Mit
Weizen heizen ?
Für und Wider der
Getreideverbrennung zur energetischen Nutzung
Eine Zusammenfassung der Argumente als Beitrag zu einer ethischen
Urteilsbildung
von Dr. Clemens
Dirscherl
(Geschäftsführer des Evangelischen Bauernwerks in Württemberg und
Agrarbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD))
Die
Getreideerlöse gaben in den letzten Jahren deutlich nach und auch die aktuelle
Ertrags- wie Preissituation 2005 zeigt für die deutsche Landwirtschaft keine
große Aussicht auf Besserung. Die diesjährige Getreideernte weist
witterungsbedingt zusätzlich einen erheblichen Anteil nicht marktfähigen
Ausschussgetreides auf. Zugleich nehmen weltweit die klimabedingten
Wetterkapriolen mit erheblichen Umweltkatastrophen dramatisch zu. Die Forderung
nach gezielter Förderung von regenerativen Energiequellen wird lauter. Denn die
Nutzung von Sonne, Wind und Bioenergie ist klimaneutral. Parallel dazu steigt
der Ölpreis permanent in die Höhe. Auf den neuen "Global Player"
China entfällt inzwischen 35% der weltweiten Ölnachfrage, und auch in Indien
wächst der Ölhunger. So hat sich der Ölpreis innerhalb eines Jahres verdoppelt
und tendiert nach weiteren Prognosen sogar Richtung 100 Dollar pro Barrel.
Verstärkt wird dieser Trend zur Preissteigerung bei den fossilen Energieträgern
Mineralöl, Erdgas, aber auch Kohle und Uran durch die Begrenztheit ihrer
Vorkommen.
Vor diesem
Hintergrund gewinnt Getreide als neue regenerative Energiequelle immer stärker
an Bedeutung: einmal durch Vergasung, wo Energiepflanzen als Frischmasse für
Biogasanlagen genutzt werden. Zweitens in Form der Verflüssigung als Bioethanol
und schließlich immer stärker auch zur Verbrennung. Eine entsprechende
Bezeichnung wie "Biogas" oder "Bioethanol" ist bisher noch
nicht gebräuchlich -- ein erster Hinweis vielleicht auch auf die spontanen
Bedenken gegenüber dieser Form energetischer Nutzung von Getreide, was in den
gängigen Wortspielereien "Weizen verheizen" schon deutlich zum
Ausdruck kommt. Aus diesem Grund soll eine zusammenfassende Gegenüberstellung
der Vielzahl der Argumente für eine ethische Bewertung hiermit gegeben werden.
Bei einer
Selbstversorgungsquote an Getreide in der EU von 132% zeigt sich, dass
Alternativen für die Getreideverwertung gesucht werden, so auch zur energetischen
Nutzung. Ein Blick auf die Kostenrendite hinsichtlich der aktuellen Getreide-
und Ölpreise lässt die Getreideverbrennung besonders attraktiv erscheinen:
Kostet der Liter Heizöl zwischen 40 und 50 Cent, so bringt der Getreidepreis um
die 9 Cent pro Kilo. Entspricht ein Liter Heizöl der Brennwertigkeit von 3,5
Kilo Getreide bei Ausschussgetreide (2,5 Kilo bei Qualitätsgetreide), so tritt
die Rentabilität offen zutage. Da inzwischen auf mehr als 1,4 Mio ha oder
umgerechnet 12% der Ackerfläche in Deutschland Industrie- und Energiepflanzen
wachsen, wird entsprechend auch von Seiten des landwirtschaftlichen
Berufsstandes immer wieder für die Ausweitung des Getreideanbaus zur
energetischen Nutzung geworben, um dem Agrarsektor langfristig eine weitere
betriebliche Einkommensdiversifikation zu bieten.
Die Gegner
der Getreideverbrennung plädieren dagegen für eine Extensivierung der
Getreideproduktion (Stichwort: "Klasse statt Masse"), da nur durch
eine Rückführung der Überproduktion auch eine neue Wertschätzung für
Lebensmittel einherginge. Entsprechend könnte sich dann auch eine
Marktstabilisierung mit der Erhöhung der Getreidepreise einstellen. Zudem wird
damit gerechnet, dass sich bei breiter gesellschaftlicher Akzeptanz der
Getreideverbrennung sowie infolge der Globalisierung der Agrarmärkte zunehmend
auch ein internationaler Energie-Pflanzenmarkt herausbildete, der die gleiche
konkurrenzwirtschaftliche Wettbewerbsspirale wie bei Brot- und Futtergetreide
in Gang setzen würde und den erhofften Einkommensvorteil im vermeintlichen
Wachstumsmarkt Energieerzeugung für die heimische Landwirtschaft dahinschmelzen
ließ.
Vorrangiges
Ziel internationaler Verantwortung zum Klimaschutz müsste es sein, alle
denkbaren Möglichkeiten zur Reduzierung treibhausrelevanter Emissionen von
fossilen Brennstoffen voranzutreiben und zu nutzen, so die Befürworter der
Getreideverbrennung. Entsprechend werden nachwachsende Rohstoffe als CO2-neutral
dargestellt und die Getreideverbrennung als ein möglicher Beitrag zur Senkung
der Kohlendioxidemissionen angesehen. Zwar ist Getreide nach der TA-Luft als
zulässiger Brennstoff anerkannt, jedoch nicht sein Einsatz in
Kleinfeuerungsanlagen unter 100 kW, was für die Energieverwertung im einzelnen
Landwirtschaftsbetrieb ein Hemmnis darstellt.
Aus Sicht
der Kritiker gibt es im Bereich nachwachsender Rohstoffe wesentlich wirksamere
Einsatzpotentiale als ausgerechnet die Getreideverbrennung, allen voran die
Holzverwertung (Hackschnitzelanlagen). Zudem zeigten die herkömmlichen Anlagen
zur Getreideverbrennung bis heute erhebliche produktionstechnische Schwächen,
da die Emission von Staub und Stickoxiden die Getreideverbrennung als alles
andere denn eine "saubere Energiegewinnung" auswiesen. Hier wird auch
eine Verbindung zur Bundesimissionsschutzverordnung (BImSch) hergestellt. Die
Schadstoffemissionen, die bei der Getreideverbrennung anfallen, sind wesentlich
problematischer als bei Holzbrennstoffen. Das liegt an der Zusammensetzung der
Körner, ihrem höheren Stickstoff-, Schwefel- und Chlorgehalt. Auch die
Staubemissionen sind höher aufgrund der feinkörnigen Asche mit geringer Dichte,
weshalb sie im Abgasstrom leicht mitgetragen wird. Unabhängig von der
Verbrennungstechnik wird zudem eine Energiewende unter dem Schlagwort
"Suffizienzstrategie statt Effizienzsubstitution" propagiert. Anstatt
den wachsenden weltweiten Energiehunger mittels ständig neuer Suche nach
Energieträgern permanent befriedigen zu wollen, sei es an der Zeit, dass gerade
von Seiten der Industrieländer eine neue Qualität der Lebensführung und damit
auch der Wirtschaftsproduktion und des Energieverbrauchs einherginge: mehr
qualitatives Wachstum und Selbstbescheidung statt ungebremstes quantitatives
Wachstum mit unersättlichem Anspruchsdenken, was jedoch auf einen grundsätzlichen
Paradigmenwechsel unserer Wirtschafts- und Lebensweise zielt, denn konkret nur
auf die Problematik der Getreideverbrennung.
Bereits
historisch war der Landwirt nie nur Spezialist für Nahrungsmittel- oder
Futtermittelerzeugung, sondern immer Universalwirt -- eben auch Energiewirt.
Rund ein Viertel der zur Verfügung stehenden Fläche wurde bis ins 19.
Jahrhundert für die Ernährung der Zugtiere verwendet. Erst später infolge der
Industrialisierung und Arbeitsteilung wandelte sich die Produktionsfunktion der
Landwirtschaft zum Rohstofflieferanten der Ernährungs- und
Futtermittelindustrie. Von daher gab es schon immer einen Non-Food-Bereich der
Agrarproduktion, der sich auch außerhalb des Ernährungsbereichs zum Beispiel
mit Flachs oder Leinen auf nachwachsende Rohstoffe konzentrierte.
Auch heute
existiert eine Vielfalt an agrarischer Non-Food-Produktion aus Futtermitteln,
Industriealkohol, Treib- und Schmierstoffen sowie weiteren industriellen
Rohstoffen. Inzwischen hat auch die energetische Nutzung der Landwirtschaft
durch Biodiesel und Biogas über ihre ökologische Vorzüglichkeit eine weit
verbreitete gesellschaftliche Akzeptanz errungen. Lediglich an der
Getreideverbrennung scheinen sich bis heute die Geister zu scheiden.
Gegner der
Getreideverbrennung verweisen auf die unterschiedlichen kulturhistorischen
Gegebenheiten und fehlenden Alternativen vorindustrieller Zeit zur
Nutzungsvielfalt in der Landwirtschaft. Darüber hinaus erkennen sie im
Vergleich zu alternativen energetischen Nutzungspotentialen in der Verbrennung
von Getreide als originärem Nahrungsträger einen dramatischen soziokulturellen
Tabubruch.
Aus der
Kultursymbolik des "täglichen Brot", für das auch im Vater Unser
gebeten wird, ergibt sich nach christlicher Wertvorstellung ein erheblicher
ethisch-moralischer Grenzhorizont gegenüber der Getreideverbrennung: Brot, das
stellvertretend für den Erhalt der menschlichen Existenz steht; Brot als
Bindeglied christlicher Werte- und Lebensgemeinschaft, welches als "Brot
des Lebens" den Leib Christi verkörpert und mit entsprechender
liturgischer Symbolhandlung im Mittelpunkt der Abendmahlsfeier steht; Brot, das
dem Hungrigen in christlicher Zuwendung gebrochen, mit ihm geteilt wird und das
als christlicher Auftrag internationaler Verantwortung zur Hungerbekämpfung
"für die Welt" Namensgeber der evangelischen Hilfsorganisation der
Entwicklungszusammenarbeit ist. Folglich wird gerade aus christlichen Kreisen
die Getreideverbrennung als ethische Grenzüberschreitung wahrgenommen und
abqualifiziert: die letzten ethisch-moralischen Grenzzäune gegenüber
ausschließlich wirtschaftlichen Verwertungsinteressen würden eingerissen.
Demgegenüber
kann aus theologischer Sicht aber auch eine falsche Mystifizierung religiöser
Symbolik wie der des Abendmahls und des täglichen Brotes hinterfragt werden.
Das christliche Lebensverständnis wurzelt in der Gnade geschenkter Freiheit,
aus der Befreiung von Tod und Sünde zur Gestaltung der Welt -- ein
Freiheitsideal ("Freiheit des Christenmenschen") zu kreativer
Schöpfungsbebauung und Schöpfungsnutzung. Diese Freiheit steht über
Grenzziehungen normativer Ordnungen, die sich nur im Bewahren von Traditionen
und damit einem lebensweltlichen Konservatismus verpflichtet fühlt. Hierzu
gehört im Interesse der Schöpfungsbewahrung und zum Schutz des Weltklimas auch
die kreative Nutzung der unterschiedlichen Gaben der Schöpfung -- eben auch die
scheinbar grenzüberschreitende, weil bisher nicht praktizierte
Getreideverbrennung, um in rücksichtsvoller Haushälterschaft den nachfolgenden
Generationen ein liebens- und lebenswertes Leben auf dem Planeten Erde zu
ermöglichen. Die neutestamentarischen Überlieferungen der konventionellen
Grenz- und Gesetzesübertretungen von Jesus werden dazu herangezogen. Daraus
folgend gelte, dass auch für die Getreideverbrennung nicht der reine
Selbstzweck im Zentrum stehen dürfe, sondern über die Beantwortung der Frage
nach dem "wofür" sich ihre ethische Legitimation ergebe. Konkret
hieße das: Sicherung einer umweltverträglichen Energieversorgung, was schon
nach der Auslegung der vierten Bitte des Vater Unsers im großen Katechismus von
Martin Luther auch als variierte Form des täglich Brot interpretiert werden
könnte. Dort findet sich nämlich eine Auflistung aller möglichen
Schöpfungsgaben: um Brot, um Getreide, bis hin zu Haus und Hof, Vieh, Eheweib,
Nachbarn wird hier gebetet, um für die menschliche Lebensexistenz in ihrem
komplexen Abhängigkeitsnetz die Gnade und den Segen Gottes zu erbitten.
Die
religiöse Symbolik der Getreideverbrennung ist eng verbunden auch mit dem
Argument, dass man Lebensmittel angesichts von jährlich 830 Mio. Hungernden
nicht vernichten dürfe. Damit wird eine emotionale Abwehr gegenüber der
Getreideverbrennung gebildet, welcher mit einer grundsätzlich ethischen
Auseinandersetzung schwer beizukommen ist. Tatsächlich stellt die dramatische
Zahl der sterbenden, hungernden, mangel- und unterernährten Menschen angesichts
der Reichtumsproduktion in unserer Weltgesellschaft einen Skandal dar, der
jedoch in einer Vielzahl von Ursachen begründet liegt. Analog zur
Gentechnikdiskussion lässt sich dann auch bei der Getreideverbrennung
einwenden: der Welthunger ist kein Produktionsproblem, sondern ein
Verteilungsproblem mit einem komplexen Geflecht sozio-ökonomischer,
sozio-politischer und sozio-kultureller kausaler Wirkungszusammenhänge.
Entsprechend machte es keinen Sinn, die überschüssigen Getreidemengen --
Katastrophen- bzw. Notsituationen ausgenommen -- auf Dauer in die
Hungerregionen der Erde zu transportieren. Ziel nachhaltiger
Entwicklungspolitik muss die nationale Ernährungssouveränität der Völker dieser
Erde bleiben.
Die
heutigen Feuerungsanlagen zur Getreideverbrennung weisen noch eine Vielzahl
technischer Defizite auf wie Korrosionsgefahr oder Verschlackung der
Getreideasche, welcher nur mit einem enorm hohen technischen Aufwand
beizukommen ist. Solchen Einwänden gegenüber der betriebstechnischen Effizienz
wird jedoch die künftige technische Optimierung der Verbrennungsanlagen im Zuge
ihrer weiteren Anwendung und Perfektionierung gegenüber gestellt.
Die
Befürworter der Getreideverbrennung verweisen auf die gute Lagerfähigkeit und
Haltbarkeit sowie im Vergleich zu Öl oder Gas sichere Handhabung von Getreide
als Energieträger. Darüber hinaus zeige der hohe Energiegehalt des Getreides
und insbesondere der bevorzugte Einsatz von eiweißarmen Roggen und Gerste eine
entsprechende Energievorzüglichkeit. Demgegenüber verweisen die Kritiker der
Getreideverbrennung auf die grundsätzliche Alternative zur energetischen
Nutzung von Biomasse, insbesondere von Holz und Gras, welche bereits heute mit
ausgereifter Technik hervorragende Energiebilanzen erbrächten.
Im
Gegensatz zu Dänemark, wo inzwischen weit über 10.000 Heizungskessel Getreide
thermisch verwertet wird, werden in Deutschland gerade um die 100 Kessel
eingesetzt. Bis heute ist Getreidekorn im Leistungsbereich von 15 bis 100 kW
Feuerungswärmeleistung bei uns kein zugelassener Regelbrennstoff, auch wenn die
Umweltschutzverordnung als Ländersache einen gewissen Auslegungsspielraum
ermöglicht. Gleichwohl sind die Investitionskosten und die laufenden
Betriebskosten für Genehmigungsverfahren, Rauchgasreinigung und Wartung der
Feuerungsanlagen vergleichsweise hoch. Von Befürworterseite wird auf die
mögliche Änderung der Bundesimissionsschutzverordnung hingewiesen. Außerdem
würden bei breiterer gesellschaftlicher Akzeptanz und Nutzungsausweitung die
Investitions- und Betriebskosten durch Serienfertigungen sinken.
Gerade aus
umweltpolitischer Sicht wird mit der Ausweitung pflanzlicher Energieträger auf
die Gefahr einer monostrukturellen Anbauentwicklung mit ihren ökologischen
Begleitfolgen (z.B. Intensitätssteigerung, Verlust an Artenvielfalt) verwiesen.
Demgegenüber sehen die Befürworter aus agrarstrukturpolitischer Sicht in einer
zu erstrebenden ausgeglichenen Anbaustruktur mit entsprechender Fruchtfolge
nicht das Problem großflächiger Monokulturen, sondern eher die Chance der
Einkommensdiversifikation für die Landwirtschaft ("Energiewirt"),
wobei die Wertschöpfung aus der Energiegewinnung auch in regionale
Wirtschaftskreisläufe eingebracht werden könnte.
Eine
zusammenfassende ethische Abwägung der energetischen Nutzung von Getreide lässt
eine Vielzahl an befürwortenden und kritischen Argumenten gegenüber stellen.
Leitgedanken der künftigen energetischen Nutzung von Getreide sollten sich aus ethisch-moralischer Sicht daran
orientieren, einseitige wirtschaftliche Renditeerwartungen mit ausschließlicher
technizistischer Orientierung zu vermeiden (Vorsicht walten lassen), das
Leitbild ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit zu
berücksichtigen (Weitsicht walten zu lassen) und die erheblichen emotionalen
Vorbehalte, die es gegenüber der Getreideverbrennung gibt, politisch zu
akzeptieren (Nachsicht walten zu lassen).
Konkret
hieße das die Alternativen zur Getreideverbrennung zu überprüfen, also die
konkrete Nutzung von Holz- und Grasverwertung, Triticale dem Weizen vorzuziehen,
sich auf die energetische Nutzung des Getreideausputzes (Mutterkorn und
Fusarium) auszurichten und darüber hinaus die energetische Nutzung über die
Bioethanol- bzw. Biogasschiene, bei der die agrarischen Nebenprodukte, wie z.B.
Schlempe zusätzlich genutzt werden können, bevorzugt anzuwenden.