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ORGANSPENDE

Pflicht aus Nächstenliebe oder Verstoß gegen die Menschenwürde ?

(Joachim Krause)

© Joachim Krause 2004

 

 

 

1. Organspende – (k)ein Thema ?

 

Wenn das Gespräch auf das Thema „Organspende“ kommt, wenn vielleicht auch noch das Fremdwort „Or­gantrans­plantation“ auftaucht – dann ist das für viele Menschen ein Thema, das nicht nur fremd klingt, son­dern das auch weit weg zu sein scheint vom eigenen Alltag.

Bei der Organtransplantation geht es um die „Verpflan­zung“ von menschlichen Organen, um ihre Entnahme aus dem Körper eines Verstorbenen und die Übertra­gung in den Körper eines anderen, lebens­bedrohlich erkrankten Men­schen. Das ist ein Vorgang, bei dem doch mancher nachdenklich wird, unruhig, vielleicht auch mit Angst reagiert. Es ist ein unbeque­mes Thema, das wir vielleicht ganz geschickt verdrän­gen – aber ist es wirklich so weit weg von unse­rem Alltag?

Bei Organspende geht es um nicht weniger als um Leben und Tod. Es geht um mein Dasein, um meinen Körper. Und wenn ich mein Leben im christlichen Ver­ständnis als Geschenk erfahre, meinen Körper und meine Organe als ein Stück von Gottes Schöpfung, die mir anvertraut sind, dann stellt sich irgendwo auch die Frage, wie ich mit diesem Ge­schenk verantwortlich um­gehe. Für manchen Christenmenschen kommen durch die moderne Medizin vielleicht auch alte Lehr­sätze ins Wanken. Wenn z.B. Martin Luther in seiner Erklärung zum Ersten Artikel des christlichen Glau­bens­bekennt­nisses sagt: „Ich glaube, dass Gott mich geschaffen hat ... mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder gegeben hat ...“ (Luther hätte auch genauer aufzählen können: Herz, Niere, Leber) - was bedeutet das, wenn ich weiß, dass heute zusätzlich auch Mediziner und Biologen beteiligt sind, wenn Or­gane im Körper eines Menschen ihre Funktion erfül­len?

Vielleicht bricht ja auch heftiger Streit aus, wenn es um eine konkrete Entscheidung für oder gegen Or­ganspende geht: Ist sie (entweder) eine selbstver­ständliche Pflicht, der aus christlicher Nächstenliebe nachzukommen ist, oder handelt es sich hier um einen unerlaubten Eingriff in die Ordnung der Schöpfung?

 

2. Zwischen Ermutigung und Ablehnung

 

Organspende – gibt es da eigentlich viel zu reden?

In meiner Regional­zeitung erscheint in regelmäßigen Abstän­den eine Annonce.

Dort wird ohne Wenn und Aber eine klare Entschei­dung erwartet: „Or­ganspende – sag JA!“. Wenn meine Or­gane mir selbst nicht mehr dienen können, dann sollte ich wenigstens bereit sein, anderen Men­schen zu hel­fen ...

Für manche Zeitgenossen ist das nicht ganz so ein­fach, sie sind hin- und hergerissen zwischen Ermuti­gung und Angst.

Da lese ich auf der einen Seite Be­richte über Organ­spende mit folgen­den Überschriften:

 

„Hoffen auf die Mangelware Spenderorgan“

„Organentnahme zur Rettung eines Lebens ist eine gute Tat“

„Großer Akt der Nächstenliebe nach dem Tod“

„Organspende gibt Kranken neuen Mut“

„Nach dem Tod beginnt ein neues Leben“

 

Von Mut ist die Rede, von guten Taten, von Hoffnung – viele Gründe, endlich JA zu sagen!?

Vielleicht entdecke ich am nächsten Tag in meiner Zeitung eine ganz andere Überschrift, die mich nach­denklich stimmt oder gar erschreckt:

 

„Gentechnisch veränderte Schweine – mögliche Organspender für Menschen?“

„Organ-Handel: Billige Spendernieren in Indien“

„Säuglinge ohne Großhirn – lebende Organban­ken?“

„Ist „hirntot“ tot genug?“

 

Schweineherzen im Körper von Menschen (wenn es nicht genug menschliche Organe gibt)? Geschäfte­ma­cherei mit lebenswichtigen Organen auf Kosten von Menschen in armen Ländern? Darf man Kinder, die ohne funktionsfähiges Großhirn geboren werden und ohne intensivmedizinische Behandlung nur eine Le­benserwartung wenigen Tagen ha­ben, als „Organban­ken“ nutzen, um anderen Menschen zu helfen? In wel­chem besonderen Zustand erfolgt die Ent­nahme von Organen – ist der Mensch im Zustand des „Hirntodes“ richtig tot?

Wie soll ich mich entscheiden?

 

Ein italienisches Baby hat in Miami acht neue Organe erhalten. Sechs Mo­nate nach dem Eingriff gehe es dem siebeneinhalb Monate alten Mädchen gut, teilten die Ärzte mit. Der kleinen Alessia wurden Leber, Milz, Bauch­speicheldrüse, Dünn- und Dickdarm sowie zwei Nieren eingepflanzt. Es war die weltweit bislang umfangreichste Transplantation. Das Mädchen war mit einem Muskeldefekt zur Welt gekom­men, der eine normale Funktion der Organe unmöglich macht.
(Freie Presse Chemnitz 20./21.3.04)

 

3. Eine unmögliche Frage zum unmög­li­chen Zeitpunkt

 

Bei der Organverpflanzung geht es um eine Grenzsitu­ation. Es geht um meinen eigenen Umgang mit den Themen Sterben und Tod, unbequeme The­men, die wir – so lange es uns gut geht – gern ver­drängen.

Solche Fragen können uns aber schneller nahe kom­men, als uns lieb ist, und treffen uns oft unvorbereitet.

Ich möchte das an meinem eigenen Erleben deutlich machen:

Meine jüngste Tochter war vier Jahre alt. Eines Tages hatte sie an der Baustelle vor unserem Haus gespielt. Meine Frau hörte einen Schrei und fand das Kind, das aus zwei Metern Höhe auf die Steine gestürzt war, be­wusstlos. Zum Glück war Minuten später die Hausärz­tin zur Stelle, die eine Einweisung ins nächstgelegene Krankenhaus veran­lasste. Dort kam ich eine Stunde später dazu. Inzwischen hatten die Ärzte Röntgen­auf­nahmen anfertigen lassen. Ihre Diagnose: Schädel­ba­sisbruch. Das klingt schlimm, aber wenn es dabei bleibt, „verwächst“ sich auch das. Aber immer wieder trat bei unserem Kind Bewusstlosigkeit auf, klärungs­bedürftig, und so fuhren wir hinter einem Auto mit Blau­licht her zum nächsten großen Krankenhaus. Zwei quälend lange Stunden saßen wir Eltern auf dem Gang, während unser Kind untersucht wurde. Dann traten zwei Ärzte an unseren Tisch und erklärten uns, dass sie inzwischen genauere Röntgenaufnahmen (Computer­tomographie) durchgeführt hatten. Das Er­gebnis: Im Gehirn war eine Blutung aufge­treten, die bisher noch nicht zum Stillstand gekommen war. Das konnte kritisch werden und die lebensnotwendige Sauerstoffzufuhr zum Gehirn unterbrechen. Eine Ope­ration zur Druck­entlastung war erwogen worden, aber ein guter Aus­gang zu unsicher. „Wir können jetzt alle nur den Verlauf der nächsten Nacht abwarten, hoffen, beten“ – so die Ärzte. Das geschah, meine Frau blieb über Nacht am Bett auf der Intensivstation. Und am nächsten Morgen kam die Entwarnung. Die Blutung im Gehirn hatte sich nicht mehr ausgeweitet. Unser Kind lag danach noch zwei Wochen auf der Kinderstation und kehrte dann – bisher ohne Neben- und Folgewir­kungen des Unfalls – nach Hause zurück. Aber mir ist im Nachdenken über diese dramatischen Stunden sehr schnell deutlich ge­worden, dass bei einem etwas ande­ren Unfallverlauf die Mitteilung der Ärzte auch anders hätte lauten kön­nen: „Wir haben alles ver­sucht, aber wir können Ihr Kind nicht mehr retten. Die Blutung im Gehirn hat die Sauerstoffzufuhr abge­schnitten. Das Gehirn beginnt be­reits abzusterben. Ihr Kind ist tot, hirntot. Aber seine Organe funktionieren noch. Wären Sie bereit, die Or­gane Ihres Kindes frei­zugeben – z.B. für ein Kind mit einem schweren Herzfehler, das ohne ein Spenderherz nur noch we­nige Monate zu leben hat?“ – Damals hätte mich eine solche Frage völlig unvorbereitet getroffen, und ich weiß nicht, wie ich entschie­den hätte, und ob das eine Entscheidung gewesen wäre, mit der ich hätte leben können.

 

Wie sehen Ihre eigenen Erfahrungen aus? Kennen Sie Menschen, die Organe empfangen haben oder die zu Organ­spendern geworden sind? Denken Sie viel­leicht an einen Medienbericht, an einen Film, der sie ermutigt oder nach­denklich gemacht hat? Welche Gefühle, wel­che Fragen gehen Ihnen durch den Kopf? Haben Sie sich schon mit die­sem Thema auseinan­dergesetzt, vielleicht auseinandersetzen müssen, ha­ben Sie sich vielleicht schon klar entschie­den, zu ei­nem JA oder NEIN gefunden?

Auch die Umkehrung der Situation sollten wir uns deut­lich machen. Meist diskutieren wir die Frage der Organ­spende aus der Sicht, dass wir selbst als mögli­che Spender betroffen sind. Viel wahrscheinlicher ist es aber, dass ich (oder mein Kind) in eine lebensbe­drohli­che Situation komme, in der ein neues Organ vielleicht mein Leben retten könnte.

 

„Wenn ich selbst in einer lebensbedroh­li­chen Si­tua­tion - für mich oder für mein Kind - ein Spen­der-Organ in Anspruch nehmen würde, dann sollte ich auch bereit sein, meine Organe für andere zur Ver­fü­gung zu stellen.“

 

Viele Menschen haben sich zwar schon mit der Frage der Organspende auseinandergesetzt, aber die meis­ten haben für sich selbst keine Festlegung getroffen. Das heißt aber, im kritischen Fall, wenn ich mich selbst nicht mehr äußern kann, bürde ich meinen An­gehörigen, die dann gefragt werden, eine schwer zu tragende Ent­scheidung auf: sie sollen dann bestim­men, ob mir Or­gane entnommen werden dürfen oder nicht. Bei einer aktuellen Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung waren 2010 74% der Befragten zwar grundsätzlich damit einverstanden, nach ihrem Tod Organe und Gewebe zu spenden; gleichzeitig hatten aber weniger als 25% einen Organspendeausweis ausgefüllt. An anderer Stelle wurde mitgeteilt, dass von weiteren 12% mündliche Äußerungen bekannt sind.

Im Weiteren sollen zunächst einige Fakten und Zusam­menhänge rund um die Praxis der Organverpflanzung mitgeteilt werden. Danach sollen die gesetzlichen Re­gelungen für Deutschland dargestellt werden. Wir wol­len der wichtigen Frage des „Hirntodes“ nachgehen, und am Schluss noch fragen, wie sich Religionen und Kirchen zur Organspende stellen.

 

 

4. Einige Fakten und Zusammenhänge rund um das Thema „Organtransplan­ta­tion“

 

4.1. Geschichte der Organverpflanzung

 

Die Geschichte der Verpflanzung von Organen be­gann 1954. Damals gelang es in den USA erstmals, Nieren erfolg­reich zu verpflanzen. Der Eingriff erfolgte bei ein­eiigen Zwillingen, sodass es von der Gewebe­verträg­lichkeit her keine Probleme gab.

Wesentlich größer war die Aufmerksamkeit in den Me­dien im Jahr 1967, als ein ehrgeiziger junger Arzt in Südafrika es als erster wagte, ein menschliches Herz zu verpflanzen. Der Patient Louis Washkanski lebte (nur) 18 Tage mit dem neuen Herzen. Zum Vergleich: heute beträgt die durchschnittliche Überlebensdauer für Herztransplantierte 7 bis 8 Jahre.

Einige wichtige Voraussetzungen seien genannt, die in den letzten 50 Jahren deutliche Fortschritte in der Transplan­tationsmedizin möglich machten.

Man sammelte chirurgische Erfahrungen, wie ein Or­gan aus dem Körper des Spenders entnommen wer­den und in den Körper des Empfängers „eingebaut“ werden kann.

Die Intensivmedizin war immer besser in der Lage, le­bensbedrohliche Zustände so lange zu überbrücken, bis ein neues Organ bereitstand (künstliche Beat­mung, Kreislaufstabilisierung, Entgiftung des Körpers usw.).

Ganz wichtig war die Entwicklung von Medikamenten, die die Immun­abwehr der Patienten „abschalten“. Nor­malerweise reagiert der ge­sunde Organismus auf je­den „fremden Eindringling“ mit Abwehr­reak­tionen des Im­munsystems. Und so bekämpft er nicht nur krank­heits­erregende Bakterien, sondern versucht auch, Or­gane abzustoßen, die zwar von Menschen stammen, aber oft „fremde“ Gewebemerkmale tra­gen. Die neuen Medika­mente setzen die natürlichen Abwehrkräfte praktisch auf „Null“. Dadurch wird das eingepflanzte „fremde“ Organ vom Immunsystem nicht mehr be­kämpft und bleibt funk­tionsfähig. Aber es besteht eine neue Be­drohung: Der Körper des Patienten ist jetzt ex­trem anfällig für Infektionen – eine ganz normaler grippaler Infekt kann sich zu einer lebensbedrohlichen Lungenentzün­dung entwickeln. Als langfristige Ne­benwirkung treten auch Tumorerkran­kungen häufiger auf.

Wichtig ist auch die Konservierung von Organen, die von einem Körper in einen anderen verpflanzt werden sollen, aber in der Zwischenzeit oft über Hunderte Ki­lometer transportiert werden müssen. Die Organe werden nach der Ent­nahme mit speziellen Flüssigkei­ten gespült und unter Eiskühlung aufbewahrt. So kann man Nieren inzwischen mehr als 24 Stunden lang erfolgreich kon­servieren. Bei anderen Organen sind die Fort­schritte geringer: menschliche Herzen und Lungen lassen sich höchstens 4 bis 6 Stunden außerhalb eines Körpers in einem für die Verpflanzung geeigneten Zustand hal­ten, Lebern und Buchspeicheldrüsen 10-12 Stunden.

 

4.2. Zum aktuellen Stand der Organver­pflanzung in Deutschland

 

Bei der Organverpflanzung, wie sie auch im deut­schen Transplantationsgesetz geregelt wird, geht es im enge­ren Ver­ständnis um die Übertragung von gro­ßen, le­benswichtigen Organen, die von hirntoten Pati­enten stammen:

 

Spender-Organe:

Herz, Lunge, Niere, Leber, Bauchspeicheldrüse

 

Außer diesen Möglichkeiten der Organspende gibt es noch weitere:

Es besteht zum einen die Möglichkeit der LEBEND­SPENDE. Hier werden Organe oder Teile von Orga­nen übertra­gen, ohne dass der Tod des Spenders notwen­dig ist. Zu denken ist im einfachsten Falle an Blut­spende, wobei die Entnahme eines Teils dieses „flüssi­gen“ Organs dem Spender nicht schadet. JA zu dieser Form der „Organspende“ zu sagen, sollte nicht schwer fallen. Lebendspende ist auch bei einigen der großen Organe möglich. Im Normalfall besitzt ein ge­sunder Menschen zwei funktionsfähige Nieren, die seinen Kör­per entgiften. Es ist möglich, einem ande­ren Menschen eine Niere zu spenden (in Deutschland nur unter Ver­wandten oder einander nahe stehenden Personen zulässig), weil im Normalfall auch die verblei­bende zweite Niere allein die notwen­digen Funktionen erfüllt. Allerdings lebt der Spender für den Rest seines Lebens mit einem erhöhten Risiko – die verbliebene Niere darf nicht versagen. Derzeit ist etwa jede fünfte Niere, die in Deutschland übertragen wird, eine Le­bendspende. Lebendspende ist auch bei Le­berver­pflanzungen möglich (betrifft in Deutschland etwa 8 % aller verpflanzten Lebern). Zwar besitzt der Mensch nur eine Leber, ohne die er nicht leben kann, aber er kann einen Teil seiner Leber spenden. Die Le­ber ist ein be­son­deres Organ, das sich je nach dem Bedarf in einem Körper „zurechtwächst“. So könnte ein Vater sich ein Drittel seiner Leber (125 bis 250 Gramm) entnehmen lassen. Das fehlende Stück wächst in seinem Körper innerhalb von Monaten nach. Und das verpflanzte Teil­stück passt sich im Körper seines Kindes den Größen­verhältnissen an und wächst mit.

Manche Organe lassen sich auch von LEICHEN ent­nehmen. In Deutschland werden jedes Jahr vielfach Augen-Horn­häute, Herzklappen, Hirnhäute, Knochen, Teile der Blutgefäße, Hautstücke, Knorpel und Sehnen verpflanzt.

 

Für die Zahlen der jährlich verpflanzten großen Or­gane ergibt sich für Deutschland folgendes Bild. Seit 1963 sind in Deutschland mehr als 70000 Organe übertragen worden. Um sich die Größenordnung deut­lich zu ma­chen: Jeden Kalendertag werden in Deutschland 1 Herz, 2 Lebern, 6 Nieren verpflanzt.

 

Organverpflanzungen in Deutschland

(Anzahl pro Jahr)

Organ

1997

1999

2001

2003

2005

2006

2011

Niere

2249

2275

2346

2516
(davon 405 Lebendspenden)

2679
(489 L.)

2776
(522 L.)

1862

Leber

762

757

757

855
(davon 74 Lebend­spenden)

952
(64 L.)

1063
(92 L.)

1015

Herz

562

500

409

393

395

412

341

Lunge

120

146

139

212

262

253

268

Bauchspeicheldrüse

146

218

212

191

165

141

16

Dünndarm

 

 

 

8

2

1

 

Summe alle Organe

3839

3896

3863

4175

4455 (davon 553 Lebendspenden)

4646
(614 L.)

 

 

In den letzten Jahren hat sich kein deutlicher Trend ge­zeigt, die Zahl der gespendeten Organe hat weder zu- noch hat sie dramatisch abgenommen.

Von Medizinern wird gerade angesichts dieser erfolg­reichen Bilanzen immer wieder auch auf ein schmerz­liches Defizit aufmerksam gemacht: Viele Patienten, die auf den Wartelisten für Spenderorgane geführt werden, können wegen des fehlenden „Angebots“, der fehlen­den Spendebereitschaft in Deutschland, nicht rechtzei­tig ein neues Organ erhalten. So kommen auf Zweiein­halbtausend erfolgreich verpflanzte Nieren im Zeitraum eines Jahres mehr als vier Mal so viele Pati­enten, die auf der Warteliste stehen (wobei das ver­gebliche War­ten für Nierenpatienten keine tödliche Gefahr darstellt – sie können auch mit der Dialyse als Alternative über-le­ben, allerdings würde für sie eine transplantierte Niere eine deutliche Verbesserung ih­rer Lebensqualität be­deuten). Insgesamt wurde für Deutschland die Zahl der Pa­tienten, die aus medizini­scher Sicht ein neues Organ benötigen, für das Jahr 2011 auf etwa 11.300 beziffert. Jedes Jahr sterben etwa 1000 Patienten „auf der Warteliste“, weil für sie kein geeignetes Organ zur Verfügung steht.

 

Bei den Zahlenangaben zu den gespendeten und ver­pflanzten Organen ist folgendes zu berücksichti­gen. Über Or­ganspende ist nur bei Hirntoten zu reden. Nach Schätzungen entfallen 0,5 bis 1 Prozent der etwa 900.000 jährlichen Todesfälle auf den Hirntod, also stünden theo­retisch 5000 bis 10.000 potenzielle Organspen­der zur Verfügung).

Diese müssen sich aber in diesem kriti­schen Zustand auch noch auf einer Intensivstation be­finden (dort macht ihr Anteil etwa 10% der Verstorbe­nen aus). Wegen der so begrenzten Zahl, aber auch wegen fehlender Meldungen ge­eigneter Spender durch die Krankenhäuser kommt es in der Praxis in Deutsch­land nur zur Erfassung von etwa 2000 potenziellen Spen­dern pro Jahr. Im Jahr 2002 kam es nur bei etwa 54% der ge­melde­ten Spender tatsächlich zu einer Or­gan­entnahme (wichtigster Grund für den Ausschluss war die Ablehnung durch Angehörige). Den reichlich tau­send Menschen, die im Laufe eines Jahres tatsäch­lich zu Organspendern werden, entnimmt man in der Regel mehrere Or­gane, sodass mehr als 4000 zur Verfü­gung stehen, die auf verschiedene Empfänger verteilt werden können.

 

Die Vermittlung und Verteilung der Organe ist für Deutschland wie folgt geregelt:

Deutschland gehört zusammen mit fünf weiteren Län­dern (Niederlande, Belgien, Luxemburg, Österreich, Slowenien und Kroatien) zu einem Staatenverbund, der die Organtransplantationen gemeinsam organisiert (EUROTRANSPLANT). In den beteiligten Ländern gibt es etwa hundert zugelassene Spezialkliniken, in de­nen Transplantationen durchgeführt werden können, etwa die Hälfte davon befinden sich in Deutschland (in Sach­sen sind z.B. die Uni-Kliniken in Dresden und Leipzig entsprechend ausgestattet).

Der Ablauf einer Organspende: Wir stellen uns vor, dass ein Mann bei einem Autounfall in Ostsachsen schwer ver­letzt wurde. In dem Bemü­hen, dein Leben zu retten, wurde er auf die Intensivstation einer Dresd­ner Klinik gebracht. Dort hat sich herausgestellt, dass ihm nicht mehr geholfen werden kann, weil sein Gehirn durch die Verletzung so ge­schädigt ist, dass die Sauer­stoffversorgung nicht mehr funktioniert und bereits Absterbeprozesse eingesetzt haben. Dieser Zustand, in dem ärztliche Kunst nichts mehr für den Patienten tun kann, muss als „Hirn­tod“ nach vorge­schrie­benen Prüf-Regeln amtlich festgestellt worden sein. Wenn Organe des hirntoten Patienten noch funktionieren, also auch im Körper eines anderen Menschen ihren Dienst tun könnten, müsste zunächst erfragt werden, ob eine Zu­stim­mung des Betroffenen selbst zu einer Organspende vorliegt, oder seine An­gehörigen müssten ersatzweise um Zu­stimmung ge­beten werden. Erst wenn eine Zu­stim­mung vorliegt, würde Kontakt mit der Vermittlungs­zentrale von EU­ROTRANSPLANT in der holländischen Stadt Leiden aufgenommen. Im dortigen Zentralcom­puter sind die medi­zini­schen Daten aller Patienten ge­speichert, die in den sechs Teilneh­merländern auf den Wartelisten für Organe stehen. Der Computer ver­gleicht jetzt die Da­ten (Körpergröße, Gewicht, Blutgruppe, Informationen über Zustand des Kreislaufs, mögliche Infektionen und Krankheiten, verabreichte Medikamente), die ihm von dem potenziellen Organ­spender gemeldet werden, mit den Da­ten der Patienten auf der Warte­liste, um Spender-Empfänger-Paare zu finden, für die möglichst viele Merkmale übereinstimmen, damit späteren Abstoßungsreaktio­nen der Organe vor­gebeugt wird.

 

Faktoren für die Reihenfolge bei der Organver­gabe:

+ Übereinstimmung der Gewebemerkmale

+ Berücksichtigung der genetischen Chance (Vorrücken bei seltenen Merkmalen)

+ abgelaufene Wartezeit

+ Entfernung zwischen dem Ort der Organentnahme und dem Empfänger-Zentrum

+ Ausgleich der Spender-Empfänger-Bilanz zwischen den Partnerländern von „Eurotransplant“

 

Bei der Vermittlung spielen ausschließlich medizi­nisch-biologische Krite­rien eine Rolle, der Computer ist weder mit Geld bestechlich noch hat er „Beziehun­gen“ (dass in all den Jahren der Arbeit von EUROTRANSPLANT nie Anlass war, über Unregelmä­ßigkeiten bei der Or­ganvermittlung zu berichten, spricht für die Transparenz des Verfah­rens und die Einhaltung der Regeln).

Wenn der Computer einen jeweils „passenden“ Emp­fänger-Patienten für die verschiedenen Organe des Spenders gefunden hat, klingeln die Te­lefone – z.B. bei einem Herzpatienten und parallel bei „seiner“ Kli­nik in Kiel, die Leber ist für einen Empfänger in Wien geeignet und eine Niere passt am besten für einen Patienten in Brüssel.
Sobald ein passender Empfänger gemeldet ist, wird die Deutsche Stiftung Organspende (DSO) informiert, die den Transport organisiert.

Jetzt folgt die Organentnahme. Sie wird in der Klinik durchgeführt, in der der Spender auf der Intensivsta­tion liegt. In Kiel, Wien und Brüssel star­ten Operati­ons-Teams (per Hub­schrauber oder Flugzeug), bege­ben sich sofort nach der Ankunft in den Operations­saal und entnehmen dem Spender das jeweils für ih­ren Patienten benötigte Organ. Die entnommenen Organe werden mit gekühlter Konservierungslösung durchspült, in sterile Tütensystem verpackt, die in spezielle, mit Eis gefüllte Styroporboxen gelegt werden; während des Transports muss eine Temperatur von vier Grad Celsius konstant gehalten - auf dem schnellsten und kürzesten Weg transportiert (oft per Flugzeug oder Hubschrauber) und in der Heimat­klinik dem Patien­ten eingepflanzt.

Allein am Beispiel des notwenigen Lufttransports wer­den die relativ hohen Kosten einer Organverpflan­zung deutlich. Die Transplantation von Herzen und Lebern ist am teuersten und wird der Klinik mit bis zu 124.000 €uro vergütet. Eine Nieren­verpflanzung kostet im ersten Jahr etwa 50.000 €uro (dabei ist allerdings zu beachten, dass die für die Be­troffenen quälende Dialyse eben­falls teuer ist und bei einer gelungenen Transplantation die Kranken­kasse im dritten Jahr Geld spart). Die Kosten wer­den in Deutschland voll von den Krankenkassen getragen.

 

Für das Alter der Spender und Empfänger von Orga­nen gibt es in Deutschland keine Begrenzung. Es gibt sowohl Kinder, in deren Brust bereits wenige Stunden nach ihrer Geburt ein neues Herz schlägt, als auch alte Mitbürger, die im Alter von 80 Jahren sowohl als Spen­der als auch als Empfänger einer Niere in Frage ka­men.

 

Die Spender von Organen sind nicht vorrangig – wie immer wieder vermutet wird – junge Motorradfahrer. Das Durch­schnittsalter liegt in Deutschland bei etwa 45 Jah­ren (etwa jeder fünfte Spender ist älter als 60 Jahre). Unter den Organspendern be­finden sich viele Men­schen, die nicht nur durch Unfälle (äußere Verlet­zun­gen), sondern mehrheitlich (75%) durch tödlich verlau­fende Komplikationen bei anderen Krankheiten (z.B. spontane Hirnblutungen, Bildung von Hirntumo­ren) in den Zu­stand des „Hirntodes“ kommen.

 

Die Mehrorganspende ist der Normalfall. Bei einer Zu­stimmung zur Organspende werden dem Spender (wenn er in seinem Spenderausweis nichts anderes verfügt hat) alle Organe entnommen, die brauchbar sind. Im Durchschnitt wurden Organ­spendern in Deutschland im Jahr 2002 drei Organe entnommen.

 

Für die Empfänger von Organen ist die Transplanta­tion nicht ein einfacher Aus­tausch einer defekten Ap­paratur. Die Patienten bekommen ein „gebrauchtes“ Organ (Verschleiß?), dessen Vorgeschichte und Vor­schädi­gungen durch Krankheiten nicht genau bekannt sind (z.B. könnte eine erfolgreich verpflanzte Leber mit Gelbsucht oder Tollwut infiziert sein, und diese tödliche Er­krankung bricht Jahre später beim Empfänger aus). Transplanta­tionspatienten bleiben, auch bei ge­lunge­ner Verpflan­zung, dauerhaft abhängig von medizini­scher Betreuung und Medikamenten (die z.B. die Im­munab­wehr „ab­schalten“, aber auch deutliche Neben- und Folgewir­kungen haben). Sie leben – zumindest theoretisch - in ständiger Anste­ckungsge­fahr (Menschenan­sammlungen oder Gartenarbeit könnten also durchaus Gefahrenherde sein). Auch nach Jahren kann es in einzelnen Fällen zu biologischen Ab­stoßung der „fremden“ Organe kommen. Die meisten Or­gan­empfänger sind dankbar für die Lebensspanne, die ihnen mit dem neuen Organ geschenkt wurde, aber manche erle­ben auch psychi­sche Probleme mit dem „fremden“ Organ in ihrem Körper oder haben Schuld­gefühle („ein anderer Mensch musste sterben, damit ich leben kann“). Die Überlebensrate beträgt für die Emp­fänger neuer Or­gane inzwi­schen bei Herzen bis zu 22 Jahren, bei Nie­ren wurden sogar über 30 Jahre erreicht.

 

Gibt es Alternativen zur Verpflanzung menschli­cher Spenderorgane? Eine Möglichkeit besteht im Einsatz von elektromechanischen Teiltransplantaten, „Maschi­nen“, „chemischen Fabriken“, die außerhalb des Kör­pers oder - im Miniaturformat – in einge­pflanzter Form die gestörte Funktion wahrnehmen sollen. Aber trotz mancher mutmachender Erfolge (z.B. Herzpumpen, die fast zwei Jahre erfolgreich in Betrieb waren) sind ein „künstliches Herz“ usw. noch ferne Utopie.

Ein zweiter Weg könnte darin bestehen, im Labor funktionsfähiges Ersatzgewebe zu züchten und in die geschädigten Or­ganbereiche einzubringen. Hier setzt z.B. die Forschung mit Stammzellen an, die aber zu­mindest bei der Nut­zung „embryonaler Stammzellen“ umstritten ist und de­ren Erfolgsaus­sichten noch nicht abgeschätzt werden können.

Eine dritte Möglichkeit gibt es in der so ge­nannten „Xe­notransplantation“. Hierbei werden Tiere (z.B. Schweine, die in der Organgröße dem Menschen gut entsprechen und sich passgenau innerhalb weniger Monate züchten lassen) mit Hilfe von Gentechnik so manipuliert, dass das menschliche Immunsystem die Tierorgane nicht mehr als „fremd“ er­kennt und be­kämpft. Es gab bereits erfolgreiche Übertragungsversu­che zwischen verschiedenen Tier­arten. Gegen eine (ei­gentlich schon mögliche) An­wendung am Menschen sprechen ungelöste Fragen („schlummern“ z.B. in Tier­organen vielleicht Krank­heitserreger, die für den Men­schen tödlich wären?).

 

Organspenden erfolgen anonym, das heißt: Der Name des Spenders wird dem Empfänger nicht mit­geteilt. Umge­kehrt erfahren die Angehörigen eines Spenders nicht den Namen des Empfängers. Damit soll ausge­schlossen wer­den, dass Abhängigkeiten entstehen.

 

Organhandel? In einer Situation, in der nicht genü­gend Organe zur Versorgung der Patienten zur Verfü­gung stehen, kann dem Mangel auch mit Geld abge­holfen werden. Die Deutsche Stiftung Organtrans­plantation weiß von etwa 50 Patienten in Deutschland, die mit Nie­ren aus Osteuropa oder Asien leben. Nach Schätzun­gen kostete ein solches Organ in Indien etwa 50.000 Mark, wovon der „Spender“ durchschnittlich 1100 Dollar erhielt. Es wird geschätzt, dass in Indien Anfang der 1990er Jahre etwa 2000 Nieren pro Jahr von Le­bend-„Spen­dern“ bereitgestellt und in den Körper zah­lungskräftiger Patienten aus Westeuropa oder Nordamerika einge­pflanzt wurden. Sei 1994 ist diese Praxis in Indien offi­ziell verboten. Immer wieder gibt es auch Berichte, dass in der Volksrepublik China Ge­fangene hingerichtet wer­den, denen ohne ihr Einver­ständnis und gegen Dollar­zahlungen Organe ent­nommen werden. In Deutschland ist die Beteiligung an Organhandel – auch für Patienten – seit 1997 verbo­ten.

 

Organspende – ist das letztlich doch eine Erfolgsgeschichte mit breiter Zustimmung in der Bevölkerung?

Ein Maßstab für die Akzeptanz ist die Spendenbereit­schaft, und die hat in Deutschland kontinuierlich abge­nommen. Wenn Angehörige von Hirntoten in Kliniken um ihre Zustimmung gebeten wurden, sagten immer mehr NEIN.

 

NEIN zur Organspende durch befragte Angehö­rige:
1990: 10%  -  1991: 19%  -  1995: 32%  -  1999: 36%  -  2001: 40%  -  2002: 35%  -  2003: 35%  - 2004: 40%  - 2005: 39%  -  2009: 30%

 

Gründe dafür liegen zum einen in der Pro- und Kontra-Debatte, die in den Medien in der Vorbereitung des Or­gan­spendegesetzes geführt wurde, zum anderen auch in Einzelereignissen, wie dem Beispiel des so genann­ten „Erlanger Babys“ (Stuttgarter Ärzte ver­suchten Anfang der 1990er Jahre, eine Schwanger­schaft bei einer hirntoten Frau weiter­zufüh­ren mit dem Ziel der Geburt eines le­benden Kindes).

 

5. Unter welchen Bedingungen dürfen einem Menschen Organe entnommen werden?

 

Unter welchen Bedingungen dürfen einem Menschen Organe entnommen werden? Muss dabei jemand zu­stimmen, und wer darf – wo es um das Leben eines Menschen geht - eine solche Zustimmung erteilen?

 

 

5.1. grundsätzliche Möglichkeiten einer rechtlichen Regelung

 

Vereinfacht dargestellt gibt es zwei rechtliche Modelle, nach denen eine solche Regelung vorgenommen wer­den kann:

 

A) Widerspruchsregelung

Hier gilt als Grundsatz: Hat der Verstorbene zu Lebzeiten nicht aus­drücklich einer Organentnahme widerspro­chen, so können Körperteile zur Transplanta­tion entnommen werden.
In der Praxis haben die Hinterbliebenen immer die Möglichkeit zum Einspruch.
Die Regelung gilt nicht für Ausländer.

 

B) Zustimmungsregelung

Hier gilt als Grundsatz: Der Verstorbene muss einer Organentnahme zu Lebzeiten zugestimmt haben, etwa indem er einen Spendeausweis mit sich führt oder bei einem Register gemeldet ist.
Liegt keine Zustimmung vor, können die Ange­hörigen über eine Entnahme entscheiden (erweiterte Zustimmungs­regelung).
Grundlage der Entscheidung ist der mutmaß­liche Wille des Verstorbenen.

 

Die Widerspruchregelung führt dazu, dass in der Pra­xis mehr Spender-Organe zur Verfügung stehen. Die zu­rückhal­tendere Zustimmungslösung versucht den po­tenziellen Organspender stärker zu schützen.

Beide Modelle haben in den Rechtssystemen euro­päi­scher Staaten ihren Niederschlag gefunden: Eine Wi­der­spruchslösung gilt in 17 EU-Staaten, z.B. in Belgien, Österreich, Italien, Spanien und Tsche­chien (galt seit 1975 auch in der DDR). Eine Zustimmungs­lösung gibt es in sieben EU-Staaten (darunter z.B. die Niederlande und Großbritan­nien).

Beide Modelle überlassen dem Einzelnen die Entschei­dung. Er kann JA oder NEIN für seine Organe festle­gen. Sei­nem erklärten Willen ist dann auch statt­zugeben.

 

5.2. Die Regelungen im deutschen Trans­plantationsgesetz

 

Für Gesamtdeutschland wurde erst 1997 eine rechtli­che Regelung erlassen.

Der Wunsch des Gesetzgebers (§2(1)) ist eine breit an­gelegte Information der Bevölkerung (persönliche Aus­einan­dersetzung mit der Frage der Organspende zur eigenen Meinungsbildung; z.B. Gespräch beim Haus­arzt, Informa­ti­onsmaterial durch die Kranken­kasse, Veranstaltungen in Schulen).

Eine verbindliche Erklärung zur Organspende (§2(2)) kann abgegeben werden, ohne dass es dafür eine Formvor­schrift gibt (schriftliche Erklärungen sind wün­schens­wert; dafür existieren verschiedene Formulare, auf de­nen alle Möglichkeiten zum Ankreuzen ange­boten wer­den). Wer eine Erklärung abgibt, kann in eine Organ­entnahme einwilli­gen, ihr widersprechen oder die Ent­scheidung einer namentlich benannten Person seines Vertrauens übertragen (diese Vertrau­ensperson sollte natürlich wissen, dass sie in dieser Situation gefragt werden könnte, und sie sollte meinen aktuellen Willen kennen). Die Erklärung kann auf be­stimmte Organe be­schränkt werden. Die Einwilligung und die Übertragung der Entscheidung können vom vollendeten sechzehn­ten, der Widerspruch kann vom vollendeten vierzehnten Lebensjahr an erklärt werden. Eine solche Erklärung muss mit Datum und Unterschrift in Kraft ge­setzt und sie kann je­derzeit widerrufen werden.

 

Erklärung zur Organspende

 

...............................                .................................

Name, Vorname                 Geburtsdatum

...............................                .................................

Straße, Nr.                                           PLZ, Wohnort

 

O Ich bin Organspender: Ich möchte kranken Men­schen dadurch
    helfen, dass mir nach meinem Tod Organe/Gewebe zur
   Transplantation entnommen wer­den.

O Ich bin Organspender, ausgenommen folgende
   Organe/Gewebe ............................................................................

O Ich bin kein Organspender:
      Ich widerspreche einer Entnahme von Organen/Gewebe.

O Ich übertrage die Entscheidung über eine Organ­spende
    nach meinem Tod auf:
    .......................................................................................

    Name, Vorname, Anschrift, Geburtsdatum, Telefon

O Falls mir etwas zustößt, sollen folgende Perso­nen
    benachrichtigt werden:
    .......................................................................................

    Name, Vorname, Anschrift, Telefon

Anmerkungen / besondere Hinweise: ................................................................................................


...........                                    .....................

Datum                                   Unterschrift

 

Für den Fall, dass der Hirntod eines Menschen einge­treten und nach dem geltenden Stand der medizini­schen

Wissenschaft fachkundig und eindeutig festge­stellt ist, würde zunächst nach einer Willenserklärung des Patienten selbst für den Fall der Organspende ge­fragt. In jedem Fall - auch wenn eine zustimmende Er­klärung vorliegt - werden nahe Angehörige informiert (das dient auch der Absicherung, ob es sich wirklich um den „letzten Willen“ des Verstor­benen in dieser Angele­genheit handelt). Wenn keine eindeutige Erklä­rung des Betroffenen selbst vorliegt, werden nahe An­gehörige (in stabilen Lebenspartnerschaften auch an­dere „offenkun­dig nahestehende Personen“) befragt, die Auskunft darüber geben sollen, ob ihnen eine klare Meinungsbil­dung (der „mutmaßliche Wille“) des Be­troffenen zur Frage der Organspende bekannt ist. Es geht nicht darum, wie die Angehörigen selbst zur Or­ganspende stehen. Auch eine mündliche Äußerung des Verstorbe­nen bindet Angehörige wie Ärzte. Im Zweifelsfall (wenn z.B. mehrere Ange­hörige unter­schiedliche Standpunkte vertreten oder wenn eine rechtlich eigentlich zulässige Organent­nahme die An­gehörigen menschlich überfor­dert) ist von einer Or­ganspende abzusehen. In der Praxis lag im Jahr 2005 nur in 6 % der Fälle von Organspende eine ausdrückliche schriftliche Einwilligung der Spender vor. In 90 % der Fälle ga­ben An­gehörige an, den Willen des Spenders zu ken­nen bzw. sie vermuteten seine Bereitschaft – und bei 4 % trafen sie nach eigenen Vorstellungen eine positive Entscheidung für Organspende.

 

Für die Vermittlung und Verteilung der Organe (§§9-12) ist vorgeschrieben, dass in den Kliniken Wartelis­ten geführt werden müssen (wesentliche Kriterien sind me­dizinische Notwendigkeit und Erfolgsaussichten). Für die Organisation der Verteilung wird weiterhin das System von Eurotransplant genutzt.

Organhandel (§17) ist in jeder Form strafbar (z.B. für Patienten, Ärzte, Kliniken).

 

Transplantationsgesetz für Deutschland (1.12.1997)

(einige wesentliche Regelungen)


§2(1) Aufklärung der Bevölkerung

§2(2) Erklärung zur Organentnahme

    + Zustimmung - ab 16 Jahre möglich

    + Widerspruch – ab 14 Jahre möglich

    + Übertragung der Entscheidung auf eine Vertrau­ensperson (ab 16)

§3 Bedingungen für die Organentnahme

    + Zustimmung muss vorliegen

    + Feststellung des Todes nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft („Hirntod“)

    + Eingriff darf nur durch einen Arzt erfolgen

§4 Zustimmung anderer Personen

       (bei fehlender Willenserklärung des möglichen Organspenders)

    + nächste Angehörige (Rangfolge: Ehegatte, volljäh­rige Kinder, Eltern, volljährige Geschwister,
       Großeltern)

    + offenkundig nahestehende Personen (Lebenspartnerschaften)

    + Bedingung: persönlicher Kontakt in den letzten zwei Jahren

§§9-12 Organvermittlung

    + es sind Wartelisten zu führen

    + alleinige Kriterien für die Vermittlung: medizinische Notwendigkeit und Erfolgsaussicht

    + Krankenhäuser sind verpflichtet, potenzielle Spender zu melden

§17 Verbot von Organhandel

 

Am 12.7.2012 verabschiedete der Deutsche Bundestag ein „Gesetz zur Regelung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz“.
Darin wird nun in §1 deutlich betont, dass es „Ziel dieses Gesetzes ist, die Bereitschaft zur Organspende in Deutschland zu fördern.“

Bundesbürger werden künftig regelmäßig zu ihrer Spendenbereitschaft befragt; innerhalb eines Jahres sollen alle Versicherten ab 16 Jahre erstmals Post von ihrer Krankenversicherung bekommen.

In dem Schreiben werden sie aufgefordert, sich zu entscheiden, ob sie nach ihrem Tod Organe spenden wollen oder nicht. Eine Pflicht zur Entscheidung gibt es nicht.

Krankenhäuser, in denen Organe entnommen werden können, benötigen mindestens einen Transplantationsbeauftragten (potentielle Spender melden, Organspendeprozess koordinieren; Gespräche mit Angehörigen Verstorbener führen). 2010 galten etwa 1350 Einrichtungen als sogenannte Entnahmekrankenhäuser.

Lebendspender haben künftig Anspruch auf sechswöchige Lohnfortzahlung, für welche die Krankenkasse des Organempfängers aufkommen muss.

Krankenkassen dürfen die Spendebereitschaft auf der Gesundheitskarte verzeichnen.

 


6. Wann ist ein Mensch „tot“? Das Hirntod-Problem

 

Allen Beteiligten ist klar: Organentnahme ist nur bei Toten zulässig!

Aber wann ist ein Mensch wirklich („richtig“) tot? Gibt es dafür eindeutige Kennzeichen?

Heute noch werden mehr als 99 Prozent aller Todes­fälle (außerhalb von Intensivstationen) von Ärzten auf „klassische“ Art und Weise festgestellt (bis in die 1950er Jahre war das die einzige Art der Todesfest­stellung). Es handelt sich um den „klinischen Tod“, den „Herztod“, bei dem ein Arzt aufgrund seiner klini­schen Erfahrung Sachverhalte feststellt: Die Atmung hat aus­gesetzt, das Herz schlägt nicht mehr, der Kreislauf ist zusammengebrochen, später kommen wei­tere „Todes­zeichen“ dazu wie Totenstarre, To­tenflecken.

In den letzten Jahrzehnten sind immer bessere Techni­ken entwickelt worden, die es möglich machen, Men­schen, die eigentlich schon klinisch tot waren, wieder­zubeleben. Bei­spiele sind Herzdruckmassage oder Elektroschocks, um das Herz wieder zum Schla­gen zu bringen, der Einsatz künstli­cher Beatmung, das Verab­reichen von Medikamenten, die den Kreis­lauf (wieder) in Gang bringen. In solchen Grenzsitu­ati­onen erweist sich die „klassische“ Todesfeststellung nicht immer als eindeutig. Auf den Intensivstationen der Kliniken lagen immer häufiger Patienten, bei de­nen viele Or­gane bio­logisch noch „arbeiteten“ oder de­ren Funktion künstlich auf­rechterhalten wurde – das Los dieser Patienten war aber nach medizinischer Er­fahrung nicht mehr zu verbessern, sie waren eigentlich schon tot ... Die Medi­zin suchte deshalb nach eindeu­tigeren, klinisch und wissenschaftlich nachprüf­baren Kriterien für den Tod eines Menschen.

 

Und so wurde in den 1960er Jahren der „Hirntod“ als zusätz­liches Todeskriterium eingeführt. Es handelt sich beim Zu­stand des Hirntodes um ein Phänomen, das in unserer All­tagserfahrung nicht vorkommt. Der Hirntod lässt sich nur im Bereich der Intensivmedizin feststellen. Entscheidend ist me­dizinisch, dass bei Hirntoten das Gehirn nicht mehr durch­blutet wird. Da­durch fällt die Sauerstoffversorgung aus, und das führt bereits nach fünf bis acht Minuten zu einer fort­schrei­tenden und nicht mehr umkehrbaren Schädigung des Ge­hirns, das unwiderruf­lich abzusterben beginnt. Ein we­sentlicher Unterschied zum Herztod (und damit zu un­seren Alltagserfahrungen mit „Tod“) besteht darin, dass der Kör­per eines Hirnto­ten noch viele Zeichen zeigt, die wir mit „Leben“ verbinden: Der Brustkorb hebt und senkt sich re­gel­mäßig (die beo­bachtete At­mung ist aber immer eine technisch be­wirkte künstli­che Beatmung!), der Puls ist fühlbar (bei künstlicher Beatmung funktioniert die Herztätigkeit von allein, ge­steuert vom Sauerstoffgehalt des Blutes), der Körper fühlt sich warm an (nicht nur die Haut, auch alle Or­gane mit Ausnahme des Gehirns sind weiter durch­blutet und werden mit Nährstoffen ver­sorgt), künstliche Ernährung ist mög­lich und auch die Aus­scheidung funktioniert. Trotz aller dieser „Lebens­zei­chen“ sind sich aber alle Mediziner sicher: wenn die Apparate abgeschaltet werden, brechen bei einem Hirntoten in­nerhalb weniger Minuten Herz- und Kreis­lauf endgültig zusammen. Die technischen Unterstüt­zungsmaßnah­men gaukeln uns gewissermaßen „Le­ben“ vor, wo ohne sie schon längst „Tod“ ist. Aus dem Zustand des Hirntodes gibt es kein Zurück in ein be­wusstes Da­sein. Wo Medien­berichte anderes be­haupteten, handelte es sich durchweg um Fälle, in denen nicht wirk­lich sachkundig und ein­deutig eine Hirntodfest­stellung erfolgt war.

 

KOMA – ein schillernder Begriff

1. „Bewusstlosigkeit“

Das Gehirn beansprucht bei 2% der Körper­masse 20% des Blutstromes. Bewusstlosigkeit tritt bei fehlen­der Durchblutung nach 3 bis 5 Se­kunden ein, nach 20 Sekunden erlischt die hirn­elektrische Tätigkeit im EEG. Be­reits nach we­nigen Minuten entstehen blei­bende Schäden der Hirnzellen. In der Regel erfolgt je­doch nur ein kurzfristiger „Blackout“, danach Aufwa­chen.

2. „Koma“

Koma heißt „tiefer Schlaf“. Es handelt sich um eine an­dauernde Bewusstlosigkeit, die durch äußere Reize nicht unterbrochen werden kann. Das Gehirn bleibt weiter aktiv (im EEG sind Hirnströme messbar).

3. „Wach-Koma“, „apallisches Syndrom“

Etwa 40000 Menschen in Deutschland erleiden jedes Jahr ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und geraten in den Zustand des „apallischen Syndroms“. Sie liegen im Koma, haben aber wache, offene Augen, können zwin­kern, haben Gefühle und Regungen sowie Wach- und Schlafzeiten. Die Verbindung des Mittelhirns zum Groß­hirn ist gestört (Unfall, Blutung, Ent­zündung). Die meisten Apalliker wachen nach einiger Zeit wieder auf, etwa 4000 liegen weiter im Koma – und nicht alle von ihnen können in ein halbwegs normales Leben zurück­geholt werden.

 

Die Feststellung des Hirntodes berechtigt Ärzte zur Ausstellung des Totenscheines. In der Folge dürfen jetzt die Appa­rate auf der Intensivstation abgeschaltet werden, da das Leben des Patienten nicht mehr zu retten ist. Es könnte nun aber auch an Organspende ge­dacht werden, weil die Organe des Hirntoten noch funktionie­ren und dieser Zustand des Patienten noch so lange aufrecht erhalten werden kann, bis eine Or­ganent­nahme erfolgt.

Die Körperfunktionen eines Hirntoten lassen sich nicht beliebig lange aufrecht erhalten. Bei den meisten Pa­tienten tritt ein Herzstillstand nach wenigen Tagen ein, im Extremfall sind aber auch erheblich längere Weiter­behandlungszeiten beobachtet worden: bei einer hirn­toten Schwangeren, die von einem gesunden Kind ent­bunden wurde, waren es 107 Tage (15 Wochen).

 

6.1. Definition und Feststellung des „Hirn­todes“

 

Die Feststellung des Hirntodes erfolgt in Deutschland nach klaren Vorschriften, die von der Bundesärzte­kammer er­lassen und in Abständen aktualisiert wer­den. Die Richtlinie von 1997 definiert den Hirntod wie folgt:

 

HIRNTOD

„Zustand der irreversibel (= unumkehrbar JK) erlo­schenen Gesamtfunktion des Großhirns, des Klein­hirns und des Hirnstamms (damit sind alle Teile des Gehirns erfasst JK). Dabei wird durch kon­trollierte Beatmung die Herz- und Kreislauffunk­tion noch künstlich auf­rechterhalten ... Festgestellt wird nicht der Zeitpunkt des eintretenden, sondern der Zu­stand des bereits eingetretenen Todes. …
dass mit dem Hirntod … naturwissenschaftlich-medizinisch der Tod des Menschen festgestellt wird“

 

Das Verfahren zur „amtlichen“ Feststellung des Hirn­todes ist detailliert geregelt:

A)      Die Erstellung einer Hirntoddiagnose muss durch zwei Ärzte erfolgen, die unabhängig von­einander zu der glei­chen Schlussfolgerung kommen. Dabei muss es sich um erfahrene Fachärzte für Gehirn- und Nerven­funktionen handeln (z.B. Anästhesisten, Neurologen). Kei­ner von Ihnen darf an einer späteren Or­gan-Ent­nahme oder –Über­tragung beteiligt sein.

B)      Grundvoraussetzung ist der zweifelsfreie Nach­weis, dass eine Hirn-Schädigung vorliegt (Un­fallverletzungen, Blu­tungen, Tumore, Ent­zün­dungen, Vergiftungen, Herz- und Lungener­krankungen, Herzinfarkte, Ertrinken, Ersti­cken).

C)      Die Ärzte prüfen, ob folgende Kennzeichen vor­liegen: tiefe Bewusstlosigkeit (aus der kein Aufwecken möglich ist), Ausfall der Spontan-Atmung, Ausfall aller Hirnfunktionen.

D)      In einer ersten unverzichtbaren Untersuchung werden klinische Symptome anhand einer vor­gegebenen Frage­liste geprüft, z.B. der Ausfall der Reaktion der Pupille auf intensive Be­leuchtung, das Ausbleiben eines Würgerefle­xes, wenn mit einem Spatel tief im Rachen ge­reizt wird oder die vorübergehende Abschal­tung der künstlichen Beat­mung (setzt die ei­gene Atmung ein?). Diese Untersuchungen können entweder nach einer Wartezeit wieder­holt werden (dabei sind mindestens 12, in man­chen Fällen bis 72 Stun­den vorge­schrieben). Statt der Wiederholung der klini­schen Prüfung können auch ergänzende ap­parative Untersu­chungen durch­geführt wer­den. Hier kommt zum Beispiel eine Messung der Hirnströme in Frage (EEG; am Schädel werden Elektroden ange­legt, es muss nach­gewiesen werden, dass über 30 Minuten kei­nerlei Hirnaktivität vorhanden ist: statt ge­zackter Messkurven werden „glatte“ Null-Li­nien beobachtet). Es könnten auch Kon­trast­mittel ins Blut gespritzt werden. Eine an­schlie­ßende Röntgenaufnahme des Schädels zeigt, ob das Kontrast­mittel in den Schädel ein­dringt – wenn das nicht erfolgt, ist auch keine Versorgung des Gehirns mit Blut und Sauer­stoff mehr gegeben.

 

6.2. Anerkennung des Hirntod-Kriteriums

 

Das Kriterium des „Hirntodes“ wird von in meisten In­dustriestaaten von Rechtssprechung und Medizin aner­kannt, in manchen Ländern jedoch aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen auch abgelehnt.

Unsicherheiten im Umgang mit dem „Hirntod“ entste­hen zum einen dadurch, dass trotz aller rationalen Einsicht („die­ser Mensch ist tot“) Hirntote im direkten Gegenüber als Person erlebt werden, anders als eine „richtige“ kalte Leiche. Eine weitere bange Frage, die immer wie­der gestellt wird, lautet: Zeigen Hirntote nicht doch noch Lebens-Äußerun­gen? So können bei hirntoten Organ­spendern während der Organent­nahme die Pulsfrequenz und der Blutdruck an­steigen. Es kommt zu spontanen Be­wegungen. Hirntote kön­nen Fieber bekommen, sie können schwitzen. Was tut ein Anästhesist bei der Or­ganentnahme, der ja von Berufs wegen die „lebens­wichtigen Funktionen auf­recht er­hält“ – bei einem Hirn­toten?

Rationale naturwissenschaftlich begründete Einsicht und emotionales Empfinden können hier heftig aufein­ander pral­len. In Deutschland entzündete sich die De­batte z.B. an dem „Erlanger Baby“. 1992 war in der Nähe von Stuttgart eine junge Frau verunglückt. Auf der Intensivstation war festgestellt worden, dass ihr nicht mehr geholfen werden konnte. Ihr Hirntod war bereits eingetreten. Aber es war auch entdeckt wor­den, dass sie im vierten Monat schwanger war. Das Kind lebte noch, und nun wollten Ärzte etwas versu­chen, was da­mals schon weltweit in mindestens sie­ben ähnlichen Fällen erfolgreich durchgeführt worden war: die Schwangerschaft sollte im Leib der hirntoten Frau so lange weiterge­führt werden, bis das Kind per Kaiser­schnittentbindung das Licht der Welt erblicken konnte.

Was hat mehr mit Leben zu tun als die Weitergabe von Leben in einer Schwangerschaft? – so fragten beunru­higt die einen. Die anderen erklärten medizi­nisch-nüchtern die Faktenlage:


 

Das „Erlanger Baby“

(Weiterführung der Schwangerschaft bei einer hirnto­ten Frau)

„Der hirntote, künstlich ernährte und beat­mete Leichnam der Marion P. war nicht mehr und nicht weni­ger als ein lebensnotwendiger natürlicher „Brutkasten“ für das heranrei­fende Kind.“

(Deutsche Stiftung Organtransplantation: Der Hirntod ... 1997, S.69)

 

Unsicherheiten, die tief sitzen, und die nicht einfach durch Fakten und Aufklärung aufgelöst werden kön­nen. Mir hat neulich ein Arzt, der selbst an Organ­transplan­tationen beteiligt ist, seinen Organspende­ausweis ge­zeigt: Da stand ein klares JA, aber hand­schriftlich hatte er die Verfügung getroffen, dass er im Falle einer Or­ganentnahme in tiefe Nar­kose versetzt werden wollte. „Ich weiß, dass ich dann keine Schmerzen mehr emp­finden kann, aber ich möchte ganz sicher sein ...“

 

Unsicherheiten

Eine Umfrage unter 134 Klinik- und niederge­lassenen Ärzten ergab, dass fast alle den Hirn­tod für den Tod des Menschen halten, aber im­merhin jeder sechste meint, der Mensch sei „noch nicht wirklich tot“. 63 Pro­zent hal­ten den Hirntoten für eine Person und möch­ten ihn ent­sprechend behandelt wissen, die Hälfte würde versu­chen, Hirntote anzusprechen.

(N. Siegmund-Schultze: Organtransplantation, Ro­wohlt Reinbek 1999 S.263)

 

Für manche Mitmenschen ist die Festlegung des Hirn­todes als „Tod“ des Menschen eine doch irgendwie will­kürliche Entscheidung. Für sie ist ein Hirntoter (noch) nicht tot, er ist ein Sterbender in der letzten Phase sei­nes Lebens, im Vorfeld des Todes, der An­spruch darauf hat, begleitet zu werden. Sie möchten als Angehörige in Ruhe seine Hand halten, selbst Ab­schied nehmen – und nicht den Termindruck der Transplantationsmedizin im Rücken spüren.

 


7. Stellungnahmen von Kirchen und Reli­gionen zur Organspende

 

Die beiden großen christlichen Kirchen haben sich seit 1989 in mehreren Erklärungen zur Frage der Organ­spende geäußert. Zunächst waren das Aussagen, die sich deutlich FÜR Organspende aussprachen. In der Debatte um das Transplantationsgesetz wurde vor­sich­tiger argumentiert. So wurde klargestellt, dass der „Hirntod“ ein zu akzeptieren­des medizinisches Krite­rium für den Zeitpunkt der Organentnahme ist, aber keine Definition für den „Tod des Men­schen“ darstellt. Organ­spende ist keine „Christenpflicht“ (auch nicht etwa das „christlichere“ Zeichen), und es gibt kei­nen Anspruch der Gesellschaft oder von Mitmenschen (auch wenn sie lebensbedrohlich erkrankt sind) auf den Körper oder die Organe eines Menschen. Organ­spende ist christlich erlaubt, aber sie ist nicht geboten – auch wer sich da­gegen entscheidet, ist mit seiner Meinung zu akzeptie­ren (und sollte sie für sich uns andere begründen kön­nen).

 

Stellungnahmen christlicher Kirchen in Deutschland zur Frage der Organspende

 

Grundsätzlich anzuerkennen ist die Absicht, durch Organspende und Organ­ver­pflanzung lei­denden oder lebens­bedrohten Mitmenschen zu helfen. Des­halb haben bereits bisher kirchli­che Äußerun­gen zur Organ­spende nach dem eige­nen Ableben ermun­tert. Die Kirchen wollen auch weiterhin die Be­reitschaft zur Organ­spende wecken und stär­ken. Die Organspende kann eine Tat der Näch­s­tenliebe über den Tod hinaus sein ...

("Gott ist ein Freund des Lebens", ge­meinsame Erklä­rung des Rates der Evan­gelischen Kirche in Deutsch­land und der katholischen Deutschen Bischofs­konfe­renz, 1989, S.103)

 

Der Hirntod bedeutet ebenso wie der Herztod den Tod des Menschen...Aus christlicher Sicht ist die Bereit­schaft zur Organspende nach dem Tod ein Zeichen der Nächstenliebe...

("Organtransplantationen" - gemeinsame Erklä­rung der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland 1990, S. 15/23)

 

...Aufgabe der Kirche...Sensibilität und Pro­blembe­wusstsein für Fragen der Organspende zu wecken und die Bereitschaft zur Organspende zu stärken... (Synode der EKD Nov. 1993)

 

Organspende ist nicht "Christenpflicht" (Bischof Engelhardt 1994)

 

Organtransplantation ist grundsätz­lich ethisch zu­lässig;
das Kriterium des "Hirntodes" ist keine Definition für den „Tod des Menschen“;

Gesell­schaft und Mitmenschen haben keiner­lei An­spruch auf den Körper eines Men­schen

(Stellungnahme der Evangelischen Kirche in Deutsch­land zur Anhörung beim Bun­destag für ein Trans­planta­tionsge­setz 1995)

 

Es gibt im christlichen Bereich auch weiter­hin Stim­men, die sich vorbehaltlos für Organ­spende einsetzen:

 

Nach christlicher Erkenntnis sind Menschen Diener der Schöpfung und Mithelfer zum Leben. Aufgabe ist und bleibt, dem Tod zu widerstehen und dem Leben die Bahn zu bereiten. Das geschieht in besonderer Weise, wenn Menschen sich als Organspender zur Verfügung stellen ... Durch die Bereitschaft zur Organweitergabe kön­nen Menschen ... anderen Menschen, die auf ein Organ warten, zu einer neuen Lebensmöglichkeit verhel­fen, weil sie mit ihrem sterblichen Leib oder Teilen davon in der Lage sind, über ihren Tod hinaus Segen zu stiften. ...
Christen tun nichts „Besonderes“, wenn sie sich zur Organweitergabe bereit erklären. Dabei sollte der Begriff der Spende nicht verwendet werden, der immer mit Nächstenliebe und damit auch Hochherzigkeit verbunden ist. ...
Darum reicht der Mensch mit einer Organweiter­gabe das, was er empfangen hat, dankbar weiter. ...
Mit der Bereitschaft zur Organweitergabe stellen sich Christen zu ihren leidenden Mitmenschen und realisie­ren christliche Solidarität.

(Prof. Dr. Werner Stroh, evangelischer Krankenhausseelsorger, in:
Arbeitsgruppe Organspende e.V.; Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (Hrsg.): „Organspende und Transplantation“, Handreichung für Lehrkräfte, 2004, S.21ff)

 

Innerhalb der jüdischen Glaubensgemein­schaft konnte bisher auf Grund unterschied­licher reli­giöser Strömun­gen eine einheitli­che Meinungs­bildung zum Hirntod und zur Organspende nicht erzielt werden. Der Zent­ralrat der Juden in Deutschland vertrat bei einer Anhö­rung im Bundestag die Ansicht, Organtransplantation sei „Mord“.


 

„Zur Frage, wann der Mensch tot ist, gibt die Halacha, die verbindliche jüdische Gesetzes­auslegung, zwei Definitionen: Aussetzen der Atemtätigkeit und Aussetzen des Pulschlags. Dem Gehirntod wird in der Halacha keinerlei Bedeutung zu­gemessen. Hingegen sind nach un­serem Standpunkt selbst ungesteuerte Reflexe des autonomen Nervensystems als Le­ben zu werten ... Bei der Transplantation von lebens­wichtigen Organen, wie zum Beispiel dem Her­zen, ist gemäß der jüdi­schen Vorschrift die Transplantation nur dann möglich, wenn die Funktion dieser Organe beim Spender wie beim Emp­fänger nicht mehr gegeben ist. Jede Trans­plantation dieser Organe, solange das Herz funktioniert, bedeutet nach jüdi­scher Auffas­sung einen doppelten Mord: Mord des Spenders – denn gemäß unserer Definition lebt er noch – sowie des Empfängers – denn die Entfernung seiner funktionstüchtigen Organe, auch wenn sie kurz vor dem Stillstand stünden, be­deutet Mord.“
(Landesrabbiner Joel Berger, Zentralrat der Juden, Stellungnahme vor dem Gesundheitsausschuss des Bundestages 25.9.96; Quelle: Siegmund-Schultze: Organtransplantation, Rowohlt Hamburg 1999, S.248)

 

In Japan ist Organspende nach Hirntod-Feststellung zwar juristisch erlaubt, aber in der Bevölkerung auf dem Hinter­grund von kon­fuzianischen und buddhisti­schen Traditionen weithin abgelehnt.

In islamischen Äußerungen wird Organspende gebil­ligt, wenn sie die einzig mögliche medizinische Be­hand­lungsmaß­nahme darstellt.

Im Bereich von Weltanschauungen und Religionen gibt es demnach unterschiedliche Meinungen zur Frage der Or­ganspende.

 

Es geht um meine Entscheidung!

Organspende – JA oder NEIN?

Es wird wichtig sein, dass ich mich informiere, mich auch mit unbequemen Fra­gen auseinandersetze, um mir in dieser schwierigen Frage selbst eine Meinung zu bilden. Und meine Entscheidung sollte ich mög­lichst schriftlich niederlegen – und damit für den Kri­senfall meinen eigenen Angehörigen eine schwere Entscheidungslast abnehmen.

 

 

 

 

 

 

8. Quellen und weitere Informationen

 

·         Quellen zu den in dieser Arbeitshilfe zusammengestellten Informationen sowie eine umfangreiche Sammlung von weiteren Daten und Fakten zur Organspende: http://www.krause-schoenberg.de/organ_fakten_organspende_aktuell.htm

·         Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertra­gung von Organen (Transplantationsgesetz - TPG)vom 5. Novem­ber 1997 (BGBl. I S. 2631) http://www.lebertransplantation.de/tpg.htm

·         Gesetz zur Regelung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz vom 12.7.2012: http://www.aok-gesundheitspartner.de/imperia/md/gpp/bund/krankenhaus/gesetzgebung/gesetz_entscheidungslo__sung_transplantationsgesetz_180712.pdf

·         Aktuelle Richtlinien und Stellungnahmen der Bundesärztekammer zur Organtransplantation mit LINKS zu den einzelnen Texten: http://www.baek.de/page.asp?his=0.6.3285

·         Deutscher Bundestag – Enquete-Kommissionen „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Berichte: http://www.ethikrat.org/archiv/enquetekommissionen

·         Bundesärztekammer: Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes, 3. Fort­schreibung 1997 mit Ergänzungen gemäß Trans­plantationsgesetz (TPG); Deutsches Ärzteblatt, 95. Jg, Heft 30, S. A1861ff, B1509ff, C1381ff. http://www.bundesaerztekammer.de/30/Richtlinien/Richtidx/Hirntod/index.html

·         Deutsche Stiftung Organtransplantation, Emil-von-Beh­ring-Passage, 63263 Neu-Isenburg, http://www.dso.de

·         Arbeitskreis Organspende www.akos.de

·         Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung www.organspende-kampagne.de

·         Initiative kritische Aufklärung über Organtransplantationen www.initiative-kao.de

·         Arbeitsgruppe Organspende e.V.; Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (Hrsg.): „Organspende und Transplantation“, Handreichung für Lehrkräfte, 2004, 84 Seiten mit Folien und CD; Bezug: AGO, Nonnen­gasse 4, 86720 Nördlingen

·         Nationaler Ethikrat: Stellungnahme „Die Zahl der Organspenden erhöhen – zu einem drängenden Problem der Trans­plantationsmedizin in Deutschland“, 2007; www.ethikrat.org/stellungnahmen/stellungnahmen.html
jetzt suchen unter: http://www.ethikrat.org/archiv/nationaler-ethikrat/stellungnahmen

·         Bundeszentrale für politische Bildung; Aus Politik und Zeitgeschichte; 20-21/2011 16.5.2011: „Organspende und Selbstbestimmung“; http://www.bpb.de/files/4PRV56.pdf )

 


 

Bundesärztekammer: Richtlinie zur Organtransplantation
zu §12 Abs.3 TPG:
Organzuteilung (Allokation) erfolgt durch die Vermittlungsstelle nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der me­dizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit für geeignete Patienten. Dabei sind die Wartelisten der Transplantationszentren als eine einheitliche Warteliste zu behandeln.;
… schicksalhaft ungleiche Ausgangschancen …So werden Patienten, die aufgrund medizinischer Merkmale, wie Un­verträglichkeiten oder eine seltene Blutgruppe, besonders geringe Chancen haben, ein Transplantat zu erhalten, bei der Organallokation relativ zu anderen Patienten bevorzugt;
Die Chancen auf eine Transplantation müssen von Wohnort, sozialem Status, finanzieller Situation und der Meldung bei einem bestimmten Transplantationszentrum unabhängig sein;
Hohe Dringlichkeit HU (high urgency): Patienten in akut lebensbedrohlicher Situation; Status muss besonders bean­tragt und begründet werden; gilt für 7 Tage; Als Ausnahme (und Kriterium für HU-Status JK) gilt die akute Re-Trans­plantation (Zweit-Transplantation JK) bei Transplantatversagen innerhalb der ersten 7 Tage nach Organübertragung;
eine möglichst kurze Transport- und damit Konservierungszeit ist anzustreben und bei der Organallokation zu berück­sichtigen;
(Dtsch. Ärzteblatt 3.6.05 S.A1615)

 

 

Nationaler Ethikrat 2007: Zahl der Organspenden erhöhen

„Dem ethischen Gebot, auf der organisatorischen und der rechtlichen Ebene Möglichkeiten des Helfens und Heilens zu nutzen, entspricht auf der individuellen Ebene die Bei­standspflicht, wie sie sich aus dem elementaren Gebot der Nächstenliebe oder der Mitmenschlichkeit ergibt. Die Bereitschaft zur postmortalen Organspende ist in diesem Sinne als praktische Bewährung jener Solidarität anzuse­hen, die einem von schwerer Krankheit oder dem Tod be­drohten Mitmenschen geschuldet ist. Dieses Zeichen der Hilfsbereitschaft verdient Anerkennung und Hochschät­zung. ...

Angesichts der Möglichkeit, einem Mitmenschen in der extremen Notlage schwerer Krankheit aussichtsreich und wirk­sam helfen zu können, kann die Verweigerung der Organspende nicht voll und ganz in das Belieben des ein­zelnen gestellt werden. Ihm ist zumindest zuzumuten, sich selbst Rechenschaft darüber abzulegen, warum er diese Möglich­keit nach reiflicher Überlegung ausgeschlagen hat. Dabei hat er nicht nur zu berücksichtigen, dass die aufgrund des Organmangels nicht nutzbaren Möglichkei­ten der Transplantationsmedizin für viele Menschen schwerwiegende Kon­sequenzen – im äußersten Fall den Tod – nach sich ziehen können. Er sollte auch Überlegun­gen darüber anstellen, wie er die Möglichkeiten der Transplantationsmedizin beurteilen würde, wenn er ihnen nicht in der Rolle eines poten­ziellen Spenders, sondern als möglicher Organempfänger gegenüberstünde.“

 

Vorschlag eines Zweistufen-Modells:
a) Aufforderung zur Abgabe einer eigenen Erklärung

b) Geltung der Widerspruchsregelung für alle,
    die nicht ausdrücklich JA oder NEIN erklärt haben

 

(Nationaler Ethikrat: Stellungnahme „Die Zahl der Organspenden erhöhen – zu einem drängenden Problem der Transplantationsmedizin in Deutschland, 27.4.07, S.33,37;
einmütig beschlossen, also auch mit Zustimmung der Vertreter beider großer Kirchen)

 

 

Fünf Jahre nach der Verpflanzung funktionieren noch
(Angaben in Prozent der verpflanzten Organe):

Nieren

71
(bei Lebensspende 84)

Herzen

69

Bauchspeicheldrüsen

66

Lebern

60

Lungen

54

(NER Stellungnahme Organspenden erhöhen 2007, S.12ff.

 

 

Untersuchung von Organspendern auf Vorerkrankungen:
Organspender werden weltweit nicht auf Tollwutviren untersucht (Krankheit zu selten, Tests zu langwierig);
Kontraindikationen für Organspende:
therapieresistente Sepsis, immunologisch aktive Systemerkrankungen, HIV-Infektion, Krebserkrankungen (deren Behandlung nicht mindestens 3 Jahre zurückliegt), sowie Metastasen und aktueller Drogen- und Alkoholmissbrauch, dazu kommen bei Reisen in Endemiegebiete oder bei Impfkontakten weitere Untersuchungen;
ein Restrisiko bleibt;
(Dtsch. Ärzteblatt 25.2.05 S.A482)