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(Akademien der Wissenschaften
in Deutschland zur Zulassung der PID)
Ad-hoc-Stellungnahme 18. Januar 2011
Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften in Zusammenarbeit mit acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (für die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften)
Medizinisch-wissenschaftliche, ethische und rechtliche Grundlagen
Die Präimplantationsdiagnostik (PID) ist ein
Diagnose-Verfahren, das Eltern, die ein hohes Risiko für die Geburt eines
Kindes mit einer schweren erblichen Krankheit haben, die Geburt eines Kindes
ermöglicht, das von der betreffenden Krankheit nicht betroffen ist. Während in
den meisten europäischen Ländern die PID seit bis
zu 20 Jahren durchgeführt wird, galt sie in Deutschland als nach dem
Embryonenschutzgesetz (ESchG) von 1990 verboten. Dieser Auffassung kann heute
auf Grund neuerer Forschungsergebnisse und gewandelter Untersuchungstechniken
nur noch teilweise gefolgt werden. Zum einen kann man nach heutigem Stand des
Wissens eine Totipotenz der Embryozellen ab dem 4. Tag ausschließen. Zum
anderen wurden praktikable Zellentnahmemethoden nicht-totipotenter Zellen ab
diesem Tag entwickelt, ohne dass der Embryo einer erhöhten Verletzungsgefahr
oder einer Herabsetzung seiner Einnistungshäufigkeit in der Gebärmutter
ausgesetzt wird. Heutige, auf den modernen wissenschaftlichen Ergebnissen
beruhende Untersuchungsmethoden verstoßen nicht gegen das
Embryonenschutzgesetz.
Hierzu hat der Bundesgerichtshof in einem Urteil vom 06. Juli 2010 die
Auffassung vertreten, dass aus dem ESchG für heutige, auf Grund des medizinisch-wissenschaftlichen
Fortschritts gewandelte Formen der PID kein Verbot
mehr abgeleitet werden kann. Da der Gesetzgeber auf Grund dieser neuen
Voraussetzungen zum Handeln aufgefordert wird, soll zu der Frage der Zulassung
der PID aus medizinisch-wissenschaftlichen,
ethischen und rechtlichen Gesichtspunkten Stellung bezogen werden. Dabei
vertreten die Verfasser dieser Stellungnahme die Auffassung, dass die mit der PID verbundene und unverzichtbare Auswahlentscheidung
der Frau in Deutschland noch nicht die gebotene gesetzliche Anerkennung
gefunden hat. Dies stellt eine Systemlücke im deutschen Recht dar.
Das deutsche Recht erlaubt der Frau bereits in zahlreichen Fällen, sich gegen
das Überleben eines Embryos zu entscheiden. Dies umfasst die erlaubte Nidationshemmung
mit Absterben des Embryos (§ 218 Abs. 1 StGB), die nach § 3 ESchG unter
bestimmten Voraussetzungen erlaubte vorgeburtliche Geschlechtswahl zur
Vermeidung eines Schwangerschaftsabbruchs, den nach § 218 StGB erlaubten oder
als grundsätzlich rechtswidrige Tötung menschlichen Lebens bewerteten, aber
straffreien Schwangerschaftsabbruch mit Absterben und Verwerfen des Embryos
oder Feten einschließlich der gegenwärtig zulässigen Auswahl der Frau in der
Konfliktsituation zwischen dem Untergang aller, unter Umständen auch nicht
betroffener Embryonen in vitro oder einem Schwangerschaftsabbruch.
Bei Betrachtung der rechtlichen Situationen im Ausland beobachtet man auf der
einen Seite z. B. Belgien mit einer niedrigen Regulierungsdichte und einer
vergleichsweise hohen PID-Rate von rund 350 Fällen
(33 pro 1 Mio. Einwohner) pro Jahr sowie einen Medizintourismus von Deutschland
ins Ausland. Zum anderen zeigt Großbritannien mit lediglich 214 (3,6 pro 1 Mio.
Einwohner) durchgeführten PIDs im Jahr 2008, dass
eine hochgradige Regulierung die Zahl der Untersuchungen effektiv begrenzen
kann.
Schlussfolgerungen
Eine der ethisch klaren Konfliktlösungen wäre der Verzicht betroffener Paare
auf ein eigenes Kind, wie er zum Beispiel von Religionsgemeinschaften sehr wohl
begründet und mit hohem Gewicht eingefordert werden darf. Geht man jedoch
gleichzeitig davon aus, das der Verzicht auf ein Kind vom Staat keinesfalls
verlangt werden kann, dann ergibt sich für den Fall einer gesetzlichen
Zulassung der Embryonenauswahl durch die Frau im Rahmen einer begrenzten PID-Zulassung, dass eine derartige gesetzliche Regelung
maßgeblich zur Vermeidung von Schwangerschaftsabbrüchen – auch von
Spätabbrüchen – beitragen kann. Ebenso können dann die nicht betroffenen
Embryonen in vitro in der Regel „gerettet“ werden, da sie ja auf Grund einer
Auswahl der Frau transferiert werden dürften. Im Ergebnis würden bei einer
begrenzten Zulassung der PID keine
nichtbetroffenen Embryonen mehr absterben.
Zugleich würde die Würde der Frau nicht verletzt, weil sie selbst nach ihrem
Gewissen entscheiden könnte. Auch wenn ihre Gewissensentscheidung im Einzelfall
nicht mit den moralischen oder religiösen Auffassungen anderer übereinstimmt,
so gilt doch: Das Gewissen des einzelnen Menschen zu achten, moralische
Überzeugungen zu akzeptieren, aber nicht in Gestalt eines für alle geltenden
staatlichen Gesetzes festzuschreiben und so allgemein verbindlich zu machen,
ist eine Errungenschaft des freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaates.
Das Gewissen als Entscheidungsgrundlage würde im Falle einer entsprechenden
weltanschaulichen Bindung zugleich auch dazu führen, eine PID nicht durchführen zu lassen.
Wesentliche Empfehlungen
Auf Grund gleichgelagerter Konfliktsituationen für die Frau sollte unter
einschränkenden und definierten Bedingungen eine PID
gesetzlich zugelassen und die damit verbundenen Folgen für den Embryo vom
Gesetzgeber der PND (pränatale Diagnostik, GenDG) und dem
Schwangerschaftsabbruch (§ 218 StGB)
gleichgestellt werden. Diese Gleichstellung sollte sich auf eine begrenzte PID-Zulassung an nicht-totipotenten Zellen des Embryos
in vitro beschränken, während gleichzeitig erhebliche einschränkende
Voraussetzungen empfohlen werden. So darf die Untersuchung nur bei Paaren
durchgeführt werden, für deren Kinder medizinisch-objektiv ein hohes Risiko des
Ausbruchs einer bekannten und schwerwiegenden monogenen Krankheit oder einer
erblichen Chromosomenstörung besteht oder mit einer Tot- oder Fehlgeburt zu
rechnen ist. Für die Zulässigkeit der PID sollte keine
Altersgrenze für den Krankheitsausbruch festgelegt werden.
Die PID darf nicht für staatlich oder
gesellschaftlich definierte Ziele verwendet werden, die außerhalb des Wohls des
betroffenen Paares liegen. Dieses Verbot sollte weiterhin gelten für eine
Wunschregulierung der Zusammensetzung genetischer Anlagen von Kindern nach dem
Willen der Eltern, für eine Geschlechtsbestimmung ohne genetischen
Krankheitsbezug, für die Nutzung von Embryonen für Forschungszwecke und für
Untersuchungen auf neu entstandene, also nicht erbliche Chromosomenstörungen
(Aneuploidie-Screening). Zudem sollte eine Sachverständige Stelle benannt
werden, die Ausführungsbestimmungen bzw. Richtlinien zur Durchführung der PID erlässt.
Die PID sollte nur an wenigen dafür von der benannten
Sachverständigen Stelle zugelassenen und regelmäßig kontrollierten
Einrichtungen durchgeführt werden dürfen. Die PID
soll te nur durchgeführt werden dürfen, wenn sie auf be gründeten Antrag hin
von der benannten Sachverständigen Stelle zugelassen wurde. Neben einem PID-Gesetz und einer möglichen Änderung des
Gendiagnostik-Gesetzes wäre auch an die Verabschiedung eines
Fortpflanzungsmedizingesetzes
zu denken.
Auswirkungen
Durch die gesetzliche Zulassung einer Auswahlentscheidung der Frau im Rahmen
einer begrenzten PID-Zulassung sollen eine sog.
„Schwangerschaft auf Probe“ sowie ein späterer Schwangerschaftsabbruch
vermieden werden. Ebenso soll ein Verwerfen nicht betroffener Embryonen
vermieden werden. Vielmehr sollen ein Überleben und Austragen nicht betroffener
Embryonen ermöglicht und gesichert werden. Weiterhin soll ein Medizintourismus
ins Ausland vermieden werden. Die vorliegenden Empfehlungen formulieren strikte
Voraussetzungen zur Anwendung einer PID, so dass
einem Ausufern der Anwendung und einem von manchen befürchteten Dammbruch
vorgebeugt wird, insbesondere durch die Richtlinienkompetenz einer zu
benennenden Sachverständigen Stelle, die Zulassung jeder einzelnen PID durch die benannte Sachverständige Stelle, die
Beschränkung der PID auf dafür zugelassene und
regelmäßig kontrollierte Einrichtungen und durch ein für Deutschland
vorgeschlagenes Verbot eines ‚Screening‘ auf neu entstandene
Chromosomenstörungen (Aneuploidie-Screening-Verbot).
Da sich die PID nur für monokausale erbliche Krankheiten
eignet, kann es insgesamt pro Jahr nur eine sehr begrenzte Anzahl von
Untersuchungen geben. Unter den in den vorliegenden Empfehlungen genannten
Voraussetzungen wird ihre Zahl für Deutschland auf nicht mehr als einige
hundert PIDs pro Jahr geschätzt.
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