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weitere infos biomedizin und gentechnik
Wann beginnt menschliches Leben?
diskutierte
Einschnitte in der Menschwerdung:
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Entschluss von Eltern, ein Kind haben zu wollen
·
Eindringen der Samenzelle in die Eizelle
·
Verschmelzung von Ei- und Samenzelle
·
Ausschluss natürlicher Mehrlingsbildung und die damit verbundene
endgültige Individuation (10.-14.Tag)
·
Einnistung des Embryos in die Gebärmutter (10.Tag)
·
Ausbildung des Primitiv-Streifens (14.Tag)
·
Organ- und Gestaltbildung abgeschlossen (Ende des dritten
Schwangerschaftsmonats)
·
Ausbildung von Hirnstrukturen („Hirnleben-Kriterium“ in
Anlehnung an das Hirntod-Kriterium bei der Organtransplantation; Synapsen als
Verbindungen zwischen Nervenzellen; frühestens ab
70. Tag nach der Befruchtung; dieser Zeitpunkt kann mit Ultraschall hinreichend
genau festgestellt werden)
·
Auftreten von (Schmerz-)Empfindungsfähigkeit
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erste von der Schwangeren wahrgenommene kindliche Bewegungen
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Überlebensfähigkeit außerhalb der Gebärmutter
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Geburt
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erster Atemzug (jüdischer Kulturkreis)
·
Zustimmung des Vaters
·
Ausbildung der Fähigkeit zur Zeiterfahrung
·
Ausbildung eines Selbstbewusstseins
(Ethik in der Medizin, Reclam 2000, S. 135, 138, 150, 165)
Wann
ist der Mensch ein Mensch?
(Sammlung und Bewertung
verschiedener Positionen zur Orientierung (ergänzt von M. Zimmermann und T.
Schroeder-Kurth; Vorbereitungsgruppe für den Deutschen Evangelischen Kirchentag
1997 in Leipzig, Forumsleitung „Medizin- und Bioethik)
1. Präexistenz:
„Der Mensch hat
Personalität, personale Würde, Persönlichkeit von dem Zeitpunkt an, da er als
Mensch unter Menschen gedacht wurde, also sogar bevor er gezeugt, geboren oder
in irgendwelchen Bereichen seiner Menschenwesentlichkeit gereift ist.“ Diese
präexistente Würde des Menschen, die der Sozialphilosoph F. REST hier
formuliert, meint, dass der Mensch „Form-gewordene Mitwirkung des eigenen
Wollens“ ist, also begründet und vorgedacht in sich selbst und Gott, an dessen
Willen er partizipiere.
2. Konzeption:
Die Konzeption, so die
Befürworter einer solchen Trennungslinie, z.B. die römisch-katholische Kirche,
ist die erste Voraussetzung für die potentiell mögliche Entstehung personalen
menschlichen Lebens.
Würde man die Konzeption als
Verschmelzung von Samenzelle und Eizelle als moralisch relevantes Ereignis in
der Menschwerdung betrachten, die einen Lebensschutz der befruchteten Eizelle
zur ethischen Konsequenz hätte, müsste man in der medizinischen Forschung alles
daransetzen, die durch den „Lauf der Natur“ getöten, d.h. absterbenden schon
befruchteten Eizellen zu retten, das sind fast ein Drittel bis die Hälfte. Kritisch
wird ebenfalls angemerkt, dass es problematisch sei, „eine befruchtete Eizelle
als einen „individuellen“ Menschen zu betrachten, solange diese sich durch
Teilung (in zwei, vier, acht, sechzehn Zellen) selbst auflösen und danach auch
wieder zu einer nicht mehr teilbaren Einheit - also zu einem Individuum
entwickeln kann“.
3. Ausschluss der
Zwillingsbildung / Einnistung:
Anknüpfend an obige Kritik
beginne personales Leben erst mit dem Zeitpunkt, von dem ab Zwillingsbildung
auszuschließen sei und der Einnistung etwa bis maximal zur dritten Woche. Erst
wenn das Stadium der Omnipotenz (allgemein üblich ist hier, von „Totipotenz“ zu
sprechen – JKrause) überwunden sei, entstehe die körperliche Identität und
individuelle Personalität.(Hinrichsen).
4. Anlage des
Rückenmarks:
Der Zeitpunkt des
Erscheinens der ersten Zellen der Neuralplatte, aus der sich im weiteren
Verlauf der Entwicklung des Neuralrohrs Rückenmark und Hirn differenzieren
werden, wurde ebenfalls als zeitliche Abgrenzung des Beginns menschlichen Lebens
herangezogen. Das findet nicht vor dem 36. Tag nach der Befruchtung statt.
Diese These wurde von H.-M. Sass 1985 zwar noch selbst vertreten, dann aber
kritisiert, da er zwischen der Wachstums- und Funktionsentwicklung
differenzieren möchte und so heute seine Definition vom „schützenswerten
Lebensbeginn“ auf das Entstehen von Hirnleben ausweitet.
5. Hirnleben:
H.-M. SASS, der
Hauptvertreter dieser These, unterscheidet „Hirnleben I“ mit der Entstehung
funktionierenden biologischen Zellmaterials und „Hirnleben II“, etwa vom 70.
Tag ab, dem Beginn der Ausbildung des organspezifischen Gewebes als
neuro-neuronale Vernetzungsentwicklung. Er wählt diese Definition als
Gegenstück zur Hirntoddefinition, denn vor dem 70. Tag könnten keine
hirnorganischen Funktionen wahrgenommen werden, weil das Organ einfach noch
nicht vorhanden sei. Als ethische und rechtliche Konsequenzen führt er an:
Schwangerschaftsabbruch generell nur bis zum 57. Tag, davor kein vollwertiger
Schutz aber entsprechend einem Hirntoten Respekt im Umgang mit den Embryonen.
Forschungen an frühen Embryonen seien allerdings trotzdem erlaubt.
6. Fähigkeit, sich
spontan zu bewegen:
WERTHEIMER vertritt diese
Position als Gedankenkalkül und argumentiert damit, dass das Erreichen dieser
Fähigkeit moralisch relevant ist, weil dann eine „Verbindung zwischen dem
Begriff eines Akteurs und dem Begriff einer Person existiert, und die
Bewegungsfähigkeit anzeige, dass ein Gegenstand ein Akteur ist.“
7. Zwölf-Wochen-Frist:
Im Gesetzestext (zum
Schwangerschaftsabbruch – JKrause) selbst und in den Kommentaren sucht man
vergeblich nach einer Begründung dieser Frist, die auf medizinischen Fakten zur
Entwicklung des Embryos beruht. Von Ärzten wurde allerdings versichert, dass es
sich um eine rein pragmatische Frist handele, bis zu der ein Abbruch durch
Ausschabung ohne Einleitung einer Geburt, also möglichst einfach und für die
Mutter schonend in der Durchführung, möglich sei.
8. Der 4. Monat:
Der 4. Monat wird als
Wendepunkt in der Entwicklung des Fötus bezeichnet. Die gefährlichste Zeit im
Hinblickbemerkbar, es hat ein menschliches Aussehen und alle Organe sind
angelegt. Ab diesem Zeitpunkt ist Lutschen, Schmecken, Hören, Schmerzreaktion
und überhaupt Reaktion auf Reize nachzuweisen.
Diese Sonderstellung des 4.
Monats zeigt sich auch bereits im Erfahrungswissen früherer Denker wie
Aristoteles, Dante und Hildegard von Bingen, indem diese den Verstand bzw. den
Geist zu diesem Zeitpunkt in das mittlerweile gereifte Gehirn einziehen lassen.
Dem entspricht auch, dass im Islam erst ab dem 100. Tag der Schwangerschaft von
Abort gesprochen wird.
9. Lebensfähigkeit
außerhalb des Mutterleibes:
Erhebt man die autonome
Lebensfähigkeit zum Entscheidungskriterium, wird argumentiert, dass der Fötus
erst dann ein eigenständiges Lebensrecht erwirbt, wenn er physiologisch nicht
mehr von einem anderen Lebewesen abhängig ist, so dass das Lebensrecht der zwei
Individuen nicht mehr miteinander in Konflikt geraten kann.
M. Tooley drückt das
folgendermaßen aus: Es ist klar, „dass das Recht der Frau, ihren Körper von
Parasiten zu befreien, die ihre Handlungsfreiheit einschränken und
möglicherweise ihre Gesundheit beeinträchtigen, stärker ist als das Lebensrecht
des Parasiten und das sogar dann, wenn der Parasit ebensoviel Lebensrecht hat
wie ein erwachsener Mensch.“
Gegen diese These spricht
allerdings, dass eine der physischen Abhängigkeit gleichkommende soziale
Abhängigkeit von der Mutter auch nach Erlangung somalischer Lebensfähigkeit
noch bestehe. Ferner steht diese Grenze in Korrelation zu den jeweils
bestehenden technischen Möglichkeiten und entzieht sich somit einer genauen
Festlegung.
10. Geburt:
Explizit wird die Geburt
zwar nicht als moralisch relevantes zeitliches Abgrenzungskriterium bezeichnet,
aber in der Gesetzgebung quasi als solches verwendet. Ab dem Einsetzen
regelmäßiger Wehen, kommt dem geboren werdenden Säugling volles Personrecht zu.
Vor diesem Zeitpunkt genießt das Kind gemäß der derzeit allgemein akzeptierten
Rechtsauffassung nicht den durch die §§ 211 ff. StGB (Tötungsdelikte) und §§
223ff. StGB (Körperverletzung) garantierten Schutz. Vor dem in §217
festgelegten Zeitpunkt greifen die §§ 218ff., danach die §§211 ff. und §§223
ff. Nach §1 BGB beginnt die Rechtsfähigkeit des Kindes allerdings erst mit dem
Ende seiner Geburt, dann erst kann es Träger von personalen Rechten und
Pflichten in vollem Umfang sein.
Die Festlegung der Geburt
als moralisch entscheidende Grenzlinie liegt weniger in
biologisch-medizinischen Faktoren begründet, als dass hier eine pragmatische
Begründung erfolgt, denn der Zeitpunkt der Geburt ist eindeutig und klar,
„einfach und zweifelsfrei“. Diese Einstellung ist auch für nahezu jedermann von
unserem Kulturkreis, quasi für den Durchschnittsbürger eine Selbstverständlichkeit:
durch die Geburt wird ein menschliches Individuum zu einem Menschen, dem die
„typischen“ Menschenrechte so auch das „Recht auf Leben“ zustehen. Würde man
die moralisch relevante Trennungslinie auf nach die Geburt verlegen, bestünde
eine Gefahr der „Aufweichung des allgemeinen Moralbewusstseins.“ (so der
Rechtsphilosoph N. Hoerster).
Der Zeitpunkt der Geburt ist
jedoch in der modernen Medizin innerhalb gewisser Grenzen verfügbar und
fremdbestimmbar (vgl. Kaiserschnitt-Entbindung), was hinsichtlich der
moralischen Relevanz bedacht werden müsste.
11. Das Erreichen von
einem gewissen Grad von Selbstbewusstsein und Rationalität bzw. „Interesse am
Leben“:
Utilitaristische Philosophen
wie P. Singer, M. Tooley oder N. Hoerster, die mit allen Grenzlinien vor der
Geburt keine moralisch relevanten Unterschied festmachen können, beziehen sich
auf Erkenntnisse der Neugeborenenpsychologie, nach denen ein Neugeborenes noch
keine Wünsche habe, die über die Gegenwart bzw. die unmittelbare Zukunft
hinausreichen, so dass das „Überlebensinteresse des Neugeborenen“ nicht
kontinuierlicher Natur sei. Erst ab dem Erreichen eines gewissen Grades an
Selbstbewusstsein und Rationalität könne man von einem „Interesse des Kindes am
Leben“ sprechen. Dieses Interesse sei eine unbedingte Voraussetzung für ein
zugestandenes Lebensrecht.