FAKTEN – QUELLEN – ZUSAMMENHÄNGE
Brot, Ernährung, Landwirtschaft
aktuellste Eintragungen am Ende, farbig
gekennzeichnet
der einzelnen Themenbereiche
abgeschlossen mit Stand von Januar 2018
·
Der
Spiegel, 36/98 S.204ff.:
* Bericht über neue Diät-Pillen
* 18 Mill. Menschen in Deutschland tragen XXL
* jeder zweite Deutsche trägt zuviel Masse mit sich
herum, jeder 6. Leidet an krankhafter
Fettsucht
* Adipositas - teilweise genetisch bedingte - Krankheit, die schwere
Folgeleiden nach sich zieht:
weit häufiger als die Gesamtbevölkerung
leiden stark Übergewichtige unter Diabetes, Bluthochdruck,
Herzkrankheiten und Gelenkverschleiß;
30 Mrd. DM jährlich kosten die
Fettsucht und ihre Folgekrankheiten die Krankenkassen
* BMI
Alter in Jahren optimaler BMI
19-24 19-24
25-34 20-25
35-44 21-26
45-54 22-27
55-64 23-28
>65 24-29
oberhalb BMI 30 steigt das
Sterblichkeitsrisiko
·
FP
9.9.98
Fleischverzehr pro Kopf
1993: 64,2 kg
1997: 60,0 kg
·
GEO
5/98 S.40ff.
* in D. 230000 Barcodes für Nahrungsprodukte vergeben (wer täglich 10 probieren
würde, brauchte 65 Jahre
* NESTLE-Konzern hat 4x soviel Personal wie alle
UNO-Organisationen (221000 Mitarbeiter, ( 80 Mrd DM
Umsatz pro Jahr)
* 220 Mrd Dm geben Deutsche
jährlich für Essen und Trinken aus
* weitere 100 Mrd DM für Linderung der Folgen der
Überernährung
* pro Jahr weltweit verzehrt: 876 Mio t Getreide, 730
Mio t Obst/Gemüse, >180 Mio
t Fleisch, 73 Mio t Meeresgetier
* Rat: viel Obst, Gemüse und Ballaststoffe; weniger Fett, Fleisch und
Einfachzucker
·
Biol. Bundesanstalt für Land- und
Forstwirtschaft: Grünbuch Pflanzenschutz, 1997, S. 24
in Deutschland abgesetzte Wirkstoffmengen Pflanzenschutzmittel:
1989: 65725 t (davon 31100 t DDR)
1991 44331 t
1994 26733 t
1996 32079 t
·
BMU:
Umweltbericht 1998, Zusammenfassung S. IV:
1990/95 Rückgang Düngemittel: P -60%, N -25%, PSM - 30%
·
Spektrum
der Wissenschaft 8/98 S.62ff
Kleine Kulturgeschichte des Alkohols
2.1.07
·
Welternährungsorganisation FAO Studie:
weltweit erzeugen 1,5 Milliarden Rinder, 1,7 Milliarden Schafe und Ziegen sowie
unzählige Schweine und Hühner 18 % der weltweit freigesetzten Treibhausgase und
somit mehr als der gesamte Transportsektor;;
auf einem Drittel der weltweit verfügbaren Ackerfläche werden inzwischen
Pflanzen fürs Vieh und nicht für Menschen angebaut;
Weiden und Felder, auf denen das Viehfutter angebaut wird, bedecken inzwischen
fast 30 % des Festlandes;
Viehwirtschaft für 9 % der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich; viel
entscheidender ist jedoch Methangas, das Wiederkäuer bei der Verdauung
freisetzen
(taz 5.1.07)
1.6.07
·
Interview mit dem Vorstandschef von
NESTLE zu Landwirtschaft, Ernährung und Wasser
für 1 Tonne Getreide benötigt man 1 Million Liter Wasser;
Maisanbau in den USA für Bioethanolproduktion: bis
2008 sollen 138 Millionen Tonnen Mais angebaut werden; für 1 Liter Ethanol
braucht man 4560 Liter Wasser; der Preis für 1 Tonne Mais ist bereits von 128
auf 335 Dollar gestiegen;
zum Trinken, Waschen und für die Körperpflege braucht der durchschnittliche
Europäer etwa 50 Liter Wasser am Tag; hinzu kommt, dass wir auch noch bis zu
8000 Liter Wasser am Tag essen. Jede pflanzliche Kalorie kostet in der
Herstellung einen Liter Wasser, jede Kalorie aus tierischer Nahrung das
Zehnfache; (Kilokalorie ??? JK)
Wasser ist ein menschenrecht. Aber nur, sagen wir, 25
Liter pro Person und Tag; in Südafrika hat man das umgesetzt, dort hat
neuerdings jeder das Recht auf 25 Liter kostenloses Wasser am Tag. Wer mehr
will, muss dafür zahlen. Es gibt kein Menschenrecht auf einen vollen
Swimmingpool;
pro Liter Flaschenwasser brauchen wir zusätzlich 0,6 Liter Wasser – für die
Herstellung der Verpackung, Reinigung der Abfüllanlage usw. 1 Liter Cola
benötigt 3-4 Liter Wasser, ein Liter Bier fast 7
(Die Zeit 4.4.07 S.25)
·
Spirituosenverbrauch pro Kopf und Jahr
in Deutschland 5,7 Liter (reiner Alkohol?)
(taz 5.6.07)
·
Slowaken tranken 2003 7,4 Liter reinen
Alkohol pro Jahr, 1991 waren es noch 13,7 Liter
(Spiegel 17/2007 S.109)
·
drei Viertel der deutschen Männer
und 59% der Frauen, 16% der Kinder haben Übergewicht; 60 Milliarden Euro kostet
das die Krankenkassen pro Jahr
(taz
9.5.07)
·
gesamte
Subventionen der Industrieländer 2004 für Subvention von Produktion und Export
landwirtschaftlicher Güter: 349 Milliarden Dollar;
subventionierte (billige) und verschenkte Nahrungsmittelüberschüsse aus den
reichen Ländern machen in den armen Ländern die Märkte kaputt und verhindern,
dass einheimische Produzenten ihre Waren verkaufen können;
im UNO-Bericht zur menschlichen Entwicklung 2005 steht: „Das Grundproblem, das
bei den Gesprächen der WTO über Landwirtschaft in Angriff genommen werden muss,
lässt sich in drei Worten zusammenfassen: Subventionen reicher Länder.“;
in Industrieländern wird von Masthähnchen nur das magere Brustfleisch genutzt;
der Rest gilt als Fast-Abfall; statt die Reste als Tiermehldünger auf die
Felder zu streuen, Geflügelteile billig nach Westafrika geliefert; den
senegalesischen Geflügelzüchtern wurde so der Garaus gemacht (bis dahin
prosperierender Sektor); einheimischer Markanteil fiel innerhalb von 5 Jahren
von 80 auf 35 %;
(Spiegel 19/2007 S.123)
·
(84)
schon heute haben rund 70 % aller Lebensmittel eine Verbindung zur Gentechnik,
sagt Ministerin Künast;
(93) wer gesund ist und sich ausgewogen ernährt, muss sich in Deutschland eigentlich
nur über zwei Bausteine seiner Ernährung lebenslang Gedanken machen: Jod und
Folsäure. Vom Jod gibt es in Mitteleuropa zu wenig in der Nahrung, weshalb
jodiertes Speisesalz zum Backen verwendet wird und auch im Supermarkt die
Auswahl dominiert.
Zu wenig Folsäure führt zu einem erhöhten Spiegel der Aminosäure Homocystein im Blut, die wiederum ein Risikofaktor für
Arteriosklerose ist. Bei Schwangeren steigt zudem die Gefahr einer Missbildung
des Kindes infolge des Folsäuremangels der Mutter (Gefahr, dass Kind einen
Neuralrohrdefekt hat);
(Spiegel spezial „Besser essen besser leben“ 5/2005)
·
Preis
für Heizöl mit 62 Cent pro Liter auf den höchsten Stand des Jahres gestiegen
(Freie Presse Juli 2007)
17.10.07
·
Selbst
eine Verdopplung des derzeitigen Brot-Getreidepreises würde die Brotpreise
lediglich um 3,5 % steigen lassen;
Bier für 100 Liter 17 kg Malz; = 22 kg Braugerste; aktueller Preis 2007: 190
Euro je Tonne; Kosten für 100 Liter Bier 4,20 Euro; in einem Kasten Bier (10
Liter 12 Euro) ist Braugerste im Wert von 40 Cent enthalten
(Freie Presse Chemnitz 15.8.07)
·
Rindfleisch:
jedes Kilogramm kostet mehr als 7 kg Futtergetreide;
Mais ist ein beliebtes Futtergetreide: Anbau eines kg davon benötigt rund 900
Liter Wasser;
wer Fleisch verzehrt, beansprucht also mehr Ackerfläche als ein Vegetarier –
und ein Vielfaches an Wasser;
eine Ethanol-Tankfüllung eines normalen Geländewagens kostet rund 200 kg Mais;
allein in der indonesischen Provinz West Kalimantan
könnten wegen der Abholzung für Palmölproduktion bis zu 5 Millionen Menschen
aus ihrer Heimat vertrieben werden;
Preissteigerungen? – Halbliterflasche Bier Gerste-Anteil 2 Cent; Brötchen für
20 Cent enthält nur für 0,4 Cent Getreide
(Zeit 9.9.07 S.20)
·
Weizen
kostet derzeit etwa 200 Euro je Tonne, 70 Euro mehr als vor einem Jahr;
Braugerste von 140 auf 240 Euro gestiegen;
weltweite Getreidereserven auf dem niedrigsten Stand seit 30 Jahren: damals
Vorräte für 110 Tage, heute für 57 Tage
(Süddeutsche Zeitung 25.7.07 S.17)
·
Im
Treibstoff sind die wertvollen Essenzen aus Mais, Raps und Sojabohnen vergeudet
– viel wirkungsvoller wäre es, die Anbauflächen aufzuforsten, um Holz zum
Heizen zu gewinnen;
der Mais, der für die Herstellung einer einzigen Tankfüllung Bioethanol
benötigt wird, reicht aus, um einen Erwachsenen ein ganzes Jahr satt zu machen,
aber deutsche Autofahrer zahlen besser als mexikanische Landarbeiter;
Produktion und Export des indonesischen Palmöls schaden dem Klima mehr, als es
die Verbrennung einer entsprechenden Menge fossilen Treibstoffs täte
(Zeit 27.9.07 S.1)
·
Preise
für Molkepulver auf dem Weltmarkt innerhalb eines
Jahres verdoppelt;
der Milchsee ist ausgetrocknet, der Butterberg
abgetragen;
12 % ihres Einkommens gibt die typische deutsche Familie für Lebensmittel aus,
vor 50 Jahren waren es gut 50%;
(Spiegel 32/2007 S.18)
·
Zu
Beginn des 20. Jahrhunderts aß jeder Mensch weniger als 5 kg Süßes im Jahr,
heute sind es in Europa 40 bis 60
(Ökotest 2/07 S.43)
·
43
Prozent aller Fische, die weltweit für den menschlichen Verzehr bestimmt sind,
stammen lt. FAO bereits aus Fischfarmen
(Ökotest 1/07 S.30)
·
über
84 kg Fleisch verzehrt jeder Deutsche jährlich;
(Ökotest 8/07 S.46)
·
ein
Landwirt ernährte
1949: 10 Menschen; 1980: 47; 2005: 143
(Ökotest 5/07 S.53)
·
In 120 Ländern wird derzeit „BIO“ angebaut,
weltweite Fläche von rund 5 Millionen Hektar 1996 auf 31 Millionen ha 2005 gestiegen;
der Glaubenssatz, „Regional“ sei bei „Bio“ die bessere Wahl, wackelt; Giessener Ernährungswissenschaftler Schlich errechnet, dass
ein Ökosteak aus Argentinien inklusive Schiffspassage
energiesparender produziert wird als sein Pendant aus Bayern, weil die
argentinischen Rinder im Freien leben und weder Stall noch Zusatzfutter
brauchen;
“Biotomaten“ aus Spanien: Pflanzen stehen im künstlich bewässerten Gewächshaus
in Reih und Glied, computergesteuert werden sie mit einer Nährlösung versorgt;
wenn der Nachbar anruft „morgen wird gespritzt“, dichtet der Biobauer die
Folien ab; Marienkäfer (für biologische Schädlingsbekämpfung) und Hummeln (für
Bestäubung) bezieht er dosenweise aus Holland;
auch bei BIO muss für jede Legehenne ein männliches Küken sein Leben lassen; Anbindehaltung für Rinder ist selbst bei Demeter nicht
verboten; Kälber werden mutterlos großgezogen;
(Spiegel 36/07 S.35ff)
·
Ökobilanz
Äpfel aus Neuseeland:
Transportstrecke 23.000 km
(Kühlschiff); verbraucht rund 1/3 mehr Energie als der einheimische Apfel, der
nach Saisonende 5 Monate Winterschlaf im Kühlhaus hält;
Unterschied entspricht etwa dem CO2-Ausstoß, den man mit dem Auto zum 3 km
entfernten Supermarkt verursacht
(Das Parlament 22.10.07)
·
Weizenpreis
hat sich an der Börse von Minneapolis/USA seit Ende 2005 mehr als verdoppelt;EU-Agrarkommissarin Boel:
der Rohstoff Weizen macht höchstens 4 % des Preises für einen Laib Brot aus
(Spiegel 41/07 S.92)
·
Pro-Kopf-Konsum
Alkohol in Deutschland am höchsten in Europa; als reiner Alkohol: 10 Liter
(taz 13.11.07)
·
90%
der Deutschen besuchen gelegentlich ein Schnellrestaurant; mehr als 60%
mindestens 1 x im Monat; 25% der 14- bis 30-jährigen gehen mindestens 1 x pro
Woche hin
(taz 16.11.07)
·
Jährlich
werden 142 Millionen Tonnen Fisch gefangen, so viel wie nie zuvor;
mehr als 40% der weltweit vom Menschen verzehrten Fische stammen aus
Aquakultur, Farmen vor den Küsten;
Futterpellets , gepresst aus Fischmehl und –öl (aus speziell dafür gefangenen
Fischen; ein Viertel des weltweit gefangenen Fischs ist Futter);
weltweit pro Jahr:
mehr als 220 Millionen Tonnen Fleisch (Hälfte Schwein, je 1 Viertel Rind und
Geflügel);
mehr als 300 Millionen Tonnen Kartoffeln (Hälfte als Futter);
mehr als 700 Millionen Tonnen Mais (in den USA vorwiegend Futter, zunehmend
Biogas);
mehr als 600 Millionen Tonnen Milch;
600 Millionen Tonnen Reis (fast durchweg als Nahrungsmittel);
600 Millionen Tonnen Weizen (große Mengen auch als Tierfutter);
214 Millionen Tonnen Soja (bis zu 80% Viehfutter; Abholzung von Wäldern,
gentechnische Sorten);
bis zu 90% des Wassers verbraucht die Landwirtschaft; 1 kg Mais = 900 Liter, 1
kg Rindfleisch = 16.000 Liter;
(ZEIT 29.11.07 S.58f)
·
Derzeitiger
Marktpreis für Backweizen: 22 Euro je Doppelzentner
(taz 24./25.11.07)
·
Sicherung
einer gesunden Ernährung: mindestens 1300 Kubikmeter Verdunstungswasser pro
Person;
Wasserverbrauch
des Menschen in Kubikmeter pro Person und Jahr |
||||
|
angestrebt |
tatsächlich |
||
|
Entwicklungsländer |
Industrieländer |
Durchschnitt |
Schwankungsbreite |
Ernährung |
1300 |
1600 |
1200 |
600
- 1800 |
Haushalt |
40 |
40 |
30 |
20
- 40 |
Industrie |
130 |
130 |
130 |
10
- 140 |
Summe |
1470 |
1760 |
1360 |
630
- 1980 |
Die
Produktion von Fleisch ist im besten Fall mit dem dreifachen und im
schlechtesten Fall mit dem 17-fachen Wassereinsatz verbunden wie die Produktion
der gleichen Menge pflanzlicher Nahrungsmittel;
Beispiel Hamburger: für die Produktion der 20 Gramm schweren Brothälften 20
Liter Wasser, für den 100-Gramm-Hackfleischbratling je nach Haltung der Tiere
zwischen 3500 und 7000 Litern Wasser; das bedeutet: beim Verzehr eines Burgers
35 gefüllte Wannen Wasser „virtuell“ zu sich genommen;
mehr als 20 Milliarden Tiere sind weltweit nur deshalb am Leben, um vom
Menschen verspeist zu werden;
(bild der wissenschaft plus
11-2007: Die Erde hat Fieber)
·
Getreidepreise
2000 bis 2008 Grafik
Dollar je 100 Scheffel Weizen (1 Scheffel = 1 Bushel W. = 27,2 kg)
2000: 220; 2006: 250; Ende 2007: 900;
Dollar je Tonne Reis:
2000: 210; 2006: 250; Anfang 2008: 750;
einige Gründe für steigende Preise:
+ Weltbevölkerung wächst, Anbauflächen nehmen ab;
+ Klimaveränderungen bewirken irreversible Verluste an Ackerland;
+ veränderte Ernährungsgewohnheiten: immer mehr Viehweiden;
+ hoher Ölpreis (auch durch Spekulation getrieben) führt zum Anbau von
Energiepflanzen
(Der Spiegel 16-2008 S.115)
·
Gesundheitssystem
in Deutschland gibt 30 % für die Folgen ernährungsbedingter Krankheiten aus =
über 70 Milliarden Euro pro Jahr;
geschätzt 240.000 Produkte im Lebensmittelbereich
(Der Spiegel 16-2008 S.96)
·
Kanzlerin Merkel gibt im Gegensatz zu
Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul nicht der steigenden Biospritproduktion
die Hauptschuld
bei der Preisexplosion bei Nahrungsmitteln; Änderung der Ernährungsgewohnheiten
in Entwicklungsländern; in Indien nähmen inzwischen rund 300 Millionen Menschen
jetzt eine zweite Mahlzeit pro Tag ein; Chinesen beginnen Milch zu trinken
(taz 18.4.08)
·
In Sachsen übergewichtig und
fettleibig:
57,2% der Frauen, 64% der Männer
(ZEIT 8.5.08 S.32)
·
Wegwerfen von essbaren Lebensmitteln:
USA 60 Kilogramm monatlich pro 4-köpfige Familie;
Großbritannien: ein Drittel wird weggeworfen;
Schweden: 1 Viertel geht in den Müll
(ZEIT 21.5.08 S.12)
·
Energiepflanzen-Anbau ist nicht neu;
es darf nicht vergessen werden, dass die Landwirtschaft schon lange Rohstoffe
für die Industrie und zur Energiegewinnung herstellt,
pflanzliche und tierische Fasern, Öle, Farben usw. Bei uns kommen nur etwa ein
Viertel der geernteten Kartoffeln auf den Teller, etwa 10% sind Saatkartoffeln,
der Rest wird vor allem zu Stärke und zu Alkoholen für die chemische und andere
Industrie verarbeitet. Noch in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts
wurden ca. 25 bis 50% des geernteten Getreides als Futter für Zugtiere
veranschlagt
(taz 2.6.08 Leserbrief)
·
40 Millionen Küken sterben jährlich
allein in deutschen Vermehrungsbetrieben (rund 300 Millionen in der EU), weil
sie das falsche Geschlecht haben;
Hälfte der ausgebrüteten Küken ist männlich; taugen nicht zur Fleischmast, weil
das Federvieh auf Legeleistung getrimmt ist; sind schlicht Abfall, werden mit
Kohlendioxid vergast oder lebendig im „Homogenisator“,
einer Maschine mit rotierenden Messern, zu Brei zermatscht;
das Töten von Tieren „ohne vernünftigen Grund“ widerspricht dem
Tierschutzrecht. Die Hahnentötung „ist das größte Problem im Tierschutz“
(Heidrun Betz vom Deutschen Tierschutzbund Bonn);
Früherkennungsmethode für das Geschlecht wird erprobt; am 8. Bruttag (Beginn der Hormonproduktion) werden Eier
durchleuchtet und durch Anpieksen etwas Material
entnommen; Geschlechtserkennung an Hormonen möglich; etisch
scheint der Brutabbruch am 8. Tag vertretbar: Schmerzempfindung des
Vogelembryos angeblich erst ab dem 10. Tag
(ZEIT 12.6.08 S.35)
·
Sojabohne;
stammt ursprünglich aus Asien;
USA mehr als 85 Millionen Tonnen pro Jahr, Brasilien 50, Argentinien 38;
90% werden an Tiere verfüttert;
(ZEIT 26.6.08 S.22)
·
Weizenpreis
je Tonne: 4.6.07 127 Euro; Februar 2008 250 Euro;
Stickstoffdünger Oktober 2007 250 Euro je Tonne; jetzt fast 500;
Preis für Phosphor um 180% gestiegen,
Kali kostete vor 3 Jahren 140 Euro je Tonne, jetzt 630;
(ZEIT 26.6.08 S.13ff.)
·
Brotweizen
Erzeugerpreise in Deutschland: Januar 2006 96 Euro je Tonne; Januar 2008 236;
(taz 1.7.08)
·
89
Gramm Obst essen 25- bis 50-jährige am Tag; das entspricht nur 37% der
empfohlenen Menge von 240 Gramm;
ein 45-jähriger hat in seinem Leben schon 45.000 Mal gegessen; Gewohnheiten …;
Fleischverzehr pro Woche: Männer 1000 Gramm (143 g/d), Frauen 850 g (121 g/d);
Empfehlung DGE: 600 g (86 g/d);
in einem Glas Cola sind zwölf Zuckerwürfel gelöst;
(ZEIT Wissen Nr.3 2008 S.17ff)
·
In
ihrer Ursprungsregion in den Anden bringt es die Kartoffel auf rund 3000
Sorten;
vom Reis lebt mehr als die Hälfte der Menschheit täglich;
Mais ist die meistangebaute Pflanze der Welt, Menschen ernährt er seltener als
Vieh; als angeblich klimaschonender Biosprit landet
er im Tank – vier Fünftel des Energieertrags gehen für Pestizide, Dünger und
Maschinen drauf
(ZEIT 3.4.08 S.35)
·
Ausgaben
für Pestizide pro Hektar Anbaufläche 2005 in Euro:
Deutschland 132, Niederlande 275, Rumänien 18;
Weltmarkt für Pflanzenschutzmittel 2007: 24,6 Mrd
Euro; EU-Europa 25%;
weltweit sterben pro Jahr 300.000 Menschen an Pestizidvergiftungen
(Der Spiegel 51/2008 S.88)
·
Nahrungsmittel Angaben für
Deutschland:
Anteil der Ausgaben am Gesamtkonsum 11,2%; Afghanistan 61,3%; USA 7,2%;
Tageskonsum pro Kopf: Kartoffeln 184 Gramm, Reis 11 g, Fleisch 216 g,
(ZEIT-Wissen Heft 1/2009, S.47)
·
den meisten Menschen ist nicht klar,
dass Trinken und Waschen nur zehn Prozent ihres Wasserbedarfs ausmachen, 90 %
stecken zum Beispiel in Kleidung, aber auch in Dienstleistungen und vor allem
im Essen: die Produktion einer Tasse Kaffe verbraucht
14 Liter Wasser, ein Hamburger 2400, 1 Paar Lederschuhe 8000, 1kg Fleisch
16.000, 1 kg Getreide 1000
5000 Liter solches „virtuelles Wasser“ verbraucht ein Bewohner der
Industrieländer pro Tag
(Spiegel 35/2008 S.147)
1 Tasse Kaffee erfordert bei der Herstellung 140 Liter Wasser
1 Liter Milch – 1000 l Wasser; 1 kg Reis – 3400 l Wasser; 1 kg Rindfleisch –
16.000 l Wasser;
(National Geografic: Planet Erde 2008, S.48)
·
die deutschen Bauern haben 2008 49,9
Millionen Tonnen Getreide eingefahren, gut 20% mehr als 2007, auch im Vergleich
zum langjährigen Mittel ein Plus von 13%;
jeder freie Hektar wurde bepflanzt, die Hälfte aller Brachflächen zu Acker
umgebrochen, die EU hat ihr Programm zur Flächenstilllegung zu den Akten
gelegt;
Felder waren auch viel ertragreicher: 2007 weniger als 70 dt
Weizen je Hektar, 2008 81;
in den letzten 12 Monaten haben sie 15% mehr Kali-, 20% mehr Phosphat- und 13%
mehr Stickstoff-Dünger gekauft als im Vorjahreszeitraum
(taz 5.9.08)
·
Getreideernte 2008 nach Schätzungen
der FAO rund 2,2 Milliarden Tonnen, 2,8% mehr als 2007
(taz 19./20.7.08)
·
(9)
in Bangladesh braucht eine Familie 80% des Einkommens
für ihre Ernährung;
(11) in China wird heute 5 x mehr Fleisch verzehrt als 1980; 1 Kalorie aus der
Tierproduktion erfordert 2 bis 7 pflanzliche Kalorien;
noch heute würde die weltweite Nahrungsmittelproduktion ausreichen, um die 6,7
Milliarden Menschen zu ernähren;
(12) auch in Afrika könnte genug produziert werden;
auch die Ernährung von 9 Milliarden Menschen bis Mitte des Jahrhunderts ist möglich;
(13) ungefähr 40% der Nahrungsmittel werden heute durch Schädlinge ungenießbar
(und vernichtet? JK)
(16) weltweit werden 36% des Getreides als Futtermittel eingesetzt, in der EU
45%;
(23) Unkräuter verursachen weltweite Ernteverluste von 14%; Insekten etwa 15%
und Pilze etwa 13%
(29) weltweit 2006 rund 30,4 Mill. ha weltweit unter zertifizierter
ökologischer Bewirtschaftung
(Aus Politik und Zeitgeschichte; 6-7/2009 Welternährung)
·
Kann
BIO die Welt ernähren?
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Chef des weltgrößten
Pestizidherstellers Syngenta: Ohne Pflanzenschutzmittel könnten wir weltweit 4
Milliarden Menschen ernähren und nicht wie mit konventioneller Landwirtschaft
6,5 Milliarden;
Versuche in Schleswig-Holstein: auf den Bio-Feldern sanken die Erträge je nach
Bodenqualität um 20 bis 70 %;
Schweizer Institut für biologischen Landbau (Fibl)
Versuche über 30 Jahre: Ertragseinbußen durchschnittlich 20%;
Grund: Nährstoffe fehlen;
Forscherteam der Biobranche: weltweit könnte mit BIO-Methoden 50% mehr erzeugt
werden als alle Bauern derzeit schaffen; Kritiker dazu: die Daten stammten
nicht nur aus BIO-Anbau;
(taz 20./21.122008 S.4)
·
Ein
Landwirt ernährte 1900 4 Personen; 1950 (BRD) 10, 2000 119:
Anteil der privaten Ausgaben der Haushalte für Nahrungsmittel: 1900 46,7%, 1950
(BRD) 43,5%, 2000 15,6%;
Pro-Kopf-Verbrauch wichtiger Nahrungsmittel (Kilogramm pro Jahr)
Lebensmittel |
um 1900 |
um 1950 (BRD) |
2000 |
Getreideerzeugnisse |
139,2 |
106,9 |
75,2 |
Kartoffeln |
271,1 |
188,8 |
70,0 |
Fleisch |
47,0 |
37,7 |
94,3 |
Öle
und Fette |
3,2 |
1,8 |
29,6 |
Eier
(Stück) |
90 |
126 |
224 |
(Der
Sonntag, Kirchenzeitung Sachsen; 5.10.08 S.3)
·
rund
40% aller Fische und Meerestiere, die weltweit in die Netze der Fischindustrie gehen,
sind Beifang und werden wie Müll ins Meer gekippt; mindestens 39 Mill. Tonnen
jährlich;
(Die Zeit 16.4.09 S.36)
·
insgesamt
1.094 Tiere verspeist jeder Deutsche im Laufe seines Lebens: 4 Kühe oder Kälber,
4 Schafe, 12 Gänse, 37 Enten, 46 Truthähne, 46 Schweine und 945 Hühner;
würde jeder wöchentlich einen fleischfreien Tag einlegen, könnten jährlich 157
Millionen Tiere verschont werden;
in Deutschland leben 5 bis 6 Millionen Vegetarier
(Deutscher Vegetarierbund)
(taz 1.10.09 S.08)
·
Die
Viehzucht verursacht derzeit nicht weniger als 18 Prozent der weltweiten
Treibhausgasemissionen;
dass schon ein einmaliger Fleischverzicht pro Woche zur Einsparung von 170 kg
CO2 im Jahr führe;
Während sich die Weltbevölkerung seit Anfang der 1960er Jahre etwa verdoppelt
hat, nahm der Verzehr von rotem Fleisch um den Faktor 4 zu, der von Geflügel
hat sich gar verzehnfacht. Heute leben mehr Nutztiere auf der Erde als je
zuvor, Schätzungen sprechen von 60 Milliarden. Und die
UN-Landwirtschaftsorganisation FAO erwartet, dass die jährliche globale
Fleischproduktion sich bis 2050 noch einmal fast verdoppeln wird, auf 465
Millionen Tonnen;
Im letzten Klimareport des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (BMELV) liest man, dass knapp ein Drittel der durch die
Ernährung verursachten Emissionen sich durch „fleischreduzierte Kost“ vermeiden
ließe,
(Die Zeit 10.12.09 S.39)
·
Kleinbauern
ernähren die Welt; auf Höfen, die kleiner sind als 2 Fußballfelder (1,6 ha)
wird der größte Teil der Nahrungsmittel produziert;
nur 15 Pflanzenarten liefern 90% unserer Lebensmittel;
40% der weltweit erzeugten Kalorien beruhen auf künstlich hergestelltem
Stickstoffdünger;
die Sojaanbaufläche allein für die Tierproduktion in Deutschland beträgt 28.000
Quadratkilometer (= Meckl.-Vorpommern + Saarland);
(Das Parlament, Beilage Aus Politik und
Zeitgeschichte Heft 5/6-2010: Landwirtschaft)
·
(27)
Rinder: etwa 200 Gramm Methan gehen pro Tag und Rind durch Pupsen und Rülpsen
in die Luft (etwa 290 Liter)
(Fluter, Magazin der Bundeszentrale für politische
Bildung, Heft 33/2009: Thema Ernährung)
·
(6)
Preise 1950 bis 2008:
Brotpreis 0,30 auf 2,50 Euro
Getreidepreis etwa konstant bei zuletzt 0,13 Euro
Anteil der Weltgetreideernte 2008:
Biokraftstoffe 5%
Saatgut, Industrie, sonstige 13%
Nahrungsmittel 47%
Futtermittel 35%
Verwendung der europäischen Getreideernte 2008:
Tierfutter 63%
Nahrung 23%
Saaten 8%
Industrie 4%
Biokraftstoffe 2%
(Agentur für Erneuerbare Energien: In Sachen Bioenergie 2009)
·
landwirtschaftlich
genutzte Fläche in Deutschland 2008:
Futtermittel 10,2 Mill. ha
Nahrungsmittel 4,5
stoffliche Nutzung 0,3
Brachfläche 0,3
Bioenergie 1,6
(Agentur für Erneuerbare Energien: Erneuerbare Energien 2020 – Sonderausgabe
Bioenergie, 2009)
·
Getreidepreise
2010
Getreideart |
Preis
Ende Juni 2010 |
Preis
Mitte August 2010 |
Gerste |
115 |
135 |
Mais |
2,7 |
3,0 |
Weizen |
3,7 |
5,2 |
(Spiegel
34-2010 S.74)
·
Malawi;
eines der ärmsten Länder Afrikas produziert seit Jahren Nahrungsüberschüsse;
Wunder begann 2005; Präsident legte ein Förderprogramm auf: Düngerpreis auf
weniger als 1/7 herunter; Preis für Saatgut auf ein Zwanzigstel gesenkt;
Durchschnittsertrag ist von 600 kg auf 1600 kg Mais je Hektar gestiegen;
“wir hatten jetzt auch drei Jahre gute Niederschläge;
mit modernen Anbaumethoden und Bewässerungsanlagen, mit größeren
Flächeneinheiten wären leicht drei- bis viermal so hohe Erträge zu erzielen
(Spiegel 36-2010 S.113)
·
in
den USA landen schätzungsweise 27% des Essens in der Mülltonne; das macht 2%
des gesamten Energieverbrauchs aus (Erzeugung, Zubereitung und Verpackung);
durch einen sorgsameren Umgang mit Nahrungsmitteln könnten demnach drei Viertel
der von US-Atomkraftwerken erzeugten Energie eingespart werden
(Spiegel 41-2010 S.163)
·
Wie
die FAO Bauern beibringt, umweltschädliche Pestizide zu benutzen – unter dem
Vorwand des Klima- und Bodenschutzes;
Tansania; Kurs „Konservierende Landwirtschaft“; Der Pflug muss weg! (lockerer
Boden erosionsgefährdet); mit einem Spezialwerkzeug ein nur wenige Zentimeter
tiefes Loch für jeden Samen; dazu leicht lösliche Mineraldünger (effektiv,
wenig einsetzen) und chemisch-synthetische Pestizide (Alternative wäre möglich:
Hacke); keine Gentechnik; Fruchtfolgen; Pflanzenreste bleiben zwischen den
Maispflanzen liegen, Wasser verdunstet so langsamer; höhere Ernteerträge
(taz 1.7.2010 S.3)
·
Ist
Chemie in Lebensmitteln wirklich nur schlecht?
Nach dem Lebensmittelrecht gelten Zusatzstoffe als Lebensmittel. Sie dürfen
nicht gesundheitsschädlich sein. Das zu beweisen, ist Aufgabe der Hersteller.
In einem aufwendigen Zulassungsverfahren wird festgelegt, in welchen Mengen und
für welche Lebensmittel ein Zusatzstoff verwendet werden darf.
“künstliche“ Herstellungsverfahren?
viele Zusatzstoffe sind natürlichen Ursprungs: Konservierungsstoff Benzoesäure
(E 210) auch in Blaubeeren zu finden, Verdickungsmittel Agar-Agar (E 406) wird
aus Rotalgen gewonnen und das Antioxidationsmittel Zitronensäure (E 330) kommt
in zahlreichen Obst- und Gemüsesorten vor (100 Gramm Tomaten enthalten 300
Milligramm Zitronensäure, das ist mehr, als die Menge, die Senf vor dem
Braunwerden schützt); auch solche „natürliche“ Zitronensäure ist schädlich für
die Zähne!;
die häufigsten Allergieauslöser sind natürliche, unverarbeitete Lebensmittel
wie Kuhmilch oder Nüsse
(taz 9.10.2010 S.34)
·
Laut
Stiftung Warentest sind Biolebensmittel genauso gesund und schmackhaft wie
herkömmliche, allerdings enthielten sie weniger Pestizide; Umweltfaktoren
flossen in die Bewertung nicht ein;
85 Tests seit 2002 ausgewertet;
„sehr gut“ erhielten je 1% der Bio- und der konventionellen Lebensmittel;
“gut“ gab es für 44% der herkömmlichen und 40% der Bio-Lebensmittel;
“befriedigend“ beide zu je 38%
(taz 28.5.2010 S.8)
·
derzeit
weltweit:
1,3 Milliarden Rinder, eine knappe Milliarde Schweine und 20 Milliarden Hühner
(taz 6.8.2010 S.18)
·
Für
die mehr als drei Millionen Tonnen Sojaschrot, die pro Jahr von Brasilien nach
Deutschland als Futtermittel ausgeführt werden, sind 1,2 Millionen Hektar
Anbaufläche nötig.
(Bundesumweltministerium, Magazin „Biologische Vielfalt – der Reichtum unserer
Erde“, 2010, S.6)
·
57
% der europäischen Getreideernte dienen der Tierernährung;
75 % aller Tiere werden mit gentechnisch veränderte Futter gefüttert (v.a. Soja
aus Brasilien, Argentinien und Paraguay);
Sojaanbau in Paraguay; „Kinder werden blind, Schwangere verlieren ihre Babys,
unsere Tiere sterben“, erklärt Geronimo die Folgen der Ackergifte, die auf den
Sojafeldern rundherum regelmäßig versprüht werden (???JK);
zweieinhalb Tonnen Sojabohnen und mehr werden heute bei guter Ernte pro Hektar
erzielt. Das bringt um die 900 Dollar Verkaufspreis pro Hektar.;
In der EU gibt es eine riesige Eiweißlücke: 80% des Eiweißpflanzenbedarfs
werden importiert, das entspricht 20 Millionen Hektar, die wir Europäer für
unsere Fleischproduktion importieren. Diese Flächen stehen für eine Ernährung
der Bevölkerung vor Ort nicht mehr zur Verfügung. Derzeit werden 36% der weltweiten
Getreideernten an Tiere verfüttert, die weltweite Sojaernte geht zu 70% in die
Mägen von Tieren.;
Heute ist klar, dass die Fleischproduktion weltweit jährlich – je nach
Berechnung – zwischen 18 und 51% (??? JK)
der menschlich verursachten Treibhausgasemissionen ausmacht.
(Agrar Info Jubiläumsausgabe Mai 2011, Beilage zur
TAZ 21.5.2011, gefördert durch u.a. BMZ, EED, Misereor – www.agrarkoordination.de)
·
(zu
EHEC und Bio-Gurken)
aßen die Deutschen 1950 im Durchschnitt 50 Kilogramm Gemüse pro Jahr, sind es
heute 100 Kilo;
Bioware ist inzwischen genauso der Industrialisierung
unterworfen wie andere Lebensmittel auch;
44 % des Biogemüses werden aus dem Ausland eingeführt; jede zweite Biomöhre eine Importmöhre;
also fliegt die Lufthansa frische Bioerbsen aus Kenia und Biopetersilie aus
Israel ein, Biokartoffeln aus Ägypten kommen ebenso per Schiff wie Biogetreide
aus Argentinien; Biozitronen, -tomaten und eben auch –gurken
bringt der Laster aus Spanien; neun von zehn Exportgurken, darunter auch
Biogurken, wachsen in einer einzigen Provinz, in Andalusien; dort steht der
größte Gewächshauskomplex der Welt, ganze Landstriche haben dort die Bauern mit
Plastikfolie überzogen;
Außer an Sonne fehlt es in der Gegend an allem, was Pflanzen normalerweise zu
einem gesunden Gedeihen brauchen, vor allem das Wasser. Ein Drittel des
landwirtschaftlichen Anbaus wird aus illegalen Brunnen bewässert. Dafür wird
nichts bezahlt, und die Qualität des Wassers wird nicht kontrolliert.
Der Staat hilft, wenn jemand auf Biolandwirtschaft umsteigt. Ein spanischer
Bauer erhält für eine konventionelle Gurke 17 bis 25 Cent, für eine Biogurke könne er bis zu 45 Cent erlösen;
Ökobauer Vila behauptet, dass im „Chemielabor“
Almeria viele Erreger resistent gegen die Pestizide geworden seien.;
Viele Transportunternehmen verfügen nicht über die spezifischen Behälter,
Container und Lagervorrichtungen für Ökoprodukte;
Escherischia Coli in der Variante HUSEC 41 hat sich
irgendwann im Verdauungstrakt von Wiederkäuern entwickelt, als Mutation eines
Bakteriums …; Meist wird Ehec durch rohes oder unzulänglich gegartes Fleisch, Mett oder Rohmilchprodukte
übertragen
(Die Zeit 23-2011, 1.6.2011, S.27)
·
Der
bislang schwerste Ehec-Ausbruch ereignete sich 1996 in Japan, wo sich 11000
Schulkinder nach dem Genuss verunreinigter Rettichsprossen
ansteckten. Die Pflanzen waren auf dem Feld durch angeschwemmten Rinderdung
kontaminiert worden;
Im Fachblatt Science erschien eine Studie, nach der ein höherer Anteil von Heu
und Stroh im Viehfutter die Zahl der Bakterien reduziert – aber die Studie
konnte von anderen Wissenschaftlern nicht reproduziert werden.
(Die Zeit, 1.6.2011, S.36)
·
Rezension
Buch; Montgomery D.R.: Dreck, Oekom, München 2010;
jährlich gehen 24 Milliarden Tonnen Erdboden verloren, die Erosion erfolgt mit
der 10- bis 20-fachen Geschwindigkeit der Boden-Neubildung
(bild der wissenschaft
6-2011 S.75)
·
200
Millionen Tonnen Gülle werden jedes Jahr auf deutschen Feldern ausgeschüttet
(entspricht bei 82 Millionen Menschen
2,44 Tonnen je Einwohner im Jahr; = 6,7 kg je Einwohner am Tag JK)
(Der Spiegel 22-2011 S.17)
·
seit
1991 hätten die Bauern in Sachsen rund 38.400 Hektar Ackerland eingebüßt, sagte
der Präsident des Sächsischen Landesbauernverbandes (SLB);
auf dieser Fläche könnte genug Getreide angebaut werden, um alle Sachsen mit
Brot zu versorgen;
Gründe für den Flächenverlust: ungebremster Bau von Straßen, Wohn- und
Gewerbegebäuden, Stromleitungen, Bauern müssten Ausgleichspflanzungen für den
Straßenbau dulden; Umweltminister Kupfer: Ziel sei es, den durchschnittlichen
Flächenverlust von derzeit 5 Hektar am Tag bis 2020 auf unter 2 ha zu
verringern
(Freie Presse Chemnitz 6.5.2011 S.7)
·
(Leserbrief)
obwohl Deutschlands Bevölkerungszahl bereits abnimmt, werden jeden Tag weitere
94 Hektar Naturland in Siedlungs- oder Verkehrsfläche umgewandelt
(Der Spiegel 19-2011 S.11)
·
Hühnerhaltung
Haltungsformen (Prozent Anteil):
Haltung 1995 2010
Käfig 93,7 15,7
Boden 4,6 63,5
Freiland 1,6 14,3
ökologisch 6,5
Legeleistung pro Henn und Jahr: 1960 152 Eier; 1980 242 Eier; 2010 285 Eier;
2009 10 Milliarden Eier in Deutschland erzeugt; 52% von Privathaushalten
gekauft
(Die Zeit 20.4.2011 S.35)
·
Interview
mit Jochen Flasbarth, Umweltbundesamt;
Die alarmierende Entwicklung. 79.000 Quadratkilometer Agrarland sind in den
vergangenen dreißig Jahren weltweit unbrauchbar geworden. Das ist eine Fläche,
so groß wie Österreich;
Wir hatten im selben Zeitraum Zugewinne von 25.000 Quadratkilometern. Doch für
dieses Neuland wurden oft wertvolle Ökosysteme wie der Regenwald unter den
Pflug genommen;
Es gibt einen immer höheren Nutzungsdruck, ausgelöst durch das
Bevölkerungswachstum; überdies wollen die Konsumenten in den Industrieländern
und wachsende Mittelschichten weltweit mehr Fleisch konsumieren, deshalb werden
mehr Flächen für den Anbau von Futtermitteln gebraucht. Außerdem steigt die
Nachfrage nach Energiepflanzen. Auch durch Wetterextreme als Folge des
Klimawandels werden Böden verweht, verwüstet oder einfach weggespült;
Private oder staatliche Anleger suchen anderswo nach Ackerflächen. Besonders
oft kommen sie aus bevölkerungsreichen Ländern wie China, Südkorea oder
Saudi-Arabien, die selbst über wenig fruchtbaren Boden verfügen. Dieses land grabbing bedroht den sozialen
Frieden, weil das Land dann für die Versorgung der lokalen Bevölkerung fehlt.
Es ist kaum vorstellbar, dass afrikanische oder südamerikanische Bauern ruhig
bleiben, wenn ihre Familien Hunger leiden, während neben ihrem Dorf auf den
Feldern ausländischer Investoren die Nahrungspflanzen üppig gedeihen;
Auch in Mitteleuropa gibt es Erosion, auch bei uns ist der Humusgehalt der
Böden oft gering, und sie sind mit Schadstoffen belastet. Täglich werden in
Deutschland rund 100 Hektar Land durch Neubauten und Straßen neu versiegelt,
und von dem erklärten Ziel, wenigstens auf 30 Hektar herunterzukommen, sind wir
noch immer weit entfernt
(Die Zeit 22.6.2011 S.39)
·
Jährlich
gehen weltweit 24 Milliarden Tonnen Ackerboden verloren, die Erosion erfolgt
mit der 10- bis 20-fachen Geschwindigkeit der Boden-Neubildung
(bild der wissenschaft
6-2011 S.75)
·
Was die Etiketten
verstecken - "Ohne Gentechnik" bedeutet oftmals doch "mit",
denn die Kennzeichnungspflicht ist lückenhaft;
Immer wieder spricht sich in Umfragen eine deutliche Mehrheit der Deutschen
gegen die Anwendung von Gentechnik aus. Viele dürften sie für eine exotische
Nischentechnologie halten, auf die man in Landwirtschaft und
Nahrungsmittelproduktion genauso gut verzichten könnte. Schließlich scheint im
Lebensmittelregal nichts davon anzukommen. Dem widersprechen Schätzungen von
Experten: 50, 60 oder gar 80 Prozent aller Artikel in einem typischen
Supermarkt seien bei irgendeinem Herstellungsschritt mit der Technologie in
Berührung gekommen;
in Wahrheit weiß es niemand so richtig. »Dazu haben wir keine Angaben«, sagt
der Sprecher von Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner und fügt hinzu:
Eine Analyse müsse wohl ganz unten beginnen, »also bei Vitaminen, Zucker,
Milch, Tierfutter...«;
Als Konsequenz aus dem Honigurteil des EuGH könnte die Auswahl schrumpfen. Der
Nulltoleranzidee folgend, hatten die Luxemburger Richter im Sinne eines
Augsburger Imkers geurteilt: Enthält Honig auch nur einen einzigen Pollen einer
hierzulande nicht zugelassenen, genveränderten Sorte, dann darf er ohne eigene
Zulassung nicht verkauft werden. Nichts zu tun hat das Urteil mit
Gesundheitsrisiken (darauf gab es keine Hinweise) und der Möglichkeit, dass der
Pollen sich noch verbreiten könnte (kann er definitiv nicht);
Keine einzige genetisch veränderte Speisesorte besitzt derzeit diese Zulassung,
nur eine Industriefrucht. Es ist die Kartoffel Amflora,
die allerdings nur für die chemische Industrie angebaut werden soll;
Die Käsetheke – Aus Milch kann erst Käse werden, wenn das Milcheiweiß aus der
restlichen Flüssigkeit ausfällt. Dieser künstlichen Verdauung half man früher
mit natürlichen Verdauungssäften auf die Sprünge, mit dem Magensaft von Kälbern
(Lab), der das Enzym Chymosin enthält. Inzwischen wird dieses überwiegend
synthetisch erzeugt, und zwar mithilfe genetisch veränderter Mikroben;
Als Produktionshilfsstoff muss Lab nicht in der
Zutatenliste auftauchen. Diese Stoffe stammen auch bei anderen Lebensmitteln –
vor allem industriell erzeugten – oft aus weißer Gentechnik;
Die Fleischtheke – Beim Kauf von Rind-, Schweine- und Geflügelfleisch springt
bei manchen Verpackungen wie auch bei Milchprodukten das Siegel »Ohne
Gentechnik« ins Auge. Mit diesem Etikett wollte die Bundesregierung mehr
Transparenz schaffen, doch die Kennzeichnung ist umstritten, weil sie Ausnahmen
zulässt: So dürfen Rinder bis zu 12 Monate vor ihrer Schlachtung mit transgenen
Pflanzen gefüttert werden. Bei Schweinefleisch sind es vier Monate, bei
Hähnchen zehn Wochen Karenzzeit.
Jederzeit dürfen Fleisch-, Milch- und Eierlieferanten zudem Zusatzstoffe ins
Futter mischen, die aus dem Bioreaktor stammen, um Ernährungsmängel bei der
Mast auszugleichen. Zufällige Verunreinigungen des Futters mit zugelassenen und
als sicher befundenen Gentechniksorten, etwa mit importierter Soja, werden bis
zu einer gesetzlich festgelegten Grenze von 0,9 Prozent toleriert. Hinzu kommt,
dass alle Nutztiere mit gentechnisch erzeugten Medikamenten und Impfstoffen fit
gehalten werden dürfen. Somit können an der Fleischtheke und im Milchregal
nicht nur die grüne und die weiße, sondern auch die »rote Gentechnik« vertreten
sein;
Eine Viertelmillion verschiedener Produkte stehen in deutschen
Lebensmittelgeschäften, jedes Jahr kommen Zehntausende hinzu;
Dennoch bleibt Spielraum für Ungewissheit. Jährlich führt die EU 35 Millionen
Tonnen Soja ein, doch eine absolute Trennung zwischen transgenen und anderen
Bohnen ist bei der Verarbeitung nicht möglich (in solchen Fällen greift die
0,9-Prozent-Regel). Daher finden sich auch in als »gentechnikfrei« deklarierten
Produkten sehr geringe Mengen gentechnisch veränderter Soja – bundesweit. 2008
war bereits gut ein Viertel der Nahrungsmittel betroffen.
Die Getränkeecke – Vom herkömmlichen Saft bis hin zum exotischen
Fruchtsaftgetränk, oft wird die Natürlichkeit betont. Doch auch bei ihrer
Herstellung kann Gentechnik eingesetzt worden sein. Etwa beim Auspressen der
Früchte, wenn mittels Enzymen die Zellwände zerstört werden, um mehr Saft aus
Apfel, Traube und Co. herauszupressen. Die Enzyme Pektinase,
Cellulase oder Xylanase
können allesamt von gentechnisch veränderten Mikroben stammen. Zusätzlich
werden Amylasen eingesetzt, um trübe Säfte klar werden zu lassen.
Auch Vitamin C ist nicht immer natürlichen Ursprungs. Es wird in unbekanntem
Maße bereits kommerziell von transgenen Mikroorganismen hergestellt. Die
Vitamine B2 und B12 stammen sogar fast ausschließlich von Gentechnik-Bakterien.
Vitamin E wird oft aus genetisch veränderter Soja gewonnen;
Die süße Quengelware – Schokoriegel, Bonbons und
Eiscreme enthalten Zucker, der oft aus Zuckerrüben hergestellt wird. Die
Pflanze ist 2009 weltweit auf mehr als 4,3 Millionen Hektar angebaut worden, 11
Prozent davon waren genetisch verändert. In der EU ist das nicht erlaubt, der
Import von gv-Rüben aus Nordamerika – ihr Anteil beträgt
dort 95 Prozent – hingegen schon. Einige US-Produkte mit Gen-Süße finden sich
daher auch in deutschen Supermärkten. Sie müssen allerdings gekennzeichnet
werden – unabhängig davon, ob genveränderte Stoffe der Rübe im Endprodukt
nachgewiesen werden können;
(Die Zeit 15.9.2011 S.49 - http://www.zeit.de/2011/38/Gentechnik-Kennzeichnung
)
·
vom
Essensmüll der USA und Europas könnten die Hungernden der Erde siebenmal satt
werden;
pro Kopf der Weltbevölkerung erzeugen die Bauern täglich 4600 Kilokalorien 1400
davon erreichen niemals einen Magen;
die Hälfte der Lebensmittel, die in Deutschland weggeworfen werden, könnten
noch gegessen werden;
(Die Zeit 15.9.2011 S.48)
·
In
Deutschland landen jährlich geschätzte 20 Millionen Tonnen Lebensmittel auf dem
Müll;
Welternährungsorganisation FAO herausgefunden, dass der größte Teil in den
wohlhabenden Staaten beim Verbraucher verdirbt: Amerikaner und Europäer werfen
pro Person im Schnitt rund 100 Kilogramm Lebensmittel im Jahr weg. Allerdings
ist der Schwund auch in den Entwicklungsländern beträchtlich. Dort kommen bis
zu 40 Prozent der Ernte erst gar nicht bei den Menschen an. Falsche Lagerung,
Transportschäden und fehlende Verpackungen bringen die bäuerlichen
Kleinbetriebe um ihr Einkommen.
Derzeit leben etwa sieben Milliarden Menschen auf der Welt, fast jeder siebte
hungert.
Im Jahre 2050 dürften neun Milliarden Menschen die Erde bevölkern. Um alle satt
zu bekommen, müssten die Ernteerträge drastisch steigen, sagt Robert van Otterdijk. Er ist der Landwirtschaftsexperte der FAO;
Einige Handelsketten haben das Problem erkannt. So schult beispielsweise die
Metro-Gruppe bereits seit 2002 Lieferanten aus Entwicklungs- und
Schwellenländern, Hygienestandards einzuhalten sowie Transport und Logistik zu
optimieren. »Die Verluste, die nach der Ernte entstehen, konnten in der Regel
um 40 Prozent reduziert werden«, sagt Jürgen Mattern. Er ist bei der Metro
Leiter des Bereichs Nachhaltigkeit und Qualitätsmanagement. Manchmal helfe es
schon, darauf aufmerksam zu machen, dass der Esel nicht neben dem Berg von
Gemüse geparkt werden sollte;
Der eigentlich skandalöse Teil spielt in den gut versorgten und wohlgenährten
Industriestaaten. Viele Lebensmittel schaffen es dort allein aus optischen
Gründen nicht in die Regale der Supermärkte. Sie werden aussortiert, weil sie
der EU-Vermarktungsverordnung nicht genügen. Prominentes Beispiel war lange
Zeit die Gurke, die einen gewissen Krümmungsgrad nicht überschreiten durfte:
Erlaubt waren zehn Millimeter auf zehn Zentimeter Länge. Was krummer war, hatte
keine Chance. Seit 2009 ist damit zwar Schluss. Aber nicht bei allen Gemüse-
und Obstsorten. Äpfel, Salate, Paprika und Tomaten unterliegen noch immer einem
strikten Regime, bei dem es nicht um Gesundheit, sondern lediglich um die Form
und ums Aussehen geht. So muss ein Apfel einen Durchmesser von mindestens sechs
Zentimetern haben;
Kuchen, Brot und Brötchen ergeht es aus anderen Gründen nicht viel besser. Weil
etliche Backshops in den Supermärkten bis zum Ladenschluss das gesamte
Sortiment vorhalten müssen, bleibt dort besonders viel übrig: Gut zehn Prozent
aller Backwaren sind Überschuss. Der wird unter anderem an Tiere verfüttert –
oder verbrannt. Brot hat nahezu den selben Heizwert
wie Holz;
Zur automatisierten Verschwendung kommt es in der Nahrungsmittelindustrie. So
hat Tristram Stuart, der in seinen Büchern bereits
seit Jahren die Verschwendung geißelt, unter anderem eine Sandwich-Fabrik
besucht. Stuart berichtet, dass sie jeden Tag 13.000 Scheiben frisches Brot
entsorgt. Nicht, weil sie schlecht plant, sondern weil sie von jedem Laib die
ersten und letzten beiden Scheiben nicht nutzt;
Laut der Welternährungsorganisation FAO sind die Weltmarktpreise für Getreide
seit 2000 um satte 200 Prozent gestiegen.
Die Konsumgesellschaft verlangt nach Vielfalt und prall gefüllten Regalen – und
das zu jeder Zeit, sagt der Handel. Über Schwund aber schweigt man sich dort
aus. Lebensmittelverluste in Supermärkten sind – bislang jedenfalls – ein gut gehütetes
Geheimnis. Selbst das EHI Retail Institute, das für die Branche forscht,
verfügt über keinerlei exakte Zahlen. Das soll sich ändern. Eine Studie läuft.
In ersten Schätzungen wurde die Wegwerfquote auf etwa fünf Prozent taxiert. Ein
Missverständnis, heißt es inzwischen. Erste Auswertungen der Umfragen hätten
gezeigt, dass diese Quote nicht mehr als 1,6 Prozent betrage, sagt Michael
Gerling, Geschäftsführer des EHI und des Bundesverbandes des Deutschen
Lebensmittelhandels. Doch selbst das bedeutet, dass die Händler Nahrungsmittel
im Wert von fast zwei Milliarden Euro jährlich entsorgen. Das Sortiment zu
reduzieren, um den Schwund zu minimieren, hält Gerling für problematisch. Das
verbiete der scharfe Wettbewerb, sagt er: »Die Kunden wandern ab, wenn es etwa
nur noch eine Sorte Kartoffeln gibt.«
Zur großen Verschwendung trägt ein kleiner Stempel bei: das
Mindesthaltbarkeitsdatum. Es ist den Deutschen sehr wichtig, zeigen Umfragen.
Und wird oft missverstanden. Das Mindesthaltbarkeitsdatum zeigt nämlich nicht
an, bis wann ein Lebensmittel haltbar ist, sondern bis wann es seine
ursprünglichen Eigenschaften bewahrt. Verdorben ist es danach noch nicht.
Umrühren beim Joghurt reicht beispielsweise, um ihn wieder cremig werden zu
lassen. Man sollte sich mehr auf seinen Geschmack und seine Nase verlassen,
raten Verbraucherschützer. Den Hinweis darauf, wann ein Lebensmittel
tatsächlich entsorgt werden muss, gibt der Vermerk »haltbar bis« oder »zu
verbrauchen bis«. Er ist zum Beispiel bei Hackfleisch vorgeschrieben.;
Der Folienspezialist Cofresco, der zur Melitta-Gruppe
gehört, kann stattdessen mit konkreten Zahlen aufwarten, wenn es um private
Haushalte geht. Laut seiner Studie werfen sie allein in Deutschland jährlich
Lebensmittel im Wert von 25 Milliarden Euro in den Müll. Andere Umfragen
liefern die Begründung: Sie haben schlicht zu viel gekauft. Jeder Vierte wirft
Nahrungsmittel deshalb weg, weil die Packungen einfach zu groß sind. Kein
Wunder, wenn 500 Gramm Toastbrot 1,09 Euro kosten – und die Hälfte nur 10 Cent
weniger;
Hamburger Biowerk. Dort sorgt eine
Separationshammermühle dafür, dass aus den Lebensmitteln alles aussortiert
wird, was später den Prozess im Bioreaktor stören könnte; etwa Verpackungen.
Danach gehen Bakterien an die Arbeit. Bei 38 Grad sorgen sie für die Umwandlung
des Biobreis in Gas. Das wiederum treibt den
Verbrennungsmotor eines Blockheizkraftwerkes an und ermöglicht so die Erzeugung
von Strom und Fernwärme. 2.500 Hamburger Haushalte decken so ihren
Energiebedarf.
Das Biowerk der Stadt Hamburg zählt noch zu den
Kleinen in der wachsenden Branche. Im deutschen Geschäft mit Essensresten ist
die Firma ReFood die Größte: Satte 1200 Tonnen
Küchen- und Speiseabfall, Brot und Backwaren, Obst, Gemüse sowie Fleischreste
sammelte das Unternehmen im vergangenen Jahr ein. Am Tag
(Die Zeit 11.8.2011 S.22 - http://www.zeit.de/2011/33/Lebensmittelvergeudung
)
·
Viele
Verbraucher halten Lebensmittel mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum für verdorben.
Das sei häufig eine Fehleinschätzung, sagen Experten, und außerdem eine Ursache
von Lebensmittelverschwendung. Die Industrie profitiert davon;
die deutsche Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung (LMKV) sieht Datumsangaben
vor, die explizit auf Haltbarkeitsgrenzen verweisen. Um Haltbarkeit im engeren
Sinn geht es aber nur beim "Verbrauchsdatum", beispielsweise auf
abgepacktem Frischfleisch oder Fisch. Dazu Paragraf 7a der LMKV: "Bei in
mikrobiologischer Hinsicht sehr leicht verderblichen Lebensmitteln, die nach
kurzer Zeit eine unmittelbare Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellen
könnten, ist (…) das Verbrauchsdatum anzugeben." Und: "Lebensmittel
(…) dürfen nach Ablauf des Verbrauchsdatums nicht mehr in den Verkehr gebracht
werden." Daran ist nichts misszuverstehen.
Was auf allen anderen Produkten, außer beispielweise frischem Obst und Gemüse,
steht, heißt "Mindesthaltbarkeitsdatum". Und das ist, gelinde gesagt,
irreführend. Denn anders als seine Bezeichnung nahelegt, ist das Datum
mitnichten eine Frist für den gesundheitlich unbedenklichen Verzehr eines
Produkts;
"Das Mindesthaltbarkeitsdatum eines Lebensmittels ist das Datum, bis zu
dem dieses Lebensmittel unter angemessenen Aufbewahrungsbedingungen seine
spezifischen Eigenschaften behält", sagt Paragraf 7 der LMKV. Hier ist nur
vom Genusswert des Produkts die Rede. Es geht um Aroma, Vitamingehalt oder
Konsistenz, nicht um Verderblichkeit.
Von einem Verkehrsverbot nach Ablauf des Datums steht nichts im Text. Dass
dafür auch kaum Veranlassung bestünde, hat unter anderem eine Reihe von
Stichprobenstudien gezeigt, die Guido Ritter im Auftrag von Stern TV
durchgeführt hat.
Lebensmittel waren danach oft weit über das Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus in
einwandfreiem Zustand, geschmacklich und mikrobiologisch. Dass unklare Begriffe
von Genusstauglichkeit die Konsequenz haben, unsere Mülltonnen mit
Lebensmitteln zu füllen, beweisen Felicitas Schneiders Wiener Abfallanalysen
deutlich genug;
Was kaum ein Verbraucher weiß: Das Mindesthaltbarkeitsdatum wird von keiner
Behörde festgelegt. Diese Angabe darf von den Herstellern selbst aufgedruckt
werden;
Über die Hälfte aller Lebensmittel landet nach Thurns Recherchen in Deutschland
im Müll. Viel davon scheint dem Umgang mit Mindesthaltbarkeitsfristen geschuldet.
(taz 5.8.2011 S.18)
·
Ist
Biokost gesünder als konventionelle Ware? Können wir uns mit Öko-Radieschen ein
langes Leben sichern, fit und froh? Eine neue, breit angelegte Meta-Analyse von
WissenschaftlerInnen der Universität Stanford will
die immer wieder gestellte Frage neu beantworten. Die Studie hat 237
Untersuchungen aus fünf Jahrzehnten ausgewertet - die bisher umfangreichste
Analyse überhaupt. Ernüchterndes Ergebnis: "Es bestehen kaum Unterschiede
zwischen biologisch und konventionell erzeugten Lebensmitteln." Dies
betrifft vor allem die inneren Werte wie Vitamin- und Mineralstoffe, Fette,
Proteine und andere Nährstoffe. Allerdings wäre es auch naiv gewesen, hier
messbare Vorteile von Bio zu erwarten, zumal die Nährstoffgehalte in sturer
Regelmäßigkeit immer wieder - ergebnislos - verglichen wurden.
Relevante Unterschiede wurden dagegen bei Pestiziden und Antibiotika gefunden.
Konventionelle Lebensmittel enthielten mehr Pestizidrückstände. Doch die
gesundheitliche Bedeutung dieses Befunds bleibt in der Studie unklar. Die
Forschergruppe um Dena Bravata räumt den Pestiziden
keine große Bedeutung ein, weil die Rückstände nicht alarmierend hoch waren.
Gleiches gilt für die leicht geringere Belastung mit antibiotikaresistenten
Bakterien in der Biokost. Beides führt dazu, dass die Nachrichtenagenturen
schüchtern bilanzieren, Biokost sei "ein wenig" gesünder. Angesichts
der hohen Erwartungen an Bio wird daraus aber ein negativ gefärbtes "nur
ein wenig gesünder".
(taz 5.9.2012 S.04)
·
China:
Jahreseinkommen: 1990 341 Dollar pro Kopf – 2011 5400 Dollar
Fleischkonsum: 1990 26 kg – 2011 56 kg pro Kopf und Jahr
USA: Maisnutzung 2011/12 Anteile in Prozent: Biosprit
39, Futtermittel 37, Export 13, Nahrungsmittel 11; Anbaufläche Mais 2000 29,3
Millionen Hektar, 2010 32,9;
Der Bonner Agrarökonom Berg ist zuversichtlich, dass jeder Bewohner der Erde
satt zu kriegen sei, selbst im Jahre 2050. "Um die neun Milliarden
Menschen, die dann voraussichtlich auf dem Planeten leben werden, ernähren zu
können, müssen wir unsere heutige Agrarproduktion verdoppeln", rechnet er
vor: "Theoretisch ist das möglich." Dazu aber müsste die
Landwirtschaft weltweit Produktivitätsreserven heben: mit den besten
Getreidesorten, effizienterer Bewässerung oder leistungsfähigen Maschinen. Das
Potential ist enorm: In Russland erwirtschaften die Bauern pro Hektar Land 1,9
Tonnen Weizen, in Deutschland liegt der Ertrag mit 7,8 Tonnen viermal so hoch.
(Spiegel 34-2012 S. 64ff)
·
muss
der neue Bauernpräsident Joachim Rukwied schon sehr
zufrieden sein, wenn er bei den Preisen von Agrarrohstoffen "äußerst feste
Tendenzen" beobachtet und feststellt: "Das sind ordentliche
Preise." Soll heißen: Wer in diesem Jahr Weizen, Gerste oder Roggen
angebaut hat, der verdient richtig Geld. Bis zu 240 Euro pro Tonne Weizen bekommt
der Landwirt, vor einem Jahr waren es nicht mal 200 Euro.
Auch die Biobauern profitierten derzeit vom "weltweiten
Verknappungsszenario" auf den Getreidemärkten, sagt Michael Wimmer,
Geschäftsführer der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg.
Ihren Weizen oder Roggen können sie zu guten Preisen verkaufen, zudem wartet
eine stetig wachsende Käuferzahl auf ihre Produkte. Eine Ausweitung der
Anbaufläche gibt es aber trotzdem nicht. Zum einen gehe es den konventionell
wirtschaftenden Bauern derzeit so gut, dass sie keinen Grund zur Umstellung
sähen. Zum anderen leiden Bauern unter dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, das
über die Subventionen für Biogas auch den Anbau von Mais fördert.
"Landwirte, die Mais für Biogasanlagen anbauen, die zahlen Pachtpreise
jenseits von Gut und Böse", sagt Wimmer. Er schätzt, dass Mais mit um die
tausend Euro pro Hektar subventioniert wird. Mit Mais ließen sich daher Erlöse
erwirtschaften, die mit Brotweizen oder Roggen unerreichbar seien. Kauf- und
vor allem Pachtpreise für Ackerland steigen stetig. Davon profitieren die
Landwirte, die auf Bioenergie setzen, solche, die Nahrungsmittel pflanzen,
bringt das Preisgefüge in arge Bedrängnis.
(taz 23.8.2012 S.03)
·
Mit
4.000 Milliarden Tonnen speichert der Boden weltweit mehr Kohlenstoff, als
Atmosphäre und Wälder zusammen. Gesunde Böden sind die Voraussetzung dafür,
dass genug Nahrungsmittel für demnächst 9 Milliarden Menschen angebaut werden
können. 70 Prozent des weltweiten Lebensmittelbedarfs werden derzeit auf Böden
erzeugt, 30 Prozent Nahrungsmittel kommen aus dem Wasser. Zudem müssen auf den
Böden auch noch genug Pflanzen für Chemieindustrie und Energiewirtschaft
wachsen, wenn die Industrie das Erdöl durch nachwachsende Rohstoffe ersetzen
will. Dabei ist die Ressource Boden knapp: Nur 12 Prozent der Erdoberfläche
sind landwirtschaftlich nutzbar, mit abnehmender Tendenz. Laut IASS stehen
jedem Menschen weltweit nur noch 0,22 Hektar fruchtbaren Bodens zur Verfügung,
da Boden verloren ging und die Bevölkerung gewachsen ist. 1960 hatte jeder
Mensch rechnerisch noch mehr als die doppelte Menge Boden.;
Größter Feind des Bodens ist die Landwirtschaft. Doch befassen sich Kampagnen
zum Bodenschutz in Deutschland meist damit, dass auf fruchtbarer Erde zu viele
Straßen, Häuser und Gewerbegebiete gebaut werden. "13 Prozent der
Landesfläche sind inzwischen versiegelt", kritisiert Helmut Röscheisen, Generalsekretär des Deutschen Naturschutzrings.
Im Schnitt gingen täglich 87 Hektar verloren. Doch auf dem Boden gedeihen eben
nicht nur Nahrungsmittel, sondern Böden sind auch Lebensraum, Wasser- und
Kohlenstoffspeicher. Böden sind lebendige Organismen: Bis zu 10.000 Arten von
Bakterien leben auf einem Quadratmeter gesunden Bodens.;
Zudem nutzen die Deutschen nicht nur den Boden vor ihrer Haustür, sondern
importieren jährlich Millionen Hektar "virtuellen" Landes. So werden
aus den USA vor allem Soja und Getreide eingeführt, aus Tschechien Getreide,
Bier, Milch und Fleisch, Ungarn liefert Mais, Raps, Sonnenblumenkerne, aus China
kommen hauptsächlich Obst- und Gemüsekonserven und Getreide.;
In einem komplexen Zusammenspiel bilden abgestorbenen Pflanzen, Tiere und
Mineralien fruchtbaren Boden: Für eine 2 Millimeter dicke Schicht brauchen sie
hundert Jahre.;
In Deutschland wachsen auf 12 Millionen Hektar fruchtbarem Ackerland Getreide,
Futterpflanzen und Gemüse. Verbraucht wird aber viel mehr: 14,8 Millionen
Hektar Land sind 2007 „virtuell importiert“ worden … dabei handelt es sich um
Netto-Importe, d.h., die “virtuellen Exporte“ sind schon abgezogen
(taz 20.11.2012 S.04)
·
taz: Herr Höhne,
kranke Hennen ohne Federn, tote Hühner - solche Bilder haben Tierschützer vor
kurzem in einem Massenstall von Deutschlands größtem Bioeiervermarkter
Wiesengold aufgenommen. Ist das ein Einzelfall in der Ökobranche?
Walter
Höhne: Nein. Das habe ich schon in sehr vielen Bioställen dieser Haltungsgrößen
gesehen. Zwar nicht so krass. Aber es ist normal, dass die Hennen im zweiten
Halbjahr ihrer Legeperiode zum Teil nur noch schlecht befiedert sind. Und es
gibt auch bei Bio immer mehr Ställe mit 24.000 oder mehr Tieren.;
Ihre Betriebe haben doch auch 6.000
Hühner. Bei 6.000 Hühnern kann man ebenfalls nicht mit jedem Huhn sprechen.
Nein, aber die Tiere haben normalerweise eine Bezugsperson. Klar, 6.000 hört
sich schon viel an. Aber die Großbetriebe haben jetzt ja als Standardgröße
24.000er-Ställe. Und dann haben sie Standorte, wo nicht nur einer, sondern
zwei, drei, vier solcher 24.000er-Ställe stehen. Da laufen dann zwei oder drei
Leute durch. Dort ist die Betreuung wesentlich schlechter.;
Was muss passieren, um die Zustände in
der Biohaltung zu verbessern?
Die EU sollte in ihrer Ökoverordnung die Haltungsgröße auf zwei mal 3.000 Tiere pro Stallgebäude mit umliegenden Auslaufflächen
begrenzen. Klar sind dann immer noch Betriebe mit 50.000 Tieren möglich. Aber
das wird dann wegen der zusätzlichen Gebäude viel teurer. So hätten wir
zumindest das Problem gelöst, dass die Erzeugungskosten von großen und kleinen
Betrieben sich nicht mehr stark unterscheiden.
Was kosten die Eier denn so?
Für EU-Bioeier muss der Verbraucher im Discounter ungefähr 25 Cent bezahlen.
Unsere liegen bei 40 bis 45 Cent. Wiesengold und
solche Firmen können uns Kleine unterbieten wegen ihrer Größe mit ihren
geringeren Personalkosten und ihren Vermarktungsstrukturen.
(taz 4.12.2012 S.03)
·
Jedes
Jahr landen weltweit rund 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel auf dem Müll.
Diese Verschwendung sorgt nach einem neuen UN-Bericht nicht nur für enorme
wirtschaftliche Verluste, sondern richtet auch riesige Umweltschäden an. Dem
Bericht zufolge verbraucht die Produktion von Lebensmitteln, die später nicht
verzehrt werden, jährlich etwa 250 Kubikkilometer Wasser. Das ist dreimal mehr,
als pro Jahr durch die Wolga fließt. Zudem würden dabei jährlich Treibhausgase
in die Atmosphäre geleitet, die der Wirkung von 3,3 Milliarden Tonnen
Kohlendioxid entsprächen.
(taz 12.9.2013 S.5)
·
1955
beispielsweise gab eine Kuh 3.762 Kilogramm Milch pro Jahr. Bis 2011 hat sich
diese Zahl mehr als verdoppelt - auf 8.173 Kilo. Hühner legen heute fast
dreimal so viel Eier wie einst - rund 300 im Jahr.;
Innerhalb nur eines Monats erreichten Hähnchen ein Gewicht von 1.800 Gramm. Der
Anteil des Brustfleischs mache bereits mehr als ein Viertel des gesamten
Schlachtkörpers aus, bei Puten sogar mehr als ein Drittel, berichtet der Autor.
"Skelett und innere Organe können mit dem rasanten Muskelwachstum nicht
Schritt halten", so Hörning. Die Brust werde so
groß, dass sich der Körperschwerpunkt verlagere, die Tiere liefen unsicher.;
(taz 16.8.2013 S.9)
·
Anteil
der Ausgaben für Nahrungs- und Genussmittel in deutschen Privathaushalten in
Prozent:
1900 57%; 1925 47; 1950 44; 1960 38; 1970 25; 2000 15; 2012 15
(Der Spiegel 31-2013 S.42)
·
(163) Die Nahrungsmittelproduktion stieg in den
vergangenen 40 Jahren eindrucksvoll.- Die jährliche Produktion an
Nahrungsmitteln, gemessen in Millionen Tonnen pro Jahr, hat sich zwischen 1970
und 2010 mehr als verdoppelt. Dieser Anstieg wurde vor allem durch den Einsatz
von Kapital und neuer technischer Entwicklungen ermöglicht, weniger durch die
Erschließung neuer landwirtschaftlicher Flächen. Durch den Einsatz von neuem
Saatgut, mehr Dünger, mehr Pestiziden und mehr Bewässerung wurden die
Bodenerträge um 90% von 2,4 Tonnen Nahrungsmittel pro Hektar und Jahr (1970)
auf 4,6 im Jahr 2010 erhöht….
Zusätzlich wird die Entwicklung gentechnisch veränderter Pflanzen
vorangetrieben werden, zumindest außerhalb Europas. Zwar werden sie sich
langfristig voraussichtlich als nicht-nachhaltig erweisen – und man sollte
meiner Meinung nach im Idealfall auf sie verzichten – dennoch werden sie in den
kommenden Jahrzehnten wohl verbreitet eingesetzt werden. Gentechnisch
veränderte Organismen werden die Erträge in zu trockenen, zu feuchten oder
anderweitig ungeeigneten Gebieten steigern.;
(165) Im Jahr 2052 werden pro Jahr zehn Milliarden Tonnen Getreideeinheiten an
Nahrungsmitteln produziert werden, eine Steigerung um 50% im Vergleich zu
heute; Pro-Kopf-Verbrauch wird um 27% steigen; wird es genug Nahrungsmittel für
alle geben, die es sich leisten können;
(Jorgen Randers: 2052 – Der
neue Bericht an den Club of Rome,
Oekom München 2012)
·
Nordrhein-Westfalen
untersagt als erstes Bundesland die massenhafte Tötung männlicher Küken. Die
sogenannten Eintagsküken werden bei der Zucht in
Massenbetrieben als unerwünschtes Nebenprodukt
umgehend getötet. NRW räume den Brütereien eine
einjährige Übergangsfrist ein, teilte das Agrarministerium mit. Hintergrund ist
eine neue Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft Münster, die das Töten
männlicher Eintagsküken als tierschutzwidrig ansieht.
Brütereien können noch vier Wochen gegen die
Verfügung klagen, dann ist sie rechtskräftig.
(taz 24.12.2013 S.18)
·
Groß
werden ohne Fleisch
Vegane Ernährung ist für Kinder gefährlich, sagen viele Experten. Das stimmt
nur bedingt: Wer gut informiert ist, kann seinen Nachwuchs gesund und
ausgewogen ernähren.;
Levi trinkt keine Kuhmilch, weil Kuhmilch den Kuhbabys
gehört. Er isst auch keine Eier, denn Eier gehören den Hühnern. So einfach ist
das für ihn. Levi ist vier Jahre alt, und er lebt vegan, seit er auf der Welt
ist. Seine Mutter Sohra Behmanesh
verzichtet seit 14 Jahren auf tierische Produkte.
Mutter und Sohn tragen keine Schuhe oder Taschen aus Leder, keine Pullover aus
Schafwolle, und sie benutzen keine Daunenkissen. Käse, Butter oder Joghurt
sucht man auf ihrem Speiseplan genauso vergeblich wie Wurst und Honig. Denn für
jedes dieser Produkte musste ein Tier leiden oder sogar sterben. So sieht es Behmanesh. "Ich bin gegen Gewalt, ich bin gegen
Herrschaft", sagt sie. Ein Lebensstil, bei dem Tiere für das menschliche
Wohl ausgebeutet werden, lasse sich nicht mit ihrer pazifistischen Haltung
vereinbaren. Deshalb lebt sie vegan, seit sie 19 ist. Diese Entscheidung hat
sie nie infrage gestellt. Auch nicht, als sie erfuhr, dass sie schwanger war,
und dann Levi bekam. "Warum auch? Ich war doch gesund", sagt sie
heute.;
Öffentlich rät die DGE "aus Sicherheitsgründen" von einer veganen
Ernährung für Säuglinge und Kinder ab. So heißt es auf ihrer Internetseite:
"Um eine adäquate Nährstoffversorgung und die Gesundheit des Kindes
sicherzustellen", sei eine "rein pflanzliche Ernährung in
Schwangerschaft und Stillzeit sowie im gesamten Kindesalter nicht
geeignet".;
Mathilde Kersting vom Dortmunder Forschungsinstitut für Kinderernährung sieht
vegane Kinderernährung tatsächlich kritisch. Besser als mit einer
"optimierten Mischkost" könne man sein Kind nicht ernähren. Die
Professorin orientiert sich an der DGE und setzt deren Empfehlungen in ihre
eigenen um. Darin rät sie zu Fisch, Milch und Fleisch. Kersting betont:
"Darin ist eine Reihe wichtiger Nährstoffe enthalten, etwa Vitamin B12 , Vitamin D, Jod, Eisen und Zink."
Problematisch ist vor allem die Versorgung mit Vitamin B12 .
Es gelangt bei einer gemischten Ernährung über tierische Produkte in den
Körper. Fehlt es, können auf lange Sicht Müdigkeit, Blutarmut und Blässe
auftreten, bei Kindern können Gehirn und Nervensystem geschädigt werden.;
Berthold Koletzko, Abteilungsleiter am Haunerschen Kinderspital München und Professor an der
Ludwig-Maximilians-Universität München, hat das schon erlebt. Ein Kleinkind kam
zu ihm in die Klinik und war gezeichnet von Fehlernährung, vor allem von Eisen-
und Vitamin-B12 -Mangel: Das Kind hatte das Laufen wieder verlernt, war
schläfrig, aß schlecht. Und es hatte einen hochgradigen Gehirnschwund.
"Insgesamt deutlich zurückgeblieben", urteilt der Kinderarzt. Seine
Prognose: Aufholen lasse sich der Rückstand nicht mehr, das Kind werde
dauerhaft beeinträchtigt sein. Koletzko ist sich
sicher: "Ein Kind kann man nicht gesund vegan ernähren, sofern man nicht
Mikronährstoffe zusätzlich gibt." Er geht noch einen Schritt weiter und
rät, sich bei jeder vegetarischen Ernährungsform vom Kinderarzt beraten zu
lassen.
KLEINES LEXIKON DER ERNÄHRUNGSSTILE
Vegetarier essen kein Fleisch, Veganer verzichten auch auf Milch und
Eier. Wer aber weiß, was Flexitarier und Kangatarier weglassen?
Anthroposophen ernähren sich vegetarisch, setzen auf "individuell
geeignete" Lebensmittel
Flexitarier reduzieren bewusst ihren
Fleischkonsum: lieber seltener, dafür bessere Qualität
Fruitarier sind Veganer, die eine Pflanze beim
Verzehr ihrer Früchte nicht verletzen wollen. Sie essen etwa Fallobst, Getreide
und Nüsse, aber kein Wurzelgemüse.
Kangatarier machen in ihrem Vegetarismus nur eine
Ausnahme: Kängurufleisch.
Makrobiotiker ernähren sich auf der Grundlage von
Getreide asiatisch ganzheitlich.
Mazdaznanier essen im Kern vegetarisch. Eier und
Milch sind ebenfalls erlaubt, Käse und Rohkost aber nicht.
Omnivore bleiben
der menschlichen Natur als "Allesfresser" treu.
Pescetarier sind inkonsequente Vegetarier: Sie
verzichten auf Fleisch, essen aber Fisch, Meeresfrüchte, Eier und Milch.
Paleo-Köstler speisen wie in der
Altsteinzeit: Wild, Fisch, Eier, Honig. Keine Milch und kein Getreide.
Rohköstler essen nur Obst,
Gemüse, Nüsse, Öle, die weder erhitzt noch verarbeitet wurden.
Trennköstler
unterteilen Speisen in neutrale, eiweiß- und kohlenhydrathaltige. Letztere
dürfen nicht zusammen gegessen werden.
(Die Zeit 24.10.2013 S.37f. - http://www.zeit.de/2013/44/kinder-vegane-ernaehrung
)
·
58 Millionen Schweine werden jährlich in Deutschland
verarbeitet. Die Fleischindustrie arbeitet derart effizient, dass sie die ganze
Welt beliefern kann. Den Preis dafür zahlen viele - am Ende auch die
Verbraucher.;
Nach
der letzten Auswertung des Bundesamtes für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit spritzen und verfüttern deutsche Tierärzte 1734 Tonnen
Antibiotika, geschätzt mehr als doppelt so viel, wie den Bundesbürgern im
gleichen Zeitraum verschrieben und verabreicht wurde. Manche Schweine bekommen
die Präparate 60 Tage hintereinander ins Futter. Viele Ferkel erhalten bereits
direkt nach der Geburt ein Langzeit-Antibiotikum.
Die Bauern haben schlicht Angst, dass ihre Tiere krank werden könnten. Jährlich
bis zu 520 Tonnen Antibiotika seien dem "Sicherheitsbedürfnis der
Landwirte geschuldet", schätzt Thomas Blaha, Professor an der
Tierhochschule Hannover.;
Die Politik weiß seit Jahren um das Problem, hat sich bisher aber dem
Widerstand der Bauernlobby gegen strengere Kontrollen gebeugt. Erst
NRW-Verbraucherschutzminister Johannes Remmel von den Grünen kämpft dafür, den
Antibiotika-Einsatz deutlich zurückzufahren. Den Ausschlag haben die Ergebnisse
einer systematischen Antibiotika-Studie im vergangenen Jahr gegeben - auch wenn
die aus der Hühnermast stammt. Über 90 Prozent der Tiere hatten in ihrem kurzen
Leben Antibiotika bekommen, zum Teil bis zu acht unterschiedliche Wirkstoffe.;
(Der Spiegel 43-2013 S.64ff. - http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-117180355.html
)
·
Das Superhuhn
Bei der Eierproduktion werden Millionen Küken getötet. Jetzt hat die Industrie
eine Rasse gezüchtet, die diese Praxis überflüssig machen kann - wenn die
Verbraucher mitspielen.;
Die neue Zucht des Gallus gallus domesticus,
des Haushuhns, ist eine kleine Sensation in der
Agrarwirtschaft. Der Vogel ist das erste sogenannte Zweinutzungshuhn in der
Produktpalette des Konzerns, aus dessen Ställen allein in Deutschland 45
Millionen Legehennen im Jahr stammen. Die neue Rasse liefert Eier und Fleisch:
Die weiblichen Tiere der Zuchtlinie sollen 250 Eier im Jahr legen, die
männlichen nach 70 Tagen Mast ordentliche Broiler abgeben.;
Die Legespezialisten schaffen über 310 Eier im Jahr, 100 mehr als ihre Vorfahren
vor 50 Jahren. Dafür setzen sie kaum Fleisch an. Masttiere dagegen werden
binnen fünf bis sechs Wochen zwei Kilogramm schwer; dann werden sie
geschlachtet, bevor sie überhaupt geschlechtsreif sind.;
Das Zweinutzungshuhn von Lohmann-Chef Preisinger könnte das hässliche Kükengemetzel, das es seit Einführung der Hybriden gibt,
beenden. Fleisch und Eier von einer Rasse, das hört sich vernünftig an, fast
wie früher. Doch die Tiere sind, trotz aller Bemühungen, nicht sehr effizient.
"Die Hennen legen weniger Eier als die Legehybriden. Ihre Brüder brauchen,
bis sie schlachtreif sind, 50 Prozent mehr Futter als normale Broiler",
räumt Preisinger ein.
Zudem sieht ein Brathähnchen aus dem Supermarkt bislang rund und kompakt aus,
das Zweinutzungshuhn ist eher lang und knochig. Wo die Masthybriden
Brustfleisch haben, ragt bei der Neuzüchtung nur ein schmales Brustbein hervor.
Dafür besitzt das Tier kräftigere Schenkel. "Die Verbraucher müssen so
etwas wollen", sagt der Chefzüchter.
Genau das tun sie aber nicht. Die Kunden und damit der Lebensmittelhandel
gieren nach hellem Brustfleisch, das hintere Drittel des Tierkörpers ist
weitgehend unverkäuflich. Zudem sind die Eier des Zweinutzungshuhns zwei bis
drei Cent teurer. Viele Kunden schauen aber gerade beim Eierkauf
auf den Preis.
Deshalb lässt sich Lohmanns Wunderhuhn, seit zwei Monaten auf dem Markt, bisher
kaum verkaufen. Erst drei Höfe in Österreich haben junge Hennen geordert.
Selbst die Ökobauern warten ab. Sie geben ihren Hühnern zwar mehr Auslauf und
anderes Futter als konventionelle Landwirte, haben aber dieselben
Hochleistungshybriden im Stall. Und darum werden auch bei der Produktion von
Bio-Eiern Millionen männliche Küken getötet.
(Der Spiegel 42-2013 S.84ff. - http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-116119640.html
)
·
Ernten via Satellit
Wie die moderne Landwirtschaft versucht, die Erträge zu steigern und
gleichzeitig die Böden zu schonen;
Auf Lenkhilfen für Mähdrescher und Traktoren will er nicht mehr verzichten:
Wird sein Acker bestellt, der Boden gepflügt, die Saat eingebracht, entsteht
aus den gesammelten Daten ein mathematisches Raster. Alle 27 Meter zieht sich
eine drei Meter breite, schnurgerade Fahrspur durch die Landschaft – dieses strenge
Raster sorgt dafür, dass Froböse mit seinem schweren
Gerät nicht im Lauf einiger Jahre den ganzen Ackerboden verdichtet, sondern nur
einzelne Streifen: "Müsste man nicht hin und wieder pflügen, man könnte
die Spuren auch asphaltieren.";
Weltweit fahren heute Landwirte mit bisher unerreichter Präzision ihre Felder
ab. GPS-gesteuerte autonome Lenksysteme führen gewaltige Traktoren und
Mähdrescher über den Acker. "Wissen Sie, wie präzise wir einen solchen
Koloss steuern können?", fragt Eberhard Nacke
und hebt gleich darauf einen Daumen in die Höhe: "eine Daumenbreite
Abweichung, zwei Zentimeter.";
keine reinen Fahrzeug- und Maschinenbauer mehr. Sie haben mit der Entwicklung
der Mähdrescher erst kleine, dann immer größer werdende Fabriken auf Räder
gestellt und so die Automatisierung der Technik vorangetrieben. Sie haben
Satellitensteuerung und Sensorik integriert. Sie haben lernende Systeme gebaut,
mit denen ein Mähdrescher nach wenigen Metern Ernte Tempo macht, weil er die
Parameter von Erntegut und Boden erkannt hat und nun
am Optimum fährt. Und für die Anbaustrategie des nächsten Jahres wird das
Pflanzenwachstum vor der Düngung gemessen und mit den Erntedaten verknüpft. Das
hat seinen Preis: ein voll ausgestatteter Mähdrescher kostet rund eine halbe
Million Euro.;
sie machen eine Landwirtschaft möglich, die ökonomische und ökologische
Ressourcen schont. "Warum soll ich flächendeckend gegen einen Pilz
spritzen, der nur in einer bestimmten Ecke des Feldes sitzt?", fragt
Eberhard Nacke. "Disteln treten in Nestern auf.
Muss ich darum Unkrautvernichtungsmittel über den ganzen Acker verteilen?"
Schon heute kann ein Stickstoffsensor vorn am Traktor steuern, wie viel Dünger
aus dem hinten angekoppelten Streuer fällt – nur so
viel, wie wirklich nötig ist.
Die daumenbreite Präzision der Lenkung sorgt dafür, dass bei der Ernte kein
Halm mehr stehen bleibt, auch wenn der Fahrer des zwölf Meter breiten
Mähdreschers seine Bahnen nicht mehr um fünfzig Zentimeter überlappen lässt,
sondern nur noch um fünf. Das spart Zeit und Diesel – und weil kein
Quadratmeter Ackerland doppelt gespritzt wird, auch Chemie.
Gewaltige Pneus verteilen den Druck auf große Flächen. "Wir würden sogar
noch breitere Reifen anbieten", sagt er, "aber da stoßen wir an die
Grenzen der Straßenverkehrszulassungsordnung." Darum machen Claas und Co.
die Reifen einfach länger. Zunächst indem sie ihren Durchmesser vergrößern.
Doch der entscheidende Trick ist das Spiel mit dem Luftdruck. Auf der Straße
fahren die Maschinen mit mehr als zwei Bar in den Reifen. Auf dem Acker wird
die Luft abgelassen bis auf 0,3 bis 0,4 Bar – die Auflagefläche wird breiter
und länger. Für Spaziergänger sieht das oft so aus, als habe der dumme Bauer
vergessen, den Reifendruck zu kontrollieren. Ein Missverständnis wie so viele.
(Die Zeit 16.1.14 S.32 - http://www.zeit.de/2014/04/landwirtschaft-technisierung-nachhaltigkeit )
·
über ein Drittel des weltweiten Getreides wird
bereits als Tierfutter eingesetzt
(taz 14.4.14 S.9)
·
US-Chlorhühnchen ungefährlich
BERLIN | Mit Chlor desinfizierte US-Hühnchen sind laut Experten gesundheitlich
ungefährlich und könnten in Sachen Keimfreiheit sogar Vorteile bringen.
"Das Chlorhühnchen ist nach unserer Auffassung nicht gesundheitsschädlich
für den Verbraucher", sagte Lüppo Ellerbroek vom Bundesinstitut für Risikobewertung dem
ARD-"Report Mainz". "Wir bewerten das genauso wie die
EU-Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA." Gerade deutsches Geflügel sei
auch oft keimbelastet. (dpa)
(taz 11.6.14 S.2)
·
"Chlorhuhn ist nur ein Symbol"
TTIP Maritta Strasser vom Netzwerk Campact weist
Kritik an der Kampagne gegen die Freihandelsgespräche zurück. Beim Chlorfleisch
gehe es um die Art der Landwirtschaft
taz: Frau Strasser, die mit Chlor desinfizierten Hühnchen stehen im Aufruf zu
Ihrer Kampagne gegen das geplante Handelsabkommen TTIP von USA und EU gleich an
zweiter Stelle. Jetzt sagt das Bundesinstitut für Risikobewertung, Chlorhühner
seien gar keine Gesundheitsgefahr für den Verbraucher. Haben Sie sich geirrt?
Maritta Strasser: Nein. Wir müssen keinen unserer Kampagnentexte ändern. Wir
haben nie behauptet, dass Chlorhühnchen der Gesundheit schaden.
Haben Sie das suggeriert?
Wir haben nur gesagt, dass wir dieses Geflügelfleisch nicht auf unserem Teller
haben wollen. Das reicht. Natürlich ist der eine oder andere auch der Meinung,
dass es gesundheitsschädlich ist. Aber für uns ist das berühmte Chlorhühnchen
lediglich ein Symbol.;
Ist das Chlorhühnchen jetzt als Mittel zur Mobilisierung des Protests erledigt?
Dieser Aufreger ist damit nicht tot. Das
Chlorhühnchen bleibt perfekt zur Mobilisierung. Jeder denkt sofort mit und hat
es auf der Zunge. Ich glaube, dass die Leute weiter die Intuition haben, dass
etwas ganz dramatisch nicht in Ordnung ist, wenn man sein Essen mit Chlor
desinfizieren muss.
(taz 12.6.14 S.7)
·
Ein durchschnittlicher Hof in Niedersachsen hat 75
Kühe. Westrup managt insgesamt 600 und produziert
sechs Millionen Liter Milch im Jahr. Die Kühe des Hofs sind im Lauf der Jahrzehnte
immer besser geworden, was die Milchleistung angeht.
Im vergangenen Jahr lag der Durchschnitt pro Kuh in Deutschland bei etwa 7200
Litern. 2010 hat eine US-amerikanische Kuh mit knapp 33 000 Litern einen
Weltrekord aufgestellt, das sind ungefähr so viel wie
235 Badewannen. Vor 200 Jahren gab eine Kuh etwa 1000 Liter Milch im Jahr, das
wären 7 Wannen. Die Kuh hat eine gewaltige Entwicklung hinter sich.
Ulrich Westrup bekommt pro Kilo Milch etwa 38 Cent
von der Molkerei. Bei seiner Betriebsgröße und dem Milchausstoß zählt jeder
Cent: Fällt der Preis um einen Cent, verdient Westrup
60 000 Euro weniger. Steigt er um einen, hat er 60 000 Euro mehr.
So rechnet Westrup.;
Die Gesundheit der Kühe ist eine weitere Schraube in Westrups
Apparat: Haben sie Stress, geben sie weniger Milch und werden nicht trächtig.
Eine Kuh könnte 15 bis 20 Jahre alt werden und zehn Kälber bekommen. In
Wirklichkeit bekommt eine Milchkuh im Durchschnitt zwei bis drei Kälber, gibt
meist zwei Jahre lang Milch, dann ist sie viereinhalb Jahre alt, gibt zu wenig
Milch, ist unfruchtbar oder zu häufig krank. Sie wird dann zu Hackfleisch.;
85 Prozent des Lebensmitteleinzelhandels teilen sich die Edeka-, Rewe-, Aldi-,
Schwarz(Kaufland und Lidl)-Gruppe. Sie drücken niedrige Preise bei den Molkereien
durch. Und diese wiederum - zehn Molkereien beherrschen fast den gesamten Markt
- geben den Preisdruck an die Bauern weiter.
Im vergangenen Jahr haben 3300 Milchviehbetriebe aufgegeben. Etwa alle zehn
Jahre halbiert sich die Zahl der Bauernhöfe. Überleben kann nur, wer groß wird,
noch mehr Milch macht, die Kosten senkt und seinen Kuhstall so reibungslos
gestaltet wie Westrup. Es gibt dann keine Kuhherden
mehr in freier Natur, keine schwarzbunten Holstein-Friesian-Kühe
auf der Weide. Aber es gibt billige Milch.
(Der Spiegel 8-2014 S.55ff. - http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-125080792.html
)
·
Tod im Bienenstock;
Nahezu 90 Prozent aller Blütenpflanzen weltweit sind auf den Pollentransfer
durch Tiere angewiesen. Die wenigsten können sich - wie Erbsen oder Weintrauben
- selbst befruchten oder ihre Mikrosporen vom Wind verteilen lassen wie zum
Beispiel Weizen.
Beliebte Obst- und Gemüsesorten aber - Äpfel, Birnen, Erdbeeren, Gurken, Kohl
und Tomaten sowie der als Energiepflanze massenweise angebaute Raps - könnten
nur schwer Samen und Früchte bilden ohne die fliegenden Helfer.
"Der Staat muss ein stehendes Heer von Bienen haben", schrieb schon
1811 der Botaniker Christian Konrad Sprengel. Heute beziffern Wissenschaftler
den ökonomischen Nutzen durch die Bestäuber auf mindestens 150 Milliarden Euro
pro Jahr. Ohne die Insekten, da sind sich die Experten einig, würden die
Lebensmittelpreise explodieren.
Biologen um Simon Potts von der britischen University of
Reading haben den Honigbienenbedarf vor kurzem für 41 europäische Länder
erstmals exakt berechnet - mit alarmierendem Ergebnis: In 22 Staaten sind nicht
genügend Bienen vorhanden. Weil immer mehr Bauern auf Biosprit
setzen, ist der Anteil der Flächen für Raps, Sonnenblumen und Soja seit 2005 um
32 Prozent gestiegen.;
Mittlerweile gibt es Obstanbaugebiete, die gänzlich ohne Bienen auskommen
müssen. In einigen Regionen im Südwesten Chinas etwa haben Menschen deren
Arbeit übernommen. Mit Pinseln und Hühnerfedern schwärmen sie aus in die
Plantagen und verteilen Pollen von Hand, Blüte für Blüte.
Kalifornische Mandelbauern wiederum behelfen sich mit Bestäubertruppen
aus anderen US-Bundesstaaten und Australien. Jahr für Jahr müssen dort 90
Millionen Mandelbäume bestäubt werden - zu viele für die einheimischen
Insekten.
Dass nicht längst die Landwirtschaft zusammengebrochen ist, liegt daran, dass
Apis mellifera zahllose Helfer hat, für die sich die
Wissenschaft erst in jüngerer Zeit interessiert: So sind auch viele der
weltweit etwa 250 Hummelarten wichtige Pollenverteiler, ebenso weitere
Wildbienen, von denen es allein in Deutschland mehr als 550 verschiedene Arten
gibt. Dazu kommen Schwebfliegen, Motten, Tagfalter und sogar Vögel.;
Am Beispiel von Hummeln haben Forscher um den Gießener Tierökologen Tim Diekötter untersucht, wie die Hochleistungslandwirtschaft
den Artenmix durcheinanderbringt. Raps ist ein
Schlaraffenland für die Insekten, doch sein Anbau führt vor allem zu einem
Anstieg der Populationen kurzrüsseliger Hummelarten wie der Dunklen Erdhummel.
Rapsblüten haben kurze Kelche: ideal für kurze Zungen.
Weil Raps aber nur ein paar Wochen im Jahr blüht, geht den Erdhummeln nach der
Blüte rasch die Nahrung aus. In Gebieten mit viel Raps, fand Diekötter heraus, machen die kurzrüsseligen Hummeln ihren
Schwesterarten, Wald- oder Mooshummeln etwa, die Versorgung streitig - durch
sogenannten Nektarraub. Sie beißen in die Blütenbasis langkelchiger
Pflanzen, die eigentlich Arten mit langen Rüsseln vorbehalten sind. Diese
wiederum sind aber wichtige Bestäuber ebendieser langkelchigen
Pflanzen.
(Der Spiegel 18-2014 S.114ff. - http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-126717971.html
)
·
Pestizide in der Landwirtschaft;
Aber Bienen, Libellen, Regenwürmer, Schmetterlinge, Fasane
und Feldhamster bis hin zu Kleinstlebewesen - alle systematisch
"ausgerottet", sagt Sybilla Keitel. Ein dramatisches Artensterben sei
dies. Schnell wird die Ruhe in ihrem Garten gespenstisch.
·
Sybilla Keitel führt das Artensterben in ihrem
Garten auf den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft zurück. Das
Grundstück grenzt direkt an Mais- und Getreidefelder. Davon gibt es hier in der
Uckermark viele. Jetzt im Frühjahr beginne wieder die Saison, sagt Keitel, in
der die Landwirte ihren "Giftcocktail" gegen das Unkraut auf den
Feldern versprühten, damit sie anschließend aussäen
könnten. Über der Landschaft der Mark Brandenburg wird dann ein paar Tage ein
unsichtbarer Pestizidnebel hängen. Keitel bekommt deshalb regelmäßig
Kopfschmerzen und Augenbrennen.;
Das Artensterben beobachteten Keitel und Müller einige Jahre lang, dann
beschloss das Paar, etwas zu unternehmen. Einem Tümpel im benachbarten Maisfeld
entnahmen sie Wasserproben und schickten sie an ein Chemielabor in
Berlin-Adlershof. Das Ergebnis: In dem Gewässer, wo früher die Frösche quakten,
fanden sich Rückstände von einem Dutzend Pestizide: darunter Metolachlor, Terbuthylazin, Simazin und Glyphosat.;
Derzeit prüft die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa), ob Glyphosat weiter in der
Landwirtschaft eingesetzt werden darf. Deutschland als berichterstattender
Mitgliedsstaat hat die weitere Zulassung beantragt. Grundlage ist ein positiver
Bericht des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR).
Über 900 neue Studien seien geprüft und ausgewertet worden, erklärt das BfR. Die Analyse ergebe "keine Hinweise" auf eine
krebserzeugende oder erbgutschädigende Wirkung durch Glyphosat
bei Versuchstieren. Lobbyismusexperten kritisieren
die teils engen Kontakte des BfR zur Industrie.;
Ganz schlimm sei es im vergangenen Jahr beim Raps gewesen, erzählt Ness. Bienen
fliegen gerne in die blühenden Rapsfelder, um sich dort Nektar zu holen. Die
Tiere sind dann ganz gelb von den Pollen, wenn sie zurückkommen. Doch 2013 muss
der örtliche Landwirt eine Menge Unkrautgift im Rapsfeld gespritzt haben.
"Es kam nicht eine Biene von dort zurück", sagt Ness.;
Einer der örtlichen Landwirte heißt Stefan Fürstenau und sitzt gerade im
Blaumann in seinem Büro. Im Regal stehen ein Traktor und ein Mähdrescher im
Spielzeugformat. Auf dem Schreibtisch liegen Unterlagen, darunter die
"Preisliste Pflanzenschutzmittel Frühjahr 2014". Fürstenau wirkt
nicht erfreut über die wachsenden Zweifel am Pestizideinsatz seines
Berufsstands. Aber er scheint auch keinen wirklichen Grund zu sehen, etwas zu
ändern. Über 1.000 Hektar Ackerland bewirtschaftet sein Betrieb. Dass man jetzt
zur Saison mit den Spritzen losgehe und alles totmache - diese Kritik sei doch
"sehr pauschal", sagt er. Als Landwirt habe man viele Auflagen zu
erfüllen. Zudem würden die Mittel der Pflanzenschutzhersteller regelmäßig auf
ihre Umweltverträglichkeit kontrolliert. Und maßgeblich für die Landwirte sei
der Gesetzgeber, sagt Fürstenau. "An irgendetwas müssen wir uns
halten." Richtig überzeugt wirkt er nicht.;
Der Bauer sagt, er macht nur das, was auch erlaubt ist und was auf der Packung
steht. Das Landesamt für Landwirtschaft beruft sich darauf, dass die Mittel
gesetzlich zugelassen sind. Und das Umweltministerium verweist auf die
EU-Gesetzgebung. Und dass die wissenschaftlichen Beweise fehlten.
Dabei hat Glyphosat bei Hühner- und Froschembryonen
in Studien Missbildungen ausgelöst. Das Mittel schädige auch menschliche Zellen
und führe zu deren raschem Absterben, warnt der Naturschutzbund Deutschland (Nabu).;
Zuletzt forderte deshalb der Bundesrat, den Einsatz von Glyphosat
zumindest einzuschränken und die Nutzung des Mittels als Erntebeschleuniger (Sikkation) zu verbieten. Doch auf der Agrarministerkonferenz
in Cottbus im April wurde erst einmal alles beim Alten belassen. Kritiker
sollten doch "die Kirche im Dorf lassen und der Wissenschaft
vertrauen", empfiehlt Brandenburgs Landesbauernverband und betont:
"Pflanzenschutzmittel sind wichtig für uns." Dank ihres Einsatzes
seien die Erträge in der Landwirtschaft erheblich gestiegen.
(taz
14.5.14 S.4 - http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=sw&dig=2014%2F05%2F14%2Fa0085&cHash=c270f4f59c3cab5c18b57801a5ab786d
)
·
160 Millionen Kubikmeter Gülle: In Deutschland
verdreckt die Massentierhaltung das Grundwasser.;
Es geht um eine immense Menge der stinkenden Brühe, mehr als 160 Millionen
Kubikmeter im Jahr. Würde man sie in Eisenbahnwaggons verladen, der Zug wäre
mehr als 45.000 Kilometer lang, länger als der Äquator. …
Nitrat ist eigentlich ungiftig, kann aber im Magensaft zu Nitrit werden. Das
wiederum kann bei Säuglingen dafür sorgen, dass weniger Sauerstoff im Blut
transportiert wird und die Kleinen dadurch ersticken. Im Körper Erwachsener
droht Krebs. Zu diesem Risiko gibt es bisher zwar nur Tierstudien, trotzdem
empfiehlt das Bundesinstitut für Risikobewertung, die Nitratzufuhr "so
weit wie möglich" zu reduzieren. …
Die Zentren der Massentierhaltung liegen unter anderem im westlichen
Niedersachsen, im nördlichen Nordrhein-Westfalen und im südöstlichen Bayern. Es
sind die gleichen Regionen, die sich vor Gülle kaum retten können – und in
denen ein Wassernotstand droht.
Um zu verstehen, wie es dazu kommt, muss man die Gesetze und die Chemie kennen.
Die Europäer haben sich schon lange Grenzwerte für Nitrat verordnet: Mehr als
50 Milligramm pro Liter dürfen im Trinkwasser nicht enthalten sein. Der gleiche
Wert gilt seit mehr als 20 Jahren auch für das Grundwasser. 50 Milligramm der
Verbindung von Sauerstoff und Stickstoff entsprechen 11 Milligramm reinem
Stickstoff. …
Die deutsche Düngeverordnung von 1996 soll es in Schach halten. Das heute aus
zwölf Paragrafen und acht Anlagen bestehende Dekret listet penibel auf, wie
viel Kot und Urin ein Mastbulle, ein Ferkel oder ein Schwein jährlich
ausscheidet, wie viel Stickstoff im Durchschnitt darin enthalten ist – und was
die Bauern damit tun dürfen. Die wenigsten Schnitzelesser ahnen wohl, was alles
geschehen muss, bevor das Fleisch auf dem Teller ist.
Die Bauern müssen zum Beispiel die im Boden verfügbaren Nährstoffmengen ermitteln
oder nach einem anerkannten Verfahren schätzen, dürfen zwischen dem 1. November
und dem 31. Januar nicht düngen und insgesamt sowieso nicht mehr als jährlich
170 Kilogramm Stickstoff pro Hektar in Form von Gülle verteilen.
Doch die Umweltziele würden damit "weitgehend verfehlt", stellten in
einer gemeinsamen Stellungnahme drei wissenschaftliche Beratungsgremien der
Bundesregierung schon vor einem Jahr fest. Die Vorschriften seien zu lasch,
ihre Einhaltung werde nicht streng genug kontrolliert, und die Sanktionen seien
zu harmlos, heißt es in der Expertise. …
Außerdem bekommen die hochgezüchteten Tiere heute mehr und mehr Importfutter,
vor allem billiges Soja aus Brasilien. In jedem Kilogramm davon stecke fast
30-mal mehr Stickstoff als in heimischem Mais, sagt Friedhelm Taube,
Agrarwissenschaftler an der Kieler Universität. Deutschland importiert also mit
dem Futter große Mengen Stickstoff. Das meiste davon wird von den Tieren wieder
ausgeschieden und bedroht in Form von Gülle das Wasser.
Als wäre das nicht genug, begann vor etwa zehn Jahren der staatlich geförderte
Boom der Biogasanlagen, die meisten stehen in den Tierzucht-Regionen. Auf
800.000 Hektar, das sind knapp sieben Prozent der Ackerfläche, wächst
inzwischen die subtropische Pflanze, nur um Nachschub für die Biogasanlagen zu
erzeugen. Die Gärreste enthalten aber – wie die
Abfälle aus den Viehställen – große Mengen Stickstoff. Das Gülleproblem wird
auf diese Weise noch größer.
(Die ZEIT 4.9.14 S.24 - http://www.zeit.de/2014/37/massentierhaltung-guelle-grundwasser-bruessel/komplettansicht )
·
Der Boom von Biokraftstoffen ist ein entscheidender
Grund für den Erwerb großer Anbauflächen in Schwellen- und Entwicklungsländern.
So zielen rund 23 Prozent, also fast ein Viertel, aller Landkäufe mit
Beteiligung internationaler Investoren auf den Anbau von Pflanzen wie Soja,
Rohrzucker oder Palmöl ab, aus denen Biokraftstoffe gewonnen werden können. Die
Biospritproduktion sei damit einer der treibenden Faktoren im Kampf um
Ackerland. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung des Leibniz-Instituts für
Globale und Regionale Studien. …
Bislang sind dort 971 abgeschlossene Deals mit einem Umfang von über 37 Millionen
Hektar Land erfasst. Biokraftstoffe, einst als Alternative zu fossilen Energien
gefeiert, sind in den vergangenen Jahren massiv in die Kritik geraten, weil
ihre Produktion unter anderem dafür sorgt, dass weniger Anbaufläche für
Nahrungsmittel zur Verfügung steht.
(Der Spiegel 35-2014 S.62)
·
In Deutschland sterben jährlich tausend Menschen an
Bakterien, gegen die kaum ein Antibiotikum hilft. Eine Brutstätte für besonders
gefährliche Keime rückt jetzt erst ins Blickfeld: Die Massentierhaltung;
Er schildert, wie er in letzter Zeit bemerkte, dass immer mehr Patienten
isoliert werden mussten, weil sie von Keimen befallen waren, die auf
Antibiotika nicht mehr reagieren. Und dass Landwirte auf einmal nicht nur
Ferkelzüchter und Putenmäster waren, sondern – Risikopatienten. "Wenn ein
Landwirt in eine Klinik kommt, muss er im Prinzip sofort in Quarantäne.
Landwirte tragen diese Keime." Alle sind es noch nicht, aber nach einer
Untersuchung der Uni-Klinik Münster aus dem Jahr 2012 sind in viehreichen Regionen
fast 80 Prozent der Landwirte mit solch gefährlichen Keimen besiedelt. …
Vor vier, fünf Jahren ging es nach Meyers Wahrnehmung so richtig los. Und
schnell begriff er, dass es unsichtbare Verbindungen gibt zwischen seinen
beiden Berufen: dem des Landwirts und dem des Arztes. Und diese Verbindungen
heißen Cephalosporine, Fluorchinolone,
Colistin oder Carbapeneme.
Das sind die Bezeichnungen für Reserveantibiotika, sozusagen die allerletzten
Medikamente, mit denen die Menschen sich gegen multiresistente Bakterien in unseren
Körpern zur Wehr setzen. Die letzten Medikamente, die diese Erreger töten
können. Aber Humanmediziner und Landwirte setzen die identischen
Wirkstoffklassen der Antibiotika ein: die einen beim Kranken, die anderen beim
Schlachtvieh.
Von Natur aus trägt jedes Lebewesen bei einer Infektion auch einige resistente
Krankheitserreger in sich. Sie entstehen zufällig, durch natürliche Mutationen.
Werden Antibiotika verabreicht, sind diese resistenten Keime plötzlich
gegenüber ihren nicht mutierten Verwandten im Vorteil. Je häufiger Antibiotika
verabreicht, je sorgloser sie eingenommen werden, desto höher ist die
Wahrscheinlichkeit, dass resistente Keime sich vermehren und verbreiten können.
Dann sind die Medikamente wirkungslos. …
dass es keine exakten Zahlen gibt, die das wahre Ausmaß der Katastrophe
dokumentieren. Jedes Jahr sterben laut Gesundheitsministerium 7.500 bis 15.000
Menschen an Infektionen, die durch multiresistente Keime hervorgerufen wurden.
Das allein wäre schon eine Schreckensbotschaft, denn das sind fast so viele
Opfer wie alle Alkohol- und Drogentoten eines Jahres zusammengenommen. Doch die
wahre Zahl dürfte deutlich höher liegen. …
Fast alle Experten sind sich sicher, dass die wahre Zahl der Infektionen
deutlich höher liegt als die vom Gesundheitsministerium veröffentlichte. So
spricht Professor Walter Popp, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für
Krankenhaushygiene, von "mindestens einer Million Infektionen und mehr als
30.000 bis 40.000 Todesfällen". …
Am weitesten verbreitet ist in Deutschland der Methicillin-resistente
Staphylococcus aureus
(MRSA). Winzig klein sind diese Bakterien, ein tausendstel Millimeter bloß.
Unter dem Mikroskop sehen sie aus wie Trauben, kugelrund und violett,
aneinandergeschmiegt liegen sie da, als frören sie. Jeder Dritte trägt sie auf
der Haut oder in der Nase, und das ist zunächst nicht schlimm. Doch es kann
schlimm werden, vor allem im Hospital, bei Operationen etwa, wenn der Körper
des Patienten aufgeschnitten wird, bei einer invasiven Beatmung auf der Intensivstation
oder wenn ein Katheter in die Blutgefäße eingeführt werden muss. Findet der
Keim eine Öffnung ins Körperinnere, kann er sich dort explosionsartig
vermehren. Er führt zu Harnwegsinfektionen, zu schmerzenden, offenen Wunden. Zu
Lungenentzündungen und Blutvergiftungen. Bei alten und immunschwachen Menschen
nicht selten auch mit tödlichen Folgen. …
Seit einigen Jahren kommt es nun zu einem vermehrten Austausch der beiden
Keimvarianten. Sie besuchen einander wie liebe Verwandte. Plötzlich besiedeln multiresistente
Menschenkeime die Tiere in den Ställen, und Menschen werden von den Tierkeimen
kolonisiert. Besonders betroffen sind jene Personen, die ständigen Kontakt zu
Tieren haben: Landwirte und Veterinäre, aber auch ökologisch lebende
Naturfreunde, die Eier und Milch direkt auf dem Bauernhof kaufen.
Jeder vierte Mensch, der beruflich mit Schweinen und Hühnern zu tun hat, ist
LA-MRSA-positiv – aber nur jede 66. Person ohne Tierkontakt. Auch über die
Abluft aus den Ställen und den Kot der Tiere werden die resistenten Bakterien
auf Menschen übertragen. Durch den Gülle-Dünger sickern die gefährlichen Keime
in die Böden und ins Wasser, über den Salat oder die Kartoffeln kommen sie dann
auf die Teller der Verbraucher: Nicht nur Fleischesser sind also gefährdet,
auch Vegetarier und Veganer.
Noch sind deutschlandweit nur etwa zwei Prozent aller erfassten Infektionen mit
resistenten Keimen definitiv auf die Variante aus dem Stall zurückzuführen. In
nutztierreichen Gegenden wie dem Münsterland oder dem südwestlichen
Niedersachsen liegt der Anteil aber schon bei zehn Prozent. …
Warum Matthias Sammer mit der ZEIT über seine schreckliche Infektion spricht?
"Es war dieses allerletzte Antibiotikum, was mich gerettet hat. Ich will
keine Schlagzeilen produzieren, das ist das Letzte, was ich will. Aber ich rede
mit Ihnen, weil ich aufrütteln will. Vielleicht kann man damit anderen Menschen
helfen." …
Daraus könne, so Witte, eine "mikrobiologische Apokalypse" entstehen,
die zuletzt Keime hervorbringt, gegen die gar kein Medikament mehr hilft.
"Wenn das passiert, dann gnade uns Gott."
Eine mittelalterliche Zukunft, in der Menschen an
Zahninfektionen und Blasenentzündung sterben. …
Während ökologisch bewirtschaftete Schweinebestände zu 26 Prozent mit MRSA
besiedelt sind, wurde laut einer Studie der TH Hannover bei 92 Prozent der
konventionell gehaltenen Schweine Tier-MRSA in der Nase gefunden. …
(Die ZEIT 20.11.14 S.21f. - http://www.zeit.de/2014/48/massentierhaltung-bakterien/komplettansicht
)
·
"Ich mach das furchtbar gern", sagt er.
"Aber jetzt fühle ich mich miserabel."
Denn Ende des Jahres ist Schluss. Nennecke hat sein
Pachtland verloren. Der Biobauer muss aufgeben.
Die ersten 30 Hektar gingen schon vergangenes Jahr an den Betreiber einer
Biogasanlage. Der konnte einen deutlich höheren Preis zahlen, wegen der
großzügigen staatlich garantierten Einspeisevergütung für Energiepflanzen. Wo
einst die Rote Emma wuchs, steht nun Mais für die Energiewende.
Vor ein paar Monaten verlor Nennecke auch den Rest
seines Landes. Seine Verpächterin hat die 30 Hektar an einen Konkurrenten
vergeben, der ebenfalls Energiepflanzen anbauen will. "Die hoch
subventionierte Agrargasproduktion", schimpft er, "ist die reinste
Gelddruckmaschine" - und damit das Todesurteil für nachhaltige
Landwirtschaft, für all das also, wofür er 40 Jahre lang gearbeitet hat.
Dem Ökopionier stehen die Tränen in den Augen, wenn er sein ehemaliges Land
betrachtet. Der Mais ist abgeerntet, die Pflanzenstummel ragen aus dem braunen
Boden, trostlos wie Soldatengräber. Nirgendwo ein grünes Pflänzlein, alles ist
totgespritzt auf den Feldern, die der Biobauer in jahrelanger Arbeit entgiftet
hatte.
Nun bleiben ihm nur noch der Vorruhestand und die Einnahmen des Reitbetriebs,
den seine Frau betreibt.
Auf deutschem Boden ist der Kampf Bio gegen Bio ausgebrochen: Die Förderung
nachwachsender Energie macht ausgerechnet Ökobauern wie Nennecke
den Garaus. Obwohl der Markt mit der grünen Ware brummt, geben hierzulande rund
600 Biobauern pro Jahr auf. Oder wechseln gar zur konventionellen
Landwirtschaft. …
Innerhalb weniger Jahre ist ein System, das einmal als Gegenentwurf zur
industriellen Landwirtschaft angetreten war, von einer echten gesellschaftlichen
Alternative zu einer alternativen Produktionstechnik geschrumpft. Heute sind
große Teile der Branche dem Feindbild ähnlicher als der ursprünglichen Idee vom
nachhaltigen Landbau. :::
Ein Mangel an Ackergrund ist besonders für Biobauern existenzgefährdend. Weil
sie den Boden schonend bewirtschaften, Fruchtfolgen einhalten und keine Chemie
benutzen, brauchen sie mehr Land, um einen ordentlichen Ertrag zu erzielen.
Doch das wird knapp: Schon jetzt besetzen Energiepflanzen fast ein Fünftel des
gesamten Ackerlands in Deutschland. …
Verlockend wird der Ausstieg zusätzlich durch die steigenden Preise für
konventionelle Ware. Die grüne Wirtschaft, die lange Zeit deutlich bessere
Margen erwirtschaftete als der industrielle Landbau, lohnt sich nicht mehr.
Erstmals seit der Jahrtausendwende verdiente ein Ökolandwirt 2012/13 im
Durchschnitt weniger als ein konventioneller Bauer ,
knapp sechs Prozent. …
Je stärker der Nachfragedruck wurde, umso mehr rückte die Biolandwirtschaft von
ihrer Grundidee ab. Wer Bio in Masse produziert, entfernt sich zwangsläufig vom
Ideal des kleinbäuerlichen Betriebs mit glücklichen Hühnern, Schweinen und
Kühen, deren Mist in Kreislaufwirtschaft die Äcker düngt. Viele Betriebe sind
heute spezialisiert, Tierhaltung und Pflanzenanbau entkoppelt.
Der Prototyp des modernen Bio sieht heute aus wie KTG Agrar:
eine Aktiengesellschaft europäischen Rechts mit 40 000 Hektar
konventionellem sowie biodynamisch bewirtschaftetem Ackerland und einem
Firmensitz in feinster Hamburger Citylage. KTG betreibt außerdem Biogasanlagen,
eine Tiefkühlkostfirma, mehrere Veredelungsbetriebe für Lebensmittel und
Energieholzplantagen. …
Bio als Finanzprodukt: Was als Alternative zur industriellen Landwirtschaft
begonnen hatte, ist vielerorts zur Kapitalanlage geworden.
Was auch damit zu tun hat, dass viele konventionell wirtschaftende Bauern den
Wachstumsmarkt geentert haben. Weil die Margen bei Bio lange Zeit besser waren,
wimmelte es plötzlich von Akteuren, für die Biolandbau nur eine andere Variante
war, Geld zu verdienen. Während sich die Ökopioniere noch den strengen, selbst
entwickelten Regeln der Anbauverbände Demeter, Bioland, Naturland oder Gäa
verschrieben hatten, genügten diesen neuen Biobauern die Minimalvorschriften
des seit 2009 gültigen EU-Biosiegels. …
Und immer mehr Höfe betreiben Biolandwirtschaft parallel zur konventionellen.
Aus einer Vision ist ein betriebswirtschaftliches Kalkül geworden. …
Bio ist heute ein hart umkämpfter Massenmarkt - mit all seinen Nebenwirkungen.
Im Kampf um höhere Marktanteile und niedrige Produktionskosten verraten manche
Biobauern sogar das höchste Biogut, das Tierwohl.
Die Zentralstelle für Landwirtschaftsstrafsachen im niedersächsischen Oldenburg
führte vergangenes Jahr bundesweit gegen mehr als 330 Landwirte Vorermittlungen
durch. Ihnen wird vorgeworfen, in ihren Ställen deutlich mehr Legehennen
untergebracht zu haben als erlaubt. …
Die Biotomate, die der umweltbewusste Kunde in den Supermärkten wählt, stammt
in den seltensten Fällen vom Hof nebenan. Konkurrenzlos billig wird sie im
spanischen Campo de Almeria angebaut - unter riesigen Kunststoffplanen, genau
wie herkömmliche Ware. Nirgendwo hat die moderne Agrarwirtschaft einer
Landschaft schlimmere Narben zugefügt als im größten überdachten
Gemüseanbaugebiet der Welt. Ein Meer aus weißem Plastik überdeckt eine Fläche
so groß wie der Gaza-Streifen. …
Der Markt, so sagt er, sei durch Billig-Bio verdorben, die Ware anonym
geworden. "Das Problem ist, dass nur noch das Endprodukt betrachtet wird
und nicht mehr das, was Bio ursprünglich ausmacht, nämlich der Prozess der
Herstellung, mit all seinen positiven Auswirkungen für Mensch, Umwelt und Tier.". …
Acht Milliarden Euro pro Jahr gibt der Staat allein dafür aus, die
Nitratbelastung des Wassers zu reduzieren . Ursache
dafür sind die vielen Tonnen Kunstdünger und Gülle, die ausgebracht werden und
ins Grundwasser oder in Flussläufe sickern. In Gegenden mit riesigen Ställen
wie im Landkreis Cloppenburg, wo mehr Schweine als Menschen leben, kommen die
Wasserwerke kaum mehr gegen die Verschmutzung an. …
Anbauflächen in Deutschland (Millionen Hektar):
Ökoanbaufläche 2000 – 0,6 Mio ha; 2013 1,1
Nachwachsende Rohstoffe: 2000 – 0,7 Mio ha; 2013 2,3
(Der Spiegel 45-2014 S.64ff. - http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-130092994.html
)
·
Ein gutes Beispiel dafür ist die sogenannte
Bruderhahninitiative engagierter Biopioniere. Bisher war es üblich, alle
männlichen Küken auch in der Ökolegehennenzüchtung
sofort nach dem Schlüpfen zu töten. Nun ziehen die Betriebe, die bei der Aktion
mitmachen, die Hähne bis zur Schlachtreife auf. Die Kosten dafür decken sie mit
einem Aufschlag auf die Eier. Das Ergebnis: Vier Cent mehr pro Ei bezahlen die
Kunden bereitwillig, um das nutzlose Töten zu beenden. …
Manchmal genügt auch eine pfiffige Idee. Drei Landwirte aus der Nähe von
Hamburg, "De Öko
Melkburen", vertreiben erfolgreich Jahreszeitenmilch. Der Kunde erfährt,
wo sich die Kühe in jeder Jahreszeit aufhalten, was sie fressen und wie sich
das geschmacklich auf die Milch auswirkt. 1,49 Euro können die Bauern für einen
Liter erzielen.
(Der Spiegel 45-2014 S.70)
·
Ein einziges Gramm Ackerboden enthält bis zu zehn
Milliarden Bakterien. "Die meisten dieser Kleinstlebewesen kennen wir noch
nicht", sagt Tebbe. In den Böden stecke ein
unerschöpfliches Potenzial: "Sie bilden die größte genetische Ressource
des Planeten.";
1 Quadratmeter Oberboden bis 20 Zentimeter Tiefe enthält unter anderem:
10 Schnecken
100 bis 200 Asseln
bis zu 300 Regenwürmer
100 bis 300 Tausendfüßler
bis zu 10.000 Insektenlarven
100.000 Springschwänze
bis zu 1.000.000 Hornmilben
10.000.000 Fadenwürmer
1.000.000.000.000 (1 Billiarde) Bakterien;
(Der Spiegel 44-2014 S.130ff.)
·
Club of Rome: Nahrungsbedarf auf der Erde wird sich bis 2050 mindestens
verdoppeln, Zuwachs der Weltbevölkerung um 2,6 Milliarden, erhöhter
Fleischkonsum, steigender Wohlstand
(Bild der Wissenschaft 12-2013 S.11)
·
Computerköche und Investoren nehmen sich unser Essen
vor: Gemüse, Fleisch und Eier kommen bald aus dem Labor. Was gruselig klingt,
kann den Hunger besiegen. …
Wie viele werden erst hungern, wenn bald neun oder zehn Milliarden Menschen den
Planeten bewohnen?
·
Den westlichen Lebensstil zu exportieren ist
jedenfalls keine Lösung. Der ruiniert den Planeten schon heute. Zwar ist die
Landwirtschaft viel leistungsfähiger geworden – die für die Nahrungserzeugung
genutzte Fläche ist in den vergangenen Jahren nur um zwölf Prozent gewachsen,
während die weltweite Agrarproduktion um die Hälfte zugelegt hat. Doch Effizienz
allein wird nicht ausreichen. Um den Lebensstil aller Bürger der Europäischen
Union aufrechtzuerhalten, brauchten wir der Heinrich-Böll-Stiftung zufolge eine
landwirtschaftliche Nutzfläche, die eineinhalbmal größer ist als die Fläche
aller EU-Mitgliedsstaaten zusammen. Würden alle Menschen so leben wie die
Europäer, kämen wir mit einer Erde nicht aus.
·
Das Ende der Legehenne wäre ein großer Sieg für den
Tierschutz, doch den Planeten retten würde es nicht. Denn noch viel belastender
für die Umwelt ist die Zucht von Rindern und Schweinen. Um so schnell fett zu
werden, wie die Fleischindustrie es ihnen abverlangt, benötigen die Tiere
riesige Mengen Weizen, Soja und Mais. Dieses Futter muss irgendwo wachsen.
"Alles in allem benötigt die Nutztierhaltung etwa 30 Prozent der gesamten
Landoberfläche der Erde", hat die Landwirtschaftsorganisation der
Vereinten Nationen (FAO) herausgefunden. Ein Gebiet von der Größe Asiens dient
also heute ausschließlich der Produktion von Steaks, Schnitzeln, Käse und
Milch. Die Viehzucht verursacht zudem ein Siebtel aller Treibhausgase. Die
Produktion eines Kilos Rindfleisch setzt so viel klimaschädliches Kohlendioxid
frei wie eine 1.600 Kilometer lange Autofahrt. …
Der Wissenschaftler ist überzeugt davon, dass Menschen auf ewig Fleischliebhaber
bleiben. Das seien sie immer schon gewesen. Ohne den gewaltigen Energiegehalt
von Fleisch hätten unsere Vorfahren niemals so leistungsfähige Gehirne
entwickelt, sagt Post. Und doch könne man heute kaum noch guten Gewissens in
ein Stück Fleisch beißen: "Es ist schwer zu rechtfertigen, wie wir Tiere
auf diesem Planeten behandeln."
Deswegen stellt Mark Post Fleisch her, ohne ein Tier zu töten.
Im weißen Kittel führt der Forscher durch sein Labor. Auf den Tischen stehen
Petrischalen, Plastikwannen und Mikroskope, Nährlösung schwappt in
Glasbehältern. Es riecht nach Kühlgeräten und abgestandener Luft. Dann öffnet
Post einen Gefrierschrank und holt zwei Dutzend Röhrchen mit tiefgefrorenem,
hellgelbem Inhalt heraus. Es sind Muskelzellen einer Kuh, die später einmal
einen Fleischklops formen sollen.
Mark Post züchtet Rinderhack ohne Rind. Dafür entnimmt der Forscher einer Kuh
in einem harmlosen Eingriff ein wenig Nackenmuskulatur; aus dem Gewebe gewinnt
er Stammzellen, die sich auf einer Nährlösung bei 37 Grad und feuchter Luft in
einem besenschrankgroßen Inkubator milliardenfach vermehren. Binnen Wochen
wachsen die Stammzellen zu millimeterdicken und zweieinhalb Zentimeter langen
Muskelfasern heran. Die Stränge in den Röhrchen, die Post jetzt auf dem Plastiktablett
präsentiert, werden schließlich zusammengepresst: 20.000 Stränge für einen
Burger.
Das Ganze dauert bloß drei Monate. Die Bulette wächst im Labor also schneller
als an der Kuh, die selbst im Maststall zwei Jahre bis zur Schlachtreife
braucht. "Aus einer einzelnen Zelle", sagt Post, "kann man
theoretisch 10.000 Kilo Fleisch herstellen."…
"In fünf bis sieben Jahren könnten wir das Kilo für 65 Dollar
herstellen", prophezeit Post den bevorstehenden Preisverfall, wenn erst
einmal in großen Mengen produziert würde. Noch größere Optimisten rechnen in
zehn bis 15 Jahren sogar mit einem supermarkttauglichen Kilopreis von acht
Dollar. Und Burger seien erst der Anfang. Post träumt
bereits von geklonten Schnitzeln und Steaks: "Theoretisch ist das alles
schon möglich."
Was Kunstfleisch geschmacklich noch fehlt, macht seine Umweltbilanz wieder
wett: Gegenüber der herkömmlichen Fleischproduktion sind 45 Prozent weniger
Energie nötig, 96 Prozent weniger Wasser und 99 Prozent weniger Landfläche,
haben Forscher der Universität Oxford herausgefunden. Eine Herde von 35.000
Kühen, denen man hin und wieder ein wenig Muskelgewebe entnimmt, würde
ausreichen, um den Fleischbedarf der Weltbevölkerung zu sichern….
Entwicklung der globalen landwirtschaftlichen Nutzfläche pro Person:
2008 2420 m2; 2050 1810 m2;
globale Fleischproduktion Millionen Tonnen:
2005 259 Mt; 2050 455 Mt
(Die Zeit 29.4.15 S.23 - http://www.zeit.de/2015/18/essen-zukunft-lebensmittel-hightech/komplettansicht
)
·
Um gentechnikfreies Soja zu bekommen, wollen
deutsche Landwirte die Pflanze nun selbst anbauen. Doch das ist schwieriger als
gedacht. …
In diesem Jahr wurden nach Schätzungen der Bundesanstalt für Landwirtschaft und
Ernährung hierzulande rund 11.000 Hektar angebaut – mehr als doppelt so viel
wie noch vor drei Jahren. Eine Nische bleibt es trotzdem: Mais zum Beispiel
wächst auf 2,5 Millionen Hektar. Und bisher ist der Sojaanbau auch nur im Süden
Deutschlands einigermaßen erfolgreich.
Betriebe in Mitteldeutschland – wie Kamps Hellmesehof,
der zwischen Köln und Düsseldorf liegt – haben es da deutlich schwerer. Soja
ist anspruchsvoll, als exotische Pflanze aus Nordostchina mag sie Wärme. Bei
der Saat sollte der Boden zehn Grad Celsius warm sein. Und damit sich die
ersten grünen Pflänzchen etwa zwei Wochen später an die Erdoberfläche trauen,
sollte die Bodentemperatur weiter auf mindestens 15 Grad ansteigen. Schon ein
Bodenfrost im späten Frühjahr gefährdet die ganze Ernte.
(Die Zeit 17.12.15 S.29)
·
Kein anderer Kontinent ist für seinen Konsum stärker
auf fremdes Land angewiesen als Europa. Zu diesem Ergebnis kommt der neue
Bodenatlas, den die Umweltschutzorganisation BUND zusammen mit der Heinrich
Böll Stiftung diese Woche veröffentlichen wird. Der "Land-Fußabdruck"
der EU, so die ermittelten Daten, betrage pro Jahr gut 640 Millionen Hektar -
eineinhalbmal so viel wie die Fläche aller 28 Mitgliedstaaten. Allein für den
Fleischkonsum in der EU werden in Lateinamerika Futtermittel auf einer
Ackerfläche angebaut, die so groß ist wie England. Jeder EU-Bürger, an der
Spitze die Deutschen, nutze im Jahr im Schnitt 1,3 Hektar Land, sechsmal so
viel wie ein Einwohner in Bangladesch.
(Der Spiegel 2-2015 S.57)
·
Glutenfrei, zuckerfrei, laktosefrei: Das gestörte Verhältnis vieler Verbraucher zum
Essen ist auch die Folge einer hysterischen deutschen Ernährungspolitik.
Das änderte sich, als sich die Bewegung der Sache mit dem Chlorhühnchen und dem
transatlantischen Handelsabkommen TTIP annahm. Die Aktivisten behaupteten, dass
man dem europäischen Verbraucher demnächst chloriertes Geflügel auftischen
werde, sollte der Vertrag zwischen der Europäischen Union und den USA in Kraft
treten. Was für eine schaurige Vorstellung! Chlorhühnchen: Das klingt nicht
nach Essen, sondern nach Sanitärabteilung.
Mit dem Chlorhühnchen wird aus einer komplizierten Wirtschafts- und
Umweltdebatte eine einfache Ernährungsfrage: Will man das essen? Nicht nur die
Umwelt, die Tiere oder die kleinbäuerliche Landwirtschaft sind gefährdet,
sondern die Gesundheit des Verbrauchers. Es werden Urängste geweckt. Bei den
Gegnern des Handelsabkommens, allen voran den deutschen Grünen-Politikern im
Europaparlament, kamen mehr als eine Million Unterschriften zusammen. Laut einer
Forsa-Umfrage für den "Stern" glaubten plötzlich 56 Prozent der
Deutschen, dass im Chlorbad desinfiziertes
Geflügelfleisch eine Gefahr für die Gesundheit darstelle. "Die
Chlorhähnchen sind nur ein Beispiel von vielen für die Angriffe auf unsere
Qualitätsstandards", schrieb die grüne Fraktionschefin Rebecca Harms und
setzte das Bild eines Hahnes mit der Überschrift "Kein Bock auf
Chlor" auf ihre Facebook-Seite.
Es spricht viel dafür, dass das Chlorhühnchen bei der Demonstration im Berliner
Regierungsviertel an diesem Wochenende wieder eine zentrale Rolle spielen wird.
Auch bei der ebenfalls geplanten alternativen Ernährungskonferenz, zu der die
Grünen in den Bundestag eingeladen haben, steht das Abkommen zum Chlorhühnchen
auf dem Themenzettel. Man kann es den Organisatoren nicht verdenken, dass sie
sich um Dinge kümmern, die die Herzen vieler Menschen bewegen.
Dabei ist die Geschichte von der Chlorhuhn-Gefahr eine Mär. Die Unterhändler
des Handelsabkommens haben längst angekündigt, dass Verbraucherstandards bei
der Lebensmittelproduktion nicht aufgeweicht werden sollen. US-Geflügelzüchter,
die den europäischen Markt beliefern wollen, müssen sich demnach auch künftig
den europäischen Regeln anpassen.
Das Chloren von Hühnchen stellt auch keine Gefahr für die Gesundheit dar. Die
europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA urteilte nach einer
Untersuchung vor zehn Jahren, dass im Chlorbad
desinfiziertes Geflügel kein Gesundheitsrisiko darstellt. Zum gleichen Ergebnis
kam das Bundesinstitut für Risikobewertung. Bei jedem Schwimmbadbesuch nehme
man größere Mengen Chlor zu sich, und selbst das sei völlig unschädlich, so die
Experten….
Erstaunlicherweise gibt es kaum eine seriöse Studie, die belegen könnte, dass
ein moderat erhöhter Body-Mass-Index gefährlich für
die Gesundheit ist. Im Gegenteil: Leichtes bis mittleres Übergewicht könnte
gesund sein. Für ältere Menschen hält die Deutsche Gesellschaft für
Ernährungsmedizin einen BMI von mehr als 25 sogar für "wünschenswert"
und rät dazu, sich ab einem Alter von 65 Jahren ein
"Murmeltierpolster" zuzulegen. Erst ab einem BMI von 29 steige bei
ihnen das Gesundheitsrisiko an….
Es fällt zum Beispiel auf, dass die Zahl der Menschen, die glauben, unter
Zöliakie zu leiden, enorm angestiegen ist, seit bekannt wurde, dass Lady Gaga, Miley Cyrus und Victoria
Beckham auf Gluten verzichten. Weil außerdem viele Lebensmittelhersteller
inzwischen mit dem Verpackungsaufdruck "glutenfrei"
werben, hat sich bei vielen Verbrauchern der Irrglaube verbreitet, es müsse
sich um etwas Schädliches, womöglich sogar um Giftiges, handeln….
Könnte es sein, dass die Ernährungspolitik erst die gesundheitlichen Probleme
erschafft, vor denen sich die Bürger ängstigen? Wie kommt der
Ernährungsminister dazu, Millionen Menschen einzureden, sie seien zu dick?
Schmidt weicht der Frage aus. Vor einigen Wochen hat er seinen eigenen BMI
ausgerechnet, es war um Weihnachten herum, Schmidt ist eh ein eher gemütlicher
Typ. Jedenfalls fiel das Ergebnis seines BMI-Selbsttests ("so um die
29") nicht gut für ihn aus. "Die Adipositas, die ich meine, fängt bei
einem BMI von 40 bis 50 an", sagt Schmidt.
Aber warum gibt sein Ministerium dann Warnzettel an alle Menschen mit einem BMI
von mehr als 25 heraus? Schmidt zögert. Er muss sich jetzt entscheiden zwischen
der Antwort eines Ministers und der eines Betroffenen.
"Ach", sagt er schließlich, "schmeißen Sie den Zettel einfach
weg."
(Der Spiegel 4-2015 S.32 - http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-131355082.html
)
·
Landwirtschaft
Ach, du dicke Milch! …
Nicht nur in Deutschland wächst der Anteil der nach ökologischen Kriterien
genutzten Anbauflächen ständig. Inzwischen setzen 8,2 Prozent der
landwirtschaftlichen Betriebe auf Bio. …
Die westliche Welt erlangte einen bis dato unvorstellbaren materiellen Reichtum
– auch weil moderne Maschinen, neue Anbaumethoden und chemische
Pflanzenschutzmittel die Effizienz der Landwirtschaft dramatisch steigerten: Im
Jahr 1900 ernährte ein Bauer in Deutschland statistisch betrachtet 4 Personen,
heute versorgt er 145 Menschen. Die Milchleistung einer Kuh hat sich im Schnitt
verdreifacht, der Weizenertrag sogar vervierfacht.
Wenn es eine Zahl gibt, die die Dimension des Wandels auf den Punkt bringt,
dann diese: Weniger als zwei Minuten muss ein durchschnittlich bezahlter
Arbeitnehmer in Deutschland noch arbeiten, um sich einen Liter Milch kaufen zu
können. Vom Lohn eines Tages könnte man eine ganze Badewanne mit Milch füllen.
Dieser Preisverfall bedeutet für die Verbraucher einen enormen
Wohlstandszuwachs. Noch vor hundert Jahren gab ein Deutscher im Durchschnitt
die Hälfte seines Einkommens für Nahrungsmittel aus, heute sind es nur noch
rund zehn Prozent. …
(Die Zeit 25.5.2016 S.23 http://www.zeit.de/2016/23/milchpreis-subvention-landwirtschaft-globalisierung/komplettansicht
)
·
Heute leben über die Hälfte aller Milchkühe und zwei
Drittel aller Mastrinder nur noch im Stall, zum Teil sogar angebunden. …
(Die Zeit 29.9.2016 S. 44)
·
Fleisch Deutschland (Mill. Tonnen pro Jahr)
Jahr Import Herstellung
1991 1820 7190
2014 2500 8690
Jahr Export Verbrauch
1991 1310 6750
2014 4290 5580
Verzehr Fleisch in Kilogramm pro Kopf und Jahr
Land 1991 2014
Welt 26 33
USA 89 91
EU 60 63
Argentinien 66 86
Deutschl. 88 85
Verzehr Fleisch Gramm pro Kopf und Tag Deutschland
Männer 103
Frauen 53
(Die Zeit 3.11.2016 S.40)
·
Ein weites Feld
Wie zuvor bei der Mietpreisbremse wollen erste Politiker nun auch den Anstieg
der Pachtpreise für Ackerland begrenzen.
Seit zehn Jahren steigen die Preise für Ackerland. Mittlerweile ist
landwirtschaftlicher Boden so wertvoll wie noch nie seit der Wiedervereinigung.
In Bayern beträgt der Kaufpreis pro Hektar im Schnitt mehr als 47.000 Euro,
Nordrhein-Westfalen liegt mit 40.000 Euro auf Platz zwei. Die steigenden Preise
legen die Eigentümer auf ihre Pächter um. Und so wie in den vergangenen Jahren
die Mieten für Wohnraum gestiegen sind, klettern nun auch die Pachtgebühren für
Ackerland. Acht Jahre lang geht das schon so, bei neuen Verträgen hat sich die
Pacht seitdem mehr als verdreifacht. …
Schuld ist unter anderem die von Landwirten oft als "Flächenfraß"
bezeichnete Verknappung von Ackerland. Durch den Bau neuer Straßen, Gewerbe-
und Wohnsiedlungen und den dafür erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen gehen jeden
Tag 74 Hektar verloren. In den vergangenen 25 Jahren sind knapp eine Million
Hektar landwirtschaftlicher Flächen verschwunden. Die verbleibenden steigen im
Wert. …
(Die Zeit 21.12.2016 S.31 )
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„Total bio, aber tödlich“
Ernährung - Andreas Hensel, 55, Präsident des Bundesinstituts für
Risikobewertung, hält die Sorgen vor zu viel Chemie im Essen für unbegründet.
Die Gefahren lauerten an ganz anderer Stelle. …
Hensel: …Ich kann Sie beruhigen: Unser Essen ist sicherer als jemals zuvor.
SPIEGEL: Viele Bürger glauben, das Gegenteil sei der Fall. Seitdem kürzlich in
mehreren Biersorten Spuren des Unkrautvernichters Glyphosat gefunden wurden, haben sogar Deutschlands
Biertrinker Angst davor, sich zu vergiften.
Hensel: Um eine kritische Menge Glyphosat
aufzunehmen, müssten Sie etwa 1000 Liter Bier trinken, und zwar täglich. Ich
bezweifle, dass Sie das schaffen. Und falls doch, wäre Glyphosat
wirklich Ihr geringstes Problem. …
Hensel: Viele Menschen waren in der Schule leider auch sehr schlecht in Chemie,
sonst wüssten sie, dass eigentlich alles auf der Welt, sogar ihr Körper,
ausschließlich aus Chemie besteht. Ich komme bei diesem Thema gern auf Dihydrogenmonoxid zu sprechen: einen Stoff, der in der
Lebensmittelindustrie häufig als Lösungsmittel verwendet Wird. Meine Zuhörer
sind dann immer sehr besorgt. Bis ich ihnen erkläre, dass es sich bei Dihydrogenmonoxid um eine wissenschaftliche Bezeichnung von
Wasser handelt. …
Hensel: Die meisten Bürger dürften überrascht sein zu erfahren, welche Stoffe
wirklich giftig sind. Estragon zum Beispiel enthält krebserregende Stoffe. Eine
tägliche Prise Estragon hat etwa so viel krebserregendes Potenzial wie der
Rauch einer täglich konsumierten Zigarette. Oder wie das in einem kleinen Glas
Bier enthaltene Ethanol. …
Wollen Sie wissen, was der größere Risikofaktor für die Lebensmittelsicherheit
ist?
SPIEGEL: Bitte.
Hensel: Es ist der Mensch, der das Essen
zubereitet. Wenn Sie Ihre Bratkartoffeln in der Pfanne schwarz brutzeln, haben
Sie ein Vielfach erhöhtes Krebsrisiko. Oder die mangelnde Küchenhygiene! Jedes
Jahr erkranken in Deutschland nachweislich mehr als 70000 Menschen an einer Campylobacter-Infektion wobei die Dunkelziffer noch viel
größer ist. Das dafür verantwortliche Bakterium siedelt auf fast jedem
Hühnchen. Dem Geflügel macht das nichts, wohl aber dem Menschen. Oft reicht es
schon, wenn Sie den rohen Hühnchenschenkel auf den
Grill legen und mit derselben Hand die fertige Bratwurst berühren. Es sind
übrigens fast immer Menschen unter 25 Jahren, die sich Campylobacter
einfangen.
SPIEGEL: Warum das?
Hensel: Weil die jungen Leute nicht wissen, wie man Essen zubereitet. Die wechseln
ihre Schneidbretter und Messer nicht.
SPIEGEL: Ärgert Sie das?
Hensel: Mich wundert nur, wie vergleichsweise gelassen die Öffentlichkeit mit
diesem Problem umgeht. Man stelle sich vor, 70 000 Menschen würden sich statt
an Campylobacter an den Rückständen eines
zugelassenen Pflanzenschutzmittels vergiften: Da müsste dann wohl die Regierung
zurücktreten….
Unsere Infektionsmediziner können das genau belegen. Die deutsche Toilette ist
vergleichsweise sauber, Kühlschrank und Spüle sind es nicht. Hier liegen die
größeren Bakterienherde.
SPIEGEL: Schlimmer als das Klo?
Hensel: Was die Belastung mit coliformen Keimen
anbelangt, ja. …
(Spiegel 11/2016 S.50)
·
Ackerbau
Jahr Weltbevölkerung Ackerfläche Getreiderente
. (Milliarden) (Quadratkilometer) (Millionen Tonnen)
1961 3,1 12,8 877
2012 7,1 14 2566
(Der Spiegel 24/2016 S.60 – Reihe “Früher war alles schlechter“)
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Hunger
1920 bis 1970 starben im Schnitt von 100000 Menschen weltweit 529 pro Jahrzehnt
durch Hungersnöte, in den 2000ern nur noch 3
(Der Spiegel 47/2016 S.60 – Reihe “Früher war alles schlechter“)
·
Die Befreiung von der Landwirtschaft. Es war ein Städter aus Genf,
Jean-Jacques Rousseau, der mit dem „Zurück zur Natur“ anfing. Natürlich hat die
Mehrheit seiner Zeitgenossen das nicht mitbekommen, weil sie nicht lesen
konnte, gerade vom Gutsherrn rangenommen oder verprügelt wurde und das Budget
für kulturkritische Weiterbildung für Rübensuppe draufging. Der
Evolutionsbiologe Jared Diamond hat Landwirtschaft als „schlimmsten Fehler in
der Geschichte der Menschheit“ bezeichnet. Sie brachte Bevölkerungswachstum bei
hoher Sterblichkeit und ersetzte Steinzeitdiät durch einseitige Ernährung.
Brandrodungen führten zu Klimawandel, die Nähe zum Vieh bescherte uns
Tuberkulose, Pest und Wurmbefall. Dafür die ganze Ackerei?
Zum Glück nähert sich die Zahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten der
Nachweisgrenze an, und alle Gentleman-Farmer und Hochbeet-Anbeterinnen
werden daran nichts ändern. Heute ernährt ein Landmann 140 seiner Mitbürger,
und er macht es in der Regel effizient und artgerecht. Landluft macht nur frei,
wenn andere die Arbeit machen. Der größte Nahrungsmittelproduzent der EU ist
Frankreich, und dort gehören noch rund zweieinhalb Prozent der Beschäftigten
dem Agrarsektor an, mehr ist nicht, mehr Land tut nicht not. In Deutschland
arbeiten noch 600000 Menschen in der Landwirtschaft.
In Deutschland waren um 1500 73% der Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt,
1750 64%, 1900 38%, 2016 1,4%
(Spiegel 21-2017 S.48)
·
So schmeckt die Zukunft
Gesundheit Das moderne Essen machtkrank. Mit ultraverarbeiteten Nahrungsmitteln
verführt uns die Industrie, mehr zu verzehren, als uns guttut. …
Industriell verarbeitete Produkte machen bei vielen Menschen Schon 60 Prozent
der täglichen Energiezufuhr aus; in reichen Ländern konsumiert ein Bürger im
Durchschnitt 500 Kilokalorien mehr, als sein Körper benötigt – pro Tag.
Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit gibt es mehr fettleibige als
untergewichtige Erdenbürger. Und während 800 Millionen Menschen zu wenig zu
essen haben, stopfen zwei Milliarden zu viel in sich hinein.
(Spiegel 12-2017 S.97)
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Kann Ökolandbau die Welt ernähren?
Nein, das ist nicht möglich. Denn angesichts des Hungers in der Welt müssen die
Ernteerträge deutlich gesteigert werden
Von Matin Qaim (Matin Qaim,
geboren 1969, ist Professor für Agrarökonomie an der Universität Göttingen und
Leiter des Lehrstuhls für Welternährungswirtschaft)
Über Jahrtausende hinweg war das zentrale Problem des menschlichen Überlebens,
dass nicht ausreichend Nahrung verfügbar war. Noch im frühen 20. Jahrhundert
hungerten mehr als siebzig Prozent der Weltbevölkerung. Selbst in Europa
gehörte Unterernährung zur Tagesordnung, weil die landwirtschaftlichen Erträge
niedrig und die Ernteverluste durch Krankheiten und Schädlinge groß waren. Doch
in den vergangenen hundert Jahren wurde der Hunger in Europa weitgehend
ausgerottet, und auch anderswo wurde er massiv zurückgedrängt. Heute hungern
weltweit nur noch elf Prozent der Menschen, und das, obwohl die Bevölkerung
seit Beginn des 20. Jahrhunderts um fast sechs Milliarden angestiegen ist.
Hauptgrund für diese enormen Erfolge sind die gesteigerten Erträge durch den
Einsatz von Dünger, besseren Sorten, Pflanzenschutz und anderen
Agrartechnologien. …
Für eine ausreichende Nahrungsverfügbarkeit wird die globale Agrarproduktion
bis 2050 um mindestens sechzig Prozent gesteigert werden müssen. Die
durchschnittlichen Erträge im Ökolandbau sind niedriger als in der
konventionellen Landwirtschaft – im Schnitt rund 25 Prozent, mit starker
Streuung je nach Situation. …
Bisher wird weltweit nur ein Prozent der Agrarfläche ökologisch bewirtschaftet.
So ist kaum davon auszugehen, dass die dort erzielten Erträge auch
repräsentativ für die anderen 99 Prozent der Fläche sind. …
Es gibt auch ein viel banaleres Argument, warum weltweiter Ökolandbau
kombiniert mit vegetarischer Ernährung kein realistisches Szenario ist. Um gute
Erträge zu liefern, ist der Ökolandbau auf tierischen Dung angewiesen, weil der
Einsatz von Mineraldünger verboten ist. Eine Umstellung der Weltlandwirtschaft
auf Ökolandbau würde eine massive Ausdehnung der Tierbestände voraussetzen –
unmöglich bei fehlender Fleischnachfrage. …
Der Ökolandbau kann die Welt nicht ernähren und ist deswegen kein globales
Modell für nachhaltige Landwirtschaft. Dennoch beinhaltet er viele wichtige
Aspekte, die es zu fördern gilt. Vielfältigere Fruchtfolgen, höhere organische
Bodensubstanz und reduzierter Einsatz schädlicher Inputs sind zentrale Elemente
hin zu einer umweltfreundlicheren Produktion. Aber deswegen muss man Chemie und
neue Züchtungsmethoden nicht komplett verteufeln. Was wir brauchen, ist eine
Kombination der besten Elemente und Technologien ohne ideologische
Scheuklappen.
(Publik Forum 13-2017 S.18)
·
Wachsender Gemüsehunger. Deutsche gelten als Fleisch-Fetischisten,
für ihre Brokkoli-Liebe waren sie bisher kaum bekannt. Was ungerecht ist, denn
die Deutschen wachsen zu einer Gemüsenation heran: Seit 1960 hat sich der
jährliche Pro-Kopf-Konsum beinahe verdoppelt, auf 93,8 Kilogramm. Die Tomate
ist mit 26,2 Kilo pro Kopf das Königsgemüse, gefolgt von Möhren und Zwiebeln.
Neben wachsendem Gesundheitsbewusstsein hat der neue Gemüsehunger vor allem technische
Gründe. Gemüse ist ein hochverderbliches Lebensmittel, und die Möglichkeiten
der Lagerung haben sich stark verbessert. Auch war der Konsum früher saisonalen
Schwankungen unterlegen Zucchini und Auberginen im Supermarktregal, auch im
Dezember. Im globalen Vergleich aber zeigt sich, dass Russen, Marokkaner, auch
Chinesen einen noch höheren Gemüseverbrauch haben. Im Tschad dagegen, wo das
Nationalgericht aus einem Hirsekloß mit Soße besteht, gibt es am wenigsten
Grünes auf dem Speiseplan: Gemüse ist in einigen afrikanischen Ländern
Mangelware, schlecht anzubauen, nicht selten importiert und teuer. Da erscheint
die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung beinahe luxuriös: 400
Gramm Gemüse am Tag senkten das Risiko für Krebs und Herz-Kreislauf-Krankheiten.
Den Deutschen fehlen demnach nur noch und das Angebot übersichtlich. Heute
liegen dank Welthandel rund 140 Gramm zum Glück.
(Spiegel 46-2017 S.58)
·
Wer ist Schuld?
Welternährung - Jeder neunte Mensch hungert, in einigen Ländern ist die Not so
groß, dass 20 Millionen bald sterben könnten. Dabei gibt es Nahrung im
Überfluss. …
Bis 2030 soll es auf der Welt keinen Hunger mehr geben. Null Hunger, „zero hunger“, so Iautet das Ziel, das die Weltgemeinschaft sich selbst
gesetzt hat. 2015 verabschiedete die Generalversammlung der Uno eine Agenda,
und es gab durchaus Anlass, optimistisch zu sein. Denn die Zahl der Hungernden
ist seit 1990 um mehr als 200 Millionen gesunken ein enormer Erfolg. …
800 Millionen Menschen auf der Erde hungern immer noch. …
Der Körper eines verhungernden Menschen beginnt, sich selbst zu verzehren. In
den ersten Tagen ohne Nahrung schaltet er auf Energiesparmodus um. Der
Organismus baut Glykogen aus Leber und Muskeln ab, um das Gehirn mit Glukose zu
versorgen. Dann werden Fettreserven angegriffen. Schließlich Proteine bis hin
zu Muskeln und Organen. Der Verhungernde fühlt sich verwirrt und ängstlich,
seine Hirnleistung nimmt ab. Viele leiden an Durchfall und Infektionen, fallen
ins Koma, bei manchen bleibt das Herz stehen. Vor allem bei Kindern bilden sich
Ödeme, der Bauch bläht sich auf. Der Tod tritt nach 20 bis 60 Tagen ein. …
„Seit den 1960er-Jahren produzieren wir mehr als genug Essen“, sagt Graziano da
Silva. „Wir könnten zehn Milliarden Menschen und mehr ernähren.“ Warum also
schafft es die Weltgemeinschaft nicht, den Hunger zu eliminieren? Graziano da
Silva zieht eine Tabelle aus seinem Stapel: die 13 Länder, in denen der Hunger
am schlimmsten ist. Die 4 aktuellen Krisenländer sind dabei, außerdem Staaten
wie Syrien und Afghanistan. Die Liste zeige die größten Hindernisse auf dem Weg
zu „zero hunger“:
Klimawandel und Krieg. Oft auch eine Kombination aus beidem. …
70 Prozent ihres Geldes geben die Armen der Welt durchschnittlich für Essen
aus. Steigen die Preise für Reis, Weizen oder Mais, wird das für Menschen wie Yfrancia Napoleon schnell lebensbedrohlich. …
In fünf Jahren wird Indien laut Internationalem Währungsfonds Deutschland als
viertgrößte Wirtschaftsmacht ablösen. Das Land hat seine
Nahrungsmittelproduktion in den vergangenen Jahrzehnten verdoppelt, es
exportiert Reis und Rindfleisch. Indien hat eine funktionierende Regierung und
eine Wachsende Mittelschicht. Wahr ist allerdings auch: In Indien leben die
meisten unterernährten Menschen der Welt, 195 Millionen. Fast 40 Prozent der
unter Fünfjährigen sind in ihrer Entwicklung zurückgeblieben, weil sie nicht
richtig ernährt werden. …
Dass die Weltbevölkerung wächst, muss nicht zwangsläufig zu mehr Hunger führen.
Die Welt produziert genug Nahrung für zehn oder auch zwölf Milliarden Menschen.
Doch ein Drittel davon geht verloren, bei Ernte, Transport und Lagerung und
auch im Haushaltsmüll. Allein in Deutschland Werden 28 Millionen Tonnen Nahrung
vergeudet, jedes Jahr. …
Moderne Technologien wie grüne Gentechnik könnten zwar nützlich sein, um die
Nahrungsmittelproduktion an den Klimawandel anzupassen. Langfristig werden wir
Pflanzen brauchen, die trotz Dürre oder salziger Böden gedeihen, und ein Weg
dahin, wenn auch ein umstrittener, ist die Gentechnik. …
(Spiegel 25-2017 S.86)
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Unser bedrohtes Gold
Der Weizen ist unser wichtigstes Getreide. Nun ist er in Gefahr – weil
Industrie, Züchter und Bauern den Anbau perfektioniert haben. …
In Gefahr ist eine der wichtigsten Nahrungspflanzen der Welt, der Weizen. Vor
10.000 Jahren wurde er in Vorderasien domestiziert. Heute wächst er fast
überall, mehr als 730 Millionen Tonnen Weizen werden weltweit pro Jahr
geerntet. Die größten Produzenten sind China und Indien vor den USA und
Russland. Auch in Deutschland beansprucht das Getreide mehr Fläche als jede
andere Feldfrucht. Das eigentliche Weizenwunderland aber war viele Jahre
Großbritannien. Britische Landwirte verkündeten ein Vierteljahrhundert lang
globale Spitzenernten. Und nun das: Im Juni meldete das britische
Agrarministerium, das Land habe in der Saison 2016/17 erstmals mehr Weizen
einführen müssen, als es exportieren konnte.
Dramatisch ist vor allem der Zustand des Ackerlandes in Großbritannien: Auf
fast 20 Prozent der Flächen kann Weizen nicht mehr ohne Probleme angebaut
werden. Grund ist eine andere Graspflanze: der Ackerfuchsschwanz. Er ist im
Laufe der Jahre so resistent gegen Herbizide geworden, dass nur noch
martialische Maßnahmen gegen ihn wirken. Manche Äcker müssen die Landwirte
mehrfach mit dem umstrittenen Totalherbizid Glyphosat
behandeln oder ein bis zwei Jahre lang brach liegen lassen, um die Ausbreitung
des Ungrases zu stoppen. Waren die Briten früher die
Pioniere der pfluglosen Feldbearbeitung, so holen sie heute das schwere Gerät
wieder häufiger aus dem Schuppen. Einige Böden sind jedoch schon so sehr mit
Fuchsschwanzsamen durchsetzt, dass es egal ist, wie man sie dreht und wendet.
Wie in Großbritannien gibt es auch in der Elb- und Wesermarsch oder auf der
Schwäbischen Alb Flächen, auf denen der Getreideanbau eingestellt werden
musste. Ursache auch hier: der Ackerfuchsschwanz. In viele Regionen Europas
zeigen sich mehr und mehr multiresistente Unkräuter, die nicht nur einem
Unkrautvernichtungsmittel widerstehen.
Diese Krise ist zu einem guten Teil hausgemacht. So war man in Großbritannien
lange Zeit erfolgreich mit der Züchtung ertragreicher Massensorten, mit neuen
Anbaumethoden und ausgefeilten Strategien der Stickstoffdüngung. Doch der
Erfolg führte zur Kurzsichtigkeit. Statt wie ihre Vorfahren in Fruchtfolgen zu
denken, bauten die britischen Landwirte nun Jahr für Jahr dasselbe an:
Winterweizen auf Winterweizen auf Winterweizen. Um ihn zu schützen, setzten sie
Jahr für Jahr auf das identische chemische Repertoire, auf Fungizide gegen
drohenden Pilzbefall und auf Herbizide gegen konkurrierendes Unkraut auf dem
Acker – bis die Konkurrenten nach und nach Immunität gegen die Gifte
entwickelten.
Eine ähnliche Entwicklung ist in Deutschland im Gange. Auch hier
vernachlässigen Landwirte die Fruchtfolge. Statt wie früher Raps, Weizen und
Gerste im Wechsel anzupflanzen, bauen sie oft nur noch einmal Raps und dann in
zwei aufeinanderfolgenden Jahren Weizen an – weil das 20 Euro pro Hektar mehr
bringt. Diese Strategie funktionierte bislang auch deshalb, weil die chemische
Industrie immer neue Wirkstoffe auf den Markt brachte. …
Gegen die Evolution können Landwirte und Pflanzenzüchter nichts ausrichten. Sie
haben es aber in der Hand, wie empfindlich ihre Pflanzen reagieren. Dabei
stehen sie vor einem Zielkonflikt: Düngen mit Stickstoff steigert den Ertrag –
weicht aber die Zellwände der Pflanzen auf und macht sie anfälliger für
Pilzerkrankungen. Die kurzen Halme moderner Weizensorten können schwere Ähren
tragen. Aber auch sie machen es dem Pilz leichter, sich auszubreiten. Ähnliches
gilt für den Anbau: Eine frühe Aussaat des Winterweizens steigert den Ertrag –
erhöht aber das Infektionsrisiko.
"An einigen Punkten überschreitet der Modernisierungspfad die Grenzen der
Nachhaltigkeit, und er gefährdet die Resilienz der Systeme", bekannte die
Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft DLG Anfang dieses Jahres. Der Weizenanbau
ist eines der Systeme, dessen Fähigkeit, auf Krisen zu reagieren, gerade
drastisch schwindet.
Das liegt auch daran, dass der Weizen ein kompliziertes Lebewesen ist. Sein Genom
ist fünfmal so groß wie das unsere. Es besteht aus 17 Milliarden Basenpaaren.
Genau genommen, ist es auch nicht ein Genom: Der Weizen stammt von drei
Wildgräsern ab und besitzt daher drei Genome mit jeweils zwei
Chromosomensätzen. Diese Komplexität macht den Züchtern das Leben schwer. Die
Kreuzungslotterie bietet unüberschaubar viele Kombinationen.
Weizen deckt 19 Prozent des Kalorienbedarfs der Menschheit …
760 Millionen Tonnen produzierten die Landwirte weltweit im Jahr 2016
Ertrag im Vergleich: Deutschland Anfang des 20. Jahrhunderts 2 t/Hektar;
aktuell: 8 t/ha; auf guten Standorten: 14 t/ha; globaler Durchschnitt: 3-4 t/ha
(Die Zeit 20.7.17 S.31ff - http://www.zeit.de/2017/30/weizen-getreide-anbau-schwarzrost/komplettansicht
)
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Böses Erwachen - Weizenschwarzrost – nie gehört? Der Schadpilz galt
schon als besiegt. Doch jetzt gibt es eine neue Sorte, die Landwirte in
Schrecken versetzt. …
Entdeckt wurde der neue Pilz 1998 in Uganda, offiziell benannt 1999, daher der
Name: Ug für Uganda, 99 für das Jahr. Seitdem hat er
sich über Tausende von Kilometern verbreitet – im ganzen östlichen Afrika von
Südafrika bis Ägypten und weiter in den Nahen Osten über den Jemen bis in den
Iran. Das geschah innerhalb weniger Jahre – für einen Pilz ist das rasend
schnell. Züchter, Bauern und Wissenschaftler waren alarmiert. Mehr als 80
Prozent aller Weizensorten weltweit waren 2008 anfällig für den Pilz.
Inzwischen gibt es einige neue resistente Sorten. Doch wenn Ug99 morgen in
einer der großen Kornkammern der Welt landen würde, in Indien oder China etwa,
dann wäre das eine Katastrophe.
Auch in Deutschland sind viele Weizensorten anfällig für Ug99. Trotzdem fühlte
man sich hier lange sicher. Ug99 galt als wärmeliebend und der deutsche Sommer
als zu unwirtlich für den Pilz. Doch dann, 2013, tauchte in Deutschland zum
ersten Mal wieder Schwarzrost im Weizen auf. Und zwar am Fuße des Horstbergs, im Zuchtgarten von R.A.G.T. Saaten, einem der
führenden Pflanzenzuchtbetriebe in Europa. Dessen beiden Chef-Weizenzüchter
Hilmar Cöster und Uta Liesenberg stehen mit der
Besuchergruppe im Gestrüpp. Beide sind seit Jahrzehnten im Geschäft, aber
Schwarzrost hatten sie bis 2013 noch nie gesehen. "Es war schon relativ
spät im Jahr", erzählt Uta Liesenberg. "Wir waren im Feld bei der
Qualitätsprüfung und hatten eigentlich ganz andere Krankheiten im Blick. Und
dann waren da diese schwarzen Pusteln." – "Die mussten wir erst mal
nachschlagen", ergänzt Cöster. Doch es gab
keinen Zweifel. "Es war wie im Lehrbuch. Wir hatten Schwarzrost."
Innerhalb weniger Wochen gab es ein gutes Dutzend weiterer Meldungen von
Schwarzrost-Befall, vor allem aus Sachsen-Anhalt und Niedersachsen, aber auch
aus Thüringen, Sachsen und Brandenburg. …
In der oberen Atmosphäre gibt es kaum noch Sauerstoff, die UV-Strahlung der
Sonne ist intensiv. Menschen brauchen eine temperierte Druckkammer, um eine
solche Reise überleben zu können – die Röhre einer Passagiermaschine.
Pilzsporen haben mit Strahlung keine Schwierigkeiten. Sie reisen mit dem Wind
und globalen Luftströmen bis an den Rand der Atmosphäre und zurück aufs Feld.
Auf diese Art legen sie Hunderte von Kilometern zurück, oft in einem einzigen
"Sprung".
Mogens Hovmøller von der Universität
Aarhus in Dänemark beobachtet diese Sprünge genau. Er
leitet das Globale Rost-Referenzzentrum (GRRC). Hier laufen seit 2008 die
weltweiten Daten über Ausbrüche von Rostkrankheiten zusammen. Hovmøllers Schwerpunkt ist der Gelbrost, ein Pilz, der auch
in Mitteleuropa verbreitet ist. Er ist weniger aggressiv als der Schwarzrost,
allerdings kann auch er Ernteverluste von bis zu 40 Prozent verursachen. Bis
vor einigen Jahren trat Gelbrost in Mitteleuropa nur sporadisch auf, aber im
Jahr 2011 tauchten zwei neue Rassen auf, "Warrior" und
"Kranich". Die Namen verdanken sie den Weizensorten, auf denen sie
zuerst entdeckt wurden. Sie haben in kurzer Zeit alle bislang existierenden
Gelbroste in Europa verdrängt und sich hier fest eingenistet. Wo sie so
plötzlich herkamen, das konnte niemand sagen. Erst im letzten Jahr, nach detaillierten
genetischen Analysen, fanden Hovmøller und sein Team
die Antwort. Warrior und Kranich kamen aus dem Himalaya.
(Die Zeit 20.7.2017 S.32 - http://www.zeit.de/2017/30/schwarzrost-pilz-weizen-berberitze-ug99/komplettansicht
)
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