Heizen
mit Weizen
Der
aktuelle Boom der Bioenergie hat längst schon die globalen Rohstoffmärkte
erfasst. Das wirft ethische Fragen auf: Energiesparen wird somit erst recht zur
moralischen Pflicht
Dass Lebensmittel zu vergeuden verwerflich ist, das hat
vermutlich jeder schon in seinen Kindertagen gelernt. Natürlich ist das
beliebte Elternbeispiel von dem Kind in Afrika, das hungern muss, während bei
uns Nahrungsmittel weggeworfen werden, reichlich platt. Und doch sollte man es
nicht vorschnell verurteilen, weil dadurch eine hohe Sensibilität im Umgang mit
Essbarem vermittelt wird.
Eine vergleichbare Wertschätzung, wie wir sie
Nahrungsmitteln entgegenbringen, fehlt uns noch, wenn es um Energie geht. Die
Verschwendung von Energie gilt nicht annähernd als so verwerflich wie die
Vernichtung von Lebensmitteln. Nüchtern betrachtet ist das unlogisch: Denn
Nahrung und Energie sind zwei Ausprägungen ein und derselben Sache. Das war
theoretisch zwar schon immer so. Doch erst durch den Boom der Bioenergien wird
sie auch praktisch fühlbar: Energieträger und Nahrungsmittel sind physisch
konvertierbar und damit ökonomisch substituierbar. Jede Wertschätzung, die wir
dem einen Gut entgegenbringen, sollte folglich auch uneingeschränkt dem anderen
gelten.
Aktuelle Beispiele aus der Realität der globalen Wirtschaft
zeigen uns, wie der Energiehunger der reichen Staaten in ärmeren Ländern zu
faktischem Hunger führen kann. So leidet etwa die Bevölkerung Mexikos unter den
gestiegenen Preisen ihres Grundnahrungsmittels, des Tortilla-Mehls. Auslöser
sind die Weltmarktpreise für Mais, die sich infolge der wachsenden Nachfrage
nach Biosprit in den letzten anderthalb Jahren verdoppelt haben. Der nämlich
wird in den USA häufig durch Vergärung von Mais zu Ethanol gewonnen.
Nahrungsmittel gelangen somit quasi in den Tank; die amerikanische Liebe zum
Automobil gefährdet also die Ernährung im Nachbarland.
Die Wirkungsweise ist immer die gleiche. In Kolumbien und
Ecuador werden ehemalige Ackerflächen in Palmölplantagen umgewandelt, weil
deren Öl für unseren Biodiesel gebraucht wird. Auch hier gilt: Wo einst
Nahrungsmittel wuchsen, gedeihen jetzt die Rohstoffe, die wir brauchen, um
unsere hemmungslose Mobilität zu sichern. Selbst Deutschlands heimische Nahrungswirtschaft
ist schon von der Konkurrenz von Energie und Nahrungsmitteln betroffen: Längst
steigen die Margarinepreise, weil immer mehr Rapsöl in Fahrzeugtanks und
Kleinkraftwerke fließt.
Emotional fällt es vielen Menschen gleichwohl schwer, den
Zusammenhang von Energie und Welternährung zu begreifen. Fassbar wird der
Zusammenhang hingegen dort, wo plötzlich ein Lebensmittel in Reinform
energetisch genutzt wird - beim Heizen mit Weizen etwa. Die Verbrennung von
Getreide ist längst Praxis geworden und weckt plötzlich - ganz anders als der
Biodiesel - moralische Zweifel: Ist ein Weizenfeuer ethisch vertretbar?
Kritiker verneinen, sensibilisiert durch den plakativen Zusammenhang von Essen
und Energie.
Doch nüchtern analysiert ergibt sich vielmehr die Frage, wo
denn eigentlich der Unterschied ist zwischen dem Weizenfeuer und dem
Mais-Treibstoff. Wo ist der Unterschied zwischen der Energie aus Korn und dem
Sprit aus Zucker? Oder was ist mit dem Rapsöl? Mit Verlaub: Wer Rapsöl
verfährt, kann auch ohne humanitäre Skrupel mit Weizen heizen.
Vordergründig entkommen könnten wir diesem ethischen
Problem, würden wir für die Energiegewinnung nur noch Pflanzen einsetzen, die
nicht zur Ernährung des Menschen taugen. Das aber wäre eine absurde Konsequenz.
Denn so würde man möglicherweise Agrarkulturen anlegen, die zur
Energiegewinnung nur mäßig taugen - womit am Ende niemandem gedient wäre. Für
die Welternährung ist es schließlich egal, ob auf einem Hektar Ackerland nun
Weizen zur Energiegewinnung angebaut wird oder ob man sich stattdessen auf der
betreffenden Fläche für ein ungenießbares Agrarprodukt entscheidet.
Anders gesagt: Ob ich einen Zentner Weizen verbrenne oder
einen Zentner Weizen gar nicht erst anbaue, weil ich stattdessen Chinaschilf
kultiviere, ist für die Ernährungssituation ohne jeden Belang. Relevant ist
alleine die ökologische Frage: Wie kriege ich aus einem Hektar Boden möglichst
viel Energie heraus - ohne Einsatz von Monokulturen, ohne Dünger und ohne
Zerstörung von Lebensräumen von Flora und Fauna. Wenn nun diese Ziele durch
traditionelle Nahrungsmittelpflanzen am besten erfüllt werden - warum nicht?
Wird diese Diskussion nüchtern geführt, muss man keine
Berührungsängste mit der Energie vom Acker haben. Vorbehalte können wir uns
ohnehin nicht mehr leisten: Wo Chancen der Biomasse ungenutzt bleiben und dafür
fossile Energien herhalten müssen, leidet das Klima weiter.
Ein sachlicher Umgang mit der Bioenergie ist unabdingbar,
weil sie ein wesentlicher Bestandteil einer nachhaltigen Energiewirtschaft ist.
Schließlich ist Bioenergie im Gegensatz zu Sonne und Wind beliebig speicherbar.
Ein sachlicher Umgang bedeutet aber auch, dass man sich stets vor Augen hält,
dass es eine Flächenkonkurrenz gibt. Diese dürfte noch schärfer werden:
Energieerzeugung, Ernährung von Mensch und (Nutz-)Tier sowie Werkstoffgewinnung
(zum Beispiel Bauholz, Fasern, technische Öle) stehen im Wettbewerb um knappe
Landflächen. Freunde der Bioenergien verdrängen das gerne.
Wir müssen ehrlich sein: Es ist unvermeidbar, dass sich
durch den Boom der Bioenergie Preisstrukturen verschieben. Auch in der
Holzwirtschaft zeichnet sich das längst schon ab: Papier- und Möbelindustrie
jammern bereits über steigende Rohstoffpreise infolge des Brennholzbooms. Das
macht deutlich: Wer Bioenergie nutzt, greift unweigerlich in Rohstoffmärkte ein
- oft mit globalen Konsequenzen.
Der Umgang damit muss erst gelernt werden. Das bedeutet,
dass auch Bioenergien sparsam genutzt werden müssen. Wer 30.000 Kilometer im
Jahr mit seinem Biodiesel-Pkw durchs Land kurvt, hat keinen Anlass, sich als
Öko zu fühlen. Gleiches gilt für den Hausbewohner, der im Jahr sechs oder gar
acht Tonnen Holzpellets durch seinen Ofen jagt. Denn auch die nachwachsenden
Rohstoffe sind so wertvoll, dass sie nicht jedem Menschen in rauen Mengen zur
Verfügung stehen.
Hinter jeder Kilowattstunde Bioenergie steckt ein Stück
Land, das anderweitiger Nutzung entzogen ist. Anders gesagt: Man hätte dort ja
auch Lebensmittel anbauen können. Ergo: Wer ökologisch und sozial verträglich
wirtschaften will, muss sparsam mit Energie umgehen - egal, ob die Energie nun
fossilen oder biogenen Ursprungs ist.
Das muss uns in Fleisch und Blut übergehen. Deshalb brauchen
wir eine Ergänzung unseres gesellschaftlichen Wertekanons: So, wie der laxe
Umgang mit Esswaren in unserer Gesellschaft geächtet ist, sollte es auch die
Energieverschwendung sein. Denn aus ethischer Sicht ist es gleich, ob Essen im
Kühlschrank vergammelt - oder aber der alte Kühlschrank ein Energieverschwender
ist.
BERNWARD JANZING
die tageszeitung, taz Nr. 8246 vom 10.4.2007, Seite 11