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Kritische Argumente in der
aktuellen Bioethik-Debatte –
kritisch
betrachtet (Fassung 23.1.02)
© Joachim Krause 2002 (Mit einem aktualisierten Anhang
Oktober 2013; frühere Links zu Internetverweisen 2013 soweit möglich
aktualisiert)
zusammengestellt von Joachim Krause, Hauptstr. 46, 08393 Schönberg, Tel.
03764-3140 (14.12.01)
(Quellenangaben in der Regel nach den jeweiligen Zitaten in ( ) angefügt;
eigene Fragen bzw. Kommentare sind kursiv gesetzt)
1. das deutsche Embryonenschutz ist vorbildlich mit seinen strengen und klaren Festlegungen
ABER: Einige Definitionen und Regelungen im Embryonenschutzgesetz müssen
vielleicht auch hinterfragt werden:
· Was ist ein Embryo? - siehe 1.1.
· Was bedeutet die Bindung des Embryonal-Status an die Eigenschaft der Totipotenz der Zellen? – siehe 1.2.
· Enthält nicht auch das Embryonenschutzgesetz mit der zulässigen
Möglichkeit, Samenzellen als Träger schwerwiegender Erbkrankheiten von der
Fortpflanzung auszuschließen, die Tendenz zur Selektion und Diskriminierung? –
siehe 1.3.
1.1. Was ist eigentlich ein EMBRYO ?
1.1.1.
Definition im deutschen Embryonenschutzgesetz §8:
(1) Als Embryo im Sinne dieses Gesetzes gilt bereits die befruchtete,
entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an,
ferner jede einem Embryo entnommene totipotente
Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen
zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag.
http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/eschg/gesamt.pdf
Einwand zum Zeitpunkt, ab dem von einem Embryo gesprochen wird
(Kernverschmelzung):
die Definition des deutschen Embryonenschutzgesetzes für „Embryo“ ist nicht
allgemeingültig.
Viele Mediziner in Deutschland akzeptieren wohl (intuitiv) die Festlegung
des EschG bis heute nicht.
Im benachbarten europäischen Ausland gelten z.T. andere Festlegungen.
1.1.2.
"Es ist ungeheuer wichtig, dass wir endlich auch in Deutschland die
Embryologie zur Kenntnis nehmen." Frühe Entwicklungsstufen habe man früher
als Furchungsstadium bezeichnet. Erst mit der In-vitro-Fertilisation habe sich
die Bezeichnung Embryo auch dafür eingeschlichen, "ein lausiger
Laborslang, eine Angewohnheit, die jetzt auch unsere Politiker für eine
naturwissenschaftliche Gegebenheit halten".
20.09.2001; Barbara Ritzert
http://idw-online.de/de/news39049
1.1.3.
Entwicklung des Embryos zum Fetus
Man unterscheidet drei Stadien:
· Blastozyten bis 15. Tag nach der Befruchtung der
Eizelle
· Embryo (griechisch = im Inneren keimen) Entwicklung des Keimlings in der 3. -
10 SSW
· Fetus (lateinisch = Nachkomme) wird das Ungeborene ab dem 3. Monat oder ab
der 10. SSW genannt
www.gyn.de/schwangerschaft/entw_embryo.php3
1.1.4.
Zwei nach dem Erlass des Embryonenschutzgesetzes neu bearbeitete weit
verbreitete Standard-Lexika der Medizin definieren EMBRYO anders als das EschG:
a) Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 257., neu bearbeitete Auflage, de Gruyter, Berlin, 1994:
Embryo: Frucht in der Gebärmutter während der Zeit der Organentwicklung...
(also der Ort und die Einnistung als Kriterien)
b) Zetkin/Schaldach: Lexikon der Medizin, 16., neu bearbeitete Auflage, Ullstein, Wiesbaden, 1999:
Embryo: Keimling mit einem Gestationsalter von 16-60
Tagen in der Gebärmutter (in der med. Lit. uneinheitl. definiert, meist jedoch 16..-60. Gestationstag...; Gestation:
Zeitabschnitt von der Befruchtung über Schwangerschaft, Geburt und
Wochenbett...)
1.1.5.
In Spanien unterscheidet das Gesetz zwischen "Pre-Embryo"
(einer Gruppe von Zellen von der Befruchtung an bis zu 14 Tagen), dem
"Embryo" (bis zum Stadium der Organbildung, das etwa zweieinhalb
Monate andauert) und dem "Fötus" (Entwicklungsstadium von zweieinhalb
Monaten aufwärts).
(Gaby Pichlhofer:
GID 131, Feb.1999)
1.1.6.
”embryo”
1. the stage of a multicellular organism that develops
from a zygote before it becomes free-living.
2. specifically, in vertebrates, the period from after
the long axis appears until all major structures are represented. In humans,
this is from about two weeks after fertilization to the end of the seventh or eighth
week.
http://www.academicpress.com/inscight/01252000/embryos3.htm
1.1.7.
What is a human embryo?
This is a microphotograph of a just-fertilized ovum; it is called a zygote. It
will divide and re-divide repeatedly, at about 20 hour intervals. It develops
into a solid, shapeless mass of cells called a morula.
Later it becomes a blastocyst. Some 2 weeks after fertilization, when it
becomes implanted into the wall of the womb, it is called an embryo. Later,
from 9 weeks after fertilization until birth, it is called a fetus.
http://www.religioustolerance.org/res_emb.htm
1.1.8.
Human Fertilisation and Embryology Act 1990 (c. 37) (Britisches
Gesetz zur Fortpflanzungsmedizin)
3) A licence cannot authorise—
(a) keeping or using an embryo after the appearance of the primitive streak,
(4) For the purposes of subsection (3)(a) above, the primitive streak is to be
taken to have appeared in an embryo not later than the end of the period of 14
days beginning with the day when the gametes are mixed, not counting any time
during which the embryo is stored.
http://www.legislation.gov.uk/id?title=Human+Fertilisation+and+Embryology+Act+1990
http://www.legislation.gov.uk/ukpga/1990/37/section/3
1.1.9.
Als relevante Zäsuren in der Entwicklung des ungeborenen menschlichen
Lebewesens werden benannt:
· abgeschlossene Befruchtung
· Beginn der Gestaltwerdung durch Ausbildung des Primitivstreifens
· Ausschluss natürlicher Mehrlingsbildung und die damit verbundene endgültige
Individuation
· Einnistung in den Uterus
· Ausbildung der neuronalen Voraussetzung für die bewusste Verarbeitung von
Reizen
· Überlebensfähigkeit außerhalb des Uterus
(Zweiter Zwischenbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages
„Recht und Ethik der modernen Medizin“, Teilbericht Stammzellforschung,
Berlin12.11.01, S.48f. - Seitenzahlen in
der zitierten Fassung anders!)
http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/14/075/1407546.pdf
1.1.10.
...der Wortlaut des Embryonenschutzgesetzes versteht unter einem Embryo nur das
durch Verbindung der beiden haploiden Chromosomensätze von Ei und Spermium
entstandene menschliche Lebewesen (befruchtete Eizelle)...
(Zweiter Zwischenbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages
„Recht und Ethik der modernen Medizin“, Teilbericht Stammzellforschung,
Berlin12.11.01, S.46 - Seitenzahlen in
der zitierten Fassung anders!)
http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/14/075/1407546.pdf
1.1.11.
...Stammzellenforschung... Der Begriff „Embryo“ erweckt leicht falsche
Vorstellungen. Es geht um befruchtete Eizellen vor Beginn der Schwangerschaft
und in einer Größe von 0,1 Millimetern...
Das Embryonenschutzgesetz lässt das menschliche Leben mit der Kernverschmelzung
beginnen. Warum nicht schon mit dem Eindringen der Samenzelle in die Eizelle
vor der Kernverschmelzung, also etwa vier Stunden vorher? Zu Hunderttausenden
werden solche Zellen in Deutschland tiefgefroren gelagert, ganz legal...
(DER SPIEGEL 50/2001 S.228ff. Interview mit Richard Schröder, ev. Theologe und
Mitglied des Nationalen Ethikrates)
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-20960960.html
1.1.12.
In seiner Entscheidung vom 25. Februar 1975 hat das Bundesverfassungsgericht
formuliert, dass „die von Anfang an im menschlichen Sein angelegten
potentiellen Fähigkeiten genügen, um die Menschenwürde zu begründen“. Daraus
kann jedoch nicht geschlossen werden, dass hier eine Festlegung des Beginns des
menschlichen Lebens auf den frühestmöglichen Anknüpfungspunkt der Befruchtung
erfolgen sollte. Der Satz ist im Kontext zu den unmittelbar vorangehenden
Sätzen zu sehen. Das Bundesverfassungsgericht setzt dort für die Menschenwürde
die Existenz menschlichen Lebens voraus. Einige Seiten zuvor hatte sich das
Gericht aber gerade für den Beginn des Lebens nicht auf einen Zeitpunkt
festlegen wollen, sondern sich nur darauf eingelassen, dass menschliches Leben
jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Nidation (dem 14. Tag nach der Empfängnis)
vorliegt. „Von Anfang an“ ist daher wohl zu lesen wie „jedenfalls von der
Nidation an“.
Damit scheiden alle zeitlich nach der Nidation liegenden Anknüpfungspunkte für
den Beginn des menschlichen Lebens aus (z,B.
Ausbildung bestimmter Körperfunktionen, Entwicklung des Gehirns, extra-uterine
Lebensfähigkeit)....
Bereits im ersten Regierungsentwurf zum Embryonenschutzgesetz vom 29. April
1986 wurde zwar in der Begründung ausgeführt, der Entwurf gehe davon aus, dass
sich mit der Befruchtung der menschlichen Eizelle bereits spezifisch
menschliches Leben zu entwickeln beginnt. Es wurde dann aber gesagt, auch wenn
man davon ausgehe, dass der Embryo im Frühstadium seiner Entwicklung noch nicht
Grundrechtsträger und auch nicht Person im Sinne der Grundrechtsgewährleitungen
sei, komme doch den objektiven Wertentscheidungen des Grundgesetzes zu Gunsten
der Menschenwürde und des menschlichen Lebens in Art.1 Abs.1 und 2 Abs. 2 Satz
1 GG auch für dieses Stadium schon Bedeutung zu. Dies schließe jedoch
Differenzierungen bei Art und Weise und dem Umfang des zu gewährenden Schutzes
im Vergleich zu späteren Entwicklungsstadien nicht aus.
(Bürgerkonferenz Streitfall Gendiagnostik, Deutsches Hygienemuseum Dresden,
Materialien 26.11.01, S. 15f. Beitrag Becker, Bundesgesundheitsministerium)
1.1.13
Embryo: „Als E. wird der menschliche Keim von der Zeit der Einnistung in die
Gebärmutter bis zum Ende der Organentwicklung bezeichnet (2. bis 8. Woche nach
der Befruchtung). Die Präembryonalphase (1. und 2. Woche nach der Befruchtung)
reicht von der Entstehung der Zygote... bis zur Einnistung. Mit der Einnistung
und der Ausbildung des Primitivstreifens beginnt die Embryonalphase.“
(Lexikon der Bioethik, Gütersloh 2000)
1.2. Was bedeutet die Bindung des Embryonal-Status im Embryonenschutzgesetz an die Eigenschaft der Totipotenz der Zellen?
1.2.1.
Festlegung im Embryonenschutzgesetz §8:
(1) Als Embryo im Sinne dieses Gesetzes gilt bereits die befruchtete,
entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an,
ferner jede einem Embryo entnommene totipotente
Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen
zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag.
http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/eschg/gesamt.pdf
Einwand: Die Eigenschaft der Totipotenz, über die der Embryo im deutschen Embryonenschutzgesetz definiert wird, ist (für den Menschen) naturwissenschaftlich nicht eindeutig festgelegt und darf nach dem Embryonenschutzgesetz in Deutschland auch nicht untersucht / geklärt werden...
1.2.2.
Vor dem Hintergrund der rechtlichen Situation in Deutschland gewinnt die
Potenzialität der in der Stammzellforschung verwendeten menschlichen Zellen
eine besondere Bedeutung, denn im Embryonenschutzgesetz werden Embryonen und totipotente Zellen rechtlich gleichgestellt. Dabei wird Totipotenz im Sinne der klassischen Embryologie als
Fähigkeit zur Ganzheitsbildung, d.h. zur Bildung eines Individuums, verstanden.
Da die Potenzialität einzelner menschlicher Zellen aus ethischen Gründen nicht
empirisch überprüft werden kann, müssen Ergebnisse aus Versuchen mit tierischen
Embryonen auf den Menschen übertragen werden.
Die bisher erhobenen Befunde sprechen dafür, dass während der normalen
Entwicklung des Menschen das Stadium der Totipotenz
auf die befruchtete Eizelle und die aus den ersten Teilungsstadien
hervorgegangenen Tochterzellen begrenzt ist...
Einzelne Expertinnen und Experten halten es jedoch nicht für erwiesen, dass
ES-Zellen (embryonale Stammzellen) und EG-Zellen (embryonale Keimzellen aus
Schwangerschaftsabbrüchen) keine Totipotenz mehr
besitzen. Sie kritisieren, dass die Bildungspotenzen der Embryoblastzellen,
aus denen die ES-Zellen gewonnen werden, nicht systematisch untersucht
wurden...
Das Verständnis des Begriffes Totipotenz auf der
Grundlage der klassischen Embryologie wird durch die Verfügbarkeit der
Zellkerntransferverfahren in Frage gestellt, da unter bestimmten experimentellen
Bedingungen sogar Zellkerne aus adulten Geweben zu einer Zelle mit Totipotenz ergänzt werden können (Reprogrammierung).
Als totipotent wäre dabei nicht die Ausgangszelle,
sondern erst das durch den Zellkerntransfer entstandene Gebilde zu bezeichnen.
Auch bei der Reprogrammierung von AS-Zellen (adulten
Stammzellen) wäre zu fragen, ob diese bis ins Stadium der Totipotenz
gelangen oder pluripotent bleiben.
Ungeklärt ist bisher, ob auf technischem Wege die Ganzheitsbildung
ausgeschlossen werden kann, die Differenzierung zu bestimmten Zellen oder
Geweben aber weiterhin möglich ist.
(Zweiter Zwischenbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages
„Recht und Ethik der modernen Medizin“, Teilbericht Stammzellforschung, Berlin
12.11.01, S.15+16 - Seitenzahlen in der
zitierten Fassung anders!)
http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/14/075/1407546.pdf
1.2.3.
Sollten sich Anhaltspunkte wissenschaftlich erhärten lassen, dass ES-Zellen
doch Totipotenz zukäme, würden ES-Zellen nach
geltender Rechtslage als Embryonen einzustufen sein.
Werden neonatale Zellen (aus Nabelschnurblut) durch Reprogrammierung in das Stadium der Totipotenz
versetzt, treffen alle hinsichtlich der ES-Zellen angeführten Bedenken auch auf
die Stammzellen aus Nabelschnurblut zu.
Sollen gewebsspezifische AS-Zellen (adulte Stammzellen) für eine breite
medizinische Verwendung zur Verfügung stehen, müssen sie Methoden der Reprogrammierung (Rückverwandlung in ein pluripotentes Stadium) und der Transdifferenzierung
(Entwicklung in einen Zelltyp, der nicht zum bisherigen Entwicklungsspektrum
der Zelle gehört) unterzogen werden. Die Möglichkeit, aus adulten Stammzellen
durch eine vollständige Reprogrammierung totipotente Zellen zu erhalten, ist
medizinisch-naturwissenschaftlich bisher nicht belegt. Sollte dies aber möglich
oder gar bei bestimmten Verfahren der Reprogrammierung
unvermeidbar sein, wäre der Regelungsbereich des Embryonenschutzgesetzes
betroffen. In diesem Fall würden alle ethischen und rechtlichen Überlegungen,
wie sie zu embryonalen Stammzellen dargelegt wurden, zutreffen.... Sofern eine Reprogrammierung von AS-Zellen zur Totipotenz
stattfindet, sollte eine Klarstellung des Embryonenschutzgesetzes erfolgen.
(Zweiter Zwischenbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages
„Recht und Ethik der modernen Medizin“, Teilbericht Stammzellforschung,
Berlin12.11.01, S.86, 109, 112ff. - Seitenzahlen
in der zitierten Fassung anders!)
http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/14/075/1407546.pdf
1.2.4.
4.1.10 Die Totipotenz vom Embryonen ist demnach für
sich genommen kein hinreichendes objektives Kriterium für das Vorhandensein
eines neuen Menschen. Einerseits lässt sich im Gedankenexperiment durchspielen,
dass man aus einer Blastozyste* vorübergehend eine totipotente einzelne Zelle entfernt und nach einer Weile
reimplantiert. Eine substanzontologische Betrachtungsweise des Embryos gerät in
diesem Fall in Konfusionen, weil sie annehmen müsste, dass mit der Entnahme
einer Zelle aus der Blastozyste ein weiterer Embryo –
d.h. ein werdender Mensch – entstanden ist, der mit der Reimplantation der
Zelle verschwindet bzw. “stirbt ”.Sodann besteht inzwischen – zumindest
prinzipiell – die Möglichkeit, jede Körperzelle eines Menschen in eine totipotente Zelle zurückzuverwandeln.
Dadurch vermehren sich die argumentativen Konfusionen. Dies spricht nicht gegen
einen umfassenden Embryonenschutz, wohl aber gegen seine substanzontologische
Begründung, die der Totipotenz die Hauptlast der
Argumentation zumutet.
8.10 Zu klären ist auch die derzeit strittige Frage, ob es sich bei embryonalen
Stammzellen tatsächlich nur um pluripotente oder aber
doch noch um totipotente Zellen handelt, die sich wie
der Embryo, dem sie entnommen wurden, noch immer zu einem vollständigen
Menschen entwickeln könnten. Hierfür gibt es einige Indizien aus der Forschung
an Embryonen von Affen, denen bislang nicht weiter nachgegangen wurde. Die
Argumentation der DFG aber stützt sich stark darauf, dass Totipotenz
für embryonale Stammzellen auszuschließen sei. Die Frage der Toti- bzw. Pluripotenz bedarf der
Klärung, weil im Sinne der Beweislastumkehr nicht das Verbot, sondern die
Zulassung der Forschung an embryonalem Gewebe in besonderer Weise
begründungsbedürftig ist.
(Verantwortung für das Leben; Eine evangelische Denkschrift zu Fragen der
Biomedizin; Im Auftrag des Evangelischen Oberkirchenrats A. und H.B. der
Evangelischen Kirche A. und H.B.in Österreich erarbeitet von Ulrich H.J. Körtner in Zusammenarbeit mit Michael Bünker;
Wien 2001)
http://www.reformiertestadtkirche.at/textpages/erklaerungen/denkschrift.htm
1.3. Enthält nicht auch das Embryonenschutzgesetz mit der zulässigen Möglichkeit, Samenzellen als Träger schwerwiegender Erbkrankheiten von der Fortpflanzung auszuschließen, die Tendenz zur Selektion und Diskriminierung ?
Es gibt den Begriff der „schwerwiegenden Erbkrankheit“ im deutschen Embryonenschutzgesetz und in der „Bioethikkonvention“ des Europarates. Das EschG nennt in §3 sogar stellvertretend eine Erbkrankheit und verweist bei der Anerkennung anderer Krankheitsbilder als „schwerwiegend“ auf dafür zuständige Landes-Stellen. Auch für viele Humangenetiker dürfte der Begriff „schwerwiegend“ sich mit bestimmten Krankheitsbildern verbinden. Wäre das Erstellen einer (immer vorläufigen, sich am aktuellen Stand der Diagnostik und an den bestehenden Therapiemöglichkeiten orientierenden) Liste möglich und für Betroffene zumutbar (indirekte Diskriminierung?)?
1.3.1.
Embryonenschutzgesetz Deutschland vom 13.12.90:
„§3 Verbotene Geschlechtswahl
Wer es unternimmt, eine menschliche Eizelle mit einer Samenzelle künstlich zu
befruchten, die nach dem in ihr enthaltenen Geschlechtschromosom ausgewählt
worden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe
bestraft. Dies gilt nicht, wenn die Auswahl der Samenzelle durch einen Arzt
dazu dient, das Kind vor der Erkrankung an einer Muskeldystrophie vom Typ Duchenne oder einer ähnlich schwerwiegenden
geschlechtsgebundenen Erbkrankheit zu bewahren, und die dem Kind drohende
Erkrankung von der nach Landesrecht zuständigen Stelle als entsprechend schwerwiegend
anerkannt worden ist.“
http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/eschg/gesamt.pdf
1.3.2.
Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick
auf die Anwendung der Biologie und Medizin (sog. „Bioethikkonvention“ des
Europarates vom 4.4.1997):
„Artikel 14 (Keine Auswahl des Geschlechts)
Die Anwendung von Techniken der Fortpflanzungsmedizin ist für die Auswahl des
Geschlechts eines Kindes unzulässig, es sei denn zur Vermeidung schwerwiegender
erblicher geschlechtsgebundener Krankheiten.“
http://www.bioethik-konvention.de/bioethik-konvention_texte_und_zusatzprotokolle.html#bioethikkonvention
1.3.3.
7.1.5 Von der Untersuchung befruchteter Embryonen ist die getrennte genetische
Untersuchung der Keimzellen vor der Befruchtung zu unterscheiden. Unter bestimmten
Voraussetzungen ist diese Untersuchungsmethode ethisch durchaus vertretbar, da
hierbei keine Embryonen selektiert werden. Allerdings lassen sich auf diese
Weise nur Eizellen untersuchen (Pol- körper-Analyse*),nicht
aber Spermazellen, weil diese hierbei zerstört würden. Die prädiktive*
Untersuchung von Eizellen ist ethisch dann vertretbar, wenn es darum geht, die
Übertragung einer Erbkrankheit zu verhindern, nicht jedoch, wenn sie dazu
dienen sollte, andere Eigenschaften und Dispositionen zu selektieren, d.h. der
Idee der Menschenzüchtung Vorschub leisten sollte.
(Verantwortung für das Leben; Eine evangelische Denkschrift zu Fragen der
Biomedizin; Im Auftrag des Evangelischen Oberkirchenrats A. und H.B. der
Evangelischen Kirche A. und H.B.in Österreich erarbeitet von Ulrich H.J. Körtner in Zusammenarbeit mit Michael Bünker;
Wien 2001)
http://www.reformiertestadtkirche.at/textpages/erklaerungen/denkschrift.htm
2. Argument: Die Forschung mit embryonalen
Stammzellen wird mit nicht eingelösten Versprechen auf Heilung begründet.
“Es ist ja gar nicht klar, ob sich jemals
therapeutischer Nutzen aus der Verwendung embryonaler Stammzellen erzielen
lässt.
Zudem reichen die Potenziale der adulten
Stammzellen für Gewebetherapien aus.“
Auf das Argument, dass die Erfolgsaussichten für Therapien mit
embryonalen Stammzellen in den Sternen stehen, ist zu fragen, ob dann nicht
konsequenterweise untersucht und nachgewiesen werden müsste, das dieser Weg
nicht gangbar ist (sonst werden wir nie erfahren, ob die Vermutung stimmt).
Der Vorrang der Forschung an adulten Stammzellen wird von allen Forschern
betont, besonders was die mögliche spätere therapeutische Anwendung betrifft.
Aber noch ist auch für adulte Stammzellen nicht klar, ob sie eines Tages
wirklich zu (besseren) Therapien für Gewebeersatz genutzt werden können. Und
die Forschung an embryonalen Stammzellen wird von vielen Forschern für
unverzichtbar gehalten, um die Mechanismen der Zell-Differenzierung in der
Embryonalentwicklung zu verstehen und dann für die Reprogrammierung
der adulten Stammzellen zu nutzen.
2.1.
Die komplexen Prozesse der Differenzierung von Geweben und Organe ist bisher
weitgehend unverstanden. Die Grundlagenforschung – vor allem an ES-Zellen –
soll einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der Mechanismen liefern, die
der Vermehrung und Differenzierung in der embryonalen Entwicklung zugrunde
liegen ...
Unklar ist dabei auch, ob sich Erkenntnisse aus der ES-Zellforschung auf adulte
Stammzellen übertragen lassen...
Unklar ist bisher, inwieweit die Ergebnisse aus Tierversuchen auf den Menschen
übertragbar sind ...
Mit einer therapeutischen Anwendung von Stammzellen, die über die gegenwärtigen
Verfahren hinausgeht, bei denen adulte Stammzellen zur Regeneration innerhalb
ihrer Gewebespezifität eingesetzt werden, ist in absehbarer Zeit nicht zu
rechnen ...
Es wurde bisher noch nicht untersucht, ob die therapeutische Anwendbarkeit von
AS-Zellen möglicherweise dadurch eingeschränkt wird, dass die Stammzellen über
ihre Lebensspanne hinweg bereits DNA-Schäden angehäuft haben.
(Zweiter Zwischenbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages
„Recht und Ethik der modernen Medizin“, Teilbericht Stammzellforschung,
Berlin12.11.01, S.17f., 23 - Seitenzahlen in der zitierten Fassung anders!)
http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/14/075/1407546.pdf
2.2.
Die Gegner der Stammzellforschung (mit embryonalen Stammzellen) behaupten, sie
sei wissenschaftlich nicht ausreichend begründet. Das halte ich für eine
unhaltbare Argumentation. Das heißt doch, wenn die Forschung wissenschaftlich
begründet wäre, würde man sie zulassen. Das wiederum bedeutet, weil das
Potenzial der Zellen hierzulande nicht wissenschaftlich begründet werden darf,
wird die entsprechende Forschung zwangsläufig ins Ausland verlagert. Und wenn
die Zelltherapien dann erfolgreich sind, wendet man sie hier (in Deutschland)
munter an.
(DIE ZEIT 22.11.2001, S. 37, Interview mit Ernst-Ludwig Winnacker)
http://www.zeit.de/2001/48/Im_Zweifel_ohne_Bundestag
2.3.
Stand der Forschung an adulten Stammzellen?
Die Therapie mit adulten Stammzellen wird bei einigen Stammzellarten schon
klinisch angewendet, z.B. bei blutbildenden Zellen, bei Haut und Knorpel...
einige Therapien in der klinischen Testphase, einige noch im Versuchsstadium
bzw. im Tierexperiment...
Die Lebensdauer, Vermehrungsfähigkeit und das Entwicklungspotenzial von adulten
Stammzellen ist jedoch geringer als bei embryonalen Stammzellen. Untersuchungen
an ihnen geben keine Erkenntnisse über Fragen der Embryonalentwicklung.
(Bürgerkonferenz Streitfall Gendiagnostik, Deutsches Hygienemuseum Dresden,
Materialien 26.11.01, S.20f., Beitrag Ina Radtke, Universität Bochum)
2.4.
„Wenn eine Heilung von Parkinson, Alzheimer, Aids wirklich gemacht werden
könnte, würde selbst ich sagen: das müsste man machen.“
(Präses Kock / EKD in einer Diskussion an der Uni Köln 29.11.2001, PHOENIX)
2.5.
über das OB, das WANN und das konkrete WIE möglicher therapeutischer
Anwendungen der embryonalen Stammzellforschung lässt sich derzeit nur
spekulieren;
Forschung an adulten Stammzellen ist bereits eine „alte“ (eingeführte)
Forschungsrichtung;
Forschungsprogramme in Deutschland konzentrieren sich bereits derzeit
überwiegend auf adulte Stammzellen;
es sind in den USA Hunderte Millionen Dollar in den letzten 15 Jahren dafür
aufgewendet worden, um Knochenmarkszellen zur Teilung zu bringen, bisher ohne
Erfolg
(Prof. Wiestler, Stammzellforscher Univ. Bonn,
Deutschlandfunk 14.12.01)
2.6.
Es zeichnet sich ab, dass der Ersatz von zerstörten Zellen und Geweben im
menschlichen Organismus durch Stammzellen zwar möglich ist, der Weg dahin ist
aber noch sehr lang ist und es werden Jahre, wenn nicht Jahrzehnte vergehen,
bis Routineverfahren erarbeitet sind. Die Wissenschaftler stehen vor einer
Fülle offener Fragen. Damit keine Zeit verloren geht und die Stammzellforschung
in voller Breite zum Wohl der Menschen durchgeführt werden kann, sollten in
unserem Lande die verschiedenen Ansätze erforscht und gefördert werden. Dies
trifft umso mehr für die Forschung mit adulten Stammzellen zu, die keine
rechtlichen und ethischen Fragen aufwirft. Wir sind der Überzeugung, dass
adulte Stammzellen schneller Anwendung für die regenerative Medizin finden
werden als embryonale Stammzellen. Dennoch könnten Kenntnisse aus der Forschung
mit embryonalen Stammzellen helfen, die Mechanismen der Zellumwandlung zu
verstehen. Diese Kenntnisse könnten auf adulte Stammzellen übertragen werden.
Sofern sich diese Kenntnisse nicht im Tierversuch gewinnen lassen, besteht eine
mögliche Lösung im Modell der Vorsitzenden der Enquete-Kommission "Recht
und Ethik der modernen Medizin" des Bundestags, Margot von Renesse. In
Anlehnung an die Politik des amerikanischen Präsidenten George W. Bush schlägt
Frau von Renesse vor, die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen per
Gesetz auf die weltweit zu einem bestimmten Stichtag bereits vorhandenen Linien
zu begrenzen. Zudem soll eine zentrale und unabhängige Institution geschaffen
werden, die den Import menschlicher embryonaler Stammzellen für alternativlose
Forschungsprojekte genehmigt.
(Konrad Beyreuther, Professor am Zentrum für Molekulare Biologie der
Universität Heidelberg, FAZ 22.11.01 S.49)
2.7
Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Forschung mit
menschlichen Stammzellen, 3.5.2001 :
· Die Verwendung von gewebespezifischen (adulten) Stammzellen als Alternative
zu menschlichen embryonalen Stammzellen muss Vorrang haben (12).
· Sowohl das reproduktive als auch das therapeutische Klonen sind ethisch nicht
zu verantworten und nicht statthaft (4); abgelehnt wird die Herstellung von
Embryonen ausschließlich zu Forschungszwecken (Dolly-Verfahren) (9.2).
· Es gibt beim Menschen keine irgendwie geartete Rechtfertigung für
Keimbahninterventionen sowie für die Herstellung von Chimären oder Hybriden
(5).
· Der Import von menschlichen embryonalen Stammzellen soll zulässig sein (7)
· Nur wenn das Arbeiten mit importierten Stammzellen nicht ausreicht, sollte
auch die aktive Gewinnung von Stammzellen in Deutschland zugelassen werden
(9.2).
· Embryonale Stammzellen dürfen nur aus Embryonen gewonnen werden, die für eine
gesetzlich zulässige künstliche Befruchtung hergestellt wurden, die aber – z.B.
wegen Erkrankung oder Rücktritt der Frau – nicht mehr zu diesem Zweck
eingesetzt werden und absterben müssten (10).
· Einzelfallprüfung der ethischen Vertretbarkeit durch eine Kommission auf
Bundesebene (10)
Empfehlungen der
Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Forschung mit menschlichen Stammzellen,
3.5.2001
3. als Alternative zum Sterbenlassen oder zur
Forschung an menschlichen Embryonen:
Man könnte doch „überzählige“ Embryonen
einfach zur Adoption freigeben?
3.1.
Anzahl „überzähliger“ Embryonen in Deutschland: IVF-Register 2000: 71;
Bundesregierung 2001: 15
Anzahl der im Vorkernstadium eingefrorenen imprägnierten Eizellen:
Bundesgesundheitsministerium 2001: 61370...
Da nach dem Embryonenschutzgesetz die Verwendung von Embryonen zu anderen als
ihrer Erhaltung dienenden Zwecken ausgeschlossen ist, stellen das Absterbenlassen oder die Kryokonservierung
mit dem Ziel der späteren Einpflanzung die beiden einzigen gesetzlich
zulässigen Umgangsweisen mit sog. „überzähligen“ Embryonen dar...
Die Embryonenspende und die Embryonenadoption stellen keinen strafbaren Verstoß
gegen das Embryonenschutzgesetz dar...
Gegen eine Embryonenadoption werden jedoch auch weitreichende Bedenken geltend
gemacht:... gespaltene Elternschaft (die das EschG
vermeiden will)...
Keinesfalls kann dies als Normalfall oder als verpflichtende Lösung betrachtet
werden... Die Alternative Sterbenlassen/Freigabe zur Forschung bleibt daher in
Einzelfällen bestehen.
(Zweiter Zwischenbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages
„Recht und Ethik der modernen Medizin“, Teilbericht Stammzellforschung, Berlin
12.11.01, S.68f., S.77ff. Seitenzahlen in der zitierten Fassung
anders!)
http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/14/075/1407546.pdf
4. Möglichkeit des Missbrauchs und Befürchtung eines Dammbruchs als Argumente gegen die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) in Deutschland
4.1.
Es geht nicht um staatlich angeordnete (gesellschaftlich geforderte)
Selektion, sondern um die Gewissensentscheidung eines konkreten Elternpaares,
das das vererbbare Risiko für eine schwere Erbkrankheit in seinem Erbgut trägt.
Es geht nicht um eine generelle Debatte zum Lebenswert.
In den Ländern, in denen PID seit Jahren angewendet wird, ist es nicht zu
einem Dammbruch, zu einer ausufernden Anwendung, zu einer Ausweitung der
Kriterien gekommen.
4.2.
Ich bin gegen ein striktes Verbot der PID. Für schwerste Erbkrankheiten sollte
sie zugelassen werden. Ich weiß von einem genetisch belasteten Ehepaar, das ein
sehr, sehr krankes Kind auf die Welt gebracht hat. Zwei weitere ebenfalls
erkrankte Föten hat es abtreiben lassen. ... Wir sollten nicht mit
Prinzipienreiterei den konkreten Konfliktfall niederreiten und sagen: Wen es
trifft, der tut mir leid.
SPIEGEL: das heißt: Eltern haben das Recht auf ein gesundes Kind?
Nein. Aber die Paare, die sich der mühseligen In-vitro-Befruchtung unterziehen,
also einer Befruchtung außerhalb des Mutterleibes, machen das nicht aus Jux.
Sie haben berechtigte Angst vor einer schlimmen Erbkrankheit und der schweren
Behinderung ihres Kindes.
(DER SPIEGEL 50/2001 S.228ff. Interview mit Richard Schröder, ev. Theologe und
Mitglied des Nationalen Ethikrates)
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-20960960.html
4.3.
Die Methode der PID birgt erhebliche Möglichkeiten des Missbrauchs: Stichworte
wie "Eugenik", "Selektion" und "Designerkind"
deuten diesen Missbrauch an. Die Bischofskonferenz der VELKD lehnt zum
gegenwärtigen Zeitpunkt angesichts dieser Missbrauchsmöglichkeiten eine
gesetzliche Zulassung der PID ab.
(Stellungnahme der Bischofskonferenz der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen
Kirche Deutschlands (VELKD) zu Fragen der Bioethik, 13.3.01)
http://www.velkd.de/134.php
4.4.
„Eine Grundregel der philosophischen Ethik lautet: Der mögliche Missbrauch
verbietet nicht den rechten Gebrauch.... Zum rechten Gebrauch gehören Grenzen.“
(Debatte des Deutschen Bundestages zu Gentechnik und Bioethik 31.5.2001, MdB
Detlef Parr)
4.5.
Bundesärztekammer:
Diskussionsentwurf für eine Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik
(Dtsch. Ärzteblatt 9/2000 S.A-525)
strenge Grenzen:
· sehr restriktiver Einsatz der Methode
· Absage an jede Art eugenischer Selektion
· Anwendung nur bei anamnestisch stark belasteten Paaren
· Pflicht zu ausführlicher Beratung
· nur bei hohem Risiko für bekannte und schwerwiegende monogen bedingte
Erbkrankheiten oder Chromosomenstörungen
(keine Indikation für PID sind Geschlechtsbestimmung ohne Krankheitsbezug,
Alter der Eltern, Sterilitätstherapie, spät manifestierende Krankheiten)
· Untersuchungen dürfen nur an nicht mehr totipotenten
Zellen durchgeführt werden
· keine anderweitige Verwendung für nicht übertragene Embryonen zulässig
· Prüfung jedes Einzelfalles durch zwei Kommissionen der Ärztekammern (Land und
Bund)
http://www.aerzteblatt.de/archiv/21457/Diskussionsentwurf-zu-einer-Richtlinie-zur-Praeimplantationsdiagnostik
5.1.
Wenn man z.B. schon ein Kind mit dem fragilen-X-Syndrom hat und wünscht sich
ein 2. Kind, weiß aber, dass die Wahrscheinlichkeit wieder ein betroffenes Kind
zu bekommen bei 50% liegt, so ist es doch naheliegend, dass Eltern die PID
einer Abtreibung vorziehen.
Eigentlich kann und sollte man diese Frage gar nicht beantworten (gefragt war,
ob es nach Einführung von PID Genies wie den Physiker Stephen Hawking noch
geben würde), denn hier spielt man einen erwachsenen, kranken Menschen gegen
einen Zellhaufen aus.
(Bürgerkonferenz Streitfall Gendiagnostik, Deutsches Hygienemuseum Dresden,
Materialien 26.11.01, S.19, Beitrag Elisabeth Gosselaar,
Interessengemeinschaft Fragiles X e.V.)
5.2.
Der Mukoviszidose e.V. als Selbsthilfevereinigung der Eltern und Patienten
teilt die schweren Bedenken gegen eine Zulassung der Präimplantationsdiagnostik
(PID).
Aber: Betroffene Eltern, die einen Schwangerschaftsabbruch ablehnen, haben nur
mit der PID die Chance auf ein weiteres Kind ohne diese Erkrankung. Der Verein
will diese Eltern mit ihren Sorgen nicht durch ein Verbot der PID alleine
gelassen sehen.
(Erklärung des Mukoviszidose e.V. vom 24.9.2000 zur möglichen Einführung der
PID)
5.3.
Die Debatte um die PID begann in Deutschland im Jahr 1995. Damals stellte sich
ein Ehepaar an der Universitätsklinik Lübeck vor, das 1990 nach der Geburt ein
Kind infolge einer schweren Mukoviszidose-Erkrankung verloren hatte. Eine
daraufhin erfolgte genetische Diagnostik ergab ein Wiederholungsrisiko von 25%.
Das Paar wünschte sich ein weiteres Kind, ließ jedoch im Laufe der
Schwangerschaft eine Pränataldiagnostik durchführen.
Nachdem die Untersuchung eine Mukoviszidose-Erkrankung ergeben hatte, wurde ein
Schwangerschaftsabbruch durchgeführt. Eine dritte Schwangerschaft endete in
gleicher Weise. Vor diesem Hintergrund ging das Paar den Weg der künstlichen
Befruchtung und wünschte die Durchführung einer PID. Dies wurde von der
Ethikkommission der Universität Lübeck allerdings mit Verweis auf die deutsche
Rechtslage abgelehnt.
Für die psychisch belastende Situation dieses Paares und den daraus
resultierenden Wunsch nach Testung des in vitro heranwachsenden Lebens habe ich
Verständnis. Ethik ist meines Erachtens immer nur dann menschlich, wenn sie
nicht abstrakt argumentiert, sondern auch den konkreten Einzelfall mit
einbezieht.
Allerdings zeigt gerade das Beispiel der Mukoviszidose für mich die
Schwierigkeit der ethischen Bewertung und politischen Entscheidungsfindung.
Viele Menschen führen mit dieser Krankheit aufgrund moderner Therapeutika ein
durchaus "normales" und erfülltes Leben mit Beruf und Familie. Für
sie ist die Diagnose "Mukoviszidose" keineswegs ein Grund zur
Selektion von Embryonen. Sie fühlen sich in ihrer Würde verletzt, wenn gerade
von der Ärzteschaft diese Krankheit immer wieder als klassisches Beispiel zur
Durchführung einer PID genannt wird.
Im Falle einer Zulassung der PID stellt sich also die Frage: Wer entscheidet
über den Indikationenkatalog, der zur Durchführung einer Diagnostik in vitro
berechtigt? Selbst unter Humangenetikern gibt es keinen Konsens darüber, welche
Erbkrankheiten als besonders schwerwiegend einzustufen sind.
(Online-Forum Präimplatationsdiagnostik 16.02.01
Helga Kühn-Mengel MdB, SPD-Fraktion)
http://www.bundestag.de/forum/enquete_medizin_archiv/01kuehnmengel.html
6. Steht die Zulässigkeit der SPIRALE (Intrauterinpessar) als Nidationshemmer in der Schwangerschaftsverhütung im Widerspruch zum strengen Schutz ungeborenen Lebens?
In letzter Zeit wird häufiger darauf verwiesen, dass die Spirale
(Intrauterinpessar) nicht die Einnistung eines sich bereits entwickelnden
Embryos verhindert, sondern schon vor der Befruchtung wirksam wird. Ich lese in
fachlichen Äußerungen mehr ein Sowohl-als-auch beider
Wirkungsmechanismen.
Zumindest für die „Pille danach“ wäre aber weiterhin eine Inkonsequenz beim
absoluten Lebensschutz für menschliche Embryonen festzustellen.
6.1.
Strafgesetzbuch, Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch, §218 (Fassung vom
13.9.98):
(1) Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei
Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Handlungen, deren Wirkung vor Abschluss
der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter eintritt, gelten nicht
als Schwangerschaftsabbruch im Sinne dieses Gesetzes.
http://dejure.org/gesetze/StGB/218.html
6.2.
absoluter Schutz vorgeburtlichen Lebens – wie ist es da mit
der Verhütung der Schwangerschaft durch die Spirale ?...
„Vielleicht sollten uns ja hier noch einmal Fachleute kundig machen. Ich habe
mir sagen lassen, dass das, was durch die Spirale verhindert wird, nicht der
Embryo ist, es ist eine Vorstufe davon – (Reaktionen im Saal); Sie schütteln
mit dem Kopf – darüber müsste man noch mal diskutieren...“
(Präses Kock / EKD in einer Diskussion an der Uni Köln 29.11.2001, PHOENIX)
6.3.
Die Wirkungsweise von Spiralen ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Man geht
aber im Wesentlichen von folgenden Mechanismen aus:
· Die Spirale behindert als Fremdkörper das Einnisten des Eies
· Kupferhaltige Spiralen geben kontinuierlich Kupferionen
ab, die eine spermizide (die Spermien schädigende)
Wirkung haben.
http://www.m-ww.de/sexualitaet_fortpflanzung/verhuetung/spirale.html
6.4.
Wie wirkt unser Intrauterinpessar?
Mirena ist ein Intrauterinpessar (sog. Spirale) in
T-Form, aus dem gleichmäßig das Hormon Levonorgestrel
freigesetzt wird.
Das Mittel bietet also mechanischen und hormonellen Empfängnisschutz.
Die lokale und konstante Freisetzung des Hormons im Uterus vermindert die
Bildung von Gebärmutterschleimhaut und verdickt den Zervixschleim.
Zusätzlich verhindert das Mittel bei einigen Frauen den Eisprung.
Die Spirale ist ein Fremdkörper, der in die Gebärmutter platziert wird und die
Einnistung einer befruchteten Eizelle verhindert. Die Spirale ist ein kleiner
Plastikstab, der mit einem Kupferdraht umwickelt ist und die Form einer 7,
eines T’s oder eines Hufeisens hat. sie wird oft auch als "Kupfer-T"
oder "IUD" (die englische Abkürzung der Spirale: Intrauterine device) bezeichnet.
http://www.netdoktor.at/medikamente/details.asp?intId=1836
6.5.
Nach den Ausführungen von Dr. med.Rolf Klimm verhindert die Spirale allerdings nicht die
Einnistung, (Nidation), sondern die Empfängnis (Fertilisation) durch
Inaktivierung der aufsteigenden Spermien als Folge einer sterilen Entzündung
des Endometriums der Gebärmutter.
(Zweiter Zwischenbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages
„Recht und Ethik der modernen Medizin“, Teilbericht Stammzellforschung,
Berlin12.11.01, S.37)
http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/14/075/1407546.pdf
einige Ergänzungen, eingefügt am 14.10.2013
http://www.uni-protokolle.de/Lexikon/Embryogenese.html
(14.10.2013)
Unter Embryogese - von griech.: embryo
(im Inneren keimen ungeborene Leibesfrucht) und genesis
(Entstehung. Erzeugung) - wird jene Phase der Keimentwicklung verstanden die
von der Befruchtung der Eizelle über Furchung Blastulation
und Gastrulation zur Bildung der Organanlagen führt und die einen wesentlichen
Wandel in der äußeren Gestalt des Embryoblasten und
Embryos bedingt.
Dabei verläuft die Entwicklung im Keim- oder Germinalstadium
über die befruchtete Eizelle ( Zygote ) zur Blastozyte
die sich am 5. - 6. Entwicklungstag in die Gebärmutterschleimhaut einnistet. Mit
der Ausbildung der Chorionzotten und der Aufnahme der
Verbindung zum mütterlichem Kreislauf beginnt das
Embryonalstadium.
Beim Menschen ist die Embryogenese nach 8 Wochen beendet.
http://www.conatex.com/mediapool/versuchsanleitungen/VAD_Biologie_MenschlicheEmbryonalentwicklung.pdf
(14.10.2013)
Die Zygote beginnt unmittelbar nach der Besamung, sich zu teilen.
Folglich besteht die Zygote nach der ersten Teilung aus zwei Blastomeren. Die
Zelle teilt sich fortan, bis sie am 4. Tag das Maulbeerstadium erreicht hat.
Man spricht nun auch von der Morula, einem kugelförmigen Zellhaufen aus 8 bis 32
Blastomeren. Obwohl sich die Zellen vermehren, ist das Gesamtvolumen der Morula
gegenüber der Zygote unverändert. In diesem Stadium, etwa am vierten Tag, kommt
es zu einer Differenzierung der Zellen in eine äußere und eine innere
Zellschicht. Aus der äußeren Zellschicht werden sich zuerst der Trophoblast und später Plazenta und Eihäute entwickeln, die
innere Zellschicht wird zum Embryoblast, dem Vorgänger des eigentlichen
Embryos.
http://de.wikipedia.org/wiki/Schwangerschaft#Wortherkunft_und_-gebrauch
(14.10.2013)
… Die Einnistung in der Gebärmutterwand beginnt circa am fünften Tag
nach der Befruchtung und ist nach 14 Tagen abgeschlossen. Bis dahin ist die
Zwillingsbildung möglich. Die Blastozyste teilt sich
nun in ihre äußere Schicht, den Trophoblasten, woraus
sich die Plazenta entwickelt, und den Embryoblasten,
aus welchem der Embryo entsteht. Das die beiden
Teile verbindende Gewebe wird zur Nabelschnur.
http://de.wikipedia.org/wiki/Embryonalentwicklung#Blastogenese
(14.10.2013)
Unter Embryogenese wird jene Phase der Keimentwicklung verstanden, die
von der Gastrulation zur Bildung der Organanlagen (der Organogenese) führt und
die einen wesentlichen Wandel in der äußeren Gestalt des Embryoblasten
und Embryos bedingt. Dieser Zeitraum wird auch als Embryonalperiode
bezeichnet. Sie dauert beim Menschen von der dritten bis zur achten
Entwicklungswoche (p.c.).
http://groups.molbiosci.northwestern.edu/holmgren/Glossary/Definitions/Def-E/embryo.html
31.5.2013
Embryo:
Eine befruchtete Eizelle, welche mit der
Zellteilung begonnen hat, oft auch als Prä-Embryo bezeichnet (für: Embryo vor
der dem Zeitpunkt der Einnistung). Als Embryo wird hier ein späterer
Entwicklungstand definiert, nämlich der Abschluss des Zustandes des
Prä-Embryos, welcher etwa am 14. Tage zu Ende geht. Der Begriff „Embryo“
wird zur Beschreibung der frühen Stadien des fetalen Wachstums benutzt, von der
Empfängnis bis zur 8. Woche der Schwangerschaft
EMBRYO:
A fertilized egg that has begun cell
division, often called a pre-embryo (for pre-implantation embryo). An embryo is now defined
as a later stage, i.e. at the completion of" the pre-embryonic
stage, which is considered to
end at about day 14. The term, embryo, is used
to describe the early stages
of fetal growth, from conception to the eighth
week of pregnancy.
http://www.thefreedictionary.com/embryo
31.5.2013
Embryo
1.
a) Ein Organismus in den frühen Stadien seiner Entwicklung, besonders
ehe er eine eindeutig wahrnehmbare Form angenommen hat
b) ein Organismus zu jedem Zeitpunkt vor der vollständig abgeschlossenen
Entwicklung, Geburt oder dem Schlüpfen (aus einem Ei)
2.
a) das befruchtete Ei eines Wirbeltieres nach der (ersten) Zellteilung
b) im Falle des Menschen: das Entwicklungsprodukt in der Phase vor dem
Stadium des Fetus - von der Einnistung (in der Gebärmutter) bis zur 8. Woche
der Entwicklung
embryo
1.
a. An organism in its early stages of
development, especially before it has
reached a distinctively recognizable form.
b. An organism at any
time before full development, birth, or hatching.
2.
a. The fertilized egg of a vertebrate animal following cleavage.
b. In humans, the prefetal
product of conception from implantation through the eighth week
of development.
http://medical-dictionary.thefreedictionary.com/embryo
(14.10.2013)
Embryo:
1. bei Tieren: jene Entwicklungsergebnisse der befruchteten Eizelle, aus
denen sich möglicherweise Nachkommen entwickeln können, während der Phase ihrer
schnellsten Entwicklung, d.h. von dem Zeitpunkt an, zu dem die Längs-Achse
erkennbar ist bis zu dem, an dem alle wichtigen Gliederungen erkennbar sind.
2. beim Menschen: der sich entwickelnde Organismus von der
Befruchtung bis zum Ende der 8. Woche
embryo
1. in animals, those derivatives of the zygote
that eventually become the offspring,
during their period of most
rapid growth, i.e., from the time the long
axis appears until all major structures are represented.
2. in humans, the developing
organism from fertilization to the end of
the eighth week.
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17178746
(14.10.2013)
human embryo – a biological definition
Abstract
Dieses Papier definiert einen menschlichen Embryo von einem biologischen
Standpunkt aus, der auch sich neu ergebende technische Möglichkeiten der
Reproduktionsmedizin in Betracht zieht. Das Papier berücksichtigt nicht
rechtliche, moralische, religiöse oder gesellschaftliche Gesichtspunkte. Da die
Definition eines menschlichen Embryos die von vielen Faktoren abhängigen
Prozesse berücksichtigen muss, ist eine Annäherung versucht worden, welche die
Feststellung von beobachtbaren Ereignissen mit dem Potential zur weiteren
Entwicklung verbindet. Dabei bestätigt sich, dass Befruchtung und Entwicklung
nicht statisch ablaufende Prozesse sind, und dass daher der embryonale Zustand
nur durch die Feststellung spezifischer Markierungspunkte definiert werden
kann. Es wird folgende biologische Definition für einen „menschlichen Embryo“
vorgeschlagen:
Ein menschlicher Embryo ist eine eigenständige Einheit, die entweder:
·
entstanden ist aus der ersten mitotischen
Zellteilung nach der vollständigen Befruchtung einer menschlichen Eizelle durch
eine menschliche Samenzelle, oder die entstanden ist durch einen beliebigen
anderen Vorgang, welcher bewirkt, dass eine biologisch abgeschlossene Einheit mit
einem normalen oder mit einem veränderten menschlichen Zellkern-Genom sich zielgerichtet
geordnet zu entwickeln beginnt, und welche das Potential besitzt, sich weiter
zu entwickeln,
·
oder darüber hinaus:
eine Entwicklungsphase erreicht hat, in welcher der Primitivstreifen erscheint,
welche aber noch keine längere Entwicklung als 8 Wochen seit der ersten
mitotischen Zellteilung durchlaufen hat.
This paper defines a human embryo from a biological
standpoint that takes into account
emerging technologies in reproductive science. The paper does not consider legal, moral, religious or social
views. As the definition of a human embryo must reflect the multifactorial processes of development,
an approach has been adopted which
combines recognition of observed events
with potential for further development. This acknowledges that fertilization and development are not static processes, and as such embryo
status can only be defined
by observation of specific markers.
The following biological definition of 'human embryo' is proposed.
A human embryo is a discrete entity that has arisen
from either: the first mitotic
division when fertilization of a human oocyte by a human sperm is complete
or any other
process that initiates organized development of a biological entity with a human nuclear genome or altered
human nuclear genome that has the
potential to develop up to, or
beyond, the stage at which
the primitive streak appears, and has
not yet reached 8 weeks of development
since the first mitotic division.
(Gerichtshof
der Europäischen Union, PRESSEMITTEILUNG Nr. 112/11; Luxemburg, den 18. Oktober
2011)
http://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2011-10/cp110112de.pdf (14.10.2013)
Bei der
Prüfung des Begriffs des menschlichen Embryos betont der Gerichtshof zunächst,
dass er nicht dazu aufgerufen ist, auf Fragen medizinischer oder ethischer
Natur einzugehen, sondern sich darauf zu beschränken hat, die einschlägigen
Vorschriften der Richtlinie juristisch auszulegen. So lassen der Zusammenhang
und das Ziel der Richtlinie erkennen, dass der Unionsgesetzgeber jede Möglichkeit
der Patentierung ausschließen wollte, sobald die der Menschenwürde geschuldete Achtung
dadurch beeinträchtigt werden könnte. Daraus folgt, dass der Begriff des
menschlichen Embryos weit auszulegen ist. Insofern ist jede menschliche Eizelle
vom Stadium ihrer Befruchtung an als „menschlicher Embryo“ anzusehen, da die
Befruchtung geeignet ist, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu
setzen. Das Gleiche gilt für die unbefruchtete menschliche Eizelle, in die ein
Zellkern aus einer ausgereiften menschlichen Zelle transplantiert worden ist
oder die durch Parthenogenese zur Teilung und Weiterentwicklung angeregt worden
ist.
Selbst
wenn diese Organismen genau genommen nicht befruchtet worden sind, sind sie
infolge der zu ihrer Gewinnung verwendeten Technik ebenso wie der durch
Befruchtung einer Eizelle entstandene Embryo geeignet, den Prozess der
Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen.
Claudia
Weisemann: Der Embryo im Kontext ..., Karlsruhe 2007
http://www.werturteile.de/customize/pdf/Wiesemann.pdf (14.10.2013)
Das 17
Jahre alte, beinahe "volljährige" Embryonenschutzgesetz gibt in § 8, Abs.
1 eine Definition des schützenswerten (menschlichen) Embryos, die mittlerweile
auch für Debatten um die Zulässigkeit neuer Techniken herangezogen wird. Dort
heißt es:
"Als
Embryo im Sinne dieses Gesetzes gilt bereits die befruchtete,
entwicklungs-fähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an,
ferner jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle,die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen
weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem
Individuum zu entwickeln vermag." (EschG
§8, Abs.1) …
Der Weg,
den der deutsche Gesetzgeber beschreitet, um diesen Schutz zu gewährleisten,
ist allerdings problematisch. Allein die Auseinandersetzungen um den Totipotenz-Begriff haben gezeigt, dass der Begriff der
"Entwicklungsfähigkeit", den das Gesetz verwendet, schillernd ist.
Die Totipotenz der Zellen, auf die sich das Gesetz
stützt, müsste man eigentlich zunächst einmal praktisch nachweisen können. Dazu
müssten Entwicklungsversuche mit befruchteten menschlichen Eizellen durchgeführt
werden. Diese verbieten sich jedoch von selbst, ja, sie zu unterbinden war
sogar Intention des Gesetzes. Das ist eine Paradoxie.
Auch an
einer weiteren Stelle der Definition des schützenswerten Embryos hat der Gesetzgeber
eine problematische, wenn nicht gar irreführende Formulierung verwendet. "Als
Embryo im Sinne dieses Gesetzes", so heißt es, "gilt … jede einem
Embryo entnommene Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen
weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln
vermag." Das hier verwendete substantivierte deutsche Verb
"vorliegen" unterstellt, bei den "erforderlichen Voraussetzungen"
handele es sich um rein materiale Gegebenheiten wie Nährlösung oder Umgebungstemperatur.
Tatsächlich müssen sich komplexe soziale Prozesse ereignen, die auf den Entscheidungen
und Handlungen von Menschen beruhen. Ohne Implantation in die Gebärmutter einer
Frau vermag sich keine befruchtete Eizelle in ein menschliches Individuum zu
entwickeln. …
Wenn wir
auch derzeit in Europa keine Einigung untereinander erzielen können, ob eine
befruchtete Eizelle als im juristischen Sinne vollwertiger Mensch anzusehen sei,
so dürfte doch unstreitig sein, dass alle Länder der Europäischen Gemeinschaft gemeinsam
und unisono das Ziel verfolgen, die besondere, von Verantwortung und Liebe
gekennzeichnete Beziehung der Eltern zu ihren Kindern zu fördern. Warum also
nicht diese uns einigende moralische Überzeugung zum Ausgangspunkt einer
Rechtsprechung zum extrakorporalen Embryo machen?
Dies hieße
jedoch, einer auf Beziehung fokussierenden Ethik den Vorrang vor einer ausschließlich
Individuen bzw. biologische Entitäten berücksichtigenden Ethik zu geben.
Der
extrakorporale Embryo wäre somit nicht primär Objekt staatlicher
Schutzinteressen, sondern vor allem Subjekt elterlicher Verantwortung. Wir dürfen
nicht vergessen, dass diese Verantwortung in Ausmaß und Intensität in der
sozialen Welt ohne gleichen ist. Eine derart gewichtige Beziehung – so haben
uns die Anthropologen gezeigt – entsteht in einem Prozess. Sie fällt den Eltern
nicht wie eine staatlich verordnete Pflicht zu (sie ist auch nicht angeboren),
sondern muss, gerade weil auf Liebe zum Kind fußend, aus freier Entscheidung übernommen
werden. Es gehört zu den besonders problematischen Seiten der Fortpflanzungsmedizin,
dass diese bedeutsame, aber fragile Phase der Elternwerdung in den ersten Tagen
und Wochen nach der Befruchtung heute dem menschlichen Zugriff offen steht.
Für uns
alle ist es noch neu und ungewohnt, Eltern das Stadium der allmählichen
Übernahme von Verantwortung und der leiblichen Realisierung von Elternschaft
quasi öffentlich durchlaufen zu sehen. Eine ehemals sehr persönliche und intime
Zeit des Abwartens, Zögern, Vergewisserns muss nun vor den Augen von Dritten
durchlebt werden. Die in der Öffentlichkeit zelebrierte Zeugung eines Kindes –
ihr Sinnbild das Foto einer Pipette mit männlichem Samen, welche die Hülle der
Eizelle durchsticht – gewinnt eine hohe symbolische Bedeutung. Sie stilisiert
den Embryo zum öffentlichen Gut. Doch das ist er nicht – und das sollte er
nicht sein. …
Definitionen
des menschlichen Embryos, derer das Recht wohl auch in Zukunft bedarf, sollten
die Perspektive der Eltern nichtunterschlagen. Ein Mensch ist, wer ein Mensch werden
soll. Es sind soziale, am Ethos der Elternschaft ausgerichtete Kriterien, die
aus einer befruchteten Eizelle einen Embryo und aus einem Embryo einen Menschen
werden lassen. So verstehen wir auch, warum befruchtete Eizellen zwar nicht
geborenen Menschen moralisch gleichzusetzen sind, aber dennoch nicht wie Ware
oder ausschließlich wie ein technisches
Produkt behandelt werden sollten. ...
Doch die
äußerst bedeutsamen praktischen Unterschiede zwischen den beiden Techniken – hie
Zellreprogrammierung, dort Befruchtung, damit ein Kind
geboren wird – dürfen nicht unterschlagen werden. Die Definition des
menschlichen Embryos sollte noch einen Eindruck davon vermitteln, um welcher
sozialer Beziehungen willen wir uns Sorgen um eine befruchtete Eizelle machen.
Nur dann können wir einen sinnvollen Embryonenschutz betreiben. Dies jedenfalls
wäre dann ein Embryonenschutz, der nicht Gefahr läuft, mit jeder neuen
zell-biologischen Technik wieder ad absurdum geführt zu werden.