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Stellungnahme der katholischen deutschen Bischöfe

Der Mensch: sein eigener Schöpfer?

Wort der Deutschen Bischofskonferenz
zu Fragen von Gentechnik und Biomedizin

 "Die fortschreitende Entdeckung des genetischen Code und die immer detaillierteren Erkenntnisse der Anordnung des Genoms sind ein Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnisse, der unmittelbar ein berechtigtes Staunen weckt." (1) Durch neue Erkenntnisse in der Gentechnik, insbesondere der Humangenetik und Biomedizin wird menschliches Leben in einem neuen Licht betrachtet. In der Bundesrepublik Deutschland steht das Jahr 2001 unter dem Motto "Jahr der Lebenswissenschaften". Alle gesellschaftlichen Kräfte sind in diesem Jahr besonders dazu aufgerufen, über die Eigenart und die Auswirkungen dieser Wissenschaften nachzudenken. Zu den Lebenswissenschaften zählen unter anderem die Biowissenschaften mit den Agrarwissenschaften und der Bioinformatik, die Biomedizin und die Pharmazie. Die Lebenswissenschaften wecken viele Erwartungen, Hoffnungen und Befürchtungen. Sie werden unser Wissen über den Menschen erweitern. Man hofft auf neue Möglichkeiten, schwere Erkrankungen zu diagnostizieren, zu heilen oder ihre Auswirkungen zu lindern. Neue Erkenntnisse fordern aber die Prüfung, ob deren Nutzung ethisch verantwortet werden kann. Schon bislang haben Naturwissenschaft und Technik in den Augen vieler Menschen ihren Verheißungsglanz und ihre moralische Unschuld eingebüßt. Die derzeitige Diskussion orientiert sich an diesen unterschiedlichen Erfahrungen; entsprechend heftig verläuft sie.

 Wir Bischöfe greifen diese Diskussion auf, weil uns die Anfragen, die uns erreichen, zeigen, dass viele Menschen verunsichert sind und vom christlichen Glauben Orientierung erwarten. Richtig verstanden umfasst der Begriff Lebenswissenschaften ja nicht nur naturwissenschaftliche Forschung im engeren Sinne, sondern bezieht sich auch auf die reichhaltigen Beiträge von Religion, Anthropologie, Kulturwissenschaft, Philosophie und Ethik zum Verständnis des Lebens. Glaube und Theologie sowie die ethischen Traditionen enthalten beachtenswerte Gesichtspunkte für die aktuelle Diskussion, denn in ihnen sind ein breites Wissen und eine tiefe Lebenserfahrung über den Umgang mit der Welt und deren lebensdienlicher Gestaltung aufbewahrt, die für die Lebenswissenschaften klare Beurteilungskriterien bieten.

 In diesem Wort können wir nicht alle Themen und Probleme der Lebenswissenschaften erörtern. Zu Schwangerschaftsabbruch und Sterbehilfe haben wir uns bereits mehrfach geäußert. (2) Menschliches Leben ist heilig und steht weder an seinem Anfang noch an seinem Ende zur Disposition. Abtreibung und Euthanasie werden auch in den kommenden Jahren Gegenstand ethischer und politischer Auseinandersetzung sein. Jetzt möchten wir vor allem jene Probleme in den Blick nehmen, die sich mit den Reproduktionstechniken, insbesondere dem Klonen, und der Entschlüsselung des menschlichen Genoms ergeben, und ethische Orientierungshilfen dazu bieten. (3)

 Wir rechnen damit, dass die Möglichkeiten der Lebenswissenschaften an den Grundwerten unserer Gesellschaft rütteln. Unerlässlich ist es deswegen, sich umfassend mit den neuen Erkenntnissen und ihren Auswirkungen vertraut zu machen, aber auch die sich für ihre Nutzung ergebenden ethischen Grenzen zu diskutieren und aufzuzeigen. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie die durch die Lebenswissenschaften eröffneten neuen Möglichkeiten zum ganzheitlichen Wohl des Menschen genutzt werden können und wie ihr Missbrauch wirksam verhindert werden kann. (4)

 Dass es Unsicherheit und Ratlosigkeit bei der Einschätzung und Bewertung der Erkenntnisse der Lebenswissenschaften gibt, hängt damit zusammen, dass in einer pluralen Gesellschaft unterschiedliche Auffassungen vom Menschen aufeinander treffen. Weil die Frage nach dem Menschen immer auch eine religiöse oder weltanschauliche Frage ist, möchten wir, damit unsere späteren Überlegungen besser verständlich sind, wenigstens skizzenhaft unsere Auffassung vom Menschen darlegen.

Die biblische Sicht vom Menschen

 Die Kirche geht davon aus, dass der biblische Schöpfungs- und Kulturauftrag: "Macht euch die Erde untertan" (Gen 1,28), "bebaut und bewahrt sie" (Gen 2,15) auch für die Bewertung der heutigen Eingriffsmöglichkeiten des Menschen gilt. Die Natur ist nicht unantastbar, sie kann und soll vom Menschen gestaltet werden. Sonst stünde ja der Mensch der Natur völlig handlungsunfähig gegenüber. Es ist ein Kennzeichen des Menschen als Kulturwesen, dass er die Schöpfung mitgestaltet, sie durch Vernunftgebrauch formt und verantwortlich nutzt.

 Nach jüdisch-christlichem Glauben hat Gott den Menschen nach seinem Bild geschaffen. Das Leben des Menschen ist somit mehr als eine beliebige biologische Tatsache. Und das Leben des Menschen ist auch mehr als eine Sache, mit der man willkürlich verfahren kann.
 Weil Gott den Menschen nach seinem Bild geschaffen hat, ist sein Leben heilig. Das Leben ist der Verfügbarkeit des Menschen entzogen; da alle Menschen unter Gottes Schutz stehen, darf sich keiner am Leben des Anderen vergreifen.
 Weil der Mensch kein Zufallsprodukt ist, und weil er sich auch nicht selbst gemacht hat, existiert er nicht in absoluter Autonomie. Als endliches Geschöpf kann er weder sich selbst, noch Sinn und Wert seines Lebens garantieren. Er lebt innerhalb vorgegebener Grenzen, die er nicht überschreiten darf. In der Gottebenbildlichkeit des Menschen gründet auch seine Würde. Sie besagt, dass er im Voraus zu all seinen Leistungen, zu all seinen Fähigkeiten und Unfähigkeiten von Gott bedingungslos geliebt und bejaht ist. Die Menschenwürde ist daher unantastbar und kommt allen Menschen, unabhängig von der Einschätzung anderer oder ihrer Selbsteinschätzung zu, den Geborenen und Ungeborenen, den Gesunden und Kranken, den Behinderten und Sterbenden. Wir Christen glauben, dass Gott den Wert und die Sinnhaftigkeit eines jeden menschlichen Lebewesens garantiert. Welchen Wert und Sinn das Leben hat, kann sich der Mensch nur von Gott sagen lassen und glaubend annehmen. In Jesus teilt Gott selbst das Schicksal des Menschen in Freude und Hoffnung, in Misserfolg und Leid, bis in die Unausweichlichkeit von Kreuz und Tod hinein. Er ist auch noch bei dem Menschen, der nichts mehr leisten kann, der verkannt wird, der in den Augen der Menschen scheitert, der an das Schicksal seiner Krankheit oder Behinderung gebunden ist, der stirbt. Indem Gott Jesus aus dem Tod auferweckt hat, ist uns Christen die Gewissheit gegeben, dass Gott auch uns die Treue hält und uns in Leid und Tod nicht fallen lässt. Der Glaube an die Auferstehung und die Hoffnung auf Erlösung werfen somit ein neues Licht auf die Probleme der Biomedizin. Krankheit und Behinderung, Leiden und Sterben sind bei allem Schmerz kein sinnloses Schicksal, sondern können als Teil unseres Lebens erfahren und angenommen werden. (5)

 Das biblische Menschenbild und insbesondere die Menschenwürde bilden den Rahmen für menschliches Handeln. Auch nichttheologische Begründungen führen zu der Erkenntnis, dass die Menschenwürde dem Menschen allein schon aufgrund seines Menschseins zukommt und jeder rechtlichen Regelung vorgängig ist. In diesem Sinne bildet das Prinzip der Menschenwürde, in dem die Unantastbarkeit auch der körperlichen Existenz des Menschen verankert ist, zugleich die Grundlage unserer demokratischen Verfassung.

 Es bedarf jedoch weiterer Überlegungen, um zu bestimmen, wie im konkreten Fall zu handeln ist. Hier kommt es zunächst auf die Rechtfertigung der Ziele an: Ist das, was man erreichen möchte, moralisch zu billigen oder nicht? Dann sind die Mittel zu prüfen: Ist auch der Weg moralisch vertretbar, mit dem man das Ziel erreichen will? Von hoher Bedeutung ist schließlich auch die Abschätzung der Folgen gentechnischen Handelns: Welcher Nutzen ist zu erwarten, welcher Schaden ist zu befürchten?

Das Human-Genom-Projekt

 Seit dem 26. Juni 2000 gilt das menschliche Genom als entschlüsselt. Dieser Meilenstein der Forschung ist aber zunächst einmal ein digitales Konstrukt, ein aus den Buchstaben A, G, C und T zusammen gesetzter Text. Es wird noch einige Zeit dauern, bis die Forscher das Gelesene auch verstehen und umsetzen können, bis sie die jeweiligen Funktionen als solche und in ihrem Zusammenwirken erkannt haben.

 Das Genomprojekt trägt dazu bei, das Phänomen des Lebens und die Entwicklung des Individuums besser zu verstehen. Man erhofft sich auch gezieltere Diagnosen, da viele Krankheiten durch genetische Faktoren beeinflusst werden. Schon jetzt werden in Deutschland Gentests für über hundert Krankheiten angeboten. Mit ihrer Hilfe kann man nicht nur bestehende Erkrankungen feststellen, sondern auch Veranlagungen für Krankheiten, die sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erst in Zukunft auswirken können. In diesem Zusammenhang muss man sehen, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur die allerwenigsten Erbkrankheiten geheilt werden können. Wie geht man mit dem Wissen über eine Krankheit um angesichts der Tatsache, dass man nicht sicher weiß, ob sie auftreten wird, bzw. dass es noch keine Heilung für sie gibt? Eine solche Situation kann unerträglich sein. Daher muss die Möglichkeit, mehr über sein Erbgut zu erfahren, ein Angebot bleiben, und der Einzelne darf nicht gezwungen werden, bestimmte Tests in Anspruch zu nehmen. Das "Recht auf Nichtwissen" als Teil des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung gehört zu den verfassungsmäßig verbrieften Persönlichkeitsrechten. Um das Ergebnis eines Gentests sinnvoll einordnen und in seinen Konsequenzen verstehen zu können, bedarf es neben einer ausführlichen medizinischen dringend auch einer wertorientierten Beratung durch Fachleute vor und nach dem eigentlichen Test.

 Weil es sich bei genetischen Daten um sehr persönliche Gesundheitsdaten handelt, müssen sie vor Unbefugten geschützt werden. Auch wenn solche genetischen Testverfahren grundsätzlich nicht unerlaubt sind, sind die mit ihnen verbundenen Probleme zu klären. Angesichts der Gefahr, dass der Mensch auf das Biologische reduziert wird, halten wir fest, dass der Mensch mehr ist als die Summe seiner Gene. Eine deterministische Sicht, die den Menschen allein auf seine genetische Ausstattung reduziert, verkennt beispielsweise die soziale Verankerung und emotionale Einbindung, seine Freiheit und seine Verantwortung für die Lebensführung. (6)

Genetische Diagnostik

 Bisher finden Gentests vor allem bei der pränatalen Diagnostik Anwendung. Sie wird schwangeren Frauen, bei denen ein bestimmtes Risiko besteht, angeboten, um festzustellen, ob der im Mutterleib heranwachsende Embryo mit einer Krankheit oder einer Behinderung behaftet ist. In den meisten Fällen kann die Geburt eines gesunden, im Sinne des Tests unbelasteten Kindes vorhergesagt werden. In manchen Fällen besteht die Möglichkeit, schon vor oder unmittelbar nach der Geburt eine Therapie einzuleiten. Oft aber wird der Embryo, wenn bei ihm eine Krankheit oder Behinderung festgestellt wurde, abgetrieben. Ein solcher Entschluss ist ethisch nicht zu billigen. Es ist selbstverständlich, dass Eltern sich ein gesundes Kind wünschen, aber dies darf nicht dazu führen, dass kranke Kinder abgelehnt und getötet werden. Eltern sollten deshalb schon im Vorfeld bedenken, in welche Konflikte sie eine pränatale Diagnostik führen kann. Diese können in der genetischen Beratung bedacht werden. (7)

 Eine neue Anwendungsform der genetischen Diagnostik ist die Präimplantationsdiagnostik. Mit ihr wird ein im Reagenzglas erzeugter Embryo, dessen Existenz als Mensch mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt, auf seine erbliche Belastung hin überprüft. Nur wenn der Embryo als erblich unbelastet getestet worden ist, wird er anschließend in die Gebärmutter der Frau übertragen. Im Fall einer Belastung wird er vernichtet. Gegenüber der zuvor genannten Pränataldiagnostik ist die Präimplantationsdiagnostik von ganz anderer ethischer Qualität. Sie ist in jeder Hinsicht und von vorne herein auf Selektion von menschlichem Leben ausgerichtet und daher ist ihr aus ethischer Sicht entschieden zu widersprechen (8) . Sie muss daher in Deutschland auch weiterhin verboten bleiben.

 Genetische Tests an Neugeborenen sind nur dann als sinnvoll einzuschätzen, wenn dadurch frühzeitig schwere Erkrankungen erkannt, ihnen vorgebeugt und diese behandelt werden können. Zurückhaltung bzw. Verzicht ist bei der genetischen Diagnostik solcher Krankheiten angeraten, die nicht behandelt werden können. Dem Träger möglicher Erbkrankheiten bleiben nämlich unter Umständen viele Chancen verschlossen, etwa in der Ausbildung, bei der Arbeitssuche, im Beruf oder sogar im Hinblick auf die Ehe. Wenn solche grundlegenden Weichenstellungen im Blick auf die eigene Lebensführung von anderen vorgenommen werden, ist die Autonomie des Kindes in einer mit seiner Menschenwürde unvereinbaren Weise bedroht. Durch das aufgedrängte genetische Wissen wird ihm die Unbefangenheit gegenüber seiner Zukunft geraubt.

 Prädiktive, also voraussagende Gentests an Arbeitnehmern dürfen im Rahmen von medizinischen Eignungsuntersuchungen vor dem Abschluss eines Arbeitsvertrages weder verlangt, noch angenommen, noch sonstwie verwertet werden. Dies dient dem Schutz des Arbeitnehmers vor Diskriminierung aufgrund seiner genetischen Disposition. Legitimer Weise kann ein Arbeitgeber bei der Auswahl von Bewerbern jedoch deren gegenwärtige auch gesundheitliche Tauglichkeit für den vorgesehenen Arbeitsplatz prüfen. Wo arbeitsplatzspezifische Gesundheitsgefährdungen vorliegen, muss die Sicherheit des Arbeitsplatzes verbessert, nicht aber der Bewerber auf künftige Resistenz gegenüber den Gefährdungen geprüft werden.

 Ähnlich zu beurteilen sind genetische Analysen für die Aufnahme in eine Kranken- oder Lebensversicherung. Auch hier dürfen prädiktive Tests weder verlangt, noch angenommen, noch verwertet werden. Der Anspruch eines Einzelnen auf Beistand durch die Solidargemeinschaft ist höher zu bewerten als das Recht des Versicherungsgebers auf größtmögliche Transparenz, dies gilt auch für Menschen mit genetischen Belastungen.

Gentherapie

 Das ständig zunehmende Wissen über die genetischen Grundlagen von Krankheiten führt zu dem neuen Therapiekonzept, Krankheiten direkt an ihrem Ursprungsort, den defekten Genen, zu heilen oder - durch Behebung der Krankheitsursache - gar nicht erst zum Ausbruch kommen zu lassen. Wir sprechen hier von der Gentherapie, bei der zwischen somatischer Gentherapie und Keimbahntherapie unterschieden wird. Die somatische Gentherapie wird an Körperzellen durchgeführt, ein Heilungserfolg betrifft nur die behandelte Person und nicht auch deren Nachkommen. Wie bei konventionellen Therapieformen ist zu prüfen, ob die Methode sicher ist, die Verhältnismäßigkeit gewahrt wird und der Patient nach Aufklärung frei zustimmt.

 Um einen vererbbaren Gendefekt nicht nur bei einer betroffenen Person, sondern auch bei all ihren Nachkommen auszuschalten, müsste er direkt an den Keimzellen, also den Ei- oder Samenzellen oder an der befruchteten Eizelle behoben werden. Diese sogenannte Keimbahntherapie verbietet sich vor allem aus drei Gründen: Erstens ist die gegenwärtige Methode noch nicht ausgereift, um auf den Menschen angewendet zu werden; das Risiko ist zu groß. Zweitens wird für die weitere Entwicklung verbrauchende Embryonenforschung notwendig. Drittens besteht die Gefahr des Missbrauchs zur Menschenzüchtung. Denn niemand kann heute den Krankheitsbegriff zureichend eingrenzen bzw. eine solche Eingrenzung durchsetzen.

Klonen

 Das Ziel, Krankheiten zu heilen, die bislang nur gelindert werden konnten, verfolgt man auch mit dem sogenannten "therapeutischen Klonen". Der Ausdruck "therapeutisch" ist hier allerdings irreführend. Einmal abgesehen davon, dass man noch gar nicht weiß, ob überhaupt und wenn ja, wann einmal auf diesem Weg Krankheiten geheilt werden, ist der Weg, auf dem man das Ziel erreichen will, ethisch unvertretbar. Dazu müssen nämlich durch Klonen menschliche Embryonen hergestellt werden. Diese dienen nur als Rohstoff zur Entnahme embryonaler Stammzellen. Dabei darf nicht übersehen werden: Beim therapeutischen Klonen wird menschliches Leben, das immer zugleich personales und von Gott bejahtes Leben ist (9), zum Ersatzteillager degradiert. Auch medizinischer Nutzen kann kein Verfahren mit menschlichen Lebewesen rechtfertigen, das die unantastbare Würde dieses Lebens in Frage stellt. Hier ist den deutlichen Hinweisen zu folgen, dass sich die genannten medizinischen Ziele auf anderem Wege erreichen lassen; z.B. über die Gewinnung von Stammzellen aus dem Körper des erwachsenen Menschen (adulte Stammzellen).

 Vom therapeutischen Klonen zu unterscheiden ist das sogenannte reproduktive Klonen, also die komplette Herstellung der genetischen Kopie eines schon bestehenden Menschen (10) . Es verbietet sich vor allem aus zwei Gründen. Aufgrund des Herstellungsverfahrens wird dem Klon die sonst übliche Mischung mütterlicher und väterlicher Gene vorenthalten. Außerdem wird der geklonte Mensch instrumentalisiert. Er wird nicht um seiner selbst willen erzeugt, sondern mit bestimmten Absichten, als Mittel zum Zweck, z. B. als Kopie eines als besonders vorzugswürdig erachteten Menschen, vielleicht eines berühmten Zeitgenossen, oder aber als Ersatzteillager für Organspenden. Zu Recht wird dieses Verfahren weltweit geächtet.
 Den einzelnen Stimmen, die sich seit neuestem gegen diese Ächtung in der Wissenschaft wehren, muss entschieden widersprochen werden.

Arzneimittel

 Bei der Herstellung von Arzneimitteln schließt die Gentechnik insofern eine Lücke, als bestimmte Arzneimittel auf anderem Weg überhaupt nicht oder nur mit größerem Aufwand, geringerer Sicherheit und Reinheit hergestellt werden können. Im Hinblick auf den ethisch gebotenen Gesundheitsschutz wäre es unverantwortlich, auf die durch die Gentechnik eröffneten neuen Möglichkeiten der Herstellung von Arzneimitteln zu verzichten. Die Bedeutung der anderen Arzneistoffe wird durch die gentechnische Herstellung einiger Produkte nicht geschmälert. Auch sie haben nach wie vor ihre Berechtigung bei der Behandlung von Kranken.

Patente auf Leben

 Eine Sonderfrage der Gentechnik ist die der Patentierung. Patente sind Schutzrechte für Erfindungen und Leistungen. Wer Neues schafft, soll auch Nutzen und Gewinn davon haben. Es ist allerdings fraglich, ob die klassischen Patentrechtsgrundsätze, die im 19. Jahrhundert entwickelt wurden und an unbelebter Materie orientiert sind, auch auf das Gebiet der belebten Natur übertragen werden können. Organe, Gewebe, Zellen und Gene werden vom Menschen nicht erfunden, sondern in der Schöpfung aufgefunden. Wir gehen von dem Grundsatz aus, dass Leben als solches allen gehört und nicht patentiert werden kann. Lebewesen und deren Teile sind nicht patentierbar, auch wenn sie biotechnische Veränderungen tragen. Lediglich das Wissen von Funktionen in derart veränderten Lebewesen sowie Verfahren, mit denen veränderte Lebewesen hergestellt werden können, sind patentierbar.

Der Mensch muss Verantwortung übernehmen

 Das Potenzial der Gentechnik, von dem hier die Rede war, verführt die einen zu einer Machbarkeits-Euphorie, die anderen zu einer völligen Ablehnung. Beides ist falsch. Es gilt, ethisch richtige Ziele und Methoden in der Gentechnik zu unterstützen, falsche Zielsetzungen der Gentechnik zu durchschauen und weder alles zu glauben, was sie verspricht, noch alles zu tun, was sie ermöglicht. Gefordert sind Sensibilität und die Fortentwicklung moralischer Kompetenz.
 Insbesondere gilt es, die Würde des Menschen, die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit, ebenso wie die Selbstbestimmungsrechte und die Persönlichkeitsrechte zu achten und so einer Kultur des Lebens zum Durchbruch zu verhelfen.

 Das Verhalten des Christen gegenüber den einzelnen Anwendungsbereichen der Gentechnik kann je unterschiedlich bestimmt sein von Zustimmung, Wachsamkeit, Betroffenheit und Widerstand. Wir begrüßen die Bereitschaft der Politiker/innen und Wissenschaftler/innen, die in diesem Text besprochenen Themen in der Öffentlichkeit zur Diskussion zu stellen. Voraussetzung für ein Gelingen dieser Diskussion ist allerdings auch eine geeignete Information der Diskussionsteilnehmer über das Ergebnis und die Grenzen eines solchen Diskussionsprozesses. Wir warnen davor zu glauben, diese Fragen mit Hilfe von Mehrheitsentscheidungen klären zu können. Menschenwürde ist nicht disponibel; sie liegt der staatlichen Gewalt voraus und bindet sie (Art. 1 GG). Der Wert menschlichen Lebens von seinem Anfang bis zu seinem Ende gehört zu jenen Vorgegebenheiten, über die nicht abgestimmt werden kann. Dies sagt uns auch unsere Verfassung (Art. 19,2 GG).

 Das Nachdenken über den Menschen selbst darf in einem solchen gesellschaftlichen Diskurs nicht zu kurz kommen. Es muss überdies deutlich werden, dass ökonomische Gründe nicht hinreichen, um bestimmter ethisch nicht vertretbarer Forschung oder ethisch problematischen Verfahren zum Durchbruch zu verhelfen. Hinter manchen gentechnischen Forschungen und Entwicklungen verbergen sich auch zuweilen massive wirtschaftliche Interessen, die zu einer industriellen Verwertung und Nutzung des Menschen führen können. An die Forscher in diesem Bereich ergeht der Appell, dass sie die menschendienliche Perspektive nicht aus den Augen verlieren. Zur Verantwortung des Forschers gehört es, dass er die Chancen und Risiken seines Forschungsgegenstandes verantwortungsbewusst überprüft, einer sorgsamen Folgenabschätzung unterzieht und über sein Tun gewissenhaft Rechenschaft gibt.
 Das Parlament ist gefordert, durch entsprechende Gesetze der Komplexität, den Risikodimensionen, den Zukunftswirkungen und den ethischen Implikationen der Gentechnik Rechnung zu tragen.

 Der christliche Glaube bewahrt uns vor Machbarkeits- und Erlösungsphantasien, die an wissenschaftliche Erkenntnisse und technische Errungenschaften angehängt werden. Er bewahrt uns auch vor der Anerkennung moralisch bedenklicher Ziele sowie moralisch falscher Mittel. Glaube und Vernunft sind nach der Enzyklika "Fides et ratio" die "Flügel" der praktischen Weisheit (11) . Was wir im Glauben annehmen, steht vernünftigen Gründen offen. Was gemäß der sittlichen Vernunft falsch ist, haben wir im Glauben mit zu bekämpfen oder, was gut und richtig ist, anzuerkennen. Alle, die in der Kirche und Gesellschaft Sorge tragen für eine bessere Erfassung der angesprochenen Probleme, sind dazu aufgerufen, den Fortschritt der Lebenswissenschaften mit Verantwortung zu begleiten.

Augsburg, den 7. März 2001