zur startseite

weitere infos umwelt-energie-klima

 

 

 

Energie für die Zukunft

(Ökumenische Versammlung der Kirchen in der DDR für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung, 1988/89,
Ergebnistext der Arbeitsgruppe 11 „Energie für die Zukunft“)

 

11  Energie für die Zukunft

 

l. Energie und Leben

 

(1) Leben braucht Energie. Die Entwicklung der menschlichen Zivilisation war bisher mit der Nutzung immer größerer Energiemengen und der Erschließung immer neuer Energiequellen verbunden. Der Einsatz von Energie hat dem Menschen immer größere Machtmittel in die Hand gegeben und seine Herrschaft in der Natur erst ermöglicht.

In den reichen Industrieländern dient die Energieversorgung längst nicht mehr nur der Sicherung der Lebensgrundlagen. Für uns hat das wachsende Energieangebot zu immer mehr Bequemlichkeiten, zu steigendem Wohlstand und zur Sorglosigkeit im Umgang mit Energie geführt. Für die Mehrheit der Menschen in der Zwei-Drittel-Welt fehlt dagegen heute Energie zur Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse.

 

(2) Nutzung von Energie ist unvermeidlich mit Belastungen für Mensch und Umwelt verbunden. Hoher Energieverbrauch hat einen hohen Preis: Leben wird zunehmend gefährdet und geschädigt. Viele zerstörerische Entwicklungen haben ihre Ursache in unserem Umgang mit Energie. Wir stehen vor der Aufgabe, uns an der Suche nach lebensdienlichen Möglichkeiten für die Gewinnung und Nutzung von Energie zu beteiligen.

 

2. Umgang mit Energie: Situation und Probleme

 

2.1. Weltweite Fragen

 

(3) Der beispiellose hohe Energieverbrauch in den Industriestaaten und die Energie-Not in der Zwei-Drittel-Welt führen zu regionalen und globalen Problemen. Leistungsfähige Großtechnik, verbunden mit Unfallrisiken und oft hohen grenzüberschreitenden Schadstoffbelastungen kennzeichnen die Situation in den hochindustrialisierten Gebieten. Der akute Energiemangel in den unterentwickelten Ländern und die oft sehr einfache, wenig effiziente Verbrennung von Holz und Dung tragen zur Versteppung und anderen Problemen bei. Die weltweite Waldvernichtung und die Verbrennung fossiler Rohstoffe fuhren zu bedrohlichen Veränderungen in der Erdatmosphäre. Technologien und Strategien zur Befriedigung des Energiebedarfs wurden bisher nur aus der Interessenlage der Industrieländer entwickelt, Gesichtspunkte wie ihre Verträglichkeit für Mensch und Umwelt und die Verwendbarkeit in den unterentwickelten Ländern spielten kaum eine Rolle.

 

2.2. Energie in unserer Gesellschaft

 

(4) Wir in der DDR haben nach den USA und Kanada unter den führenden Industriestaaten der Welt den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Primärenergieträgern1. Gründe dafür liegen in der heutigen Energieträgerstruktur, im hohen Anteil energieintensiver Industriezweige, in der Überalterung von Anlagen und Geräten und im verschwenderischen Umgang mit Energie in Haushalten und Wirtschaft. Der Vergleich mit dem internationalen Entwicklungsstand zeigt, daß das durch Maßnahmen zur Energieeinsparung und rationellen Energieanwendung erschließbare Potential bei uns besonders groß ist.

Es wird durch die derzeitigen Bemühungen längst nicht ausgeschöpft. In den Prognosen für die nächsten Jahrzehnte wird aus der direkten Kopplung von Wirtschaftswachstum und Energieeinsatz eine ständige Steigerung des Energieverbrauchs abgeleitet2.

 

(5) Einheimische Braunkohle soll auch in den nächsten Jahrzehnten unser Hauptenergieträger sein3.

Der Braunkohlen-Tagebau nimmt Menschen die Heimat, zerstört Landschaft, Kultur und soziale Strukturen. Weil Anlagen zur Rauchgasreinigung nicht vorhanden, wenig wirksam oder ungenutzt sind, kommt es in der DDR zu einer hohen Luftbelastung, insbesondere durch Staub, Schwefeldioxid und Stickoxide. Beim Ausstoß von Schwefeldioxid steht unser Land bezogen auf die Bevölkerungszahl an der Spitze der Industrieländer4. Waldsterben, gesundheitliche Schäden und die Zerstörung von Bausubstanz sind die deutlichsten Auswirkungen.

 

(6) Zunehmend soll Kernenergie zur Erzeugung von Strom und Fernwärme eingesetzt werden. Auch ihre Nutzung wirft schwerwiegende Probleme auf. Wie in anderen Uran-Förderländern werden auch in der DDR die Folgen des Abbaus und der Aufbereitung von Uranerz nicht beherrscht5. Uns beunruhigt die unvermeidliche Freisetzung von radioaktiven Substanzen aus Anlagen der Kernenergetik (vom Erzabbau über Aufbereitung und Reaktorbetrieb bis zur Wiederaufarbeitung). Ein schwerer Unfall ist auch für unsere Kernkraftwerke nicht auszuschließen und würde unserem Land ökologisch, sozial und ökonomisch schwerste Schäden zufügen. Die sichere Endlagerung von hochradioaktiven Abfällen über Zehntausende von Jahren ist weltweit nicht gelöst. Kernkraftwerke, Wiederaufarbeitungsanlagen und Endlager für atomaren Müll können nicht vor der Zerstörung durch Terroranschläge oder Krieg geschützt werden.

 

(7) Der Energiegewinnung aus lokalen und regenerativen (= erneuerbaren) Energiequellen wird in Prognosen für unser Land kaum eine Bedeutung beigemessen. Gründe dafür sind die einseitige Betrachtungsweise aus der Sicht einer zentralisierten und großtechnischen Energieversorgung sowie die Ausrichtung auf die Elektroenergie.

 

(8) Der private Verbrauch von Energie hat in der DDR die höchsten Zuwachsraten. Diese Energie wird nur unvollständig erfaßt und oft pauschal berechnet. Für private Verbraucher und auch für unsere Kirchengemeinden sind die Preise subventioniert. Das Fehlen klarer Informationen über die Folgen unseres verschwenderischen Umgangs mit Energie erschwert zusätzlich die Herausbildung eines angemessenen Problembewußtseins.

 

3. Energie und Verantwortung

 

(9) Wir machen uns schuldig, indem wir verschwenderisch mit den uns anvertrauten Energievorräten umgehen, die Existenz von Natur und Mensch gefährden und die Opfer unsres Handelns nicht sehen. Die große räumliche und zeitliche Reichweite der Folgen unseres unangemessenen Energieverbrauchs erfordert eine Ausweitung der bisherigen Vorstellungen von Verantwortung. Verantwortung muß so weit reichen wie die Wirkungen der eingesetzten Mittel. Sie gilt gegenüber den heute Lebenden wie auch für kommende Generationen. Und sie erstreckt sich nicht nur auf das menschliche Leben, sie hat die gesamte Schöpfung im Blick. Wir sehen die Schwierigkeiten unserer Energiepolitiker und ihr Bemühen, der auf ihnen lastenden Verantwortung gerecht zu werden. Für die Suche nach dem lebensdienlichen Maß im Umgang mit Energie sind auch wir verantwortlich, auch wir müssen nach Auswegen suchen und erste Schritte gehen.

 

4. Orientierungen und erste Schritte

 

4.1. Unsere gemeinsame Zukunft

 

(10) Kein Land und keine Generation kann eine Energieversorgung gestalten, ohne die weltweite Situation zu berücksichtigen. Der Energieverbrauch der unterentwickelten Länder muß in den nächsten Jahrzehnten deutlich steigen. Der absolute Verbrauch an Primärenergie kann und muß in den Industrieländern in diesem Zeitraum spürbar vermindert werden. Dies muß nicht zwangsläufig zu einem Verlust an Lebensqualität führen.

Die globale Orientierung sollte für die nächsten Jahrzehnte ausgerichtet werden auf die rationelle Nutzung aller Energieträger, den langfristigen Rückgang der Nutzung fossiler Energieträger und die rasche Erschließung des im globalen Maßstab beträchtlichen Potentials regenerativer Energiequellen6 Die Orientierung auf Kernenergie ist wegen ihrer ökologischen und sozialen Auswirkungen und in einer von militärischen Konflikten und Terrorismus gekennzeichneten Welt keine verantwortbare Grundlage für die zukünftige Energieversorgung.

Die regionale Zusammenarbeit, aber auch eine Zusammenarbeit zwischen Industrieländern und Partnern in der Zwei-Drittel-Welt sollte gezielt angestrebt werden. Sie könnte Wege ebnen zu mehr Gerechtigkeit und einer gemeinsam verantworteten Zukunft. Es bedarf dazu großer technischer, finanzieller und politischer Anstrengungen.

 

4.2. Überlegungen für unsere Gesellschaft

 

(11) Wir müssen in unserer Gesellschaft die angestrebte Lebensweise, ihre Qualität und ihre zentralen Werte diskutieren, um so Bewertungsmaßstäbe für die Auswahl und den Einsatz der notwendigen Mittel zu finden. Wir benötigen als Grundlage für eine Energiestrategie weit über den Horizont eines Fünf-Jahr-Plans hinausreichende Vorstellungen über die Ziele unserer Entwicklung. Wir müssen uns wegen der begrenzten ökonomischen Möglichkeiten jetzt darüber verständigen, welchen Weg wir gehen wollen und welche Prioritäten sich daraus ableiten.

 

(12) Einsparung von Energie ist in den nächsten Jahrzehnten unsere wichtigste, billigste und umweltfreundlichste Energiequelle. Konkrete Möglichkeiten dafür sind unter anderem der Abbau von Energieverschwendung, die grundlegende technische Modernisierung und eine bessere Wärmedämmung. Darüber hinaus ist ein Wandel in der Industriestruktur hin zu weniger energieintensiven Bereichen unverzichtbar.

 

(13) Bei der Braunkohlennutzung kann in der DDR durch die Modernisierung und den Neubau von Kraftwerken sowie durch die gekoppelte Erzeugung von Strom und Fernwärme in Heizkraftwerken Energie in großem Umfang eingespart werden. Gleichzeitig müssen umfangreiche technische und organisatorische Maßnahmen zur Minderung der Umweltbelastung schnellerund konsequenter durchgesetzt werden.

 

(14) Kernenergie darf nicht Grundlage unserer zukünftigen Energieversorgung sein. Wir halten energische Bemühungen um den Ausstieg aus dieser Technik für unumgänglich.

Je länger man an der Orientierung auf Kernenergie festhält, desto schwerer wird es, die Mittel zur Erschließung von regenerativen Energiequellen aufzubringen.

 

(15) Regenerative Energiequellen können auch für unser Land beträchtlich an Bedeutung gewinnen durch den gezielten Ausbau des Forschungs- und Entwicklungspotentials, die flexible und vorwiegend dezentrale Nutzung der verschiedenen Quellen (Erdwärme, Kleinwasserkraft, Biomasse, Sonnenergie, Wind) und die Beteiligung an der internationalen Erschließung und gemeinsamen Nutzung des Potentials regenerativer Energiequellen im globalen Maßstab. Die Hoffnung auf die kontrollierte Kernfusion als unversiegbare Energiequelle scheint uns nicht gerechtfertigt (prinzipielle und technische Realisierbarkeit, Wirtschaftlichkeit, ökologische Gefährdungen).

 

(16) Die Möglichkeiten und Erfolge einer Neuorientierung und Energiepolitik hängen auch von einem Wandel im Bewußtsein und Verhalten der Verbraucher ab (vgl. 8 - Lebensweise). Wir brauchen das Gespräch untereinander, aber auch mit Fachleuten und Politikern. Dabei sollte auch die derzeitige Einkommens-. Preis- und Subventionspolitik mit dem Ziel überdacht werden, neue Verhaltensweisen der Verbraucher zu stimulieren. Jeder muß lernen und begreifen können, welch weitreichende Folgen unser Umgang mit Energie hat. Wir müssen uns um Sachkenntnis bemühen, um die Situation beurteilen zu können. Das wird es uns erleichtern, selbst vernünftig zu handeln und auch unpopuläre Entscheidungen zu verstehen und mitzutragen. Informationen dürfen nicht zurückgehalten, Risiken und Schäden nicht verharmlost, Angst und Leid nicht verdrängt werden (vgl. 12 - Information).

 

5. Umkehr fängt auch bei uns an

 

(17) Wir sind in unserem Drängen nur glaubwürdig, wenn wir nicht nur Forderungen an andere richten, sondern selbst beginnen, nach unseren Einsichten zu handeln. So könnten wir auch verantwortlichen Politikern die Entscheidung erleichtern, neue Wege zu gehen. Jeder einzelne muß im privaten Bereich, wie auch an seinem Arbeitsplatz verantwortlicher mit Energie umgehen. Auch in unseren Kirchen und Gemeinden muß sparsam mit Energie gewirtschaftet werden, müssen zukunftsweisende Projekte im eigenen Bereich unterstützt und die Bewußtseinsbildung zu diesen Fragen gefördert werden.

 

Quellen:

1 United Nations, Energy Statistics Yearbook, New York 1987.

2 Gerisch, G.: Kernenergie 31 (1988), S. 81-88.

3 Mitzinger, W.: Energietechnik 37 (1987), S. 121-128.

4 Alcamo, J. u.a.: AMBIO 16 (1987) 5, S. 232-245.

5 Ettenhuber, E.: Kernenergie 23 (1980), S. 290-296.

6 Unsere gemeinsame Zukunft - Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (Brundtland-Bericht, Greven 1987, S. 17/18 u. 190-203).