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Das kann ich so nicht mehr sagen …

Schwierigkeiten mit Bekenntnissen

(Joachim Krause, 2013)

 

Neulich stand in einer kirchlichen Zeitung ein Beitrag unter dem Titel: „Ist das noch unsere Kirche?“[1] Der Autor mahnt eine „Neubesinnung auf das reformatorische Kirchen- und Amtsverständnis“ an, „das seine Fundierung nicht im Zeitgeist … hat.“ Er beobachtet mit Sorge, dass „wir uns mehr und mehr von den Aussagen des Augsburgischen Bekenntnisses und den apostolischen Grundlagen der Kirche entfernen.“ Nun lässt sich aber gerade das Grundanliegen einer reformatorischen Kirche so „übersetzen“, dass überlieferte Verhältnisse und Einsichten auf den Prüfstand gestellt, „umgestaltet“, „neu geordnet“ werden. Wenn die theologische Wissenschaft neue Erkenntnisse gewinnt, wenn die Naturwissenschaft die Ordnungen der Welt enträtselt, wenn die Lebenswirklichkeit von Menschen sich verändert – dann hat das auch Auswirkungen auf Glaubensaussagen. Reformation ist ein Prozess ständiger Veränderung (und der Bereitschaft dazu), nicht ein Zustand, den es zu bewahren gilt. Die altehrwürdigen Bekenntnisse unserer Kirchen sind nicht zeit-los, sie sind zeitgebunden entstanden, als Verständigung von Menschen darüber, was in einer bestimmten Situation von einer Gruppe (den „Christen“, den „Evangelischen“ – immer auch in Abgrenzung zu anderen Sichtweisen!) als „gemeinsamer Nenner“ gesagt werden sollte.
Das Apostolische Glaubensbekenntnis ist wahrscheinlich im 5. Jahrhundert in etwa der sprachlichen Gestalt aufgeschrieben worden, die wir heute kennen. Menschen haben darin formuliert, was ihnen damals zentral wichtig war, um sich selbst ihres christlichen Glaubens zu vergewissern und das auch anderen mitteilen zu können. Sie taten das in der Sprache ihrer Zeit, und sie verwendeten Weltbildvorstellungen, die damals allgemein üblich waren und verstanden wurden. Christen vertraten unterschiedliche Ansichten, und es ging um den Versuch, eine Klärung herbeizuführen - mit Kompromissen oder mit der Konsequenz, dass Andersdenkende ausgeschlossen wurden. Inzwischen ist das Apostolische Bekenntnis 1500 Jahre alt! Ist es ganz selbstverständlich noch MEIN Bekenntnis ? Wenn ich die ehrwürdigen Sätze nicht auswendig dahersage, sondern mir vorstelle, dass ich jede einzelne Aussage als ICH-Satz einem fragenden Mitmenschen sagen sollte - mir fiele da manches sehr schwer: "Allmächtiger" (Gott), "empfangen durch den Heiligen Geist", "geboren von der Jungfrau Maria", "hinabgestiegen in das Reich des Todes", "aufgefahren in den Himmel" - Fragezeichen über Fragezeichen. Da kollidiert manches mit meiner Welterfahrung und mit meinem Weltbild. Könnte, müsste ich das heute anders aussagen, um intellektuell redlich und verständlich zu sein? Sind das überhaupt (noch) DIE Fragen, die (m)einen christlichen Glauben zentral umtreiben und antreiben? Vielen christlich geprägten Menschen ist es heute wichtig, auch etwas weiterzusagen von den provozierenden Anregungen, die Jesus in und mit seinem Leben für ein schöpfungsfreundliches, menschenfreundliches und menschenwürdiges Dasein im Alltag in dieser Welt gegeben hat. Wäre da nicht Mut gefragt, ein neues Bekenntnis für unsere Situation hier und heute zu sagen?
Viele Bekenntnisse sprechen in der 1. Person: „ICH glaube.“ Das erscheint mir angemessen. Es geht nicht um allgemeine, abstrakte Wahrheiten, sondern darum, was ICH - HIER und HEUTE - anderen darüber sagen will, was mein Leben trägt und prägt, und welche Konsequenzen das für meinen Alltag hat.

Ein Glaubender, der die überlieferten (und im Laufe der Jahrhunderte geringfügig angepassten) Sätze als sein Bekenntnis sagt, müsste eigentlich heute, fast zweitausend Jahre später, in Westeuropa nach der Aufklärung, Wort für Wort buchstabieren und erläutern, was das für ihn bedeutet.


1. Beispiel: Apostolisches Glaubensbekenntnis“

 

Das apostolische Glaubensbekenntnis[2]

Ich glaube an Gott, den Vater,
den Allmächtigen,
den Schöpfer des Himmels und der Erde.

Und an Jesus Christus,
seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn,
empfangen durch den Heiligen Geist,
geboren von der Jungfrau Maria,
gelitten unter Pontius Pilatus,
gekreuzigt, gestorben und begraben,
hinabgestiegen in das Reich des Todes,
am dritten Tage auferstanden von den Toten,
aufgefahren in den Himmel;
er sitzt zur Rechten Gottes,
des allmächtigen Vaters;
von dort wird er kommen,
zu richten die Lebenden und die Toten.

Ich glaube an den Heiligen Geist,
die heilige christliche Kirche,
Gemeinschaft der Heiligen,
Vergebung der Sünden,
Auferstehung der Toten
und das ewige Leben.

Amen.

 

 

1. Artikel

„Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde“.

Was versteht der Glaubende unter „Gott“? Hat er die Vorstellung von einem Gott, der die Welt gewollt und ins Dasein gebracht hat (Anfangsbedingungen und Naturgesetze), aber ihr seitdem ihren Lauf lässt und die Freiheit zu weiterer Entwicklung gibt? Oder glaubt er an einen persönlichen Gott, den er ansprechen, an den er sich im Gebet wenden kann, der in die Welt und in sein Leben eingreift, der hilft und straft? Oder prägen ihn noch ganz andere Gottesbilder und Gotteserfahrungen?

 

Was bedeutet ihm das Bild des „Vaters“? Ist das Bild eines Vaters für ihn überhaupt biographisch gefüllt, hat er mit (s)einem Vater positive Erfahrungen gemacht?

Ist sein Gott einer, der es – als fürsorglicher Vater - immer mit allen seinen Geschöpfen gut meint?
Wie vereinbart es sich mit dieser Vorstellung von einem gütigen Gott-Vater, dass es in der von ebendiesem Gott gewollten und geschaffenen Welt auch leidvolle und schmerzliche Erfahrungen gibt? Dass sie nur so „funktioniert“, dass der Jaguar die Gazelle tötet (sie töten muss, um selbst leben zu können), dass Gott ihn durch die erfolgreiche Jagd weiter leben lässt? Die Gazelle wiederum hat, um ihrerseits leben zu können, Graspflanzen vernichtet. Wie kann ein gütiger Vater zulassen, dass es schreckliche todbringende Krankheitserreger gibt, dass durch Naturkatastrophen Tausende von unschuldigen Menschen (und Tiere und Pflanzen) getötet werden, dass manchmal nicht ausreichend Nahrung wächst und Menschen und andere Lebewesen (ver-)hungern, dass Ungerechtigkeit und Krieg in menschlichen Gemeinschaften immer präsent waren und Opfer gefordert haben?
(Allein) davon zu sprechen (zu verkünden), dass Gott eine (durchweg und immer) gute Welt geschaffen hat und dass er es mit allen Menschen (allen seinen Geschöpfen) (immer) gut meint, das ist nur Menschen möglich, die (bisher, gerade jetzt) satt, reich, zufrieden sind, die gute Erfahrungen mit der Natur und ihren Mitmenschen gemacht haben. Das Reden von einem (immer) gütigen Gott, der alle Geschöpfe liebt und bewahrt, eine solche Feststellung klingt in den Ohren von Menschen, welche schreckliche Erfahrungen mit Leid, Schmerzen, Hunger, Krankheit, Naturkatastrophen usw. gemacht haben (die vielleicht zu Gott gebetet haben, die aber keine Hilfe erfahren haben) zumindest unverständlich, wenn nicht gar zynisch.

Was versteht der Glaubende darunter, dass Gott „allmächtig“ sein soll? Kontrolliert und steuert ein omnipotenter Gott den Weg jedes einzelnen Atoms im Kosmos, regelt die Umlaufbahn jedes einzelnen Himmelskörpers, überwacht von der Zeugung bis zum Tod das Lebensschicksal jedes Grashalms, jeder Mücke und jedes Menschen? Weiß Gott die weitere Entwicklung auch in die fernste Zukunft voraus? In einer Welt, auf der sich die Lebensbedingungen durch natürliche Klimaveränderungen, Meteoriteneinschläge, Kontinentalverschiebung (Erdbeben) usw. ständig dramatisch verändert haben und weiter verändern, ist nach Einsicht der Biologie die zukünftige Entwicklung der Lebewesen NICHT auf ein Ziel hin festgelegt und kann (darf) auch nicht festgelegt sein, sondern sie ereignet sich als ergebnis-offener Prozess mit Zufallsmomenten (im Rahmen der vorgegebenen Bedingungen) …
Stellt der Glaubende sich vor, dass ein allmächtiger Gott auf seine Bitte hin (z.B. in einem Gebet) in den (natürlichen, naturgesetzlich vorgegebenen) Lauf der Dinge eingreift und gezielt Einfluss nimmt? Aber warum sollte er gerade ihn von einer Krankheit heilen und einen Mitmenschen, der in der gleichen Lage das gleiche Bittgebet spricht, nicht? Wenn zwei Soldaten vor der Schlacht inbrünstig um Gottes Beistand gebetet haben („Gott mit uns!“) – welchen erhört er?
Wenn ein allmächtiger Gott alles für mein Leben weiß und ordnet, ist er dann nicht auch für meine Verfehlungen und Verbrechen „zuständig“ und verantwortlich? Das Ringen um von mir zu verantwortende (Gewissens-)Entscheidungen, die Überzeugung von Willensfreiheit wären dann eine Illusion …

Was bedeutet es, wenn Gott als Schöpfer benannt und bekannt wird? „Schaffen“ ist in der Bibel ein Verb (hebräisch „bara“), das allein für das Handeln Gottes vorbehalten ist (daneben wird noch ein zweites Verb verwendet, „asah“, das etwa mit „machen“ im Sinne von handwerklicher Tätigkeit zu verstehen ist). „Bara“ wird nie im Zusammenhang mit Menschen als handelnden Subjekten verwendet - Menschen kön­nen nicht schaffen, sie können letztlich wohl auch nicht verstehen, was sich ereignet, wenn Gott „schaffend“, „schöpferisch“ am Werk ist. Und wenn Menschen dennoch von dem reden oder schreiben, was sie selbst nicht (hervorbringen) können und verstehen, dann kön­nen sie nur stottern, stammeln, Vermutungen („Hypothesen“!) in menschlichen Bildern äußern. In diesem Sinne sind biblische Darstellungen immer unvollkommene und deut­bare Versuche, Unverstehbares verständlich zu machen. Die eindrücklichen bildhaften Schilderungen, WIE Gott nach dem Text im ersten Kapitel der Bibel die Welt in Szene setzt, können dazu verlocken, nun zu wissen, zu verstehen, wie Gott handelt.
Hat Gott an einem zeitlich verstandenen „Anfang“ alles geordnet (mit dem Ergebnis der „real existierenden Welt“) und lässt danach dem Geschehen seinen Lauf? Das Wort „bara“ für das Handeln Gottes umfasst alle Zeitebenen (die hebräische Sprache macht das möglich): Gott war vor langer Zeit schöpferisch tätig, Gott begleitet seine Geschöpfe auch heute, und sein Handeln wird in alle Zukunft hinein weiter wirken.
Greift Gott ständig in seine Schöpfung ein und ändert den Lauf der Welt? Warum aber sollte ein allmächtiger Schöpfer ständig „nachbessern“, korrigieren müssen? Und wenn er eingreift - geschieht das unter Umgehung der Naturgesetze oder ist auch er an sie (seine eigenen Spielregeln) gebunden? Lässt der Schöpfer sich in seinem Handeln von den Geschöpfen beeinflussen (erhört er Gebete)?

2. Artikel:

Und an Jesus Christus,
seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn,
empfangen durch den Heiligen Geist,
geboren von der Jungfrau Maria,
gelitten unter Pontius Pilatus,
gekreuzigt, gestorben und begraben,
hinabgestiegen in das Reich des Todes,
am dritten Tage auferstanden von den Toten,
aufgefahren in den Himmel;
er sitzt zur Rechten Gottes,
des allmächtigen Vaters;
von dort wird er kommen,
zu richten die Lebenden und die Toten.

 

Weiter wird im Text des Bekenntnisses von Jesus gesprochen, „geboren von der Jungfrau Maria“. Abgesehen davon, dass sich moderne biologische Erkenntnisse gegen diese Aussage sträuben: Diese (theologisch geprägte) Vorstellung war schon in frühchristlicher Zeit nicht Allgemeingut der Überlieferung. Die Evangelisten Markus und Johannes berichten nichts zur Kindheit Jesu und auch nichts über die Umstände seiner Geburt. Entweder haben sie von der Jungfrauengeburt nichts gewusst, oder sie haben mit dieser Vorstellung nichts anfangen können. Auch der Apostel Paulus geht nie auf das Mirakel der Jungfrauengeburt ein. Hinzuweisen ist auch darauf, dass der Evangelist Matthäus, der von der Geburt durch eine Jungfrau (griechisch: Parthenos) berichtet (Matth. 1,23), sich als Beleg für das Wunder auf eine Weissagung aus dem alttestamentlichen Jesaja-Buch bezieht (Jes. 7,14). Dort steht zwar in der Septuaginta (der Übersetzung der alttestamentlichen Texte aus dem Hebräischen ins Griechische, die etwa 200 Jahre vor Jesu Geburt angefertigt wurde, und in der wahrscheinlich auch Matthäus gelesen hat) tatsächlich „Jungfrau“ (griechisch: Parthenos). Im hebräischen Urtext dagegen ist allgemein von einer „jungen Frau“ die Rede (hebräisch: Alma), die aber durchaus schon Geschlechtsverkehr gehabt haben konnte. Wenn wirklich eine „Jungfrau“ im biologischen Verständnis gemeint gewesen wäre, hätte hier das hebräische Wort Betula stehen müssen. Baut sich so auf einer Übersetzungs-Ungenauigkeit irrtümlich eine ganze theologische Denkrichtung auf?
Zudem gibt zu denken, dass sowohl Matthäus (Matth. 1,1ff. - im Gegensatz zu seiner eigenen Erzählung von einer Jungfrauengeburt) als auch Lukas (Lukas 3,23ff.) Stammbäume überliefern, welche die biologische Abstammung von Jesus von Abraham bzw. von Adam her auflisten. Paulus schreibt im gleichen Sinne davon, dass Jesus „nach dem Fleisch aus dem Samen Davids stammt“ (Röm.1,3). Diese Linie der Überlieferung zur Herkunft Jesu lässt sich schwer in Über einstimmung bringen mit der theologisch komponierten Vorstellung einer „Jungfrauengeburt“ [3], verstanden als Durchbrechung der biologischen Fortpflanzung, geschehen ohne Mitwirkung eines leiblichen Vaters.

In weiteren Aussagen des Bekenntnisses haben antike Weltbildvorstellungen ihren Niederschlag gefunden.
So wird bekannt, dass Jesus „niedergefahren zur Hölle“ ist (das war der Wortlaut noch in den 1950er Jahren[4], die heute übliche Formulierung spricht von „hinabgestiegen in das Reich des Todes“). Soll man sich das wörtlich-örtlich wirklich im antiken Weltbild der „Unterwelt“ vorstellen?
Oder wenn wenig später steht, dass Jesus „aufgefahren“ ist „in den Himmel“. Ist das bildhaft ähnlich vorzustellen wie die Himmelfahrt des Propheten Elia mit Pferd und Wagen (2.Kön. 2,11f.)? Der Himmel ein Ort, oben?
Unmittelbar anschließend wird von Jesus im „Himmel“ ausgesagt: „er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen,
zu richten die Lebenden und die Toten“
.
Der Text des Evangelisten Markus könnte hier als Belegstelle im Neuen Testament herangezogen werden. Mk.16,19 steht zur „Himmelfahrt“: „Nachdem der Herr Jesus mit ihnen geredet hatte, wurde er aufgehoben gen Himmel und setzte sich zur Rechten Gottes.“ Aber selbst in jeder Lutherbibel (revidierte Fassung 1984) steht heute der deutliche Hinweis: „Nach den ältesten Textzeugnissen endet das Markusevangelium mit Kapitel 16, Vers 8. Die Verse 9 bis 20 sind im 2. Jahrhundert hinzugefügt worden …“. Stammt die Formulierung, die das apostolische Bekenntnis übernommen hat, also demnach aus einer unsicheren Quelle?

Was meint der Glaubenssatz, das Jesus „auferstanden von den Toten“ ist? Auferstehen bedeutet doch wohl wie „aufstehen“ eine bewusste, aktive Handlung der betreffenden Person. Wenn gemeint ist, dass Jesus aus eigener Kraft aufersteht, auferstehen kann, dann hätte er wohl selbst sein Sterben nur als Übergang erfahren und von dem letztlich guten Ausgang schon im Vorhinein gewusst (Selbsterlösung?). Wie echt ist dann seine tiefe Verzweiflung? Zutreffender ist für diesen Vorgang wohl der Begriff „Auferweckung“, als wunderbares Handeln Gottes an dem Menschen Jesus, in dem Gott eine neue Dimension als Hoffnung nach dem Tod eröffnet.
Die Auferweckung von Toten geschieht übrigens nach biblischem Zeugnis bei Jesus nicht erstmalig und singulär: Zwei Berichte sind im Alten Testament (1. Könige 17,17ff.; 2. Könige 32ff) und vier im Neuen Testament wiedergegeben (Jüngling zu Naim: Lukas 7,11ff; Tochter des Jairus: Matth. 9,18ff.; Lazarus: Joh. 11, „VIELE … wurden auferweckt“ (zusammen mit Jesus) nach Matth. 27,52ff.).

3. Artikel

Ich glaube an den Heiligen Geist,
die heilige christliche Kirche,
Gemeinschaft der Heiligen,
Vergebung der Sünden,
Auferstehung der Toten
und das ewige Leben.

Amen.

 

Statt „Auferstehung der Toten“ stand hier in der sprachlichen Fassung des Bekenntnisses von 1950 noch „Auferstehung des Fleisches“ – eine problematische Vorstellung, die man durch die danach erfolgte sprachliche Korrektur zu vermeiden suchte.


Überhaupt nicht aufgenommen wurden im christlichen Bekenntnis (nicht nur im Apostolischen, sondern z.B. auch im Nizäno-Konstantinopolitanischen Bekenntnis) Aussagen zum Leben Jesu, die für viele Glaubende beispiel- und vorbildhaft sind für eine Nachfolge in dieser Welt. Viele Christen möchten auch etwas weitersagen und weiterleben von den provozierenden Anregungen, die Jesus in und mit seinem Leben für ein schöpfungsfreundliches, menschenfreundliches und menschenwürdiges Dasein im Alltag in dieser Welt gegeben hat. Das apostolische Bekenntnis geht von der Geburt direkt weiter zum politischen Prozess gegen Jesus, seinem Tod und der Auferweckung. Seine in den Evangelien ausführlich geschilderte, durchaus alternative Lebensweise und die von ihm verkündigten Lebensweisheiten (Bergpredigt, Gleichnisse) haben im Bekenntnistext keine Spuren hinterlassen.
“Nachfolge, dieser Begriff kommt im apostolischen Glaubensbekenntnis gleich einmal gar nicht vor, ebenso wenig wie Nächstenliebe, Achtung gegenüber Kindern, friedliches Miteinander, Gewaltlosigkeit in Denken und Tun, glaubwürdige Lebensweise, Verzicht, Wahrhaftigkeit, barmherziger Umgang untereinander, solidarisches Handeln, Liebe zur Schöpfung usw.“ [5]


Ist es angesichts so vieler Fragezeichen nicht längst Zeit, sich nach 1600 Jahren erneut zu verständigen, welche Aussagen zum Glauben angesichts heutiger Herausforderungen / Fragestellungen gemacht werden müssen, und wie sie zeitgemäß - d.h. für heute lebende (auch nicht-glaubende) Menschen verständlich und nicht im Widerspruch stehend zum modernen Weltbild -  formuliert werden können?

 


2. Beispiel: Augsburger Bekenntnis

Noch heute gehört das Augsburgische Bekenntnis von 1530 in vielen reformatorischen Kirchen zu den wichtigsten und verbindlichen Glaubenszeugnissen.
Auch dieses Bekenntnis ist in einem zeitbedingten Umfeld entstanden, gibt Antworten auf Fragen, die sich in den Auseinandersetzungen um die Reformation stellten, fordert aber auch 500 Jahre später zum Fragen heraus.
Auf dem Reichstag in Augsburg 1530 sollte den Reformatoren (und den Katholiken) Gelegenheit gegeben werden, ihr Bekenntnis darzulegen. Kurfürst Johann von Sachsen beauftragte Philipp Melanchthon, eine Verteidigungsschrift (Apologie) der Reformation zu verfassen. Als Grundlage der „Confessio Augustana“ dienten die von Luther verfassten Schwabacher Artikel, ein Bekenntnis der lutherischen Reformation gegen Ulrich Zwingli, und die Torgauer Artikel. Die Schrift ist von Melanchthon zeitgleich sowohl auf Latein als auch auf Deutsch verfasst worden, wobei es Unterschiede zwischen den beiden Fassungen gibt. Melanchthon arbeitete an der lateinischen Fassung stilistisch bis zu letzten Minute und passte den 10. Artikel über das Abendmahl in seinem Sinne an. Bereits ein Jahr nach Veröffentlichung der Urfassung nahm er Änderungen im Text vor, um diesen auch in den Folgejahren der schnellen Entwicklung der Einsichten anzupassen. Melanchthon betrachtete die „Confessio Augustana“ zeitlebens auch als sein privates Werk, an dem Änderungen vorzunehmen er sich jederzeit berechtigt fühlte. 1540 veröffentlichte er eine deutlich veränderte Fassung, die „Confessio Augustana Variata“. Zumindest für den Zeitraum von 1540 bis 1561 war diese die offizielle, amtlich verwendete Fassung. Das lutherische Lager beschloss 1561, zur unveränderten Fassung (CA invariata) zurückzukehren. [6]
Auf zwei Artikel im Augsburger Bekenntnis[7] sei an dieser Stelle kritisch hingewiesen:

Artikel 2

Von der Erbsünde“
Weiter wird bei uns gelehrt, dass nach Adams Fall alle natürlich geborenen Menschen in Sünde empfangen und geboren werden, das heißt, dass sie alle von Mutterleib an voll böser Lust und Neigung sind und von Natur keine wahre Gottesfurcht, keinen wahren Glauben an Gott haben können, ferner dass auch diese angeborene Seuche und Erbsünde wirklich Sünde ist und daher alle die unter den ewigen Gotteszorn verdammt, die nicht durch die Taufe und den Heiligen Geist wieder neu geboren werden.
Damit werden die verworfen, die die Erbsünde nicht für eine Sünde halten …“


Viele Menschen, die sich durchaus als Christen verstehen, können heute mit der theologischen Deutungsfigur der – auch biologisch verstandenen und sexfeindlich gedeuteten - „Erbsünde“ nichts mehr anfangen.

 


Artikel 16

Von der Polizei (Staatsordnung) und dem weltlichen Regiment“
Von der Polizei ((Staatsordnung) und dem weltlichen Regiment wird gelehrt, dass alle Obrigkeit in der Welt und geordnetes Regiment und Gesetze gute Ordnung sind, die von Gott geschaffen und eingesetzt sind, und dass Christen ohne Sünde …. Übeltäter mit dem Schwert bestrafen, rechtmäßige Kriege führen, in ihnen mitstreiten … können …
Hiermit werden die verdammt, die lehren, dass das oben Angezeigte unchristlich sei. …


Todesstrafe und (gerechter) Krieg werden durch diese Aussagen gerechtfertigt und sie bestreiten Pazifisten und Friedenskirchen (z.B. Quäker, Mennoniten) faktisch bis heute ihr Christsein. In krassem Widerspruch zur Rechtfertigung des gerechten Krieges im Augsburger Bekenntnis steht die Erklärung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1948: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!“, eine Aussage, die seitdem in unzähligen kirchlichen Aussagen beschworen wurde. „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein“, sei der Grundsatz evangelischer Friedensethik, so die EKD. Jeder Einsatz militärischer Gewalt dürfe „nur im äußersten Notfall erwogen werden“. [8]

 

Was zählt nun, die Festlegungen in einem zeitbedingten Bekenntnis oder die geläuterten – ebenfalls zeitbedingten - Einsichten unserer Tage?

 


Artikel 17

„Von der Wiederkunft Christi zum Gericht“
Auch wird gelehrt, dass unser Herr Jesus Christus … die gottlosen Menschen aber und die Teufel in die Hölle und zur ewigen Strafe verdammen wird.

 

„Gottlose Menschen“, das sind im modernen Sprachgebrauch Atheisten (die „ohne Gott“ leben), d.h. Menschen, die von Gott nie gehört haben (Leben auf einer einsamen Insel), Gott nicht kennen, die mit der Vorstellung von einem Gott nichts anfangen können oder die ihn ablehnen. Sie werden gleichgesetzt mit Teufeln (was ist das? Plural?) und verdammt zu ewiger Strafe …

 

 


3. Beispiel: Das Athanasische Glaubensbekenntnis

 

Das in vielen Kirchen auch heute noch anerkannte „Athanasische Bekenntnis“ [9] (formuliert um 500) beinhaltet ebenfalls Vorstellungen, die nachdenklich machen:

 

„ … Bei seiner Ankunft werden alle Menschen mit ihren Leibern auferstehen und über ihre Taten Rechenschaft ablegen.

Und die Gutes getan haben, werden ins ewige Leben eingehen, die Böses [getan haben], in das ewige Feuer. …“

 

Es betont damit die Auferstehung aller Menschen (nicht nur exklusiv der Christen!) mit ihren Leibern (die ursprünglichen Atome, aus denen der Körper bestand, würden also wieder zusammenfinden …). Und das ewige Leben kann ausdrücklich durch gute Taten erlangt werden – entgegen der lutherischen Rechtfertigungslehre …

 

 


4. Das Lutherische Taufbüchlein

 

Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche (BSLK) sind eine Sammlung von Bekenntnistexten aus dem 16. Jahrhundert, die in Folge der Reformation Martin Luthers entstanden. Sie sind im Wesentlichen mit dem sogenannten Konkordienbuch identisch. …
Darunter befinden sich auch „Anhänge zum Kleinen Katechismus (Martin Luthers)“, u.a. … das Taufbüchlein Luthers von 1526. Das Taufbüchlein enthält Erklärungen zur Taufe und deren liturgische Ausführung. Anders als in modernen Taufformularen findet sich hier sowohl der sogenannte „Kleine Exorzismus“ als auch der „Große Exorzismus“, die der eigentlichen Taufe vorangehen. Luther betont dadurch, dass die Taufe tatsächlich den Wechsel aus dem Machtbereich des Teufels in den Machtbereich Gottes bewirkt. Die Formeln lauten: „Fahre aus Du unreiner Geist und gib Raum dem heiligen Geist“ bzw. „Ich beschwöre Dich, Du unreiner Geist, bei dem Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, dass Du ausfahrest und weichest von diesem Diener Jesu Christi.“ Dazu wird jeweils das Kreuzzeichen geschlagen.[10]

Im Wortlaut steht da:

„Darum wolltest du bedenken, wie gar es nicht ein Scherz ist, wider den Teufel handeln und denselben nicht allein von dem Kindlein jagen …
Der Täufer spreche:
Fahre aus, du unreiner Geist! und gib Raum dem heiligen Geist. …
Ich beschwöre dich, du unreiner Geist, bei dem Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes, dass du ausfahrest und weichest von diesem Diener Jesu Christi Amen. …“[11]

 


Was würden religiös empfindsame Menschen HEUTE als ihr Glaubensbekenntnis formulieren? Ihnen ginge es wohl nicht (vorrangig) um Jungfrauengeburt, Auferstehung, Himmelfahrt, Hölle, …

 

 



[1] Der Sonntag, Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, Nr.34, 21.8.2011

[2] Das Apostolische Glaubensbekenntnis, zitiert in der sprachlich überarbeiteten Fassung im Evangelischen Gesangbuch, Ausgabe für die Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, Leipzig 1994, S.804

[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Jungfrauengeburt gelesen 28.8.2011

[4] Das Apostolische Glaubensbekenntnis, Evangelisches Gesangbuch, Ausgabe für die Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, 1950, Anhang, Der Kleine Katechismus, Seite 68f.

[5] Christoph Kleemann, Leserbrief

[6] Vergleiche http://de.wikipedia.org/wiki/Confessio_Augustana gelesen 20.8.2011 und http://de.wikipedia.org/wiki/Bekenntnisschriften_der_evangelisch-lutherischen_Kirche gelesen 20.8.2011

[7] Das Augsburger Bekenntnis, zitiert in der sprachlich überarbeiteten Fassung im Evangelischen Gesangbuch, Ausgabe für die Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, Leipzig 1994, S.807ff.

[8] http://www.ekd.de/aktuell_presse/news_2003_01_24_4_ekd_rat_irakkrieg.html gelesen 15.12.2011

[9] http://de.wikipedia.org/wiki/Athanasisches_Glaubensbekenntnis gelesen 16.12.2011

[10] http://de.wikipedia.org/wiki/Bekenntnisschriften_der_evangelisch-lutherischen_Kirche gelesen 16.12.2011

[11] http://www.glaubensstimme.de/doku.php?id=autoren:l:luther:d:das_taufbuechlein gelesen 16.12.2011