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(Gerhard Vollmer, UNIVERSITAS 8/1991 S.768f.)

 

Klassischer Determinismus

 

Das klassische Ideal einer erfolgreichen Ordnungssuche stellt der Laplacesche Dämon dar:

„Ein Geist, der (für einen Augenblick alle Kräfte kennte, welche die Natur beleben, und die gegenseitige Lage aller Wesenheiten, aus denen die Welt besteht, müßte, wenn er zudem umfassend genug wäre, um alle diese Angaben der (mathematischen) Analyse zu unterwerfen, in derselben Formel die Bewegungen der größten Himmelskörper und die der leichtesten Atome überblicken. Nichts wäre ungewiß für ihn, und Zukunft wie Vergangenheit wären seinen Augen gegenwärtig.“

Laplace behauptet also, daß unter gewissen Bedingungen die ganze Welt berechenbar wäre. Es ist lehrreich, sich die Voraussetzungen und die Konsequenzen dieses epistemischen Ideals klarzumachen. Dies versuchen wir in der Tabelle.

In dieser Darstellung wird vom Prinzip der schwachen Kausalität Gebrauch gemacht: Gleiche Ursachen haben gleiche Wirkungen. Die klassische Physik_hat stillschweigend ein weit stärkeres Prinzip zugrundegelegt, das Prinzip der „starken" Kausalität: Ähnliche Ursachen haben ähnliche Wirkungen. Danach wirken sich kleine Abweichungen in den Anfangsbedingungen auch auf die späteren Zustände des betrachteten Systems nur geringfügig aus; kleine Ursachen haben nicht beliebig oder unvorhersagbar große Wirkungen. Laplace hat dieses Prinzip nicht formuliert; wir dürfen aber annehmen, daß er es, wie die spätere Physik auch, uneingeschränkt bejaht hätte. Bei den Prämissen in Tabelle 2 entfällt dann die Forderung der absoluten Genauigkeit, und deshalb dürfen dann auch die Rechenergebnisse entsprechende, d. h. mit den anfänglichen

Abweichungen vergleichbare Ungenauigkeiten aufweisen.

 

Tabelle: Voraussetzungen und Konsequenzen des klassischen Determinismus

 

WENN die Welt

·                    deterministisch wäre und

·                    ausschließlich aus (untereinander wechselwirkenden) Teilchen bestünde,

wenn die Newtonsche Bewegungsgleichung m • b = K

            uneingeschränkt gültig wäre,

wenn wir

·                    alle Naturgesetze, insbesondere alle Kraftgesetze, und

·                    alle Rand- und Anfangsbedingungen zu einem bestimmten Zeitpunkt (d. h. bei
     Gültigkeit der Newtonschen Gleichung die Orte und Geschwindigkeiten aller Teilchen)

·                    mit absoluter Genauigkeit kennten und

wenn wir

·                    alle diese Daten speichern,

·                    mathematisch verarbeiten und

·                    schnell genug

·                    alle einschlägigen Gleichungen lösen könnten,

 

DANN wäre nicht nur der Lauf der Welt

·                    in allen Einzelheiten

·                    eindeutig bestimmt (gleiche Ursachen haben gleiche Wirkungen),

sondern dann könnten wir (oder wenigstens der Laplacesche

            Dämon oder ein gigantischer Supercomputer) sogar

·                    alle Ereignisse

·                    der Vergangenheit und der Zukunft rechnerisch ermitteln.

 

Grenzen der Ordnungssuche

 

Die Suche nach Ordnung und Struktur, nach Regelmäßigkeiten und Naturgesetzen, war, das lehrt die Wissenschaftsgeschichte, recht erfolgreich. Aber eine Garantie, daß sie immer und überall zum Ziel führen werde oder gar müsse, gibt es nicht. Tatsächlich haben sich längst auch Grenzen dieses Ansatzes gezeigt. Sie liegen zum einen in der Verfaßtheit der realen Welt, zum anderen in den Möglichkeiten (oder vielmehr in den Beschränkungen) des erkennenden Subjekts. Sieht man genau hin, so erweisen sich alle Prämissen des Laplaceschen Determinismus, soweit sie nicht sowieso nur epistemische Idealisierungen unbeschränkten Wissens und Könnens darstellen, als verfehlt. Dies kann hier allerdings nur noch durch eine Aufzählung belegt werden.

 

Es sind also drei Entwicklungen in der modernen Wissenschaft, die den Laplaceschen Dämon, den klassischen Determinismus und damit die traditionelle Ordnungssuche ganz entscheidend in Frage stellen: Quantenphysik, Algorithmentheorie (Metamathematik) und Chaos-Theorie.