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Pflicht aus Nächstenliebe oder Verstoß gegen die
Menschenwürde ?
© Joachim Krause 2004
1. Organspende – (k)ein
Thema ?
Wenn das Gespräch auf das Thema „Organspende“ kommt, wenn
vielleicht auch noch das Fremdwort „Organtransplantation“ auftaucht – dann
ist das für viele Menschen ein Thema, das nicht nur fremd klingt, sondern das
auch weit weg zu sein scheint vom eigenen Alltag.
Bei der Organtransplantation geht es um die „Verpflanzung“
von menschlichen Organen, um ihre Entnahme aus dem Körper eines Verstorbenen
und die Übertragung in den Körper eines anderen, lebensbedrohlich erkrankten
Menschen. Das ist ein Vorgang, bei dem doch mancher nachdenklich wird, unruhig,
vielleicht auch mit Angst reagiert. Es ist ein unbequemes Thema, das wir
vielleicht ganz geschickt verdrängen – aber ist es wirklich so weit weg von
unserem Alltag?
Bei Organspende geht es um nicht weniger als um Leben und
Tod. Es geht um mein Dasein, um meinen Körper. Und wenn ich mein Leben im
christlichen Verständnis als Geschenk erfahre, meinen Körper und meine Organe
als ein Stück von Gottes Schöpfung, die mir anvertraut sind, dann stellt sich
irgendwo auch die Frage, wie ich mit diesem Geschenk verantwortlich umgehe.
Für manchen Christenmenschen kommen durch die moderne Medizin vielleicht auch
alte Lehrsätze ins Wanken. Wenn z.B. Martin Luther in seiner Erklärung zum
Ersten Artikel des christlichen Glaubensbekenntnisses sagt: „Ich glaube,
dass Gott mich geschaffen hat ... mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle
Glieder gegeben hat ...“ (Luther hätte auch genauer aufzählen können: Herz,
Niere, Leber) - was bedeutet das, wenn ich weiß, dass heute zusätzlich auch
Mediziner und Biologen beteiligt sind, wenn Organe im Körper eines Menschen
ihre Funktion erfüllen?
Vielleicht bricht ja auch heftiger Streit aus, wenn es um
eine konkrete Entscheidung für oder gegen Organspende geht: Ist sie (entweder)
eine selbstverständliche Pflicht, der aus christlicher Nächstenliebe
nachzukommen ist, oder handelt es sich hier um einen unerlaubten Eingriff in
die Ordnung der Schöpfung?
2. Zwischen Ermutigung und
Ablehnung
Organspende – gibt es da eigentlich viel zu reden?
In meiner Regionalzeitung erscheint in regelmäßigen Abständen
eine Annonce.
Dort wird ohne Wenn und Aber eine klare Entscheidung
erwartet: „Organspende – sag JA!“. Wenn meine Organe mir selbst nicht mehr
dienen können, dann sollte ich wenigstens bereit sein, anderen Menschen zu helfen
...
Für manche Zeitgenossen ist das nicht ganz so einfach, sie
sind hin- und hergerissen zwischen Ermutigung und Angst.
Da lese ich auf der einen Seite Berichte über Organspende
mit folgenden Überschriften:
„Hoffen auf die Mangelware Spenderorgan“
„Organentnahme zur Rettung eines Lebens ist
eine gute Tat“
„Großer Akt der Nächstenliebe nach dem Tod“
„Organspende gibt Kranken neuen Mut“
„Nach dem Tod beginnt ein neues Leben“
Von Mut ist die Rede, von guten Taten, von Hoffnung – viele
Gründe, endlich JA zu sagen!?
Vielleicht entdecke ich am nächsten Tag in meiner Zeitung
eine ganz andere Überschrift, die mich nachdenklich stimmt oder gar
erschreckt:
„Gentechnisch veränderte Schweine – mögliche
Organspender für Menschen?“
„Organ-Handel: Billige Spendernieren in
Indien“
„Säuglinge ohne Großhirn – lebende Organbanken?“
„Ist „hirntot“ tot genug?“
Schweineherzen im Körper von
Menschen (wenn es nicht genug menschliche Organe gibt)? Geschäftemacherei mit
lebenswichtigen Organen auf Kosten von Menschen in armen Ländern? Darf man
Kinder, die ohne funktionsfähiges Großhirn geboren werden und ohne
intensivmedizinische Behandlung nur eine Lebenserwartung wenigen Tagen haben,
als „Organbanken“ nutzen, um anderen Menschen zu helfen? In welchem besonderen
Zustand erfolgt die Entnahme von Organen – ist der Mensch im Zustand des
„Hirntodes“ richtig tot?
Wie soll ich mich entscheiden?
Ein italienisches Baby hat in Miami acht neue
Organe erhalten. Sechs Monate nach dem Eingriff gehe es dem siebeneinhalb Monate
alten Mädchen gut, teilten die Ärzte mit. Der kleinen Alessia wurden Leber,
Milz, Bauchspeicheldrüse, Dünn- und Dickdarm sowie zwei Nieren eingepflanzt.
Es war die weltweit bislang umfangreichste Transplantation. Das Mädchen war mit
einem Muskeldefekt zur Welt gekommen, der eine normale Funktion der Organe
unmöglich macht.
(Freie Presse Chemnitz 20./21.3.04)
3. Eine unmögliche Frage
zum unmöglichen Zeitpunkt
Bei der Organverpflanzung geht es um eine Grenzsituation.
Es geht um meinen eigenen Umgang mit den Themen Sterben und Tod, unbequeme Themen,
die wir – so lange es uns gut geht – gern verdrängen.
Solche Fragen können uns aber schneller nahe kommen, als
uns lieb ist, und treffen uns oft unvorbereitet.
Ich möchte das an meinem eigenen Erleben deutlich machen:
Meine jüngste Tochter war vier
Jahre alt. Eines Tages hatte sie an der Baustelle vor unserem Haus gespielt.
Meine Frau hörte einen Schrei und fand das Kind, das aus zwei Metern Höhe auf
die Steine gestürzt war, bewusstlos. Zum Glück war Minuten später die Hausärztin
zur Stelle, die eine Einweisung ins nächstgelegene Krankenhaus veranlasste.
Dort kam ich eine Stunde später dazu. Inzwischen hatten die Ärzte Röntgenaufnahmen
anfertigen lassen. Ihre Diagnose: Schädelbasisbruch. Das klingt schlimm, aber
wenn es dabei bleibt, „verwächst“ sich auch das. Aber immer wieder trat bei
unserem Kind Bewusstlosigkeit auf, klärungsbedürftig, und so fuhren wir hinter
einem Auto mit Blaulicht her zum nächsten großen Krankenhaus. Zwei quälend
lange Stunden saßen wir Eltern auf dem Gang, während unser Kind untersucht
wurde. Dann traten zwei Ärzte an unseren Tisch und erklärten uns, dass sie
inzwischen genauere Röntgenaufnahmen (Computertomographie) durchgeführt
hatten. Das Ergebnis: Im Gehirn war eine Blutung aufgetreten, die bisher noch
nicht zum Stillstand gekommen war. Das konnte kritisch werden und die
lebensnotwendige Sauerstoffzufuhr zum Gehirn unterbrechen. Eine Operation zur
Druckentlastung war erwogen worden, aber ein guter Ausgang zu unsicher. „Wir
können jetzt alle nur den Verlauf der nächsten Nacht abwarten, hoffen, beten“ –
so die Ärzte. Das geschah, meine Frau blieb über Nacht am Bett auf der
Intensivstation. Und am nächsten Morgen kam die Entwarnung. Die Blutung im
Gehirn hatte sich nicht mehr ausgeweitet. Unser Kind lag danach noch zwei
Wochen auf der Kinderstation und kehrte dann – bisher ohne Neben- und Folgewirkungen
des Unfalls – nach Hause zurück. Aber mir ist im Nachdenken über diese
dramatischen Stunden sehr schnell deutlich geworden, dass bei einem etwas anderen
Unfallverlauf die Mitteilung der Ärzte auch anders hätte lauten können: „Wir
haben alles versucht, aber wir können Ihr Kind nicht mehr retten. Die Blutung
im Gehirn hat die Sauerstoffzufuhr abgeschnitten. Das Gehirn beginnt bereits
abzusterben. Ihr Kind ist tot, hirntot. Aber seine Organe funktionieren noch.
Wären Sie bereit, die Organe Ihres Kindes freizugeben – z.B. für ein Kind mit
einem schweren Herzfehler, das ohne ein Spenderherz nur noch wenige Monate zu
leben hat?“ – Damals hätte mich eine solche Frage völlig unvorbereitet
getroffen, und ich weiß nicht, wie ich entschieden hätte, und ob das eine
Entscheidung gewesen wäre, mit der ich hätte leben können.
Wie sehen Ihre eigenen Erfahrungen aus? Kennen Sie
Menschen, die Organe empfangen haben oder die zu Organspendern geworden sind?
Denken Sie vielleicht an einen Medienbericht, an einen Film, der sie ermutigt
oder nachdenklich gemacht hat? Welche Gefühle, welche Fragen gehen Ihnen
durch den Kopf? Haben Sie sich schon mit diesem Thema auseinandergesetzt,
vielleicht auseinandersetzen müssen, haben Sie sich vielleicht schon klar
entschieden, zu einem JA oder NEIN gefunden?
Auch die Umkehrung der Situation sollten wir uns deutlich
machen. Meist diskutieren wir die Frage der Organspende aus der Sicht, dass
wir selbst als mögliche Spender betroffen sind. Viel wahrscheinlicher ist es
aber, dass ich (oder mein Kind) in eine lebensbedrohliche Situation komme, in
der ein neues Organ vielleicht mein Leben retten könnte.
„Wenn ich selbst in einer lebensbedrohlichen
Situation - für mich oder für mein Kind - ein Spender-Organ in Anspruch
nehmen würde, dann sollte ich auch bereit sein, meine Organe für andere zur Verfügung
zu stellen.“
Viele Menschen haben sich zwar schon mit der Frage der
Organspende auseinandergesetzt, aber die meisten haben für sich selbst keine
Festlegung getroffen. Das heißt aber, im kritischen Fall, wenn ich mich selbst
nicht mehr äußern kann, bürde ich meinen Angehörigen, die dann gefragt werden,
eine schwer zu tragende Entscheidung auf: sie sollen dann bestimmen, ob mir
Organe entnommen werden dürfen oder nicht. Bei einer aktuellen Umfrage der
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung waren 2010 74% der Befragten zwar
grundsätzlich damit einverstanden, nach ihrem Tod Organe und Gewebe zu spenden;
gleichzeitig hatten aber weniger als 25% einen Organspendeausweis ausgefüllt. An
anderer Stelle wurde mitgeteilt, dass von weiteren 12% mündliche Äußerungen
bekannt sind.
Im Weiteren sollen zunächst einige Fakten und Zusammenhänge
rund um die Praxis der Organverpflanzung mitgeteilt werden. Danach sollen die
gesetzlichen Regelungen für Deutschland dargestellt werden. Wir wollen der
wichtigen Frage des „Hirntodes“ nachgehen, und am Schluss noch fragen, wie sich
Religionen und Kirchen zur Organspende stellen.
4. Einige Fakten und
Zusammenhänge rund um das Thema „Organtransplantation“
4.1. Geschichte der
Organverpflanzung
Die Geschichte der Verpflanzung von Organen begann 1954.
Damals gelang es in den USA erstmals, Nieren erfolgreich zu verpflanzen. Der
Eingriff erfolgte bei eineiigen Zwillingen, sodass es von der Gewebeverträglichkeit
her keine Probleme gab.
Wesentlich größer war die Aufmerksamkeit in den Medien im
Jahr 1967, als ein ehrgeiziger junger Arzt in Südafrika es als erster wagte,
ein menschliches Herz zu verpflanzen. Der Patient Louis Washkanski lebte (nur)
18 Tage mit dem neuen Herzen. Zum Vergleich: heute beträgt die
durchschnittliche Überlebensdauer für Herztransplantierte 7 bis 8 Jahre.
Einige wichtige Voraussetzungen seien genannt, die in den
letzten 50 Jahren deutliche Fortschritte in der Transplantationsmedizin
möglich machten.
Man sammelte chirurgische Erfahrungen, wie ein Organ aus
dem Körper des Spenders entnommen werden und in den Körper des Empfängers
„eingebaut“ werden kann.
Die Intensivmedizin war immer besser in der Lage, lebensbedrohliche
Zustände so lange zu überbrücken, bis ein neues Organ bereitstand (künstliche
Beatmung, Kreislaufstabilisierung, Entgiftung des Körpers usw.).
Ganz wichtig war die Entwicklung von Medikamenten, die die
Immunabwehr der Patienten „abschalten“. Normalerweise reagiert der gesunde
Organismus auf jeden „fremden Eindringling“ mit Abwehrreaktionen des Immunsystems.
Und so bekämpft er nicht nur krankheitserregende Bakterien, sondern versucht
auch, Organe abzustoßen, die zwar von Menschen stammen, aber oft „fremde“
Gewebemerkmale tragen. Die neuen Medikamente setzen die natürlichen
Abwehrkräfte praktisch auf „Null“. Dadurch wird das eingepflanzte „fremde“
Organ vom Immunsystem nicht mehr bekämpft und bleibt funktionsfähig. Aber es
besteht eine neue Bedrohung: Der Körper des Patienten ist jetzt extrem
anfällig für Infektionen – eine ganz normaler grippaler Infekt kann sich zu
einer lebensbedrohlichen Lungenentzündung entwickeln. Als langfristige Nebenwirkung
treten auch Tumorerkrankungen häufiger auf.
Wichtig ist auch die Konservierung von Organen, die von
einem Körper in einen anderen verpflanzt werden sollen, aber in der
Zwischenzeit oft über Hunderte Kilometer transportiert werden müssen. Die
Organe werden nach der Entnahme mit speziellen Flüssigkeiten gespült und
unter Eiskühlung aufbewahrt. So kann man Nieren inzwischen mehr als 24 Stunden lang
erfolgreich konservieren. Bei anderen Organen sind die Fortschritte geringer:
menschliche Herzen und Lungen lassen sich höchstens 4 bis 6 Stunden außerhalb
eines Körpers in einem für die Verpflanzung geeigneten Zustand halten, Lebern
und Buchspeicheldrüsen 10-12 Stunden.
4.2. Zum aktuellen Stand
der Organverpflanzung in Deutschland
Bei der Organverpflanzung, wie sie auch im deutschen
Transplantationsgesetz geregelt wird, geht es im engeren Verständnis um die
Übertragung von großen, lebenswichtigen Organen, die von hirntoten Patienten
stammen:
Spender-Organe:
Herz, Lunge, Niere, Leber,
Bauchspeicheldrüse
Außer diesen Möglichkeiten der Organspende gibt es noch
weitere:
Es besteht zum einen die Möglichkeit der LEBENDSPENDE. Hier
werden Organe oder Teile von Organen übertragen, ohne dass der Tod des
Spenders notwendig ist. Zu denken ist im einfachsten Falle an Blutspende,
wobei die Entnahme eines Teils dieses „flüssigen“ Organs dem Spender nicht
schadet. JA zu dieser Form der „Organspende“ zu sagen, sollte nicht schwer
fallen. Lebendspende ist auch bei einigen der großen Organe möglich. Im
Normalfall besitzt ein gesunder Menschen zwei funktionsfähige Nieren, die
seinen Körper entgiften. Es ist möglich, einem anderen Menschen eine Niere zu
spenden (in Deutschland nur unter Verwandten oder einander nahe stehenden
Personen zulässig), weil im Normalfall auch die verbleibende zweite Niere
allein die notwendigen Funktionen erfüllt. Allerdings lebt der Spender für den
Rest seines Lebens mit einem erhöhten Risiko – die verbliebene Niere darf nicht
versagen. Derzeit ist etwa jede fünfte Niere, die in Deutschland übertragen
wird, eine Lebendspende. Lebendspende ist auch bei Leberverpflanzungen
möglich (betrifft in Deutschland etwa 8 % aller verpflanzten Lebern). Zwar
besitzt der Mensch nur eine Leber, ohne die er nicht leben kann, aber er kann
einen Teil seiner Leber spenden. Die Leber ist ein besonderes Organ, das
sich je nach dem Bedarf in einem Körper „zurechtwächst“. So könnte ein Vater
sich ein Drittel seiner Leber (125 bis 250 Gramm) entnehmen lassen. Das
fehlende Stück wächst in seinem Körper innerhalb von Monaten nach. Und das
verpflanzte Teilstück passt sich im Körper seines Kindes den Größenverhältnissen
an und wächst mit.
Manche Organe lassen sich auch von LEICHEN entnehmen.
In Deutschland werden jedes Jahr vielfach Augen-Hornhäute, Herzklappen,
Hirnhäute, Knochen, Teile der Blutgefäße, Hautstücke, Knorpel und Sehnen
verpflanzt.
Für die Zahlen der jährlich verpflanzten großen Organe ergibt
sich für Deutschland folgendes Bild. Seit 1963 sind in Deutschland mehr als
70000 Organe übertragen worden. Um sich die Größenordnung deutlich zu machen:
Jeden Kalendertag werden in Deutschland 1 Herz, 2 Lebern, 6 Nieren verpflanzt.
Organverpflanzungen in Deutschland
(Anzahl pro Jahr)
Organ |
1997 |
1999 |
2001 |
2003 |
2005 |
2006 |
2011 |
Niere |
2249 |
2275 |
2346 |
2516 |
2679 |
2776 |
1862 |
Leber |
762 |
757 |
757 |
855 |
952 |
1063 |
1015 |
Herz |
562 |
500 |
409 |
393 |
395 |
412 |
341 |
Lunge |
120 |
146 |
139 |
212 |
262 |
253 |
268 |
Bauchspeicheldrüse |
146 |
218 |
212 |
191 |
165 |
141 |
16 |
Dünndarm |
|
|
|
8 |
2 |
1 |
|
Summe alle Organe |
3839 |
3896 |
3863 |
4175 |
4455 (davon 553 Lebendspenden) |
4646 |
|
In den letzten Jahren hat sich kein deutlicher Trend gezeigt,
die Zahl der gespendeten Organe hat weder zu- noch hat sie dramatisch
abgenommen.
Von Medizinern wird gerade angesichts dieser erfolgreichen
Bilanzen immer wieder auch auf ein schmerzliches Defizit aufmerksam gemacht:
Viele Patienten, die auf den Wartelisten für Spenderorgane geführt werden,
können wegen des fehlenden „Angebots“, der fehlenden Spendebereitschaft in
Deutschland, nicht rechtzeitig ein neues Organ erhalten. So kommen auf Zweieinhalbtausend
erfolgreich verpflanzte Nieren im Zeitraum eines Jahres mehr als vier Mal so
viele Patienten, die auf der Warteliste stehen (wobei das vergebliche Warten
für Nierenpatienten keine tödliche Gefahr darstellt – sie können auch mit der
Dialyse als Alternative über-leben, allerdings würde für sie eine
transplantierte Niere eine deutliche Verbesserung ihrer Lebensqualität bedeuten).
Insgesamt wurde für Deutschland die Zahl der Patienten, die aus medizinischer
Sicht ein neues Organ benötigen, für das Jahr 2011 auf etwa 11.300 beziffert.
Jedes Jahr sterben etwa 1000 Patienten „auf der Warteliste“, weil für sie kein
geeignetes Organ zur Verfügung steht.
Bei den Zahlenangaben zu den gespendeten und verpflanzten Organen ist
folgendes zu berücksichtigen. Über Organspende ist nur bei Hirntoten zu
reden. Nach Schätzungen entfallen 0,5 bis 1 Prozent der etwa 900.000 jährlichen
Todesfälle auf den Hirntod, also stünden theoretisch 5000 bis 10.000
potenzielle Organspender zur Verfügung).
Diese müssen sich aber in diesem kritischen Zustand auch
noch auf einer Intensivstation befinden (dort macht ihr Anteil etwa 10% der
Verstorbenen aus). Wegen der so begrenzten Zahl, aber auch wegen fehlender
Meldungen geeigneter Spender durch die Krankenhäuser kommt es in der Praxis in
Deutschland nur zur Erfassung von etwa 2000 potenziellen Spendern pro Jahr.
Im Jahr 2002 kam es nur bei etwa 54% der gemeldeten Spender tatsächlich zu
einer Organentnahme (wichtigster Grund für den Ausschluss war die Ablehnung
durch Angehörige). Den reichlich tausend Menschen, die im Laufe eines Jahres
tatsächlich zu Organspendern werden, entnimmt man in der Regel mehrere Organe,
sodass mehr als 4000 zur Verfügung stehen, die auf verschiedene Empfänger
verteilt werden können.
Die Vermittlung und Verteilung der Organe ist für Deutschland wie
folgt geregelt:
Deutschland gehört zusammen mit fünf weiteren Ländern
(Niederlande, Belgien, Luxemburg, Österreich, Slowenien und Kroatien) zu einem
Staatenverbund, der die Organtransplantationen gemeinsam organisiert
(EUROTRANSPLANT). In den beteiligten Ländern gibt es etwa hundert zugelassene
Spezialkliniken, in denen Transplantationen durchgeführt werden können, etwa
die Hälfte davon befinden sich in Deutschland (in Sachsen sind z.B. die
Uni-Kliniken in Dresden und Leipzig entsprechend ausgestattet).
Der
Ablauf einer Organspende: Wir stellen uns vor, dass ein Mann bei einem
Autounfall in Ostsachsen schwer verletzt wurde. In dem Bemühen, dein Leben zu
retten, wurde er auf die Intensivstation einer Dresdner Klinik gebracht. Dort
hat sich herausgestellt, dass ihm nicht mehr geholfen werden kann, weil sein
Gehirn durch die Verletzung so geschädigt ist, dass die Sauerstoffversorgung
nicht mehr funktioniert und bereits Absterbeprozesse eingesetzt haben. Dieser
Zustand, in dem ärztliche Kunst nichts mehr für den Patienten tun kann, muss
als „Hirntod“ nach vorgeschriebenen Prüf-Regeln amtlich festgestellt worden
sein. Wenn Organe des hirntoten Patienten noch funktionieren, also auch im
Körper eines anderen Menschen ihren Dienst tun könnten, müsste zunächst erfragt
werden, ob eine Zustimmung des Betroffenen selbst zu einer Organspende
vorliegt, oder seine Angehörigen müssten ersatzweise um Zustimmung gebeten
werden. Erst wenn eine Zustimmung vorliegt, würde Kontakt mit der
Vermittlungszentrale von EUROTRANSPLANT in der holländischen Stadt Leiden
aufgenommen. Im dortigen Zentralcomputer sind die medizinischen Daten aller
Patienten gespeichert, die in den sechs Teilnehmerländern auf den Wartelisten
für Organe stehen. Der Computer vergleicht jetzt die Daten (Körpergröße,
Gewicht, Blutgruppe, Informationen über Zustand des Kreislaufs, mögliche
Infektionen und Krankheiten, verabreichte Medikamente), die ihm von dem
potenziellen Organspender gemeldet werden, mit den Daten der Patienten auf
der Warteliste, um Spender-Empfänger-Paare zu finden, für die möglichst viele
Merkmale übereinstimmen, damit späteren Abstoßungsreaktionen der Organe vorgebeugt
wird.
Faktoren für die Reihenfolge bei der Organvergabe:
+ Übereinstimmung der
Gewebemerkmale
+ Berücksichtigung der
genetischen Chance (Vorrücken bei seltenen Merkmalen)
+ abgelaufene Wartezeit
+ Entfernung zwischen dem
Ort der Organentnahme und dem Empfänger-Zentrum
+ Ausgleich der
Spender-Empfänger-Bilanz zwischen den Partnerländern von „Eurotransplant“
Bei der Vermittlung spielen ausschließlich medizinisch-biologische
Kriterien eine Rolle, der Computer ist weder mit Geld bestechlich noch hat er
„Beziehungen“ (dass in all den Jahren der Arbeit von EUROTRANSPLANT nie Anlass
war, über Unregelmäßigkeiten bei der Organvermittlung zu berichten, spricht
für die Transparenz des Verfahrens und die Einhaltung der Regeln).
Wenn der Computer einen jeweils „passenden“ Empfänger-Patienten
für die verschiedenen Organe des Spenders gefunden hat, klingeln die Telefone
– z.B. bei einem Herzpatienten und parallel bei „seiner“ Klinik in Kiel, die
Leber ist für einen Empfänger in Wien geeignet und eine Niere passt am besten
für einen Patienten in Brüssel.
Sobald ein passender Empfänger gemeldet ist, wird die Deutsche Stiftung
Organspende (DSO) informiert, die den Transport organisiert.
Jetzt folgt die Organentnahme. Sie wird in der Klinik
durchgeführt, in der der Spender auf der Intensivstation liegt. In Kiel, Wien
und Brüssel starten Operations-Teams (per Hubschrauber oder Flugzeug), begeben
sich sofort nach der Ankunft in den Operationssaal und entnehmen dem Spender
das jeweils für ihren Patienten benötigte Organ. Die entnommenen Organe werden
mit gekühlter Konservierungslösung durchspült, in sterile Tütensystem verpackt,
die in spezielle, mit Eis gefüllte Styroporboxen gelegt werden; während des
Transports muss eine Temperatur von vier Grad Celsius konstant gehalten - auf
dem schnellsten und kürzesten Weg transportiert (oft per Flugzeug oder
Hubschrauber) und in der Heimatklinik dem Patienten eingepflanzt.
Allein am Beispiel des notwenigen Lufttransports werden
die relativ hohen Kosten einer
Organverpflanzung deutlich. Die Transplantation von Herzen und Lebern ist am
teuersten und wird der Klinik mit bis zu 124.000 €uro vergütet. Eine Nierenverpflanzung
kostet im ersten Jahr etwa 50.000 €uro (dabei ist allerdings zu beachten, dass
die für die Betroffenen quälende Dialyse ebenfalls teuer ist und bei einer
gelungenen Transplantation die Krankenkasse im dritten Jahr Geld spart). Die
Kosten werden in Deutschland voll von den Krankenkassen getragen.
Für das Alter der Spender und Empfänger von Organen gibt es in
Deutschland keine Begrenzung. Es gibt sowohl Kinder, in deren Brust bereits
wenige Stunden nach ihrer Geburt ein neues Herz schlägt, als auch alte
Mitbürger, die im Alter von 80 Jahren sowohl als Spender als auch als
Empfänger einer Niere in Frage kamen.
Die Spender von Organen sind nicht vorrangig – wie immer wieder
vermutet wird – junge Motorradfahrer. Das Durchschnittsalter liegt in
Deutschland bei etwa 45 Jahren (etwa jeder fünfte Spender ist älter als 60
Jahre). Unter den Organspendern befinden sich viele Menschen, die nicht nur
durch Unfälle (äußere Verletzungen), sondern mehrheitlich (75%) durch tödlich
verlaufende Komplikationen bei anderen Krankheiten (z.B. spontane
Hirnblutungen, Bildung von Hirntumoren) in den Zustand des „Hirntodes“
kommen.
Die Mehrorganspende ist der Normalfall. Bei einer Zustimmung zur
Organspende werden dem Spender (wenn er in seinem Spenderausweis nichts anderes
verfügt hat) alle Organe entnommen, die brauchbar sind. Im Durchschnitt wurden
Organspendern in Deutschland im Jahr 2002 drei Organe entnommen.
Für die Empfänger von Organen ist die Transplantation nicht ein einfacher
Austausch einer defekten Apparatur. Die Patienten bekommen ein „gebrauchtes“
Organ (Verschleiß?), dessen Vorgeschichte und Vorschädigungen durch
Krankheiten nicht genau bekannt sind (z.B. könnte eine erfolgreich verpflanzte
Leber mit Gelbsucht oder Tollwut infiziert sein, und diese tödliche Erkrankung
bricht Jahre später beim Empfänger aus). Transplantationspatienten bleiben,
auch bei gelungener Verpflanzung, dauerhaft abhängig von medizinischer
Betreuung und Medikamenten (die z.B. die Immunabwehr „abschalten“, aber auch
deutliche Neben- und Folgewirkungen haben). Sie leben – zumindest theoretisch
- in ständiger Ansteckungsgefahr (Menschenansammlungen oder Gartenarbeit
könnten also durchaus Gefahrenherde sein). Auch nach Jahren kann es in
einzelnen Fällen zu biologischen Abstoßung der „fremden“ Organe kommen. Die
meisten Organempfänger sind dankbar für die Lebensspanne, die ihnen mit dem
neuen Organ geschenkt wurde, aber manche erleben auch psychische Probleme mit
dem „fremden“ Organ in ihrem Körper oder haben Schuldgefühle („ein anderer
Mensch musste sterben, damit ich leben kann“). Die Überlebensrate beträgt für
die Empfänger neuer Organe inzwischen bei Herzen bis zu 22 Jahren, bei Nieren
wurden sogar über 30 Jahre erreicht.
Gibt es Alternativen zur Verpflanzung menschlicher Spenderorgane? Eine
Möglichkeit besteht im Einsatz von elektromechanischen Teiltransplantaten,
„Maschinen“, „chemischen Fabriken“, die außerhalb des Körpers oder - im
Miniaturformat – in eingepflanzter Form die gestörte Funktion wahrnehmen
sollen. Aber trotz mancher mutmachender Erfolge (z.B. Herzpumpen, die fast zwei
Jahre erfolgreich in Betrieb waren) sind ein „künstliches Herz“ usw. noch ferne
Utopie.
Ein zweiter Weg könnte darin bestehen, im Labor
funktionsfähiges Ersatzgewebe zu züchten und in die geschädigten Organbereiche
einzubringen. Hier setzt z.B. die Forschung mit Stammzellen an, die aber zumindest
bei der Nutzung „embryonaler Stammzellen“ umstritten ist und deren Erfolgsaussichten
noch nicht abgeschätzt werden können.
Eine dritte Möglichkeit gibt es in der so genannten „Xenotransplantation“.
Hierbei werden Tiere (z.B. Schweine, die in der Organgröße dem Menschen gut
entsprechen und sich passgenau innerhalb weniger Monate züchten lassen) mit
Hilfe von Gentechnik so manipuliert, dass das menschliche Immunsystem die
Tierorgane nicht mehr als „fremd“ erkennt und bekämpft. Es gab bereits
erfolgreiche Übertragungsversuche zwischen verschiedenen Tierarten. Gegen
eine (eigentlich schon mögliche) Anwendung am Menschen sprechen ungelöste
Fragen („schlummern“ z.B. in Tierorganen vielleicht Krankheitserreger, die
für den Menschen tödlich wären?).
Organspenden erfolgen anonym, das heißt: Der Name des
Spenders wird dem Empfänger nicht mitgeteilt. Umgekehrt erfahren die
Angehörigen eines Spenders nicht den Namen des Empfängers. Damit soll ausgeschlossen
werden, dass Abhängigkeiten entstehen.
Organhandel? In einer
Situation, in der nicht genügend Organe zur Versorgung der Patienten zur Verfügung
stehen, kann dem Mangel auch mit Geld abgeholfen werden. Die Deutsche Stiftung
Organtransplantation weiß von etwa 50 Patienten in Deutschland, die mit Nieren
aus Osteuropa oder Asien leben. Nach Schätzungen kostete ein solches Organ in
Indien etwa 50.000 Mark, wovon der „Spender“ durchschnittlich 1100 Dollar
erhielt. Es wird geschätzt, dass in Indien Anfang der 1990er Jahre etwa 2000
Nieren pro Jahr von Lebend-„Spendern“ bereitgestellt und in den Körper zahlungskräftiger
Patienten aus Westeuropa oder Nordamerika eingepflanzt wurden. Sei 1994 ist
diese Praxis in Indien offiziell verboten. Immer wieder gibt es auch Berichte,
dass in der Volksrepublik China Gefangene hingerichtet werden, denen ohne ihr
Einverständnis und gegen Dollarzahlungen Organe entnommen werden. In
Deutschland ist die Beteiligung an Organhandel – auch für Patienten – seit 1997
verboten.
Organspende – ist das letztlich doch eine Erfolgsgeschichte
mit breiter Zustimmung in der Bevölkerung?
Ein Maßstab für die Akzeptanz ist die Spendenbereitschaft,
und die hat in Deutschland kontinuierlich abgenommen. Wenn Angehörige von
Hirntoten in Kliniken um ihre Zustimmung gebeten wurden, sagten immer mehr
NEIN.
NEIN zur Organspende durch befragte Angehörige:
1990: 10% - 1991: 19%
- 1995: 32% -
1999: 36% - 2001: 40%
- 2002: 35% -
2003: 35% - 2004: 40% - 2005: 39%
- 2009: 30%
Gründe dafür liegen zum einen in der Pro- und
Kontra-Debatte, die in den Medien in der Vorbereitung des Organspendegesetzes
geführt wurde, zum anderen auch in Einzelereignissen, wie dem Beispiel des so
genannten „Erlanger Babys“ (Stuttgarter Ärzte versuchten Anfang der 1990er
Jahre, eine Schwangerschaft bei einer hirntoten Frau weiterzuführen mit dem
Ziel der Geburt eines lebenden Kindes).
5. Unter welchen
Bedingungen dürfen einem Menschen Organe entnommen werden?
Unter welchen Bedingungen dürfen einem Menschen Organe
entnommen werden? Muss dabei jemand zustimmen, und wer darf – wo es um das
Leben eines Menschen geht - eine solche Zustimmung erteilen?
5.1. grundsätzliche
Möglichkeiten einer rechtlichen Regelung
Vereinfacht dargestellt gibt es zwei rechtliche Modelle,
nach denen eine solche Regelung vorgenommen werden kann:
A)
Widerspruchsregelung
Hier
gilt als Grundsatz: Hat der Verstorbene zu Lebzeiten nicht ausdrücklich einer
Organentnahme widersprochen, so können Körperteile zur Transplantation
entnommen werden.
In der Praxis haben die Hinterbliebenen immer die Möglichkeit zum Einspruch.
Die Regelung gilt nicht für Ausländer.
B)
Zustimmungsregelung
Hier gilt als Grundsatz: Der Verstorbene muss einer
Organentnahme zu Lebzeiten zugestimmt haben, etwa indem er einen Spendeausweis
mit sich führt oder bei einem Register gemeldet ist.
Liegt keine Zustimmung vor, können die Angehörigen über eine Entnahme
entscheiden (erweiterte Zustimmungsregelung).
Grundlage der Entscheidung ist der mutmaßliche Wille des Verstorbenen.
Die Widerspruchregelung führt dazu, dass in der Praxis
mehr Spender-Organe zur Verfügung stehen. Die zurückhaltendere
Zustimmungslösung versucht den potenziellen Organspender stärker zu schützen.
Beide Modelle haben in den Rechtssystemen europäischer
Staaten ihren Niederschlag gefunden: Eine Widerspruchslösung gilt in 17
EU-Staaten, z.B. in Belgien, Österreich, Italien, Spanien und Tschechien (galt
seit 1975 auch in der DDR). Eine Zustimmungslösung gibt es in sieben
EU-Staaten (darunter z.B. die Niederlande und Großbritannien).
Beide Modelle überlassen dem Einzelnen die Entscheidung.
Er kann JA oder NEIN für seine Organe festlegen. Seinem erklärten Willen ist
dann auch stattzugeben.
5.2. Die Regelungen im
deutschen Transplantationsgesetz
Für Gesamtdeutschland wurde erst 1997 eine rechtliche
Regelung erlassen.
Der Wunsch des Gesetzgebers (§2(1)) ist eine breit angelegte
Information der Bevölkerung (persönliche Auseinandersetzung mit der Frage der
Organspende zur eigenen Meinungsbildung; z.B. Gespräch beim Hausarzt, Informationsmaterial
durch die Krankenkasse, Veranstaltungen in Schulen).
Eine verbindliche Erklärung zur Organspende (§2(2)) kann
abgegeben werden, ohne dass es dafür eine Formvorschrift gibt (schriftliche
Erklärungen sind wünschenswert; dafür existieren verschiedene Formulare, auf
denen alle Möglichkeiten zum Ankreuzen angeboten werden). Wer eine Erklärung
abgibt, kann in eine Organentnahme einwilligen, ihr widersprechen oder die
Entscheidung einer namentlich benannten Person seines Vertrauens übertragen
(diese Vertrauensperson sollte natürlich wissen, dass sie in dieser Situation
gefragt werden könnte, und sie sollte meinen aktuellen Willen kennen). Die
Erklärung kann auf bestimmte Organe beschränkt werden. Die Einwilligung und
die Übertragung der Entscheidung können vom vollendeten sechzehnten, der
Widerspruch kann vom vollendeten vierzehnten Lebensjahr an erklärt werden. Eine
solche Erklärung muss mit Datum und Unterschrift in Kraft gesetzt und sie kann
jederzeit widerrufen werden.
Erklärung zur Organspende
............................... .................................
Name, Vorname Geburtsdatum
............................... .................................
Straße, Nr. PLZ,
Wohnort
O Ich bin Organspender: Ich möchte
kranken Menschen dadurch
helfen, dass mir nach meinem Tod
Organe/Gewebe zur
Transplantation entnommen werden.
O Ich bin Organspender, ausgenommen
folgende
Organe/Gewebe
............................................................................
O Ich bin kein Organspender:
Ich widerspreche einer Entnahme von
Organen/Gewebe.
O Ich übertrage die Entscheidung über eine
Organspende
nach meinem Tod auf:
.......................................................................................
Name, Vorname, Anschrift, Geburtsdatum,
Telefon
O Falls mir etwas zustößt, sollen folgende
Personen
benachrichtigt werden:
.......................................................................................
Name, Vorname, Anschrift, Telefon
Anmerkungen / besondere Hinweise:
................................................................................................
........... .....................
Datum Unterschrift
Für den Fall, dass der Hirntod eines Menschen eingetreten
und nach dem geltenden Stand der medizinischen
Wissenschaft fachkundig und eindeutig festgestellt ist,
würde zunächst nach einer Willenserklärung des Patienten selbst für den Fall
der Organspende gefragt. In jedem Fall - auch wenn eine zustimmende Erklärung
vorliegt - werden nahe Angehörige informiert (das dient auch der Absicherung,
ob es sich wirklich um den „letzten Willen“ des Verstorbenen in dieser Angelegenheit
handelt). Wenn keine eindeutige Erklärung des Betroffenen selbst vorliegt,
werden nahe Angehörige (in stabilen Lebenspartnerschaften auch andere
„offenkundig nahestehende Personen“) befragt, die Auskunft darüber geben
sollen, ob ihnen eine klare Meinungsbildung (der „mutmaßliche Wille“) des Betroffenen
zur Frage der Organspende bekannt ist. Es geht nicht darum, wie die Angehörigen
selbst zur Organspende stehen. Auch eine mündliche Äußerung des Verstorbenen
bindet Angehörige wie Ärzte. Im Zweifelsfall (wenn z.B. mehrere Angehörige
unterschiedliche Standpunkte vertreten oder wenn eine rechtlich eigentlich
zulässige Organentnahme die Angehörigen menschlich überfordert) ist von
einer Organspende abzusehen. In der Praxis lag im Jahr 2005 nur in 6 % der
Fälle von Organspende eine ausdrückliche schriftliche Einwilligung der Spender
vor. In 90 % der Fälle gaben Angehörige an, den Willen des Spenders zu kennen
bzw. sie vermuteten seine Bereitschaft – und bei 4 % trafen sie nach eigenen
Vorstellungen eine positive Entscheidung für Organspende.
Für die Vermittlung und Verteilung der Organe (§§9-12) ist
vorgeschrieben, dass in den Kliniken Wartelisten geführt werden müssen
(wesentliche Kriterien sind medizinische Notwendigkeit und Erfolgsaussichten).
Für die Organisation der Verteilung wird weiterhin das System von
Eurotransplant genutzt.
Organhandel (§17) ist in jeder Form strafbar (z.B. für
Patienten, Ärzte, Kliniken).
Transplantationsgesetz für
Deutschland (1.12.1997)
(einige wesentliche Regelungen)
§2(1) Aufklärung der Bevölkerung
§2(2) Erklärung zur Organentnahme
+ Zustimmung - ab 16 Jahre möglich
+ Widerspruch – ab 14 Jahre möglich
+ Übertragung der Entscheidung auf eine Vertrauensperson (ab 16)
§3 Bedingungen für die
Organentnahme
+ Zustimmung muss vorliegen
+ Feststellung des Todes nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft
(„Hirntod“)
+ Eingriff darf nur durch einen Arzt erfolgen
§4 Zustimmung anderer Personen
(bei fehlender Willenserklärung des
möglichen Organspenders)
+ nächste Angehörige (Rangfolge: Ehegatte, volljährige Kinder, Eltern,
volljährige Geschwister,
Großeltern)
+ offenkundig nahestehende Personen (Lebenspartnerschaften)
+ Bedingung: persönlicher Kontakt in den letzten zwei Jahren
§§9-12 Organvermittlung
+ es sind Wartelisten zu führen
+ alleinige Kriterien für die Vermittlung: medizinische Notwendigkeit
und Erfolgsaussicht
+ Krankenhäuser sind verpflichtet, potenzielle Spender zu melden
§17 Verbot von Organhandel
Am 12.7.2012 verabschiedete der Deutsche Bundestag
ein „Gesetz zur Regelung der
Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz“.
Darin wird nun in §1 deutlich betont, dass es „Ziel dieses Gesetzes ist, die
Bereitschaft zur Organspende in Deutschland zu fördern.“
Bundesbürger werden künftig regelmäßig zu ihrer
Spendenbereitschaft befragt; innerhalb eines Jahres sollen alle Versicherten ab
16 Jahre erstmals Post von ihrer Krankenversicherung bekommen.
In dem Schreiben werden sie aufgefordert, sich zu
entscheiden, ob sie nach ihrem Tod Organe spenden wollen oder nicht. Eine
Pflicht zur Entscheidung gibt es nicht.
Krankenhäuser, in denen Organe entnommen werden
können, benötigen mindestens einen Transplantationsbeauftragten (potentielle
Spender melden, Organspendeprozess koordinieren; Gespräche mit Angehörigen
Verstorbener führen). 2010 galten etwa 1350 Einrichtungen als sogenannte
Entnahmekrankenhäuser.
Lebendspender haben künftig Anspruch auf
sechswöchige Lohnfortzahlung, für welche die Krankenkasse des Organempfängers
aufkommen muss.
Krankenkassen dürfen die Spendebereitschaft auf der
Gesundheitskarte verzeichnen.
6. Wann ist ein Mensch
„tot“? Das Hirntod-Problem
Allen Beteiligten ist klar: Organentnahme ist nur bei Toten
zulässig!
Aber wann ist ein Mensch wirklich („richtig“) tot? Gibt es
dafür eindeutige Kennzeichen?
Heute noch werden mehr als 99 Prozent aller Todesfälle
(außerhalb von Intensivstationen) von Ärzten auf „klassische“ Art und Weise
festgestellt (bis in die 1950er Jahre war das die einzige Art der Todesfeststellung).
Es handelt sich um den „klinischen Tod“, den „Herztod“, bei dem ein Arzt
aufgrund seiner klinischen Erfahrung Sachverhalte feststellt: Die Atmung hat
ausgesetzt, das Herz schlägt nicht mehr, der Kreislauf ist zusammengebrochen,
später kommen weitere „Todeszeichen“ dazu wie Totenstarre, Totenflecken.
In den letzten Jahrzehnten sind immer bessere Techniken
entwickelt worden, die es möglich machen, Menschen, die eigentlich schon
klinisch tot waren, wiederzubeleben. Beispiele sind Herzdruckmassage oder
Elektroschocks, um das Herz wieder zum Schlagen zu bringen, der Einsatz
künstlicher Beatmung, das Verabreichen von Medikamenten, die den Kreislauf
(wieder) in Gang bringen. In solchen Grenzsituationen erweist sich die
„klassische“ Todesfeststellung nicht immer als eindeutig. Auf den
Intensivstationen der Kliniken lagen immer häufiger Patienten, bei denen viele
Organe biologisch noch „arbeiteten“ oder deren Funktion künstlich aufrechterhalten
wurde – das Los dieser Patienten war aber nach medizinischer Erfahrung nicht
mehr zu verbessern, sie waren eigentlich schon tot ... Die Medizin suchte
deshalb nach eindeutigeren, klinisch und wissenschaftlich nachprüfbaren
Kriterien für den Tod eines Menschen.
Und so wurde in den 1960er Jahren der „Hirntod“ als zusätzliches
Todeskriterium eingeführt. Es handelt sich beim Zustand des Hirntodes um ein
Phänomen, das in unserer Alltagserfahrung nicht vorkommt. Der Hirntod lässt
sich nur im Bereich der Intensivmedizin feststellen. Entscheidend ist medizinisch,
dass bei Hirntoten das Gehirn nicht mehr durchblutet wird. Dadurch fällt die
Sauerstoffversorgung aus, und das führt bereits nach fünf bis acht Minuten zu
einer fortschreitenden und nicht mehr umkehrbaren Schädigung des Gehirns,
das unwiderruflich abzusterben beginnt. Ein wesentlicher Unterschied zum
Herztod (und damit zu unseren Alltagserfahrungen mit „Tod“) besteht darin,
dass der Körper eines Hirntoten noch viele Zeichen zeigt, die wir mit „Leben“
verbinden: Der Brustkorb hebt und senkt sich regelmäßig (die beobachtete Atmung
ist aber immer eine technisch bewirkte künstliche Beatmung!), der Puls ist
fühlbar (bei künstlicher Beatmung funktioniert die Herztätigkeit von allein, gesteuert
vom Sauerstoffgehalt des Blutes), der Körper fühlt sich warm an (nicht nur die
Haut, auch alle Organe mit Ausnahme des Gehirns sind weiter durchblutet und
werden mit Nährstoffen versorgt), künstliche Ernährung ist möglich und auch
die Ausscheidung funktioniert. Trotz aller dieser „Lebenszeichen“ sind sich
aber alle Mediziner sicher: wenn die Apparate abgeschaltet werden, brechen bei einem
Hirntoten innerhalb weniger Minuten Herz- und Kreislauf endgültig zusammen.
Die technischen Unterstützungsmaßnahmen gaukeln uns gewissermaßen „Leben“
vor, wo ohne sie schon längst „Tod“ ist. Aus dem Zustand des Hirntodes gibt es
kein Zurück in ein bewusstes Dasein. Wo Medienberichte anderes behaupteten,
handelte es sich durchweg um Fälle, in denen nicht wirklich sachkundig und eindeutig
eine Hirntodfeststellung erfolgt war.
KOMA – ein schillernder Begriff
1. „Bewusstlosigkeit“
Das Gehirn beansprucht bei
2% der Körpermasse 20% des Blutstromes. Bewusstlosigkeit tritt bei fehlender
Durchblutung nach 3 bis 5 Sekunden ein, nach 20 Sekunden erlischt die hirnelektrische
Tätigkeit im EEG. Bereits nach wenigen Minuten entstehen bleibende Schäden
der Hirnzellen. In der Regel erfolgt jedoch nur ein kurzfristiger „Blackout“,
danach Aufwachen.
2. „Koma“
Koma heißt „tiefer
Schlaf“. Es handelt sich um eine andauernde Bewusstlosigkeit, die durch äußere
Reize nicht unterbrochen werden kann. Das Gehirn bleibt weiter aktiv (im EEG
sind Hirnströme messbar).
3. „Wach-Koma“, „apallisches Syndrom“
Etwa 40000 Menschen in
Deutschland erleiden jedes Jahr ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und geraten in
den Zustand des „apallischen Syndroms“. Sie liegen im Koma, haben aber wache,
offene Augen, können zwinkern, haben Gefühle und Regungen sowie Wach- und
Schlafzeiten. Die Verbindung des Mittelhirns zum Großhirn ist gestört (Unfall,
Blutung, Entzündung). Die meisten Apalliker wachen nach einiger Zeit wieder auf,
etwa 4000 liegen weiter im Koma – und nicht alle von ihnen können in ein
halbwegs normales Leben zurückgeholt werden.
Die Feststellung des Hirntodes berechtigt Ärzte zur
Ausstellung des Totenscheines. In der Folge dürfen jetzt die Apparate auf der
Intensivstation abgeschaltet werden, da das Leben des Patienten nicht mehr zu
retten ist. Es könnte nun aber auch an Organspende gedacht werden, weil die
Organe des Hirntoten noch funktionieren und dieser Zustand des Patienten noch
so lange aufrecht erhalten werden kann, bis eine Organentnahme erfolgt.
Die Körperfunktionen eines Hirntoten lassen sich nicht
beliebig lange aufrecht erhalten. Bei den meisten Patienten tritt ein
Herzstillstand nach wenigen Tagen ein, im Extremfall sind aber auch erheblich längere
Weiterbehandlungszeiten beobachtet worden: bei einer hirntoten Schwangeren,
die von einem gesunden Kind entbunden wurde, waren es 107 Tage (15 Wochen).
6.1. Definition und
Feststellung des „Hirntodes“
Die Feststellung des Hirntodes erfolgt in Deutschland nach
klaren Vorschriften, die von der Bundesärztekammer erlassen und in Abständen
aktualisiert werden. Die Richtlinie von 1997 definiert den Hirntod wie folgt:
HIRNTOD
„Zustand der irreversibel (=
unumkehrbar JK)
erloschenen Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms (damit
sind alle Teile des Gehirns erfasst JK). Dabei wird durch kontrollierte Beatmung
die Herz- und Kreislauffunktion noch künstlich aufrechterhalten ...
Festgestellt wird nicht der Zeitpunkt des eintretenden, sondern der Zustand
des bereits eingetretenen Todes. …
dass mit dem Hirntod … naturwissenschaftlich-medizinisch der Tod des Menschen
festgestellt wird“
Das Verfahren zur „amtlichen“ Feststellung des Hirntodes
ist detailliert geregelt:
A)
Die Erstellung einer Hirntoddiagnose muss durch zwei
Ärzte erfolgen, die unabhängig voneinander zu der gleichen Schlussfolgerung
kommen. Dabei muss es sich um erfahrene Fachärzte für Gehirn- und Nervenfunktionen
handeln (z.B. Anästhesisten, Neurologen). Keiner von Ihnen darf an einer
späteren Organ-Entnahme oder –Übertragung beteiligt sein.
B)
Grundvoraussetzung ist der zweifelsfreie Nachweis,
dass eine Hirn-Schädigung vorliegt (Unfallverletzungen, Blutungen, Tumore,
Entzündungen, Vergiftungen, Herz- und Lungenerkrankungen, Herzinfarkte,
Ertrinken, Ersticken).
C)
Die Ärzte prüfen, ob folgende Kennzeichen vorliegen:
tiefe Bewusstlosigkeit (aus der kein Aufwecken möglich ist), Ausfall der
Spontan-Atmung, Ausfall aller Hirnfunktionen.
D)
In einer ersten unverzichtbaren Untersuchung werden
klinische Symptome anhand einer vorgegebenen Frageliste geprüft, z.B. der
Ausfall der Reaktion der Pupille auf intensive Beleuchtung, das Ausbleiben
eines Würgereflexes, wenn mit einem Spatel tief im Rachen gereizt wird oder
die vorübergehende Abschaltung der künstlichen Beatmung (setzt die eigene
Atmung ein?). Diese Untersuchungen können entweder nach einer Wartezeit wiederholt
werden (dabei sind mindestens 12, in manchen Fällen bis 72 Stunden vorgeschrieben).
Statt der Wiederholung der klinischen Prüfung können auch ergänzende apparative
Untersuchungen durchgeführt werden. Hier kommt zum Beispiel eine Messung der
Hirnströme in Frage (EEG; am Schädel werden Elektroden angelegt, es muss nachgewiesen
werden, dass über 30 Minuten keinerlei Hirnaktivität vorhanden ist: statt gezackter
Messkurven werden „glatte“ Null-Linien beobachtet). Es könnten auch Kontrastmittel
ins Blut gespritzt werden. Eine anschließende Röntgenaufnahme des Schädels
zeigt, ob das Kontrastmittel in den Schädel eindringt – wenn das nicht
erfolgt, ist auch keine Versorgung des Gehirns mit Blut und Sauerstoff mehr
gegeben.
6.2. Anerkennung des
Hirntod-Kriteriums
Das Kriterium des „Hirntodes“ wird von in meisten Industriestaaten
von Rechtssprechung und Medizin anerkannt, in manchen Ländern jedoch aus
religiösen oder weltanschaulichen Gründen auch abgelehnt.
Unsicherheiten im Umgang mit dem „Hirntod“ entstehen zum
einen dadurch, dass trotz aller rationalen Einsicht („dieser Mensch ist tot“)
Hirntote im direkten Gegenüber als Person erlebt werden, anders als eine
„richtige“ kalte Leiche. Eine weitere bange Frage, die immer wieder gestellt
wird, lautet: Zeigen Hirntote nicht doch noch Lebens-Äußerungen? So können bei
hirntoten Organspendern während der Organentnahme die Pulsfrequenz und der
Blutdruck ansteigen. Es kommt zu spontanen Bewegungen. Hirntote können
Fieber bekommen, sie können schwitzen. Was tut ein Anästhesist bei der Organentnahme,
der ja von Berufs wegen die „lebenswichtigen Funktionen aufrecht erhält“ –
bei einem Hirntoten?
Rationale naturwissenschaftlich begründete Einsicht und
emotionales Empfinden können hier heftig aufeinander prallen. In Deutschland
entzündete sich die Debatte z.B. an dem „Erlanger Baby“. 1992 war in der Nähe
von Stuttgart eine junge Frau verunglückt. Auf der Intensivstation war
festgestellt worden, dass ihr nicht mehr geholfen werden konnte. Ihr Hirntod
war bereits eingetreten. Aber es war auch entdeckt worden, dass sie im vierten
Monat schwanger war. Das Kind lebte noch, und nun wollten Ärzte etwas versuchen,
was damals schon weltweit in mindestens sieben ähnlichen Fällen erfolgreich
durchgeführt worden war: die Schwangerschaft sollte im Leib der hirntoten Frau
so lange weitergeführt werden, bis das Kind per Kaiserschnittentbindung das
Licht der Welt erblicken konnte.
Was hat mehr mit Leben zu tun als die Weitergabe von Leben
in einer Schwangerschaft? – so fragten beunruhigt die einen. Die anderen
erklärten medizinisch-nüchtern die Faktenlage:
Das „Erlanger Baby“
(Weiterführung der
Schwangerschaft bei einer hirntoten Frau)
„Der hirntote, künstlich ernährte und beatmete
Leichnam der Marion P. war nicht mehr und nicht weniger als ein
lebensnotwendiger natürlicher „Brutkasten“ für das heranreifende Kind.“
(Deutsche Stiftung
Organtransplantation: Der Hirntod ... 1997, S.69)
Unsicherheiten, die tief sitzen, und die nicht einfach
durch Fakten und Aufklärung aufgelöst werden können. Mir hat neulich ein Arzt,
der selbst an Organtransplantationen beteiligt ist, seinen Organspendeausweis
gezeigt: Da stand ein klares JA, aber handschriftlich hatte er die Verfügung
getroffen, dass er im Falle einer Organentnahme in tiefe Narkose versetzt
werden wollte. „Ich weiß, dass ich dann keine Schmerzen mehr empfinden kann,
aber ich möchte ganz sicher sein ...“
Unsicherheiten
Eine Umfrage unter 134
Klinik- und niedergelassenen Ärzten ergab, dass fast alle den Hirntod für den
Tod des Menschen halten, aber immerhin jeder sechste meint, der Mensch sei
„noch nicht wirklich tot“. 63 Prozent halten den Hirntoten für eine Person
und möchten ihn entsprechend behandelt wissen, die Hälfte würde versuchen,
Hirntote anzusprechen.
(N. Siegmund-Schultze:
Organtransplantation, Rowohlt Reinbek 1999 S.263)
Für manche Mitmenschen ist die Festlegung des Hirntodes
als „Tod“ des Menschen eine doch irgendwie willkürliche Entscheidung. Für sie
ist ein Hirntoter (noch) nicht tot, er ist ein Sterbender in der letzten Phase
seines Lebens, im Vorfeld des Todes, der Anspruch darauf hat, begleitet zu
werden. Sie möchten als Angehörige in Ruhe seine Hand halten, selbst Abschied
nehmen – und nicht den Termindruck der Transplantationsmedizin im Rücken
spüren.
7. Stellungnahmen von
Kirchen und Religionen zur Organspende
Die beiden großen christlichen Kirchen haben sich seit 1989
in mehreren Erklärungen zur Frage der Organspende geäußert. Zunächst waren das
Aussagen, die sich deutlich FÜR Organspende aussprachen. In der Debatte um das
Transplantationsgesetz wurde vorsichtiger argumentiert. So wurde
klargestellt, dass der „Hirntod“ ein zu akzeptierendes medizinisches Kriterium
für den Zeitpunkt der Organentnahme ist, aber keine Definition für den „Tod des
Menschen“ darstellt. Organspende ist keine „Christenpflicht“ (auch nicht etwa
das „christlichere“ Zeichen), und es gibt keinen Anspruch der Gesellschaft
oder von Mitmenschen (auch wenn sie lebensbedrohlich erkrankt sind) auf den
Körper oder die Organe eines Menschen. Organspende ist christlich erlaubt,
aber sie ist nicht geboten – auch wer sich dagegen entscheidet, ist mit seiner
Meinung zu akzeptieren (und sollte sie für sich uns andere begründen können).
Stellungnahmen christlicher Kirchen in Deutschland zur Frage der
Organspende
Grundsätzlich anzuerkennen ist die
Absicht, durch Organspende und Organverpflanzung leidenden oder lebensbedrohten
Mitmenschen zu helfen. Deshalb haben bereits bisher kirchliche Äußerungen
zur Organspende nach dem eigenen Ableben ermuntert. Die Kirchen wollen auch
weiterhin die Bereitschaft zur Organspende wecken und stärken. Die
Organspende kann eine Tat der Nächstenliebe über den Tod hinaus sein ...
("Gott ist ein Freund des
Lebens", gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in
Deutschland und der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, 1989, S.103)
Der Hirntod bedeutet ebenso wie der
Herztod den Tod des Menschen...Aus christlicher Sicht ist die Bereitschaft zur
Organspende nach dem Tod ein Zeichen der Nächstenliebe...
("Organtransplantationen"
- gemeinsame Erklärung der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz und des
Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland 1990, S. 15/23)
...Aufgabe der Kirche...Sensibilität
und Problembewusstsein für Fragen der Organspende zu wecken und die
Bereitschaft zur Organspende zu stärken... (Synode der EKD Nov. 1993)
Organspende ist nicht
"Christenpflicht" (Bischof Engelhardt 1994)
Organtransplantation ist grundsätzlich
ethisch zulässig;
das Kriterium des "Hirntodes" ist keine Definition für den „Tod des
Menschen“;
Gesellschaft und Mitmenschen haben
keinerlei Anspruch auf den Körper eines Menschen
(Stellungnahme der Evangelischen
Kirche in Deutschland zur Anhörung beim Bundestag für ein Transplantationsgesetz
1995)
Es gibt im christlichen Bereich auch weiterhin Stimmen,
die sich vorbehaltlos für Organspende einsetzen:
Nach christlicher Erkenntnis sind Menschen
Diener der Schöpfung und Mithelfer zum Leben. Aufgabe ist und bleibt, dem Tod
zu widerstehen und dem Leben die Bahn zu bereiten. Das geschieht in besonderer
Weise, wenn Menschen sich als Organspender zur Verfügung stellen ... Durch die
Bereitschaft zur Organweitergabe können Menschen ... anderen Menschen, die auf
ein Organ warten, zu einer neuen Lebensmöglichkeit verhelfen, weil sie mit
ihrem sterblichen Leib oder Teilen davon in der Lage sind, über ihren Tod
hinaus Segen zu stiften. ...
Christen tun nichts „Besonderes“, wenn sie sich zur Organweitergabe bereit
erklären. Dabei sollte der Begriff der Spende nicht verwendet werden, der immer
mit Nächstenliebe und damit auch Hochherzigkeit verbunden ist. ...
Darum reicht der Mensch mit einer Organweitergabe das, was er empfangen hat,
dankbar weiter. ...
Mit der Bereitschaft zur Organweitergabe stellen sich Christen zu ihren leidenden
Mitmenschen und realisieren christliche Solidarität.
(Prof. Dr. Werner Stroh,
evangelischer Krankenhausseelsorger, in:
Arbeitsgruppe Organspende e.V.; Bayerisches Staatsministerium für Unterricht
und Kultus (Hrsg.): „Organspende und Transplantation“, Handreichung für
Lehrkräfte, 2004, S.21ff)
Innerhalb der jüdischen Glaubensgemeinschaft konnte bisher auf Grund unterschiedlicher religiöser Strömungen eine einheitliche Meinungsbildung zum Hirntod und zur Organspende nicht erzielt werden. Der Zentralrat der Juden in Deutschland vertrat bei einer Anhörung im Bundestag die Ansicht, Organtransplantation sei „Mord“.
„Zur
Frage, wann der Mensch tot ist, gibt die Halacha, die verbindliche jüdische
Gesetzesauslegung, zwei Definitionen: Aussetzen der Atemtätigkeit und
Aussetzen des Pulschlags. Dem Gehirntod wird in der Halacha keinerlei Bedeutung
zugemessen. Hingegen sind nach unserem Standpunkt selbst ungesteuerte Reflexe
des autonomen Nervensystems als Leben zu werten ... Bei der Transplantation
von lebenswichtigen Organen, wie zum Beispiel dem Herzen, ist gemäß der jüdischen
Vorschrift die Transplantation nur dann möglich, wenn die Funktion dieser
Organe beim Spender wie beim Empfänger nicht mehr gegeben ist. Jede Transplantation
dieser Organe, solange das Herz funktioniert, bedeutet nach jüdischer Auffassung
einen doppelten Mord: Mord des Spenders – denn gemäß unserer Definition lebt er
noch – sowie des Empfängers – denn die Entfernung seiner funktionstüchtigen
Organe, auch wenn sie kurz vor dem Stillstand stünden, bedeutet Mord.“
(Landesrabbiner
Joel Berger, Zentralrat der Juden, Stellungnahme vor dem Gesundheitsausschuss
des Bundestages 25.9.96; Quelle: Siegmund-Schultze: Organtransplantation,
Rowohlt Hamburg 1999, S.248)
In Japan ist Organspende
nach Hirntod-Feststellung zwar juristisch erlaubt, aber in der Bevölkerung auf
dem Hintergrund von konfuzianischen und buddhistischen Traditionen weithin
abgelehnt.
In islamischen
Äußerungen wird Organspende gebilligt, wenn sie die einzig mögliche
medizinische Behandlungsmaßnahme darstellt.
Im Bereich von
Weltanschauungen und Religionen gibt es demnach unterschiedliche Meinungen zur
Frage der Organspende.
Es geht um meine
Entscheidung!
Organspende – JA oder NEIN?
Es wird wichtig sein, dass ich mich informiere, mich auch mit
unbequemen Fragen auseinandersetze, um mir in dieser schwierigen Frage selbst
eine Meinung zu bilden. Und meine Entscheidung sollte ich möglichst
schriftlich niederlegen – und damit für den Krisenfall meinen eigenen
Angehörigen eine schwere Entscheidungslast abnehmen.
8. Quellen und weitere
Informationen
·
Gesetz zur Regelung der Entscheidungslösung im
Transplantationsgesetz vom 12.7.2012: http://www.aok-gesundheitspartner.de/imperia/md/gpp/bund/krankenhaus/gesetzgebung/gesetz_entscheidungslo__sung_transplantationsgesetz_180712.pdf
·
Aktuelle
Richtlinien und Stellungnahmen der Bundesärztekammer zur
Organtransplantation mit LINKS zu den einzelnen Texten: http://www.baek.de/page.asp?his=0.6.3285
·
Deutscher Bundestag – Enquete-Kommissionen „Recht
und Ethik der modernen Medizin“, Berichte: http://www.ethikrat.org/archiv/enquetekommissionen
·
Bundesärztekammer: Richtlinien zur Feststellung des
Hirntodes, 3. Fortschreibung 1997 mit Ergänzungen gemäß Transplantationsgesetz
(TPG); Deutsches Ärzteblatt, 95. Jg, Heft 30, S. A1861ff, B1509ff, C1381ff. http://www.bundesaerztekammer.de/30/Richtlinien/Richtidx/Hirntod/index.html
·
Deutsche Stiftung Organtransplantation, Emil-von-Behring-Passage,
63263 Neu-Isenburg, http://www.dso.de
·
Arbeitskreis Organspende www.akos.de
·
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung www.organspende-kampagne.de
·
Initiative kritische Aufklärung über
Organtransplantationen www.initiative-kao.de
·
Arbeitsgruppe Organspende e.V.; Bayerisches
Staatsministerium für Unterricht und Kultus (Hrsg.): „Organspende und
Transplantation“, Handreichung für Lehrkräfte, 2004, 84 Seiten mit Folien und
CD; Bezug: AGO, Nonnengasse 4, 86720 Nördlingen
·
Nationaler Ethikrat: Stellungnahme „Die Zahl der
Organspenden erhöhen – zu einem drängenden Problem der Transplantationsmedizin
in Deutschland“, 2007; www.ethikrat.org/stellungnahmen/stellungnahmen.html
jetzt suchen unter: http://www.ethikrat.org/archiv/nationaler-ethikrat/stellungnahmen
·
Bundeszentrale für politische Bildung; Aus Politik
und Zeitgeschichte; 20-21/2011 16.5.2011: „Organspende und Selbstbestimmung“; http://www.bpb.de/files/4PRV56.pdf
)
Bundesärztekammer:
Richtlinie zur Organtransplantation
zu §12 Abs.3 TPG:
Organzuteilung (Allokation) erfolgt durch die Vermittlungsstelle nach Regeln,
die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen,
insbesondere nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit für geeignete Patienten.
Dabei sind die Wartelisten der Transplantationszentren als eine einheitliche
Warteliste zu behandeln.;
… schicksalhaft ungleiche Ausgangschancen …So werden Patienten, die aufgrund
medizinischer Merkmale, wie Unverträglichkeiten oder eine seltene Blutgruppe,
besonders geringe Chancen haben, ein Transplantat zu erhalten, bei der
Organallokation relativ zu anderen Patienten bevorzugt;
Die Chancen auf eine Transplantation müssen von Wohnort, sozialem Status,
finanzieller Situation und der Meldung bei einem bestimmten
Transplantationszentrum unabhängig sein;
Hohe Dringlichkeit HU (high urgency): Patienten in akut lebensbedrohlicher
Situation; Status muss besonders beantragt und begründet werden; gilt für 7
Tage; Als Ausnahme (und Kriterium für HU-Status JK) gilt die akute Re-Transplantation
(Zweit-Transplantation JK) bei Transplantatversagen innerhalb der ersten 7 Tage
nach Organübertragung;
eine möglichst kurze Transport- und damit Konservierungszeit ist anzustreben
und bei der Organallokation zu berücksichtigen;
(Dtsch. Ärzteblatt 3.6.05 S.A1615)
Nationaler Ethikrat 2007: Zahl der
Organspenden erhöhen
„Dem ethischen Gebot, auf
der organisatorischen und der rechtlichen Ebene Möglichkeiten des Helfens und
Heilens zu nutzen, entspricht auf der individuellen Ebene die Beistandspflicht,
wie sie sich aus dem elementaren Gebot der Nächstenliebe oder der
Mitmenschlichkeit ergibt. Die Bereitschaft zur postmortalen Organspende ist in
diesem Sinne als praktische Bewährung jener Solidarität anzusehen, die einem
von schwerer Krankheit oder dem Tod bedrohten Mitmenschen geschuldet ist.
Dieses Zeichen der Hilfsbereitschaft verdient Anerkennung und Hochschätzung.
...
Angesichts der Möglichkeit, einem Mitmenschen in der
extremen Notlage schwerer Krankheit aussichtsreich und wirksam helfen zu
können, kann die Verweigerung der Organspende nicht voll und ganz in das
Belieben des einzelnen gestellt werden. Ihm ist zumindest zuzumuten, sich
selbst Rechenschaft darüber abzulegen, warum er diese Möglichkeit nach
reiflicher Überlegung ausgeschlagen hat. Dabei hat er nicht nur zu
berücksichtigen, dass die aufgrund des Organmangels nicht nutzbaren Möglichkeiten
der Transplantationsmedizin für viele Menschen schwerwiegende Konsequenzen –
im äußersten Fall den Tod – nach sich ziehen können. Er sollte auch Überlegungen
darüber anstellen, wie er die Möglichkeiten der Transplantationsmedizin
beurteilen würde, wenn er ihnen nicht in der Rolle eines potenziellen
Spenders, sondern als möglicher Organempfänger gegenüberstünde.“
Vorschlag eines
Zweistufen-Modells:
a) Aufforderung zur Abgabe einer eigenen Erklärung
b) Geltung der
Widerspruchsregelung für alle,
die nicht ausdrücklich JA oder NEIN
erklärt haben
(Nationaler Ethikrat: Stellungnahme „Die Zahl
der Organspenden erhöhen – zu einem drängenden Problem der Transplantationsmedizin
in Deutschland, 27.4.07, S.33,37;
einmütig beschlossen, also auch mit Zustimmung der Vertreter beider großer
Kirchen)
Fünf Jahre nach der Verpflanzung funktionieren noch
(Angaben in Prozent der verpflanzten Organe):
Nieren |
71 |
Herzen |
69 |
Bauchspeicheldrüsen |
66 |
Lebern |
60 |
Lungen |
54 |
(NER Stellungnahme Organspenden erhöhen 2007, S.12ff.
Untersuchung von
Organspendern auf Vorerkrankungen:
Organspender werden weltweit nicht auf Tollwutviren untersucht
(Krankheit zu selten, Tests zu langwierig);
Kontraindikationen für Organspende:
therapieresistente Sepsis, immunologisch aktive Systemerkrankungen,
HIV-Infektion, Krebserkrankungen (deren Behandlung nicht mindestens 3 Jahre
zurückliegt), sowie Metastasen und aktueller Drogen- und Alkoholmissbrauch,
dazu kommen bei Reisen in Endemiegebiete oder bei Impfkontakten weitere
Untersuchungen;
ein Restrisiko bleibt;
(Dtsch. Ärzteblatt 25.2.05 S.A482)