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gentechnik und biomedizin
Vom Zeugen zum Erzeugen?
Verfassungsrechtliche und
rechtspolitische Fragen der Bioethik
Rede der Bundesjustizministerin Brigitte
Zypries
beim Humboldtforum der
Humboldt-Universität zu Berlin
Sehr geehrter Herr Professor Schwintowski, meine
sehr geehrten
Damen und Herren, die großen Fortschritte in der
Genetik und der
Biomedizin haben dazu geführt, dass die
"Handlungsoptionen der
Individuen" enorm gestiegen sind. So drückt es
der Soziologe Hans Joas
aus
- und er fügt hinzu: Dafür fehlt uns bislang die
Spezifikation unserer
Werte. Das bedeutet konkret: Je mehr wir in der
Lage sind, Dinge zu tun,
die
in Grenzbereiche dessen vorstoßen, was bislang
möglich war, desto mehr
müssen wir uns darüber klar sein, ob wir auch
wirklich alles tun wollen,
was
wir könnten - und warum wir möglicherweise etwas
bewusst nicht tun
wollen.
Verfassungsrechtliche und bioethische Fragen können
nicht losgelöst
voneinander betrachtet werden. Große Aktualität
entfaltet diese
Fragestellung
vor allem bei der Präimplantationsdiagnostik, der
Forschung mit
Embryonen
und embryonalen Stammzellen und bei der anonymen
Samenspende. Ich möchte
Ihnen zu allen drei Themen und auch zu
grundsätzlichen bioethischen und
verfassungsrechtlichen Fragen meine Gedanken
vorstellen.
I.
Meine Damen und Herren,
der entscheidende Schritt vom Zeugen zum Erzeugen
war, das
wird im Rückblick immer klarer, die Geburt des
Mädchens Louise
Brown vor 25 Jahren. Mit ihr gelang die erste
In-vitro-Fertilisation
(IvF). Bis dahin war das Geschehen der
Befruchtung dem Auge und dem Zugriff des Menschen
entzogen, es fand im Körper der Mutter statt. Nun
konnte der
entscheidende Teil des Vorgangs in die Petri-Schale
verlagert
werden; ein technisches Geschehen trat an die
Stelle eines
natürlichen Geschehens. Das Zeugen konnte im
gewissen Sinn
zum Erzeugen werden. Ganz neu stellt sich damit die
Frage:
Ist Kinderlosigkeit Schicksal? Oder ist es
vielleicht eine
Krankheit bzw. ein Hindernis, das technisch
überwunden
werden kann?
Die Verbindung von Embryo und Mutter, die bei
natürlicher
Befruchtung von Beginn an besteht, die sich ohne
Zutun von
außen entwickelt und im kleineren Teil der Fälle
zur Einnistung
des Embryos führt - diese Verbindung wird bei der
In-vito-Fertilisation nun durch einen
willentlichen,
hochtechnisierten und fehleranfälligen Akt eines
Dritten, der
Ärztin oder des Arztes, möglich. Dieser Akt,
nämlich die
Einpflanzung des Embryos, kann unterbleiben, oder
er kann
erst nach einer Vorauswahl, der
Präimplantationsdiagnostik
(PID), erfolgen. Noch nicht technisch realisierbar,
aber schon
denkbar ist auch der Fall, dass der Einpflanzung
des Embryos
seine gentechnische Veränderung vorausgeht. Und
wenn der
Embryo nicht eingepflanzt wird, dann kann er doch
für lange
Zeit am Leben gehalten werden, ohne dass die
Verbindung zur
Mutter hergestellt wird - wenn man ihn nämlich
einfriert. Das
hat dann zur Folge, dass dieser Embryo auch für
andere
Zwecke zur Verfügung stehen kann:
Er kann
gespendet und damit einer anderen Frau
eingepflanzt werden
oder er
kann zu Forschungszwecken zur Verfügung gestellt
werden, indem er beispielsweise vernichtet wird, um
Stammzellen aus ihm zu gewinnen. Die
Handlungsoptionen des
betroffenen Paares bzw. der Mutter sind also nicht
nur insofern
erweitert, als sie technische Hilfe in Anspruch
nehmen können,
um eine Schwangerschaft zu erreichen. Sie erhalten
vielmehr
auch die Möglichkeit,
den Embryo
auszuwählen,
ihn zu
verwerfen,
ihn einem
anderen Paar zur Verfügung zu stellen
oder seine
Vernichtung zu Forschungszwecken zu
ermöglichen.
Hinzu kommen die Visionen, den Embryo genetisch zu
verbessern, ja ihn gar als genetische Kopie eines
anderen
Menschen erzeugen zu können.
Es ist zweifelhaft, ob diese Visionen überhaupt
einmal
technisch möglich sein werden. Aber auch sie
verlangen eine
"Spezifikation unserer Werte" und darauf
beruhende
Regelungen, nicht zuletzt um dasjenige abwehren zu
können,
was unseren Werten widerspricht.
Das deutsche Embryonenschutzgesetz hat eine
eindeutige
Wertebestimmung vorgenommen: Jede Herstellung und
jede
Verwendung eines menschlichen Embryos ist
unzulässig, es sei
denn, sie dient der Herbeiführung einer
Schwangerschaft der
betroffenen Frau.
Der Gesetzgeber hat sich also entschieden, die
Handlungsoptionen der Frau bzw. des betroffenen
Paares,
auch des Arztes und des Forschers, einzuengen - und
das
bedeutet auch: in deren Grundrechte einzugreifen.
Denn dass
nicht nur auf Seiten des Embryos, sondern auch auf
Seiten
insbesondere der Eltern und der Wissenschaftler
Grundrechte
betroffen sind, dürfen wir bei Regelungen zum
Schutz des
Embryos nicht aus den Augen verlieren. In einer
freiheitlichen
Gesellschaft ist eine Erweiterung von
Handlungsoptionen
grundsätzlich gleichbedeutend mit einem Zuwachs an
grundrechtlich geschützter, wenn auch nicht
schrankenloser
Freiheit der Bürgerinnen und Bürger. Eltern haben
allem
wissenschaftlichen Fortschritt zum Trotz zwar kein
Recht auf
ein genetisch eigenes oder auf ein gesundes Kind.
Dies schon
deshalb nicht, weil nach wie vor niemand die
Erfüllung eines
Kinderwunsches oder die Gesundheit des Kindes
garantieren
kann. Aber unser Grundgesetz schützt die Freiheit
der Eltern,
selbst zu entscheiden, ob sie ärztliche
Unterstützung bei der
Erfüllung ihres Kinderwunsches in Anspruch nehmen
wollen.
Dazu gehört auch tatsächlich verfügbare
biomedizinische
Diagnostik vor und nach der Implantation. Und ein
Wissenschaftler kann sich auf die grundgesetzlich
garantierte
Forschungsfreiheit berufen, die ein wesentlicher
Bestandteil
unserer demokratischen Rechtsordnung ist. Nur der
Eingriff in
Rechte Dritter rechtfertigt es, der
Handlungsfreiheit der Eltern
oder der Forschungsfreiheit Schranken zu ziehen.
Meiner
Meinung nach dürfen wir die Gewinnung embryonaler
Stammzellen nicht von vornherein vom Schutz der
Forschungsfreiheit ausnehmen, denn sie ist Teil des
Forschungsprozesses und erst sie ermöglicht es,
bestimmten
wissenschaftlichen Fragen nachzugehen. Eine
Abwägung
zwischen den kollidierenden Grundrechten bleibt uns
nicht
erspart. Einfache Lösungen werde ich Ihnen deshalb
heute
nicht präsentieren können.
Wenn der Gesetzgeber - wie er es mit dem
Embryonenschutzgesetz getan hat - in Grundrechte
der Eltern
und der Forscher eingreift, braucht er hierfür
rechtfertigende
Gründe. Diese findet er, soweit Grundrechte
anderer, hier vor
allem des Embryos auf dem Spiel stehen.
Kommen wir also zu der Frage, ob und inwieweit
bereits der
Embryo in vitro grundrechtlichen Schutz genießt.
Kaum eine
andere Frage ist sowohl in der Gesellschaft als
auch in der
Staatsrechtslehre so umstritten und das nicht ohne
Grund: Es
geht nicht um einen Akt schlichter Rechtserkenntnis
- vielmehr
sind hier philosophische, religiöse oder
weltanschauliche,
naturwissenschaftliche und rechtliche Aspekte auf
das Engste
miteinander verwoben. Unsicher sind am Beginn und
am Ende
menschlichen Lebens nicht nur die Wertungen,
sondern auch
die Erkenntnisse. Chancen und Risiken der
Biomedizin sind in
hohem Maße ungewiss.
Angesichts dieser in jeder Hinsicht schwierigen
Ausgangslage
werde ich skeptisch, wenn aus unserer Verfassung,
bei deren
Erarbeitung die heutigen Fragen der Biomedizin
nicht absehbar
waren, unbedingte Antworten abgeleitet werden
sollen. Dass
die Mütter und Väter des Grundgesetzes die
aktuellen Fragen
nicht vorhersehen konnten, entbindet uns natürlich
nicht von
der Aufgabe, die Aussagen des Grundgesetzes im
Hinblick auf
diese neuen Fragestellungen auszudeuten. Das
Grundgesetz
ist hierauf eingestellt. Es ist keine rigide,
sondern eine der
Auslegung fähige und bedürftige Verfassung. Gerade
die
Interpretation der Grundrechte ist angesichts neuer
Gefährdungs- und Konfliktlagen in hohem Maße
entwicklungsfähig - auch ohne eine ausdrückliche
Veränderung
des Normtextes. Dies hat Folgen für die
Auslegungsmethoden:
Wenn Text und Entstehungsgeschichte des
Grundgesetzes die
Antwort nicht eindeutig vorgeben, ist es nicht nur
legitim,
sondern auch geboten, die Folgen der
unterschiedlichen
Auslegungsalternativen mitzubedenken. Die Fragen
der
Biomedizin sind komplex und durch den
wissenschaftlichen
Fortschritt ständiger Wandlung unterworfen: Sie
sind darüber
hinaus schon in unserer eigenen Gesellschaft stark
umstritten.
Die Rechtsvergleichung zeigt, dass sie in anderen
Staaten mit
einer ebenso freiheitlichen Verfassung auf ganz
unterschiedliche Weise beantwortet werden. Dies
alles spricht
nach meiner Auffassung dafür, dass dem Gesetzgeber
bei der
Wahrnehmung seines Schutzauftrags für das
menschliche
Leben ein Spielraum verbleiben muss - ein
Spielraum, bei
dessen Ausfüllung er allerdings auch Vorsicht
walten lassen
muss. Der Deutsche Bundestag hat dies in der
Vergangenheit
mit großer Ernsthaftigkeit und Umsicht getan.
Denken Sie an
die Debatten und Entscheidungen zum
Schwangerschaftsabbruch oder zum Embryonenschutz.
Meines
Erachtens haben wir keine Veranlassung, dem Gesetzgeber
zu
wenig zuzutrauen oder ihm gar zu misstrauen.
Was sind nun die verfassungsrechtlichen Vorgaben,
an die sich
der Gesetzgeber bei seiner Aufgabe halten muss; bei
seiner
Aufgabe, die Grundrechtskonflikte in den Fragen der
Bioethik
zu entscheiden. Eine Vorgabe ergibt sich ganz
sicher aus Art. 2
Abs. 2 Grundgesetz, also aus dem Recht auf Leben,
das auch
die Pflicht des Staates beinhaltet, menschliches
Leben zu
schützen. Diese Schutzpflicht erstreckt sich auch
auf das
ungeborene Leben. Das Verfassungsgericht hat dies
in seinen
Entscheidungen zum § 218 StGB festgestellt. Aber
wann
beginnt die Schutzpflicht? Wann beginnt
menschliches Leben?
Ist auch der Embryo in vitro geschützt? Das
Bundesverfassungsgericht musste diese Frage in
seinen
Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch nicht
beantworten, weil sich die Rechtsfragen, die mit
dem
Schwangerschaftsabbruch zusammenhingen, erst nach
Abschluss der Einnistung des befruchteten Eies in
der
Gebärmutter stellen. Das Gericht spricht aber
davon, dass es
nahe liegt, dass das menschliches Leben bereits mit
der
Verschmelzung von Ei und Samenzelle, also mit der
Entstehung
des Embryos, beginnt. Ich halte es für richtig, den
grundrechtlichen Schutz des Lebens aus Art. 2 Abs.
2
Grundgesetz zu diesem frühest möglichen Zeitpunkt
beginnen
zu lassen. Auch in vitro ist der Embryo kein
beliebiger
Zellhaufen, über den Eltern, Mediziner und Forscher
nach
Gutdünken verfügen könnten. Sie dürfen ihre
grundrechtliche
Freiheit nicht losgelöst von der Verantwortung für
den Embryo
ausüben. Eine schrankenlose Zulassung der
Präimplantationsdiagnostik und der Gewinnung von
embryonalen Stammzellen würde den
verfassungsrechtlichen
Spielraum des Gesetzgebers überschreiten.
Das Recht auf Leben wird durch das Grundgesetz
jedoch nicht
absolut geschützt - auch wenn es innerhalb der
grundgesetzlichen Ordnung einen
"Höchstwert" darstellt, wie
es das Bundesverfassungsgericht formuliert hat. Auf
Grund
eines Gesetzes darf in dieses Recht eingegriffen
werden.
Dieser Gesetzesvorbehalt ermöglicht es, den Schutz
des
Lebens abzustufen, ihn mit fortschreitender
Verkörperung
anwachsen zu lassen, wie es der Gesetzgeber in den
§§ 218
ff. StGB auch für das natürlich gezeugte Leben
getan hat. Das
Recht auf Leben lässt also einen Spielraum für
Abwägungen
mit den Grundrechten der Eltern und der Forscher.
Die Menschenwürde ist demgegenüber absolut
geschützt. Sie
ist nach ganz herrschender Meinung einer Abwägung
nicht
zugänglich. Ich halte das für richtig. Das
Bekenntnis zur
Unantastbarkeit der Menschenwürde ist die Grundlage
unserer
Verfassung. Zu ihrer Unantastbarkeit gehört auch,
dass sie
nicht mit anderen Grundrechten abgewogen werden
darf.
Gerade wegen dieses absoluten Schutzes müssen wir
die
Frage, ob bereits dem Embryo in vitro Menschenwürde
zukommt, besonders sorgfältig prüfen. Einige
Autoren in der
juristischen Literatur wollen dem Embryo zwar
Menschenwürde
zusprechen, diesen Schutz aber für Relativierungen
öffnen.
M.E. ist das der falsche Weg. Es ist wohl aber
übertrieben, die
Auseinandersetzung mit dieser Auffassung bis in die
Feuilletons zu tragen und - wie Ernst Wolfgang
Böckenförde es
in der FAZ unter der Überschrift "Die Würde
des Menschen war
unantastbar" getan hat - das Ende der Menschenwürde
zu
insinuieren. Vielleicht haben Sie seine
Auseinandersetzung mit
Matthias Herdegen über dessen Neukommentierung des
Artikels 1 Grundgesetz verfolgt. Diejenigen, die
aus der
Menschenwürde ein umfassendes Verbot der PID und
der
Forschung mit Embryonen ableiten, müssen sich
fragen lassen:
Sind die Versuche, den Schutz der Menschenwürde zu
relativieren, nicht auch eine Folge davon, Artikel
1 Grundgesetz
so weit auszulegen? ?
Was die Menschenwürde ausmacht, ist umstritten,
seit es
dieses Grundrecht gibt. Ganz gewiss gehört dazu der
Respekt
vor dem Eigenwert jeder Person und jeder
individuellen
Existenz. Genauso wie die Möglichkeit der
Eigenverantwortung
und der selbstbestimmten Lebensgestaltung. Jeder
Mensch
hat seine Würde und den Anspruch darauf, dass diese
respektiert wird; und zwar unabhängig von seiner
geistigen
und körperlichen Entwicklung, von persönlicher
Lebensleistung
oder einer erfolgreichen Identitätsbildung.
Die befruchtete Eizelle, der Embryo in der
Petrischale, hat
lediglich die Perspektive, das auszubilden, was ich
eben als die
wesentlichen Bestandteile der Menschenwürde
beschrieben
habe. Die Frage ist nun: Genügt dieses Potenzial
für die
Zuerkennung von Menschenwürde im Sinne des Artikels
1
Grundgesetz? Lassen Sie mich die wesentlichen
Gesichtspunkte nennen, die uns zur Antwort führen:
Erstens
ist es die Funktion der Grundrechte. Sie sind
Abwehrrechte
gegenüber staatlichem Handeln, sie sind Ausdruck
unserer
Wertordnung, sie begründen aber auch
Schutzpflichten des
Staates. Gerade auf diese Schutzpflicht wäre der in
vitro
erzeugte Embryo angewiesen, um seine Menschenwürde
zu
verwirklichen. Er wäre nicht nur auf den Staat
angewiesen,
sondern vor allem auf eine austragungsbereite Frau.
Hierzu
kann der Staat niemanden verpflichten. Deutlich
wird dies,
wenn wir uns zweitens klar machen, dass diese
Konstellation
nicht nur beim in vitro erzeugten Embryo besteht,
sondern zum
Beispiel auch bei der Anwendung der Spirale zur
Verhütung.
Auch hier wird die befruchtete Eizelle daran
gehindert, sich
einzunisten und sich zu entwickeln. Wir müssen also
aufpassen, dass wir den Grundrechtsschutz nicht auf
etwas
richten, was wir realistischerweise nicht erfüllen
können.
Solange sich der Embryo in vitro befindet, fehlt
ihm eine
wesentliche Voraussetzung dafür, sich aus sich
heraus zum
Menschen oder - wie das Bundesverfassungsgericht es
in
seiner letzten Entscheidung zu § 218 StGB für den
Fötus
formuliert hat - "als" Mensch zu
entwickeln. Die lediglich
abstrakte Möglichkeit, sich in diesem Sinne weiter
zu
entwickeln, reicht meines Erachtens für die
Zuerkennung von
Menschenwürde nicht aus.
Meine Damen und Herren,
unsere Verfassung zieht der Biomedizin also einen
Rahmen,
über den man im Einzelfall streiten kann und muss.
Wir dürfen
es jedoch nicht bei den verfassungsrechtlichen
Fragen
belassen. Denn mehr als einen Rahmen gibt uns die
Verfassung nicht. Wir können die
"richtigen" Antworten auf die
Fragen der Biomedizin nicht einfach im Grundgesetz
nachschlagen, sondern müssen uns schon die Mühe
machen,
für jedes Themenfeld gesondert die Chancen und
Risiken der
Biomedizin sorgsam zu analysieren und abzuwägen.
Alles
andere würde weder dem Thema noch der Verfassung
gerecht.
II.
Lassen Sie mich zunächst am Beispiel der
Präimplantationsdiagnostik (PID) skizzieren, was
ich damit
meine.
Bei der PID handelt es sich um die genetische
Untersuchung
von künstlich befruchteten Embryonen in der
Petrischale. Dabei
wird das Ziel verfolgt, genetische Störungen oder
andere
Merkmale zu erkennen und die kranken oder
unpassenden
Embryonen auszusortieren und nur die anderen
einzupflanzen.
Die PID ist derzeit verboten, es wird jedoch zum
Beispiel von
Teilen des nationalen Ethikrates gefordert, sie zu
erlauben.
Die Befürworter der PID weisen, wie ich schon angedeutet
habe, grundsätzlich zutreffend darauf hin, dass das
Verbot
dieser Diagnostik in die Entscheidungsfreiheit der
Eltern
eingreife. Namentlich wird argumentiert, das Verbot
zwinge
eine Frau praktisch dazu, sich einen möglicherweise
genetisch
geschädigten Embryo transferieren zu lassen.
Später, nach
Pränataldiagnostik, dürfe der Fötus dann
abgetrieben werden.
Allerdings unter erheblich größeren Belastungen und
gesundheitlichen Gefahren für die Frau. Lasse man
die PID
hingegen zu, könne man auf diesem Weg auch sog.
"Spätabtreibungen" vermeiden.
Allerdings halte ich den Verweis auf die
Spätabtreibung für
problematisch. Nach dieser Sichtweise wäre die PID
praktisch
eine vorverlagerte Pränataldiagnose, aber dazu und
damit
auch zur Abtreibungssituation sehe ich vor allem
zwei
gravierende Unterschiede. Zum einen ist ein
Schwangerschaftsabbruch der letzte Ausweg aus einem
anders nicht mehr lösbaren Konflikt zwischen den
Interessen
der Frau und denen des Kindes. Denken Sie bitte
daran, dass
unser Recht keine embryopathische Indikation kennt.
Dass die
Realität manchmal anders - gelegentlich vielleicht
sogar
gesetzwidrig - aussieht, kann ja nicht bedeuten,
dass wir von
unserer rechtlichen Wertung abrücken. Und diese
Wertung
lautet nun einmal: Eine genetische Schädigung des
Embryos
allein rechtfertigt noch keinen Abort, sie muss
gleichzeitig
schwerwiegende Beeinträchtigungen für die Frau
bedeuten.
Nur diese Konfliktlage kann einen
Schwangerschaftsabbruch
zulässig machen. Die künstliche Erzeugung von
Embryonen, um
sie der PID zu unterziehen, führt hingegen erst den
Konflikt
herbei, der dann gegebenenfalls zu Lasten des
Embryos gelöst
wird.
Zum anderen: Im Gegensatz zur pränatalen ist
eigentliches
Ziel der Präimplantationsdiagnostik nicht die
Verwerfung
geschädigter, sondern die Auswahl geeigneter
Embryonen,
also positive Eugenik. Mit der PID beanspruchen wir
die
Entscheidung darüber, welches menschliche Leben
sich
fortentwickeln darf. Das haben wir uns aus, wie ich
meine,
guten Gründen bislang nicht zugetraut.
Es wirft zugleich nämlich eine weitere Frage auf:
Wie wird es
sich auf unsere Gesellschaft auswirken, wenn wir
die PID bei
bestimmten genetischen Dispositionen zulassen? Man
muss
sich doch klar vor Augen halten: Selbst wenn man
durch die
PID dafür sorgen könnte, dass alle Kinder künftig
gesund im
Mutterleib heranwachsen, so könnte man damit immer
noch
nicht garantieren, dass sie auch gesund zur Welt
kommen und
gesund bleiben. Die Frage nach dem Umgang mit
Behinderungen und Krankheiten nimmt uns die PID
also gewiss
nicht ab, aber die Antwort würde durch die
Aussonderung
menschlichen Lebens mit bestimmten genetischen
Eigenschaften vermutlich in einer Weise vorgeprägt,
die ich für
bedenklich halte.
Wie verhalten wir uns gegenüber jemandem mit diesen
Eigenschaften, wenn menschliches Leben bei dieser
Disposition per Gesetz - ich formuliere bewusst
drastisch - für
"aussonderungswürdig" erklärt wird? Was
soll ein Mensch mit
diesen Eigenschaften empfinden? Muss sich die
Mutter dann
dafür rechtfertigen, auch ein behindertes Kind als
ihr Kind
anzunehmen und dadurch eventuell der
Solidargemeinschaft
Lasten aufzubürden? Wird sie am Ende gar in die
Pflicht
genommen, ein gesundes Kind quasi als
"Qualitätsprodukt"
abzuliefern? Vor dem Hintergrund, dass neuere
Studien in den
USA gezeigt haben, dass über 80% der Eltern eine
Schwangerschaft abbrechen würden, wenn sie wüssten,
dass
Ihr Kind eine genetische Disposition zur
Fettleibigkeit hat, wird
diese Frage umso aktueller und dringender.
Meine Damen und Herren,
bei meinen Überlegungen habe ich bislang
unterstellt, dass die
PID als Lösungsmöglichkeit für bestimmte
Konfliktsituationen
gedacht ist. Damit wäre automatisch die Vorstellung
verbunden, dass wir die gesetzliche Zulassung der
PID auf
diese Situationen beschränken können. Genau da sehe
ich
jedoch ein weiteres, nicht behebbares Problem, das
für mich
ausschlaggebend ist gegen eine Zulassung der PID:
Alle
Erfahrungen zeigen, dass sich eine solche
Beschränkung in der
Praxis nicht durchhalten lässt, und zwar völlig
unabhängig
davon, wie man sie ausgestaltet. Das sehen wir am
deutlichsten am Beispiel der Pränataldiagnose. Sie
war
ursprünglich auch nur für wenige Indikationen
vorgesehen,
gehört aber inzwischen zum Standard der
Vorsorgeuntersuchungen, und ich bin mir sicher: Die
PID
würde, ganz gleich, was wir in das Gesetz
schreiben, binnen
weniger Jahre ebenfalls zum Standardscreening bei
der
in-vitro-Fertilisation.
Denken Sie bitte nur einmal daran, dass die
Fortpflanzungsmediziner, die über ihre konkrete
Anwendung
zu befinden hätten, dann wahrscheinlich zu einer
Ausweitung
der PID tendieren würde. Zum einen steigert die
Anwendung
der PID generell die Erfolgsrate der
in-vitro-Fertilisation, zum
anderen könnte sie Komplikationen wie die
Möglichkeit von
Mehrlingsschwangerschaften vermeiden helfen. Beides
also für
sich genommen durchaus ehrenwerte Motive. Wenn wir
die PID
zuließen, würde es für einen Mediziner deshalb
vermutlich
sogar recht schwierig, einem Elternpaar unabhängig
von
irgendwelchen speziellen Indikationen den Wunsch
nach
Durchführung der PID noch zu verweigern. Vielleicht
ist auch
das ein Grund dafür, dass der Deutsche Ärztetag
sich gegen
die Zulassung der PID ausgesprochen hat.
Wir würden jedoch nicht nur wegen der sicher zu
erwartenden
Aufweichung gesetzlicher Kriterien erheblich mehr
Anwendungsfälle der PID erhalten, als uns bei
Festlegung der
Kriterien vorschwebt. Nein, wir würden auch aus
einer anderen
Richtung weitere Anwendungsfälle provozieren, wie
eine
einfache Überlegung verdeutlicht: Die PID ist an
extrakorporale
Befruchtung gebunden, aber die wiederum ist
ursprünglich nur
für Fertilitätsstörungen vorgesehen gewesen. Nun
gibt es
Elternpaare mit genetischen Risiken, die einerseits
die Kriterien
erfüllen könnten, an die wir die Durchführung der
PID
möglicherweise knüpfen, die sich aber andererseits
nicht in
Fertilitätsstörungen äußern. Die Zulassung der PID
würde also
geradezu zwangsläufig die betroffenen Frauen dazu
bringen,
auf die für sie nicht ganz unproblematische Methode
der
in-vitro-Fertilisation zurückzugreifen, die
ursprünglich für ganz
andere Fälle gedacht war- auch mit diesem Gedanken
kann ich
mich nicht anfreunden.
Für mich überwiegen letztlich die Gründe, es beim Verbot
der
PID zu belassen. Selbstverständlich ist mir
bewusst, dass
damit nicht nur eine abstrakte Rechtsfrage
entschieden,
sondern ganz konkret in die Lebensplanung
betroffener Paare
eingegriffen wird. Die Zulassung der PID berührt
jedoch
unvermeidlich das Lebensrecht eines Embryos und
müsste
grundlegende Auswirkungen auf den Umgang unserer
gesamten Gesellschaft mit Krankheit und Behinderung
nach
sich ziehen. Sie könnte schließlich nicht einmal
die Erfüllung
ihres Wunsches nach einem gesunden Kind garantieren,
denn
auch gesund geborene Kinder können krank werden.
Ich weiß,
dass im Kinderwunsch der betroffenen Paare auch die
Bereitschaft zum Ausdruck kommt, Verantwortung für
die
Zukunft zu übernehmen. In dieser Konstellation
gebietet
jedoch die Verantwortung für die Zukunft, auf den
Wunsch
nach einem genetisch eigenen Kind zu verzichten,
denn der
Preis dafür ist zu hoch. So schwer es für die
Einzelnen sein
mag, es gibt Fälle, in denen ist Kinderlosigkeit
ein Schicksal,
dem wir trotz aller wissenschaftlichen und
technischen
Möglichkeiten nicht entrinnen können und sollten.
III.
Meine Damen und Herren,
lassen Sie mich nun zu einem anderen thematisch
nahe
liegenden Bereich kommen - zur Forschung mit
Embryonen und
embryonalen Stammzellen. Seit 1991 haben wir in
Deutschland
das Embryonenschutzgesetz. Es verbietet jede
Verwendung
von Embryonen, die nicht der Herbeiführung einer
Schwangerschaft dient. Es gibt keine Initiative der
Bundesregierung, das Embryonenschutzgesetz zu
ändern.
Auch wenn es in einigen Randbereichen unscharf ist
und die
rasante Entwicklung der Gentechnik neue Fragen
aufwirft, so
ist das Gesetz in seiner jetzigen Form doch noch
handhabbar.
Aber wir müssen die wissenschaftlichen
Entwicklungen genau
beobachten.
Unantastbar ist für mich das Verbot, einen Menschen
zu
klonen. Es ist nicht nur angesichts der hohen Rate
von
Fehlgeburten und schwersten Behinderungen bei
geklonten
Tieren zutiefst verwerflich, Klonversuche beim
Menschen zu
unternehmen. Es ist auch mit der Würde des Menschen
- und
zwar des geborenen Menschen - nicht zu vereinbaren,
ihm das
zu verweigern, was Teil jeder menschlichen Existenz
ist: eine
zufällige Mischung aus den erblichen Anlagen des
Vaters und
der Mutter zu sein. Ob wir diese genetische Mixtur
als zufällig,
als gottgewollt oder als Schicksal bezeichnen: ihre
Unabhängigkeit von menschlicher Verfügungsgewalt
ist der
Grund, aus dem die menschliche Autonomie und damit
auch die
menschliche Freiheit erwächst.
Meine Damen und Herren,
ich bin auch skeptisch gegenüber dem Ansinnen, das
sogenannte "therapeutische Klonen"
zuzulassen, also ein
Klonen, das den geklonten Embryo nur wenige Tage
heranwachsen lässt, um ihn dann zur Gewinnung
seiner
embryonalen Stammzellen zu vernichten. Das ist
problematisch, weil sich der Schutz des Lebens des
Embryos
nur verwirklichen lässt, wenn bereits seine
Erzeugung
verboten wird. Und gerade hier müssen wir auch auf
die
mittelbaren Folgen besonders achten: Zwar meine
ich, dass
man das sogenannte "Dammbruchargument",
das in den
bioethischen Debatten ja schnell zur Hand genommen
wird,
nur sehr zurückhaltend verwenden sollte. Hier aber,
so denke
ich, sollten wir es sorgfältig prüfen: Wenn wir
zulassen, dass
Techniken entwickelt werden, die das Klonen eines
menschlichen Lebewesens gestatten, wie können wir
sicherstellen, dass diese Techniken nicht dazu
genutzt werden,
dass sich dieser Embryo länger als nur 3 bis 4 Tage
entwickelt.
In diesen Grenzbereichen darf und sollte der
Gesetzgeber
vorsichtig sein.
Neue wissenschaftliche Studien lassen einen Weg
erahnen,
wie wir mit dem ethischen Dilemma fertig werden
könnten:
Eventuell wird es irgendwann möglich sein, autologe
(also von
dem Patienten stammende) Stammzellen zu gewinnen,
ohne
den Weg über die Erzeugung eines geklonten Embryos
gehen
zu müssen. Das ist zwar noch Zukunftsmusik. Denn
noch ist
unklar, welche Erkenntnisse die Wissenschaft
gewinnen und
welche Techniken der Reprogrammierung sie noch
entwickeln
wird. In einem allerdings sind sich alle Forscher
einig: Um die
Entwicklungsprozesse des menschlichen Körpers und
seiner
Zellen zu verstehen und um herauszufinden, welches
therapeutische Potential die verschiedenen Arten
von
Stammzellen haben, müssen alle Arten von
Stammzellen
beforscht werden: die adulten Stammzellen, die
Stammzellen
aus Nabelschnurblut oder aus abgetriebenen Föten -
aber
auch die embryonalen Stammzellen.
Deshalb hat der Bundestag nach überaus intensiven
Debatten
im Juni 2002 mit dem Stammzellgesetz die Forschung
mit
bestimmten importierten Stammzellen erlaubt. Damit
ist auch in
Deutschland die Möglichkeit gegeben,
Grundlagenforschung zu
betreiben und das Potential dieser Stammzellen
auszuloten.
Indem Stammzellen importiert werden, die aus sog.
überzähligen Embryonen nach der künstlichen
Befruchtung
gewonnen wurden. Die Gewinnung aus überzähligen
Embryonen deshalb, damit die Herstellung von
Embryonen
ausschließlich für Forschungszwecke auch im Ausland
nicht
unterstützt wird. Der Bundestag hat sich weiter für
eine
Stichtagsregelung entschieden: Es dürfen nur
Stammzellen aus
Linien importiert werden, die vor dem 1. Januar
2002 angelegt
wurden; dieser Stichtag deshalb, damit von
Deutschland keine
Anreize ausgehen, weitere Embryonen zu vernichten.
Ich weiß, dass viele Forscherinnen und Forscher mit
dem
Stammzellgesetz nicht glücklich sind. Sie weisen zu
Recht
darauf hin, dass jede Einschränkung der
Forschungsfreiheit
einer besonderen Rechtfertigung bedarf. Sie
befürchten, dass
herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
ins
Ausland gehen, wo die Stammzellforschung weniger
limitiert
ist, wo insbesondere neue Stammzelllinien angelegt
und
benutzt werden können. Sie fürchten, dass
Deutschland mit
dem wissenschaftlich-medizinischen Fortschritt
nicht Schritt
halten wird. Der im Juli 2002 gegründeten Zentralen
Ethikkommission für Stammzellforschung liegen
bislang sieben
Anträge für die Genehmigung von Projekten vor. Fünf
der
Anträge stimmte die Kommission bislang zu. Man
könne jedoch
nicht beurteilen, ob das Interesse so gering sei,
weil das
Stammzellgesetz eine Forschung im gewünschten Maße
nicht
zulasse meint die Kommission. Bei den Anträgen
handelt es
sich um Projekte aus der Grundlagenforschung, die
von der
Deutschen Forschungsgemeinschaft und der
Max-Planck-Gesellschaft finanziert werden. Ein
genehmigter
Antrag stammt von einer Pharmafirma. Ich meine, wir
müssen
diese Entwicklung sehr sorgfältig beobachten.
Nicht nur was den Forschungsstandort Deutschland
anbelangt,
zeichnet sich ja die ganze gegenwärtige bioethische
Debatte
dadurch aus, dass sie nie ohne den Blick über die
nationalen
Grenzen geführt werden kann. Auf UN-Ebene
verhandeln wir
über ein internationales Verbot des Klonens. In der
EU muss in
den nächsten Wochen entschieden werden, wie wir ab
2004
mit der Förderung der Stammzellforschung durch die
EU
verfahren wollen. Der Bundestag hat sich mit diesen
Fragen ja
auch mehrfach befasst und eindringlich auf den
Schutz
hingewiesen, der menschlichem Leben gebührt.
Vorletzte
Woche, am 16. Oktober, hat er noch einmal
bekräftigt, dass die
gemeinsame Forschungsförderung der EU vermeiden
müsse,
Druck auf engegenstehende Rechtslagen von
Mitgliedstaaten
auszuüben. Deshalb solle die Bundesregierung darauf
hinwirken, dass die Forschungsförderung beschränkt bleibt
auf
Projekte mit bestehenden Stammzelllinien. Dafür
setzt sich die
Bundesregierung in Brüssel auch nachdrücklich ein.
Mir ist eines wichtig: Weil die Gewinnung von
Stammzellen
immer die Vernichtung von Embryonen voraussetzt,
also den
Umgang mit menschlichem Leben betrifft, bedarf jede
Entscheidung in diesem Bereich einer besonders
sorgfältigen
Abwägung der betroffenen Rechte. Es geht um einen
"möglichst schonenden Ausgleich" der
widerstreitenden
Rechte, wie das Bundesverfassungsgericht es
hervorgehoben
hat. Das Recht der Forscher auf Freiheit ihrer
Forschung darf
nicht ausgehebelt werden. Aber es darf auch nicht
das
berechtigte gesellschaftliche Interesse daran
vernachlässigt
werden, dass wir die wissenschaftlichen Grundlagen
etwa für
die Transplantationsmedizin oder die
Krebsbekämpfung
verbessern. Auch hierzu ist die Politik
verpflichtet. Das heißt für
die Stammzellforschung konkret: Sind die vor dem im
Stammzellgesetz genannten Stichtag 1. Januar 2002
hergestellten Stammzelllinien für die aktuelle
Grundlagenforschung ausreichend? Bedarf es zum
gegenwärtigen Zeitpunkt neuer Stammzelllinien, um
die
Entwicklungsprozesse zu begreifen und das
therapeutische
Potential auszuloten?
Das Stammzellgesetz eröffnet Möglichkeiten. Diese
sollten die
Forscherinnen und Forscher nutzen.
Regierung und Gesetzgeber werden dann zu prüfen
haben, ob
eine Lockerung des Stammzellgesetzes erforderlich
ist. Von
Verfassungs wegen ist dies jedenfalls nicht
untersagt.
IV.
Meine Damen und Herren,
um Fragen von "Zeugen oder Erzeugen"
eines Kindes geht es
letztlich auch bei der künstlichen Befruchtung -
auch wenn wir
hier noch näher am "Zeugen" sind als bei
den
vorangegangenen Fragen. Je nachdem, ob der zu
übertragende Samen vom Ehemann bzw. Partner der
Frau
oder einem Dritten stammt, unterscheiden wir
hierbei zwischen
homologer und heterologer Insemination. Besonders
brisant
ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob dieser
"dritte
Mann" auch anonym bleiben darf - mit der
Folge, dass das Kind
seinen biologischen Vater niemals wird
identifizieren können.
Anlass der erneuten Diskussion über die
Zulässigkeit
"anonymer Samenspenden" war u.a. ein
Artikel im SPIEGEL mit
der provokanten Schlagzeile "Sperma für die
Heimwerkerin".
Darin wurde über Bestrebungen eines englischen
Unternehmens berichtet, in Berlin und München
anonyme
Samenbanken zu errichten. Zielgruppen sollen
insbesondere
lesbische Paare und alleinstehende Frauen sein,
denen man
auf diesem Wege bei der Verwirklichung ihres
Kinderwunsches
behilflich sein will.
Natürlich ist zunächst niemandem die Verwirklichung
eines
Kinderwunsches abzusprechen. Dieser Wunsch ist
Ausdruck
der freien Entfaltung der Persönlichkeit. Die
allgemeine
Handlungsfreiheit nach Artikel 2 Abs. 1 GG schützt
die Freiheit
der fortpflanzungswilligen Frau, sich auf jede
tatsächlich
mögliche Weise fortzupflanzen. Gleichwohl müssen
wir uns
fragen, wie es um die Rechte eines auf diese Weise
gezeugten
Kindes, insbesondere in Hinblick auf das Recht zur
Kenntnis
seiner Abstammung, bestellt ist. Wir müssen eine
Abwägung
der betroffenen Grundrechte vornehmen und daraus
unsere
Schlussfolgerungen ziehen. Durch die
beschriebenengesellschaftlichen und technischen
Entwicklungen sehen wir uns vor neue
Herausforderungen
gestellt.
Denn bislang gibt es keine gesetzliche Regelung zur
anonymen
Samenspende. Die geltenden Richtlinien der
Bundesärztekammer zur "Durchführung der
assistierten
Reproduktion" lassen eine heterologe
Insemination nur bei
Eheleuten und bei nicht verheirateten Paaren in stabiler
Partnerschaft zu. Zudem muss der Arzt den
Samenspender
darauf hinweisen, dass er gegenüber dem Kind zur
Nennung
seines Namens verpflichtet ist und dass sich der
Arzt insoweit
nicht auf die ärztliche Schweigepflicht berufen
kann. Den Arzt
treffen auch entsprechende Dokumentationspflichten.
Es stellt sich also die Frage, ob ein Verbot
anonymer
Samenspenden verfassungsrechtlich geboten ist.
Zunächst
einmal: Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem
grundlegenden Urteil aus 1989 herausgestellt, dass
das
allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Artikel 2 Abs.
1 i.V.m.
Artikel 1 Abs. 1 GG auch das Recht auf Kenntnis der
eigenen
Abstammung umfasst. Ansatzpunkt ist, dass die freie
Entfaltung der Persönlichkeit unter anderem die
Kenntnis der
eigenen Abstammung voraussetzt. Diese
Grundrechtsinterpretation geht davon aus, dass
nicht nur die
soziale, sondern auch die biologische Herkunft und
die
Kenntnis darüber im Bewusstsein des einzelnen eine
Schlüsselstellung für Individualitätsfindung und
Selbstverständnis einnimmt. Allerdings verleiht
Artikel 2 Abs. 1
i.V.m. Artikel 1 Abs. 1 GG kein Recht auf
Verschaffung von
Informationen über die eigene Abstammung, sondern
kann nur
davor schützen, dass erlangbare Informationen
vorenthalten
werden. Wenn der Staat es unterlässt, anonyme
Samenspenden zu unterbinden, so liegt darin also
kein
staatlicher Eingriff in das Recht des Kindes auf
Kenntnis seiner
eigenen Abstammung. Aus den Grundrechten des Kindes
folgt
allerdings eine Schutzpflicht des Staates, die sich
auch auf die
Gewährleistung der für die
Persönlichkeitsentfaltung
konstitutiven Bedingungen und damit auf die
Kenntnis der
eigenen Abstammung bezieht. Wie lässt sich nun die
Schutzpflicht für das Recht des Kindes auf Kenntnis
der
eigenen Abstammung mit der Handlungsfreiheit der
fortpflanzungswilligen Frau und des potentiellen
Samenspenders sowie der Berufsfreiheit möglicher
Betreiber
von "Internet-Samenbanken" und von Ärzten
in Einklang
bringen?
Meines Erachtens führt eine Abwägung der
betroffenen
Grundrechte zu der Verpflichtung des Staates, die
Zeugung
von Kindern mittels anonymer Samenspenden möglichst
zu
unterbinden. Der Kenntnis der eigenen Abstammung
kommt
nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts ein
hoher Stellenwert zu - die genannte
Schlüsselstellung für die
eigene Individualitätsfindung und das eigene
Selbstverständnis belegen dies. Die
Handlungsfreiheit der Frau
und des Samenspenders sowie die Berufsfreiheit der
sonstigen
Beteiligten müssen aus meiner Sicht dahinter
zurücktreten. Ich
meine auch nicht, dass durch ein solches - wie auch
immer
ausgestaltetes - Verbot unfruchtbaren Paaren der
Weg zu
einem Kind praktisch erschwert würde. Den
Samenspendern
wird es doch in den meisten Fällen hauptsächlich
darauf
ankommen, nicht rechtlich als Vater des Kindes in
Anspruch
genommen zu werden. Dieses Ziel kann aber erreicht
werden,
ohne dass der
Samenspender in die Anonymität getrieben wird: Es
gilt nur zu
verhindern, dass er in die rechtliche Vaterrolle
mit den damit
verbundenen Pflichten einrücken muss. Der in der
letzten
Legislaturperiode durch das
Kinderrechteverbesserungsgesetz
eingeführte § 1600 Abs. 2 BGB geht bereits in diese
Richtung.
Danach ist die Anfechtung der Vaterschaft durch den
rechtlichen Vater oder die Mutter ausgeschlossen,
wenn das
Kind mit ihrer Einwilligung durch künstliche
Befruchtung mittels
Samenspende eines Dritten gezeugt wurde. Nur das
Kind kann
die rechtliche Vaterschaft anfechten. Eine weitere
Alternative
wäre z.B. die generelle Freistellung des
Samenspenders von
rechtlichen Vaterpflichten. Es bliebe dann die
Verpflichtung des
Samenspenders, sich der Tatsache zu stellen, dass
er der
biologische Vater ist. Außerdem sollte aus Gründen
des
Kindeswohls sichergestellt sein, dass das Kind
möglichst über
zwei - wenn auch nicht die biologischen -
Elternteile verfügt,
die die rechtliche Verantwortung für das Kind
übernehmen.
Bislang ist dies in den Fällen der künstlichen
Befruchtung
gewährleistet, weil die heterologe Insemination nur
bei
bestehender Partnerschaft vorgenommen wird.
Ich trete daher aus Gründen der Rechtssicherheit
für
gesetzliche Regelungen ein, die eine Zeugung
mittels
anonymer Samenspenden unterbinden.
V.
Meine Damen und Herren,
als Goethe vor knapp 200 Jahren seinen Faust II
schrieb, lag
es jenseits aller technischen Möglichkeiten,
Menschen künstlich
zu erzeugen. Gleichwohl spielt der
"Homunculus", ein im Labor
geschaffenes menschenähnliches Wesen, in diesem
Werk eine
wichtige Rolle. Umhüllt von einer gläsernen Phiole
schwebt er
leuchtend vor Faust und Mephistopheles her, auf der
Suche
danach, selbst zu einem natürlichen Körper zu
werden. Dabei
weist er Faust, den tiefe existenzielle Fragen
umtreiben, den
Weg zu einigen Philosophen und zu Schauplätzen der
Antike.
Ich finde, diese Szene ist auch ein gutes Bild für
die
Notwendigkeit der Spezifikation der Werte, wovon
ich
eingangs gesprochen habe. Der Übergang vom Zeugen
zum
Erzeugen - hier anschaulich verkörpert durch den
Homunculus -
wirft ein Licht auf unsere eigenen existenziellen Fragen
und
auf unsere Werte. Bei Goethe konnte dies noch im
Reich des
Geistes verbleiben. Heute, angesichts der
Fortschritte in der
Genetik und der Biomedizin gilt es, sie ganz
konkret zu stellen.
Die "Spezifikation der Werte" ist ein
ständiger, auch heute
nicht abgeschlossener Prozess, für dessen
erfolgreiches
Voranschreiten es darauf ankommt, dass sich
möglichst viele
Bürgerinnen und Bürger sowie Fachleute daran
beteiligen. Ich
hoffe, mir ist es gelungen, einige wichtige Fragen
auszuleuchten und manche Antworten darauf zu
finden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
20. Oktober 2003
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Copyright © Frankfurter Rundschau online 2003
Dokument erstellt am 29.10.2003 um 16:48:02 Uhr
Erscheinungsdatum 30.10.2003