er nimmt Strömungen auf, wie sie die Geschichte der Kirche seit langem beglei­ten (Stand­punkte des Funda­mentalismus/Biblizismus). Der Kreationismus stellt die wich­tige Frage nach der Bedeu­tung, die naturwissenschaftli­chen Kenntnissen über die Welt zukommt, neu. Er wendet sich zu Recht gegen den Miss­brauch von Naturwissen­schaft im Dienste einer Weltanschauung. Er deckt auf, dass Wissenschaft heute zum Teil quasi-religiöse Züge auf­weist und den Anspruch erhebt, allein mit ih­ren Mitteln die Wirklich­keit der Welt erklären und Antwort auf Sinnfragen geben zu können.

Der Kreationismus hat recht, sofern er die Auseinandersetzung mit dieser Ideologisierung naturwis­sen­schaftli­cher Erkenntnisse fordert. Er übersieht aber, dass Naturwissenschaft nicht  notwendiger­weise Ideolo­gie oder antireligiös sein muss. In der Bekämp­fung seines Feindbildes ("Evolutionis­mus", "kommu­nistischer Atheismus") ideologisiert er selbst biblische und naturwissenschaftli­che Aussagen und erliegt der Gefahr, die je eigene, be­grenzte biblische und wissenschaftliche Sicht der Welt zu überfordern.

Die Position des Kreationismus kann uns weder theologisch noch naturwissenschaftlich überzeugen.

 

2. Bibelverständnis

Nach allgemeiner christlicher Überzeugung ist die Bibel von Gott inspiriert. Wie diese Überzeugung inter­pre­tiert wird, ist unter­schiedlich. Die Krea­tionisten schließen daraus, dass die Aussagen der Bibel in allen Berei­chen irrtums­los sind und keine Wider­sprüche enthalten. Sie erklären diese ihre Sicht der Heiligen Schrift für allein richtig und christlich. Bei Widersprüchen zwischen dem modernen Weltbild und der bibli­schen Über­lieferung ist der Wortlaut des Bibeltextes für Kreationisten wahr und verbind­lich (fundamenta­listisches Bibel­verständnis).

Das theologische Interesse des Kreationismus konzentriert sich fast ausschließlich auf das Thema „Schöp­fung“, ver­standen als das Fragen nach dem Anfang der Welt und des Lebens. Durch Auswahl und Neuinter­pretation naturwis­senschaftlicher Befunde möchte er die Richtigkeit (Wahrheit) der bibli­schen Überlieferung beweisen und damit Glau­bens-Gewissheit wecken und stärken.

Wir stellen fest:

Die Kirchen haben in der Geschichte der Schriftauslegung gelernt, in der Heiligen Schrift Zeugnisse des Glau­bens und naturwis­senschaftliche Er­klärung der Welt zu unterscheiden. Demgegenüber schafft der Kreationis­mus erneut Verwir­rung, indem er Glaube und Wissen vermengt. Er wie­derholt damit in seiner Po­sition vergan­gene Etappen des Schrift­verständnisses und wird dem diffe­renzierten Stand heutiger Schrift­auslegung nicht ge­recht:

·         Danach ist die Bibel ein geschichtlich entstandenes Dokument. Wir vernehmen darin die Stimmen ver­schiede­ner Zeugen, die in unterschiedli­chen Situationen reden und die Sprache ihrer Zeit und de­ren Weltbil­der ver­wen­den. Indem glaubende Menschen den An­spruch und die Verheißung Gottes für ihr Leben ver­bindlich ver­neh­men, er­weist sich die Bibel als Hei­lige Schrift.

·         Weiterhin ist die Einsicht allgemein, dass die Texte der Bibel vorrangig nicht naturwissenschaftliche oder histo­ri­sche Informa­tion vermit­teln, sondern Glaubens-Zeugnisse sind. Diese Glaubensaussagen sind nicht ge­bunden an naturwissen­schaftliche Erkenntnis und werden daher auch nicht mit ihr hinfäl­lig (Kreationisten fes­seln dagegen Glaubensaussagen an eine bestimmte Weltsicht).

·         Glaube kann nur Vertrauen wagen, er stützt seine Gewissheit nicht auf Beweise, etwa solche natur­wissen­schaftli­cher Art.

·         Nach den heutigen Erkenntnissen der Bibelwissenschaft ist die Grundthese des Kreationismus (wörtli­che Ver­bindlich­keit) schon allein auf­grund der unsicheren Quellenlage der biblischen Hand­schriften nicht haltbar (wel­cher Wortlaut welcher Quelle und in welcher Überset­zung ist verbindlich?).

Der Kreationismus redet auch verengt von Schöpfung. Christlicher Schöpfungsglaube ist nicht allein an der Vergan­genheit und an der Frage nach der Herkunft des Menschen interessiert. Im Gegensatz zu die­ser kreatio­nistischen Engführung ist das biblische Zeugnis von Gott als dem Schöpfer schon im Alten Testament sehr vielfarbig: es begeg­net z.B. in den Schöpfungspsalmen (Psalm 8 oder Psalm 104), in Lehrerzählun­gen (1.Mose 1 und 2), bei den Pro­pheten (Jesaja 40ff) oder in den Weisheitsbü­chern (Hiob). Von Glaubenden ist zu allen Zei­ten auch das fortdauernde Schöpfer­handeln Gottes ("creatio continua") bekannt worden.

 

3. Naturwissenschaftliche Beweise für die Wahrheit biblischer Aussagen

Der Kreationismus führt den Nachweis für seine Thesen weitgehend mit naturwissenschaftlichen Ar­gu­men­ten. Dabei legt der Wortlaut der Bibel für ihn den Rahmen und die Ergebnisse naturwissen­schaft­licher Arbeit von vornherein und nicht mehr hinterfrag­bar fest. Ziel ist die Suche nach Bele­gen, welche jede einzelne Aussage der Bibel bestätigen. Die Heilige Schrift wird dadurch zum Nach­schlagwerk für naturwissenschaft­lich und histo­risch zutreffende (richtige, wahre) Informationen. So begegnet dann z. B. 1.Mose 1 als Tatsa­chenbericht über den Ablauf der Weltschöpfung in ei­ner Ka­lenderwoche, aus Angaben in 1.Mose 1-11 wird ein Weltalter von etwa 6000 Jahren errechnet (schon die drei uns vor­liegenden schriftli­chen Fassungen des 1.Mose-Buches - hebräisch, griechisch und samaritanisch - enthalten in ihren Geschlechtsregistern er­heblich voneinander abwei­chende Altersan­gaben!), und die Sintflut­erzäh­lung (1.Mose 6-9) wird als Tatsa­chenbericht über eine historisch und naturwissenschaftlich erwie­sene globale Katastrophe verstanden. Aus­wahl und neue Deutung natur­wis­senschaftlicher Befunde sollen es nach Ansicht des Kreatio­nismus möglich machen, die gesamte Kosmologie, Biologie, Geologie, die Ge­schichte der Welt und des Lebens alternativ zu den An­sichten der etablierten Naturwissenschaft und in völliger Über­ein­stimmung mit den Aussagen der Bibel darzustellen. Mit dem eigenen Standpunkt nicht harmo­nierende natur­wissenschaftliche Erkenntnisse werden negiert, hyperkritisch angezweifelt oder be­kämpft - auf der an­deren Seite begegnet bei willkommenen Fakten und Theorien eine unkritische Wis­senschafts-Gläubigkeit.

Wir stellen fest:

Naturwissenschaft kommt zu ihren Ergebnissen mit Hilfe bestimmter Arbeitsmethoden. Für wissen­schaft­liche Arbeit gibt es ver­bindliche Regeln. Die Erkenntnisse der Naturwissenschaften sind von re­lativer Be­deutung (im Rahmen der gewählten Methode), prüfbar (weitgehend frei von subjektiven Ein­flüssen), vor­läu­fig und wandelbar (d. h. grundsätz­lich immer verbesserungswürdig und verbesse­rungsfähig). Ergeb­nisse, die von vornherein fest­stehen und nicht hin­terfragt werden dürfen, wider­sprechen dem Grundan­satz wissen­schaftlicher Arbeit. Ergeb­nisse der Naturwissen­schaften dürfen nicht über ihren eigentlichen Geltungsbe­reich  hinaus  weitergehend  ge­deutet  und/oder  zur Grund­lage weltanschaulicher Aussagen gemacht wer­den ("objektive", "endgültige" oder "wahre" Erkennt­nisse; Aussagen zu Sinnfragen).

Naturwissenschaft macht "richtige" Aussagen nur über einen begrenzten Bereich der Wirklichkeit (durch Wahl der Methoden und durch prinzipielle Erkenntnis-Grenzen eingeschränkt).

Christen müssen (und dürfen) sich in ihrem Bekenntnis nicht auf  eine bestimmte naturwissenschaft­liche Theo­rie oder ein be­stimmtes Weltbild festlegen. Soweit der Kreationismus die etablierte Natur­wissen­schaft kritisieren will, muss er das im Rahmen der allgemein anerkannten Regeln wissen­schaftlicher Ar­beit tun.

Heute sind Kreationisten - entgegen ihrer eigenen Darstellung - eine Minderheit unter den Naturwis­sen­schaft­lern.

 

4. Christ und Schöpfung heute

Der Kreationismus erhebt den Anspruch, wichtige Fragen des christlichen Schöpfungsglaubens zu ver­han­deln. In sei­ner Argu­mentation erhebt er die Stellung zu bestimmten naturwissenschaftlichen Theorien in den Rang von zentralen Glaubensfragen und fordert ein Bekenntnis: für seine Sicht der Bibel und der Welt. Christsein ent­scheidet sich für ihn letztlich am JA oder NEIN zur Evolutionstheorie. Die Auseinan­dersetzung wird als Glau­benskrieg gegen verzerrte Feindbilder geführt.

Wir stellen fest:

Naturwissenschaftliche Erkenntnisse können christlichen Glauben weder begründen noch erschüt­tern. Im Streben nach Wahrhaf­tigkeit sollten Christen auch gegenüber dem Suchen der Naturwissen­schaften offen blei­ben.

Der Schöpfungsglaube ist heute vorrangig und in neuer Weise durch die Bedrohung der Schöpfung her­aus­ge­fordert, die bedingt ist durch menschli­ches Fehlverhalten - auch im Bereich von Naturwis­senschaft und Tech­nik. Kirchen und Theologie stehen vor der Aufgabe, das Nachdenken über "SCHÖPFUNG" zu beleben und die Gemeinden in diesen Prozess stärker als bisher einzubezie­hen. Aber nicht nur den zerstörerischen Auswirkun­gen, auch dem ideologischen Missbrauch, der Verein­nahmung naturwissen­schaftlicher Erkennt­nisse ("wissen­schaftlich" begründete Weltanschau­ung, wis­senschaftliches Wahr­heitsmonopol) ist zu wider­stehen. Hierzu sind manche Fragen des Kreationis­mus wich­tige Anregungen.

Aber der Kampf, so, wie ihn einige Kreationisten führen, ist für diesen Prozess nicht hilfreich. Er schafft im Ge­genteil Verwirrung in den Gemeinden und wird den heute anstehenden Herausforderun­gen weder aus der Sicht des Glau­bens noch aus der der Natur­wissenschaften gerecht.

 

(Quelle: Q37 Thesen zum Kreationismus“, Amtsblatt der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, Dresden, 31. Juli 1990)


 

(Quelle: Q57 Pressemitteilung www.idea.de, 15.9.08)

 

 

Ihren Frieden mit dem Begründer der Evolutionstheorie, Charles Darwin (1809-1882), hat die anglikani­sche Kirche von England geschlossen. Am 15. September eröffnete sie eine Internetseite (www.cofe.anglican.org/darwin), auf der sie sich unter anderem für Angriffe der Kirche auf den englischen Naturforscher posthum entschuldigt.
Anlass sind die bevorstehenden Darwin-Jubiläen im nächsten Jahr. Vor 200 Jahren, am 12. Februar 1809, wurde er in Shrewsbury geboren, und vor 150 Jahren (1859) veröffentlichte er sein Hauptwerk „On the Origin of Species“ (Die Entstehung der Arten). Schon zu Lebzeiten wurde Darwin scharf von Kirchen­kritikern angegriffen, die seine Lehren im Widerspruch zu den biblischen Schöpfungsberichten sahen. Noch heute gehören christliche Vertreter des Kreationismus (Schöpfungslehre) zu den schärfsten Geg­nern der Evolutionstheorie. „Charles Darwin - 200 Jahre nach Ihrer Geburt schuldet Ihnen die Kirche von England eine Entschuldigung dafür, Sie missverstanden zu haben, und weil unsere erste Reaktion falsch war, haben wir andere ermutigt, Sie immer noch misszuverstehen“, schreibt der Direktor für Mission und Öffentlichkeit der Kirche, Malcolm Brown (London). In Darwins Erkenntnissen finde sich nichts, was im Widerspruch zu christlicher Lehre stehe. Jesus selbst habe dazu aufgefordert, die Welt zu beobachten und daraus auch Erkenntnisse über Gott zu erlangen. Brown: „Zwar glauben Christen, dass die Bibel alles enthält, was wir wissen müssen, um aus unserer Sünde errettet zu werden, aber sie behaupten nicht, dass die Bibel ein Kompendium allen Wissens sei.“ Es sei vernünftig, von einem Evolutionsprozess über Jahrtausende auszugehen. Man dürfe jedoch nicht die natürliche Auswahl auf das menschliche Zu­sammenleben übertragen und daraus ableiten, dass sich der Stärkere durchsetzen müsse. Vor diesem Sozial-Darwinismus müsse man Darwin selbst schützen, so Brown.

 

(Quelle: Q58 GEO kompakt 14, Die 100 größten Forscher aller Zeiten, 2008)

 

 

(S.35 zu Kopernikus:)
Vor allem protestantische Theologen widersprechen den Zweiflern am althergebrachten Weltmodell. Für sie ist die Bibel die einzig maßgebliche Instanz.

(S.38ff. zu Galilei):
Nie hat ein einzelner Prozess einer Institution so geschadet wie dieser. Bis heute hängt dem Vatikan das Verdikt an: wissenschaftsfeindlich, rückwärtsgewandt, unbelehrbar! Der Prozess gegen Galilei war, so die übliche Lesart, der Höhepunkt der jahrhundertelangen Unterdrückung Andersdenkender, der letzte Be­weis für die Intoleranz der Inquisition.
Zugleich war er der Beginn einer strahlenden Epoche, an der die Kirche weder teilhaben konnte noch durfte: Aufklärung, moderne Wissenschaft, Fortschritt! Galilei war ein Held, die Kirche ein Schurke. So wird das Drama bis heute gelesen.
Nur kann die neueste Forschung diese Deutung nicht bestätigen. Sie findet im Galilei-Prozess weniger ein Heldenstück als eine Tragikomödie: ein verworrenes Lehrstück über Macht und Missbrauch, über Eitelkeit und Eigennutz, über Verfehlungen und Verirrungen. Nur eines kommt darin kaum vor: Wissen­schaft. Um sie ging es am wenigsten, auch wenn das Stück mit ihr beginnt. …
(Galilei beobachtet mit seinem Teleskop:) Auf dem Mond gibt es Berge! Täler! Krater! Das kann, das darf nicht sein.
Nach gängiger Lehre, unbezweifelt seit den antiken Gelehrten Aristoteles und Claudius Ptolemäus, ist der Kosmos in zwei Sphären unterteilt. In der irdischen Sphäre sind alle Dinge veränderlich, endlich, unvoll­kommen. Jenseits davon, im himmlischen Reich, auf dem Mond also und bei den Sternen, ist alles ewig, unveränderlich, vollkommen. Daher hat man sich den Mond als glatt polierte, wenngleich leicht fleckige Kugel vorgestellt.
Denn am perfekten Himmel kann nur eine perfekte Kugel hängen.
Aber nichts davon: Der Mond gleicht der Erde in all ihrer Unvollkommenheit – sollten Himmel und Erde also aus dem gleichen Stoff sein? Es wäre ein kosmologischer Umsturz …
Die Sonne, so erkennt er später, hat Flecken – ist auch sie nicht perfekt? …
Den Jupiter umkreisen vier Monde! …
In jenen Tagen glaubt man, das gesamte Universum habe nur einen einzigen Drehpunkt: die Erde. … Die Monde, die ihre Bahnen um den Jupiter ziehen, sind der Beweis, dass nicht alle Himmelskörper um die Erde kreisen …
Rasch schreibt er nieder, was er entdeckt hat … Die nur 48-seitige Broschüre („Die Sternenbotschaft“ 1610) macht ihn innerhalb weniger Wochen zum berühmtesten Wissenschaftler Europas …Die Herrscher – weltliche wie geistliche – gieren nach Sensationen, nach Abwechslung. Ob das Weltbild wankt, interes­siert sie wenig.
Ganz anders die Philosophen, die das Geistesleben Europas beherrschen und weit energischer als Kir­che und Obrigkeit die traditionelle Weltsicht verteidigen. Diese scholastischen Gelehrten werden in den folgenden Jahren zu Galileis erbittertsten Feinden.
Sie haben auch am meisten zu verlieren: Sollte sich Galileis Forschungsmethode durchsetzen – Erkennt­nis durch Beobachtung und Experiment – wären sie entbehrlich.
Im Laufe der Jahrhunderte haben sie auf einigen Grundsätzen des Aristoteles und anderer antiker Philo­sophen ein überwältigend komplexes Denksystem errichtet. Das Messen, Experimentieren, Wiegen, so wie es Galilei unternimmt, gilt ihnen als völlig untauglicher Weg zur Erkenntnis. Nach ihrer Vorstellung lassen sich die tiefsten Seinsgründe nicht durch Beobachtung, nicht durch die Sinne erschließen, son­dern nur durch die Vernunft, durch eine rein geistige Wesensschau. …
Es gehört zum Mythos der modernen Naturwissenschaft, dass ihre frühen Entdeckungen die Menschen wie selbstverständlich überzeugt hätten, allein durch die Macht ihrer Wahrheit. Und dass nur verstockte Ewiggestrige wie die kirchlichen Inquisitoren sich deren Evidenz verweigert hätten.
Aber so ist es nicht gewesen. Nach dem damaligen Kenntnisstand haben Galileis Gegner gute wissen­schaftliche Argumente. Also muss der Astronom dafür sorgen, dass seine Entdeckungen auf anderen Wegen akzeptiert werden. …
Galilei widmet seine Schrift „Sternenbotschaft“ dem Großherzog der Toskana … dieser ernennt ihn zu seinem „Ersten Mathematiker und Philosophen“ und stattet ihn mit Empfehlungsschreiben aus… Kaiser Rudolf II. in Prag schaut „glücklich und zufrieden“ durch das ihm von Galilei geschickte Fernrohr
1611 reist Galilei nach Rom an den päpstlichen Hof … Kardinäle besuchen seine Teleskopvorführungen, die jesuitischen Astronomen bestätigen seine Entdeckungen und feiern ihn auf einer eigens einberufenen Konferenz. Papst Paul V. gewährt ihm eine Privataudienz – es gibt keinerlei Anzeichen, dass die Kirche ihren Glauben bedroht sieht durch Galileis Entdeckungen.
Dennoch hält sich bis heute die Legende, die Kirche sei durch Galileis Teleskop in eine tiefe Krise gera­ten. Und dass sie ihn verfolgt habe von Anfang an, als Ketzer, als Zerstörer des Glaubens.
Nichts dergleichen. Das sind Erfindungen des 18. und 19. Jahrhunderts, als Aufklärer die Kirche schwär­zer malen, als diese jemals gewesen ist.
Die Kirche ist in der frühen Neuzeit der bedeutendste Förderer des Wissens. Italien steht weitgehend unter dem Einfluss des Papstes, und Kunst und Wissenschaft florieren wie kaum anderswo in Europa. …
Schon Kirchenlehrer wie Augustinus (354-430) und Thomas von Aquin (1225-1274) haben Naturerkennt­nis und Glauben zu unterscheiden gewusst. Sie waren klug genug, die Bibel nicht wegen jeder neuen wissenschaftlichen Entdeckung Zweifeln auszusetzen.
In der Astronomie, verkündete im 4. Jh. Augustinus, könne ein Ketzer mitunter besser informiert sein als ein frommer Christ. Und zu Galileis Zeit heißt es: Die Bibel zeigt den Weg in den Himmel, aber nicht, wie es im Himmel zugeht.
Die katholische Kirche hat die Heilige Schrift zu keiner Zeit als wörtliche Wahrheit verstanden. erst recht nicht als wissenschaftliches Lehrbuch. …
Als Galilei seine Entdeckungen macht, kennt die Kirche daher kein Dogma, nach dem die Welt sich um die Erde drehe. Zwar sind die meisten Theologen – wie praktisch alle Menschen jener Zeit – fest vom Geozentrismus überzeugt; aber bis dato ist er nicht zur Glaubenssache erhoben worden.
Erbitterte Gegner des Heliozentrismus von Copernicus finden sich in jener Zeit eher unter Protestanten, eben weil sie die Bibel oft wortwörtlich nehmen. …
1613: Galilei verteidigt in seinen „Briefen über die Sonnenflecken“ zum ersten und einzigen Mal in seinem Leben schriftlich die Lehren des Nicolaus Copernicus.
1614: Der Karmeliterpater Paolo Antonio Foscarini veröffentlicht eine Streitschrift, in der er die Bibel Punkt für Punkt mit dem heliozentrischen Weltbild aussöhnt. Er legt sie dem Kardinal-Inquisitor Bellarmin vor.
1615: Ein Dominikanerpater zeigt Galilei an, aber die römische Inquisition sieht keinen Anlass, ein Ver­fahren zu eröffnen. Bellarmin schreibt Foscarini in einem höflichen Brief, die Kirche habe nichts gegen Kopernikus einzuwenden, solange die Forscher dessen Lehre bloß „ex suppositione“ darstellen, also als Hypothese, nicht als bewiesene Wahrheit.
Der 73-jährige Kardinal will auf diesem Wege beides schützen, die herrschende Bibelauslegung und die Freiheit der Forschung. Die meisten Wissenschaftler akzeptieren den Vorschlag. Er behindert ihre Arbeit nicht, und einen Beweis für das copernicanische Weltbild kann eh noch niemand erbringen.
Einer der wenigen, die gegen den Kompromiss anschreiben, ist Galilei. Er verlangt, dass sich die Kirche aus allen naturwissenschaftlichen Fragen heraushalte – nicht so sehr, um die Forschung vor der Kirche zu bewahren, sondern um im Geiste der Kirchenlehrer die Bibel vor neuen Erkenntnissen zu schützen. Dennoch schafft er sich viele Feinde, weil er sich weit auf das Gebiet der katholischen Theologen wagt.
Die werden immer nervöser, je mehr sich der Protestantismus ausbreitet. Die Bibelexegese ist der zentrale Streitpunkt zwischen den Konfessionen, und in jenen Tagen gilt jede Neudeutung als heikel: Wenn man die astronomischen Aussagen der Bibel neu auslegen kann, so fürchtet der Vatikan, warum dann nicht gleich die ganze Bibel?
1616 gewinnen die Hardliner im Vatikan die Oberhand. Die Kirche setzt das Hauptwerk des Kopernikus „De revolutionibus orbium coelestium“ („Über die Umdrehungen der Himmelskörper“ – genauer: der himmlischen Kreise, Copernicus nahm noch kreisförmige Kugelschalen an, Sphären, die sich mit den Himmelskörpern bewegten JK -, 1543), das sie 73 Jahre lang toleriert hatte, auf den Index.
Zugleich billigt der Papst ein drastisches Edikt: Der Standpunkt der Copernicaner, die Sonne sei der Mit­telpunkt der Welt, sei „philosophisch töricht und absurd, und formal ist er ketzerisch.“ Das gleiche gelte von der Erdbewegung, auch sie sei „hinsichtlich der theologischen Wahrheit zumindest glaubensmäßig irrig.“
Erstmals in ihrer Geschichte macht sich die Kirche eine kosmologische Lehre offiziell zu eigen – und dann ausgerechnet jenen Geozentrismus, den die meisten Astronomen zwar noch unterstützen, der aber längst nicht mehr zweifelsfrei dasteht. …
Die Folgen dieses neuen Dogmatismus sind zunächst allerdings weit weniger dramatisch als befürchtet. Denn wieder einmal ist der Vatikan alles andere als konsequent. Eigentlich müsste die römische Inquisi­tion nun sofort ein Verfahren wegen Ketzerei gegen Galilei einleiten. Stattdessen zitiert Kardinal Bellar­min den Forscher herbei und übergibt ihm in herzlicher Atmosphäre eine schriftliche – und väterliche – Ermahnung, die beiden verbotenen Aussagen nicht mehr zu verteidigen …
Erstaunlich milde verfährt die Kirche auch mit dem Buch des Copernicus. Sie lässt nach der Indizierung alle Aussagen über die Erdbewegungen als Hypothesen umschreiben, und bereits 1620 erhält das Werk wieder die Druckerlaubnis.
Galilei lässt sich durch seine kurze Konfrontation mit den römischen Glaubenswächtern nicht sonderlich beunruhigen … 1623 wird sein Freund und Gönner Maffeo Barberini als Urban VIII. auf den Papstthron gewählt. Im Jahr darauf empfängt Urban Galilei sechsmal in seinem Palast zu langen philosophischen Gesprächen; er schenkt ihm Medaillen, gewährt ihm Ablässe und eine lebenslange Pension.
Urban ermuntert en Forscher zudem, in seinem nächsten Buch „durchaus die mathematischen Betrach­tungen der copernicanischen Annahme über die Bewegung der Erde“ anzuführen, solange er sie als Hypothese darstelle. Der Papst ist nicht der einzige, der hofft, Galilei könne den ursprünglich griechisch-heidnischen Aristotelismus ablösen und dem Christentum eine neue Weltsicht schenken. …
1632 veröffentlicht Galilei den „Dialog über die beiden hauptsächlichen Weltsysteme, das ptolemäische und das coprnicanische“, die Ideen sind weitgehend als Hypothesen verfasst … zwar haben kirchliche Zensoren die Druckerlaubnis erteilt, doch Papst Urban verbietet den weiteren Verkauf … Hintergrund: Galilei hat Vereinbarungen nicht eingehalten, Urban hat außenpolitischen Druck, muss Härte und Durch­setzungsvermögen zeigen ... es geht um Politik und Macht … Urban beruft ein Sondertribunal ein, um die Anklage gegen Galilei zu formulieren …
Die Anklage ist merkwürdig zahnlos. Galilei steht nicht etwa wegen Ketzerei vor Gericht – oder weil er ein verbotenes Weltbild vertreten habe. …
Das gilt nicht für den einzigen ernst zu nehmenden Vorwurf: Er lautet auf Ungehorsam gegen die Kirche und stützt sich auf ein Dokument von 1616, das Galilei nach eigener Aussage nie zuvor gesehen hat. … Demnach hätte Galilei den Copernicanismus „in keiner Weise, weder in Wort noch Schrift“ lehren dürfen, also auch nicht als Hypothese. Gegen diese Auflage habe Galilei verstoßen. Eine wackelige Argumenta­tion: Denn das mysteriöse Dokument trägt weder Stempel noch Unterschrift … (nach einem Privatbesuch eines Kommissars der Inquisition) gesteht Galilei drei Tage später seinen Irrtum ein. …
Es vergehen noch einmal fast zwei Monate, ehe die Kardinäle im Tribunal ihr Urteil sprechen, „dass Du, Galilei, Dich der Häresie sehr verdächtig gemacht hast; das heißt, dass Du eine Lehre geglaubt und be­hauptet hast, welche falsch und der Heiligen und Göttlichen Schrift zuwider ist.“
am 22.6.1633 schwört Galilei ab …
In seinem letzten Lebensjahr diktiert Galilei in einem Brief an einen Freund …: „Dass das copernicani­sche System falsch sei, darf um keinen Preis bezweifelt werden, vor allem nicht von uns Katholiken. Und genau wie ich die Beobachtungen und Vermutungen des Copernicus für unzureichend halte, so halte ich ebenso und noch mehr diejenigen von Ptolemäus und Aristoteles für trügerisch und irrig.“ …
(Im „Dialogo“ hatte er geschrieben:) „Es gibt kein Geschehnis in der Natur, auch nicht das einfachste, das von den Theoretikern jemals vollkommen verstanden werden kann.“
Alles Wissen ist vorläufig und richtig nur, bis es als falsch erwiesen wird. … Das ist Galileis radikale, antimetaphysische, moderne Botschaft.

 

(Quelle: Q58 GEO kompakt 14, Die 100 größten Forscher aller Zeiten, 2008)


 

(Quelle Q70 WIKIPEDIA; zu „Kopernikus“, „Galilei“ und „Religion und heliozentrisches Weltbild“; gelesen 16.12.08)

 

„Kopernikus zögerte lange mit der Veröffentlichung seiner astronomischen Arbeiten, möglicherweise weil seine teilweise letztlich falschen, auf Aristoteles' Annahmen als Kreis als idealharmonisch-vollkommenem mathematischen Gebilde beruhenden Berechnungen der Planetenbahnen in Kreisumläufen um die Sonne nicht durch Beobachtungen gestützt werden konnten und deshalb eine Ablehnung durch das wis­senschaftliche oder kirchliche Establishment zu befürchten war. Wegen der falschen Annahme der Kreis­bahnen konnte Kopernikus seine Kritiker letztlich nicht zwingend widerlegen. …
Kopernikus widmete sein Werk „De Revolutionibus …“ Papst Paul III. …
Der Reformator Andreas Osiander hatte zudem eigenmächtig und anonym ein Vorwort hinzugefügt, in dem das neue Weltbild als bloßes Rechenhilfsmittel dargestellt wird, und somit Kopernikus Aussagen verfälscht und widerspüchlich gemacht. Die Katholische Kirche, der Kopernikus angehörte, hielt sich eventuell auch deswegen mit einer Stellungnahme zurück. Eine Verfolgung durch die Inquisition hatte Kopernikus' Werk also – anders als Galileo Galilei einige Jahrzehnte später – nicht zu befürchten, da seine Theorie lediglich als mathematische Hilfskonstruktion zur einfacheren Berechnung der Planeten­bahnen angesehen wurde. So waren die von Erasmus Reinhold neu erstellten preußischen Tafeln leich­ter zu berechnen als die veralteten alfonsinischen Tafeln, obwohl beide zum gleichen Ergebnis führten. …
Während das Werk des Kopernikus zunächst als reines Rechenmodell verwendet wurde, lieferten die Beobachtungen von Galileo Galilei von 1610 an überzeugende Argumente für die physikalische Realität des heliozentrischen Systems.

Den eigentlichen Nachweis konnten erst James Bradley 1728 mit der Entdeckung der Aberration des Lichtes und 1837 Friedrich Wilhelm Bessel mit der ersten sicheren Beobachtung der Fixsternparallaxe erbringen.“
(Wikipedia: Nikolaus Kopernikus, 16.12.08)

 

„Im Jahr 1615 veröffentlichte der Kleriker Paolo Antonio Foscarini (ca. 1565–1616) ein Buch, das bewei­sen sollte, dass die Kopernikanische Astronomie nicht der Heiligen Schrift widersprach. Daraufhin eröff­nete die Römische Inquisition nach Vorarbeit des bedeutenden Kirchenlehrers Kardinal Robert Bellarmin ein Untersuchungsverfahren. 1616 wurde Foscarinis Buch gebannt. Zugleich wurden einige nichttheo­lo­gische Schriften über Kopernikanische Astronomie, darunter auch ein Werk von Johannes Kepler, auf den Index gesetzt. Das Hauptwerk des Kopernikus, De Revolutionibus Orbium Coelestium, in dessen Todesjahr 1543 erschienen, wurde nicht verboten, sondern „suspendiert“: Es durfte fortan bis 1822 im Einflussbereich der Römischen Inquisition nur noch in Bearbeitungen erscheinen, die betonten, dass das heliozentrische System ein bloßes mathematisches Modell sei. …

Wenige Tage nach der förmlichen Index-Beschlussfassung schrieb Kardinal Bellarmin an Galilei einen Brief mit der Versicherung, Galilei habe keiner Lehre abschwören müssen; gleichzeitig jedoch enthielt dieses Schreiben die nachdrückliche Ermahnung, das kopernikanische System in keiner Weise als Tat­sache zu verteidigen, sondern allenfalls als Hypothese zu diskutieren. …

1624 reiste Galilei nach Rom und wurde sechs Mal von Papst Urban empfangen, der ihn ermutigte, über das kopernikanische System zu publizieren, solange er dieses als Hypothese behandle …


Im Februar 1632 erschien der Dialogo. In zweierlei Hinsicht setzte der Dialogo im aktuellen, astronomi­schen und eben auch weltanschaulich-theologischen Diskurs neue Akzente: 1. An die Stelle der Wissen­schaftssprache Latein war die Volkssprache Italienisch getreten und die Diskussionen sollten gezielt über die Kreise der Wissenschaft hinausgetragen werden. 2. Das von den Jesuiten besonders favorisierte Planetenmodell Tycho Brahes[197], das wie das Kopernikanische die Phänomene, z.B. die Phasengestalt der Venus, erklärt, wurde bewusst verschwiegen. Im Kampf um die Deutungshoheit des astronomischen Weltbildes bekämpfte Galilei den Konkurrenten Tycho Brahe mit Totschweigen. …

Dass Galilei überhaupt verurteilt wurde, war unter den zuständigen zehn Kardinälen durchaus strittig; drei von ihnen (darunter Francesco Barberini, der Neffe des Papstes) unterschrieben das Urteil nicht. …

Nachdem Galilei geschworen hatte, „… stets geglaubt zu haben, gegenwärtig zu glauben und in Zukunft mit Gottes Hilfe glauben zu wollen alles das, was die katholische und apostolische Kirche für wahr hält, predigt und lehret“, erhielt er „lediglich“ Kerkerhaft, die bereits nach wenigen Wochen in Hausarrest um­gewandelt wurde. In einem Kerker hat Galilei jedoch nie eingesessen. …

Galilei sah zeitlebens die Kreisbahnen als zentralen Bestandteil des kopernikanischen Systems an und lehnte elliptische Bahnen aus diesem Grund ab. …

Ab dem Juli 1633 – noch in Siena – hatte Galilei an seinem physikalischen Hauptwerk Discorsi e Di­mostrazioni Matematiche intorno a due nuove scienze gearbeitet. Obwohl das Inquisitionsurteil kein ex­plizites Publikationsverbot enthielt, stellte sich eine Veröffentlichung im Einflussbereich der katholi­schen Kirche als unmöglich heraus. So geschah es, dass die Welt zuerst durch Matthias Berneggers lateinische Übersetzung von Galileis Werk Kenntnis erhielt (erschienen u.d.T. Systema cosmicum, Straß­burg: David Hautt 1635). Ein Druck des italienischen Texts der Discorsi erschien erst ein Jahr danach 1636 bei Louis Elsevier in Leiden. …

1741 gewährte das Heilige Offizium – umgangssprachlich Inquisition genannt – auf Bitte Benedikts XIV. das Imprimatur auf die erste Gesamtausgabe der Werke Galileis. Unter Pius VII. wurde 1822 erstmals ein Imprimatur auf ein Buch erteilt, das das Kopernikanische System als physikalische Realität behandelte.“
(Wikipedia: Galileo Galilei, 16.12.08)

„Galilei wurde nicht der Kritik der Bibel, sondern des Ungehorsams gegenüber dem Papst beschuldigt.“

„Papst Benedikt XIV. hob am 17. April 1757 den Bann gegen Werke auf, die ein heliozentrisches Weltbild vertraten. Ausgelöst wurde diese Entscheidung durch die allgemeine Anerkennung, die die Werke Isaac Newtons in der wissenschaftlichen Welt gefunden hatten. Am 11. September 1822 entschied die Kongre­gation der römischen und allgemeinen Inquisition dann, dass der Druck und die Publikation von Werken, die die Bewegung von Planeten und Sonne in Übereinstimmung mit der Auffassung der modernen Astro­nomen darstellten, generell erlaubt sei. Diese Entscheidung wurde kurz darauf durch Papst Pius VII. rati­fiziert.“
(Wikipedia: Religion und heliozentrisches Weltbild, 16.12.08)

 

(Quelle Q70 WIKIPEDIA; zu „Kopernikus“, „Galilei“ und „Religion und heliozentrisches Weltbild“; gelesen 16.12.08)

 


Q72 Darwin, Charles: Mein Leben, Insel Taschenbuch, Frankfurt/Main, 2008

 

 

S.102f.

„Ein anderer Grund für den Glauben an die Existenz Gottes, der mit der Vernunft, nicht mir Gefühlen zu­sammenhängt, scheint mir mehr ins Gewicht zu fallen. Dieser Grund ergibt sich aus der extremen Schwierig-keit oder eigentlich Unmöglichkeit, sich vorzustellen, dieses gewaltige, wunderbare Universum einschließlich des Menschen mitsamt seiner Fähigkeit, weit zurück in die Vergangenheit und weit voraus in die Zukunft zu blicken, sei nur das Ergebnis blinden Zufalls oder blinder Notwendigkeit. Wenn ich dar­über nachdenke, sehe ich mich gezwungen, auf eine Erste Ursache zu zählen, die einen denkenden Geist hat, gewissermaßen dem menschlichen Verstand analog; und ich sollte mich wohl einen Theisten nennen.
Wenn ich mich recht erinnere, beherrschte diese Schlussfolgerung mein Denken in der Zeit, als ich Über die Entstehung der Arten schrieb …
seither schien sie mir ganz allmählich immer weniger überzeugend …
ich schwankte jedoch sehr …
Das Mysterium vom Anfang aller Dinge können wir nicht aufklären; und ich jedenfalls muss mich damit zufrieden geben, Agnostiker zu bleiben.“

 

(zur Erläuterung:)

Agnostizismus

Der Agnostizismus ist eine Weltanschauung, die insbeson-dere die prinzipielle Begrenztheit mensch­li­chen Wissens betont. Die Möglichkeit der Existenz transzendenter Wesen oder Prinzipien wird vom Ag­nostizismus nicht bestritten. Agnostizismus ist sowohl mit Theismus als auch mit Atheismus vereinbar, da der Glaube an Gott möglich ist, selbst wenn man die Möglichkeit der rationalen Erkenntnis Gottes ver­neint.
Die Frage „Gibt es einen Gott?“ wird vom Agnostizismus dementsprechend nicht mit „Ja“ oder „Nein“ be­antwortet, sondern mit „Es ist nicht geklärt“, „Es ist nicht beantwortbar“.
Unabhängig davon ist die Frage „Glauben Sie an einen Gott?“. Diese ist auch von einem Agnostiker mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortbar.

(Wikipedia, gelesen 23.2.2009)

 


ANHANG A

 

A1 Verzeichnis der zitierten und verwendeten Quellen

 

 

Lehrbücher Fach Biologie

Biologie DDR-Lehrbuch Klasse 10

B1  DDR; VOLK UND WISSEN; Biologie, Lehrbuch für die Klasse 10, Volk und Wissen Volkseigener Verlag, Berlin, 1982

Biologie Sekundarstufe 1

B11 CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Biologie plus, Klasse 10 Gymnasium, Sachsen, Berlin, 2006

B12 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie, Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin, 2005

B13 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag; Link Biologie 10, Sachsen Mittelschule, Berlin, 2007

B14 DUDEN / PAETEC; Biologie, Gymnasium, 10, Sachsen, Berlin 2007

B15 PAETEC; Biologie 10, Sachsen, Gymnasium, Berlin, 2000

B16 SCHROEDEL; Netzwerk Biologie 10, Braunschweig, 2006

B17 VOLK UND WISSEN; Biologie Band 3, Sachsen, Volk und Wissen, Berlin, 2002

B18 VOLK UND WISSEN; Biologie plus, Klassen 9/10 Gymnasium, Sachsen, Berlin, 2001

Biologie Sekundarstufe 2

B21 BSV (Bayerischer Schulbuch Verlag); Meyer, H. / Daumer, K.: Biologie für die gymnasiale Ober­stufe, München 1999

B22 C.C.BUCHNER; Solbach, H.: Vita nova; Biologie für die Sekundarstufe II; Bamberg 2000

B23 CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Biologie Oberstufe, Gesamtband, Berlin, 2006

B24 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag; Duden Biologie, Gymnasiale Oberstufe, Berlin, 2005

B25 KLETT; Biologie für Gymnasien, Oberstufe, Stuttgart, 2005

B26 KLETT; Einblicke Biologie, Band 2, Klett, Stuttgart, 2000

B27 KLETT; Natura, Biologie für Gymnasien Band 2, Klett, Stuttgart, 1997

B28 SCHROEDEL; Biologie heute entdecken S II; Braunschweig, 2004

B29 SCHROEDEL; Biologie heute S II; Braunschweig, 2004

B30 SCHROEDEL; Hoff, P. / Miram, W. / Paul, B.: Evolution, Materialien für den Sekundarbereich II, Biologie, Hannover, 2004

B31 SCHROEDEL; Hoff, P. / Miram, W.: Evolution, Materialien für den Sekundarbereich II, Biologie, Hannover, 1993

B32 SCHROEDEL; Linder Biologie, Lehrbuch für die Oberstufe, Braunschweig, 2005

 

 

Lehrbücher Fach Physik

Physik Sekundarstufe 1

P1    CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Physik plus Gymnasium 10, Sachsen, Cornelsen, Berlin, 2006

P2    CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Physik Mittelschule 9/10, Sachsen, Cornelsen, Berlin, 2006

P3    DUDEN / PAETEC; Physik Sek I, Duden Paetec, Berlin, 2005

P4    DUDEN / PAETEC; Physik, Gymnasium 10, Sachsen, Duden Paetec, Berlin, 2007

P5    KLETT; Impulse Physik, B Teil 1, Klett, Stuttgart, 2000

P6    SCHROEDEL; Erlebnis Physik 3, Sachsen, Bildungshaus, Braunschweig 2006

P7    SCHROEDEL; Erlebnis Physik 4, Sachsen, Bildungshaus, Braunschweig, 2007

P8    WESTERMANN; Kuhn: Physik 1.1, Braunschweig, 2002

Physik Sekundarstufe 2

P11 CORNELSEN; Physik Oberstufe, Ausgabe E, Cornelsen, Berlin, 2001

P12 DUDEN / PAETEC; Physik Gymnasiale Oberstufe, Berlin, 2005

P13 SCHROEDEL, Grehn, J. / Krause, J. (Hrsg.): Metzler Physik, Schroedel Verlag, Hannover, 1998

P14 SCHROEDEL; Dorn / Bader: Physik Sek II; Schroedel, Hannover, 2000

P15 WESTERMANN; Kuhn Physik 2; Braunschweig, 2000

P16 WESTERMANN; Kuhn, Physik, Band 2 12/13; Braunschweig, 2004

 

 

Lehrbücher Fach Astronomie

P21 PAETEC; Astronomie, Gymnasiale Oberstufe, Paetec, Berlin 2001

P22 CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Astronomie plus, Cornelsen, Berlin 2005

P23 PAETEC; Dieter B. Herrmann; Faszinierende Astronomie; Paetec, Berlin, 2000

P24 VOLK UND WISSEN; Astronomie, Volk und Wissen, Berlin, 1999

 

 

Lehrbücher Fach Religion

R1    VANDENHOECK & RUPRECHT; Koretzki, G.-R., Tammeus, R. (Hg.): Werkbuch Religion – entdecken, verste­hen, gestalten; Materialien für Lehrerinnen und Lehrer, Göttingen 2002

R2    VANDENHOECK & RUPRECHT; Koretzki, G.-R., Tammeus, R. (Hg.): Religion – entdecken, verstehen, gestal­ten - 9/10; Ein Unterrichtswerk für den evangelischen Religionsunterricht, Göttingen 2002

R3    PATMOS; Zeichen der Hoffnung, Patmos Düsseldorf, 2002

R4    CORNELSEN; Religionsbuch Oberstufe, Cornelsen, Berlin, 2006

R5    CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Abenteuer Mensch sein, Cornelsen Berlin 2008

R6    CALWER / DIESTERWEG; Das Kursbuch Religion 3 (Klassen 9/10); Stuttgart – Braunschweig 2007

R7    CALWER / DIESTERWEG; Kursbuch Religion, Oberstufe; Stuttgart – Braunschweig 2004

R8    CORNELSEN; Religionsbuch 7/8; Cornelsen, Berlin, 2001

 

 

Lehrbücher Fach Geschichte

G1    C.C. BUCHNER; Buchners Kolleg Geschichte – Ausgabe C, Die Herausbildung des modernen Europa; C.C. Buchners Verlag, Bamberg 1995

G2    CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Geschichte plus, Klasse 7, Gymnasium, Cornelsen Verlag Berlin 2005

G3    CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Entdecken und verstehen 7, Cornelsen Verlag Berlin 2005

G4    VOLK UND WISSEN; Geschichte plus, Sachsen, Mittelschule, Klasse 7, Volk und Wissen Verlag, Berlin, 2000

G5    CORNELSEN; Geschichtsbuch, Band I, Von der Antike bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, Cornelsen Verlag, Berlin 1995 (2006)

G6    DIESTERWEG; Expedition Geschichte, Mittelschule Sachsen, Band 3, Klasse 7, Bildungshaus Schulbuchver­lage …, Braunschweig 2005

G7    KLETT; Geschichte und Geschehen, 3, Sachsen, Sekundarstufe I, Ernst Klett Schulbuchverlag, Leipzig 2006

G8    KLETT; Zeitreise 2, Ernst Klett Verlag Stuttgart, 2007

G9    KLETT; Geschichte und Geschehen, Berufliche Oberstufe, Ernst Klett Schulbuchverlag, Leipzig, 2003

G10  SCHÖNING; Zeiten und Menschen 1, Geschichte, Oberstufe, Bildungshaus Schulbuchverlage …, Braun­schweig, 2007

G11  WESTERMANN; Anno 3 neu, Gymnasium Sachsen, Bildungshaus Schulbuchverlage …, Braunschweig, 2005

 

 

Weitere zitierte und verwendete Quellen

Q1    Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Zeitung „Das Parlament“, 46/2007: „Geisteswissenschaften“

Q2    Bild der Wissenschaft 12/1999 S. 42ff

Q3    Bild der Wissenschaft 8/2003 S.51

Q4    Bohl, Jochen (Bischof der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens), Pastor@lbrief Februar 2008

Q5    Campbell, N.A. / Reece, J.B.: Biologie, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Berlin, 6. Auflage, 2003

Q6    Coyne, G. in: Der Spiegel 52/2000 S.118ff

Q7    Darwin, Ch.: Die Abstammung des Menschen und die Zuchtwahl in geschlechtlicher Beziehung, Reclam, Leip­zig o.J., Bd. II

Q8    Darwin, Ch.: Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl, Reclam Leipzig 1980

Q9    Deutsches Institut für Fernstudien der Universität Tübingen, Fernstudium Naturwissenschaften, EVOLUTION, Heft 4: Ursprung und frühe Evolution des Lebens, Tübingen, 1985

Q10 Deutsches Institut für Fernstudien der Universität Tübingen, Fernstudium Naturwissenschaften, EVOLUTION, Heft 3: Theoretische Grundlagen der Evolution, Tübingen, 1986

Q11 Die Zeit, 29.3.2007 S.29, 32

Q12 Farouki, N. / Serres, M. (Hrsg.): Thesaurus der exakten Wissenschaften, Zweitausendeins Verlag, Frank­furt/Main, 2001

Q13 Ferguson, K.: Gott und die Gesetze des Universums, Econ, Düsseldorf 2002

Q14 Fischer, E.P.: Die andere Bildung – was man von den Naturwissenschaften wissen sollte, Ullstein, 2003

Q15 GEOkompakt Nr.4: Die Evolution des Menschen, Hamburg 2005

Q16 Haeckel, E.: Die Lebenswunder, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1906

Q17 Haeckel, E.: Die Welträtsel, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart, 1899

Q18 Horn, S.O., Wiedenhofer, S. (Hrsg.):Schöpfung und Evolution – Eine Tagung mit Papst Benedikt XVI. in Castel Gandolfo; Sankt Ulrich Verlag, Augsburg, 2007

Q19 Huber, Wolfgang (Bischof und Ratsvorsitzender der Ev. Kirche in Deutschland), Bericht des Rates der EKD - Teil A, (6. Tagung der 10. Synode der EKD, Dresden, 04. - 07. November 2007)

Q20 Küng, H.: Der Anfang aller Dinge, Naturwissenschaft und Religion, Piper, München, 2005

Q21 Lesch, H. / Müller, J.: Big Bang zweiter Akt – Auf den Spuren des Lebens im All, Bertelsmann, München 2003

Q22 Mohr, H. in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Zeitung „Das Parlament“, B15/1992 S.10ff

Q23 Mozetic, G.: Die Gesellschaftstheorie des Austromarxismus. Geistesgeschichtliche Voraussetzungen, Metho­dologie und soziologisches Programm. Darmstadt 1987, S. 117 f.; zitiert nach http://www.tu-braun­schweig.de/Medien-DB/hispaed/erziehung.pdf Seite 27

Q24 Reichholf, J.H.: Was stimmt? Evolution – Die wichtigsten Antworten; Herder spektrum, Freiburg, 2007

Q25 Stuhler, E.: Margot Honecker – Die Biografie, Heyne Verlag, München, 2005

Q26 Vollmer, G.: Biophilosophie, Reclam, Stuttgart, 1995,

Q27 Vollmer, G.: Die Unvollständigkeit der Evolutionstheorie, in: Kanitscheider, B. (Hrsg.): Moderne Naturphiloso­phie, Würzburg, 1984

Q28 Vollmer, G., UNIVERSITAS 8/1991, S.768f.

Q29 Wabbel, T.D. (Hrsg.): Im Anfang war (k)ein Gott – naturwissenschaftliche und theologische Perspektiven; Pat­mos, Düsseldorf, 2004

Q30 Die Zeit, 7.2.2008, S.34, Interview mit Andrei Linde und Alexander Vilenkin: „Der Spielraum Gottes schrumpft“

Q31 Fischer, Ernst Peter: Aristoteles, Einstein & Co., Piper, München 2005

Q32 Martin Luther: Biblia das ist die gantze Heilige Schrifft Deudsch (aus dem Jahre 1534), Band 1, Facsimile-Druck bei Reclam Leipzig 1983

Q33 die tageszeitung Berlin, 10.3.08 S.2

Q34 die tageszeitung Berlin 25.10.96

Q35 Lapide, Pinchas: War Eva an allem schuld?, Gespräche über die Schöpfung, Grünewald Mainz, 1985

Q36 Westermann, Claus: Genesis, Kapitel 1-11, Teil 2, Evangelische Verlagsanstalt Berlin 1985

Q37 „Thesen zum Kreationismus“, Amtsblatt der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, Dresden, 31. Juli 1990

Q38 Junker, R.; Scherer, S.: Evolution – Ein kritisches Lehrbuch, Weyel-Verlag Gießen, 1998

Q39 Studiengemeinschaft WORT UND WISSEN: „Schöpfung und Wissenschaft“, Hänssler-Verlag Neuhausen-Stutt­gart 1990

Q40 Kleine Enzyklopädie Natur, VEB Bibliographisches Institut Leipzig, 1964

Q41 Unterrichtshilfen Biologie 10. Klasse, zum Lehrplan 1971, Volk und Wissen Volkseigener Verlag Berlin, 1971

Q42 Weltall Erde Mensch, Verlag Neues Leben, (Berlin) 1955

Q43 Tietz, Gertraudis; Landeskatechetin der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens; Vortrag auf der Herbsttagung der Landessynode der Ev. Luth. Landeskirche Sachsens 1964, Reg.Nr.2243/14: „Das sozialistische Bildungssys­tem“

Q44 Brecht, Bertolt: Leben des Galilei, Reclam, Leipzig 1968

Q45 Westermann, Claus: Schöpfung und Evolution, Zeitwende 53 (1982) 3, S.146ff.

Q46 EKD-Texte 94: Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule; eine Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2008

Q47 Hemminger, Hansjörg: Das Wirklichkeitsverständnis der Naturwissenschaft, EZW-Texte Impulse Nr.23, Evange­lische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Stuttgart, 1986

Q48 Westermann, Claus: Schöpfung; Kreuz Verlag Stuttgart 1979

Q49 Kleine Enzyklopädie Natur, VEB Bibliographisches Institut, Leipzig 1983

Q50 Heller, Bruno: Naturwissenschaft und die Frage nach der Religion; EZW-Texte Impulse Nr.28, Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, Stuttgart 1989

Q51 Ewald, Günter: Naturwissenschaftliche und religiöse Ideologien; EZW-Texte Impulse Nr.35, Evangelische Zent­ralstelle für Weltanschauungsfragen, Stuttgart 1993

Q52 stud. christ. Spezialfernkurs; Naturwissenschaft – eine Herausforderung des Glaubens; Kirchentagskongress der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, 1978, Lehrbrief 2

Q53 stud. christ. Spezialfernkurs; Naturwissenschaft – eine Herausforderung des Glaubens; Kirchentagskongress der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, 1978, Lehrbrief 3

Q54 Fischer, E.P.: Leonhardo, Heisenberg & Co., Piper Verlag Taschenbuch München 2004

Q55 Steinmüller,A., Steinmüller,K.: Charles Darwin – vom Käfersammler zum Naturforscher, Verlag Neues Leben Berlin, 1985

Q56 Zahrnt, Heinz: Mutmaßungen über Gott, Piper Verlag München Zürich, 1997, S.11ff.

Q57 Pressemitteilung www.idea.de, 15.9.08

Q58 GEO kompakt 14, Die 100 größten Forscher aller Zeiten, 2008

Q59 Benjamin Gruner, in: Sächsisches Gemeinschaftsblatt, Hrsg. Landesverband Landeskirchlicher Gemeinschaften Sachsen e.V., Heft 4/2008 S.2

Q60 BROCKHAUS ENZYKLOPÄDIE in 24 Bd., 19., völlig neu bearb. Aufl.,
Bd. 10 (Herr – Is), Mannheim: Brockhaus, 1989, S. 374; Stichwort Ideologie)

Q61 Fuchß, H.: Hat die Bibel recht?, Urania-Verlag Leipzig 1957, S.13

Q62 Spektrum der Wissenschaft Heft 9/2007 S.102ff.

Q63 bild der wissenschaft Heft 2/2009 S.54ff.

Q64 Martin Luther: Der Kleine Katechismus (1529), Erklärung zum ersten Ar­tikel des christlichen Glaubensbekennt­nisses

Q65 bild der wissenschaft Heft 12-2003 S.40

Q66 bild der wissenschaft Heft 11-2008 S.10

Q67 Die Bibel, erschlossen und kommentiert von H. Halbfas, Patmos 2001, S.29

Q68 Christian Schwarke / Roland Biewald: Weltbilder – Menschenbilder; Themenhefte Religion, Ev. Verlagsanstalt Leipzig, 2003, S.27)

Q69 Boost, Ch., Gensichen, H., Pfeiffer, G.: Ist der Kreationismus haltbar? Thesen gegen einen neuen Anti-Evolu­tionismus in der Kirche; Kirchliches Forschungsheim Wittenberg, 1983

Q70 WIKIPEDIA; zu „Kopernikus“, „Galilei“ und „Religion und heliozentrisches Weltbild“; gelesen 16.12.08

Q71 Dawkins, Richard: Der Gotteswahn, Ullstein, Berlin, 2008

Q72 Darwin, Charles: Mein Leben, Insel Taschenbuch, Frankfurt/Main, 2008

Q73 Ullrich, Henrik; Junker, Reinhard (Hrsg.): Schöpfung und Wissenschaft – Die Studiengemeinschaft WORT UND WISSEN stellt sich vor; Hänssler Verlag Holzgerlingen 2008

Q74 Der Spiegel 23/1998 S.90

Q75 Charles Darwin: Mein Leben, Autobiographie, Insel Taschenbuch, 2008

Q76 Weber, Thomas P.: Darwin und die neuen Biowissenschaften, DuMont Köln, 2005

Q77 Drewermann, Eugen: Glauben in Freiheit, Bd. 3. Religion und Naturwissenschaft, Teil 1. „Der sechste Tag: Die Herkunft des Menschen und die Frage nach Gott“, Walter-Verlag Zürich u. Düsseldorf, 1998, S.56-58

Q78 chrismon 4/2008 S.11, Interview mit Friedrich Schweitzer

Q79 Weltall Erde Mensch, Neufassung, Verlag Neues Leben, Berlin 1968

Q79 Weltall Erde Mensch, Neufassung, Verlag Neues Leben, Berlin 1968

Q80 Clausnitzer, Lutz: Was der Himmel über die Erde erzählt, Freie Presse Chemnitz 27.3.09, S. A8

Q81 Drake, Stillman: Galilei, Herder / Spektrum, Freiburg o.J. (nach 1999, ISBN: 3-926642-38-6)

Q82 Carroll, S.B.: Die Darwin-DNA, Wie die neueste Forschung die Evolutionstheorie bestätigt, S.Fischer Verlag, Frankfurt/Main, 2008

 


A2 Danksagung und Impressum

 

Der Dank gilt zunächst dem Sächsischen Bildungsinstitut in Radebeul, Referat 21, für die Unterstützung bei der Einsichtnahme in Schulbücher und Lehrpläne.

Insbesondere gilt mein Dank jedoch dem Beirat für Glaube und Naturwissenschaft der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, der mich zu dieser Arbeit ermutigt und dabei begleitet hat, sowie Kollegen, die bereit waren, das Manuskript zu lesen und die mir hilfreiche Hinweise gegeben haben, insbesondere den Herren Dr. Hans W. Becker, Michael Beleites, Dr. Frank Oehmichen, Dr. Heinrich Keil, Norbert Braumüller, Sven Brumme, Dr. Ulf Liedke und Dr. Bernd Albani.

 

Verfasser:
Joachim Krause
Hauptstr. 46

08393 Schönberg

Tel. 03764-3140
Fax 03764-796761

Mailto: krause.schoenberg@t-online.de

Internet: www.krause-schoenberg.de

 

Joachim Krause hat ein Universitätsstudium als Dipl.-Chem. abgeschlossen und zusätzlich ein Fernstudium in Theologie absolviert.
Er ist seit 1982 beruflich tätig als „Beauftragter für Glaube, Naturwissenschaft und Umwelt“ in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Sachsen.



[1] Um nachvollziehen zu können, welche Assoziationen und Empfindungen ein Außenstehender (Atheist, Naturwissen­schaftler) bei der wörtlichen Lektüre von Bibeltexten hat, sollte man Dawkins Buch doch einmal selbst gelesen haben. Er bringt in seiner schrillen Darstellung manchen von Christen verdrängten Aspekt biblischer Dar­stellungen erneut ins Bewusstsein – und das kann für das eigene Nachdenken nur förderlich sein.

[2] Der Gedanke, dass religiöse Menschen in ihrem Glauben „Hypothesen über Gott“ bilden, ist nicht neu. Der Theo­loge Heinz Zahrnt hat ihn schon vor Jahren zum Titel eines Buches gemacht:

„Soll ich meinen Glauben als Christ auf einen kurzen Satz bringen, so kann ich sagen: Ich habe eine gute Ver­mutung zu Gott. Denke ich aber über diese gute Vermutung nach, so ergeben sich nur Mutmaßungen über Gott. Das geht jedoch nicht allein dem Theologen so, sondern jedem Christen, der über seinen Glauben nachdenkt - und wer täte dies nicht? …

Dem Anliegen des Buches entspricht sein Titel »Mut­maßungen über Gott«. Der Ausdruck geht nicht auf Uwe Johnsons Roman »Mutmaßungen über Jakob« zurück, sondern stammt von Nikolaus von Kues (»coniecturae Dei«). Für den Kusaner ist Gott in seinem Wesen vom Menschen nicht zu erkennen und zu benennen. Weil er un­sichtbar ist, gibt es nur Ansichten von ihm - Projektio­nen, je aus der Perspektive des Betrachters verschieden und entsprechend vielfältig und ungenau. Die Vielfalt und Ungenauigkeit bedeutet jedoch keine Beliebigkeit! Weil das Unendliche im endlichen Erkennen gegenwärtig ist, gibt die Welt dem Menschen Anhaltspunkte für seine Bil­der von Gott an die Hand.
Mutmaßungen über Gott sind demnach keine grundlo­sen Behauptungen, sondern Aussagen mit Wahrheitsge­halt. Bieten sie auch keine endgültige Erkenntnis Gottes, so gewähren sie doch Teilhabe an seiner Wahrheit. Diese ständige Unfertigkeit aller Gotteserkenntnis versetzt den Menschen in Unruhe; sie nötigt ihn zu immer neuen Revi­sionen. Es gibt keine abgeschlossene kartographische Er­fassung des Wesens Gottes - das Gelände muss immer neu erkundet und vermessen werden. …“

(Quelle: Q56 Zahrnt, Heinz: Mutmaßungen über Gott, Piper Verlag München Zürich, Taschenbuch 1997, S.11ff.)

[3] Zum Wort „Hervorbringen“: Im Lateinischen bedeutet „evolvere“: „herauswälzen, herauswickeln, entströmen“ à hier ergibt sich eine interessante sprachliche und inhaltliche Nähe zwischen dem biblischen Text und dem Begriff „Evolution“!

[4] Lehrer und Physiker-Kollege von Hawking

[5] Kardinal Schönborn war nach einem Zeitungsinterview von Medien als „Kreationist“ verstanden worden – er selbst sieht das offenbar anders.

[6] Verweise auf andere Unterrichtsfächer finden sich in den Lehrplänen des Freistaates Sachsen immer wieder (z.B. für das Fach RELIGION auf BIOLOGIE oder PHYSIK – und umgekehrt). Die Frage ist nur, ob ein Biologie-Lehrer sich mit manchen philosophisch-weltanschaulichen Fragestellungen nicht überfordert sieht und der Verweis auf die Behandlung solcher Fragen in einem anderen Fach nicht auch eine Form der „Verdrängung“ ist. Die Betonung müsste wirklich auf „interdisziplinären Projekten“ liegen, also auf von Vertretern verschiedener Unterrichtsfächer gemeinsam konzipierten, vorbereiteten und durchgeführten Veranstaltungen. Für solche Projekte, die den Rahmen des normalen Stundenrasters im schulischen Alltag sprengen, müsste gezielt Raum vorgesehen werden (Block-Wo­chen u.ä.).

[7] Hier muss ergänzt werden: es geht nicht nur um biologische, sondern auch um physikalische und astronomische Fra­gestellungen

[8] Es ist kaum zu erwarten, dass ein Fachlehrer für PHYSIK auch ausreichend „fit“ ist, um befriedigende Auskünfte zu Geschichte und Stand von RELIGION zu geben, genauso wie von seinem Kollegen im Fach RELIGION nicht verlangt werden kann, sich in Detailfragen der Urknall-Hypothese(n) sicher zu bewegen.
Hier müssten Lehrer zum einen zwar zugestehen, dass sie nicht ALLES wissen können (und wissen müssen), dass aber das Gespräch über Fachgrenzen hinweg hier eine wichtige Ergänzung und Bereicherung darstellen kann.

[9] Das hier - aus evangelischer Sicht - skizzierte Bildungsverständnis könnte auch das einer modernen, auf Allgemein­bil­dung und Lebenstauglichkeit orientierten Schule sein. Naturwissenschaftliche Fächer sollten neben der Vermittlung von Fachwissen immer auch erkenntnistheoretische Fragen und ethische Implikationen des Fachgebie­tes aufnehmen und mit behandeln.

[10] Wenn man sich wechselseitig verstehen will, sind solche „Klärungen“ zu missverständlichen, missverstandenen oder mehrfach deutbaren Begriffen eine unverzichtbare Voraussetzung. Das sollte dann aber in allen Fächern ange­gangen werden.

[11] Extreme Positionen, Irrwege und Entgleisungen können erst dann sinnvoll eingeordnet und behandelt werden, wenn man sich zunächst mit den Positionen, die die meisten glaubenden Menschen und Naturwissenschaftler tat­sächlich vertreten, bekannt gemacht und nüchtern und kritisch auseinandergesetzt hat.

[12] Hier wird noch einmal in wünschenswerter Klarheit dargelegt, wo die wirklich dringlichen Prioritäten liegen, Fra­gen, zu denen Naturwissenschaft und Theologie versuchen müssen, gemeinsame Antworten zu finden.

[13] Warum wird hier bei der Entwicklung des Weltbildes der Aspekt „Evolution“ hervorgehoben? Biologie hat doch noch viel mehr weltbildrelevante Aspekte … Oder ist hier schon der Lehrplan auf den (alten, klassischen) Konflikt fixiert?

[14] Hier und an anderen Stellen in den Lehrplänen wird immer wieder auf die Möglichkeiten interdisziplinär Zusammen­arbeit zwischen unterschiedlichen Fächern hingewiesen. Die Chancen sind deutlich, wenn es um Grenz­fragen geht, die die Kompetenz einzelner Unterrichtsfächer übersteigen.

[15] Mit den Namen dieser drei Forscher und ihren Hypothesen zur Entstehung des Lebens argumentieren Biologie-Lehr­bücher seit einigen Jahrzehnten. Inzwischen wird aber manches an den damaligen Konzepten ziemlich kritisch gesehen, andererseits gibt es neue Hypothesen (z.B. Bildung erster Lebensbausteine in der Nähe unterseeischer Vul­kane = „Schwarze Raucher“, durch Katalyse an mineralischen Oberflächen oder durch Import aus dem Kosmos). Auf diese müsste mindestens hingewiesen werden.

[16] Sind hier (nur) ethische oder sind (auch) Erkenntnis-Grenzen gemeint?

[17] Ob man dem Sozialdarwinismus wirklich den Rang einer Evolutionstheorie zuerkennen sollte? Handelt es sich hier­bei nicht vielmehr um einen ideologischen Missbrauch, um eine sehr einseitige Miss-Deutung von biologischen Befunden? Das Einführen von Extrempositionen (Sozialdarwinismus, nazistische Rassentheorie, militanter Ultra­darwinismus, Kreationismus) kann eine sinnvolle Diskussion von wichtigen Fragen unter Umständen erheblich er­schweren.

[18] Vgl. die Ausführungen zu diesem Satz am Ende von Kapitel 3.1

[19] Das Wörtchen „in“ im letzten Satz signalisiert eine Begrenzung. Der Satz insgesamt könnte zum einen verstanden werden als Abwehr von „äußeren“ (vielleicht unwichtigen) Anfragen und Einflüssen; er könnte aber auch mitteilen: Es gibt spannende Fragen, für die die Naturwissenschaft nicht zuständig ist, die innerhalb ihres Zuständigkeitsberei­ches, mit ihren Methoden nicht bearbeitet werden können.

[20] Vorsicht ist hier geboten bei der Verwendung des Begriffs „Tatsache“: das könnte missverstanden werden als „be­wiesene Tatsache“, und die endgültige Beweisbarkeit von Hypothesen ist eben grundsätzlich nicht möglich (vgl. die eben zitierte Quelle B25 S.412).
Hier sei auch verwiesen auf die Mehrdeutigkeit des Begriffes „Evolution“ (ausführlicher dazu siehe Kap. 1.2.2.3).
Zum einen versteht man darunter die Abstammungsforschung. Hier hat man es mit Beobachtungen zu tun. Es liegen (allerdings sehr lückenhaft) handfeste Befunde, mit Date und Fakte vor, und die allgemeinste Aussage würde lauten, dass die Lebewesen auf der Erde nicht immer in Gestalt der Arten existiert haben, die wir heute kennen; Verände­rungen lassen sich feststellen, manche Arten sind im Laufe der Erdgeschichte ausgestorben, andere sind neu aufge­taucht.

Etwas anderes ist das Aufstellen von Theorien, die erklären wollen, welche Ursachen gewirkt haben und heute be­wirken, dass neue Eigenschaften entstehen (z.B. durch Mutationen), wie sie sich durchsetzen und wie es zur Entste­hung neuer Arten kommt. Das ist der sehr viel „theoretischere“ Aspekt von Evolutionsforschung.

[21] Wichtig ist der Hinweis, die unterschiedlichen Argumentations- und Betrachtungsebenen von Naturwissenschaft und Religion zu beachten – und die damit verbundene Warnung vor unzulässigen Grenzüberschreitungen! Solche Grenzüberschreitungen können natürlich nicht „verboten“ werden, aber man betritt damit gefährliches Terrain. Man sollte solche Grenzüberschreitungen zumindest immer besonders kenntlich machen.
Dort aber, wo solche „Domänengrenzen“ nur dazu dienen, die Einzelteile eines gespaltenen Weltbildes zu stabilisie­ren, können (müssen?) sie durchaus auch hinterfragt werden.

[22] „Die überwiegende Mehrzahl der heute lebenden Biologen … ist dieser Meinung“: Das klingt beeindruckend, aber Mehrheiten müssen (auch in der Naturwissenschaft) nicht recht haben – wobei „einer Meinung sein“ und „recht haben“ nicht das gleiche ist.

[23] Das ist eine vernünftige, aber „außerwissenschaftliche“ Annahme. Es gibt keine Sicherheit und Gewähr dafür, dass man damit der Wahrheit wirklich immer näher ist.

[24] Der Wissenschaftstheoretiker Gerhard Vollmer geht hier sogar noch weiter:

Biologie ist, wie alle Wissenschaft, fehlbar, vorläufig, hypothetisch. Allerdings sollte man aus dieser Einsicht nicht den Schluss ziehen, wissenschaftliche Erkenntnis sei, weil nicht sicher, im Grunde nur spekulativ und darum wert­los. Zwischen Sicherheit und bloßer Spekulation liegt ein weites Spektrum …
Selbst ein so gut bewährter, bisher nie widerlegter und in die gesamte Naturwissenschaft eingebundener Satz wie der Energiesatz könnte sich eines Tages doch als falsch erwei­sen. Auch Behauptungen über Unmögliches stehen deshalb grundsätzlich unter dem Vorbehalt möglichen Irrtums. …“

(Q26 Vollmer, G.: Biophilosophie, Reclam, Stuttgart, 1995, S.38,53)

[25] Hier wird sachgerecht unterschieden zwischen „Vorstellungen“ von einer einmaligen Schöpfung (als alltagstaugli­cher Feststellung) und wissenschaftlichen „Theorien“, die den Sachverhalt erklären wollen.
Das geschieht nicht immer, vgl. dazu ausführlich Fußnoten 42,147 bzw. Kapitel 1.2.5 (Kategorienfehler).

[26] Zum Begriff „Zufall“:
Der in der Naturwissenschaft verwendete Begriff „Zufall“ ist nicht klar definiert (definierbar) und kann sehr unter­schiedlich gedeutet werden.
Darwin selbst ging damit relativ „locker“ um:

„Ich habe bis jetzt das Wort „Zufall“ (engl. hier: chance! JK) gebraucht, wenn von Veränderungen die Rede war, die bei organischen Wesen ... auftreten.
Das Wort „Zufall“ ist natürlich keine richtige Bezeichnung, aber sie lässt wenigstens unsere Unkenntnis der Ursa­chen besonderer Veränderungen durchblicken.“
(Q8
Darwin, Ch.: Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl, Reclam Leipzig 1980, S.146)

[27] Kein Mensch kann die Welt frei von „Vorurteilen“ betrachten. Die Prägung (z.B. religiös oder atheistisch), die er durch sein Elternhaus, durch Bildungs- und Erziehungsprozesse erfahren hat, legt ihm eine bestimmte Welt-„An­schauung“ und Deutung der Welt nahe.

[28] Zu diesem Satz von Darwin vgl. auch Fußnote 63

[29] Beim Bewusstmachen von Grenzen der Naturwissen­schaft wird hier interessanterweise auf Poesie verwiesen, eine andere Möglichkeit des Menschen, sich der Wirklichkeit der Welt zu nähern und sich mit ihr auseinanderzusetzen

„An den Grenzen der wissenschaftlichen Wahrheit
Religion, Kunst, Philosophie, Musik, Dichtung, Literatur …
die Künste und die Geisteswissenschaften haben die Grenzen der menschlichen Erfahrung erweitert und uns Ein­sichten und Erklärungen vermittelt, denen unverkennbar Wahrheit anhaftet. Sie verkörpern etwas, wozu die Natur­wissenschaft nicht in der Lage ist – und feiern es sogar -, nämlich das Unerklärliche, das Abseitige, das Nichtein­ordenbare, das Unvorhersehbare, das Sinnlose, das Einmalige, das Einzigartige, das Wunderbare, das Absurde und das Irrationale“.

(Q13 Ferguson, K.: Gott und die Gesetze des Universums, Econ, Düsseldorf 2002, S.120)

[30] Aus der anfänglich vorsichtigen Darstellung („vermutlich“) schlägt der Ton bald in die Gewissheit von Aussage­sätzen um.
Als einziger Weg von unbelebter Materie zu den ersten Lebewesen wird eine ziemlich gerade Linie von den Ursup­penvorstellungen über den MILLER-Versuch bis zu den ersten Bakterien gezogen. Dass hierzu das meiste weiterhin nur im Konjunktiv ausgesagt werden dürfte, ist dem Schüler wohl kaum bewusst.
Kritische Einwände zu dem dargestellten Erklärungs-Modell werden nicht eingebracht. Weitere naturwissenschaftli­che Modellvorstellungen (erste Lebewesen in der Nähe von „Schwarzen Rauchern“, der mögliche Einfluss von Kristalloberflächen, Entstehung von Lebensbausteinen im Kosmos und Transport auf die erde durch Meteoriten) werden überhaupt nicht erwähnt oder tauchen nur als Kuriosum (?) in Randspalten auf (siehe weiter unten in diesem Lehrbuch-Text auf Seite 102 unter „Schon gewusst?“).
Dem Schüler bleibt das Gefühl: So also war es, das ist logisch. Unklarheiten scheint es nicht zu geben. …

[31] Die Versuchsbedingungen zum Experiment von MILLER sind übrigens in den Lehrbüchern B11, B17 und B18 feh­lerhaft wieder­gegeben: In der Original-Veröffentlichung gehört zusätzlich auch Wasserstoffgas H2 zur von MILLER angenommenen Zusammensetzung der Uratmosphäre (als Faksimile abgedruckt in Q9 Deutsches Institut für Fernstudien der Universität Tübingen, Fernstudium Naturwissenschaften, EVOLUTION, Heft 4: Ur­sprung und frühe Evolution des Lebens, Tübingen, 1985, S.141)

[32] Die ältesten „Fossilien“ von Bakterien sind in ihrer Zuordnung noch immer umstritten.

[33] „Schon gewusst?“: Schöpfungsvorstellungen und auch andere als die hier in der Lehrbuchdarstellung favorisierten wissenschaft­lichen Hypothesen gehören wohl ein bisschen ins Kuriositätenkabinett?

[34] Dieses ENTWEDER – ODER, die hier vorgeschlagene Alternative "Schöpfung Gottes" oder "naturwissenschaft­lich erklärbare Entwicklung" ist falsch !

[35] Interessant ist hier der Gebrauch des Wortes „geschaffen“ – mit der Evolution als handelndem Subjekt!

[36] Das ist ein interessanter Hinweis. Heute herrscht überwiegend die Vorstellung, dass die organischen Grund-Bau­steine für Lebensprozesse sich nur in der Frühphase der Erde in einer reduzierenden Atmosphäre bilden und dort be­stehen konnten, dass sie in der „Ursuppe“ von den ersten Lebewesen „aufgefressen“ wurden, und dass seitdem – in einer veränderten Umgebung (oxidierende Atmosphäre) die Neubildung von komplexeren molekularen Bausteinen und die Neu-Entstehung von Leben grundsätzlich nicht (mehr) möglich ist.

[37] Die unter „Probleme“ aufgeführten Argumente, die gegen die beiden Theorien sprechen, sind die gleichen, die im vo­rigen Lehrbuch B29 benannt wurden, allerdings fehlt hier in B30 das dort in B29 gezogene Fazit: „Wahrschein­lich ist, dass keine der Theorien allein richtig ist und dass möglicherweise alle Theorien einen Beitrag zu der end­gültigen Vorstellung über die Entstehung des Lebens liefern werden.“

[38] Der etwas flapsig formulierte Satz sagt nicht viel über den Wahrheitsgehalt der Theorie aus, könnte aber Schüler manipulieren: Ihr werdet doch keine Außenseiter sein wollen …
„Heute“ deutet immerhin noch an, dass es sich um den momentanen Erkenntnisstand handelt.
Was heißt „bei uns“? Das „Schmoren im eigenen Saft“, das Sicher-Fühlen in einer Gruppe, in der alle einer Mei­nung sind, tut naturwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht gut.
Und wenn ,,kaum einer zweifelt“, dann sei daran erinnert, dass Mehrheiten in der Wissenschaft nicht recht haben müssen, gerade vom Zweifel lebt wissenschaftlicher Fortschritt.

[39] Die hier formulierten „Aufgaben“ muten merkwürdig an.
zu 1: „Die Kirche“ des Mittelalters hatte sich zwar die damals allgemein akzeptierte Vorstellung von der Konstanz der Arten zu eigen gemacht und sah sie auch im (wörtlich verstandenen) Text der Bibel bestätigt. Ob und wie sie dabei aber gezielt Einfluss ausüben musste und wollte und ihn auch ausgeübt hat, ist fraglich. Auf jeden Fall ist es ein Missverständnis, wenn durch die Fragestellung nahegelegt werden soll, „die Kirche“ sei auch heute noch dieser Ansicht – das trifft für die großen christlichen Kirchen in Deutschland und für viele Christen nicht zu
zu 2: In Aufgabe 2 soll ein Text gelesen und seine Aussagen der darwinschen Abstammungs­theorie gegenüberge­stellt werden. Im Anschluss an Aufgabe 1 legt sich nahe, hier eine Stimme aus dem kirchlichen Bereich zu vermu­ten. Tatsächlich steht ja darunter in der Quellenangabe etwas von „Bibel“. Dass zusätz­lich auch noch das altertüm­lich anmutende Wort „Traktat“ auftaucht, verstärkt den muffigen Eindruck, bestätigt auch durch eine mehr als 30 Jahre zurückliegende Jahreszahl (1968). Der Begriff „Wachtturm“ dürfte nur Eingeweihten etwas sagen. Daraus wird nämlich deutlich, dass es sich hier um ein Pamphlet der „Zeugen Jehovas“ handelt. Deren hier abgedruckte Aussa­gen könnten nun in diesem Umfeld – fahrlässig oder bewusst – als aktuelle Argumente „der Kirche“ missver­standen werden.

[40] vgl. dazu die Begriffs-Klärungen in Kapitel 2.1.4.1

[41] Die Kapitelüberschrift „Evolutionstheorien“ ist doppelt irreführend. Zum einen wird damit die anschließend behan­delte „Schöpfungsgeschichte“ zu einer nach den Regeln der Naturwissenschaft vergleichbaren Alternativtheo­rie gemacht, und zum zweiten beinhalteten die ursprünglichen Schöpfungsvorstellungen vergangener Generationen ja gerade die Vorstellung, dass sich in der Natur nichts verändert und entwickelt (hat). vgl. dazu die Begriffs-Klä­rungen in Kapitel 2.1.4.1

[42] Dass hier - wie in den beiden folgenden Büchern – „Schöpfungsgeschichten“ quasi gleichberechtigt auf einer Ebene wie etwa die Darwinsche Theorie unter der Überschrift „Evolutionstheorien“ abgehandelt werden, beruht vielleicht auf einem gravierenden Missverständnis, es ist in jedem Fall ein gewichtiger Kategorienfehler - vgl. dazu Kapitel 1.2.5.

[43] Die Abfolge, in der das Schöpfungsgeschehen in der Bibel geschildert wird, erinnert in groben Zügen durchaus an die Geschichte der Welt, wie sie uns auch die moderne Naturwissenschaft erzählt (Licht, Himmel und Erde, Wasser, Pflanzen, Tiere, Menschen).

[44] Der amerikanische Kreationismus wird hier dadurch charakterisiert, dass er „auf der Schöpfungs­geschichte der Bibel basiert“. Genauer müsste aber mitgeteilt werden: Er basiert auf einem bestimmten, am Wortlaut orientierten Verständnis der Bibel (im engeren Sinne bezogen auf bestimmte Schöpfungsvorstellungen), das aber nicht etwa das einzig mögli­che Bibelverständnis ist – vgl. dazu die Begriffs-Klärungen in Kapitel 2.1.4.1

[45] Wenn in der Schüleraufgabe die „Evolutionstheorie mit den Schöpfungsmythen“ (wie sich nach den vorstehenden Sätzen nahe legt, gar noch im Verständnis der „Kreationisten“!) verglichen werden soll – und dann noch allein auf der Ebene naturwissenschaftlich verstandener Befunde und Aussagen - dann sind Verwirrungen und Missverständ­nisse fast programmiert.

[46] Auch hier werden wieder Schöpfungsvorstellungen irrtümlich auf einer Ebene mit naturwissenschaftlichen Evolu­tionstheorien verhandelt! - vgl. dazu die Begriffs-Klärungen in Kapitel 2.1.4.1

[47] vgl. dazu die Begriffs-Klärungen in Kapitel 2.1.4.1

[48] Die Aufgabenstellung kann sich nur auf die davor stehenden Darlegungen (gleiches Lehrbuch S.381f.,386f.) be­ziehen. Damit wird der Kreationismus als ernst zu nehmende naturwissenschaftliche Alternativtheorie behandelt! Oder soll hier noch einmal allgemein deutlich gemacht (am Beispiel des Kreationismus „vorgeführt“) werden, dass die Schöpfungsvorstellungen - alle, auch ganz andere! – eben doch nicht sinnvoll, realistisch und damit ernst zu nehmen sind?

[49] Hier müsste sachgerechter gesagt werden, dass die Vorstellung von der Konstanz der Arten nicht aus dem bibli­schen Schöpfungsbericht abgeleitet wurde, sondern mit dem wörtlichen Verständnis der Darstel­lungen dort überein­stimmte, genauso wie sie sich im Einklang befand mit der alltäglichen Erfahrung der Menschen; auch den (meisten Natur-)Philosophen galt diese Vorstellung als eine unwider­sprochene (weil als selbstverständlich angenommene) Tatsache.

[50] Hier begegnen zwei Missverständnisse
a) Schöpfungsglaube sei gleichzusetzen mit der Ansicht, die Welt und alle Lebewesen seien in einem einmaligen Schöpfungsakt ins Dasein gebracht worden und die damals geschaffe­nen Arten hätten sich seitdem nicht verändert. In Kapitel.2.3.2 wurde deutlich gemacht, dass man das wohl aus dem Wortlaut des Bibeltextes so herauslesen kann, dass aber die großen Kirchen und viele Christen heute die Schöpfungsdarstellungen nicht als historischen und im sachlichen Detail zutreffenden Dokumentarbericht verstehen, sondern in ihnen Begründung und Orientierung und Maßstäbe für ihre Existenz hier und heute suchen.

b) Der Schöpfungsglaube – konkreter: das wörtliche Verständnis des Bibeltextes in 1.Buch Mose 1 - wird zu einer naturwissenschaftlich zu lesenden Theorie gemacht, die mit anderen Theorien der Biologie verglichen werden und gegen sie abgewogen werden kann. Dabei ist auch das Ergebnis eigentlich schon vorgegeben mit der Formulierung der Frage: „Welche der genannten Theorien ist heute allgemein anerkannt?“

[51] Auch in diesem Lehrbuch wird – fahrlässig oder bewusst? - die Schöpfungsvorstellung zu einer Evolutionstheorie gemacht! - vgl. dazu die Begriffs-Klärungen in Kapitel 2.1.4.1

[52] Schöpfungsmythen in allen frühen Kulturen? Es gibt wichtige Weltreligionen, z.B. den Buddhismus, die keinen Gott kennen und auch nicht von einer nur einmaligen Schöpfung erzählen. Der Lauf der Welt ist hier keine ge­schichtliche Linie mit Entwicklung (wie etwa im jüdisch-christlich-abendländischen Denken), sondern vollzieht sich in ewigen, immer gleichen Kreisläufen. Und oft geht es in Schöpfungserzählungen allein um die Herkunft des Men­schen, nicht um die von Tieren oder gar Pflanzen.

[53] Die hier postulierte Übernahme von Ideen des Aristoteles in die Heiligen Schriften der „Weltreligionen“ (Juden­tum, Christentum und Islam sind nur ein paar Zweige in der Vielfalt der Weltreligionen!) ist sehr frag­lich. Der Text des ersten Kapitels der Bibel ist mit höchster Wahrscheinlichkeit schon lange vor der Lebenszeit des Aristoteles er­zählt, aufgeschrieben und auch später unbeeinflusst von seinen Ideen überliefert wor­den. Hier trafen nur zwei ver­gleichbare Vorstellungen zusammen.

[54] „Kreationismus“ im engeren Sinne ist ein Phänomen vor allem in christlichen protestantischen Kirchen (weniger reflektiert gibt es ihn aber auch im Judentum und im Islam).
Die nachstehend benannte Vorstellung von der Konstanz der Arten – unter Berufung auf den Wortlaut des ersten Kapitels der Bibel – war nie Inhalt einer fest gefügten christlichen „Lehre“ und gehörte auch nie zu einem christli­chen Glaubensbekenntnis!
Übrigens: Glaubensbekenntnisse sind wichtige Orientierungshilfen, um gemeinsame Grundüberzeugungen inner­halb einer Gemeinschaft im Bewusstsein zu halten. Aber auch, wenn jemand mit einzelnen Bekenntnisformulierun­gen oder dogmatischen Aussagen seiner Kirche nicht übereinstimmt, wird er nicht automatisch ausgeschlossen. Dogmen und Bekenntnisse sind in einer bestimmten historischen Situation entstanden, sie sind von Menschen for­muliert worden und könn(t)en grundsätzlich auch revidiert und neuen Einsichten angepasst werden. Glaubensaussa­gen sind nach Heinz Zahrnt „Mutmaßungen über Gott“ – vgl Fußnote 2 vorn.

[55] Es handelte sich wohl mehr um eine „Vorstellung“ als um eine „Theorie“ im heutigen Wissenschaftsverständnis, aber vielleicht mag man Aristoteles mit seiner Naturphilosophie auch als den ersten Vertreter einer solchen Theorie bezeichnen.

[56] Es müsste wohl richtiger gesagt werden, dass Kirche und die Autoritäten der Natur-Philosophie (als Vertreter der aufkommenden Natur-Wissenschaft) diese Ansicht gemeinsam vertraten, weil sich das Alltagserleben, die ehrwür­digen Ansichten des Aristoteles und die (wörtlich verstandene) biblische Beschreibung gegenseitig zu stützen schie­nen. Diese Übereinstimmungen machten es möglich, dass im Einflussbereich der christlichen Kirchen solche Vor­stellungen allgemein akzeptiert waren.

[57] Der Kreationismus taucht etwas unvermittelt gleich am Anfang dieses Biologie-Lehrbuches auf.
Das Lehrbuch beschränkt sich auf die Wiedergabe einer „echten“ Quelle (Selbstdarstellung im „Originalton“). Da aber im Buch keine Angaben gemacht werden, wo der Kreationismus seine (historischen und theologischen) Wur­zeln hat, und eine Zuordnung zum Schöpfungsglauben bestenfalls aus den Ausführungen zum Altertum (in diesem Lehrbuch im Zitat von S.8) erschlossen werden könnte, steht der Schüler wohl vor einer schwierigen Aufgabe. - vgl. dazu die Begriffs-Klärungen in Kapitel 2.1.4.1

[58] Erwähnenswert ist auch, dass in diesem Lehrbuch im Startkapitel, gewissermaßen als „Prolog“, die ersten beiden Kapitel der Bibel fast vollständig abgedruckt werden. Ob aber – trotz der im Folgenden in diesem Lehrbuch unter Punkt 2.2 gegebenen „Einführung“ – Schüler und Biologielehrer ohne zusätzlichen sach­kundigen (das würde hier heißen: religionspädagogischen) Beistand und notwendige weitere Erläuterungen damit etwas anfangen können?

[59] Im hier folgenden Text wird immerhin versucht, die historische Entstehung der „Schöpfungsgeschichten“ (die Plural­form wäre sachgerecht; das ergibt sich eigentlich auch nach den im weiteren Text gegebenen Erläuterungen) in der Bibel nachzuzeichnen und auch ihre Ausdeutung und Wirkung in der Geschichte der christ­lichen Kirche zu skizzieren. Ob dabei allerdings alle mitgeteilten kirchengeschichtlichen Informationen für das Fach Biologie und das hier begonnene Schwerpunkt-Thema „Evolution“ relevant sind? Und umgekehrt: Ob die knappen religionspädago­gischen Ausführungen ausreichen, um die biblischen Texte in Herkunft und Aussage auch für religiös nicht vorge­bildete Schüler und Lehrer ausreichend transparent zu machen?

[60] Wichtig ist der Hinweis, dass die Klöster – Einrichtungen der (mittelalterlichen) Kir­che! – über viele Jahrhunderte hinweg wichtige Orte wissenschaftlicher Arbeit waren. Bedeutsame Entdeckungen in den Naturwissenschaften wur­den von Christen gemacht: Kopernikus stand als Domherr im Dienst der Kirche, Galilei schrieb, dass er Gott für seine Entdeckungen dankbar war, für Kepler war Wissenschaft nur eine andere Form von Gottesdienst, Newton fand in der Ordnung des Weltalls den Plan Got­tes, der Mönch Gregor Mendel entdeckte die Regeln der Vererbung, der katholische Priester Lamaitre be­gründete die Theorie vom kosmischen Urknall … Diese „wissenschaftsfreundliche“ Seite der biblisch-kirchlichen Tradition wird manchmal unter­schätzt oder schlicht „vergessen“.

[61] Das am Ende des Abschnitts zitierte „Dogma“ stammt übrigens nicht – wie man aus dem Kon­text schließen könnte - aus einem kirchlichen „Bekenntnis“, sondern ist mindestens gleich­gewichtig ARISTOTELES (vgl. B28 S.442) oder dem Systematiker Carl von LINNÉ (vgl. B29 S.386) zuzuordnen. - vgl. dazu die Begriffs-Klärungen in Kapitel 2.1.4.1

[62] Höchst interessant ist der Hinweis an dieser Stelle, dass – angeregt von naturwissenschaftlichen Entdeckungen und Erkenntnissen – das Nachdenken des Menschen, der Naturwissenschaft betreibt, hinführen kann zu Fragen, die für die menschliche Existenz wichtig sind, die aber die Naturwissenschaften im Rahmen ihres Fragehorizonts (nicht stellen) und auch nicht beantworten kann. Wenn es um den Sinn und das Ziel des menschlichen Daseins geht, um die Deutung von „Zufall“ – dann werden in diesem Buch die Grenzen der Naturwissenschaft akzeptiert. Antworten auf solche Fragen „sind dem persönlichen Glauben überlassen“! Die philosophische und religiöse Deutung der Wirklichkeit hat damit eine wichtige Funktion neben der naturwissenschaftlichen Erkenntnis oder über sie hinaus.

[63] Zum hier abgedruckten Zitat von Darwin:
Ausgerechnet Darwin kann vom „Schöpfer“ reden ?! Es handelt sich hier um den letzten Satz in Darwins Haupt­werk „Die Entstehung der Arten …“ Das Buch ist ab 1859 in insgesamt 6 Auflagen zu seinen Lebzeiten erschienen. Es liegt nicht nur nahe anzunehmen, dass ein letzter Satz in der Regel vom Autor auch gewichtig gemeint ist. Dar­win hat den Satz in der vorliegenden Fassung erst in der zweiten Auflage seines Buches um den Zusatz „vom Schöpfer“ ergänzt (und den Zusatz in den restlichen Auflagen beibehalten). Damit hat der Satz so etwas wie ein handelndes Subjekt bekommen. Aber diese Einfügung hat ganz sicher nicht nur grammatische Gründe. Schon einige Zeilen zuvor bezieht sich Darwin auf den „Creator“, als er von den „Gesetzen“ schreibt, „die der Materie vom Schöpfer eingepägt wurden“.
Es ist vielleicht auch wichtig darauf hinzuweisen, dass dieser letzte Satz aus Darwins Werk auch anders übersetzt werden kann, als hier wiedergegeben. Im Original steht da nämlich nicht so eindeutig, dass die Fülle und Vielfalt der Lebewesen „sich entwickelt hat“ (zu deuten etwa im Sinne von „Selbstorganisation“), sondern man kann das auch so verstehen, dass sie „entwickelt wurden“ – was nach einem Akteur fragen lässt.

In der englischen Original-Ausgabe (Charles Darwin: The origin of species …, Collins Clear Type Press, London & Glasgow, o.J.; S.507) steht:
„There is grandeur in this view of life, with its several powers, having been originally breathed by the Creator into a few forms or into one; and that, whilst this planet has gone cycling on according to the fixed law of gravity, from so simple a beginning endless forms most beautiful and most wonderful have been, an are being, evolved.“
Eine ebenfalls mögliche Übersetzung könnte lauten (J. Krause):
Es ist wahrlich etwas Erhabenes um die Auffas­sung, dass das Leben mit seinen verschiedenen Fähigkeiten vom Schöpfer ursprünglich nur wenigen oder gar nur einer einzigen Form ein­gehaucht wurde, und dass, während dieser Planet nach dem ehernen Gravitations­gesetz seine Kreise zieht, aus ei­nem so schlichten Anfang unzählige der schönsten und wunderbarsten Formen entwickelt wurden und immer weiter entwickelt werden.

[64] Äußerungen von Darwin selbst legen eine andere Deutung nahe (siehe vorstehende Fußnote 63). Die Intention hat er wohl, innnerhalb seiner wissenschaftlichen Beweisführung spielt sie aber keine Rolle.

[65] Der Konflikt zwischen einer Evolution, für die aus naturwissenschaftlicher Sicht kein Ziel angegeben werden kann, und dem religiösen Verständnis, dass alles Geschehen in der Welt gewollt, gelenkt und auf ein Ziel hin orien­tiert ist (Gott, Vollendung der Welt), bleibt damit letztlich ungelöst! Die Argumentation mit zwei unterschiedlichen Ebenen führt hier nur zu einer Scheinlösung, denn die Wirklichkeit des Glaubens kann nur die gleiche Welt meinen wie die Naturwissenschaft.

[66] Der viel umfassendere Begriff „Schöpfung“ wird hier verengt auf das Verständnis als ein einmaliger Akt des Hervor­bringens von Kosmos, Erde und Leben, der in der Vergangenheit stattgefunden hat und dessen Ergebnis seit­dem unverändert und unveränderlich ist (Konstanz der Arten) - vgl. dazu die Begriffs-Klärungen in Kapitel 2.1.4.1

[67] Das ODER baut hier einen Scheinkonflikt auf: Viele Christen können heute von einem Schöpfer sprechen, der in einem immer weiter andauernden Schöpfungsprozess das Bild der Welt durch immer neue Farben bereichert.

[68] Diese Aussage gilt nur für den Kulturkreis des jüdisch-christlich geprägten Abendlandes. Und neben dem Wort­laut der Bibel deckte sich diese Annahme auch mit der Alltagserfahrung, war also selbstverständlich, und sie war in Übereinstimmung mit den naturphilosophischen Vorstellungen der Zeit.

[69] Dass es sich bei „Schöpfung“ um ein in der Vergangenheit abgeschlossenes Geschehen handelt, ist Inhalt man­cher Schöpfungslehren. Aber nicht alle Schöpfungsvorstellungen sind in dieser Weise festgelegt. - vgl. dazu die Begriffs-Klärungen in Kapitel 2.1.4.1

[70] Interessant ist die Wortwahl in der Überschrift. Sie nimmt entweder die ersten Worte der Bibel auf (dort heißt es: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“) oder die ersten Worte aus dem Johan­nes-Evangelium im Neuen Testa­ment (dort steht: „Am Anfang war das Wort“- und so wird dann auch vollständig zitiert in der gleichen Quelle unten auf S.346).

[71] In diesem Text wird wohl das einzige Mal – in allen betrachteten Lehrbüchern! – angesprochen, dass es als Gegen­satz und Gegenüber zu „fest gefügten religiösen Überzeugungen“ (z.B. kreationistischen) auch „intolerant atheistische Argumentation“ gibt.
Ein aktuelles Beispiel dafür ist der britische Evolutionsbiologe Richard Dawkins, der einen militanten Feldzug ge­gen den „Gottes-Wahn“ führt. Hier ein früheres Zitat von ihm:

Evolutionsforscher Richard Dawkins (in einer Buchrezension): „Sicher ist jemand, der bei einer Unterhaltung be­hauptet, nicht an die Evolution zu glauben, ungebildet, dumm oder verrückt.“
(Q62 Spektrum der Wissenschaft Heft 9/2007 S.102ff)

Entlarvend ist seine Wortwahl: An die Evolution sollte ein Naturwissenschaftler eben gerade nicht (dogmatisch, ohne Korrekturmöglichkeit) „glauben“!

[72] Diese „wissenschafts-gläubige“, mit Allein-Erklärungs-Anspruch auftretende, darauf beharrende Weltsicht, allein „recht zu haben“, erfüllt alle Kriterien einer (schlechten) Ideologie, sie ist auf dem Stand der Wissenschaftstheorie des Anfang des 19. Jahrhunderts stecken geblieben, wird dem erreichten Stand der Diskussion nicht gerecht, und zerschlägt viel Porzellan.
Ihr Glaubenssatz „Es gibt keinen Gott!“ ist genauso wenig beweisbar oder widerlegbar wie der Satz „Es gibt Gott!“. Manche Anhänger dieses „Aufklärungs-Fundamentalismus“ (Der Spiegel 22/07 S.56ff) haben von moderner Wis­senschaftstheorie überhaupt nichts verstanden!

Es kann nicht verwundern, dass dem ideologischen Missbrauch des christlichen Schöpfungsglaubens, wie er im Kreationismus und in der Lehre vom "Intelligent Design" vorliegt, spiegelbildlich ein Missbrauch entspricht, der meint, aus den Einsichten der modernen Naturwissenschaften zwingend eine Leugnung Gottes und die Verpflichtung auf einen kämpferischen Atheismus ableiten zu können. Beispielhaft ist dafür der Evolutionsbiologe Richard Daw­kins, der sich mit seinem Buch "Der Gotteswahn" ("The God Delusion") an die Spitze dieser Bewegung gesetzt hat.(23) Dawkins restauriert ein Weltbild, nach welchem Religion einem vorwissenschaftlichen Zeitalter angehört und mit dem Siegeszug des wissenschaftlichen Bewusstseins zum Verschwinden kommt. Weil sich dieses Verschwin­den nicht von selbst einstellt, muss es durch einen weltanschaulichen Kampf vorangetrieben werden, für den man sich der Unterstützung durch vermeintlich wissenschaftliches Handeln zu versichern versucht. Das Gottesverständ­nis soll auf dem Weg destruiert werden, dass danach gefragt wird, ob man auf die Gotteshypothese angewiesen sei, um die Entstehung der Welt und des Lebens zu erklären. Die Auseinandersetzung mit dem Gottesbegriff wird also ganz und gar auf dem Missverständnis eines "Lückenbüßergottes" ("God of the gaps") aufgebaut.(24) Dafür sind Kreationismus und "Intelligent Design" willkommene Gegner; Richard Dawkins überhöht deren Vertreter deshalb zu den maßgeblichen Repräsentanten des Christentums, ja der Religion überhaupt. Er verbindet – ebenso wie Hit­chens – das zugleich mit einer maßlosen Polemik, die religiöse Erziehung mit Kindesmisshandlung gleichsetzt und das alttestamentliche Gottesbild in einer Weise beschimpft, die historischen Sinn und moralische Proportion in glei­cher Weise vermissen lässt.“
(Q19 Huber, Wolfgang (Bischof und Ratsvorsitzender der Ev. Kirche in Deutschland), Bericht des Rates der EKD - Teil A, (6. Tagung der 10. Synode der EKD, Dresden, 04. - 07. November 2007)

[73] Unbestritten? – Man sollte vielleicht vorsichtiger sagen, dass von den großen Kirchen die Evolutionstheorie akzep­tiert wird – als derzeit überzeugendster naturwissenschaftlicher Erklärungsversuch. Und das geschieht mit deutlicher Kritik an naturwissenschaftlichen All-Erklärungsansprüchen oder der Ableitung weltanschaulicher Deu­tungen aus dieser Theorie … Dabei darf nicht vergessen werden, dass auch heute viele Christen den Wortlaut des biblischen Textes als historischen und naturwissenschaftlichen Tatsachenbericht verstehen – und das sind nicht nur „Kreationisten“.

[74] Der Erwerb naturwissenschaftlicher Erkenntnisse soll die Schüler dazu befähigen, ein eigenes Weltbild zu entwi­ckeln. Aber von welchen anderen Weltbildern soll es sich absetzen? Geht es darum, zu akzeptieren, dass letztlich je­der Mensch tatsächlich sein eigenes Weltbild hat, geprägt durch seine persönliche Lebensgeschichte, seine Bega­bungen, Erfahrungen, Bildungsangebote? Albert Einstein hat in dieser Einsicht und in aller Bescheidenheit ein Buch genannt: „Mein Weltbild“. Oder ist unter dem Ziel des eigenen Weltbildes doch der Versuch zu sehen, Schüler zu dem einen, richtigen, naturwissenschaftlich begründeten Weltbild zu führen?

[75] Da der „Mensch“ kein vorrangiger Untersuchungsgegenstand der Physik ist, mutet die Trias „Kosmos, Erde und Mensch“ merkwürdig an und weckt (beabsichtigte?) Assoziationen zum DDR-Jugendweihe-Buch „Weltall Erde Mensch“.

[76] So viel Zeit, wie hier dem Thema „Utopische Physik“ eingeräumt wird (das zu Recht eine Motivation der Schüler aufnimmt) sollte auch vorgesehen und vorgeschrieben werden für die gezielte Behandlung grundsätzliche Fragen der Erkenntnistheorie.

[77] Der Erwerb von naturwissenschaftlicher Fachkompetenz ist nicht automatisch verbunden mit einer höheren Kompe­tenz z.B. zur ethischen Bewertung des Einsatzes von Gentechnik oder der Nutzung der Atomenergie:

Hans-Peter DÜRR schreibt dazu: „Wenn ein Kernphysiker oder Elementarteilchenphysiker zum Thema „friedliche Nutzung der Kernenergie“ seine Meinung äußert, dann misst die breite Öffent­lichkeit dieser Meinung automatisch ein besonderes Gewicht zu, da ja hier, wie sie meint, ein Fachmann seine Meinung bekundet. Dies ist strenggenom­men falsch! Richtig ist, dass dieser Phy­siker aufgrund seiner speziellen Erfahrung bestimmte physikalische Fakten und Zusammenhänge umfassender, sicherer und tiefgründiger verstehen und würdigen kann. Solche Spezialkennt­nisse befähigen ihn aber noch nicht dazu, in anderen für das Kernenergieproblem wesentlichen Fragen, wie etwa wirtschaftlicher, soziologischer oder ökologischer Art, ein ähnlich sicheres Urteil zu erlan­gen ... Fakten und Spe­zialkenntnisse sind wertfrei, sie können Verknüpfungen aufzeigen, verwi­ckelte Zusammenhange übersichtlich ma­chen und damit eine angemessene Bewertung erheblich erleichtern, sie aber nie ersetzen.“
(P14
SCHROEDEL; Dorn / Bader: Physik Sek II; Schroedel, Hannover, 2000)

[78] Interessant wäre es zu wissen, was hier unter „wissenschaftlich“ (nur natur-wissenschaftlich?) und „pseudowissen­schaftlich“ verstanden wird und konkret thematisiert werden soll.

[79] Vgl. Fußnote 75

[80] Wer ist hier das „Wir“, das hinter „unserer Weltsicht“ steckt – der ewig suchende Mensch ganz allgemein, der mo­derne Mensch, der aufgeklärte Naturwissenschaftler? Und gibt es überhaupt die eine Weltsicht, die alle Men­schen gemeinsam teilen „unsere“? Ist das nicht immer das Missverständnis, dass alle (aufgeklärten, vernünftigen) Menschen die Weltsicht haben müssen, die ich für selbstverständlich und richtig halte?

[81] Ob naturwissenschaftliche Einsichten wirklich die Grundlage bilden können, um zu richtigen Einsichten über die Möglichkeiten und Grenzen menschlicher (Selbst-)Erkenntnis zu finden? Stellen nicht gerade auch die begrenzten menschlichen Fähigkeiten eine (grundsätzliche) Begrenzung von naturwissenschaftlicher Erkenntnis dar?

[82] Geht es hier um grundsätzliche Grenzen menschlicher Erkenntnis, oder geht es um Grenzen bei dem Bemühen, Na­turvorgänge anschaulich, für die menschliche Erfahrung vorstellbar zu machen?

[83] Vgl. Fußnote 81

[84] Ist hier an DAS Weltbild gedacht in dem Sinne, dass es nur EINES (das richtige) gibt?
An anderer Stelle in den Lehrplänen ist die Rede von EINEM Weltbild (das immerhin neben oder in Konkurrenz zu anderen gedacht werden kann?) oder einem EIGENEN Weltbild (jeder Mensch trägt wohl wirklich sein eigenes in­dividuelles Weltbild in sich).

[85] Die Formulierung „naturwissenschaftlich fundiertes Weltverständnis“ erinnert vielleicht empfindliche Leser unange­nehm an das marxistische Erziehungsmodell, das Schüler hinführen sollte zu einer „wissenschaftlich begrün­deten Weltanschauung“!

[86] Mit den hier benannten Stichworten (kosmologisches Prinzip, Homogenität und Isotropie, Allgemeingültigkeit der Naturgesetze) werden einige Axiome, „Glaubenssätze“ der Naturwissenschaft thematisiert: Naturwissenschaft kann nur sinnvoll arbeiten, wenn sie von bestimmten grundlegenden Annahmen ausgeht, die sie aber nicht beweisen kann. Das ist eine sehr grundsätzliche Anfrage an die Sicherheit von Aussagen, die mit der naturwissenschaftlichen Methode gewonnen werden können.

[87] Es ist schon erstaunlich und kann nachdenklich machen, wie (selbst-)kritisch ein Insider der Forschergemeinde die bestehenden Unsicherheiten bei der „Bestandsaufnahme“ des Universums und den spekulativen Charakter der Theorien zum Anfang des Universums spiegelt.

[88] Der Satz sei noch einmal unterstrichen: Die vom Naturwissenschaftler erkannten und beschriebenen physikali­schen Gesetze (Naturgesetze allgemein) gelten immer nur unter bestimmten Bedingungen. Die – oft vom Experi­mentator vorgenommenen - Beschränkungen in der Fragestellung müss(t)en konsequenterweise bei der Mitteilung von neu gewonnenen Aussagen über die Natur immer auch mit angegeben werden.
Eine nicht nur für Philosophen spannende grundsätzliche Frage geht noch darüber hinaus: Existieren Naturgesetze immer und ewig, schon seit dem Urknall – obwohl es in der Frühphase die meisten chemischen Elemente, Sterne, Planeten, organische Moleküle, Lebewesen usw. noch gar nicht gab - oder treten sie erst dann in die Welt ein, wenn es in ihr auch einen Gegenstand bzw. einen Zustand gibt, an dem sie wirken können?

[89] Mit diesem „Vorspruch“ sollte eigentlich jede Darstellung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse beginnen, viel­leicht noch bescheidener: … gehe ICH davon aus …

[90] Fast wortgleich sind die beiden letzten zitierten Absätze auch in einem Astronomie-Lehrbuch aus dem gleichen Ver­lag nachzulesen (P23 S.154f.).

[91] Diese Sichtweise, die einen Kontrast und Widerspruch zwischen „altem“ (falschem) und „neuem“ (richtigen) Den­ken nahe legt, muss ergänzt werden um den Hinweis, dass schon in alten Texten der Bibel Forscherdrang und Verstehen von Naturzusammenhängen durchaus positiv gesehen wurden, und sie wurden in eins gedacht mit dem Glauben an einen (Schöpfer-)Gott, und dass die notwendige Trennung der Ebenen – der der Beobachtung und des Experiments von der ganz anderen der Deutung und Bewertung - schon im Mittelalter deutlich bewusst war:

„Mir aber gewähre Gott, nach meiner Einsicht zu sprechen
und zu denken, wie die empfangenen Gaben es wert sind ........
Gott verlieh mir untrügliche Kenntnis der Dinge,
sodass ich den Aufbau der Welt und das Wirken der Elemente verstehe,
Anfang und Ende und Mitte der Zeiten,
die Abfolge der Sonnenwenden und den Wandel der Jahreszeiten,
den Kreislauf der Jahre und die Stellung der Sterne,
die Natur der Tiere und die Wild­heit der Raubtiere,
die Gewalt der Geister und die Gedanken der Menschen,
die Ver­schiedenheit der Pflanzen und die Kräfte der Wurzeln …...
Denn von der Größe und Schönheit der Geschöpfe lässt sich auf ihren Schöpfer schlie­ßen“
(Die Bibel, Buch der Weisheit 7,15.17-20; 13,5)

Im Mittelteil ist hier der Stolz des Autors deutlich zu spüren auf die großartigen Entdeckungen, die ihm in der Be­schäftigung mit der Natur möglich geworden sind (hier spricht der Natur-„Forscher“). Gerahmt werden diese Aus­sagen aber zum einen im „Vorspruch“ durch einen Dank an Gott, der ihm die Begabungen seines Verstandes ge­schenkt hat, verbunden mit der Aufgabe und dem Auftrag, sie auch zu nutzen, und zum zweiten macht der Autor im „Nachsatz“ deutlich, dass die Beschäftigung mit Zusammenhängen in der Natur ihn nicht etwa von Gott weg, son­dern näher zu ihm hingeführt hat.

Die „Royal Society of London“, eine der ältesten naturwissenschaftlichen Akademien (gegründet 1660), hat sich den Wahlspruch gegeben: „nullius in verba“. Das wäre etwa zu übersetzen mit: „(sich) nach niemandes Worten (richten)“ oder „(auf) niemandes Worte schwören“ (nullius in verba iurare). Dahinter steht zum einen der stolze An­spruch, sich von jetzt an nicht mehr nur damit zu begnügen, nur Autoritäten zu zitieren (etwa den verehrten Philoso­phen Aristoteles oder die Bibel), sondern durch eigene Beobachtung und Erkenntnis Einblick in Zusammenhänge zu gewinnen.
Damit legt die Naturwissenschaft aber gleichzeitig auch die Grenzen ihrer Zuständigkeit fest: Philosophie ist ihre Sache nicht! Und die Naturwissenschaft vertraut nun fortan ausschließlich auf die Mittel und Möglichkeiten des menschlichen Verstandes und auf die Untersuchung der fassbaren Natur.

[92] Deterministische Überzeugung einerseits und Bemühungen und Versuche zur möglichst genauen Vorhersage von Verläufen andererseits sind nicht das Gleiche!

[93] Die hier angestellten Überlegungen gelten also nicht nur in der theoretischen abstrakten „Welt“ mathematischer Gleichungen, sondern sind auch für die Wirklichkeit, die reale Erlebens-Welt des Menschen bedeutsam!

[94] Das ist eine griffige Definition, die den Ansatz und die Grenzen der Naturwissenschaft Physik klar umschreibt.

[95] Das „Prinzip größter Einfachheit“ (bei zwei gleichwertigen Hypothesen entscheidet man sich für die, welche weni­ger Zusatzannahmen macht) hat sich zwar bewährt, lässt sich aber nicht logisch begründen oder beweisen – es handelt sich hierbei um einen weiteren der „Glaubens-Sätze“ (nur durch Erfahrung belegten Sätze), auf denen die Naturwissenschaft aufbaut.

[96] Das in sich geschlossene, mechanistische, deterministische Verständnis der klassischen Physik prägt wohl auch heute noch das Denken manches Naturwissenschaftlers, (ver-)führt ihn zur Illusion einer vollständig erkennbaren Welt und zu deterministischen Weltdeutungen.

[97] Laplace hat seinen „Dämon“ deutlich anders beschrieben, als in dem vorstehend abgedruckten „Zitat“ zum Aus­druck kommt (ähnlich „locker“ wird Laplace auch in P14 S.434 wiedergegeben). Richtig lautet der Satz in der Übersetzung etwa so:

„Wir müssen also den gegenwärtigen Zustand des Universums als Folge eines früheren Zustandes ansehen und als Ursache des Zustandes, der danach kommt.
Ein Geist (eine Intelligenz), der für einen gegebenen Augenblick alle Kräfte kennte, wel­che die Natur beleben, und die gegenseitige Lage aller Wesenheiten, aus denen die Welt besteht, müsste, wenn er zudem umfassend genug wäre, um alle diese Angaben der (mathematischen) Analyse zu unterwerfen, in derselben Formel die Bewegungen der größten Himmelskörper und die der leichtesten Atome überblicken. Nichts wäre ungewiss für ihn, und Zukunft wie Vergangenheit wären seinen Augen gegenwärtig.“
(Q28 Vollmer, G., UNIVERSITAS 8/1991, S.768f.; so auch WIKIPEDIA)

[98] Physik beschreibt die ihr zugängliche Wirklichkeit, erhebt aber nicht den Anspruch, zu erkennen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, untersucht nicht das Wesen(tliche) …

[99] Wissenschaft wird von Menschen – mit all ihren nicht-rationalen Unzulänglichkeiten – betrieben, und sie unter­liegt dem – wissenschaftlichen - Zeitgeist.

[100] Zur Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation:

(zu Heisenberg):
die sogenannte Unbestimmtheitsrelation, die unter dem (weniger genauen) Namen Unschärferelation in die Alltags­sprache eingegangen ist …
Heisenbergs Relation erfasst die Tatsache, dass sich nicht alle Eigenschaften eines Objekts von atomaren Ausmaßen mit beliebiger Genauigkeit in einem Experiment messen lassen. Man kann z.B. nicht den Ort und die Geschwindig­keit eines Elektrons zugleich ermitteln, wie Heisenberg zum ersten Mal erkannte …
Es geht weniger um Ungenauigkeit und mehr um Unbestimmtheit. Es geht in Wahrheit nicht einfach darum, dass sich zwei Eigenschaften eines Elektrons (oder anderer Gegebenheiten der atomaren Sphäre) nicht gleichzeitig mes­sen lassen; schließlich nimmt man in diesem Fall an, dass die anvisierten Eigenschaften einen aktuellen Wert unab­hängig davon haben, ob sie jemand messen will. In Wahrheit ist die Sache viel schlimmer, wie Heisenberg erkannte. Tatsächlich besitzt ein Elektron gar keine bestimmte Eigenschaft, bis jemand es auf sie abgesehen hat und sich um deren Messung bemüht. Objekte der atomaren Wirklichkeit sind ohne die auf sie gerichtete Aufmerksamkeit (ohne einen Eingriff) eines Beobachters unbestimmt, und zwar präzise in der Weise, in der es die (mathematisch formu­lierten) Unbestimmtheitsrelationen angeben. Elektronen halten sich alle Möglichkeiten offen, bevor sie – unter der Vorgabe eines Subjekts in Form des Experimentators – aktuelle Qualitäten annehmen …
Heisenberg schreibt in den 1950er Jahren in seinem Buch Physik und Philosophie …: „Wir müssen uns daran erin­nern, dass das, was wir beobachten, nicht die Natur selbst ist, sondern Natur, die unserer Art der Fragestellung ausgesetzt ist.“

(Q54 Fischer, E.P.: Leonhardo, Heisenberg & Co., Piper Verlag Taschenbuch München 2004, S.231)

[101] Das erkennende Subjekt beeinflusst den Lauf der Welt! „Realität“ ist nicht „objektiv“ festgelegt.

[102] Im allgemeinen Verständnis beschäftigt sich „richtige“, exakte Naturwissenschaft mit wiederholbaren Vorgängen in Beob­achtung oder Experiment, und sie gewinnt Einsichten im Vergleich verschiedener Systeme. Es ist (nicht nur) eine philosophi­sche Frage, ob Naturwissenschaft überhaupt „zuständig“ ist, wenn es um einmalige Ereignisse geht, die „singu­lär“ genannt werden: Der Anfang des Uni­versums, die erste Entstehung von Leben aus unbelebter Mate­rie, das Auftauchen von Selbstbewusstsein in der Natur – hier gibt es keine Wiederholung an anderer Stelle in der Natur und ihrer Geschichte, keinerlei Vergleichsmöglichkeit mit ähnlichen Vorgängen. Nach dem folgenden Zitat ge­hört eine Singularität nicht zur „Raum-Zeit, der alle übrigen Zustände angehören“ (mit denen sich Naturwissen­schaften beschäftigen können).
Der Einwand betrifft auch andere „einmalige“ Anfänge und Ursprünge:

„Singularitäten in der Astrophysik“
Von einer Singularität spricht man in der Astrophysik wie allgemein in der Physik, wenn in der mathe­matischen Formel, die die Realität darstellen soll, Größen (wie Dichte, Ladung, Druck, Temperatur usw.) auftreten, die an ei­nem Punkt im RAUM oder in der ZEIT unendliche Werte annehmen. Diesen mathematischen Ergebnissen kann keine physikalische Realität entsprechen, denn in der Physik kennt man nur messbare, das heißt endliche Grö­ßen. Die Singularität verweist daher auf eine man­gelhafte Übereinstimmung zwischen Theorie und Wirklichkeit und kann gerade deshalb äußerst fruchtbar sein, denn sie bezeichnet eine Stelle, an der die Theorie mangelhaft und die ma­thematische Darstellung allzu summarisch gegenüber der Realität ist. …
(in Modellen zur Beschreibung des Kosmos gibt es Zustände) … dass die Dichte von Materie und Energie un­endlich groß wird; solch ein Zustand hat im Universum keinen physikalischen Sinn und kann im Universum nicht real ein­treten. Es handelt sich um eine Singularität; sie gehört für den Mathematiker nicht zur RAUM-ZEIT, der alle übri­gen Zustände angehören
„Anfang, Ursprung“
Die Frage nach dem Anfang und Ursprung ist natürlich keine wissenschaftliche Frage. Zwar sind viele Men­schen fasziniert von den vier großen Fragen nach dem Ursprung des Universums, des Lebens, des Menschen und des Be­wusstseins, doch diese Faszination beruht eher auf den religiösen Konno­tationen dieser Fragen als auf einem Inter­esse an den Antworten, die unsere Wissenschaften darauf geben. Denn, genau gesagt, geben die Wissenschaften darauf keine Antwort. Und das hat seine Gründe. Jede dieser Entitäten – das Universum, das Leben, der Mensch, das Bewusstsein – existiert als solche auf der Ebene ihrer Entstehung nur im Rahmen der philosophischen oder re­ligiösen Frage­stellung, aber nicht im Zusammenhang einer wissenschaftlichen Realität …
Wer vom Ursprung des Universums spricht, der meint, dass es eine Zeit gab, da das Universum sei­nen Anfang nahm. Dieser Ausdruck setzt voraus, dass die Zeit außerhalb des UNIVERSUMS existiert, dass es eine absolute, gleichsam göttliche Zeit gibt. Die Physik lehrt uns aber, dass Raum, Zeit und Materie untrennbar miteinander ver­bunden sind … Für Physiker hat es deshalb gar keinen Sinn, von einem Anfang oder Ursprung des Univer­sums im zeitlichen Sinne zu sprechen; sie vermögen nur die Veränderungen des bereits existierenden Univer­sums zu be­schreiben. Ein zeitlicher „Nullpunkt“ ist nur eine Konvention, die aus Gründen der leichteren ma­thematischen Be­handlung eingeführt wird.
Die wissenschaftliche Erforschung des Ursprungs des Lebens konzentriert sich auf die Bedingungen, die dessen Entstehung ermöglicht haben. Da Leben durch die Fähigkeit definiert ist, sich zu reprodu­zieren, durch eine Fä­hig­keit also, die das Leben bereits voraussetzt, können wir uns aus dem darin enthaltenen circulus vitiosus nur be­freien, indem wir uns den physikalischen und chemischen Eigen­schaften der Grundbausteine des Lebens zu­wenden. Stehen am Anfang des Lebens einfache Mole­küle? Ist die Biologie letztlich auf die Chemie zurückzufüh­ren? Falls man diese Frage bejaht, verlagert sich die Frage nach dem Ursprung des Lebens in ein anderes Fachgebiet, die Chemie. Aber hat der Begriff des Lebens dann überhaupt noch einen Sinn?
Die beiden letzten Ursprungsfragen betreffen das Wesen des Menschen ...
Wollen wir die Frage nach der Entstehung des Menschen im Rahmen der Evolution beantworten (an welchem Punkt der Entwicklung löste er sich von der Abstammungslinie unserer nahen Verwandten, der großen Prima­ten?), müs­sen wir wissen, aufgrund welchen Kriteriums wir wirklich von einem Men­schen sprechen können.
Die Frage nach dem Ursprung des Bewusstseins wiederum (ab welchem Punkt der individuellen Ent­wicklung besitzt ein menschliches Wesen ein Bewusstsein, das seine Menschlichkeit ausmacht und ihm seine Einzigartig­keit ver­leiht?) hat nur dann Sinn, wenn wir genau angeben können, was „Bewusstsein“ bedeutet.
Die Naturwissenschaft ist in ihrem Element, wenn es darum geht, Veränderungen zu analysieren und zu verste­hen; die Frage nach der Entstehung von Dingen aus dem Nichts, der creatio ex nihilo, bildet dagegen eine Grenze, jen­seits derer die Wissenschaft keine Antworten zu geben vermag
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(Q12 Farouki, N. / Serres, M. (Hrsg.): Thesaurus der exakten Wissenschaften, Zweitausendeins Verlag, Frank­furt/Main, 2001)

[103] Zum „spekulativen Charakter“ gerade moderner kosmologischer Modelle sei folgende Ergän­zung eingebracht:

Was wir über unser Universum „wissen“ …

Kosmische Kennziffern

Eigenschaften

Wert

Unsicherheit

Alter des Universums (Milliarden Jahre)

13,7

± 0,2

Anteil der „normalen“ Materie (Prozent)

4,4

± 0,4

Anteil der (kalten) „dunklen Materie“ (Prozent

23

± 4

Anteil der gesamten Materie (Baryonen und „dunkle“ Materie) an der Gesamtdichte (Prozent)

27

± 4

Anteil der „dunklen Energie an der Gesamtdichte (Prozent)

73

± 4

Temperatur der kosmischen Hintergrundstrahlung (Kelvin)

2,725

± 0,002

(Q3 Bild der Wissenschaft 8/2003 S.51)

Die „normale“ Materie, die unsere irdische Physik messtechnisch erfassen kann und die aus Teil­chen besteht, die wir kennen, macht nur einen Anteil von etwa vier Prozent an der gesamten Materie/Energie im Universum aus. Weitere 23 Prozent sind „dunkle“ Materie (ihre Eigenschaften, ihr materieller Aufbau sind uns nicht zugänglich, liegen völlig im „Dunklen“). Dazu kommt noch - mit einem Anteil von 73 Prozent ! -  eine geheimnisvolle „dunkle Energie“, eine Kraft, die den Kosmos offenkundig auseinander treibt, die wir aber bisher physikalisch nicht be­schreiben und erklären können.
In der vorstehenden Tabelle wird das Alter des Universums mit der heute weithin akzeptierten Zahl von knapp 14 Milliarden Jahren angegeben. Da ist es etwas verwunderlich, dass in Phy­siklehrbüchern einmal die Angabe „etwa 17 Milliarden Jahre“ (P4 S.80f.), ein andermal „20 Milliarden Jahre“ (P6 S. 110; P23 S.154) steht.

[104] Die Begriffsbildung „Geschöpfe des Universums“ ist durchaus kreativ.

[105] Es ist interessant, dass die Beschäftigung mit kosmischer Physik zu Philosophie und KANT hinleiten kann. Natur­wissenschaftliches Forschen kann demnach auch anregen zum Nachdenken über die tieferen Fragen menschli­cher Existenz.

[106] Etwa zur gleichen Zeit stach Kolumbus in See, westwärts, um auf dem Weg um die Erde herum das im Osten gele­gene Indien zu erreichen; er und viele seiner (gebildeten) Zeitgenossen waren also fest von der Kugelgestalt der Erde überzeugt!
Die Erde eine Scheibe? ..
Gelehrte des alten Griechenlands fanden vor mehr als zwei Jahrtausenden heraus, dass der Schein trügt. Sie frag­ten, warum sich dem nach Süden Reisenden neue, vorher nie beobachtete Sternbilder zeigen. Sie wussten, dass bei einer Mondfinsternis der Mond durch den Erdschatten wandert, und fragten, warum dieser Schatten auf dem Mond stets eine kreisförmige Begrenzung zeigt. Wäre die Erde eine Scheibe, müsste sie bei Mondfinsternissen meist als Ellipse, bei Sonnenauf- und untergang gar als Strich abgebildet werden. Man erkannte schon damals die Kugel als einzig mögliche Körperform, die unabhängig von der Beleuchtungsrichtung stets einen kreisförmigen Schatten wirft. Folglich kann die Erde nur eine solche sein. … Eratosthenes von Kyrene gelang es … den Erdumfang zu ermitteln … mit einer Abweichung von nur 5 Prozent zum heutigen Wert.
(Q80 Clausnitzer, Lutz: Was der Himmel über die Erde erzählt, Freie Presse Chemnitz 27.3.09, S. A8)

[107] Gibt es wirklich einen Beleg dafür, dass Kopernikus davon ausging, dass die Erde eine Scheibe sei?

[108] Innerhalb der Kirche gab es keine einheitliche Meinung, erst recht keine verbindliche Lehr-Meinung, die sich auf eine bestimmte Gestalt der Erde festlegte:
„Die katholische Unterstützung des geozentrischen Systems sollte nicht mit der Idee von einer flachen Erde ver­wechselt werden, welche die katholische Kirche nie stützte.“
(Q70 Wikipedia: Religion und heliozentrisches Weltbild, 16.12.08)

[109] Kopernikus … zögerte lange mit der Veröffentlichung seiner astronomischen Arbeiten, möglicherweise weil seine teilweise letztlich falschen, auf Aristoteles' Annahmen als Kreis als idealharmonisch-vollkommenem mathemati­schen Gebilde beruhenden Berechnungen der Planetenbahnen in Kreisumläufen um die Sonne nicht durch Be­obachtungen gestützt werden konnten und deshalb eine Ablehnung durch das wissenschaftliche oder kirchliche Es­tablishment zu befürchten war. Wegen der falschen Annahme der Kreisbahnen konnte Kopernikus seine Kritiker letztlich nicht zwingend widerlegen.
(Q70 Wikipedia, Kopernikus, 16.12.08)
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Johannes Kepler machte sich in seinem Werk „Astronomia Nova“ (1609- also mehr als 60 Jahre nach dem Tod des Kopernikus) an den Nachweis, dass sich sowohl nach dem ehrwürdigen geozentrischen System des Ptolemäus als auch nach dem neuen heliozentrischen System des Kopernikus die einigermaßen sicheren Positionen der Planeten errechnen lassen. Auch wenn man beide Systeme kombiniert, wie es Tycho Brahe getan hat, kommt man zu vernünf­tigen Ergebnissen. Alle drei Systeme sind geometrisch und mathematisch miteinander kompatibel. Die bloße Be­obachtung und die Beschreibung der Phänomene bringt also keine Entscheidung über falsch oder richtig.

(Q63 bild der wissenschaft Heft 2/2009 S.54ff.)

[110] Der lateinische Titel des Werkes von Kopernikus „De Revolutionibus Orbium Coelestium“ heißt genau(er) über­setzt: „Über die Umdrehungen der himmlischen Kreise“. Er bezieht sich auf die (doppelt falsche) Vorstellung, von der Kopernikus ausging, dass
a) der Mond und die Planeten auf den himmlischen Sphären befestigt waren und von diesen auf ihrer Bewegung mitgeführt wurden (das sind die „himmlischen Kreise“!), und dass
b) es sich um (ideale) Kreisbahnen handle - was schwierige Zusatzannahmen in seinen Theorien nötig machte.

In Band I Kapitel X seines Hauptwerkes schreibt er: „Die erste und oberste von allen Sphären ist die der Fixsterne, die sich selbst und alles andere enthält …“
(Q70 Wikipedia: Kopernikus, 16.12.08)

Erst Kepler korrigierte die Kreise zu den tatsächlichen Ellipsen-Bahnen. Und selbst „… Galilei hatte Keplers „Astronomia Nova“ wohl nicht gelesen, jedenfalls erwähnt er nichts davon. Noch 1632 schrieb er in seinem „Dia­log“ unbeirrt von Kreisen und nicht von Ellipsen, auf denen die Planeten um die Sonne laufen.

(Q63 bild der wissenschaft Heft 2/2009 S.54ff.)

[111] Erst 1616 – siebzig Jahre nach dem Tod des Kopernikus! - wurden in einem Prozess gegen Foscarini auch „ei­nige nichttheologische Schriften über Kopernikanische Astronomie, darunter auch ein Werk von Johannes Kepler, auf den Index gesetzt. Das Hauptwerk des Kopernikus, De Revolutionibus Orbium Coelestium, in dessen Todesjahr 1543 erschienen, wurde nicht verboten, sondern „suspendiert“: Es durfte fortan bis 1822 im Einflussbereich der Römischen Inquisition nur noch in Bearbeitungen erscheinen, die betonten, dass das heliozentrische System ein blo­ßes mathematisches Modell sei.
(Q70 Wikipedia: Galilei, 16.12.08;
so auch: Q81 Drake, Stillman: Galilei, Herder/Spektrum, Freiburg o.J. (nach 1999, ISBN: 3-926642-38-6), S.110)

[112] Hier wird an Giordano Bruno erinnert, der von der Inquisition auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Die Be­gründung für seinen gewaltsamen Tod, die hier gegeben wird, stimmt aber nicht:

Er proklamierte die Unendlichkeit des Weltalls im Gegensatz zur Fixsternsphäre. Da die Sterne nach seiner Mei­nung  relativ regelmäßig im unendlichen Raum verteilt sind, ist auch ihre Zahl unendlich. Sie sind alle Sonnen, von Planeten umkreist, auf denen Lebewesen vorhanden sind wie auf unserer Erde. Der Gedanke der unbegrenzten Fülle von Lebensformen im unendlichen All ist der Kerngedanke der Brunoschen Weltvorstellung, die mehr philo­sophisch als naturwissenschaftlich begründet ist. Bruno war kein Atheist. Er wollte den unendlichen Gott mit einer unendlichen Schöpfung verherrlichen. Es sei Gottes unwürdig, nur eine endliche Welt geschaffen zu haben, hat er einmal gesagt. …
Giordano Bruno wurde nicht wegen seiner weltbildhaften Vorstellungen oder seines Eintretens für Kopernikus, sondern wegen seiner Leugnung der Trinität Gottes verurteilt. Diese Leugnung war allerdings eine Konsequenz sei­ner Unendlichkeitshypothese. …“

(Q52 stud. christ. Spezialfernkurs; Naturwissenschaft – eine Herausforderung des Glaubens; Kirchentagskon­gress der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, 1978, Lehrbrief 2, S.15)

Giordano Bruno hatte die Glaubenshüter mit dem Entwurf eines pantheistisch beseelten Universums provoziert, in dem unendlich viele Sonnen Mittelpunkte gleichfalls unzähliger Planetensysteme bilden. Zum Flammentod verurteilt wurde er 1600 jedoch nur, weil er hartnäckig das Kirchendogma der Trinität, der Heiligen Dreieinigkeit, leugnete.
(Q74 Der Spiegel 23/1998 S.90)

[113] Woher stammt die Information über eine Verbrennung von seinen Büchern?

[114] Die Vorstellung, dass die himmlischen Körper sich auf perfekten idealen Kreisbahnen bewe­gen mussten, stammt nicht aus der Bibel und bezieht sich nicht auf den jüdisch-christlichen Gott, sondern hier handelt es sich um eine Vorstellung (Vorgabe) aus der antiken griechischen Philosophie und dort gehegten Welt- und Götterbildern. Die Götterwelt der Griechen war eine andere als die des Judentums. Die Griechen glaubten an das Wirken einer ganzen „Götterfamilie“, während das Judentum als streng monotheistische Religion nur an einen Gott glaubte.

[115] Die Gedanken des Kopernikus wurden nicht von Anfang an als der Lehrmeinung der katholi­schen Kirche widerspre­chend erfahren (erst 1616  – im Zuge der Auseinandersetzung mit Galilei - wurde das Buch des Koperni­kus auf den Index gesetzt).

[116] Verwiesen sei hier auch auf den „feinen“ Unterschied im Text der beiden vorstehend zitierten Bücher, dass die Beob­achtungen des Galilei, „nicht bewiesen“ / „für die katholische Kirche nicht bewiesen“, dass die Erde die Sonne umläuft. Die erste Aussage trifft wohl eher zu, weil Kopernikus eben auch viele Astronomen und Philosophen seiner Zeit nicht von der Richtigkeit seiner Ideen überzeugen konnte.

[117] Auch das neue Weltbild des Kopernikus ging also zum Teil von falschen Vorstellungen aus. Er nahm nicht nur an, dass die Erde, der Mond und die Planeten die Sonne auf idealen Kreisbahnen umrundeten, sondern er ging auch weiter von der Existenz von „Sphä­ren“ aus, Kugelschalen, auf denen die Planeten befestigt waren und die sich mit ihnen gemeinsam bewegten:

„Es sind weder bei Aristoteles noch bei Kopernikus oder bei Kepler die Planeten oder andere Himmelskörper, die sich bewegen; es sind vielmehr die Sphären, die sich drehen und die zu ihnen gehörenden Objekte mit sich führen.“
(Q14 Fischer, E.P.: Die andere Bildung – was man von den Naturwissenschaften wissen sollte, Ullstein, 2003, S.110)

Und vor allem lieferten die Berechnungen der Planetenbahnen durch Kopernikus keine genaueren Ergebnisse als die nach dem Modell des Ptolemäus.

[118] Die Vorstellung von perfekten Kreisen, auf denen sich die Himmelskörper bewegten, stammte also nicht aus der Bibel, sondern aus der Kosmologie griechischer Philosophen.

[119] Kopernikus war im „Hauptberuf“ Domherr, arbeitete also nicht gegen die Kirche, sondern stellte seine Überlegun­gen als christlicher Naturforscher an.

[120] Kopernikus´ Überlegungen waren vor allem für seine Gelehrten-Kollegen nicht überzeugend. Beweise, die sich aus seiner Theorie grundsätzlich ableiten ließen, waren – wegen der damals nicht möglichen Genauigkeit der Mes­sungen – nicht zu erbringen.

[121] Es ist interessant (und angemessen), dass, um frühere Natur- und Weltvorstellungen recht deuten zu können, die interdisziplinäre Zusammenarbeit unter anderem von Astronomen und Religionswissen­schaftlern für unverzichtbar gehalten wird.

[122] Die Vorstellung, dass sich Planeten und andere Himmelskörper – gottgewollt - auf perfekten Kreisen bewegen müs­sen, stammt also von Ptolemäus (bzw. Platon: siehe in diesem Kapitel weiter unten bei Quelle P23, dort zu S.12) und nicht aus der Bibel.

[123] Das geozentrische Weltbild war so überzeugend (nicht nur für die Kirche, sondern auch für (Natur-)Philoso­phen), weil der Umlauf von Sonne, Mond und Sternen um die Erde dem Augenschein im Alltag entsprach, von der Autorität des Aristoteles „physika­lisch abgesegnet“ war und mit den philosophischen Denkmodellen seiner Zeit übereinstimmte.

[124] Dem kopernikanischen Modell fehlte schlicht die Überzeugungskraft (es ermöglichte keine genaueren Berechnun­gen der Planetenbahnen; exakte Beweise für die Bewegung der Erde um die Sonne waren damals mess­technisch noch nicht nicht zu erbringen) – s. auch weiter unten Quelle P24 zu S.99f..
Der direkte Nachweis für den Umlauf der Erde um die Sonne gelang erst 1838, als FRIEDRICH WILHELM BESSEL die erste Fixsternparallaxe maß  - s. weiter unten Quelle P22 zu S.53.

[125] Ein Konflikt zwischen dem neuen Weltmodell und der Kirche zeigte sich nicht sofort. Wenn Kopernikus (und spä­ter Galilei) bereit gewesen wären, das helio­zentrische Modell nur als theoretisch-mathematische Hypothese zu vertreten – hätte die katholische Kirche das wohl akzeptiert. Der theologische Widerstand gegen die Ideen des Ko­pernikus kam zunächst weniger von der katholischen Kirche als von protestantischer Seite. Martin Luther war Zeit­genosse von Kopernikus, und er wehrte sich sofort und vehement gegen die Ideen dieses „Narren“ – und er tat es mit biblischen Argumenten, die er wörtlich auslegte! Der Protestantismus mit seiner Tendenz zur buchstaben­ge­treuen Auslegung der Bibel zeigte sich also in dieser Frage viel empfindlicher. Dass Luther ein Anhänger des Pto­lemäus war, zeigte sich zum Beispiel daran, dass das erste Bild in seiner gedruckten Bibel von 1534 dessen Weltbild darstellt
(Q32 Martin Luther: Biblia das ist die gantze Heilige Schrifft Deudsch (aus dem Jahre 1534), Band 1, Facsimile-Druck bei Reclam Leipzig 1983):

[126] Kürzlich wurde mitgeteilt, dass im Jahre 2009 eine Skulptur Galileis in den Vatikanischen Gär­ten aufgestellt wer­den soll! (Q33 die tageszeitung Berlin, 10.3.08 S.2)

[127] Wie hier noch einmal bestätigt wird, war der Hauptgrund für das Zögern des Kopernikus, sein Werk zu veröffentli­chen, weniger die Angst vor der Reaktion der Kirche als die auch aus seiner Sicht nicht befriedigende wissenschaftliche Überzeugungskraft.

[128] Es war der belgische katholische Priester Lamaitre, der als erster physikalische Theorien von einem sich ausdehnen­den Universum entwickelte.

[129] Die Theorie ist heute für die meisten Kosmologen das beste Erklärungsmodell, endgültig rich­tig ist sie damit aber (noch) nicht

[130] Unsere Welt hatte nach dieser Vorstellung einen Anfang, der raum-zeitlich nicht zu fassen ist, also sollte man viel­leicht angemessener vom Ur-Sprung, dem tragenden Ur-Grund sprechen. Über ein „davor“ und „außerhalb“ sind naturwissenschaftliche Aussagen mit der uns bekannten Erfahrungs-Physik nicht möglich. Dazu kann nur (und darf) „spekuliert“ (gedeutet) werden – von Naturwissenschaftlern, aber auch von anderen philosophisch und religiös nachdenklichen Menschen

[131] Das Wort „Sternenstaub“ lässt sich sowohl materiell verstehen als auch in poetischer Übertragung existenziell deu­ten.

[132] Auch in Fachtexten wird immer wieder diese letztlich missverständliche, falsche bzw. irreführende Bezeichnung gebraucht. Heisenberg selbst hat von der „Unbestimmtheit“ gesprochen. Im Englischen wird dieser Tatbestand mit „uncertainty“ wiedergegeben, was in der „Rückübersetzung“ ins Deutsche zu „Unschärfe“ wurde. Ort und Zeit eines Teilchens beispielsweise sind aber nicht „unscharf“, etwa weil man sie mit derzeitigen Meßmethoden nicht genau angeben kann, sondern sie sind objektiv unbestimmt. Dazu steht in einem anderen Schullehrbuch richtig:

„Was heißt „unbestimmt“? … Die Unbestimmtheitsrelation beseitigt die Begriffe Ort und Impuls an sich nicht; sie beschränkt nur ihren gemein­samen Gebrauch.
HEISENBERG sagt: „Ein über diese Relation hinausgehender, genauerer Gebrauch der Wörter Ort und Geschwin­digkeit ist ebenso sinnlos wie die Anwendung von Wörtern, deren Sinn nicht definiert ist.“ Deshalb darf man nicht sagen, das einzelne Quantenobjekt habe objektiv gesehen im Unbe­stimmtheitsbereich einen bestimmten Ort x, den wir subjektiv gesehen nicht genau kennen … “Unbestimmt“ geht eben viel weiter als „unbekannt“; es betrifft die Nichtobjektivierbarkeit der Quanten … „

(P14 SCHROEDEL; Dorn / Bader: Physik Sek II; Schroedel, Hannover, 2000 , S.432)

Weitere Ausführungen zu Heisenbergs Unbestimmtheitsrelation finden sich auch unter Fußnote 100

[133] Die Erörterung der innerhalb der Physik nicht beantwortbaren „letzten“ Fragen, z.B. nach dem Sinn und dem Ziel menschlichen Daseins endet bzw. mündet in einem antiken Gedicht …

[134] Der Hinweis auf ein naturwissenschaftliches Fach ist sehr sinnvoll – wenn darunter interdisziplinäres Arbeiten ver­standen wird. Denn auf sich allein gestellt wird ein Religionslehrer wohl kaum in die fachliche Tiefe von Ur­knall- und Evolutionstheorie vordringen können. Und warum wird hier nur auf BIOLOGIE verwiesen, wobei doch Urknall in die fachliche Zuständigkeit von PHYSIK und ASTRONOMIE fällt?

[135] Tatsächlich kennt schon die Bibel nicht nur einen Schöpfungsbericht, sondern dort erzählen Menschen in ganz unter­schiedlicher Weise von ihren Erfahrungen, Vorstellungen und Hoffnungen (Darstellungen in Gen.1 ganz an­ders als Gen.2, weitere Schöpfungszeugnisse finden sich in den Psalmen, bei Hiob und an vielen anderen Stellen) – und sie deuten die Welt und ihre eigene Existenz in Beziehung zu einem „Schöpfer“.

[136] Interessanterweise wird im Fach Religion zu einer intensiven Beschäftigung mit naturwissenschaftlicher Metho­dik und Erkenntnistheorie aufgefordert.

[137] Die im Folgenden wiedergegebenen Stichworte im Lehrplan für Katholische Religion (Mittelschule) sind noch etwas präziser ausgeführt als die vergleichbaren Angaben in dem davor stehenden Lehrplan für das Fach Evangeli­sche Theologie.

[138] Hier wird in Erinnerung gerufen, dass auch derzeit weithin anerkannte Theorien (Plural!) sich in ständiger Diskus­sion und Veränderung befinden.

[139] Man beachte die Hinweise zur Zusammenarbeit mit den Fächern PHY(SIK) und BIO(LOGIE).

[140] Hier werden die schmerzlichen und kritischen Phasen der Auseinandersetzung zwischen Naturwissenschaft und Theologie (und auch Ideologien) in der Vergangenheit gezielt thematisiert.

[141] Zu einer intensiven Beschäftigung mit naturwissenschaftlicher Methodik und Erkenntnistheorie wird im Fach Reli­gion aufgefordert.

[142] Ein solches Programm, wie es in den folgenden Stichworten skizziert wird, wünschte man sich auch in den naturwis­senschaftlichen Fächern!

[143] Vgl. vorstehende Fußnote – die hier wiedergegebene Stichwort-Liste ist noch ergiebiger!

[144] Der bekannte Physiker heißt Hawking !

[145] Der Lehrplanteil für Katholische Religion (Gymnasium) ist im Bereich „Glauben – Wissen“ nicht so prägnant unter­setzt wie der für Evangelische Religion.

[146] Bei diesen Darwin zugeschriebenen Worten habe ich meine Zweifel zur Urheberschaft, sie stammen aus einer von vielen ähnlichen Internet-Quellen – und dort stehen sie immer ohne nähere Angaben zu einer Originalquelle.

[147] In Quelle R1, Werkbuch Religion, Materialien für Lehrerinnen und Lehrer, S.79 wird vorgeschlagen, die bei­den auf dieser Seite (kommentarlos) abgedruckten Texte zu vergleichen. Die Schüler sollen Positionen erarbeiten. Aber – abgesehen davon, dass der „kreationistische“ Text ohnehin polarisiert und der „evolutionsbiologische“ Text (ohne Quellengabe) fachlich ungenau formuliert ist: Sollten Schüler im Religionsunterricht sich nicht sinnvoller mit unterschiedlichen theologischen Ansichten auseinandersetzen? Mit dem „Vergleichen“ von Bekenntnis-Aussagen und einer naturwissenschaftlichen Theorie werden „Apfel mit Birnen“ verglichen, das ist genau der gleiche Katego­rienfehler, als ob man im Biologieunterricht die Schöpfungsgeschichte Gen.1 als konkurrierende Theorie zu Evolu­tionstheorien behandelt (siehe auch Kap. 1.2.5).

[148] eine US-amerikanische Vereinigung von „Kreationisten“

[149] Der hier zitierte Claus Westermann ist einer der führenden evangelischen Theologen für Fragen der Auslegung des „Alten Testaments“.

[150] Dass mit Walter Ulbricht und (auf Seite 5) Erich Honecker gleich zwei spätere Partei- und Staatschefs der DDR Vorworte beisteuern, ist ein Zeichen für den hohen Stellenwert, der diesem Buch eingeräumt wurde.
In der Neufassung von „Weltall Erde Mensch“ aus dem Jahre 1968 beginnt Walter Ulbricht sein Geleitwort mit dem programmatischen Satz: „Dieses Buch ist das Buch der Wahrheit.“

[151] Das heißt wohl: Nur mit naturwissenschaftlichen Methoden gewonnene (und mit der marxistischen materialisti­schen Weltanschauung verträgliche) Erkenntnisse entsprechen der „objektiven Realität“, das heißt, nur sie sind ernstzunehmen.

[152] In der DDR-sozialistischen Perspektive meinte „Aberglauben“ gleich den Alltagsglauben von Christen mit

[153] Es handelt sich bei diesem Autor wirklich um den später als DDR-Dissidenten bekannt gewordenen Robert Have­mann!

[154] Kirche und Religion stehen damit auf der „falschen“ Seite, auf der der Ausbeuter und Unterdrücker, was leider nur allzu oft auch tatsächlich der Fall war.

[155] Der schöne (Lehr-)Satz von der Ewigkeit und Unendlichkeit des Weltalls stellt eine naturwissenschaftlich nicht bewiesene, eine philosophische Aussage dar. Im Marxismus wurde daraus ein Dogma, das festlegte, was Naturwis­senschaft denken und erkennen darf.

Ernst Haeckel hatte schon 1899 als einen „kosmologischen Lehrsatz“ verkündet:
Das Weltall (Universum oder Kosmos) ist ewig, unendlich und unbegrenzt.
(Q17 Haeckel, E.: Die Welträtsel, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart, 1899, S.11)

In den frühen DDR-Jahren diente der Lehrsatz als Argument, das sich gezielt gegen „unwissenschaftliche“ Vorstel­lungen von Schöpfung richtete:

„Grenzenlos in Raum und Zeit ist das Weltall.“
(Q 61Fuchß, H.: Hat die Bibel recht?, Urania-Verlag Leipzig 1957, S.13)

Dieses weltanschauliche Dogma wurde noch 1964 in einem sonst gediegenen naturwissenschaftlichen Fachlexikon in der DDR als „Beweis“ gegen vermeintliche „idealistische“ Fehlspekulationen in der Astrophysik (die damals auf­kommende „Urknall“-Hypopthese) eingebracht. Man beachte die „Beweisführung“, die sich zentral auf ein philoso­phisches Lehrbuch beruft:

Zur physikalischen Deutung der Rotverschiebung. Wenn man die gemessenen Rotverschiebungen in den Spektren entfernter Sternsysteme nach dem Doppler-Effekt deutet, ergibt sich eine mit zunehmender Entfernung zunehmende Geschwindigkeit, mit der sich die Objekte voneinander entfernen, eine Ausdehnung des beobachteten Teils des Weltalls.

„Hieraus zogen idealistische Philosophen und Astronomen den Schluss, dass das gesamte Weltall einst auf außer­ordentlich kleinem Raum konzentriert, eine Art „Uratom“ gewesen sei, sich aber zu irgendeinem Zeitpunkt plötzlich auszudehnen begonnen habe, womit auch die „Ausdehnung des Raumes“, der ursprünglich unendlich klein gewesen sei, eingesetzt habe. Dem wurde die Erklärung hinzugefügt, dieses „Uratom“ sei von Gott geschaffen worden und habe sich nach seinem Willen auszudehnen begonnen.
Diese reaktionäre, offen fideistische Theorie von der „Expansion des Weltalls“, von der „Expansion des Raumes“, hält keiner Kritik stand. Erstens liegt keinerlei Grund vor, die von uns beobachteten extragalaktischen Nebel mit dem ganzen Weltall überhaupt zu identifizieren. Sie sind nur ein unermesslich kleiner Teil des Weltalls. Zweitens haben wir keinen Grund zu der Annahme, dass sich die Bewegung schlechthin aller extragalaktischen Nebel auf entsprechende Weise vollzieht, nämlich nur vom „Zentrum“ weg, und dass es keinerlei entgegengesetzte oder noch kompliziertere Bewegungen anderer extragalaktischer Nebel gäbe. Drittens besteht kein Grund zu der Annahme, dass selbst in dem von uns beobachteten Teil des Weltalls die Nebelbewegung immer dieselbe geblieben ist. Also haben wir keine Ursache, eine lokale Erscheinung, die nur in einem durchaus begrenzten Teil des Weltalls vor­kommt und in einem relativ unbedeutenden Zeitintervall beobachtet wird, für ein allgemeines Bewegungsgesetz des unendlichen Weltalls insgesamt auszugeben. Dazu kommt, dass die Erklärung der Rotverschiebung extragalakti­scher Nebel durch ihr Auseinanderstreben streng genommen nicht die einzig mögliche und endgültige ist, da noch andere Faktoren entdeckt werden können, die denselben Effekt hervorzurufen imstande sind.“ (Grundlagen der marxistischen Philosophie, S.149/150)

Die Theorie von der Expansion des Weltalls ist also in keiner Weise geeignet, die These von der Unendlichkeit des Weltalls in Raum und Zeit zu erschüttern. (Q40 Kleine Enzyklopädie Natur, VEB Bibliographisches Institut Leip­zig, 1964, S.417)

In einem schmerzlichen Lernprozess nahm man später doch allmählich Abschied von dem geliebten Lehrsatz. In der Ausgabe der gleichen Enzyklopädie aus dem Jahre 1983 werden das Auftreten einer „kosmischen Singularität“ und ein „Weltalter“ (also die Vorstellung von einem Anfang der Zeit) akzeptiert, aber neben Albert EINSTEIN als na­turwissenschaftlichem Kronzeugen steht immer noch die Autorität von Friedrich ENGELS, um das Ganze philoso­phisch „richtig“ einzuordnen. (Q49 Kleine Enzyklopädie Natur, VEB Bibliographisches Institut, Leipzig 1983, S.59f.)

[156] Dass das Bemühen der Naturwissenschaft, den Aufbau der Welt und das Zusammenspiel ihrer Teile zu verste­hen, getrennt werden kann bzw. sogar getrennt werden muss von der Deutung des menschlichen Daseins z.B. in der Religion, war z.B. schon tausend Jahre früher Albertus Magnus klar:

Albertus Magnus (1193-1280) Dominikanermönch und Bischof:

„Wir haben in der Naturwissenschaft nicht zu erforschen, wie Gott nach seinem freien Willen durch unmittelbares Eingreifen die Geschöpfe zu Wundern gebraucht, durch die er seine Allmacht zeigt; wir haben vielmehr zu unter­su­chen, was im Bereich der Natur durch die den Naturdingen innewohnende Ursächlichkeit auf natürliche Weise ge­schehen kann. ... dass ich mich um Wunder durch Gottes Eingreifen nicht kümmere, wenn ich Natur­kunde betreibe.“

(Q31 Fischer, Ernst Peter: Aristoteles, Einstein & Co., Piper, München 2005 , S.56ff.)

[157] Die Lehrsätze der marxistischen Philosophie geben demnach vor, was Naturwissenschaft erkennen kann und soll, was richtig und falsch ist.

[158] Die Vereinnahmung der Ideen Darwins durch Marx und Engels für ihre Philosophie und Gesellschaftstheorie ge­schah ohne Darwins Zustimmung; vgl. dazu die Anmerkungen weiter unten zum DDR-Biologielehrbuch, Quelle B1, Kapitel 3.4.2, dort Fußnote zu Seite 99f.

[159] Ein naturwissenschaftliches Lexikon der DDR aus dem Jahre 1964 gab die Gewissheit, mit der Evolutionstheorie im Besitz von endgültigen „wissenschaftlichen Wahrheiten“ zu sein, unkritisch wieder; sie bestätigte – so meinte man – den dialektischen Materialismus und lieferte Argumente für den weltanschaulichen Kampf:

Abstammungslehre und Weltanschauung. Die Evolutionstheorie (Entwicklungslehre) oder Deszendenztheorie (Ab­stammungslehre) bildet heute die gesicherte Grundlage aller biologischen Wissenschaften. Die Entwicklungslehre ist die Bestätigung des dialektischen Materialismus in der Biologie. Sie bedarf heute keines Beweises mehr. Das schon während des vergangenen Jahrhunderts angehäufte Beweismaterial reicht völlig aus, um jeden objektiv Ur­teilenden von ihrer Richtigkeit zu überzeugen. …
Der weltanschauliche Kampf um die Abstammungslehre wird allerdings so lange weitergehen, wie es Kräfte gibt, die eine Verbreitung wissenschaftlicher Wahrheiten fürchten. Aber auch auf diesem Gebiet wird die Gesetzmäßig­keit der historischen Entwicklung den Sieg der Wahrheit erzwingen. …

(Q40 Kleine Enzyklopädie Natur, VEB Bibliographisches Institut Leipzig, 1964, S.601)

In der Ausgabe des gleichen Lexikons aus dem Jahre 1983 war man da schon viel vorsichtiger geworden:

Entstehung des Lebens auf der Erde
Je weiter man die Entwicklungsgeschichte der Lebewesen auf der Erde zurückverfolgt, desto geringer wird die An­zahl exakter Belege, desto dunkler sind die Zusammenhänge im konkreten Fall.

Über die Entstehung des Lebens gibt es nur Hypothesen, die aber durch Anwendung der ständig fortschreitenden Erkenntnisse insbesondere auf molekularbiologischem Gebiet zunehmend an Wahrscheinlichkeit gewinnen

(Q49 Kleine Enzyklopädie Natur, VEB Bibliographisches Institut, Leipzig 1983 S.266)

[160] Das denken viele Ideologen: Es sind immer die „anderen“, die unbelehrbar finstere Dogmen vertreten, aber „un­sere“ Erkenntnisse sind deckungsgleich mit der objektiven Wahrheit.

[161] Ideologen berufen sich gern auf Autoritäten (Namen, Titel) oder auf sakrosankte, quasi heilige, nicht hinterfrag­bare Texte.

[162] des Kopernikus

[163] Nicht nur die Kirche hielt also an der alten Weltsicht fest, sondern vor allem für die - in naturkundlichen Fragen zuständigen - Philosophen war die Faktenlage zu „dünn“.

[164] Vgl. Fußnote 155

[165] Hier und in den weiteren Erläuterungen im Text wird sogar, um Dogmen der allwissenden Sowjetwissenschaft gerecht zu werden, auch der Kronzeuge Darwin einmal nicht ganz so ernst genommen. Mitschurin und sein Nach­folger, der Scharlatan Lyssenko, meinten, dass nicht nur der Mensch unter guten Bedingungen gut werden müsse (das war der Erziehungsansatz des Marxismus-Leninismus), sondern dass man auch Pflanzen und Tiere durch den Druck der äußeren Bedingungen dazu bringen könne, ihre Eigenschaften so zu verändern, wie es die vom Menschen vorgegebene Umwelt erfordere, bis hin zum erzwungenen Entstehen neuer Arten – züchterisch genutzter Lamar­ckismus!

[166] Die Argumentation in den fünf vorstehend wiedergegebenen Sätzen ähnelt kurioserweise exakt dem Muster, mit dem „Kreationisten“ in unseren Tagen – aus einer völlig anderen ideologischen Motivation heraus – das Wirken von bestimmten Evolutionsmechanismen in Frage stellen!

[167] Das gleiche Bild findet sich fast 30 Jahre später im Biologielehrbuch der 10. Klasse in der DDR wieder.
Es ist (wie auch richtig dasteht) nicht der Gott der jüdisch-christlichen Vorstellung, sondern es handelt sich um eine ägyptische Gottheit. Dargestellt ist aber nicht eine Göttin, sondern ein Gott - weitere Erläuterungen s. unten in den Anmerkungen zum DDR-Biologie-Lehrbuch in Quelle B1, Kapitel 3.4.2, dort Fußnote zu Seite 91f.).

[168] Die Vorstellung, dass die Welt ihr Dasein einem Gott verdankt, von ihm geschaffen wurde, in den Rang einer natur­wissenschaftlichen Entstehungs-„Theorie“ zu erheben, ist ein problematisches Missverständnis.

[169] Dass viele Naturwissenschaftler, weil sie an der Vorstellung einer Schöpfung zweifelten, „auf dem Scheiterhau­fen verbrannt wurden“ – dafür fehlt es schlicht an Fakten, d.h. Namen.

Oft wird in diesem Zusammenhang Giordano Bruno erinnert, der von der Inquisition auf dem Scheiterhaufen ver­brannt wurde:

Er proklamierte die Unendlichkeit des Weltalls im Gegensatz zur Fixsternsphäre. Da die Sterne nach seiner Mei­nung  relativ regelmäßig im unendlichen Raum verteilt sind, ist auch ihre Zahl unendlich. Sie sind alle Sonnen, von Planeten umkreist, auf denen Lebewesen vorhanden sind wie auf unserer Erde. Der Gedanke der unbegrenzten Fülle von Lebensformen im unendlichen All ist der Kerngedanke der Brunoschen Weltvorstellung, die mehr philo­sophisch als naturwissenschaftlich begründet ist. Bruno war kein Atheist. Er wollte den unendlichen Gott mit einer unendlichen Schöpfung verherrlichen. Es sei Gottes unwürdig, nur eine endliche Welt geschaffen zu haben, hat er einmal gesagt. …
Giordano Bruno wurde nicht wegen seiner weltbildhaften Vorstellungen oder seines Eintretens für Kopernikus, sondern wegen seiner Leugnung der Trinität Gottes verurteilt. Diese Leugnung war allerdings eine Konsequenz sei­ner Unendlichkeitshypothese. …“

(Q52 stud. christ. Spezialfernkurs; Naturwissenschaft – eine Herausforderung des Glaubens; Kirchentagskon­gress der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, 1978, Lehrbrief 2, S.15)

[170] Vgl. Fußnote 165 zu Lyssenko

[171] Von der Endlichkeit der Welt (Anfang der Zeit im Urknall) und von grundsätzlichen Grenzen für ihre Erkennbar­keit durch den Menschen gehen inzwischen wohl die Mehrheit der Naturwissenschaftler wie auch der Erkenntnis­theoretiker ganz selbstverständlich aus (ohne dass sie damit recht haben müssen!).

[172] „Absolut“ soll wohl ausdrücken, dass dieses „Naturgesetz“ nicht nur „richtig“ ist, sondern ewige Gültigkeit be­sitzt; diese Eigenschaften sind aber für Naturgesetze nach der modernen Wissenschaftstheorie nicht gewiss; hier wird wohl eher ein philosophischer Lehrsatz in den respektablen Rang eines Naturgesetzes erhoben.

[173] So sah der theoretische Ansatz von Marx und Engels (und Lenin) aus: Was wir an Spielregeln in der Natur entde­cken, gilt mit naturwissenschaftlicher Exaktheit auch in der Übertragung auf die Gesellschaft („gesetzmäßige Ent­wicklung“). Wobei zusätzlich anzumerken ist, dass in der Darwinschen Evolutionsbiologie gerade keine zielgerich­tete Entwicklung stattfindet, die Zukunft offen ist.

[174] Eine Episode kann vielleicht deutlich machen, warum (auch) unter dem Einfluss von Margot Honecker seit Mitte der 1960er Jahre immer stärker der weltanschauliche Anspruch der führenden Partei im Bildungssystem durchge­setzt wurde. In einer Biografie schildert sie, warum und mit welchem Gewicht in der deutschen Arbeiterbewegung die Darwinsche Abstammungslehre als (vermeintliches) naturwissenschaftliches Fundament der marxistischen Weltanschauungsideologie verstanden und vermittelt wurde. Sie wird wie folgt zitiert:

„Ich war ein junges Mädchen“, erzählt Margot Honecker 1990, „ich war offiziell noch nicht Mitglied der Partei, aber für sie war ich die junge Genossin. Vater hatte ja wenig Zeit, aber einer seiner Genossen, der hat angefangen mich zu schulen sozusagen. Ich habe weder mit dem „Kapital“ angefangen noch habe ich das „Kommunistische Manifest“ gele­sen, sondern ich hab zuerst mit ihm Darwin durchgearbeitet. Fand ich furchtbar interes­sant. Er war der Meinung, dass man über Darwin den Zugang zum Materialismus findet, und hat das so angelegt.“

Eine solche Grundüberzeugung mag auch andere Verantwortliche im Bildungssystem der DDR geprägt haben. Viele Jahre später, als Ministerin, die sich auch für die Gestaltung der Lehrpläne im einzelnen interessierte,

„fordert Margot Honecker von der Wissenschaft auszuarbeiten, wie die naturwissen­schaftlichen Fächer für die Ausprägung von Weltanschauung zu nutzen seien …“
(Q25 Stuhler, E.: Margot Honecker – Die Biografie, Heyne Verlag, München, 2005, S.28f.; 214)

[175] „unsere“, d.h. die der Sächsischen Landeskirche

[176] Aus dem Druck, den die staatlichen Bildungskonzepte mit ihrem weltanschaulichen Alleinvertretungsanspruch erzeugten, ergab sich die Notwendigkeit, sich innerkirchlich intensiv und (selbst-)kritisch mit naturwissenschaftli­chen und weltanschaulichen Fragen auseinanderzusetzen.

[177] Hier zeigt sich, dass auch außerhalb der Schule weltanschauliche „Bildung“ vorangetrieben wurde, indem eigent­lich rein wissenschaftliche Lexika mit entsprechenden Inhalten „angereichert“ wurden. Und die nachstehend ge­nannte „Urania“ war als „Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse“ auch in das Gesamtkonzept eingebunden.

[178] Eine offene Auseinandersetzung mit dem Themenfeld „Schöpfung – Evolution“ hätte wohl doch die gewünsch­ten „Lernerfolge“ in Frage stellen können, daher ist hier ein Lehrervortrag vorgesehen und der Lehrer hat zusätzlich darauf zu achten, dass nur das „Wesentliche“ diskutiert wird.

[179] Zum Verhältnis von Darwin zu Marx und Engels vgl. die Anmerkungen zu dem weiter unten ausgewerteten DDR-Biologie-Lehrbuch, Quelle B1, in Kapitel 3.4.2, dort Fußnote zu Seite 99ff.

[180] Die Jugendweihe war formell zwar eine Veranstaltung, die mit Schule nichts zu tun hatte. An dieser Stelle wird aber die enge Verknüpfung zwischen (außerschulischer) Einflussnahme und weltanschaulicher Erziehung in der Schule deutlich.

[181] Mit welcher Sachkenntnis mag das wohl geschehen sein? Und die Zielstellung dürfte sehr einseitig verstanden wor­den sein.

[182] Das sprachliche Schwanken zwischen (vorläufigen) „Hinweisen“, die auf bestimmte Zusammenhänge „hindeu­ten“, auf der einen Seite, und (sicheren, feststehenden, nicht mehr hinter­fragbaren) „Beweisen“ auf der anderen Seite ist zwar erkennbar, aber in der Gesamtdiktion der Darstellungsweise des Buches wird deutlich: Die weltan­schaulich (materialistisch, richtig) fundierte „wissenschaftliche“ Erforschung der Welt führt zu endgültigen, „wah­ren“, in Form von „Gesetzen“ letztlich zwingenden Einsichten!

[183] Dass das HAECKELsche „Gesetz“ in der Fachwissenschaft schon seit langem nur noch als „biogene­tische Grund-Regel“ verstanden wurde, wurde nicht wahrgenommen.

Ernst Haeckel hatte sein „Gesetz“ zwar tatsächlich als allgemein gültig verstanden:

„Die Ontogenesis ist eine kurze und schnelle Rekapitulation der Phylogenesis, bedingt durch die physiologischen Funktionen der Vererbung und Anpassung. …
Biogenetisches Grundgesetz
Schon in der Bezeichnung „Grundgesetz“, die ich absichtlich für meine Formulierung der „Rekapitulations-Theo­rie“ gewählt habe, ist der Anspruch eingeschlossen, dass dasselbe ganz allgemeine Gültigkeit besitzt. … dass die Rekapitulation immer eine teilweise und abgekürzte Wiederholung des ursprünglichen phylogenetischen Entwick­lungsganges ist.“
(Q16 Haeckel, E.: Die Lebenswunder, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1906S.155)

Aber das „Biogenetische Grundgesetz“ wurde in dieser Eindeutigkeit seit langem hinterfragt. Das sei an Darstellun­gen aus zwei aktuellen Biologie-Lehrbüchern verdeutlicht:

HAECKEL und das „biogenetische Grundgesetz“
… 1866 formulierte Ernst HAECKEL, ein begeisterter Anhänger der Evolutionstheorie DARWINS, in seinem Buch „Generelle Morphologie“ ein biogenetisches Grundgesetz: „Die Ontogenesis (Ontogenese) ist eine kurze und schnelle Rekapitulation (Wiederho­lung) der Phylogenesis (Stammesentwicklung).“ …
Heute sind sich Evolutionsbiologen jedoch darin einig, dass das „biogenetische Grund­gesetz“ zu stark verallgemei­nert und keineswegs den Rang eines Naturgesetzes hat, sondern bestenfalls als Regel gelten kann („biogenetische Grundregel“). Allerdings wird die Stammesentwicklung in der Ontogenese nicht einfach wiederholt. So durchläuft bei­spielsweise ein Säuger niemals zunächst ein Fisch-, dann ein Amphibien- und schließlich ein Reptilienstadium. Nicht die Erwachsenenformen stammesgeschichtlicher Vorfahren werden wiederholt, sondern lediglich einzelne und zudem nicht vollständig ausgebildete  Anlagen ihrer Baupläne.
(B28 SCHROEDEL; Biologie heute entdecken S II; Braunschweig, 2004, S.387)

„Biogenetische Grundregel:
Die Ontogenie stellt eine kurze und schnelle Rekapitulation der Phylogenie dar, d.h. die Keimesentwicklung stellt eine schnelle Wiederholung der Stammesgeschichte dar. …
Die Formulierung als Regel statt als Gesetz soll verdeutlichen, dass die Verbindlichkeit nicht so stark ist, denn diese Regel bezieht sich nur auf einen Teil der Keimesentwick­lung, nämlich auf Teile der Individualentwicklung.“
(B 12 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag, Duden Biologie, Gesamtband Sekundarstufe I, Berlin, 2005, S.519f.)

Auch ein drittes aktuelles Lehrbuch sieht das grundsätzlich so, nimmt aber doch den Begriff „Gesetz“ wieder auf:

„Übereinstimmungen in der Ontogenie sind ein Indiz für gemeinsame Abstammung. Aus heutiger Sicht muss man sagen, dass kein naturgesetzlicher Zusammenhang zwischen der sich ständig wiederholenden und selbst der Evolu­tion unterliegenden Ontogenese und der einmaligen Phylogenese besteht. Ontogenetische Merkmale unterliegen im All­gemeinen einem geringen Selektionsdruck. Aus diesem Grund sind ontogenetische Merkmale sehr konservativ und können zur Klärung von Abstammungsfragen herange­zogen werden (Gesetz der Embryonenähnlichkeit).“
(B24 DUDEN / PAETEC Schulbuchverlag; Duden Biologie, Gymnasiale Oberstufe, Berlin, 2005, S.380)

[184] Ob die Kirchen wirklich Einfluss nehmen mussten und gezielt Einfluss genommen haben, ist fraglich. Das war wohl einfach nicht nötig - wegen der allgemeinen Akzeptanz der Vorstellung von der Konstanz der Arten. Aber dass sich die anglikanische Kirche im Jahre 2008 posthum bei Darwin entschuldigt hat (siehe dazu Quelle Q57 in Kapitel 4.2), deutet auch auf erhebliche Konflikte hin. Jedoch gab es auch schon zu Darwins Seiten Theologen, die seinem neuen Konzept zustimmten.

[185] Die Verfolgung wegen Ketzerei im Zusammenhang mit unterschiedlichen Ansichten zur Entstehung der Arten ist wohl nicht belegbar (wer, wann)?

[186] Das abgedruckte Bild – schon seit 1955 enthalten im Jugendweihe-Buch „Weltall Erde Mensch“ - sollte sicher an die im zweiten Kapitel der Bibel überlieferte Darstellung anknüpfen und erin­nern, der zufolge Gott den ersten Men­schen aus Erde formt. Der beabsichtigte Lerneffekt für die Schüler war wohl: So (primitiv und abwegig) haben sich Menschen früher die Menschwerdung vorge­stellt, so steht es auch in der Bibel, und solche Vorstellungen verbreitet die Kirche (bis heute)!
Zu dem gleichen Bild – das aus einer ägyptischen (!) Schöpfungsdarstellung stammt - sei hier eine Erläuterung (aus einem zeitgleich erschienenen Lehr­brief der Universität Tübingen) wiedergegeben, die dem tatsächlichen Anliegen und Verständnis weit mehr gerecht wird:

„Ein Beispiel soll das Gesagte noch einmal verdeutlichen, nämlich dass Schöpfungs­erzählungen keine „Schöp­fungsprotokolle" sind; am Beispiel eines ägyptischen Welt- und Menschenschöpfungsmythos, von dem hier nur ein wichtiger Teilaspekt hervorgehoben werden soll, wird die radikal symbolisch-nichthistorische Sicht des Mythos deutlich:
Die Besucher des Tempels von Luxor begegneten seit 1350 v.Chr. dort einer großen Abbildung, in welcher – die Schrift erklärte es - der Lebensgott Khnum auf einer Töpfer­scheibe den Pharao AMEN-HOTEP III. töpfert (s. Abb.!).
In Ägypten gab es einen Mythos von dem Töpfergott Khnum, der mit einem Widderkopf dargestellt wurde. Er formte auf einer Töpferscheibe den Menschen aus Lehm. Die natür­lichen Abkunftsverhältnisse der Pharaonen waren den Ägyptern selbstverständlich ge­läufig; die dargestellte „Töpferung" konnte also nur die Funktion haben, in einer symboli­schen Darstellung des Werdens das Wesen des Pharao, d.h. seine „Gottessohnschaft" anschaulich zu verge­genwärtigen.
Mit der Erkenntnis, dass im Alten Orient und damit in der Bibel Werdens-Schilderungen die Funktion von Wesens­enthüllungen haben können, ist ein wichtiger Schlüssel für die Entschlüsselung mancher biblischer Erzähltexte ge­wonnen!“

(Q10 Deutsches Institut für Fernstudien der Universität Tübingen, Fernstudium Naturwissenschaften, EVOLU­TION, Heft 3: Theoretische Grundlagen der Evolution, Tübingen, 1986, S.215)

Hieran wird deutlich, dass es nicht um die Erschaffung „der ersten Menschen“ geht, wie im DDR-Lehrbuch falsch mitgeteilt wird – in Wahrheit wurde hier die Erschaffung eines konkreten, historisch greifbaren Menschen, eines Pharao in einem mythischen Bild dargestellt. Die beim Abdruck im DDR-Biologie-Lehrbuch naheliegende und si­cher beabsichtigte Assoziation sollte aber wohl sein: So merkwürdig stellen sich Christen die Entstehung der ersten beiden Menschen, „Adam und Eva“ vor; und ob Schüler und Lehrer den Gott mit dem merkwürdigen Namen „Chnumu“ nicht auch irrtümlich – und das war ein gewollter Irrtum - mit dem jüdisch-christlichen Schöpfergott gleichgesetzt haben?

Die biblischen Glaubenszeugnisse in den Erzählungen von Gott als Schöpfer werden hier als – auch naturkundlich 1 zu 1 wörtlich zu lesende - Modelle (miss-)verstanden, die die tatsächliche Entstehung der Welt und des Menschen erklären wollen, und die daher in direkter Konkurrenz zu modernen naturwissenschaftlichen Vorstellungen stehen. Es soll klar werden, dass nicht nur dieses Welt­verständnis, sondern Religion überhaupt einem vorwissenschaftlichen Zeitalter angehören und mit dem Siegeslauf der rationalen naturwissenschaftlichen Erklärung der Welt längst über­flüssig gewor­den sind.

Nur nebenbei sei erwähnt, dass auch ein aktuelles Lehrbuch für das Fach Religion den in der ägyptischen Bild-Dar­stellung vermittelten Sachverhalt „unscharf“ darstellt:

(Text neben der gleichen Abbildung)

„… formt Chnum auf der Töpferscheibe Menschen
Ägyptische Bilder zeigen auch den Gott Chnum, der die Welt mit seinen Händen auf einer Töpferscheibe bildet.“
(R3 PATMOS; Zeichen der Hoffnung, Patmos Düsseldorf, 2002, S.35)

Es sind aber nicht allgemein „Menschen“, sondern es handelt sich um einen konkreten Menschen, den Pharao Amen-Hotep III, s.o. Und von der Erschaffung der „Welt“ ist zumindest auf dieser Darstellung nichts zu sehen.

[187] Christlicher Schöpfungsglaube wird hier verkürzt auf Dogmen und mit Aberglauben gleichgesetzt. „Stärker“ (und richtig, und allein ernst zu nehmen) sind dagegen die (unumstößlichen) Entwicklungs­gesetze. Gleichzeitig wird naturwissenschaftliches Arbeiten in eine „notwendige“ enge Verbindung mit einem bestimmten philosophischen Weltbild, dem materialistischen, gebracht.

[188] Darwins Evolutionstheorie wird dafür in Anspruch genommen, das naturwissenschaftliche Fundament für die Ge­sellschaftstheorie des Marxismus zu liefern. Die Darstellung im Lehrbuch ist jedoch einseitig und nimmt z.B. das tatsächliche Verhältnis von Darwin zu Marx und Engels nicht wahr.
Zwar waren Marx und Engels ihrerseits sehr angetan von Darwins Einsichten:

Friedrich Engels las Darwins Buch von der „Entstehung der Arten“ drei Wochen nach Er­scheinen, Karl Marx erst ein Jahr später. Marx schrieb an Engels: „... dies ist das Buch, das die naturhistorische Grundlage für unsere Ab­sicht enthält“, und äußerte Lasalle ge­genüber: „Sehr bedeutend ist Darwins Schrift und passt mir als naturwissen­schaftliche Unterlage des geschichtlichen Klassenkampfes.“

(Q8 Darwin, Ch.: Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl, Reclam Leipzig 1980, Anhang S.539f.)

Karl Marx selbst übersandte Darwin im Juni 1873 die zweite Auflage der deutschen Aus­gabe des „Kapitals“ mit einer Widmung, in der er sich als „sincere admirer“ [aufrichtiger Bewunderer JK] Darwins bezeichnete. Darwin bedankte sich. Dass jedoch Karl Marx eine förmliche Anfrage an ihn gerichtet habe, ihm das Buch widmen zu dürfen, und Darwin das definitiv abgelehnt habe, ist eine Legende (eine solche Anfrage mit Ablehnung gab es 1880 durch den späteren Schwiegersohn von Karl Marx, Aveling,dabei ging es aber um eines von dessen Büchern)
(http://friendsofdarwin.com/articles/2000/marx )
Friedrich Engels sagte am Grabe von Karl Marx: „Wie Darwin das Gesetz der Ent­wicklung der organischen Natur, so entdeckte Marx das Entwicklungsgesetz der Ge­schichte.“

 

[189] Interessant ist auch hier wieder der Verweis auf die „weltanschaulichen Positionen“ des Forschers – nur mit der richtigen (= marxistischen) Weltanschauung kommt man zu wahren Einsichten in den Naturwissenschaften. Weltan­schauung geht der Forschung voraus, gibt ihr das Fundament.

[190] Hier wird unterstellt, dass die Deutung der Welt als „Schöpfung“ eine „Theorie“ sei, die – auf gleicher Ebene - an naturwissenschaftlichen Vorstellungen zum Ablauf der Naturgeschichte gemessen werden müsste und könnte. Dass viele Menschen den biblischen Schöpfungs„bericht“ am Anfang der Bibel als Tatsachenbericht verstanden ha­ben und z.T. auch heute noch verstehen (nicht nur im „Kreationismus“!), soll hier nicht bestritten werden. Aber das ist nicht das einzig mögliche Verständnis der Texte: Diese werden heute in den großen christ­lichen Kirchen nicht als Tatsachendarstellungen verstanden, sondern existenziell-symbolisch gedeutet – sie können daher nicht in einem Konkurrenzverhältnis zu Einsichten der Naturwissenschaft stehen.
Dass Schöpfungsvorstellungen den „Anfang“ (den tragenden Ur-Grund, Ur-Sprung) von Welt und Mensch nicht im Naturgeschehen verorten, stellt Gott und den Schöpfungsglauben tatsächlich „außerhalb des wissenschaftlich er­forschbaren Bereiches“.

[191] In der Denkweise des marxistischen Wissenschaftsverständnisses, nach dem
a) die ganze Welt für den Menschen er­kennbar ist und
b) allein der Blick der Naturwissenschaft zu legitimen und ernst zu nehmenden (weil „wissenschaftlich begründe­ten“) Einsichten führen kann,
waren Schöpfungsvorstellungen daher suspekt und überflüssig:

Der Ansatz des Marxismus (wie jeder Ideologie) war es, aus der Sichtweise von nicht hinterfragbaren endgültigen ewigen Wahrheiten (Dogmen) Vorgaben abzuleiten, die festlegten, in welchem Rahmen Wissenschaft überhaupt ar­beiten und Entdeckungen machen „darf“. Die Denkverbote wurden natürlich vornehm mit vermeintlich „objektiv“ vorgegebenen Einschränkungen begründet.

Im Verständnis der modernen Wissenschaftstheorie dagegen ist der Erfahrungs- und Erkenntnishori­zont der Natur­wissenschaft methodisch begrenzt und erfasst nicht die ganze Wirklichkeit – Aussagen über diesen akzeptierten Ho­rizont hinaus (zum Beispiel Fragen nach dem Sinn und dem Ziel des menschlichen Daseins oder zur Ethik) sind im Rahmen der Naturwissenschaft nicht zulässig und nicht zu lösen, aber sie dürfen „außerhalb“ durchaus gestellt und beantwortet werden.

Eine (kritische) Reflexion über Arbeitsgegenstand und Begrenzungen naturwissenschaftlicher Erkenntnis findet aber in dem Lehrbuch nicht statt.

[192] Auch wenn in den vorhergehenden Sätzen auf „unbekannte Abläufe“, das Fehlen „völliger Klarheit“ und „Lü­cken“ im Erkenntnis­prozess hingewiesen wird, liegt doch letztlich die Betonung darauf, auf die „Richtigkeit der materialistischen Auffassung“ hinzuweisen, dass „die Welt erkennbar ist“, und dass dafür naturwissenschaftlich fundierte „Beweise“ vorliegen.

[193] Hier wird noch einmal das erklärte Ziel deutlich, den Schülern einen engen „Zusammenhang von Biologie und Weltanschauung“ zu vermitteln.

[194] Nach G. Vollmer hat Popper selbst sein Urteil über die Evolutionstheorie („als „Metaphysik“) 1977 wider­rufen (Q26 Vollmer, G.: Biophilosophie, Reclam, Stuttgart, 1995, S.35)

 

[195] Das kann durchaus zu weiterer Verwirrung beitragen, vor allem bei Menschen, die dem christlichen Glauben fern stehen: Manchmal unterscheiden sich Glaubensvorstellungen auch noch zwischen Christen, die unterschiedlichen Konfessionen angehören (dann sind nämlich ihre Bekenntnisse = confessiones verschieden).

[196] Das ist schon starker Toback! Wenn jemand für die Klärung des Verständnisses von „Schöpfung“ zuständig ist, kann das nur die Theologie sein. Und die Theologie war es doch, die lange ein wörtliches Schöpfungsverständnis hatte (inklusive Konstanz der Arten), es gelehrt und verteidigt hat, von dem sie heute meint, dass es falsch gewesen sei. Dann kann man aber nicht gemäß dem Motto „Haltet den Dieb!“ die Naturwissenschaftler für die Missverständ­nisse verantwortlich machen!

[197] Der dänische Astronom Tycho Brahe schlug 1587 einen Kompromiss (zwischen dem ptolemäischen und dem koper­nikanischen Weltbild) vor: Die Erde bleibt im Zentrum, umkreist von Mond und Sonne … die Sonne wiederum steht im Mittelpunkt der Kreisbahnen der anderen Planeten …
Johannes Kepler machte sich in seinem Werk „Astronomia Nova“ (1609) an den Nachweis, dass sich sowohl nach dem ehrwürdigen geozentrischen System des Ptolemäus als auch nach dem neuen heliozentrischen System des Ko­pernikus die einigermaßen sicheren Positionen der Planeten errechnen lassen. Auch wenn man beide Systeme kom­biniert, wie es Tycho Brahe getan hat, kommt man zu vernünftigen Ergebnissen. Alle drei Systeme sind geometrisch und mathematisch miteinander kompatibel. Die bloße Beobachtung und die Beschreibung der Phänomene bringt also keine Entscheidung über falsch oder richtig … Kepler ging den Schritt von der reinen Beobachtung zur be­gründenden Erklärung … probierte viele Möglichkeiten … und kam zu dem Resümee: „Also ist die Planetenbahn eine Ellipse … “

Galilei hatte Keplers „Astronomia Nova“ wohl nicht gelesen, jedenfalls erwähnt er nichts davon. Noch 1632 schrieb er in seinem „Dialog“ unbeirrt von Kreisen und nicht von Ellipsen, auf denen die Planeten um die Sonne laufen.

(Q63 bild der wissenschaft Heft 2/2009 S.54ff.)