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Von der Würde und der Verantwortung von Frauen
Stellungnahme des Präsidiums der
Evangelischen Frauenarbeit in
Deutschland (EFD) zu Fragen der
Gen- und Reproduktionstechnik
„Grundsätzlich muss gelten, dass menschliches Leben, auch embryonales
menschliches Leben, nie als Mittel zu einem Zweck missbraucht werden darf. Das
gilt auch im Blick auf Forschungen an frühen menschlichen Embryonen, die an
sich hochrangige Forschungsziele verfolgen. Bevor solche Experimente zu
medi-zinisch verwertbaren Erkenntnissen führen können, wird auf jeden Fall
menschli-ches Leben zerstört.“ (Präsidium der EFD, 5. Juli 1988)
„Wir glauben, dass alle Menschen nach dem Bilde Gottes geschaffen sind und
dass wir Menschen uns deshalb kein Bild vom Menschen machen sollen. Daraus
folgt, dass niemand über den Wert eines Menschenleben urteilen kann. Menschen
haben kein Recht darüber zu befinden, wie ein Kind beschaffen sein muss, damit
es zur Welt kommen darf. Jeder Mensch trägt seinen Wert in sich.“ (Mitglieder-versammlung
der EFD Oktober 1992)
Die Weiterentwicklungen der Gen- und Reproduktionstechnik lassen es immer
dringender erscheinen, an diesen Einsichten festzuhalten und sie in den
aktuellen ethischen Kontroversen und politischen Entscheidungen zur Geltung zu
bringen. Es geht längst nicht mehr nur um die Schutzwürdigkeit einzelner
Embryonen, sondern um die unabsehbaren Folgen einer Forschung, die die
Entstehung menschlichen Lebens aus dem Schwangerschaftsgeschehen herausgelöst
hat und es nach selbstgesetzten Maßstäben handhaben kann.
Dabei geraten die Achtung vor dem Menschsein und die Erfurcht vor Gottes
Schöpfung aus dem Blick.
Bei der Bewertung der neuen Gen- und Fortpflanzungstechniken lässt sich das
Präsidium der EFD von folgenden Grundsätzen leiten:
Wir halten die kritische Frage nach den langfristigen
gesellschaftlichen Folgen der Gen- und Reproduktionstechnik und nach den
ökonomischen Interessen, die hin-ter ihren Heilungsversprechungen und dem Pochen
auf Freiheit der Forschung stehen, für ebenso wichtig wie die Frage nach dem
Lebensrecht des Embryo. Wir wünschen uns eine Forschungsförderung und Medizin,
die sich an den Grundbe-dürfnissen lebender Menschen hier und in der ganzen
Welt orientieren.
1. Befruchtung außerhalb des Mutterleibes:
In-vitro-Fertilisation (IVF)
Das Verfahren der In-vitro-Fertilisation wurde entwickelt, um Frauen, deren
Eileiter nicht durchlässig sind, zu einem eigenen Kind zu verhelfen. Dazu
werden die Eierstöcke der Frau durch Hormoneinnahmen stimuliert, damit mehrere
Eizellen gleichzeitig reifen, die dann entnommen und nach der Befruchtung
wieder in den Mutterleib eingebracht werden. Inzwischen wird IVF auch
eingesetzt, wenn der Mann nicht oder nur eingeschränkt zeugungsfähig ist oder
wenn die Ursache der Kinderlosigkeit ungeklärt oder evtl. psychisch bedingt
ist. In Deutschland werden im Jahr rund 60 000 IVF-Behandlungen durchgeführt,
davon etwa die Hälfte we-gen Unfruchtbarkeit nicht der Frau, sondern des
Mannes. Knapp 4000 Kinder werden so geboren, darunter eine große Zahl von
Mehrlingen.
Eine In-vitro-Fertilisation bedeutet eine hohe körperliche und seelische
Belastung für die Frau über mehrere Monate hin. Das Verfahren, bei dem jeweils
drei be-fruchtete Eizellen eingesetzt werden, kann bis zu dreimal wiederholt
werden. Die Erfolgsrate pro Behandlung liegt bei 15%, bei mehreren Versuchen
bei 35-45%; weit über die Hälfte der Frauen unterziehen sich vergeblich dieser
Belastung.
Die EFD ruft Frauen und Paare auf, bei einem unerfüllten Kinderwunsch nicht
vorschnell zu dieser medizintechnischen Lösung zu greifen, sondern zunächst
andere Möglichkeiten auszuschöpfen, z. B. eine Paarberatung aufzusuchen, oder
auch andere Sinnerfüllungen für ihr Leben in Erwägung zu ziehen.
Das Präsidium der EFD fordert:
2. Die Herstellung und der Umgang mit
menschlichen Embryonen
Eine Befruchtung außerhalb des Mutterleibs (IVF) ist Voraussetzung für alle
Verfahren der Reproduktionstechnik, die den direkten Zugriff auf einen
menschlichen Embryo erfordern. Embryonenforschung, die Gewinnung embryonaler
Stammzellen oder das sogenannte therapeutische Klonen sind in Deutschland durch
das Embryonenschutzgesetz von 1991 verboten, weil der Embryo dabei zerstört
wird („verbrauchende Embryonenforschung“). Verboten sind auch Eingriffe in den
le-benden Embryo, die vererbt werden („Keimbahnmanipulation“) oder die
Erzeugung von Menschen mit identischen Erbanlagen („Klonen“). Erlaubt ist
allein die Herstellung von Embryonen, um eine Schwangerschaft herbeizuführen,
also die In-vitro-Befruchtung im engeren Sinne.
Die Gesetzgebung geht davon aus, dass einem menschlichen Embryo Menschenwürde
zukommt und er deshalb unter dem uneingeschränkten Schutz des Grundgesetzes
steht. Die Kirchen untermauern diese Position mit dem Argument, dass
menschliches Leben mit der Befruchtung von Eizelle und Samenzelle
beginnt und von da an von Gott geschenktes und zu schützendes menschliches
Leben ist. Wir unterstützen diese Position. Aus der Sicht von Frauen sind
Embry-onen keine Sache, über die Menschen verfügen können, auch nicht mit
ethisch hochstehenden Absichten.
Welche Würde und welcher Schutz einem Embryo außerhalb des Mutterleibes
zusteht, ist ein neues Problem, für das unsere ethische und theologische
Traditi-on keine direkte Hilfestellung geben kann. Embryonen als biologische
Grundlage des Menschseins gehören in den Kontext von Schwangerschaft und Geburt
und damit in eine Beziehung, die menschliches Leben erst ermöglicht. Diese
Möglichkeit, ein Mensch zu werden, begründet die Schutzwürdigkeit von
beziehungslo-sen Embryonen außerhalb des Mutterleibes und setzt dem wissenschaftlichen
und technischen Umgang mit ihnen seine Grenze.
Darüber hinaus erinnern wir daran, dass für jede Erzeugung eines Embryos eine
In-vitro-Fertilisation vorgenommen werden muss, für die einer Frau Eizellen
ent-nommen werden. Das bedeutet gesundheitliche Risiken für diese Frau. Auf
diese Weise können die Selbstlosigkeit und wirtschaftliche Notlagen von Frauen
hier und in ärmeren Ländern ausgenutzt werden. Nicht nur der Embryo hat eine zu
schützende Würde, auch die Würde von Frauen verbietet es, ihre Gebärfähigkeit
zu instrumentalisieren und sie zu Rohstofflieferantinnen für die
Reproduktionsmedizin zu machen.
Das Präsidium der EFD fordert, dass
3. Genetische Diagnostik vor einer
Schwangerschaft: Präimplantations-diagnostik (PID)
Bei der Präimplantationsdiagnostik werden die Techniken der In-vitro-Fertilisation
und der Pränataldiagnostik miteinander verbunden. Eine Frau, die eigentlich auf
normalem Wege schwanger werden könnte, lässt eine künstliche Befruchtung
vornehmen, um die entstehenden Embryonen auf Krankheiten oder Behinderungen zu
untersuchen, die sie oder ihr Partner vererben könnten. Nur Embryonen, die
diese genetischen Eigenschaften nicht aufweisen, werden in den Mutterleib
eingesetzt, die anderen werden ausgesondert und sterben ab.
Diese Methode setzt voraus, dass die befürchtete Krankheit nicht durch das
Zusammenspiel mehrerer Gene hervorgerufen wird und genau erforscht ist; als
Bei-spiele wird meist auf Mucoviszidose oder Chorea Huntington verwiesen. In
einem Land von der Größe Deutschlands wären das etwa 100 Anwendungsfälle im
Jahr.
Die Präimplantationsdiagnostik wird in einer Reihe von europäischen Ländern
praktiziert. Sie ist in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz verboten,
weil dabei Embryonen hergestellt werden, die nicht zur Erzielung einer
Schwan-gerschaft verwendet, sondern bei der Diagnose zerstört bzw. nach der
Diagnose als ungeeignet ausgesondert werden.
Die Forderung nach Zulassung der Präimplantationsdiagnostik wird mit folgenden
Argumenten begründet:
Keines dieser Argumente kann aufwiegen, dass bei der PID zwischen lebenswertem und nicht lebenswertem Leben entschieden wird. Auch viele Selbsthilfeorganisationen von Behinderten wehren sich dagegen, dass sie für die Forderung nach Zulassung der PID instrumentalisiert werden, und fordern statt dessen mehr Forschung an konventionellen Therapien für ihre Behinderung und eine bessere Integration von Behinderten in die Gesellschaft.
4. Vorgeburtliche Untersuchungen: Pränatale
Diagnostik (PND)
Schwangerenvorsorge dient der Gesundherhaltung von Mutter und Kind während
Schwangerschaft und Geburt. Heute werden im Rahmen der Schwangerenvor-sorge
aber außerdem routinemäßig Untersuchungen durchgeführt, die Aufschluss geben
sollen über genetische Eigenschaften des Ungeborenen und eventuell zu
erwartende Behinderungen oder Krankheiten. Dazu gehören Bluttests bei der
schwangeren Frau, Ultraschalluntersuchungen und operative Eingriffe, bei denen
Zellen des Ungeborenen gewonnen und untersucht werden. Rund die Hälfte aller
schwangeren Frauen über 35 und insgesamt bereits 10% aller Schwangeren
un-terziehen sich inzwischen einer Fruchtwasserentnahme (Amniozentese) oder der
Entnahme von Chorionzottengewebe (spätere Plazenta).
Selten wird vorher mit den Frauen und ihren Partnern darüber gesprochen, dass
eine solche Diagnose in der Regel nicht zur Vorbeugung oder Heilung genutzt
werden kann. Bei einem entsprechenden Befund steht die Frau vor der
Entschei-dung, ob sie ein wahrscheinlich behindertes oder krankes Kind
austragen oder einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen will.
Die EFD ruft Frauen auf, sich nicht in diesen Automatismus hineinziehen zu
las-sen. Sie und ihre Partner sollten sich frühzeitig über ihre Haltung zu
einem Schwangerschaftsabbruch und über ihre Einstellung zu Behinderung und
Krank-heit klar werden. Sie sollten auch die Möglichkeit einer alternativen
Schwange-renbetreuung in Erwägung ziehen. Im Vordergrund sollte nicht die
„Ausschaltung von Risiken“ und das „Aufspüren von Normabweichungen“ stehen,
sondern die Stärkung der Kompetenz und des Selbstvertrauens der schwangeren
Frau.
Das Präsidium der EFD fordert:
5. Späte Schwangerschaftsabbrüche
In der aktuellen Diskussion wird von BefürworterInnen wie GegnerInnen der neuen
Techniken mit dem § 218 argumentiert. Da ein Schwangerschaftsabbruch in
Deutschland unter bestimmten Bedingungen straffrei ist, könnten auch Emb-ryonenforschung
oder die Präimplantationsdiagnostik nicht ausnahmslos verbo-ten bleiben. Es sei
nicht zu rechtfertigen, dass ein Embryo in der Petrischale durch das
Embryonenschutzgesetz strenger geschützt ist als ein Embryo im Mut-terleib.
Auf der anderen Seite wird die Forderung nach striktem Embryonenschutz mit der
Forderung verbunden, den § 218 schärfer zu fassen. Dabei geht es vor allem um
Schwangerschaftsabbrüche nach vorgeburtlicher Diagnostik. Sie können nach
geltender Rechtslage im Rahmen einer medizinischen Indikation bis an die
Gren-ze zur Lebensfähigkeit und ohne die Pflichtberatung durchgeführt werden,
die bei einem Abbruch in den ersten zwölf Wochen durch den § 218 vorgeschrieben
ist.
Eine Schwangerschaft, bei der ein Embryo in einer engen
körperlich-seelischen Beziehung mit einer Frau heranwächst, ist etwas grundlegend
anderes als ein beziehungsloser Embryo in der Petrischale. Während der Embryo
als Teil der schwangeren Frau nur mit ihr, nicht gegen sie geschützt werden
kann, bedarf der Embryo in der Petrischale des besonderen staatlichen Schutzes
gegen den Zugriff von wissenschaftlichen und kommerziellen Interessen. Ebenso
wenig kann ein Schwangerschaftsabbruch mit dem verbrauchenden Umgang mit
Embryonen verglichen werden. Der Schwangerschaftsabbruch wird einer Frau nur
aufgrund einer unvorhersehbar eintretenden und für sie nicht anders zu lösenden
existen-ziellen Konfliktsituation zugestanden. Diese Situation unterscheidet
sich von ei-ner im Rahmen einer Präimplantationsdiagnostik vorsätzlich
herbeigeführten Handlungsweise im Labor.
Das besondere Problem der späten Schwangerschaftsabbrüche nach vorgeburtli-cher
Diagnostik lässt sich auch durch eine Verschärfung des § 218/219 nicht lö-sen.
Anzusetzen ist bei den Denkvoraussetzungen und der Praxis einer
Schwan-gerenvorsorge, die zunehmend als vorgeburtliche Qualitätsprüfung
ausgestaltet wird. Sie weckt bei der schwangeren Frau und der Gesellschaft
insgesamt Hoff-nungen und Erwartungen auf ein gesundes Kind, die sie nicht
erfüllen kann, und verstärkt die Ablehnung gegenüber einem Kind mit einer
Behinderung.
Das Präsidium der EFD fordert:
Verabschiedet auf der Klausursitzung des Präsidiums am 25. April 2002