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Lift-Texter und DDR-Umweltaktivist
geht in seinen Erinnerungen auf Spurensuche in Mitteldeutschland
Ormig, Karbid und Polylux
– wer damit noch was anfangen kann, für den ist „Am Abend mancher Tage“ eine
Fundgrube. Doch auch für jene, die bei Telegramm nur Bahnprivatisierung
verstehen, ist Joachim Krauses Spurensuche lesenswert. Denn der über
Nostalgieverdacht erhabene, seit 1982 als Beauftragter für Glaube,
Naturwissenschaft und Umwelt in der evangelischen Kirche Sachsens tätige Autor
schrieb mit oben genanntem Text nicht nur einen Hit für die Band Lift. Der 1946
in Thüringen geborene spätere Diplomchemiker weiß auch Zeitgeschichte so zu
erzählen, dass jene keine Chance haben, die den Osten bis 1989 von 16 Millionen
IM-Schergen bevölkert sehen.
Pfarrerskind
Krause wird mit Kaulquappen und Feindsender groß, erzählt in locker
aufgereihten Erinnerungen unaufgeregt über Handarbeitsunterricht und den Alltag
in (s)einem Dorf in den Fünfzigern. Zugleich ist die Beschreibung des
Landlebens schillernder Gegensatz zu heute, wo der Zigarettenautomat letzter
Rest der Infrastruktur ist. Krauses Kindheit dagegen ist von Pausenmilch und
Gemeindeschwester geprägt – Selbstverständlichkeiten, für die es heute einer
Großen Koalition bedarf. „Fast jeder guckte, aber man redete nicht darüber“, schreibt
er übers Westfernsehen, das flimmerte, „als es noch Maikäfer gab“. Deren
Verwandte, die Kartoffelkäfer, segelten angeblich aus US-Fliegern herab, um der
DDR-Wirtschaft zu schaden. Nicht die einzige Losung,
die Krause weglacht.
Später kommt
die Kollektivierung nebst Großtechnik auf den Feldern – Hamster und Rebhuhn
reißen aus. Krause wiederum lernt an der Erweiterten Oberschule, ist nicht in
der FDJ, dafür wird daheim das Telefon abgehört: Vater ist verdächtig. Der Sohn
besorgt sich die Dylan-Platte aus dem Phonoclub. Hoffentlich hat er sie noch:
Bobs Bestes ist heute was wert. Mit ihm und den Beatles im Ohr gründet Krause
eine eigene Band, dichtet ein Lied für den Schlagerwettbewerb, landet im
Endausscheid. Anfang der Siebziger kultivieren die Genossen eigene Beatmusik.
Krause schreibt nun Zeilen für Lift, Karat, Horst Krüger, Theo Schumann.
„Nebenbei“
studiert der Texter Chemie. Mit professoraler Hilfe entrinnt er dem Wehrdienst,
steigt dafür 1973 in die offene Jugendarbeit der Weinbergskirche
Dresden ein. „In diesen Jahren lernte ich die DDR noch einmal ganz neu kennen“,
erinnert er sich. Das heißt etwa mit Vorladung „zur Klärung eines
Sachverhaltes“. Wieder daheim schickt er ein Einschreiben: „Nein, konspirative
Gespräche mit mir allein und über Dritte wird es nicht geben“. Diese
Zivilcourage bringt ihm „Operative Personenkontrolle“ ein. Staatsfeind, 17
Jahre lang. Nun lotet er die Grenzen der Diktatur aus, sammelt Umweltfakten aus
dem „Saustall“ DDR, wo schon mal Wismut-Abraum im Straßenbau unters Volk kommt.
Dass jenes 1989 „Wir sind das Volk“ ruft, findet der Sachse sympathischer als
die Losung „Wir sind ein Volk“. Den angebotenen Vorstandssitz im Demokratischen
Aufbruch lehnt er ab, will „keinem politischen Verein beitreten, damit ich
unverkrampft mit allen reden kann.“ Später stellt Krause fest, dass „alles so
schnell geht und uns unvorbereitet trifft. Demokratie will gelernt sein.“
Krause
schwadroniert nicht, er plaudert. Und statt den Zeigefinger zur heben, reicht
er dem Leser lieber die Hand und lädt ihn ein, sie nachzuerleben – seine
Lebensgeschichte.
Ingolf Rosendahl
(Leipziger Volkszeitung 2.5.2008, Seite 2 Rock und Pop;
gleicher Text in: Dresdner Neueste Nachrichten, 2.6.2008)
-
Energieexperte
und Rocktexter
Der kirchliche
Umweltbeauftragte Joachim Krause hat seine Lebenserinnerungen veröffentlicht
Der
Titel hat in der DDR Popmusikgeschichte geschrieben. 1980 landete er auf Platz
1 der 100 Besten: „Am Abend mancher Tage“ der Gruppe „Lift". Der damals
34-Jährige, der den Text zur Musik von Wolfgang Scheffler geschrieben hatte,
ist heute in der evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens Beauftragter
für Glaube, Naturwissenschaft und Umwelt: Joachim Krause. Jetzt hat er seine
Erinnerungen veröffentlicht, unter dem Titel jenes bekannten Lift-Songs.
Darin
schildert der Chemiker, der in Dresden studiert hat und seit 1982 bei der
Kirche angestellt ist, zum Beispiel, wie er an geheim gehaltene Informationen
über den Zustand der Umwelt herankam. Sein erster Coup hieß „Dohna“. Dort,
erzählte ihm ein befreundeter Zahnarzt, litten alle Kinder und Jugendlichen an
dunkel verfärbten, spröden Zähnen. Jeder wusste es: Ursache war das Fluorwerk.
Das arbeitete mit Flusssäure und ihren Salzen. Immer wieder wurden schädliche
Gase freigesetzt, bei Havarien wehten giftige Nebel durch den Ort. Trinkwasser
und Obst enthielten Fluor in extremer Überdosis. Das machte die Zähne hart und
spröde, Wissenschaftler kannten den Fall, nur die betroffenen Bewohner nicht.
Joachim
Krause vertiefte sich in medizinische Fachzeitschriften, fand dort einige
Informationen. Jemand steckte ihm, drei Zahnärztinnen hätten zu dem Problem
geforscht und wurden demnächst ihre gemeinsame Doktorarbeit verteidigen. Er
borgte sich für diesen Tag einen weißen Arztkittel von seinem Freund, schneite
in das Institut und wurde dort prompt als „Herr Kollege“ angesprochen. „Und
dann“, so erinnert er sich, „saß ich im Hörsaal und hörte das, was ich nie
hätte hören dürfen – die Fakten zum Schicksal der Kinder von Dohna.“ Wenig
später suchte er einen Mediziner in Dohna auf, wollte Näheres zu dessen Beitrag
in einer Zeitschrift wissen. Doch der erschrak nur und meinte: „Das, was ich da
aufgeschrieben habe, war nur für Fachkollegen gedacht. Sie hätten das gar nicht
verstehen dürfen.“
Zu
staatlichen Autoritäten ist Joachim Krause von Beginn an auf Distanz gegangen.
Er hat eine rebellische Jugendzeit mit schulterlangen Haaren und Beat-Band
hinter sich. Geboren wurde er 1946 im thüringischen Ehrenhain, einem Dorf, in
dem sein Vater Pfarrer war. Schon der war als DDR-kritisch bei der
Staatssicherheit bekannt. Joachim Krause war weder Pionier noch in der Freien
Deutschen Jugend (FDJ), verweigerte sich auch der staatlich verordneten
Jugendweihe. Nur, weil sich ein Lehrer für ihn einsetzte, kam er auf die Erweiterte
Oberschule und durfte nach dem Abitur Chemie an der TU Dresden studieren.
Zuvor
hatte er auf einer Bühne in Meerane vor dem bekannten Rundfunkmoderator und Talentesucher Heinz Quermann zur Gitarre „The House of the Rising
Sun“ gesungen - erfolglos. Doch dabei lernte er die Band „Meridas" kennen,
bei der er ein Jahr lang Bassgitarre spielte. Mitglied war dort auch Gerhard Zachar, der spätere Leiter von „Lift". Nicht nur für
diese Gruppe hat Joachim Krause Texte geschrieben, auch für „Panta Rhei",
aus der später „Karat" wurde. Sein Buch ist ein buntes Kaleidoskop des
Alltags der fünfziger bis achtziger Jahre in der DDR. In kurzen Episoden
berichtet er über Umsiedler, Waschtag, Leibchen, Kinderspiele, Landfilm, Hausbuch, Dorfpolizist, den ersten Fernseher, Radio
Luxemburg, Fahnenappell, Rock´n´Roll und Beatles-Fieber.
Erfahren
kann man hier auch, wie er sich, in die Enge gedrängt, der Anwerbung durch die
Staatssicherheit entzog. Er berichtet über die offene Jugendarbeit in der Weinbergskirche in Dresden-Trachenberge, einem Zentrum der
kirchlichen Opposition. Über die Anfänge der kirchlichen Umweltbewegung in der
DDR, den „Ökologischen Arbeitskreis" in Dresden. Über die „Ökumenische
Versammlung für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung", die
er in einer Arbeitsgruppe mit vorbereitete. In der Kirche galt er als Experte
für Energiefragen. 1989 gründete er in Berlin den „Demokratischen
Aufbruch" mit, ging aber nicht in den Vorstand. „Überhaupt bin ich danach
wieder zu meiner alten Gewohnheit zurückgekehrt, keinem politischen Verein
beizutreten, damit ich unverkrampft mit allen reden kann."
Sein
Alltag als Umwelt-Beauftragter der Landeskirche heute: „Ich werde eingeladen
von Menschen, die in dieser Welt hier und heute leben, und die Antworten suchen
auf ihre Fragen. Ich habe die Antworten oft auch nicht, aber ich stelle zur
Verfügung, um Informationen zu geben und die Nachdenklichkeit
zu
befördern."
(Tomas Gärtner
in „Dresdner Neueste Nachrichten, 10./11.5.08, S.14 Kirche)
(Conrad Zabka
in: BRIEFE zur Orientierung im Konflikt Mensch – Erde, Evangelische Akademie
Wittenberg, Heft 90, 2009, S.20)
Er ist Naturwissenschaftler und Poet – und war schon als Jugendlicher politisch unbequem: Der kirchliche Umweltbeauftragte Joachim Krause hat jetzt seine Erinnerungen veröffentlicht.
Es sind die großen Fragen, die Joachim Krause bewegen. Früher, als er mit einer Rockband auf der Bühne stand und 1980 mit dem Titel »Am Abend mancher Tage« einen Nummer-Eins-Hit für die Pop-Gruppe »Lift« schrieb. Und heute, wenn er als Beauftragter für Umwelt, Naturwissenschaft und Technik der sächsischen Landeskirche seine Vorträge hält. Schöpfung, Evolution, der Anfang und das Ende des Lebens – das sind seine Themen.
Zu staatlichen Autoritäten ist Joachim Krause dagegen von Beginn an auf Distanz gegangen. In seiner rebellischen Jugendzeit trägt er die Haare schulterlang. Er, der 1946 geborene Sohn eines politisch unbequemen Pfarrers aus Thüringen, geht weder zu den Pionieren noch tritt er der Freien Deutschen Jugend (FDJ) bei, verweigert sich auch der Jugendweihe. Auf die Erweiterte Oberschule (EOS) und zum Studium kommt er nur, weil sich ein Lehrer für ihn einsetzt. Und als er 1989 zu den Gründern des »Demokratischen Aufbruchs« gehört, geht er nicht in den Vorstand.
Überhaupt bin ich danach
wieder zu meiner alten Gewohnheit zurückgekehrt, keinem politischen Verein
beizutreten, damit ich unverkrampft mit allen reden kann.
Das wollte er schon 1968. Der »Prager Frühling« vor 40 Jahren ist in seiner Biographie ein zentrales Thema. »Er steckte an«, so schreibt Joachim Krause in seinen Erinnerungen, die unter dem Titel seines Liedes »Am Abend mancher Tage« als Buch erschienen sind. »Auch bei uns und in uns gärte es«, heißt es da. Zu dieser Zeit studiert er Chemie in Dresden.
Der Solidaritätsbrief, den er damals an seinen Prager Freund schreibt, erreicht diesen nie. Der Staatssicherheitsdienst fängt das Schreiben ab, heftet es in Krauses Akte. Vier so genannte »Operative Vorgänge« sollen es bis 1989 werden.
Joachim Krauses Erinnerungsbuch ist ein buntes Kaleidoskop des Alltags der fünfziger bis achtziger Jahre in der DDR. In kurzen Episoden berichtet er über Umsiedler, Waschtag, Leibchen, Kinderspiele, Landfilm, Hausbuch, Dorfpolizist, den ersten Fernseher, Radio Luxemburg, Fahnenappell, Rock ’n’ Roll und Beatles-Fieber.
Für einige namhafte DDR-Bands schrieb Joachim Krause Songtexte. Erfahren kann man in dem Buch aber auch, wie er sich, in die Enge gedrängt, dennoch der Anwerbung durch die Staatssicherheit entzog. Er berichtet über die offene Jugendarbeit in der Weinbergskirche in Dresden-Trachenberge, einem Zentrum der kirchlichen Opposition. Über die Anfänge der kirchlichen Umweltbewegung in der DDR, den »Ökologischen Arbeitskreis« in Dresden. Über die »Ökumenische Versammlung für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung«, die er in einer Arbeitsgruppe mit vorbereitet hat.
In dieser Zeit ist er zum Experten für Energiefragen geworden. Seit 1982 arbeitet der Chemiker als Umweltbeauftragter bei der Landeskirche. 1990 wird er für einige Zeit Berater des damaligen Umweltministers Klaus Töpfer bei der Sicherung der Gesundheitsunterlagen zum Uran-Bergbau der Wismut.
Heute ist Joachim Krause im Auftrag der Landeskirche häufig
in Sachsen unterwegs mit seinen Vorträgen über Umwelt und Naturwissenschaft. Er
versucht, die oft emotionalen Diskussionen durch Fakten zu versachlichen.
Menschen, die beunruhigt sind und viele Fragen haben, laden ihn ein, schreibt
er in seinen Erinnerungen.
Ich habe die Antworten oft auch nicht, aber ich stehe zur Verfügung, um
Informationen zu geben und die Nachdenklichkeit zu befördern.
Joachim Krause: Am Abend mancher Tage. Eine Spurensuche in Mitteldeutschland. Wartburg-Verlag, Weimar. ISBN 978-3-86160-401-3, 208 Seiten, 18,50 Euro
Tomas Gärtner
(Der Sonntag, 10.8.2008 S.5)
Eine alltägliche DDR-Biographie
Joachim Krause: Am Abend mancher Tage. Weimar: Wartburg Verlag 2008, 208 S., 18,50 Euro
Der Landesbeauftragte für Glaube und Naturwissenschaft der sächsischen Landeskirche hat auch noch Zeit zum Schreiben. Joachim Krause skizziert in überraschend plastischen Episoden 50 Jahre deutsche Geschichte. Ein unspektakuläres, aber eindrückliches Buch: Erlebnisse seiner Kindheit, die Jugend, sein Werdegang und die dramatische Zeit der Wende.
Zweihundert Skizzen, die nicht die ganze Welt erklären wollen, aber einiges erhellen und in ihrer Beschränkung zu mehr als privaten Mitteilungen geraten. Der Leser glaubt häufiger, alte Bekannte vor sich zu haben. In diesem Sammelband erweist sich Joachim Krause als ein authentischer Erzähler seiner Heimat. Je geradliniger die Stenogramme Eindrücke der vergangenen Zeit widerspiegeln, umso unverwechselbarer wirken sie fast: Wie die Kinder in der DDR Kartoffelkäfer sammeln mussten, oder als er beschreibt, wie sein Song „Am Abend mancher Tage“ 1880 einen 1. Preis in der DDR gewann. Jemand schreibt hier ohne Eitelkeit, unverblümt und undramatisch – und des zeigt sich, dass Alltagsgeschichte von Zeitgeschichte nicht zu trennen ist. Helden des Buches sollen auch die Freunde sein, an die er erinnern will. Ein gelungener Titel in einem auch sonst anregenden Frühjahrsprogramm eines Verlages, der sich aus der Nische scheinbar reiner christlicher Literatur wieder deutlicher hervorwagt.
Lutz Rathenow
(in: liberal Heft 3/08, Vierteljahreshefte für Politik und Kultur der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, liberalverlag Berlin)
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Interview
mit dem Schauspieler Jan Josef Liefers
(Tatort: „Professor Boerne“)
TAZ Berlin
2.2.09 S.24-25
(L.
durfte kein Abitur machen, sollte zur Nationalen Volksarmee gehen, lehnte ab …)
“Es gibt ein Lied, das wir auch
spielen*, „Am Abend mancher Tage, da stimmt die Welt nicht mehr“. Dieser Song
hat mir damals den Arsch gerettet.“
Bericht von
einem LIFT-Konzert mit Buchlesung „Am Abend mancher Tage“
http://www.puhdys-forum.de/t5083f80-LIFT-in-der-Weinbergskirche-DRESDEN-mit-Joachim-Krause.html
LIFT
in der Weinbergskirche DRESDEN mit Joachim Krause in
Konzertberichte Ostrock allgemein 29.05.2010 14:45
von
HH aus EE (Hartmut Helms)
Dies
ist mein Beitrag Nummer 800 in diesem Forum - ich kann's selbst kaum glauben!
Konzert, Lesung und
Nachdenken mit LIFT & Joachim Krause
Weinbergskirche, Dresden-Trachenberge, 28. Mai 2010
Nicht
immer hat ein Lied das Zeug für die Ewigkeit und auch nicht immer ist ein Text
dem Volk derart vom Munde geschrieben, so als wäre er mit abertausenden Zungen zur gleiche Zeit gesprochen. Doch manchmal haben Tausende
die gleichen Gedanken, fühlen das gleiche und nur einer von ihnen vermag dies
in Worte zu kleiden, so dass sich alle darin zu jeder Zeit wieder finden:
Am Abend mancher
Tage
da stimmt die Welt nicht
mehr
irgendetwas ist
zerbrochen
wiegt so schwer
und man kann das
nicht begreifen
will nichts mehr
sehn
und doch muß man weitergehn
Der
Anlaß für die Zeilen schmerzt mich heute noch, auch wenn
der Unfall im Herbst 1978 schon mehr als 30 Jahre zurück liegt. Damals starben
der Bandleader von LIFT, GERHARD ZACHAR sowie der begnadete Sänger und Texter,
HENRY PACHOLSKI, auf einer Landstraße in Polen. Wenn ich nur daran denke,
überkommt mich Wehmut und noch immer geht es wohl vielen ebenso. Wie sonst
wären die feuchten Augen und das zaghafte Mitsingen dieser wunderschönen
Ballade zu erklären.
Zum
ersten Mal hab’ ich diese Worte gestern von dem Mann gesprochen gehört, der sie
schrieb und zum ersten Mal war mir, als wäre im Text nicht nur die Trauer und
deren Überwindung beschrieben, sondern auch manch’ anderes Gleichnis darin
versteckt.
Die
kleine Kulturkirche Weinberge auf dem Trachenberg am
Dresdner Stadtrand ist gut gefüllt. Nur wenige Bankplätze und Stühle sind leer
geblieben. Kein Wunder, LIFT ist nicht nur vom Ursprung her eine Dresdner
Pflanze, sondern hier im Umfeld der Kirche begann einst als Dresden Sextett
auch die Eroberung der kleinen DDR-Rockwelt. Einer, der das alles aus allernächster
Nähe und als Teil dieser Geschichte, als Bassist, als Gitarrist, als Sänger und
letztlich dann als Texter, miterlebt hat, ist JOACHIM KRAUSE. Er lebte im
Umfeld der Kirche als Sohn des Pfarrers und Mitglied der Kirchengemeinde. Das
Dresden-Sextett und -Septett, die spätere Gruppe LIFT, hatte ihr Zuhause
ebenfalls hier.
JOACHIM
KRAUSE sitzt da vorn auf einem Hocker und erzählt sich einen Teil seines Lebens
von der Seele. Er taucht ein in Vergangenes und Wohlbekanntes. Von ersten
Begegnungen mit GERHARD ZACHAR ist die Rede, von der Freundschaft und von der
ersten Gitarre sowie von einem Geldstück in Ermangelung eines Plectrums. Man spürt das Schwere in seiner Stimme, wenn er
von der Baracke hinter der Kirche erzählt, in der die Proben der Band
stattfanden, wo FRANZ BARTZSCH am Klavier seine neuen Stücke vorspielte. Dieses
Instrument steht noch dort im Raum, der eine eigenartige Ruhe ausstrahlt, weil
darin ein Stück Rockgeschichte gelebt wurde und der jetzt als Vereinsraum des
Fördervereins dient. Manchmal sind die geschichtsträchtigen Orte nicht die, wo
ein Monument oder ein Gedenkstein stehen, sondern die, wo das weiter gelebt
wird, was an so einem Ort einstmals begann und noch immer Inhalt der gelebten
Gemeinschaft ist.
Zu
dem intimen Ambiente der Kirche passt die Musik von LIFT, zumal in
kammermusikalisch geschrumpfter Besetzung, wie eine kleine Perle in eine
Muschel.
Nach
37 Jahren, so WERTHER LOHSE, stehe er zum ersten Mal wieder in diesem Raum mit
dem Altar im Rücken und dem Blick auf die Orgel. Es war ein Moment der Stille,
als er dies aussprach, und der Kloß in seinem Hals war bis in die letzte Reihe
spürbar.
In
diese abendliche Ruhe schmiegen sich Songs wie „Jeden Abend“ oder eben
„Abendstunde, stille Stunde“ geradezu symbolhaft ein und unter dem Dach des
Gotteshauses saß wohl auch niemand, der das nicht spürte. Irgendwie klang alles
ein wenig neu, erlebte ich „Nach Süden“ anders und „Wasser und Wein“ in genau
dieser Umgebung gehört, ließ die Bedeutung von „anderen Wasser predigen und
selbst Wein trinken“ noch einmal völlig anders wirken – damals sowieso und
heute schon wieder. Ironie der Geschichte und Wahrheit des Lebens, nur die
Texte von heute lassen mich diese Gedankentiefe viel zu oft vermissen.
Die
alten Lieder von LIFT atmeten in diesen Minuten etwas Magisches und so manche
Liedzeile wurde in dieser Umgebung von Halbwahrheiten, Vermutungen und
Interpretationen befreit, erhielt ihre eigentliche Bedeutung zurück, von der
ich und viele andere bis dahin nichts geahnt hatten. Natürlich hatte ich, wie
so mancher DDR-Bürger auch, gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen und zu
erkennen. Bei vielen der Songs von LIFT ist dies auch offenkundig und als „Nach
Süden“ erklang musste niemand rätseln, was damit gemeint war.
Indem
JOACHIM Krause, der Pfarrersohn, seine Geschichten vom alltäglichen
DDR-Wahnsinn erzählte, vom Leben mit der „Firma“, von Post aus dem Westen oder
vom Erlangen der „Pappe“, sprich Spielerlaubnis, wurden Stück für Stück auch
die tatsächlichen Hintergründe manches Textes deutlicher, was ich so nicht
vermutet hätte. Diesem unscheinbaren Frühwerk „Wenn“ hätte ich eine solche
Botschaft wirklich nicht zugetraut.
Die
Pause eignet sich gut für Gespräche und für einen Besuch des ehemaligen
Proberaumes. Für einen verträumten Moment hätte Zachar
hinter einem Busch hervortreten und Wolfgang „Scheffi“
Scheffler hätte vielleicht für ein paar Etüden am Klavier sitzen können.
Manchmal geschehen eigenartige Dinge in solcher Umgebung und manchmal geschehen
auch Überraschungen. Plötzlich stehe ich vor DINA STRAAT, Zachar’s
damaliger Frau, und an der Seite ihre inzwischen erwachsene Tochter. Nach
etlichen Telefonaten nun auch das überraschende persönliche Treffen in eben
genau diesem Umfeld. Das hat schon einen Hauch von Magie!
Dann
erklingen wieder die Lieder jener Tage. Passend zu meiner Stimmung „Mein Herz
soll ein Wasser sein“, mit Ivonne und Werther im Duett oder a capella intoniert und tief unter die Haut gehend die
„Sommernacht“, die ich noch immer mit der Stimme von HENRY PACHOLKI verbinde.
Es ist sein Lied und daran geht kein Gedanke vorbei! Wir hören die „Kleine
Ahnung“ und „Meine Schulden“, ehe sich noch einmal JOACHIM KRAUSE vorn auf den
Hocker setzt.
Die
Gedanken gehen mit ihm zurück in Zeiten als „Tochter Courage“ für LIFT und
STEFAN TREPTE entstand und was der Text von Frieder Burkhardt damals wirklich
sagen wollte. Krause erzählt, wie er zunehmend auch für andere Texte schrieb.
So für THEO SCHUMANN, HORST KRÜGER oder PANTA RHEI („Über mich“) und wie dieser
Prozeß zunehmend auch seinen Rückzug von der
Live-Bühne hin zum Texter zur Folge hatte. Er lässt die Jugendarbeit im
Kirchumfeld noch einmal lebendig werden, erzählt Beklemmendes vom Umgang mit
der Stasi aber auch von den schönen Episoden, die sein Leben ausmachten, ist
die Rede. Alles auch nachzulesen in seinem Buch, das den Titel der Liedzeile
trägt.
Von
einer Hochzeit und Trauung in der Weinbergskirche ist
die Rede und wir erfahren, das die von GERHARD ZACHAR
und DINA STRAAT gemeint ist, die an diesem Ort vorgenommen wurde.
Seine
Stimme wird leise, als er von der Tournee 1978 durch Polen spricht und von der
Nachricht, dass ZACHAR und PACHOLSKI tödlich verunglückt seien und wie von
diesem Moment an, seine Geschichte mit LIFT ihr Ende erreicht und er zwei Freunde
verloren hatte. Von da an war dieses Kapitel für ihn abgeschlossen und nur noch
ein einziges Mal, schrieb er ein halbes Jahr später einen Text zu einem Demoband von Scheffi: „Laß’ dir dazu mal was einfallen.“ Auf diese Weise entstand
„Am Abend mancher Tage“ von der LP „Spiegelbild“. – „Danach habe ich nie wieder
einen Rocktext geschrieben“, sprach’s, stand von
seinem Hocker auf und setzte sich auf die Bank seiner Kirche…
Als
dann die Melodie erklang, war bei vielen sicher dieses mulmige Gefühl wieder da
und auch mir gelang es nicht, die Gedanken zu verscheuchen. Das wurde auch
nicht viel besser mit „Wind trägt alles Worte fort“, das Bodo in Erinnerung an
seinen erst kürzlich verstorbenen Freund und frühen LIFT-Keyboarder FRANZ
BARTZSCH sang. Wieder einmal stand im Raum diese Frage nach dem WARUM?
Zum
Schluß des Abends erklang in guter alter Tradition
die „Tagesreise“ von MICHAEL HEUBACH und danach ging eine bewegende und sehr
emotionale Lesung mit Live-Musik von LIFT ihrem Ende entgegen. So aufgekratzt war
ich schon lange nicht mehr, so viele Erinnerungen stürmten durch meinen Kopf
und so angenehm war dieser Abend natürlich trotzdem auch.
Dem
Förderverein „Kulturkirche Weinberg“ gilt ein großes Dankeschön, diese Lesung
in Verbindung mit so einem Konzert organisiert zu haben. Liebevoll gestaltete
Details, wie eine kleine Foto- und Erinnerungswand“Zeitung“
mit seltenen Zeitdokumenten, rundeten das Erlebnis ab.
Kompliment
an JOACHIM KRAUSE, der bescheidener als angemessen, Einblicke in sein ganz
persönliches Leben mit der Gruppe LIFT, mit der Kirchengemeinde und sein
Privatleben zuließ. Für Jugendliche eine gute Möglichkeit, Vergangenes besser
zu verstehen. Für solche wie mich war es ein Erinnern und Besinnen
gleichermaßen.
Wieder
einmal wurde mir bewusst, wie sehr mich die Rockmusik aus meinem „Wohnzimmer
DDR“ ebenso prägte, wie die der Pilzköpfe & Co. und all der anderen Helden,
die zu Hause auf Vinyl gepresst, auf Poster und Autogrammkarten gedruckt und in
Geschichten gebunden darauf warten, irgendwann weiter gegeben zu werden.
Weitergegeben in eine Zukunft vielleicht, die damit noch immer etwas
Wertvolles, Bleibendes und Eigenes verbinden kann und sei es auch erst „am
Abend mancher fernen Tage“:
„Gib’ nicht auf,
denn das kriegst du
wieder hin
eine Tür schlug zu,
doch schon morgen
wirst du weiter sehn.“
„Am
Abend mancher Tage“, Wartburg Verlag 2008, ISBN 3861604019