weitere
infos glaube und naturwissenschaft
FAKTEN – QUELLEN – ZUSAMMENHÄNGE
Wissen – Glauben – Zweifeln
Naturwissenschaft
und Religion – Theologie (auch jüdische Überlieferung) – Religionskritik –
Kreationismus – Evolution – Kosmologie – Chaosforschung …
zusammenstellung:
joachim krause, hauptstr. 46, 08393 schönberg, tel. 03764-3140
(Ergänzungen:
A) eine weitere Sammlung von
Quellen und Zitaten zum Themenbereich „Naturwissenschaft – Philosophie –
Religion“ wurde im Zusammenhang mit einer Schulbuchstudie
angelegt – bitte HIER klicken http://www.krause-schoenberg.de/SB30A_schulbuchanalyse_zitatensammlung.htm
B) Zitate von bekannten Naturwissenschaftlern zum Verhältnis von
Glaube und Naturwissenschaft finden Sie in der Sammlung „Wenn Naturwissenschaftler von Gott reden …“ bitte HIER klicken http://www.krause-schoenberg.de/SB17_nwler_und_gott.htm
C) Eine ausführliche Sammlung von Zitaten von Charles Darwin aus seinen Büchern und Briefen finden
Sie HIER: http://www.krause-schoenberg.de/SB22_zitate_darwin.htm
D) Eine Sammlung von Zitaten von Ernst Haeckel aus seinen Büchern
„Die Lebenswunder“ und „Die Welträthsel“ finden Sie HIER: http://www.krause-schoenberg.de/SB37_haeckel_zitate.htm
begonnen:
Anfang 2005 (wenige ältere „Funde“ am Anfang der einzelnen Kapitel)
abgeschlossen mit Stand von Januar 2018
die neuesten
Eintragungen finden Sie jeweils am Ende der einzelnen Themenbereiche farbig
gekennzeichnet
(Die folgende Materialsammlung können Sie auch als
PDF-Datei downloaden)
Einzelbereiche hier direkt anklicken:
·
Naturwissenschaft allgemein, Wissen, Erkenntnis
·
Biologie
·
Physik
·
jüdische Theologie; Judentum
·
Islam
·
zum Verhältnis von Glaube und
Naturwissenschaft
·
Kreationismus,
Intelligent Design
·
Religiosität,
Religionen, (andere) Religionen
· glaubenskritisch: Zweifler, Atheisten, Agnostiker, Unitarier
·
Eugen Drewermann:
Schöpfungstheologie (Zitate aus 3 Büchern)
Naturwissenschaft
allgemein, Wissen, Erkenntnis
·
Unsere Intuition (unser „ratiomorpher
Apparat“) ist auf eine Welt der mittleren Dimensionen, auf den Mesokosmos
geprägt. Welt der mittleren Dimensionen: mittlerer Entfernungen und Zeiten,
kleine Geschwindigkeiten und Kräfte, geringe Komplexität;
Naturgesetze sind (Beschreibungen von) Regelmäßigkeiten im Verhalten realer
Systeme.;
manche Naturgesetze inzwischen als nur näherungsweise oder eingeschränkt gültig
erkannt (Galileis Fallgesetze, Keplers Planetengesetze, Newtons
Gravitationsgesetz);
In gewissem Sinne gehören alle Naturgesetze, die wir kennen, zu den
Randbedingungen eben dieses Kosmos.;
Zufallsprozesse (warum der Mond bei einer Mondfinsternis die Sonne genau
abdeckt, warum ein Kind die Augenfarbe der Mutter, aber die Haarfarbe vom Vater
hat, warum ein freies Neutron jetzt zerfällt);
1875 fragt ein Abiturient den Physikprofessor Jolly in München, ob er Physik
studieren solle, Jolly rät ab: dort gebe es nichts wesentlich Neues mehr zu
entdecken, der junge Mann studiert doch Physik und wird zum Urheber der wohl
größten Revolution, welche die Physik je erlebt hat, der Quantenmechanik, er
heißt Max Planck;
Die Kosmologie ist ein Teil unserer Kultur wie die Musik – und macht wie sie
Spaß (Kippenhahn);
(Gerhard Vollmer: Wieso können wir die Welt erkennen?, Hirzel Stuttgart 2003,
S.21, 149, 151, 162, 173f, 284, 295)
·
alle Wissenschaft ist fehlbar,
vorläufig, hypothetisch;
notwendige Kriterien zur Beurteilung von Theorien: Zirkelfreiheit,
Widerspruchsfreiheit, Erklärungswert, Prüfbarkeit, Testerfolg; wünschbar
darüber hinaus: Einfachheit, Anschaulichkeit, Breite, Tiefe, Lückenlosigkeit,
Präzision, Axiomatisierbarkeit, Anwendbarkeit ...; siehe ausführlicher auch S.
101;
alle diese Kriterien reichen nicht aus, die einst erträumte Sicherheit
wissenschaftlicher Erkenntnis wiederherzustellen, sie können aber doch dazu
dienen, wissenschaftliche Hypothesen als zulässig und bewährt, sogar als
zuverlässig oder vertrauenswürdig auszuzeichnen;
Selbst ein so gut bewährter, bisher nie widerlegter und in die gesamte
Naturwissenschaft eingebundener Satz wie der Energiesatz könnte sich eines
Tages doch als falsch erweisen. Auch Behauptungen über Unmögliches stehen
deshalb grundsätzlich unter dem Vorbehalt möglichen Irrtums.;
Biologie liefert keine moralischen Normen. Falsch wäre es, alle Forschung
verbieten zu wollen, weil deren Ergebnisse möglicherweise einmal missbraucht
werden könnten. Es lässt sich ganz klar und knapp sagen, was dabei von der
Wissenschaft übrig bliebe: nichts. Auch Mathematik wird angewandt, und selbst
die vermeintlich so unschuldigen Primzahlen finden in Codierungssystemen
praktische und sogar militärische Verwendung... Aus Fakten (der
Erfahrungswissenschaften) lassen sich Normen nicht gewinnen ...
naturalistischer Fehlschluss: allein aus der Tatsache, dass ein Verhalten sich
in der Evolution herausgebildet und somit bewährt hat, folgt beispielsweise
noch nicht, dass es gut oder richtig wäre. Das Natürliche ist nicht automatisch
auch schon das Richtige.;
der Vermutungscharakter allen Tatsachenwissens, auch der wissenschaftlichen
Erkenntnis;
Wirklichkeitserkenntnis ist eine adäquate (innere) Rekonstruktion und
Identifikation äußerer Objekte.;
Die realen Objekte werden – durch Licht, Schallwellen, chemische Substanzen,
Wärmestrahlung oder Gravitationsfelder –projiziert auf unsere Sinnesorgane, die
meist auf der Körperoberfläche liegen. Auch technische Geräte, Beobachtungs- und
Messinstrumente, Fernrohre, Mikrophone, Thermometer, Kompass oder Geigerzähler,
dienen lediglich der Verbreiterung dieses Projektions-„Schirmes“, der
Übersetzung von Projektionssignalen in solche, die unser natürlicher Apparat
verarbeiten kann.;
Unser Gehirn ist freilich nicht als Erkenntnisorgan, sondern als
Überlebensorgan entstanden.;
(Gerhard Vollmer: Biophilosophie, Reclam Stuttgart, 1995, S.38, 53, 55, 100,
108, 111, 128)
·
Naturwissenschaften sind trotz einer
Menge gesicherter Messdaten nicht im Besitz eines kompletten Wissens über die
Entstehung und Entwicklung des Universums. Es klaffen noch gewaltige Lücken.
Die Erkenntnisse über unseren Kosmos finden ihren Niederschlag vielmehr in
einer Vielzahl von Hypothesen und Theorien, welche die Abläufe möglichst genau
zu beschreiben versuchen. Allerdings unterliegen diese Theorien strengen
Kriterien:
- ihre Aussagen müssen den fundamentalen Gesetzen des Mikro- und Makrokosmos,
der Teilchenphysik, der Quantenphysik und der allgemeinen Relativitätstheorie
genügen
- sie müssen das gegenwärtige Erscheinungsbild des uns zugänglichen Universums
im Einklang mit den Beobachtungs- und Messergebnissen der Astronomen qualitativ
und quantitativ eindeutig erklären lassen;
eine Theorie verliert sofort ihre Gültigkeit, sobald sich aufgrund neuer
Erkenntnisse oder Messergebnisse einer ihrer Prozesse als falsch erweist
(Lesch/Müller: Big Bang zweiter Akt – Auf den Spuren des Lebens im All,
Bertelsmann München 2003, S.91)
·
Manche der vorgebrachten Ansichten
sind höchst spekulativer Art und einige werden sich sicherlich als irrig
erweisen; aber ich habe in allen Fällen die Gründe angeführt, welche mich mehr
zu der einen oder der anderen Ansicht veranlassten. ....
unrichtige Ansichten, die einigermaßen von Beweisen unterstützt werden, können
nur wenig schaden, denn jedermann findet ein heilsames Vergnügen darin, ihre
Unrichtigkeit zu erproben. Und ist dies geschehen, so wird dadurch der Weg zum
Irrtume verlegt und oft auch gleichzeitig ein Weg zur Wahrheit geöffnet;
(Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die Zuchtwahl in
geschlechtlicher Beziehung, Reclam Leipzig o.J., Bd. II - S.409)
·
Grundprobleme der Menschheit – noch
immer ungelöst:
Wie entstand das Universum?
Woher kommt das Leben?
Was ist Bewusstsein?
(GEO 9/1999 S.144)
·
Einstein: „Naturgesetze sind freie
Erfindungen des menschlichen Geistes.“;
Sie müssen sich aber bewähren, treffende Vorhersagen machen und Beobachtungen
erklären.
(bdw 12/2003 S.47)
·
... Forschungen auf dem Gebiet der
Naturwissenschaften, die in den letzten Jahrhunderten so bedeutsame Ergebnisse
erbracht und damit einen echten Fortschritt der gesamten Menschheit gefördert
haben
(Fides et ratio, Enzyklika von Papst Johannes Paul II. vom 14.9.1998, Bonn,
S.30)
·
dass es in der Regel nicht die
Beobachtungen sind, die sich in der Entwicklung der Wissenschaften als falsch
erweisen, sondern fast immer nur die hinzugefügte Erklärung;
eine für sich allein stehende Theorie läuft eher Gefahr, widerlegt zu werden;
Theorien gewinnen nur mit und innerhalb von Theorien bestimmte Grade von
Gewissheit (System der irdischen Mechanik und Gravitation von Galilei und
Newton); meist werden (isolierte, nicht in Systeme eingebundene)
„Mikrotheorien“ entwickelt, um den eigenen Beobachtungen den Status von
Wissenschaftlichkeit anzudichten;
Theorie von allem? von unserem Erfahrungsbereich (mittlere Dimensionen) aus
zwei Theoriegebäude - zum Kosmos und zu den Quanten, die sich bisher nicht
zusammenführen lassen;
gibt es ewige Gesetze, die (schon) immer wirken, oder treten sie erst auf
bestimmten Stufen der Entwicklung in die Wirklichkeit ein (physikalische früher
als biologische)?
(Rupert Riedl: Zufall, Chaos, Sinn; Kreuz Stuttgart 2000, S.174ff.)
·
Naturgesetze sind nicht zeitlos
gültig, gebunden an die Existenz bestimmter Bedingungen, es gibt kein
Naturgesetz ohne Anwendungsbereich,
(Dürr HP u.a.: Gott, der Mensch und die Wissenschaft, Augsburg 1997, S.51,)
·
erinnern uns Wissenschaftler immer
wieder daran, dass das „Gesetz“ von Ursache und Wirkung ein „Glaubensartikel“
ist;
Naturwissenschaft: nicht letzte Wahrheiten, Suche nach tieferem Verständnis der
Natur, kein Urteil, sondern „Standardmodell“ als von den meisten Experten
derzeit akzeptierter Sachstand, approximative Theorien (funktionieren in
manchen Bereichen zufriedenstellend), effektive Theorien (damit kann man ganz
gut arbeiten);
Werner Heisenberg: „Auch in der Naturwissenschaft ist also der Gegenstand der
Forschung nicht mehr die Natur an sich, sondern die der menschlichen
Fragestellung ausgesetzte Natur“;
Religion, Kunst, Philosophie, Musik, Dichtung, Literatur;
die Künste und die Geisteswissenschaften haben die Grenzen der menschlichen
Erfahrung erweitert und uns Einsichten und Erklärungen vermittelt, denen
unverkennbar Wahrheit anhaftet, sie befassen sich mit dem Unerklärlichen,
Abseitigen, Nichteinordenbaren, Unvorhersehbaren, Sinnlosen, Einmaligen,
Einzigartigen, Wunderbaren, Absurden und Irrationalen;
Hawkings Theorien: er selbst bezeichnet es nicht einmal als Theorie, nur als
Vorschlag; es ist ein spektakuläres, wildes Phantasiegebilde
(Kitty Ferguson: Gott und die Gesetze des Universums, Econ Düsseldorf 2002,
S.29,47,67,120,169)
·
Die Naturwissenschaften spiegeln nicht
die Natur, sie zeigen nicht das, was sichtbar ist. Sie erklären etwas, das wir
sehen (wie ein Apfel fällt) durch etwas, was wir nicht sehen (Schwerkraft der
Erde); Die Naturwissenschaftler bringen im Bereich des Sichtbaren Fenster an,
um uns die Möglichkeit zu geben, die Natur in diesem Rahmen zu durchschauen.
(EP Fischer: Die andere Bildung – was man von den Naturwissenschaften wissen
sollte, Ullstein 2003, S.17)
·
Bacon: Wissen ist Macht – dialektisch:
Ich kann mir die Natur unterwerfen, wenn ich mich zuvor der Natur unterwerfe
(Subjekt von subicere = unterwerfen);
der Naturwissenschaftler muss sich (oft) den sinnlichen (augenscheinlichen)
Zugang zur Welt untersagen, die Weltbeschreibung ist dann aber nicht mehr
sinn-voll; Spaltung zwischen der sinnlichen und der begrifflichen Erkenntnis:
ich sehe zwar, wie sich die Sonne dreht, weiß aber, dass sich die Erde dreht, und
zwar um sich und um die Sonne; die Drehung der Erde um die Sonne nachzuweisen,
wurde erst Mitte des 19. Jh. möglich
(anderer Ort am Himmel zu verschiedenen Jahreszeiten messbar);
wird die materiell gegebene Wirklichkeit durch vier Qualitäten charakterisiert,
die als Raum, Zeit, Energie und Masse bekannt sind, hängen eng zusammen
(Einstein), entspringen dem Urknall; Altertum und Alchemisten sahen die
Realität durch vier Elemente bestimmt: Feuer, Wasser, Luft und Erde, die als
Zustandsformen einer Ursubstanz gedacht wurden (prima materia);
Umwertung der wissenschaftlichen Werte um 1900 (165):
vor 1900 nach 1900 Beispiel
------------------------------------------------------------------------
Objektivität Subjektivität Bahn eines Elektrons
Eindeutigkeit Doppeldeutigkeit Natur des Lichtes
Stetigkeit Unstetigkeit Quantum der Wirkung
Anschaulichkeit Unanschaulichkeit Spin eines Elektrons
Bestimmtheit Unbestimmtheit Ort eines Photons;
(EP Fischer: Die andere Bildung – was man von den Naturwissenschaften wissen
sollte, Ullstein 2003, S.36,53,58,96)
·
Prinzip des Aktualismus (in der
Geologie): Wissenschaftler gehen davon aus, dass bestimmte geologische Prozesse
seit jeher von den gleichen chemischen und physikalischen Gesetzen gesteuert
werden (z.B. Ähnlichkeiten in der Ablagerung von Sandstein) (167)
wissenschaftliche Methode: fünf Schritte:
1. Beobachtung
2. Hypothesenbildung
3. Experiment
4. Schlussfolgerung und Theorienbildung
5. Veröffentlichung der Ergebnisse (530)
(Detlev Ganten u.a.: Leben., Natur, Wissenschaft; Eichborn Ffm. 2003)
·
Eine Theorie ist eine Menge von
systematisch geordneten Aussagen über einen Bereich der Wirklichkeit, die
sowohl erklärende (explikative) als auch voraussagende (prognostische) Funktion
hat.
Eine wissenschaftliche Theorie zeichnet sich dadurch aus, dass sie, mindestens
im Prinzip, widerlegbar ist. Sie muss ein Falsifikationskriterium enthalten,
oder ein solches muss aus ihr ableitbar sein. (7)
Die Qualität einer Theorie bemisst sich nicht nur nach dem
Falsifikationskriterium, auch nicht ausschließlich nach dem Grad der
Bewährtheit (wie vielen Widerlegungsversuchen sie standgehalten hat), sondern
auch nach
- dem Erklärungsgehalt: wie viele schon bekannte Tatsachen sie in sich
aufnehmen kann
- der Plausibilität: mit wie vielen bewährten bzw. allgemein akzeptierten
Theorien sie kongruent ist und
- der Parsimonität: „Sparsamkeit“, d.h. wie viele Zusatzannahmen sie
erforderlich macht. (9)
Die Erforschung der Geschichte ist der Versuch einer Rekonstruktion von
einmaligen Ereignissen, die sich in der Vergangenheit abgespielt haben. Für
solche Rekonstruktionsarbeit gibt es keine echte Testbarkeit. Evolutionslehre
sowie Geschichtsforschung haben nach Poppers Definition von Wissenschaft als
Metaphysik zu gelten. (11)
Eine Theorie wird nicht durch das Aufzeigen von Erklärungslücken, sondern nur
durch das Aufzeigen von Widersprüchen widerlegt (19)
(Deutsches Inst. f. Fernstudien Uni Tübingen, Fernstudium Naturwissenschaften,
Evolution der Pflanzen- und Tierwelt, 3. Theoretische Grundlagen, 1986)
·
Ohne die Maxwellschen Gleichungen der
Elektrodynamik hätten wir weder Radio- noch Röntgengeräte, ohne Albert
Einsteins Relativitätstheorie weder GPS noch Satelliten-Wetterbilder, und ohne
die Schrödinger- und Dirac-Gleichung in der Quantenmechanik weder CD-Spieler
noch Kernspin- und Positronen-Emissions-Tomografie zur Diagnose von
Erkrankungen und zur Abbildung von Hirnaktivitäten. ...
Mit Hilfe von Naturgesetzen beschreiben, erklären, prognostizieren und
verändern wir die Welt äußerst erfolgreich. ...
Mindestens das Folgende können Naturgesetze leisten – und darin liegt auch ein
Erfolgsgeheimnis der modernen Naturwissenschaft:
- allgemeine Anwendbarkeit durch den hohen Informationsgehalt als Allaussagen
(im Gegensatz zu umständlichen, situationsspezifischen Einzelaussagen mit
unzähligen Ausnahmen)
- sparsame, redundanzfreie Beschreibung von Erfahrungen
- Systematisierung von Beobachtungen
- Erklärung von Erscheinungen
- Prognose künftiger Entwicklungen
- Verständnis unseres Lebensraums (Weltorientierung)
- Einbettung in Theorien, die allesamt die zuvor angeführten Punkte ebenfalls
erfüllen ...
(bdw 12/03 S.40)
·
naturalistischer Fehlschluss: bei dem
zu Unrecht aus der Tatsache, dass etwas natürlich sei, abgeleitet wird, dass es
auch (moralisch) legitim sei (91)
(Detlev Ganten u.a.: Leben., Natur, Wissenschaft; Eichborn Ffm. 2003)
·
Komplementarität (von completum = das
Ganze): besagt allgemein, dass ein Phänomen (etwa das Licht) umfassend und in ganzer
Fülle nur durch zwei Aspekte verstanden werden kann, die sowohl zusammengehören
als auch widersprüchlich sind, für jede Erscheinung gibt es Erklärungen, die
gegensätzlich sind und trotzdem gleichberechtigt, die komplementären Theorien
einer Sache sind jeweils richtig, aber keine von ihnen allein erfasst die
Wahrheit, das können sie nur gemeinsam;
die Eigenschaften von Elektronen bzw. Photonen bleiben solange unbestimmt, bis
jemand nach ihnen fragt und das entsprechende Experiment macht (182)
Unbestimmtheitsrelation (nicht: Unschärferelation aus der Rückübersetzung von
uncertainty): bei der Ortsmessung von Teilchen müssen Photonen zur Beobachtung
benutzt werden, die stoßen das Teilchen an einen anderen Ort bzw. es hat eine
andere Geschwindigkeit als vorher (182);
Leben: Vermehrung, Stoffwechsel betreiben, auf Umwelt reagieren (274)
(EP Fischer: Die andere Bildung – was man von den Naturwissenschaften wissen
sollte, Ullstein 2003, S.179)
·
Metaphysik war zunächst eine
werktechnische Bezeichnung für jene Schriften des Aristoteles, die man „hinter
die Physik“ reihte, und wurde zur Bezeichnung jener philosophischen Disziplin,
die nach den uns grundlegend erscheinenden Dingen „jenseits“ des uns physisch
zugänglichen fragt: nach Sein und Nichts, Werden und Vergehen, Wesen und
Wirklichkeit, Wahrheit und Wert, Natur, Seele, Geist und Gott;
Bertalanffy hat darauf aufmerksam gemacht, dass erst mit der Vielzelligkeit der
Tod in die Welt gekommen ist, mit dem Nervensystem der Schmerz, mit dem
Bewusstsein die Angst und mit dem Besitz die Sorge;
Wissenschaft: fachlich ist sie durch Forschung, Lehre und Literatur methodisch
gewonnenes und geordnetes Wissen; mit dem Wunsch verbunden, das Erkannte und
Geordnete auf Erklärungen zurückzuführen;
Vereinbarung, die Ergebnisse offen zu legen
(Rupert Riedl: Zufall, Chaos, Sinn; Kreuz Stuttgart 2000, S.16,24,168)
·
Die klassische Formulierung der These
von der Wertfreiheit der Wissenschaft geht auf Max Weber zurück: „Eine
empirische Wissenschaft vermag niemanden zu lehren, was er soll, sondern nur,
was er kann“.;
Kosmos: „Schmuck“, etwas, das hergestellt war, das jemand gemacht haben musste;
die Ordnung der Welt kann auf Gott hin deuten, sie ist dafür offen;
Methode der Naturwissenschaft: Beobachter strikt vom Objekt trennen, Vorgänge unter
genau definierten Bedingungen beliebig oft wiederholen, mathematische
Formulierung der Gesetze, nachprüfbare Prognosen
(Dürr HP u.a.: Gott, der Mensch und die Wissenschaft, Augsburg 1997,
S.26,34,41)
·
Dreiphasenregel: dass neue Einsichten
zunächst totgeschwiegen, dann bis aufs Messer bekämpft und schließlich für
selbstverständlich genommen werden
(Rupert Riedl: Zufall, Chaos, Sinn; Kreuz Stuttgart 2000, S.173)
·
(16) Im Mittelalter fragte man vor
allem final: Wozu ist ein Ding da? In der Neuzeit fragt man vor allem kausal:
Warum ist ein Ding so, wie es ist? Wie ist es beschaffen, woraus besteht es,
und welchen Gesetzen gehorcht es? Will man wissen, was alles ist, muss man
wissen, wie alles geworden ist.;
(28f) von Heisenberg formuliertes Gesetz der Unschärfe- oder
Unbestimmtheitsrelation. Wenn man weiß, wo ein Elektron ist (Ort), kann man
nicht wissen, was es tut (Impuls) ... Ort und Impuls eines Teilchens können
nicht gleichzeitig gemessen werden, da die Messung verschwimmt und daher
„unscharf“ wird. Die aufregende Entdeckung: Hier gibt es keine physikalische
Gewissheit, sondern nur statistische Wahrscheinlichkeit. Die Konsequenz: Wenn
es unmöglich ist, den gegenwärtigen Zustand eines Objekts genau (im klassischen
Sinn) zu messen, lässt sich auch seine Zukunft nicht exakt voraussagen. Der
Zufall ist so ein mit der Quantentheorie notwendig verbundenes Element, das
auch durch genauere Beobachtungen nicht eliminiert werden kann.
Aus diesem Grund führte Einstein, wiewohl er ihr schon 1905 mit seiner genialen
Lichtquantumhypothese vorgearbeitet hatte, einen hartnäckigen Kampf gegen die
Quantentheorie: „Die Quantenmechanik ist sehr achtunggebietend. Aber eine
innere Stimme sagt mir, dass das doch nicht der wahre Jakob ist. Die Theorie
liefert viel, aber dem Geheimnis des Alten bringt sie uns kaum näher.
Jedenfalls bin ich überzeugt, dass der nicht würfelt.“;
(38f) Im Juli 2004 jedoch erklärt Hawking ... dass durch Fluktuationen am Rande
eines Schwarzen Loches doch Informationen austreten könne. ... Zudem revidierte
er die von ihm drei Jahrzehnte lang vertretene Auffassung, das angebliche
Verschwinden von Materie und Energie in den Schwarzen Löchern sei mit
Paralleluniversen neben unserem Universum zu erklären. Nein, die massiven
Strudel, die sich beim Zerfall von Sternen bilden, schickten die von ihnen
angesaugte Energie und Materie keinesfalls in ein Paralleluniversum. Alles
bleibe in unserem Universum und überdauere in gequetschter Form die Auflösung
der Schwarzen Löcher. „Es gibt kein Babyuniversum, wie ich einst dachte.“;
(43) Schon 1935 hatte Karl Popper in seinem einflussreichen Buch „Logik der
Forschung“ scharfsinnig die Spielregeln der Gewinnung naturwissenschaftlicher
Hypothesen und Theorien analysiert und die Grenzen der induktiven Methode in
den empirischen Wissenschaften aufgezeigt. Seine Frage: Wie kommt eigentliche
ein Forscher von einzelnen Erfahrungssätzen zu einem Theoriesystem? Wie kommt
es überhaupt zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen? Poppers verblüffende
Antwort: Gerade nicht durch Verifikation, Bewahrheitung, sondern Falsifikation,
Widerlegung. ...
auch die meisten naturwissenschaftlichen Sätze sind empirisch nicht
verifizierbar ...
“Auch die Naturgesetze sind auf elementare Erfahrungssätze logisch nicht
rückführbar.“;
(44) Das alte Wissenschaftsideal, das absolut gesicherte Wissen, hat sich als
Idol erwiesen, oder positiv gesagt: Jeder wissenschaftliche Satz ist vorläufig;
er kann sich bewähren – aber jede Bewährung ist relativ.;
(49) Es gibt selbst für einfache Gegenstände wie Tisch oder Fahrrad nicht nur
eine, die physikalische, sondern mehrere Erklärungsebenen (auch die funktionale
z.B.);
... Diskussion um eine „Theorie für alles“, die, genau besehen, nur eine
Theorie für alles Physikalische ist und wenig für das Verständnis Shakespeares,
Händels oder auch Newtons beiträgt.;
(50) Bei aller Vielschichtigkeit der Wirklichkeit wird man die verschiedenen
Wirklichkeitsschichten nie zu schlechthin verschiedenen Wirklichkeiten erklären
dürfen. Bei aller Vieldimensionalität der Wirklichkeit wird man in den
verschiedenen Dimensionen die Einheit nicht übersehen dürfen
....
(daher Dualismus kritisch zu sehen);
(51) Ob Physiker oder Philosoph .... jeder Mensch hat es mit mehr als der
Vernunft zu tun: mit Wollen und Fühlen, Phantasie und Gemüt, Emotionen und
Passionen, die nicht einfach auf Vernunft reduziert werden können.;
(52) Wissenschaftlicher Fortschritt ist längst nicht immer humaner
Fortschritt.;
(92) Mikro- wie Makrokosmos lassen sich letztlich nur mit Bildern, Chiffren,
Vergleichen, mit Modellen und mathematischen Formeln umschreiben. ...
Der Wirklichkeitsmodus der Kernbausteine, der Protonen und Neutronen, und erst
recht der Quarks, ihrer Ups and Downs, ist völlig ungeklärt. Die mit ihnen
verbundenen „Flavors“ („Geschmäcker“) oder „“Farben“ waren „in erster Linie
spaßhaft gemeint“ (so der „Erfinder“ der Quarks Murray Gellmann), doch dienen
„sie zugleich als eine Art Metapher“.;
(148) „de-finieren“ heißt „ab-grenzen“
(Hans Küng: Der Anfang aller Dinge, Naturwissenschaft und Religion, München
2005)
·
(450ff) Unter einer reproduzierbaren
(oder objektiven) Aussage versteht man eine Feststellung, die wiederholt in
unabhängiger Weise und von verschiedenen Personen getroffen werden kann. Um zu
ihr zu gelangen, muss die strenge Gültigkeit der Logik vorausgesetzt werden.
Dazu werden folgende Forderungen erhoben:
Unabhängigkeit vom jeweiligen Beobachter,
Unabhängigkeit von Übereinkünften,
Unabhängigkeit von Glaubens- und Wertvorstellungen und von einer Ideologie.
Diese Forderungen können letztlich nicht begründet, sondern nur plausibel
gemacht werden; sie sind die „Spielregeln“ der Naturwissenschaft. ...
Eine weitere wichtige „Spielregel“ (Grundannahme, Postulat) für die
Naturwissenschaften ist das Kausalitätsprinzip: Jeder Wirkung muss eine Ursache
zugrunde liegen und gleiche Ursachen rufen unter gleichen Bedingungen gleiche
Wirkungen hervor. ...
+ Beobachten
+ Vergleichen
+ Experimentieren (vorher Arbeitshypothese);
Eine Hypothese ist normalerweise ein (Gedanken-) Modell, das man sich von der
Wirklichkeit macht. ...
Eine Hypothese muss geprüft (Übereinstimmung des Modells mit der Wirklichkeit)
und, falls nötig, weiter verfeinert werden. Dazu werden aus der H. Vorhersagen
abgeleitet, die experimentell nachprüfbar sind. ...
Je nach Ausgang des Experiments wird die Hypothese bestätigt oder als falsch
erkannt (falsifiziert). Eine einzige objektive Aussage. die mit der Hypothese
unverträglich ist, führt zu deren Ablehnung. Dagegen kann eine H. nie endgültig
verifiziert werden (d.h. ihre Wahrheit erwiesen werden); durch jede Bestätigung
wird ihre Richtigkeit nur wahrscheinlicher ... Eine vielfach bestätigte H. hat
sich bewährt. ...
Da Hypothesen nie verifiziert werden können, folgt daraus der hypothetische
Charakter aller naturwissenschaftlichen Erkenntnis. ...
Erlaubt eine durch Beobachtung, Experiment und logische Verknüpfung der bekannt
gewordenen Einzeltatsachen Schritt um Schritt ausgebaute Hypothese die
widerspruchsfreie Einfügung vieler objektiver Aussagen und ist diese vielfach
bestätigt, so erhält sie den Rang einer Theorie. ...
Durch fortgesetzte Fehlerkorrektur hoffen wir, uns der Wahrheit zu nähern. Wir
wissen aber nicht, ab wann eine Hypothese als hinreichend bewährt angesehen
werden darf, um Theorie genannt zu werden. Theorien sind nie endgültig, sondern
immer nur richtig nach dem augenblicklichen Stand des Wissens. ...
Bewährte Theorien werden durch neue in der Regel nicht völlig umgestürzt,
sondern behalten in eingeschränktem Rahmen (als Spezialfall) ihre Gültigkeit
(Beispiel: die Newtonsche Physik geht in der umfassenderen Relativitätstheorie
auf JK). ...
Die auf den verschiedenen Gebieten aufgestellten Theorien versucht die
Wissenschaft zu einer Einheit, dem naturwissenschaftlichen Weltbild,
zusammenzufassen. Dieses Weltbild kann nur ein Teilbild der Welt sein, weil
durch die Methode der Naturwissenschaften nichtobjektive Aussagen (Glaube,
Wertvorstellungen, Ideologie) ausgeschlossen sind. Außerdem kann es nur ein
vorläufiges Bild sein, denn es gibt stets ungelöste Fragen, und alle Theorien
werden ständiger Kritik unterzogen.;
(456) Die Evolutionstheorie kann zu folgenden Fragen führen:
- Was ist der Sinn der Evolution?
- Warum hat die Evolution zum Menschen geführt, einem Wesen mit Geist, d.h. mit
der Fähigkeit zum Nachdenken und vernünftigem Handeln?
- Was steckt hinter dem, was die Naturwissenschaft als „Zufall“ beschreibt?
Solche Fragen lassen sich mit den Methoden der Naturwissenschaft nicht lösen.
Antworten darauf sind dem persönlichen Glauben überlassen.;
Willensfreiheit und Sinn des Seins vermag die Biologie nicht zu deuten.;
(457) Biologie und Ethik
Das Prinzip „Verhelfe möglichst vielen Menschen zum größtmöglichen Glück“
(Nützlichkeitsprinzip) wird als utilitaristisches Prinzip bezeichnet.;
Eine andere Grundregel, von der ausgegangen werden kann, ist das kategorische
Prinzip (Kant): „Handle stets so, dass deine Prinzipien Grundlage einer
allgemeinen Gesetzgebung sein könnten und dass du Menschen (auch dich selbst)
stets zugleich als Zweck und niemals nur als Mittel brauchst.“
Max Weber:
Verantwortungsethik: Vorhersehbare Folgen einer Handlung sind abzuschätzen und
müssen verantwortet werden. Konkrete Handlungsweisen stehen im Zusammenhang mit
der Erfahrung, dem gewonnenen Wissen, und sind veränderbar.
Gesinnungsethik: Entscheidend sind die ethischen Prinzipien, die nach ihrer
Akzeptanz vom Einzelnen nicht mehr hinterfragt werden müssen. Verantwortung
besteht allein vor dem Gewissen, das diese Prinzipien für sich anerkannt hat.;
Die Biologie kann bei der Diskussion moralischer Probleme nur darlegen, was aus
naturwissenschaftlicher Sicht der Fall ist. Die Begründung von Normen ist Sache
der Ethik.
(Linder Biologie, Lehrbuch für die Oberstufe, 21. Auflage, Metzler, Schroedel
Verlag Hannover, 1998)
·
(143) Dass es trotzdem noch Lücken (in
der Evolutionstheorie JK) gibt und wahrscheinlich immer geben wird, ist kein
Beweis gegen ihre Richtigkeit. Nur wenn eine Theorie gefunden wird, die die
Erscheinungen der lebenden Welt auf andere Weise und besser als die
Evolutionstheorie erklärt, wird die Abstammungslehre überholt sein.;
(146) Eine fundierte, lückenlose Argumentation dagegen (in der
Evolutionstheorie JK) ist aber mit gewissen Schwierigkeiten verbunden: Die
Evolutionstheorie beruht zu einem großen Teil auch auf den Voraussetzungen, die
die Geologie liefert, denn die Fossilien finden sich in geologischen Schichten,
und die Datierungsmethoden, die die Zeittafel der Evolution bestimmen, sind
Datierungsmethoden der Geologen. Diese Verfahren beruhen aber auf der Annahme,
dass die Naturgesetze, die heute wirksam sind, schon vor langer Zeit wirksam
waren. Das Prinzip wird als Aktualismus oder Aktualitätsprinzip bezeichnet und
geht auf den englischen Geologen Charles Lyell zurück, der damit zu Darwins
Zeiten die Geologie in neue Bahnen lenkte. Für uns ist dieses Prinzip heute
selbstverständlich. Es ist aber ... nicht beweisbar. Der Aktualismus ist ein
AXIOM, d.h. ein Satz, der zwar als unmittelbar einsichtig gilt, aber nicht
beweisbar ist.;
Eine Theorie wird dann widerlegt, wenn alle Erscheinungen, die sie zu erklären
versucht, durch eine andere Theorie besser erklärt werden.
(Hoff/Miram: Materialien für den Sekundarbereich II, Biologie, Evolution,
Schroedel Verlag Hannover 1993)
·
(221) In der Kosmologie ist „ein Berg
von Theorien auf einem Maulwurfshügel aus Befunden aufgebaut“ (Carr)
(Bill Bryson: Eine kurze Geschichte von fast allem, Goldmann München 2004)
·
(14) Wenn überhaupt, dann kommen bei
der Betrachtung der Lebensvorgänge weniger deterministische Gesetze in
Betracht, wie sie Kepler und Newton aufgestellt haben. Die überwiegende
Mehrzahl der natürlichen Abläufe orientiert sich an Wahrscheinlichkeiten.
Sowohl der grundlegende evolutionäre Gedanke à la Darwin als auch die
praktischen Vererbungsregeln à la Mendel sind statistischer Natur voller
Zufälligkeiten und somit alles andere als festlegend oder bestimmend. ...
Im Leben laufen keine Moleküle auf präzise geordneten und genau berechenbaren
Bahnen umher, wie es die Planeten am Himmel tun. ...
(19) dass menschliches Leben durch Attribute wie „einzigartig“ und „unnachahmlich“
charakterisiert werden kann, und gerade davon handeln die Naturwissenschaften
in ihrer traditionellen Form nicht. Sie kümmern sich vor allem um
Regelmäßigkeiten und wiederholbare Beobachtungen ...
(438) Menschen bestehen zwar aus Molekülen, Zellen und komplexer werdenden
Gebilden, aber die Formen und Möglichkeiten, die sie zuletzt zeigen, können
nicht allein aus den (naturwissenschaftlichen JK) Gesetzen erklärt werden. ...
die Entstehung des Menschen ist ein dualer – dialogischer – Vorgang wie die Bildung
des Menschen, die auf zwei Weisen ins Visier genommen werden kann – als
biologische Entwicklung und als Aneignung von Wissen, was man die Bildung von
Menschen nennen könnte.
Lebewesen und ihre Fähigkeiten lassen sich nur im Hin und Her der Ebenen – konsequent
komplementär und dadurch dialogisch – verstehen, aus denen sich die reale Welt
aufbaut bzw. aufbauen lässt. und je höher man steigt, desto wichtiger wird –
neben der Kausalität – das historische Moment.;
(439) Als die frühen Vertreter der exakten Wissenschaften im frühen 17. Jh. ihr
Ziel formulierten, mit Wissen Macht über die Natur zu gewinnen, bedeutete dies
zugleich, dass sich die Menschen den Naturgesetzen unterwerfen (subiacere)
mussten, um sie nutzen zu können.;
(448) Menschen haben sich vor allem als Subjekte entwickelt. Diese stolze
Bezeichnung mit der ursprünglichen Bedeutung des Unterwerfens weist auf die
wesentliche Tatsache hin, dass wir nicht tun können, was uns beliebt und
vielmehr von den Dingen um uns herum in dem Sinne abhängen, dass sie mit zu
unserer Bildung (Evolution) beigetragen haben.
(Ernst Peter Fischer: Die Bildung des Menschen - was die Naturwissenschaften über uns wissen;
Ullstein Berlin 2006)
·
(30) Man schätzt die Zahl der heute
lebenden Arten auf zwei Millionen. Etwa hundertmal so viele, also rund 200
Millionen, sind bereits wieder ausgestorben. Alle Arten unterscheiden sich
voneinander in mehreren Merkmalen. Es gibt also so unglaublich viele Merkmale
bei Organismen, dass eine vollständige phylogenetische Erklärung über Doppelfunktionen
nicht für alle Merkmale erhofft werden kann. In diesem Sinne wird die
Evolutionsbiologie immer unvollständig und lückenhaft bleiben.
(36) Gegenstand des wissenschaftlichen Interesses seien für den Physiker die
Naturgesetze, für den Biologen dagegen die individuellen Randbedingungen. Was
den Physiker an einem Doppelsternsystem interessiert, ist das, was es mit
anderen Doppelsternsystemen oder mit anderen gravitativ gebundenen Systemen
gemeinsam hat. Den Biologen dagegen interessiert an seinen Forschungsobjekten
gerade das Besondere, Individuelle, Einmalige; für ihn ist das Typische, das
Auffällige, das „Spezifische“ einer biologischen Spezies nicht das, was sie mit
anderen Arten verbindet, sondern das, was sie von allen Arten unterscheidet.
(Gerhard Vollmer: Die Unvollständigkeit der Evolutionstheorie, in:
Kanitscheider, B. (Hrsg.): Moderne Naturphilosophie, Würzburg 1984)
·
(49) die prinzipielle
naturwissenschaftliche Frage-, Antwort- und Präzisionsoffenheit
(Ulrich Lüke: Das Säugetier von Gottes Gnaden, Evolution-Bewusstsein-Freiheit,
Herder Freiburg 2006)
·
mit sehr seltenen Phänomenen, etwa den
Kugelblitzen, haben die Naturwissenschaftler ihre liebe Not. Und für genuine
Einzelerscheinungen – zum Beispiel für meinen
Traum gestern Nacht – sind sie schlicht nicht zuständig. Ihre Domäne
liegt dort, wo sich etwas unter gleichen Bedingungen immer und immer wieder
einstellt oder bei vielen gleichartigen Objekten – Tieren, Sternen oder
Elementarteilchen – immer wieder auftritt.
Dem Ordnen dieser nackten Beobachtungstatsachen zu Regelmäßigkeiten folgt dann
das Ordnen der Regelmäßigkeiten zu Theorien und Naturgesetzen..
... Ein Phänomenkomplex, der einem Naturgesetz zugeordnet – moderner
formuliert: durch eine fundamentale wissenschaftliche Theorie erklärt werden
kann – ist sozusagen maximal aufgeräumt.;
die Frage, ob es viele Universen gibt, wird sich schwerlich im Rahmen einer
Wissenschaft beantworten lassen, die noch irgendeinen Wert auf empirische
Überprüfung ihrer theoretischen Modelle legt. Physiker, die es dennoch
versuchen, müssen sich sagen lassen, dass das, was sie da tun, keine
Naturwissenschaft ist, sondern (bestenfalls) Naturphilosophie ...
ehrlicherweise darauf verzichten, solchen Überlegungen, und seien sie in
mathematische Formalismen gekleidet, den Anschein höherer Rationalität zu
geben;
Unser naturwissenschaftliches Weltbild muss daher immer unvollständig bleiben –
eben weil es ein naturwissenschaftliches ist.
(VW Magazin Stadtansichten ORDNUNG S.22)
·
Kant: „Sapere aude! Habe Mut, dich
deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung“
(Spiegel 20/06 S.185)
·
(8) EP Fischer:
zu jeder Zeit kennt das aktuelle Wissen Grenzen, gegen die es gezielt anrennt,
ohne angeben zu können, ob sie – als „boundery“ – zu überwinden, oder – als
„limit“ – nur zu konstatieren sind;
Beschränkungen heute zusätzlich: ethische und ökonomische Grenzen;
zu teure Geräte in der Hochenergiephysik: wenn es Theorien gibt, die sich nicht
mehr experimentell überprüfen lassen, verschwindet die Möglichkeit, sie
„wissenschaftlich“ zu bewerten;
(Spektrum der Wissenschaft Dossier „Grenzen des Wissens“, 2002)
·
(68) Thomas Henry Huxley (1825 –
1895): „Die Tragödie der Wissenschaft – das Erschlagen einer schönen Hypothese
durch eine hässliche Tatsache.“
(121) Mendel: Gene als „Atome der Vererbung“; vielleicht war die
wissenschaftliche Welt wirklich erst ab 1900 dafür reif, sich eine Welt
vorzustellen, die aus getrennten (diskreten) Teilen aufgebaut war –
Quantenhypothese Planck
(Ludwig Schultz, Hermann-Friedrich Wagner (Hrsg.): Die Welt hinter den Dingen,
WILEY-VCH Weinheim, 2006)
·
(45) der Astrologe Cardano ahnt, dass
seine Art, die Methoden offenzulegen, für die Wissenschaft nicht unbedingt
nützlich sein müsse, denn „was jedermann weiß, büßt eben deswegen in unseren
Augen an Wert ein, auch wenn es an sich wohl sehr kostbar ist. Das ist der
Grund, weshalb die Priester ihre Zeremonien gern im dunklen lassen: Wenn sie
nicht mit dem Schleier des Geheimnisses umhüllt wären, würde man sie für
wertlos halten“.
(99) Alexander von Humboldt: „Die gefährlichste Weltanschauung ist die
Weltanschauung der Leute, die die Welt nie angeschaut haben.“
(106) Mathematik war, als Gauss studierte, 1795 in Göttingen noch in die
philosophische Fakultät eingegliedert;
(212) Quantenphysik: Im Innersten der Welt sind keine Wirklichkeiten, sondern
nur Möglichkeiten, und sie nehmen erst dann ihre aktuelle Form an, wenn von
außen ein Eingriff – eine Beobachtung – erfolgt.
(223) Max Planck: „Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in
der Weise durchzusetzen, dass ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt
erklären, sondern vielmehr dadurch, dass die Gegner allmählich aussterben, und
dass die heranwachsende Generation von vorneherein mit der Wahrheit vertraut
gemacht wird.“
(Ernst Peter Fischer: Leonardo, Heisenberg & Co., Piper TB München 2004)
·
(Grenzen der naturwissenschaftlichen
Erkenntnis)
„Anfang, Ursprung“
Die Frage nach dem Anfang und Ursprung ist natürlich keine wissenschaftliche
Frage. Zwar sind viele Menschen fasziniert von den vier großen Fragen nach dem
Ursprung des Universums, des Lebens, des Menschen und des Bewusstseins, doch
diese Faszination beruht eher auf den religiösen Konnotationen dieser Fragen
als auf einem Interesse an den Antworten, die unsere Wissenschaften darauf
geben. Denn, genau gesagt, geben die Wissenschaften darauf keine Antwort. Und
das hat seine Gründe. Jede dieser Entitäten – das Universum, das Leben, der
Mensch, das Bewusstsein – existiert als solche auf der Ebene ihrer Entstehung
nur im Rahmen der philosophischen oder religiösen Fragestellung, aber nicht im
Zusammenhang einer wissenschaftlichen Realität …
Wer vom Ursprung des Universums spricht, der meint, dass es eine Zeit gab, da
das Universum seinen Anfang nahm. Dieser Ausdruck setzt voraus, dass die Zeit
außerhalb des UNIVERSUMS existiert, dass es eine absolute, gleichsam göttliche
Zeit gibt. Die Physik lehrt uns aber, dass Raum, Zeit und Materie untrennbar
miteinander verbunden sind … Für Physiker hat es deshalb gar keinen Sinn, von einem
Anfang oder Ursprung des Universums im zeitlichen Sinne zu sprechen; sie
vermögen nur die Veränderungen des bereits existierenden Universums zu
beschreiben. Ein zeitlicher „Nullpunkt“ ist nur eine Konvention, die aus
Gründen der leichteren mathematischen Behandlung eingeführt wird.
Die wissenschaftliche Erforschung des Ursprungs des Lebens konzentriert sich
auf die Bedingungen, die dessen Entstehung ermöglicht haben. Da Leben durch die
Fähigkeit definiert ist, sich zu reproduzieren, durch eine Fähigkeit also, die
das Leben bereits voraussetzt, können wir uns aus dem darin enthaltenen circulus vitiosus nur befreien, indem
wir uns den physikalischen und chemischen Eigenschaften der Grundbausteine des
Lebens zuwenden. Stehen am Anfang des Lebens einfache Moleküle? Ist die
Biologie letztlich auf die Chemie zurückzuführen? Falls man diese Frage bejaht,
verlagert sich die Frage nach dem Ursprung des Lebens in ein anderes
Fachgebiet, die Chemie. Aber hat der Begriff des Lebens dann überhaupt noch
einen Sinn?
Die beiden letzten Ursprungsfragen betreffen das Wesen des Menschen ...
Wollen wir die Frage nach der Entstehung des Menschen im Rahmen der Evolution
beantworten (an welchem Punkt der Entwicklung löste er sich von der
Abstammungslinie unserer nahen Verwandten, der großen Primaten?), müssen wir
wissen, aufgrund welchen Kriteriums wir wirklich von einem Menschen sprechen
können.
Die Frage nach dem Ursprung des Bewusstseins wiederum (ab welchem Punkt der
individuellen Entwicklung besitzt ein menschliches Wesen ein Bewusstsein, das
seine Menschlichkeit ausmacht und ihm seine Einzigartigkeit verleiht?) hat nur
dann Sinn, wenn wir genau angeben können, was „Bewusstsein“ bedeutet. …
Die Naturwissenschaft ist in ihrem Element, wenn es darum geht, Veränderungen
zu analysieren und zu verstehen; die Frage nach der Entstehung von Dingen aus
dem Nichts, der creatio ex nihilo,
bildet dagegen eine Grenze, jenseits derer die Wissenschaft keine Antworten zu
geben vermag.
„Schöpfung“
… Selbst wenn die Modelle der Kosmologie für die fernste Vergangenheit des
Universums einen Zustand vorsehen, der sich durch solch eine Dichte und so
außergewöhnliche Eigenschaften auszeichnete, dass man ihn mit dem aus der
Mathematik übernommenen Begriff der SINGULARITÄT bezeichnet, spricht doch nichts
dafür, diesen Zeitpunkt, jenseits dessen die uns vertraute Zeitvorstellung
keine Geltung mehr besitzt, mit einer Entstehung aus dem Nichts gleichzusetzen.
Auch die Singularität ist kein Schöpfungsvorgang. Den Gebrauch dieses Begriffs
müssen wir den Metaphysikern und Theologen überlassen und die Wissenschaft
bescheiden, aber auch erfreut auf den Bereich der Transformationen beschränken,
über die im Übrigen noch nicht das letzte Wort gesagt ist.
„Hypothese, Theorie“
… Die großen Umwälzungen in der Geschichte der Wissenschaft zwingen die
Forscher, sehr vorsichtig mit dem Begriff der Wahrheit umzugehen. Da der Aufbau
der Welt sich ihnen nicht a priori
erschließt, müssen sie eingestehen, dass der wissenschaftliche Diskurs über die
Welt bestenfalls eine theoretische Erklärung liefert, die für den Augenblick
Geltung beansprucht, aber jederzeit durch neue Beobachtungen und EXPERIMENTE
widerlegt werden kann.
Auch wenn eine Theorie ... ein allgemeines Weltbild darstellt, in dessen Rahmen
wissenschaftliche Methoden Anwendung finden, handelt es sich dennoch um eine
Hypothese, die man in den Rang einer Theorie erhoben hat, weil sie so umfassend
ist und so viele Fachgebiete sich in ihrem Rahmen bewegen können. Zu diesen
umfassenden Theorien gehören etwa die Darwinsche Evolutionstheorie, die Theorie
des expandierenden Universums und das Standardmodell der Quantenphysik ...
„Singularitäten in der Astrophysik“
Von einer Singularität spricht man in der Astrophysik wie allgemein in der
Physik, wenn in der mathematischen Formel, die die Realität darstellen soll,
Größen (wie Dichte, Ladung, Druck, Temperatur usw.) auftreten, die an einem
Punkt im RAUM oder in der ZEIT unendliche Werte annehmen. Diesen mathematischen
Ergebnissen kann keine physikalische Realität entsprechen, denn in der Physik
kennt man nur messbare, das heißt endliche Größen. Die Singularität verweist
daher auf eine mangelhafte Übereinstimmung zwischen Theorie und Wirklichkeit
und kann gerade deshalb äußerst fruchtbar sein, denn sie bezeichnet eine
Stelle, an der die Theorie mangelhaft und die mathematische Darstellung allzu
summarisch gegenüber der Realität ist. …
(in Modellen zur Beschreibung des Kosmos gibt es Zustände) … dass die Dichte
von Materie und Energie unendlich groß wird; solch ein Zustand hat im Universum
keinen physikalischen Sinn und kann im Universum nicht real eintreten. Es
handelt sich um eine Singularität; sie gehört für den Mathematiker nicht zur
RAUM-ZEIT, der alle übrigen Zustände angehören …
„unmöglich“
Auch wenn manche gern sagen, nichts sei unmöglich, kennt man in den
Wissenschaften doch mancherlei Unmögliches, und sei es nur dadurch bedingt,
dass jede Wissenschaft ihren Gegenstandsbereich präzise abgrenzen muss. Da
Wissenschaften niemals die Gesamtheit des Wissens über die Gesamtheit aller
Objekte in sich vereinigen, bestimmen sie durch die Abgrenzung ihres
Gegenstandbereiches stets auch jenen Bereich, über den sie mit ihren Methoden
unmöglich etwas auszusagen vermögen. Hierzu gehören z.B. alle Fragen, die den
Ursprung der Dinge betreffen.
„Widerlegbarkeit“
Oft besteht die Tendenz, das wissenschaftliche Vorgehen über die
„Verifizierbarkeit“ seiner Schlussfolgerungen zu definieren. So bezeichnet man
jede Information als wissenschaftlich, die durch Beobachtung und Experiment
bestätigt wird. Implizit bedeutet diese Sichtweise, dass der wissenschaftliche
Diskurs die Wirklichkeit der uns umgebenden Welt so objektiv und passiv wie
möglich beschreibt.
Diese Vorstellung lehnte Karl Popper ab, da für ihn keine wissenschaftliche
Erkenntnis existiert, in der sich die REALITÄT der Welt lediglich
widerspiegelt. Tatsächlich ist jede wissenschaftliche Erkenntnis eine von
unserem Verstand aufgestellte Hypothese, die wir vielfältigen Prüfungen
unterziehen, damit die Außenwelt sie widerlegt oder bestätigt. Sagt die Natur
„ja“, so ist es meist lediglich ein „vielleicht ja“. Sagt sie dagegen „nein“ –
widerlegt sie also die Hypothese -, so geschieht dies kategorisch.
(Besteht eine Theorie einen Test nicht, mag ihr Erklärungspotenzial noch so
groß sein – sie muss aufgegeben werden – bdw 12/03 S.48).
(Thesaurus der exakten Wissenschaften, Zweitausendeins Verlag, Frankfurt/Main,
2001)
·
Galilei sagte, man müsse die
Naturwissenschaft auf Dinge beschränken, die sich mit „Sinneserfahrungen und
den erforderlichen Demonstrationen“ nachweisen ließen.
(Stillman Drake: Galilei, Herder Spektrum Meisterdenker, Freiburg o.J. ISBN
3-926642-38-6, S.72)
·
(1) monistische Erkenntnistheorie ...
als die beiden einzigen sicheren Wege hatte ich „Erfahrung und Denken – oder
Empirie und Spekulation“ bezeichnet und dabei betont, dass diese beiden
gleichberechtigten Erkenntnismethoden sich gegenseitig ergänzen, dass sie
allein durch die Vernunft uns zur Wahrheit führen. Dagegen hatte ich zwei
andere, vielbetretene Wege, die angeblich direkt zur tieferen Erkenntnis
leiten, nämlich „Gemüt und Offenbarung“, als irreführend zurückgewiesen; beide
widerstreiten der „reinen Vernunft“, indem sie den Glauben an Wunder
verlangen.;
(2ff) Gustav Kirchhoff (Entdecker der Spektralanalyse): „Die Aufgabe der
Wissenschaft ist, die in der Natur vor sich gehenden Bewegungen zu beschreiben,
und zwar vollständig und auf die einfachste Weise zu beschreiben.“. Diese
Weisung hat nur dann einen Sinn, wenn man dem Begriffe „Beschreibung“ eine ganz
andere Bedeutung unterlegt, als üblich ist, d.h. wenn die „vollständige
Beschreibung“ zugleich eine Erklärung enthält. Denn alle wahre Wissenschaft
geht seit Jahrtausenden nicht auf einfache Kenntnis durch Beschreibung der
einzelnen Tatsachen, sondern auf deren Erklärung durch die bewirkenden
Ursachen. Freilich bleibt deren Erkenntnis immer mehr oder weniger unvollkommen
oder selbst hypothetisch ...;
Das Streben nach möglichster Genauigkeit und Objektivität der Beobachtung lässt
vielfach den wichtigen Anteil übersehen, den die subjektive Geistestätigkeit
des Beobachters an ihrem Ergebnis hat; das Urteilen und Denken seines Gehirns
wird gering geschätzt gegenüber der Schärfe und Klarheit seines Auges. Vielfach
ist das Mittel der Erkenntnis zum Zweck geworden. Bei der Widergabe des
Beobachteten wird häufig die objektive Photographie, die alle Teile des Bildes
gleichmäßig wiedergibt, höher geschätzt als die subjektive Zeichnung, die nur
das Wesentliche hervorhebt und das Unwesentliche fortlässt; und doch ist in
vielen Fällen ... die letztere viel wichtiger und richtiger als die erstere.
...
In dem modernen Kampfe um die Deszendenztheorie ist nicht selten der Versuch
unternommen worden, die Entstehung neuer Arten experimentell zu beweisen oder
zu widerlegen. Dabei wurde ganz vergessen, dass der Begriff der Art oder
Spezies nur relativ ist und dass kein Naturforscher eine befriedigende absolute
Definition dieses Begriffes geben kann. Nicht minder verkehrt ist es, das
Experiment auf historische Probleme anwenden zu wollen, wo alle Vorbedingungen
für sein Gelingen fehlen. ... Die Sicherheit der Erkenntnis, die wir empirisch
durch Beobachtung und Experiment gewinnen, ist direkt nur möglich in der
Gegenwart. Dagegen sind wir bei der Erforschung der Vergangenheit auf andere
Methoden der Erkenntnis angewiesen, die minder zuverlässig und zugänglich sind,
auf Geschichte und Tradition. ...
Trotzdem bleiben hier stets unzählige Pforten des Irrtums offen, da diese
Urkunden meist unvollständig sind, und da ihre subjektive Deutung oft ebenso
zweifelhaft ist wie ihr objektiver Wahrheitsgehalt.
(156) die Unmöglichkeit, historische Ereignisse überhaupt „exakt“ zu begründen
(5ff) Kant behauptete bekanntlich, dass bloß ein Teil unserer Erkenntnisse
empirisch sei und a posteriori, d.h. durch Erfahrung, gewonnen werde, dass
dagegen ein anderer Teil der Erkenntnis (z.B. die mathematischen Lehrsätze) a
priori, d.h. durch das Schlussvermögen der „Reinen Vernunft“, unabhängig von
aller Erfahrung entstehe. Dieser Irrtum führte dann weiter zu der Behauptung,
dass die Anfangsgründe der Naturwissenschaft metaphysisch seien und dass der
Mensch mittelst der angeborenen „Anschauungsformen: Raum und Zeit“ zwar einen
Teil der Erscheinungen zu erkennen, das dahinter steckenden „Ding an sich“ aber
nicht zu begreifen vermöge. ... Kants kritischer „Erkenntnistheorie“ fehlten
die physiologischen und phylogenetischen Grundlagen, die erst 60 Jahre nach
seinem Tode durch Darwins Reform der Entwicklungslehre ... gewonnen wurden. Er
betrachtete die Seele des Menschen mit ihren angeborenen Eigenschaften der
Vernunft als ein fertig gegebenes Wesen und fragte gar nicht nach ihrer
historischen Herkunft ... er dachte nicht daran, dass diese Seele sich
phylogenetisch aus der Seele der nächstverwandten Säugetiere entwickelt haben
könne. Die wunderbare Fähigkeit zu Erkenntnissen a priori ist aber ursprünglich
entstanden durch Vererbung von Gehirnstrukturen, die bei den Vertebraten- Ahnen
des Menschen langsam und stufenweise (durch Anpassung an synthetische
Verknüpfung von Erfahrungen, von Erkenntnissen a posteriori) erworben wurden.
Auch die absolut sicheren Erkenntnisse der Mathematik und Physik, die Kant für
synthetische Urteile a priori erklärt, sind ursprünglich durch die phyletische
Entwicklung der Urteilskraft entstanden und auf stetig wiederholte Erfahrungen
und darauf gegründete Schlüsse a posteriori zurückzuführen.;
(21) Als um die Mitte des 18. Jahrhunderts die Physiologie sich selbständig zu
gestalten begann, erklärte sie die Eigentümlichkeiten des organischen Lebens
durch die Annahme einer besonderen Lebenskraft (vis vitalis);
(22) Die Deszendenztheorie von Lamarck (1809) wurde ebenso totgeschwiegen wie
sein fundamentaler Grundsatz: „Das Leben ist nur ein verwickeltes
physikalisches Problem.“;
(23) Unter „Wunder“ versteht man im gewöhnlichen Sprachgebrauch sehr
verschiedene Vorstellungen. Wir nennen eine Erscheinung wunderbar, wenn wir sie
nicht erklären und ihre Ursachen nicht begreifen können. Wir nennen aber ein
Naturobjekt oder ein Kunstwerk wunderschön oder wundervoll, wenn es außerordentlich
schön oder großartig ist, wenn es die gewohnten Grenzen unseres
Vorstellungskreises überschreitet. Nicht in diesem übertragenen relativen
Begriff sprechen wir hier vom Wunder, sondern in dem absoluten Sinne, in
welchem eine Erscheinung die Grenzen der Naturgesetze überschreitet und für die
menschliche Vernunft überhaupt unerklärbar ist.;
(28) In der Philosophie blieb (im Mittelalter) ganz überwiegend die Autorität
des Aristoteles; sie wurde von der herrschenden christlichen Kirche ihren
Zwecken dienstbar gemacht.;
(35) eine „Beseelung“ der Atome ist nach meiner Überzeugung eine notwendige
Annahme für die Erklärung der einfachsten physikalischen und chemischen
Prozesse (z.B. Massenanziehung, chemische Wahlverwandtschaft JK);
(36ff) Naturalismus; Monismus
In dem streng monistischen Sinne von Spinoza fallen für uns die Begriffe von
Gott und Natur zusammen (Deus sive Natura). Ob es jenseits der Natur ein Gebiet
des „Übernatürlichen“ oder eine „Geisterreich“ gibt, wissen wir nicht.
(37) Kunst und Wissenschaft ... unsere Einbildungskraft strebt nach der
Produktion einheitlicher (geschlossener? JK) Gebilde, und wenn sie ... auf Lücken stößt, so sucht sie diese
durch Neubildungen zu auszufüllen. Solche selbständige, die Lücken der
Vorstellungskreise ergänzende Produkte ... nennen wir Hypothesen, wenn sie mit
den erfahrungsmäßig festgestellten Tatsachen logisch vereinbar sind, dagegen
Mythen, wenn sie diesen Tatsachen widersprechen;
(39) Naturwissenschaft ... betrachtet ihre Objekte ... als wirklich existierende
Dinge, deren Eigenschaften uns durch unsere Sinne ... und unsere Denkorgane ...
bis zu einem gewissen Grade erkennbar sind. Dabei sind wir uns kritisch
bewusst, dass beiderlei Erkenntnisorgane – also auch die durch sie gewonnene
Erkenntnis selbst – unvollkommen sind und dass vielleicht noch ganz andere
Eigenschaften der Organismen existieren, die uns unzugänglich sind.;
(Ernst Haeckel: Die Lebenswunder, Alfred Kröner Verlag Stuttgart 1906)
·
(11) die jetzt größtenteils bewiesenen
„kosmologischen Lehrsätze“:
1. Das Weltall (Universum oder Kosmos) ist ewig, unendlich und unbegrenzt.
(120) das Wissen (Kenntnis der Außenwelt JK) bleibt immer lückenhaft und
unbefriedigend, wenn nicht die Phantasie die ungenügende Kombinationskraft des
erkennenden Verstandes ergänzt und... entfernt liegende Erkenntnisse zu einem
zusammenhängenden Ganzen verknüpft. Dabei entstehen neue allgemeine
Vorstellungsgebilde, welche erst die wahrgenommenen Tatsachen erklären und das
„Kausalitäts-Bedürfnis der Vernunft befriedigen.“ Die Vorstellungen, welche die
Lücken des Wissens ausfüllen oder an dessen Stelle treten, kann man im weiteren
Sinne als „Glauben“ bezeichnen ... Indessen dürfen in der Wissenschaft nur
solche Hypothesen zugelassen werden, die innerhalb des menschlichen Erkenntnis-Vermögens
liegen, und die nicht bekannten Tatsachen widersprechen. ...
Die Erklärung einer größeren Reihe von zusammenhängenden Erscheinungen durch
Annahme einer gemeinsamen Ursache nennen wir Theorie. Auch bei der Theorie, wie
bei der Hypothese, ist der Glaube (im wissenschaftlichen Sinne!) unentbehrlich;
denn auch hier ergänzt die dichtende Phantasie die Lücke, welche der Verstand
in der Erkenntnis des Zusammenhangs der Dinge offen lässt. Die Theorie kann
daher immer nur als eine Annäherung an die Wahrheit betrachtet werden; es muss
zugestanden werden, dass sie später durch eine andere, besser begründete
Theorie verdrängt werden kann.
(Ernst Haeckel: Die Welträtsel, Alfred Kröner Verlag Stuttgart, 1899)
·
(16) Naturwissenschaftliche Forschung
ist ein Weg zur Erkenntnis. Sie erwächst aus unserer Neugier für uns selbst,
für die Welt und für das Universum.;
(18) Max Perutz, Nobelpreisträger: „Eine Entdeckung ist wie sich gleichzeitig
zu verlieben und nach einem anstrengenden Aufstieg den Gipfel des Berges zu
erreichen, sie ist eine Ekstase, die nicht durch Drogen hervorgerufen wird,
sondern durch die Offenbarung einer Facette der Natur, die noch nie zuvor
jemandem zuteil geworden ist.“;
Die Naturwissenschaft sucht nach natürlichen Ursachen für natürliche Phänomene.
Dadurch ist sie auf die Untersuchung von Strukturen und Prozessen beschränkt,
die sich direkt oder indirekt beobachten und messen lassen, wobei oft
technische Geräte wie z.B. Mikroskope unsere Sinne erweitern. ... Es lässt sich
naturwissenschaftlich weder widerlegen noch nachweisen, ob übernatürliche Wesen
wie Engel, Götter oder Geister für Unwetter, Regenbögen, Krankheiten und
Heilungsprozesse verantwortlich sind; solche Erklärungen liegen jenseits der
Grenzen der Naturwissenschaft.;
Aus empirischen Forschungen lassen sich mitunter weit reichende allgemeine
Schlussfolgerungen ziehen; eine solche Art von Logik bezeichnet man als
Induktion.;
(19) Hypothesen sind vorläufige Antworten auf eine Frage – also versuchsweise
Erklärungen. In der Regel handelt es sich dabei um mehr als bloße Vermutungen.
(Beispiel: Taschenlampe leuchtet nicht; Hypothese: Batterie ist leer);
(22) Verglichen mit einer Hypothese hat eine wissenschaftliche Theorie eine
viel größere Reichweite; eine umfassende Erklärung, die durch zahlreiche
Beweise (Befunde JK) gestützt wird; im alltäglichen Gebrauch setzen wir den
Begriff THEORIE eher mit Spekulationen oder Hypothesen gleich;
Naturwissenschaftliche Theorien sind natürlich nicht die einzige Möglichkeit,
Erkenntnisse über die Natur zu erlangen. ... Naturwissenschaft und Religion
sind zwei grundverschiedene Ansätze, sich mit Naturphänomenen zu befassen. Die
Kunst ist wieder eine andere Möglichkeit ... Das Lehrbuch Biologie beschreibt
das Leben aus rein naturwissenschaftlicher Sicht ...;
Forschungsergebnisse sind nutzlos, solange sie nicht mit einer größeren Gruppe
von Fachkollegen geteilt werden. Nur wer publiziert, kann eine Resonanz auf
seine Ergebnisse bekommen ... Beharren auf Nachweisen, Kontrollexperimenten und
unabhängiger Bestätigung ...
Naturwissenschaftler ziehen alle Behauptungen zunächst einmal in Zweifel.;
Naturwissenschaft beruht auf Beobachtungen und Messungen, die von anderen
bestätigt werden können, und ihre Ideen (Hypothesen und Theorien) müssen sich
durch wiederholbare Beobachtungen und Experimente überprüfen lassen.;
(23) Erkenntnisse auf naturwissenschaftlicher Basis haben stets einen
vorläufigen Status, im Gegensatz zu religiösen Dogmen. ...;
Naturwissenschaftler lassen Theorien nicht zum Dogma aufsteigen (520)
Normalerweise gilt in den Naturwissenschaften etwas nicht mehr als „wahr“,
sobald ein klarer Befund dagegen spricht.;
(Neil A. Campbell / Jane B. Reece: Biologie, Spektrum Akademischer Verlag
Heidelberg Berlin, 6. Auflage, 2003)
·
Kosmosforscher Alexander Vilenkin;
unser beobachtbares Universum ist nur ein winziger Teil eines viel größeren
Uni- oder Multiversums: Und anderswo müssen die physikalischen Bedingungen
keineswegs mit denen bei uns identisch sein. So könnten die Werte mancher
Naturkonstanten variieren
(bdw 11/2007 S.54ff)
·
Die moderne Physik hat mit der
Entdeckung der Quantenmechanik dem Zufall einen neuen Platz eingeräumt – sie
entdeckte den „reinen“ Zufall: nicht die Beschränktheit des Wissenschaftlers,
sondern die grundsätzliche Unbestimmbarkeit bestimmter Vorgänge steckte
plötzlich hinter dem Zufall. Ob Licht nun Teilchen oder Welle sei, das wurde
eine Frage der Betrachtung. Der Zerfall eines radioaktiven Atoms? Unmöglich zu
sagen, wann er stattfindet. Statistische Aussagen ersetzen klare Ergebnisse. Für
einen Deterministen wie Albert Einstein war das unerträglich :
„Die Theorie liefert viel, aber dem Geheimnis des Alten bringt sie uns kaum
näher. Jedenfalls bin ich überzeugt, dass der Alte nicht würfelt.“;
Die Welt jedenfalls ist vor 100 Jahren wieder offener geworden, so scheint es,
und das verdanken wir dem Zufall.;
Physikprofessor Peter Hägele: Der reine Zufall der Physik sei keine
Wissenslücke, sondern eine Erkenntnisgrenze. Was dahinter liege, sei offen für
Deutungen, die wissenschaftlich nicht verifizierbar sind. Und eine davon ist
der Glaube an Gott.
(chrismon 9/06 S.46)
·
(9) Mit Blick auf den Träger des
Wissens, nämlich den menschlichen Geist, können alle Wissenschaften als
Geisteswissenschaften angesehen werden; mit Blick auf ihre Gegenstände aber
befassen sich alle Wissenschaften mit der Natur.;
(12) „Nur was zu etwas gut ist, lässt sich auch missbrauchen.“ (Montaigne,
Essais II,6)
(15ff; Beitrag des Präsidenten der Leibniz-Gesellschaft und des
Generalsekretärs der Leibniz-Gemeinschaft:)
Das Ziel wissenschaftlichen Strebens ist Erkenntnisgewinn und –bewahrung, es
geht darum, die Antwort auf eine bestimmte Frage zu finden. Soll nun,
spezieller formuliert, die Lösung eines auf die menschliche Existenz bezogenen
Problems gefunden werden, so müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Die sind
erstens Kenntnisse der Methoden des Faches und deren Anwendung (etwa Analyse-
bzw. Messmethoden in den Natur- und Ingenieurwissenschaften, kritisches
Quellenstudium und regelgeleitete Auslegung in den historischen Wissenschaften
sowie Quer- und Längsschnittstudien in den Sozialwissenschaften.;
Blaise Pascal (17.Jh.): „Wir können nur über die Vorfahren hinausschauen, weil
wir auf ihren Schultern stehen.“;
Isaac Newton: Sein und Wissen ist ein uferloses Meer. Je weiter wir vordringen,
umso unermesslicher dehnt sich aus, was noch vor uns liegt; jeder Triumph des
Wissens schließt hundert Bekenntnisse des Nichtwissens ein.;
Während die Betrachtung einzelner Gegenstände von Wissenschaft zur
Herausbildung von Fächern bzw. Disziplinen führte, also beispielsweise der
Geschichte (Vergangenheit), der Medizin (der kranke oder verletzte Mensch), der
Biologie (Tiere und Pflanzen) oder der Theologie (Gott und der Mensch), hat der
Ansatz der methodischen Herangehensweise die Einteilung der Wissenschaften in
Naturwissenschaften (Außenperspektive, auf Beobachtung beruhend mit
Beschreibung, Versuch und Beweis) und Geisteswissenschaften (Innenperspektive,
auf Empathie beruhend mit Beschreibung und Interpretation) zur Folge. So galt
die Naturwissenschaft als die beschreibende und erklärende Wissenschaft,
während die Geisteswissenschaft als die verstehende und interpretierende
Wissenschaft (Hermeneutik) definiert wurde. Interessant ist an dieser Stelle
anzumerken, dass im angelsächsischen Kulturkreis nur die Naturwissenschaften
als science anerkannt sind, während
die – im deutschen Sprachraum so bezeichneten Geistes-, Kultur- und
Sozialwissenschaften als humanities
firmieren.;
In der aktuellen Diskussion heißt es, dass die Natur- und Technikwissenschaften
Verfügungswissen generieren (was mit
dem Begriff Verstand markiert wird),
während die Geisteswissenschaften danach Orientierungswissen
bereitstellen (gekennzeichnet mit dem Begriff Vernunft).;
Die Naturwissenschaften stellen – zumindest im eigenen Verständnis – mit ihrer
kritisch-empirisch-rationalen Methode die Erkenntnis der natürlichen (im Sinne
von Natur) Lebenswelt des Menschen in den Mittelpunkt – nach Aristoteles der
Welt, die nicht vom Menschen gemacht wurde. Wer demnach keine anderen Quellen
von Erkenntnis im Sinn von Wissenschaft gelten lässt, für den gibt es zu den
Naturwissenschaften keine Alternative – wahr ist, was beweisbar ist!;
Es besteht Einigkeit darüber, dass die Biologie die Frage „Was ist der Mensch?“
nicht in einem umfassenden Sinn beantworten kann. Sie kann seine Einzelteile
(im Sinne von Bauteilen) definieren und deren Zusammenwirken erklären, mehr
jedoch nicht.
(Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zu „Das Parlament“, 46/2007:
„Geisteswissenschaften“)
·
Ideologie als politisch relevante
Weltanschauung, als eine Art Gattungsname für divergierende politische
Entwürfe, Welt- und Geschichtsdeutungen; unter einer freiheitlichen und
liberalen Verfassung manifestieren sich ideologische Differenzen in
philosophischer, religiöser und weltanschaulicher Pluralität; Lehrmeinungen,
Lehrsätze, Doktrinen;
Die methodische Objektivität impliziert, dass keine außerwissenschaftlichen
Kräfte, Meinungen und Wertungen die Grundsätze des wissenschaftlichen Forschens
und die Ergebnisse beeinflussen dürfen. Der Wissenschaftler hat sich, solange
er forscht oder lehrt, von ideologischen und weltanschaulichen (besonders
parteipolitischen) Vorgaben gänzlich freizuhalten;
Wenn ein wissenschaftliches Gutachten, ein wissenschaftliches Buch, eine
wissenschaftliche Vorlesung, eine wissenschaftliche Expertise die
Parteizugehörigkeit des Wissenschaftlers erkennen lässt, hat der Betreffende
seinen Platz im Kreis der Wissenschaft verlassen. Gewiss kann der
Wissenschaftler absichtlich und überlegt aus diesem Kreis heraustreten, indem
er sich politisch äußert, aber er muss dies klar markieren und deutlich
erkennen lassen, wann er als Homo politicus auf politische Zustimmung zielt und
wann er als Homo investigans Sachverhalte oder Interpretationen
wissenschaftlich begründen kann.;
Fall Galilei: was die Repräsentanten der Kirche … gegen Galilei aufbrachte, war
vermutlich nicht in erster Linie das von Galilei propagierte kopernikanische
Weltbild, sondern die Abkehr vom Aristotelismus (hatte ein spekulatives
Weltbild von imponierender Geschlossenheit konstruiert), der Umstand, dass
Galilei mehr an die „Macht des Experiments“ glaubte als an Autoritäten;
Den Fall Galilei fassen wir auf als einen Konflikt zwischen dem Anspruch der
Wissenschaft und dem Anspruch kirchlicher Doktrin. Es handelt sich nicht um
einen Konflikt zwischen dem wissenschaftlichen Ethos und dem Gottesglauben. Als
Naturforscher sind wir Repräsentanten einer bestimmten Weltsicht. Das wissenschaftliche
Weltbild unserer Zeit ist gottlos – aber es ist nicht antitheistisch. Die
besonnene Antwort von Laplace, der auf die provokative Frage Napoleons nach
seinem Verhältnis zu Gott antwortete: „Sire, je n`avais pas besoin de cette
hypothèse“ (ich brauche diese Hypothese nicht JK), spiegelt keine Hybris,
sondern die methodische Sorgfalt, die Disziplin im Denken eines Naturforschers
wider – daran hat sich seit Laplace nichts geändert;
Konflikt zwischen Biologie und dialektischem Materialismus in der Sowjetunion
in den 1930er Jahren; es lag vor allem am Anspruch des dialektischen
Materialismus, im strengen Sinn Wissenschaft, unfehlbare Wissenschaft zu sein
und somit entscheidend und autoritativ in Sachfragen der Naturforschung
eingreifen zu können; Vor 1935 hielten sich auch die sowjetischen Biologen an
die bereits klassischen Vorstellungen: Genbegriff, Mendel-Genetik,
Chromosomentheorie der Vererbung, Theorie der Mutation, Rekombination und
Selektion als Grundlage der Populationsgenetik, Neodarwinismus als Erklärung
der Evolution. … Lyssenko leugnete die Existenz von Genen und erklärte
kurzerhand die bereits klassischen Theorien der Genetik und der Evolution für
„idealistisch“, „bürgerlich“ und „metaphysisch“. … Im Prinzip stellten sich
Lyssenko und seine Anhänger auf den Standpunkt, dass sich unter dem Einfluss
der Umwelt die genetische Substanz ständig ändere, und zwar derart, dass die
Umweltfaktoren die Richtung der Änderung direkt bestimmten. Derlei
Vorstellungen („unvermittelte Vererbung“, „Vererbung erworbener Eigenschaften“)
waren zwar wissenschaftlich längst geprüft und widerlegt; sie kamen aber den
Theoretikern des dialektischen Materialismus entgegen … im August 1948 wurde
der „Lyssenkoismus“ schließlich zur einzigen auf der Grundlage des Diamat
beruhenden Biologie erklärt. Im Protokoll der betreffenden Sitzung heißt es: „Wir Vertreter der sowjetischen Biologie
behaupten, dass die Vererbung von Eigenschaften, die Pflanzen und Tiere in
ihrem Entwicklungsprozess erwerben, möglich und notwendig ist. Damit steht
jedem Biologen der Weg offen, die Natur der pflanzlichen und tierischen
Organismen zu lenken, sie durch die Lenkung der Lebensbedingungen … in der für
die Praxis erforderlichen Richtung zu verändern.“
(Hans Mohr, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Zeitung „Das
Parlament“, B15/1992 S.10ff)
·
„Wir verdanken unseren Wohlstand der
Entscheidung, Wissenschaft zu betreiben.“ (Ernst Peter Fischer,
Wissenschaftshistoriker)
(bdw 11/2008 S.10)
·
Theorie
Theo-ria heißt
auf griechisch Gottes-Anschauung
(Wolf Krötke: Erschaffen und erforscht, Mensch und Universum in Theologie und
Naturwissenschaft, Wichern-Verlag Berlin, 2002, S. 39)
·
Achim
Weiß, Max-Planck-Inst. für Astrophysik:
(F) Manche Astrophysiker behaupten, es gäbe Paralleluniversen oder
Quantenkosmen, wofür jeder Beweis fehlt. Wo ist der Unterschied?
(A) Der Unterschied besteht darin, dass das Hypothesen sind, die sich aufgrund
von aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen ergeben können. Die daran
arbeitenden Wissenschaftler belegen ihre Annahmen wissenschaftlich und wären
sofort bereit, diese zu verändern, wenn ihnen Kollegen Fehler oder einen
Widerspruch nachweisen würden.
(bild der wissenschaft 1-2010 S.48ff)
·
Stephen
Hawking und Leonhard Mlodinow in dem Buch „Der große Entwurf“:
“Unsere Wahrnehmung – und damit die Beobachtungen, auf die sich unsere Theorien
stützen – ist nicht unmittelbar, sondern wird durch eine Art Linse geprägt, die
Deutungsstrukturen unseres Gehirns.“ …;
vier Qualitätsmerkmale für (naturwissenschaftliche) Modelle:
“1. Eleganz: Ein Modell sollte so einfach wie möglich sein, aber nicht
einfacher.
2. Sparsamkeit: Ein Modell sollte nur wenige willkürliche Elemente enthalten,
die sich gezielt an die Beobachtungen anpassen lassen.
3. Erklärungskraft: Ein Modell sollte mit den Daten und Beobachtungen
übereinstimmen und sie verständlich machen.
4. Vorhersagefähigkeit: Ein Modell sollte künftige Beobachtungen detailliert
voraussagen können.;
Die ursprüngliche Hoffnung der Physiker, eine einzige Theorie zu entwickeln,
die die scheinbaren Gesetze unseres Universums als die einzige mögliche
Konsequenz einiger einfacher Annahmen erklärt, muss vielleicht aufgegeben
werden“, räumt H. ein.
(bild der wissenschaft 11-2010 S.49)
·
Interview
mit Physiknobelpreisträger Hänsch;
Was halten Sie von populistischen physikalischen Schlagworten wie
Quantenteleportation oder Paralleluniversen?
Manchmal sind solche Schlagwörter peinlich, doch zumindest bringen sie die
Physik ins Gespräch. Bei der Quantenteleportation handelt es sich um ein
interessantes beobachtbares Phänomen, das allerdings gar nichts mit der
Teleportation á la Raumschiff Enterprise zu tun hat. Andere Schlagwörter, z.B.
Paralleluniversen, beschreiben Spekulationen. Ich als Experimentalphysiker
nehme nur Theorien ernst, die man durch Experimente überprüfen kann. Natürlich
darf man spekulieren. Doch das ist dann nicht mehr als Sciens-Fiction.
(bild der wissenschaft 2-2011 S.43)
·
(34)
Und selbst ein so kritischer Denker wie der österreichisch-britische Philosoph
und Wissenschaftstheoretiker Karl Popper kommt nicht darum herum, an der Basis
seines „kritischen Rationalismus“ zumindest die Vernünftigkeit der Vernunft
vorauszusetzen, wie er ausdrücklich sagt: einen „Glauben an die Vernunft“.
(Hans Küng: Was ich glaube, Piper, München, 2009)
·
(S.16)
Wissenschaft besteht – unter anderem – in dem Versuch, etwas, das man sieht,
durch etwas anderes zu erklären, das man nicht sieht. Wir sehen Sonne, Mond und
Sterne und deuten ihr Zusammenhängen und individuelles Bewegen durch
Konstruktionen und Kräfte, die wir nicht sehen
(S.141ff.) Karl Popper: … „Die Natur, die wir mit ihrer Ordnung erkennen, ist
das Resultat einer ordnenden und assimilierenden Tätigkeit unseres Geistes.“
Kant selbst hat das so ausgedrückt: „Der Verstand schöpft seine Gesetze … nicht
aus der Natur, sondern schreibt sie ihr vor.“
Mit anderen Worten …: Das Universum, das wir erkennen, ist unsere eigene
Hervorbringung; es wird von den menschlichen Denkmöglichkeiten geprägt. Der
Kosmos ist die Schöpfung von Menschen (und nicht die eines anderen Wesens).
(S.295) … wer im 20. Jahrhundert so knapp wie möglich sagen sollte, was
derjenige macht, der sich naturwissenschaftlich betätigt. Die Antwort könnte
lauten: Er versucht die Welt – oder die Natur – ohne Rückgriff auf höhere
Mächte oder Wunder unter der erschwerten Bedingung des Experiments zu erklären
(Ernst Peter Fischer: Die kosmische Hintertreppe, nymphenburger München, 2009)
·
„Die
Wissenschaft versucht, allgemeine Regeln aufzustellen, die den gegenseitigen
Zusammenhang der Dinge und Ereignisse in Raum und Zeit bestimmen. Für diese
Regeln, beziehungsweise Naturgesetze wird allgemeine und ausnahmslose
Gültigkeit gefordert – nicht bewiesen."
(Albert Einstein: Aus meinen späten Jahren. DVA Stuttgart 1979. S. 44)
·
„Höchste
Aufgabe des Physikers ist also das Aufsuchen jener allgemeinsten elementaren
Gesetze, aus denen durch reine Deduktion das Weltbild zu gewinnen ist. Zu
diesen elementaren Gesetzen führt kein logischer Weg, sondern nur die auf
Einfühlung in die Erfahrung sich stützende Intuition."
(Albert Einstein: Ansprache am 26. April 1918 in der Deutschen Physikalischen
Gesellschaft anlässlich des sechzigsten Geburtstages von Max Planck, in:
Ausgewählte Texte, herausgegeben von Hans Christian Meiser. Goldmann Verlag
München 1986. Seite 75)
·
"Insofern
sich die Sätze der Mathematik auf die Wirklichkeit beziehen, sind sie nicht
sicher, und insofern sie sicher sind, beziehen sie sich nicht auf die
Wirklichkeit."
(Albert Einstein: Festvortrag vor der Preußischen Akademie der Wissenschaften
in Berlin über Geometrie und Erfahrung am 27. Januar 1921, zitiert in:
"Mein Weltbild", hgg. v. Carl Seelig, 1991, S. 196ff.)
·
„Ich
lehne es ab, über Dinge zu spekulieren, die ich nicht testen kann. Das macht
das Wesen des Forschers aus.“
Brian P. Schmidt, Astronom und Nobelpreisträger für Physik
(bild der wissenschaft 5-2013 DS.12)
·
Wilfried Hinsch:
Glaube und Legitimität in liberalen Demokratien;
Die Charakterisierung wissenschaftlicher Tätigkeit als ein „nach Inhalt und
Form … ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit“ des
Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1979;
Im Sinne eines ernsthaften und planmäßigen Erkenntnisstrebens müssen
Wissenschaftler angeben können, welche Erkenntnisziele sie verfolgen, auf
welche Erkenntnisquellen sie sich stützen und durch welche Methoden sie sich
der Wahrheit ihrer (vermeintlichen oder tatsächlichen) Erkenntnisse
vergewissern. Darüber hinaus setzt Wissenschaftlichkeit zweifellos ein
Mindestmaß an methodischer Rationalität und Kohärenz der Ergebnisse voraus.;
(Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft „Religion und Moderne“, 10.7.2013,
S.10ff. http://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/162404/religion-und-moderne)
·
Vor
450 Jahren wurde Galileo Galilei geboren. Durch ihn erlangten die
Naturwissenschaften ihre Deutungshoheit. Aber was fangen wir heute mit diesem
Kulturgut an?;
Heutzutage dürfen Naturwissenschaftler schon froh sein, wenn ihre Entdeckungen
einmal nicht im Zusammenhang mit einer Katastrophe Erwähnung finden oder als
Grundlage düster-dystopischer Zukunftsvisionen herhalten müssen. Dabei würden
ohne Quantenphysik keine Smartphones funktionieren, ohne organische Chemie
keine Autos fahren und ohne moderne Medikamente immer noch Pest und Cholera
drohen. Wir brauchen die Naturwissenschaften als Grundlage für unseren
Lebensstil – aber eigentlich wollen wir nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Als
notwendiger Bestandteil der Allgemeinbildung gelten sie schon lange nicht
mehr.;
Bereits 1959 hatte der englische Physiker und Romanautor Charles Percy Snow die
These aufgestellt, Natur- und Geisteswissenschaften hätten sich wie zwei
einander fremd gewordene Kulturen voneinander entfernt, eine Kommunikation
zwischen beiden sei nicht mehr möglich. Leider hatte er damit recht. Vier Jahrzehnte später griff Dietrich Schwanitz Snows
These in seinem vielbeachteten Kompendium Bildung auf, dem vielleicht
einflussreichsten jüngeren Bildungskanon deutscher Sprache. Darin präsentierte
der Anglist und Autor auf 500 Seiten die Summe dessen, was man nach seinem
Dafürhalten heutzutage wissen sollte, um als gebildet zu gelten. Von den
Anfängen der abendländischen Kultur in Griechenland über die europäische
Literatur-, Musik- und Ideengeschichte bis hin zur aktuellen
Geschlechterdebatte wurde dort alles erwähnt, was sich als Thema für den
gehobenen Partyplausch eignet.
Die Naturwissenschaften gehörten nicht dazu. Sie tauchten bei Schwanitz nur im
letzten Kapitel auf, unter der Überschrift: Was man nicht wissen sollte. Sogar
in Liebesbeziehungen, so Schwanitz, stelle die Grenze zwischen den beiden
Kulturen ein unüberwindbares Hindernis dar, wie er am fiktiven Beispiel der
jungen Germanistin und Kunsthistorikerin Sabine erläutert: Dieser erscheint
nach Studienaufenthalten in Paris und Florenz ihr langjähriger Freund, der
Maschinenbauer Torsten, wie ein geistiger Neandertaler.
Aktuellster Beleg für die ungebrochene Lebendigkeit dieses einseitigen
Bildungsideals ist die Zusammensetzung des Deutschen Ethikrates, dessen Aufgabe
es ist, die Bundesregierung in all jenen Fragen zu beraten, bei denen es –
vereinfacht gesagt – zu einem Konflikt zwischen Moral und Machbarkeit kommt. In
dieser durchaus hochkarätig besetzten Kommission finden sich ausschließlich
Vertreter ebenjener Fächer, die bereits Goethes Faust mit "heißem
Bemühn" (wenn auch ohne durchschlagenden Erfolg) studiert hatte:
Philosophie, Juristerei, Medizin und Theologie. Einen Dr. rer. nat. sucht man
dort vergeblich, obwohl die diskutierten Konflikte ihre Ursache oftmals im
naturwissenschaftlich-technischen Fortschritt haben. Offenbar ist man in diesem
Gremium aber der Meinung, dass ethische Fragen nicht Sache der
Naturwissenschaften sind, jedenfalls sofern diese die Medizin nicht berühren,
und ihre Vertreter zu deren Klärung nichts beitragen können.
Wahr ist natürlich, dass die Liste der naturwissenschaftlich-technischen
Debakel in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts bedrückend lang ist:
Contergan, Seveso, Challenger, Fukushima ... – die Aufzählung ließe sich
mühelos fortsetzen. Hatte sich Galilei vor 400 Jahren im Namen der Rationalität
noch mit der Kirche angelegt, ist Rationalität inzwischen zum Schimpfwort
geworden, zum Synonym für kalt, engstirnig, unmenschlich. Stattdessen sind
religiöse Begriffe und Anschauungen wieder auf dem Vormarsch – und das nicht
nur in finsteren Gottesstaaten. Auch wir geben das Grundrecht auf körperliche
Unversehrtheit von Kindern zugunsten von religiösen Ritualen im Eilverfahren
auf, debattieren aber endlos und voller moralischer Inbrunst über gesetzliche
Regelungen zum Schutz von embryonalen Stammzellen vor dem Zugriff der
Wissenschaft – ein kaum noch zu überbietendes Missverhältnis.
(Die Zeit 13.2.14 S.43 - http://www.zeit.de/2014/08/galileo-galilei-naturwissenschaften
)
·
Zeit
für einen neuen Eid
Ärzte entscheiden nicht immer nach dem Wohl der Patienten, sondern häufiger
nach ökonomischen Kriterien. Dagegen gibt es ein Rezept. …
Vorschlag für einen neuen Ärzte-Eid (Auszug)
Ich gelobe, während der Ausübung meiner ärztlichen Tätigkeit folgende
Berufspflichten nach meiner Kraft und Fähigkeit zu respektieren und ihnen gemäß
zu handeln:
Ich stelle die Sorge um die Behandlung meiner Patienten und deren Interessen
immer voran, wende jeden Schaden von ihnen ab und füge ihnen auch keinen
solchen zu.
Ich betrachte das Wohl meiner Patienten als vorrangig, respektiere ihre Rechte
und helfe ihnen, informierte Entscheidungen zu treffen.
Ich betreibe eine Medizin mit Augenmaß und empfehle oder ergreife keine
Maßnahmen, die nicht medizinisch indiziert sind.
Ich instrumentalisiere meine Patienten weder zu Karriere-noch zu anderen
Zwecken und sehe von allen Maßnahmen ab, die nicht in einem direkten
Zusammenhang mit der Linderung ihrer Beschwerden, der Heilung ihrer Krankheit
oder der Verhütung einer Erkrankung stehen.
Ich mute meinen Patienten nichts zu, was ich auch meinen liebsten Nächsten oder
mir selbst nicht zumuten würde.
Ich begegne meinen Patienten ebenso wie meinen Kolleginnen und Kollegen immer
mit Freundlichkeit und Respekt. Ich bin zu ihnen ehrlich und wahrhaftig.
Ich fördere die Gesundheitskompetenz meiner Patientinnen und Patienten.
Ich nehme mir für das Gespräch und für die menschliche Begegnung mit den
Patienten (und mit ihren Angehörigen) die erforderliche Zeit und spreche mit
ihnen auf eine verständliche und angemessene Weise.
Ich respektiere und wahre grundsätzlich die Willensäußerungen meiner Patienten.
Ich setze die mir zur Verfügung stehenden Ressourcen wirtschaftlich,
transparent und gerecht ein.
Ich nehme für die Zuweisung und Überweisung von Patienten keine geldwerten
Leistungen entgegen.
Ich gehe keinen Vertrag ein, der mich zu Leistungsmengen, zu nicht indizierten
Leistungen oder zu Leistungsunterlassungen nötigt.
Ausgearbeitet von der Arbeitsgruppe (Eidkommission) des schweizerischen
Instituts Dialog Ethik, einer Non-Profit-Organisation in Zürich
(Die Zeit 12.11.15 S.39 - http://www.zeit.de/2015/46/aerzte-medizin-oekonomie-hippokratischer-eid-patienten/komplettansicht
)
·
Hat Einstein gesagt, die menschliche Dummheit sei unendlich?
Das vollständige – angebliche – Zitat lautet: "Zwei
Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit. Aber beim
Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher." Ein schönes Bonmot. Doch
stammt es wirklich aus dem Mund des genialen Wissenschaftlers?
Es ist schwierig, zu beweisen, dass jemand etwas nicht gesagt hat. Nun ist
gerade ein Buch der falschen Zitate erschienen (Martin Rasper: "No
sports" hat Churchill nie gesagt). Der Autor zitiert darin auch mehrmals
aus dieser Kolumne – nun revanchiere ich mich und stütze mich auf seine Recherchen.
Rasper hat unter anderem die Lektorin Alice Calaprice befragt, die Einsteins
gesammelte Zitate herausgegeben hat. Sie glaubt: Es stammt eher nicht von ihm.
Und dann fand Rasper den Urheber des Zitats: den Psychiater Fritz Perls,
Begründer der Gestalttherapie. In seinem Buch Das Ich, der Hunger und die
Aggression schrieb Perls, dass eine "gierige, ungeduldige Haltung"
verantwortlich sei für die "übermäßige Dummheit auf der Welt" – ein
Schelm, wer das auf die aktuelle Weltlage anwendet. Ein "großer
Astronom" habe gesagt: "'Zwei Dinge sind, soweit wir wissen,
unendlich – das Weltall und die menschliche Dummheit.' Heute wissen wir, dass
diese Aussage nicht ganz richtig ist. Einstein hat bewiesen, dass das Weltall
begrenzt ist."
Man sieht, da nimmt ein Aphorismus Gestalt an! Zwar wird Einstein hier noch
nicht mit dem "großen Astronomen" gleichgesetzt. Das macht Perls dann
20 Jahre später – da berichtet er von einem Nachmittag, den er mit dem
Nobelpreisträger verbrachte, und legt Einstein das Zitat, wie wir es heute
kennen, in den Mund. Die plausibelste Erklärung, laut Rasper: Die Geschichte
müsse sich im Hirn des Psychiaters "nach und nach zurechtgerüttelt"
haben.
·
Kulturhistoriker Michael Butter über den Siegeszug von
Verschwörungstheorien
SPIEGEL: Gibt es eigentlich so etwas wie einen Urknall der
Verschwörungstheorie?
Butter: Eine These ist, dass Verschwörungstheorien das Sinndefizit auffüllen,
das die Aufklärung geschaffen hat. Also eine Reaktion auf die Entzauberung der
Welt sind. Im 18. Jahrhundert schwand der Glaube an
den göttlichen Schöpfungsplan, wo alles letztlich Sinn ergibt, auch wenn er
sich dem Einzelnen nicht immer erschließt. Also muss da jemand anderes sein,
der lenkend in die Welt eingreift. An die Stelle Gottes traten die Verschwörer.
SPIEGEL: Heute kann man bisweilen den Eindruck gewinnen, die Aufklärung würde
gerade wieder abgewickelt.
Butter: Das liegt auch daran, dass Verschwörungstheorien durch die neuen Medien
viel sichtbarer geworden sind. Vor 30 Jahren mussten Sie viel Zeit und Arbeit
investieren, wenn Sie eine alternative Erklärung für die Mondlandung finden
wollten. Heute reicht eine einfache Google-Suche, schon wissen Sie alles über
Angela Merkels jüdische Wurzeln oder die 13 mächtigen Familien, die die
Weltregieren. Da findet jeder eine Gemeinschaft, die er sonst womöglich
vergebens sucht.
(Spiegel 9-2017 S.42)
·
Wissenschaft: Bis zum Besserwissen
Wissenschaftliches Wissen ist per Definition vorläufiges Wissen, unter dem
Vorbehalt des späteren Besserwissens. …
Doch die Veränderung des wissenschaftlichen Weltbildes heißt eben nicht, dass
Erkenntnisse beliebig und lediglich Moden und Mächten unterworfen wären – so
wie es manche Kritiker der Wissenschaft im Verbund mit Esoterikern und
Verschwörungstheoretikern heute gern behaupten. Denn es gibt zwischen
wissenschaftlicher Skepsis und Beliebigkeit einen grundlegenden Unterschied,
den Einstein einmal so ausdrückte: »Es lässt sich schwersagen, was Wahrheit
ist, aber manchmal ist es so einfach, eine Lüge aufzudecken“.
Wissenschaft ist dadurch charakterisiert, dass sie selbst alles daran setzt,
ihre Grenzen zu verschieben, ihre Sinne zu schärfen und zu erweitern. …
Dabei geht es nicht nur um einzelne Ergebnisse. Wenn Erkenntnisse und Fakten
aus politischem Interesse infrage gestellt werden, muss man offenbar immer
wieder daran erinnern, was die Aufgabe der Wissenschaft ist: kollektiv die
Beschränkung unserer Biologie (Auffassungsgabe, Erinnerungsvermögen,
Langsamkeit) und unserer Psychologie (Vorurteile, magisches Denken) zu
transzendieren. Dazu hat sich die Wissenschaft selbst Regeln gegeben und
jahrhundertelang an ihrem Kodex geschrieben. Zwar ist der moderne
Forschungsbetrieb weit davon entfernt, perfekt zu sein. Dennoch gilt für ihn
Ähnliches wie für die Demokratie, die bekanntlich von allen schlechten
Staatsformen noch die beste ist. …
Dass Wissenschaft die Wahrheit nicht gepachtet hat, sollte kein Grund zur
Resignation sein. Immer hin liefert sie die beste Methode, sich ihr anzunähern.
Und vielleicht haben wir sogar am meisten gewonnen, wenn uns deutlich wird, wo
die Grenzen unseres eigenen Horizonts verlaufen.
(Die Zeit 4.5.17 S.31ff.)
Biologie
12.2.05
·
Sinne des Menschen:
Die „psychologischen“ Räume – Sehraum, Tastraum, Hörraum – werden natürlich
durch die Sinnesorgane vermittelt.
[Schmecken, Riechen = Chemie; Temperatursinn = Haut JK];
man vergisst gern jene Sinne, die uns über Lage und Bewegungszustand unseres
eigenen Körpers informieren: Gleichgewichts- und Drehsinn, vermittelt durch das
Labyrinth im Innenohr, und die Tiefensensibilisierung oder Eigenwahrnehmung,
die uns über Gliederstellung und Muskelspannung auf dem Laufenden hält ... Auch
der Schmerzsinn beruht auf eigenen Rezeptoren, die ungleichmäßig über den
Körper verteilt sind, sodass wir kein eigenes Organ dafür benennen können.;
(Gerhard Vollmer: Wieso können wir die Welt erkennen?, Hirzel Stuttgart 2003,
S.204)
·
Leben ist ein sich selbst
organisierendes Nichtgleichgewichtssystem, das mit seiner Umgebung Energie und
Stoffe austauscht.;
Wodurch definiert sich belebte Materie?
- durch ihren speziellen chemischen Aufbau bzw. ihre stoffliche Zusammensetzung
- durch Wachstum, Differenzierung und eine Erhöhung des Ordnungsgrades
- durch einen Stoff- und Energiewechsel
- durch eine zelluläre Organisation
- durch Individualität
- durch Reizbarkeit und Reaktionsfähigkeit
- durch die Fähigkeit zur Anpassung (Regulationsfähigkeit)
- durch das Vermögen, sich fortzupflanzen bzw. sich identisch zu reproduzieren
- durch einen steten Formenwandel im Laufe einer länger währenden Evolution;
Energie kommt primär vom Heimatstern, wird dann in chemische Energie in den
Molekülen gespeichert, um endlich im Lebewesen als Bewegung und Wärme wieder
freigesetzt zu werden; Fähigkeit, zu kommunizieren, das Leben muss auf seine
Umgebung reagieren können, und dafür müssen Sensoren vorhanden sein;
(Lesch/Müller: Big Bang zweiter Akt – Auf den Spuren des Lebens im All,
Bertelsmann München 2003, S. 225; 56, 55)
·
Die moderne Biologie ist das Werk von
Physikern und Chemikern, und sie denken vornehmlich an Moleküle und ihre
Strukturen
(EP Fischer: Die andere Bildung – was man von den Naturwissenschaften wissen
sollte, Ullstein 2003, S.236)
·
Vermehrung von e. coli: Teilung aller
20 Minuten: nach ½ Tag 68 Mrd.; nach 1
½ Tagen Erdoberfläche 2 Meter hoch
bedeckt (97)
einen Menschen in einen Zell-Sortierer geben: 10% menschliche Zellen und 90%
Bakterienzellen (die viel kleiner sind als menschliche), menschlicher Kot zu
30-50% bakterielle Biomasse (99,105)
Samen sind Pflanzen-Embryonen, fruchtbar: Buche 2 Jahre, Mohn 10 Jahre,
Löwenzahn 68, Kartoffel 200, Hahnenfuß 600 Jahre (114)
Photosynthese: 1 m2 Blattoberfläche bildet in 1 Std. etwa 1 Gramm
Zucker (115)
(Detlev Ganten u.a.: Leben., Natur, Wissenschaft; Eichborn Ffm. 2003)
·
(14) Wenn überhaupt, dann kommen bei der
Betrachtung der Lebensvorgänge weniger deterministische Gesetze in Betracht,
wie sie Kepler und Newton aufgestellt haben. Die überwiegende Mehrzahl der
natürlichen Abläufe orientiert sich an Wahrscheinlichkeiten. Sowohl der
grundlegende evolutionäre Gedanke à la Darwin als auch die praktischen
Vererbungsregeln à la Mendel sind statistischer Natur voller Zufälligkeiten und
somit alles andere als festlegend oder bestimmend. ...
Im Leben laufen keine Moleküle auf präzise geordneten und genau berechenbaren Bahnen
umher, wie es die Planeten am Himmel tun. ...
(374ff) (menschliche) Zellen, die im Labor in Kulturen gezüchtet werden, teilen
sich nicht beliebig of, hören nach etwa 50 Runden damit auf, der materielle
Grund dafür steckt in den Endstücken der Chromosomen, den Telomeren, sie werden
von Teilung zu Teilung kürzer, sodass sich sagen lässt, in der Länge der
Telomere steckt das Gedächtnis der Zelle (Auskunft über Zahl der durchgeführten
Teilungen);
embryonale und krebsartig entartete Zellen: „unsterblich“ (unbegrenzt teilbar),
weil das Enzym Telomerase die Länge der Chromosomenendstücken (immer) wieder
herstellt;
Theorien des Alterns:
a) die natürliche Evolution selektiert keine Gene, die sich erst spät im Leben
(nach der Fortpflanzungsphase) auswirken (best. Krankheiten, Krebs JK);
b) die Verkalkung der Knochen, die in jungen Jahren vorteilhaft ist, wirkt sich
später negativ aus;
c) das somatische Gewebe ist für die normale Lebensdauer in der Wildnis
ausgelegt; (Lebens- JK) Energie muss aufgeteilt werden zwischen
Fortpflanzungserfolg und eigenem Überleben
(Ernst Peter Fischer: Die Bildung des Menschen - was die Naturwissenschaften über uns wissen;
Ullstein Berlin 2006)
·
(36) Bakterien, die sich am
Erdmagnetfeld orientieren; enthalten Ketten winziger Nano-Partikel aus Magnetit
(Fe3O4), die ihnen als Kompass dienen; fixieren nach ihrem Absterben das
Magnetfeld; damit kann Geschichte des Erdmagnetfeldes studiert werden
(Ludwig Schultz, Hermann-Friedrich Wagner (Hrsg.): Die Welt hinter den Dingen,
WILEY-VCH Weinheim, 2006)
·
(278) man meinte in der Biologie
lange, die Zahl der menschlichen Chromosomen sei 48, erst in den 1960er Jahren
richtig 46 ermittelt
(Ernst Peter Fischer: Leonardo, Heisenberg & Co., Piper TB München 2004)
·
auf jede Körperzelle im menschlichen Körper
kommen rechnerisch zehn Mikroben; in einem Milliliter Darminhalt tummeln sich 1
Billion Lebewesen; manche stellen Vitamine her, andere regeln Teile der
Verdauung; im Gegenzug erhalten sie Nahrung und einen warmen Brutplatz;
mindestens 2000 Bakteriensorten;
wir tragen an die 2 Kilogramm Bakterien mit uns herum; sie bilden ein Organ,
das schwerer ist als unser Gehirn;
der Mensch ist gar kein Individuum, er ist ein Mischwesen, das nur existieren
kann, wenn die unterschiedlichen Lebensformen auf ihm kooperieren;
die Bakterien „erbt“ der Mensch zum überwältigenden Teil von seiner Mutter;
Kaiserschnittkinder haben eine andere Besiedlungsstruktur;
(Spiegel 21/2007)
·
Arten auf der Erde: Schätzungen von 5
Millionen bis 100 Millionen;
Was ist eine ART?
- wenn sich zwei Tiere oder Pflanzen miteinander paaren können
- der Nachwuchs muss selbst fruchtbar sein (nicht bei Pferd/Esel)
- Paarung erfolgt auch unter natürlichen Bedingungen (nicht bei Löwe/Tiger)
(Ökotest 7/07 S.101f)
·
Reinhart Hüttl, Vorstandsvorsitzender
des Geoforschungszentrums GFZ in Potsdam:
Was war die wichtigste neue Erkenntnis der vergangenen Jahre? – Vielleicht die
Entdeckung von neuen Lebensformen durch Geobiologen kilometertief unter unseren
Füßen in völlig unwirtlicher Umgebung. An Orten ohne Sonne und ohne Sauerstoff.
(ZEIT 25.10.07 S.45)
·
Wie
viele Sinne hat der Mensch?
Alltagsverständnis 5: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen;
dazu: Wärme empfinden; Gefühl für die eigene Körperlage; wir können
Gleichgewicht halten;; wir merken, ob wir beschleunigt oder gebremst werden;
wir registrieren Drehungen (bei geschlossenen Augen); wir sind
schmerzempfindlich; (135) Zahlensinn;
(Ernst Peter Fischer: Die Bildung des Menschen - was die Naturwissenschaften über uns wissen;
Ullstein Berlin 2006)
·
Wie
viele Sinne hat der Mensch?
(105) Sinne des Menschen: neben Sehen, Tasten, Schmecken,
Riechen, Hören – Fähigkeit, feine Temperaturunterschiede zu erfühlen,
Gleichgewichtssinn, die kinetischen Sinne, die den Schlagarm des Tennisspielers
feinsteuern und anderes mehr;
manche Tiere haben elektrische Sinne, Magnetsinn (Magnetitkristalle bei Tauben,
Bienen und Forellen gefunden)
(Ludwig Schultz, Hermann-Friedrich Wagner (Hrsg.): Die Welt hinter den Dingen,
WILEY-VCH Weinheim, 2006)
·
Haifische sind zur Jungfrauengeburt
fähig;
im Leichnam eines Schwarzspitzenhaiweibchens fand ein Forscher einen Embryo
ohne väterlichen Erbgutanteil … die Fischdame lebte wie eine schwimmende Nonne
… 8 Jahre gab es in ihrem Aquarium keinen Herrenbesuch
(ZEIT-Wissen Heft 1/2009, S.13)
·
Jungfrauengeburt bei Haien;
die Weibchen mancher Haiarten können sich ohne männliche Hilfe fortpflanzen.
Und der nach Jungfernzeugung geborene Nachwuchs ist lebensfähig.
Durch Gennanalyse bestätigt, dass Haiweibchen nur die genetischen Informationen
der Mutter trugen;
zur Jungfernzeugung kommt es offenbar, wenn sie isoliert von ihren Artgenossen
leben; ihre Fortpflanzungszellen können dann mit bestimmten anderen Zellen
verschmelzen, die als Nebenprodukt bei der Eizellreifung anfallen
(Spiegel 7-2010 S.106)
·
Nach der Entschlüsselung der
menschlichen Erbsubstanz wollen Forscher jetzt die Gene aller Mikroorganismen
in und auf dem Menschen entziffern. Im größten Lebensraum, dem Darm, sind die
Bakterien nützlicher als gedacht;
Wie würde ein Außerirdischer die Spezies Mensch beschreiben? Etwa so, vermutet
Wissenschaftsautor Jörg Blech: „Die irdische Lebensform besteht aus 988
verschiedenen Spinnentieren, 100 000 000 000 000 (in Worten: hundert Billionen)
Bakterien, 1 Mensch, etwa 70 Amöben und manchmal bis zu 500 Madenwürmern.“ Der
Mensch ist ein Mischwesen, ein „Superorganismus“, meint der US-amerikanische
Genetiker und Nobelpreisträger Joshua Lederberg. Auf jede menschliche Zelle
kommen zehn Bakterienzellen;
Nachdem die Entschlüsselung des menschlichen Erbguts nicht, wie erhofft, die
Erklärung für viele Krankheiten brachte, setzen die Forscher jetzt ihre
Hoffnung in die Erforschung des Ökosystems Mensch;
(bild der wissenschaft 6-2011 S.19)
·
Q: BdW
1/96:
- in China 2. Art Archäopteryx (140 Mill. a)
·
Q: BdW 5/95 S.1
- Parasiten gab es schon vor 500 Mill. a, klassische Wirtstiere wie Vögel,
Säuger, Reptilien erst viel später, andere Wirtstiere
vorher z.B. Trilobiten
·
Q: BdW 7/95 S.26
- Archebakterien älteste Lebensformen,
gewinnen Energie ohne Sonnenlicht, extreme Bedingungen z.B. 110 Grad C
12.2.05
·
Evolutiv belohnt wird nicht
Vollkommenheit, sondern Effektivität. Für evolutiven Erfolg maßgebend ist nicht
pure Qualität, sondern ein vertretbares Kosten-Nutzen-Verhältnis. Es geht nicht
darum, die bestmögliche Lösung zu finden, sondern besser zu sein als die
Konkurrenz. Dabei ist freilich nicht nur an zwischenartliche, sondern auch an
innerartliche Konkurrenz zu denken.;
Natürliche Selektion ist differentielle Reproduktion aufgrund unterschiedlicher
Tauglichkeit (Fitness).;
Evolutionsbiologen schätzen die Zahl der ausgestorbenen Arten mindestens auf
das Hundertfache der noch existierenden; Ernst Mayr meinte sogar, dass 99,9%
aller Evolutionslinien ausgestorben seien;
eher zufälliges Aussterben, sog. Situationstod: Überschwemmung oder
Meteoriteneinschlag;
Populationen und höhere taxonomische Einheiten sterben aus entweder, weil sie
mit den Umweltbedingungen nicht zurechtkommen, vor allem dann, wenn sich diese
vergleichsweise schnell ändern, oder weil sie von tauglicheren Organismen,
vielleicht sogar von überlegenen Artgenossen, verdrängt werden.;
Die Stammesgeschichte ist auch und gerade da, wo wir uns besonders für sie
interessieren, etwa im Hinblick auf die Herkunft des Menschen, lückenhaft und
umstritten...;
vergleichsweise wenige Kontrollgene regulieren direkt oder indirekt die übrigen
Gene ... Insekten ... einige Teile wuchsen am falschen Platze ... so konnte am
Kopf eines Insekts ein Bein dort wachsen, wo eigentlich ein Fühler wachsen
sollte ... vor fast 100 Jahren studierte der englische Genetiker William
Bateson diese Transformationen ... weil ein Körperteil die Gestalt eines
anderen anzunehmen schien, nannte er diese Erscheinung nach dem griechischen
Wort für Gleichheit „Homöose“;
(Gerhard Vollmer: Wieso können wir die Welt erkennen?, Hirzel Stuttgart 2003,
S.19, 39, 41, 112, 304, 326)
·
Dobzhansky: Nichts in der Biologie
ergibt Sinn außer im Lichte der Evolution;
innere Verbindung verschiedener biologischer Disziplinen wird erst durch die
Evolutionstheorie hergestellt;
Nach dem Popperschen Falsifikationskriterium – eine gute
erfahrungswissenschaftliche Theorie muss an der Erfahrung scheitern können –
böte die Biologie, vor allem aber die Evolutionstheorie, also nur ein zwar
fruchtbares, letztlich aber doch metaphysisches Forschungsprogramm (Seite 105:
Popper selbst hat sein Urteil über die Evolutionstheorie widerrufen. 1977
erklärte er, die Theorie der natürlichen Auslese sei doch eine prüfbare
Theorie);
Genetik und Entwicklungsbiologie erklären zwar (ansatzweise), wie aus Lebewesen
neue Lebewesen entstehen, und die Evolutionstheorie erklärt (ansatzweise), wie
aus Arten neue Arten entstehen, wie jedoch die ersten Lebewesen entstanden
sind, das erklären sie nicht. Sie können das auch gar nicht, da sie die
Existenz von Lebewesen ja schon immer voraussetzen.. Erste
Lebewesen können offenbar nicht aus belebten Systemen entstehen, (da sie sonst
nicht die ersten Lebewesen wären), sondern nur aus unbelebten. ... Die
Entstehung des Lebens kann also, wenn überhaupt, nur durch Physik und Chemie
erklärt werden;
Zufallsereignisse: haben keine Ursache und damit auch keine Erklärung, sind
nicht völlig gesetzlos, sondern genügen statistischen Gesetzmäßigkeiten, solche
Gesetze sind jedoch nur dann anwendbar, wenn es sich um Ereignisklassen
handelt, der Erklärung von Einzelereignissen können sie dagegen nicht dienen;
Evolutionstheorie – wichtige Aspekte S.69f. S. 95f;
Selektion nicht nur durch die äußere, auch durch die innere Umwelt (z.B.
Embryonalentwicklung);
Darwin selbst spricht nicht von EVOLUTION, weil dieser Begriff zu seiner Zeit
noch anderweitig vergeben war, sondern von „transmutation“ oder von „descent
with modification“.;
Tatsächlich ist bisher kein Faktum bekannt, das der Evolutionstheorie
widersprechen oder sie widerlegen würde. Freilich gibt es noch viele ungelöste
Probleme. Viele Kritiker verwechseln die bestehende Unvollständigkeit der
Evolutionstheorie mit Falschheit.;
(Gerhard Vollmer: Biophilosophie, Reclam Stuttgart, 1995, S.28, 63, 35, 42, 69,
84, 95, 96, 105)
·
Sedimente; Meeresalgen reagieren
besonders empfindlich auf Sonnenstrahlung und hinterlassen in extrem dünnen
Schichten Ablagerungen; ähnlich wie Jahresringe von Bäumen: Tageslänge kann
ermittelt werden: vor 500 Mill. a hatte ein Jahr mehr als 400 Tage, ein Tag war
nur 21 Std. lang; ursprünglich muss sich die Erde einmal in 7 Stunden um ihre
eigene Achse gedreht haben; Mond als „Bremse“;
(Lesch/Müller: Big Bang zweiter Akt – Auf den Spuren des Lebens im All,
Bertelsmann München 2003, S.179)
·
Anfang der 1980er Jahre: in einem
primitiven Bakterium hatten amerikanische Biologen Abarten der Erbsubstanz
Ribonukleinsäure gefunden, die sich als wahre Zauberkünstler erwiesen. Sie
konnten sich ohne Hilfe von Eiweißen vermehren. Diese seltsamen Moleküle,
Ribozyme genannt, sind Henne und Ei zugleich. „Ein sich selbst nachbildendes
Ribozym“, meinte der Astrophysiker Carl Sagan, „war wahrscheinlich vor vier
Milliarden Jahren das erste Ding, das man in gewissem Sinne lebendig nennen
könnte“.
(GEO 9/1999 S.147)
·
Der Begriff Anpassung bezieht sich
immer auf eine Population oder eine gesamte Art, nie auf ein einzelnes
Individuum (65)
es gibt keine Anpassungsleistung, die für jede Situation taugt. Nichts ist per
se gut oder schlecht. ... Was in einer bestimmten Umgebung gut ist, kann in
einer anderen nachteilig sein. (66)
heute leben vermutlich zwischen 10 und 200 Mill. verschiedene Arten auf der
Erde (76), die heute vorhandenen Arten machen nur weniger als 1 % aller je
dagewesenen aus (79)
Die „große Synthese“ hat den Darwinismus keineswegs zu einer abgeschlossenen
Theorie erklärt. Ganz im Gegenteil. Der Darwinismus bietet keine fertige
Erklärung für jedes beliebige Phänomen. Er ist vielmehr ein Forschungsansatz,
eine „Erklärungsmaschine“ ... die Synthese der Evolutionsbiologie dauert an und
integriert Erkenntnisse aus anderen Disziplinen, etwa Genetik,
Molekulargenetik, Biochemie, Geologie, Physik und Medizin (88)
die Evolution verfügt über keinen Mechanismus der Vervollkommnung ... keinen
Gipfel ... das Optimum ergibt sich aus dem konkreten evolutionären Wettbewerb
und nicht aus einem vorher definierten Ideal (84)
(Detlev Ganten u.a.: Leben, Natur, Wissenschaft; Eichborn Ffm. 2003)
·
Titel des Hauptwerks von Charles
Darwin in voller Länge:
On the Origin of Species by Means of Natural Selection, or the Preservation
(Erhaltung) of Favoured (begünstigter) Races (Rasse; Art) in the Struggle
(Ringen, Abmühen, Kampf) for Life
(Fischer E.P.: Die andere Bildung, S.300)
·
Entstehung des Lebens: Forderung, das
im Labor nachzustellen – dann könnte eine Regelhaftigkeit, ein Gesetz
abgeleitet werden; aber wenn die Entstehung des Lebens nun ein einmaliger
Vorgang gewesen wäre (analog Urknall JK)??? (297)
EVOLUTION im Kosmos? von Evolution nur sprechen, wenn auch eine wirkende Kraft
angegeben werden kann und wie sie zur Geltung kommt; Sterne und Galaxien –
welche Auswahl auf welche Weise nach welchem Kriterium??? (300);
struggle for life = Mühseligkeit des täglichen Existierens (300);
Darwins Beobachtungen:
1. Natur ist verschwenderisch, Geschöpfe sind überaus fruchtbar, Vermehrung
würde schnell jedes Maß sprengen
2. Zahl der Individuen ist zeitlich trotzdem stabil
3. natürliche Ressourcen in der Umgebung sind begrenzt
4. unter den Individuen gibt es Konkurrenz um die Lebensgrundlagen
5. Individuen zeigen Unterschiede in ihren Eigenschaften (Variationen)
6. Variationen sind erblich
7. Ausleseprozess begünstigt die, die besser angepasst sind (311);
Evolutionskonzept: es gibt neben den Naturgesetzen, die einen physikalischen
oder chemischen Ablauf determinieren, noch andere Formen; Element des Zufalls
in der Evolution führt zu einem statistischen Gesetz (313);
Mutation ist eine genetische Variation, die zufällig und ungerichtet passiert;
Selektion zeigt sich dadurch, dass sich die Träger von unterschiedlichen
Variationen unterschiedlich vermehren, Selektion ist differenzielle
Reproduktion
andere Faktoren: Annidation, Isolation, Rekombination, Gendrift (314);
wichtiger Mechanismus: Doppelfunktionen (314);
nicht immer viele Nachkommen nötig: wenige Nachkommen zu haben, sie gut und
lange betreuen und ausführlich versorgen kann auch erfolgreiche Strategie sein
sexuelle Selektion: Weibchen investieren viel mehr als Männchen, wählen Partner
aus (Kraft, Schönheit, Zuverlässigkeit)
(319);
Theodosius Dobzhansky: Nichts in der Biologie macht Sinn, außer im Lichte der
Evolution (334)
(EP Fischer: Die andere Bildung – was man von den Naturwissenschaften wissen
sollte, Ullstein 2003)
·
Darwins Konzept:
1. Die Organismen einer Art sind untereinander nicht ganz gleich. Unterschiede
zwischen ihnen entstehen laufend neu ...
2. Die Organismen bringen mehr Nachkommen hervor, als (z.B. wegen begrenzter
Ressourcen) überleben können.
3. Die Unterschiede zwischen ihnen äußern sich in unterschiedlicher
Angepasstheit, die zu unterschiedlicher Eignung (fitness) führt.
4. Individuen mit höherer Eignung überleben bevorzugt bzw. bringen mehr
Nachkommen hervor als die übrigen.
5. Wenn die Unterschiede erblich sind, ändern sich die Arten allmählich. (14);
Synthetische Theorie der Evolution:
a) Mutationen ergeben das Ausgangsmaterial, die verschiedenen
genetischen Varianten.
b) Durch die Umweltbedingungen wird eine Auswahl (Selektion) der besser
angepassten (Individuen) getroffen, indem einige nicht überleben und andere
sich stärker fortpflanzen als der Rest.
c) Im Zustand reproduktiver Trennung bilden sich Isolationsmechanismen,
zwischen Populationen. Diese P. sind dann echte Arten, d.h.
Fortpflanzungsgemeinschaften, die mit anderen keine genetische Information mehr
austauschen.
d) „Gendrift“ (oder „Zufall“) sorgt für Änderungen der Allelenfrequenz
in Populationen, die nicht mit Anpassung verbunden sein müssen.
e) „Rekombination“ der genetischen Information beschleunigt bei
bisexuellen diploiden Organismen den gesamten Prozess (Variationen! JK)
f) „Annidation“ – das „Ein-Nischen“ von mutierten Populationen in nicht
genutzte Umweltgegebenheiten – kann zur Artbildung führen. (17)
(Deutsches Inst. f. Fernstudien Uni Tübingen, Fernstudium Naturwissenschaften,
Evolution der Pflanzen- und Tierwelt, 3. Theoretische Grundlagen, 1986)
·
Spiel: Frager wollen Begriff
herausfinden, aber der Befragte hat /zunächst gar keinen konkreten im Sinn,
Antworten JA und NEIN möglich, dadurch kommt am Ende was Sinnvolles und
Eindeutiges raus, ohne dass es am Anfang festgestanden hätte, entsteht erst im
Lauf der Fragerunde
(Variante: Antworten durch Würfel festlegen lassen – kann aber in Sackgassen
führen!)
(Kitty Ferguson: Gott und die Gesetze des Universums, Econ Düsseldorf 2002,
S.50)
·
Zufall ja, aber nur innerhalb bestimmter
Gesetzmäßigkeiten; der bisher gegangene Weg schränkt ein (Kanalisierung),
innere Selektion (es muss ins Gesamtgefüge passen);
Wettbewerb ums Dasein, aus dem derjenige als Sieger hervorgeht, der günstigere
Lebensstrategien entwickelt hat
(schneller laufen, besser seine Futterquelle riechen, vor Feinden
schützen)
(Dürr HP u.a.: Gott, der Mensch und die Wissenschaft, Augsburg 1997, S.83,103,)
·
Aus der Sicht des Biologen war die
Evolution keineswegs auf die Schaffung des Menschen angelegt. Er hat sich
ergeben ... die Umwege, über welche er entstanden ist, und der ganze „evolutive
Pfusch“, der in ihm kumulierte, schließen die Annahme jeder vernünftigen
Planung aus.;
Evolution: der Zufall ist ihr schöpferisches Element, und die entstehenden
Bahnungen sind ein Faktum. Diese Evolution stabilisiert sich selbst und richtet
sich selber aus. Ihr Sinn, oder doch ihre Zwecke entstehen mit ihren Produkten.
Sie ist von einer poststabilierten Harmonie.;
zwei Mechanismen: erbliche Variation und Auslesebedingungen;
Die Erklärung sieht nur einen Blinden und einen völlig kurzsichtigen
Konstrukteur vor. Mutationen erfolgen blindlings und ohne Bezug auf die jeweils
gegebenen Bedürfnisse. Und die Selektion, die einen Organismus tötet oder doch
von der Reproduktion ausschließt, kann nicht vorhersehen, ob derselbe nicht
kurz darauf hätte sehr erfolgreich sein können... Wirkung eines dritten, sehr
weitsichtigen Konstrukteurs wahrnehmen: der zwar auch nicht in die Zukunft
sehen kann, aber zurück, auf die Herstellung seines bisherigen Produkts, das
sind die durch jene relativen (bisherigen) Zufälle entstandenen Notwendigkeiten
der inneren Organisation;
dass sich das Leben selbst einen Sinn schafft;
äußere Selektion beim Menschen kaum noch wirksam, aber innere Selektion
(Embryo, Fetus) geht weiter;
Selektion meint interspezifisch die Selektion zwischen Arten:
Räuber-Beute-Verhältnisse, Konkurrenz um Nahrung, Lebensraum usw.
Intraspezifisch bezeichnet Konkurrenz innerhalb einer Art, etwa um Ränge,
Brutgebiete oder Weibchen;
Räuber-Beute-Verhältnis versus Ressourcenkonkurrenz: ersteres erscheint grausam
und ist es auch für das Beutetier, aber es führt nicht zum Aussterben, weil die
Füchse das letzte Hasenpaar nicht finden (Verhältnis pendelt sich ein); die so
harmlos klingende Konkurrenz um identische Ressourcen dagegen führt zum
Aussterben des schwächeren Konkurrenten;
Die Entstehung des Lebens brachte es dazu, dass sich Systeme von Molekülen so
organisieren, dass sie, in großer Ferne vom physikalischen Äquilibrium, einen
Balanceakt vollbringen, der auch den ihnen beschiedenen Zerfall, den Tod,
dadurch umgeht, dass sie sich fortgesetzt reproduzieren ... und es ist
merkwürdig, dass auf diesem Seil auf mindestens 2 Millionen verschiedene Weisen
– die Anzahl der Arten – getanzt werden kann; zwei Millionen verschiedene
Wirklichkeiten (zutreffende und ausreichende Annahmen über die Welt draußen);
(Rupert Riedl: Zufall, Chaos, Sinn; Kreuz Stuttgart 2000,
S.52,55,60,72,82,88,164)
·
Alle Einflüsse der unbelebten Natur,
wie Niederschlag, Temperatur, Windverhältnisse, Bodenbeschaffenheit, und
chemische Bedingungen können als Selektionsfaktoren wirken. Das gilt auch für
Organismen. Sie können als Konkurrenten um Nahrung und Wohnraum auftreten.
Parasiten und Krankheitserreger spielen eine Rolle. Auch die geschlechtliche
Auslese bei der Partnerwahl ist von Bedeutung.
(Schrödel Lehrbuch Biologie 1995 S. 404)
·
Evolution im Grundsatz planlos und
völlig frei, aber erst Gene (müssen funktionsfähig bleiben und kooperieren
können zellintern), dann Baupläne, die nur noch in Grenzen variiert werden
können, das alles engt die weiteren Entwicklungsmöglichkeiten immer weiter ein
·
Evolution: erst im Nachhinein zeigt
sich, ob eine Veränderung gut oder schlecht war; „Hinterher ist man immer
klüger“; offenbar ist hier ein ziemlich blinder und sehr konservativer Spieler
am Werk; was erfolgreich ist, das wird erhalten
(Lesch/Müller: Big Bang zweiter Akt – Auf den Spuren des Lebens im All,
Bertelsmann München 2003, S.66)
·
Hinweise auf / Belege für EVOLUTION
Geologie, Paläontologie (Fossilien)
vergleichende Morphologie, Anatomie (ähnliche Baupläne)
Systematik (Ordnung nach abgestufter Ähnlichkeit)
Embryologie (ähnliche Entwicklungsschritte)
Tiergeographie
Haustierzüchtung / Züchtungsforschung
Parasitologie
Verhaltensforschung (angeborenes Verhalten bei verwandten Arten ähnlich)
rudimentäre Organe (Erklärung)
Physiologie (Stoffwechselvergleich, auch Eiweißverträglichkeit)
“chemische Stammbäume“ (z.B. Atmungsferment Cytochrom C)
Molekularbiologie (universeller genetischer Code, ähnliche Gene für ähnliche
Funktionen bei verschiedenen Organismen)
(JK)
·
(387ff) 2. Argumente für die
Evolutionstheorie
+ Anatomische und morphologische Beweise (Homologie, Funktionswechsel,
Analogie, Konvergenz, rudimentäre Organe)
+ Entwicklungsphysiologische Beweise (biogenetische Grundregel)
+ Paläontologische Beweise (Fossilien, Altersbestimmung, Übergangsformen)
+ Tier und Pflanzengeografie (Isolation)
+ Verhaltensbiologie (Homologien, Rituale)
+ Parasitologie (Parasiten geringere Evolutionsgeschwindigkeit als ihre Wirte)
+ Cytologie (Zellaufbau bei allen Lebewesen Gemeinsamkeiten)
+ Biochemie (Veränderungen der Geninformation; Stammbäume aus Mutationen bei
bestimmten Enzymen)
(Biologie heute SII, Schroedel Verlag Hannover, 2004)
·
Dass wir Menschen nicht vor jeder
Empfängnis und Geburt zittern müssen, ob das Kind, das kommen wird,
missgestaltet sein wird oder nicht, verdanken wir der biologischen Selektion
mit ihrer ambivalenten Wirkweise. Sie sorgt mit einer unglaublich hohen
Wahrscheinlichkeit dafür, dass Deformiertes oder Nicht-Lebensfähiges zugunsten
des (wahrscheinlich) Lebensfähigen aus dem Entwicklungsgeschehen ausgeschieden
wird. Insofern ist diese Form von Selektion selbst ein staunenswerter Teil des
Lebens. ...
auf den Rampen von Auschwitz eine Selektion furchtbarer Art: Auswahl zum
Verderben ...
Theißen formuliert den Gedanken, dass „die Verminderung von Selektionsdruck das
heimliche Programm aller Kultur sei.“
(Klaus-Peter Jörns: Notwendige Abschiede – Auf dem Weg zu einem glaubwürdigen
Christentum, Gütersloh 2004, S. 214ff)
·
in einem Brief malte Darwin einem
Freund aus, in einem „warmen, kleinen Teich“ könnten „Licht, Blitze und
Elektrizität“ die ersten Bausteine des Lebens zusammengesetzt haben;
Anfang der 1980er Jahre: in einem primitiven Bakterium hatten amerikanische
Biologen Abarten der Erbsubstanz Ribonukleinsäure gefunden, die sich als wahre
Zauberkünstler erwiesen: si konnten sich ohne die Hilfe von Eiweißen vermehren
... Ribozyme … Ei und Henne zugleich ... ein sich selbst nachbildendes Ribozym war
wahrscheinlich vor 4 Mrd Jahren das erste Ding, das man in einem gewissen Sinne
lebendig nennen konnte (Carl Sagan)
(GE0 9/99 S.142ff)
·
(105) Thomas R. Malthus, Pfarrer und
später fortschrittskritischer Sozialökonom, Theorie der Diskrepanz zwischen
Bevölkerungswachstum und Nahrungsmittelversorgung;
(106) Darwin, der den Tod seiner vielgeliebten Tochter nie verwinden konnte,
wurde religiös gegen Ende seines Lebens immer mehr zum Agnostiker.;
(149) Allen Lebewesen, darüber dürfte heute Konsens herrschen, sind drei
dynamische Hauptmerkmale eigen:
- Fähigkeit zur Erzeugung von Organismen der gleichen Art: Reproduktion
- erbliche Veränderungen als Voraussetzung für die (Veränderung von und JK)
Entstehung einer Vielfalt von Lebewesen: Mutation
- Steuerung des Stoffwechsels zur Aufnahme und Umsetzung von Energie und
Material aus der Umgebung: Metabolismus;
(159) schon der griechische Philosoph und Atomist Demokrit (ca. 470 – 380 v.
Chr.) hatte geschrieben: „Alles, was im Weltall existiert, ist Frucht von
Zufall und Notwendigkeit.“;
Jacques Monod räumte dem Zufall entschieden den Vorrang ein: „der reine Zufall,
nichts als der Zufall, die absolute, blinde Freiheit als Grundlage des
wunderbaren Gebäudes der Evolution“;
(160) Manfred Eigen (1975): „Naturgesetze steuern den Zufall“;
(163) Entweder ein Mensch sagt nein zu einem Urgrund, Urhalt und Urziel des
ganzen Evolutionsprozesses: Dann muss er die Sinnlosigkeit des ganzen Prozesses
und die totale Verlassenheit des Menschen in Kauf nehmen (so versteht es
J.Monod JK);
Oder ein Mensch sagt ja ... Dann darf er die grundlegende Sinnhaftigkeit des
ganzen Prozesses und der eigenen Existenz zwar nicht aus dem Prozess selbst
begründen, wohl aber darf er sie vertrauend voraussetzen ...;
(Hans Küng: Der Anfang aller Dinge, Naturwissenschaft und Religion, München
2005)
·
(386) Artbegriff: Eine Art ist die
Gesamtheit der Populationen, deren Individuen sich untereinander fortpflanzen
können und durch Fortpflanzungsschranken von anderen Populationen getrennt
sind.;
(386ff) Evolutionsfaktoren
+ Mutationen als Grundlage der Evolution
+ Selektion (abiotische und biotische Faktoren; Coevolution)
+ Gendrift (Zufallswirkung)
+ Genetische Rekombination;
(455) In keinem Fall wurde die Evolutionshypothese falsifiziert; sie gelangte
so schon seit langem in den Rang einer gut begründeten Theorie. Sie steht mit
unabhängig davon gewonnenen Ergebnissen der Geologie, Geophysik und Astrophysik
in Übereinstimmung ...
(Linder Biologie, Lehrbuch für die Oberstufe, 21. Auflage, Metzler, Schroedel
Verlag Hannover, 1998)
·
(35) Man schätzt, dass für die
Entstehung einer Muschelkalkschicht von 1 Meter Dicke etwa 20.000 Jahre
erforderlich sind.
(36) Radicarbonmethode: Sie nutzt den Zerfall eines radioaktiven
Kohlenstoff-Isotops für die Altersbestimmung. Durch kosmische Strahlung aus dem
Weltraum wird regelmäßig ein bestimmter Teil der Stickstoffatome unserer
Atmosphäre in radioaktiven Kohlenstoff 14C verwandelt.
(37) Kalium-Argon-Methode: Normales Kalium enthält zu einem geringen Teil
(1/25.000) das radioaktive Isotop Kalium-40. das ständig zerfällt, wobei das
Edelgas Argon entsteht.;
(44) Mutationen
+ Gen-Mutationen; Veränderung der DNA-Struktur; veränderte Aminosäure-Sequenzen
in Proteinen
+ Chromosomen-Mutationen; Verlust, Verdopplung, Drehung, Verlagerung einzelner
Abschnitte; Gene gehen verloren, sind mehrfach vorhanden oder stehen in anderer
Nachbarschaft
+ Chromosomensatz-Mutation; Vervielfachung des gesamten Chromosomensatzes
+ Regulatorische Mutation; Gen- oder Chromosomenmutation; Veränderung von
Regulationsmechanismen;
(47) Sanger brauchte für die Aufklärung der Insulinstruktur (1953) 100 Gramm
Substanz und 10 Jahre Zeit; 1958 Nobelpreis;
(96) Überschrift Kap. 6: Das Problem der Entstehung des Lebens
(103) Kap. 6.7. Probleme der Theorie von der Entstehung des Lebens
Die Evolutionstheorie ist heute durch Beweise aus den unterschiedlichsten
Hilfswissenschaften so stark abgestützt, dass sie zu den am besten gesicherten
Theorien der Naturwissenschaft gehört. Sie wird vom größten Teil aller Biologen
akzeptiert ...
Diese weitgehende Sicherheit reicht zurück bis an die Stelle, wo im Stammbaum
die ersten echten Lebewesen, also einfache Zellen, stehen. ...
Zwischen der Entstehung organischer Stoffe und dem Auftauchen erster
funktionsfähiger Zellen aber besteht eine Lücke in der Theorie. Viele der
Gedanken, die hier in den letzten Abschnitten besprochen wurden, beruhen auf
Vermutungen und Spekulationen. Die Theorien über die Evolution der entwickelten
Lebewesen sind in vielen Fällen anhand von Fossilien überprüfbar. Für die Phase
der Entstehung des Lebens und der Entwicklung der frühen Lebewesen fehlen aber
solche Beweise.
Auch reproduzierbare Experimente sind nicht möglich, da der Prozess der
Entstehung des Lebens Zeitspannen umfasste, die experimentell nicht wiederholbar
sind. So sind wir auf die Auswertung von Indizien angewiesen, um zu schlüssigen
Vorstellungen zu kommen. Diese Bemühungen haben aber bisher einen großen Teil
der Probleme noch nicht lösen können. ...
Man kann prinzipiell nicht voraussagen, ob diese Probleme in Zukunft gelöst
werden können. Heute aber muss man feststellen, dass die Evolutionstheorie über
die Entstehung des Lebens auf der Erde noch kein gesichertes Bild bieten kann.;
(143) Man ist, wie in jeder historischen Wissenschaft, auf Indizienbeweise
angewiesen.
(106) Ein Stammbaum soll den Weg nachzeichnen (den die Entwicklung gegangen ist
JK)...
Der Biologe, der sich das Nachzeichnen dieses Weges zur Aufgabe macht, ist in
der Lage eines Kriminalisten, der ein Verbrechen rekonstruieren soll, für das
es keine Zeugen gibt. Er hat eine Reihe von Hinweisen ... die Verknüpfung der
Indizien erfordert viel Fingerspitzengefühl ...
Unser Stammbaum wird deshalb an vielen entscheidenden Stellen notgedrungen
gestrichelte Linien oder sogar Fragezeichen aufweisen ...
(127) Die Problematik des menschlichen Stammbaums
Die Liniendarstellung in einem Stammbaum täuscht über die Lücken hinweg, die
zwischen den einzelnen Funden bestehen. Diese sind häufig beträchtlich.;
(140) Präadaptation = Entstehung von Eigenschaften, die erst später einen Sinn
bekommen, Anpassung „im Voraus“;
Versuch: man legt Bakterienkulturen an und gibt anschließend ein tödlich
wirkendes Antibiotikum dazu; es existieren immer einige Bakterienstämme, die
resistent gegen das Antibiotikum sind (das ist in jedem Versuch immer eine
unterschiedliche Anzahl – es ist also keine „Reaktion“ auf die Anwesenheit des
Giftes, sondern die Eigenschaft war schon vorher zufällig da);
Man kann sich vorstellen, dass in ähnlicher Weise unter den Lebewesen immer
einige Formen vorhanden sind, die zufällig schon an die neu eintretenden
Umweltveränderungen angepasst sind.
(143) Dass es trotzdem noch Lücken (in der Evolutionstheorie JK) gibt und
wahrscheinlich immer geben wird, ist kein Beweis gegen ihre Richtigkeit. Nur
wenn eine Theorie gefunden wird, die die Erscheinungen der lebenden Welt auf
andere Weise und besser als die Evolutionstheorie erklärt, wird die
Abstammungslehre überholt sein.;
(146) Eine fundierte, lückenlose Argumentation dagegen (in der
Evolutionstheorie JK) ist aber mit gewissen Schwierigkeiten verbunden: Die
Evolutionstheorie beruht zu einem großen Teil auch auf den Voraussetzungen, die
die Geologie liefert, denn die Fossilien finden sich in geologischen Schichten,
und die Datierungsmethoden, die die Zeittafel der Evolution bestimmen, sind
Datierungsmethoden der Geologen. Diese Verfahren beruhen aber auf der Annahme,
dass die Naturgesetze, die heute wirksam sind, schon vor langer Zeit wirksam
waren. Das Prinzip wird als Aktualismus oder Aktualitätsprinzip bezeichnet und
geht auf den englischen Geologen Charles Lyell zurück, der damit zu Darwins
Zeiten die Geologie in neue Bahnen lenkte. Für uns ist dieses Prinzip heute
selbstverständlich. Es ist aber ... nicht beweisbar. Der Aktualismus ist ein
AXIOM, d.h. ein Satz, der zwar als unmittelbar einsichtig gilt, aber nicht
beweisbar ist.
(Hoff/Miram: Materialien für den Sekundarbereich II, Biologie, Evolution,
Schroedel Verlag Hannover 1993)
·
(104) Kelvin 1862 Schätzung zum Alter
der Erde: 20 bis 400 Millionen Jahre; geht in den Folgejahren zurück auf 24
Mill. Jahre; Grund: man konnte mit keinem der damals bekannten physikalischen
Vorgänge erklären, wie ein Körper wie die Sonne länger als ein paar zig
Millionen Jahre leuchten konnte (Brennstoff zu Ende);
(127) gegen Ende des 19. Jh. Schätzungen für das Alter der Erde zwischen 3
Millionen und 2,4 Milliarden Jahren;
(251) Jedes Jahr sammeln sich auf der Erde rund 30.000 Tonnen Weltraumstaub.
(406) (Voraussetzungen für Fossilbildung) nach heutiger Kenntnis wird nur ungefähr
einer von 1 Milliarde Knochen zu einem Fossil;
nach Schätzungen findet sich nicht einmal eine unter 10.000 biologischen Arten
in den Fossilfunden wieder;
bei etwa 95% aller bekannten Fossilien handelt es sich um Tiere, die einst
unter Wasser lebten, die meisten davon in flachen Meeren;
Schätzungen: Erde hat im Laufe ihres Lebens 30 Milliarden Arten von Lebewesen
hervorgebracht;
(433) „In erster Annäherung sind alle Arten ausgestorben“ (Raup);
Die durchschnittliche Lebenserwartung kompliziert gebauter biologischer Arten
liegt bei rund 4 Millionen Jahren;
(496f) Gregor Mendel ... hatte am Philosophischen Institut von Olmütz und an
der Wiener Universität Physik und Mathematik studiert und betrieb seine
Arbeiten mit strenger wissenschaftlicher Disziplin; Bibliothek im Kloster in
Brünn 20.000 Bände;
Mendels Beobachtungen nicht völlig unbeachtet: Eintrag in der Encyclopedia
Britannica und Zitate beim deutschen Forscher Focke;
Mendel besaß die deutsche Übersetzung von Darwins „Entstehung der Arten“;
(501) Darwin wurde in der Westminster Abbey unmittelbar neben Newton
beigesetzt;
(555) stützen sich unsere gesamten Kenntnisse über die Vorgeschichte des
Menschen auf die äußerst bruchstückhaften Überreste von vielleicht 5000
Individuen;
(563) Eigentlich war es gar nicht so, dass LUCY und ihresgleichen die Wälder
verließen, sondern sie wurden von den Wäldern verlassen (Gribbin)
(Bill Bryson: Eine kurze Geschichte von fast allem, Goldmann München 2004)
·
(246) die Veränderung in einem
homeotischen Gen führt dazu, dass zum Beispiel die Maschinerie, die ein Bein
herstellen soll, dort in Schwung gebracht wird, wo eigentlich eine Antenne
nötig ist. Tatsächlich gibt es Fliegen, denen Beine aus dem Kopf wachsen ...
kein Genetiker hätte sich ein solches Wesen in seinen wildesten Träumen
ausdenken können;
dass die Genvariationen zu einer Fehlidentifizierung des Körpersegments führen,
was dann die Anfertigung von gebrauchfähigen Organen am falschen Ort nach sich
zieht;
(250) Nicht nur Insekten verfügen über eine Homeobox. Der entsprechende
Genbereich konnte bei Würmern, Fröschen, Mäusen und zuletzt auch im Menschen
gefunden werden. Das Überraschende dabei war nicht nur, dass in der Entwicklung
von Wirbeltieren und Wirbellosen ein gemeinsames Prinzip erkennbar wurde,
sondern dass homeotische Gene auch dort funktionierten, wo sich – auf den
ersten Blick – keine Körpersegmente erkennen ließen.
Wenn man genauer hinschaut, erkennt man natürlich, dass Menschen innerlich sehr
wohl Segmente erkennen lassen, und zwar die berühmten Rippen ... auffallend
häufige Fehlbildungen an dieser Stelle. Etwa einer von 10 Erwachsenen hat eine
andere Rippenzahl (als die normalen 12 auf jeder Seite ... das Muster, das zu
dieser Bildung führt, wird dadurch gestört, dass eines der homeotischen Gene
des Menschen nicht funktioniert);
(253) Erklärung für die Ähnlichkeiten in der Embryonalentwicklung, die Fische,
Salamander, Hühner, Kaninchen und Menschen zeigen; dass Organismen für ihre
Entwicklung sehr eng miteinander verwandte Gene benutzen, um die (An- JK) Ordnung
ihrer Teile festzulegen;
(254) die homeotischen Gene enthalten Informationen über Proteine, die in der
Lage sind, Einfluss auf die Art und Weise zu nehmen, mit der (andere) Gene
genutzt werden.; Proteine von homeotischen Genen dienen als molekulare Schalter
und aktivieren oder deaktivieren andere Gene.;
alle homeotischen Gene treten als Block (Cluster) auf, liegen in einer
bestimmten Reihenfolge aufgereiht (manchmal auf einem Chromosom, beim Menschen
auf vier verteilt
(264) Gene spulen keine Programme ab, Gene reagieren vielmehr kreativ. Die
Gesamtheit der Gene – das Genom – verfügt über Kreativität.
(Ernst Peter Fischer: Die Bildung des Menschen - was die Naturwissenschaften über uns wissen;
Ullstein Berlin 2006)
·
(123ff) Hoimar von Ditfurth: „Die Wirklichkeit
ist nach oben offen“ ...
Die Evolution unseres Verstandes als „Haushaltsverstand“ sichert primär unser
Überleben und weist doch in seiner Evolution über sich selbst hinaus. Die
Evolution zeigt, dass es auch für den Menschen und nicht nur für Tiere Räume
von Wirklichkeit geben muss, die weit über die jeweils wahrgenommenen Bereiche
hinausweisen. Die Wirklichkeit – so erklärt Ditfurth ... „ist noch nach oben
offen, auch wenn wir nur einen kleinen begrenzten Ausschnitt erleben.... Es
bleibt (für Ameisen, Reptilien, Affen und Menschen JK) immer noch ein
vergleichsweise winziger Ausschnitt aus dem was uns umgibt. Unsere Welt ist in
Wirklichkeit weit über unseren Erkenntnishorizont hinaus offen“. ...
(Wolf-Rüdiger Schmidt: Leben ist mehr, GTB Sachbuch 957, Gütersloh 1988)
·
(11) Leben ist nach wie vor rätselhaft
und der Weg von der toten Materie zum ersten primitiven Organismus unklar.
(18ff) Kriterien für das Phänomen „Leben“:
+ Stofflichkeit (Lebewesen bestehen aus chemischen Stoffen)
+ Stoffwechsel und Energieumsatz (Aufnahme, Einbau, Ausscheidung)
+ Komplexität
+ Eigenständigkeit (Wahlmöglichkeiten)
+ Vermehrung
+ Erbinformation
+ Wandelbarkeit (Mutationen, Evolution);
(22) NASA-Definition für „Leben“:
“ein sich selbst unterhaltendes chemisches System, welches fähig ist, eine
Evolution im Sinne Darwins durchzuführen“;
(23) Francis Crick: zwei Bereiche, in denen der Vitalismus noch überdauert
hätte – die Entstehung von Leben und das Phänomen „Bewusstsein“;
Tatsächlich bestehen in diesen beiden Gebieten auch heute noch große Lücken im
Verständnis der Vorgänge und es muss zugegeben werden, dass für die nahe
Zukunft eine restlose Beschreibung im naturwissenschaftlichen Sinne noch
keineswegs absehbar ist.:
(27) Carl von Linné (1707 bis 1787) setzte sich als erster dafür ein, die
großen (Menschen-)Affen und den Menschen in eine gemeinsame Gattung
(„Menschenähnliche“) zu stellen, den Menschen also zu Tieren zuzuordnen;
(28) Lamarck – erhielt zunächst Ausbildung auf einer Jesuitenschule, um später
Priester zu werden;
(33) Darwin starb 1882, ohne etwas von Mendels Daten zu wissen, die seine
Theorie so dringend für ihren Durchbruch gebraucht hätte. Denn ohne dieses
Wissen über die Natur der Erbmerkmale und die Art und Weise der Übertragung auf
die Folgegenerationen war das Konzept der natürlichen Selektion nicht weiter
als eine einleuchtende Spekulation.;
(196) Zusammensetzung von Meteoriten (kohlige Chondriten): 70 verschiedene
Aminosäuren (darunter 9, die Lebewesen auf der Erde nutzen), Nukleinbasen
(Bausteine der Erbsubstanz DNS), Ameisen- und Essigsäure, Ketone, Chinone,
Amine und Amide;
(198) im polarisierten UV-Licht (wie es bei jungen Sternen vorkommt) bleiben
bevorzugt die „linksdrehenden“ (linkshändigen) Formen erhalten;
(202) Meteoritenteile, die vom Mars stammen, sind nachweislich im Inneren nie
über 45oC erhitzt worden;
(260) heute über 20 Meteoritenteile auf der Erde gefunden, die aufgrund ihrer
Zusammensetzung vom Mars stammen müssen;
(206) Darwin in einem Brief an Hooker:
„Aber wenn (oh welch ein großes Wenn) wir es zu Stande brächten, dass in einem
kleinen, warmen Teich, in welchem alle Sorten von Ammonium- und Phosphorsalzen,
Licht, Wärme, Elektrizität, etc vorhanden sind, auf chemischem Wege eine
Proteinverbindung entsteht, die dann noch kompliziertere Veränderungen
durchlaufen könnte, dann würde eine solche Substanz heute sofort gefressen oder
absorbiert werden, das wäre aber vor der Entstehung der Lebewesen nicht
geschehen.“;
(208ff) zum MILLER-Versuch: Glaskolben mit Methan, Ammoniak, Wasserdampf und Wasserstoffgas,
elektrische Entladungen, Erhitzen, Kreislauf; nach wenigen Tagen verschiedene
Hydroxylsäuren, Harnstoff, mehrere Carbonsäuren und Aminosäuren;
ABER: Bausteine lassen sich so zwar einfach herstellen, aber es gelang nicht,
die in Lebewesen aktiven Stoffe aufzubauen; neuere Erkenntnisse: die
Uratmosphäre, wie Miller sie angenommen hatte, gab es wohl in dieser
Zusammensetzung nie. Und damit war auch keine einfache Synthese der biologisch
wichtigen Moleküle möglich. ...
wir müssen aus den Erkenntnissen der letzten 50 Jahre „Ursuppenforschung“
schließen, dass es ganz so einfach wohl nicht ging und wir weiter nach dem oder
den günstigsten Orten für den Start des Lebens fahnden müssen. ...
Es braucht neben den Molekülen, die auf alles andere als geheimnisvolle Art
entstehen, eine ordnende und Struktur gebende Kraft oder eine natürliche
Einrichtung, welche die chemischen Grundstoffe vor ihrem Abbau schützt und
ihnen weiterführende Reaktionen ermöglicht ...
(214) Moleküle des Lebens entstehen in großer Menge und an den „unmöglichsten“
Orten.;
(228ff) ursprünglich eine RNS-Welt (?); Speicherung und Weitergabe von
Informationen mit einem Molekültyp; kumulativer Ansatz: zunächst
einfache, aber schon funktionsfähige Lösungen, die dann weiter perfektioniert werden;
(234) dass wir nie in der Lage sein werden, die Entstehung des Lebens auf
unserem Planeten genau, also Schritt für Schritt, zu rekonstruieren.
(235) Dem Leben steht offensichtlich eine Vielzahl von Möglichkeiten offen, um
aus unbelebter Materie einfache „lebende“ Systeme zu erschaffen. So betrachtet
wird Leben überall dort fast zwangsweise auftreten, wo „richtige“ Bedingungen
herrschen. Leben wird zu einem kosmischen Alltagsphänomen.;
(237) vielleicht viele Wege zur selben Zeit beschritten, aber nur das Resultat
eines einzigen Prozesses ist erhalten geblieben;
(252) Bakterien können hoch in die Atmosphäre getragen werden und den Planeten
auch ohne katastrophale Ereignisse (wie Meteoriteneinschläge) verlassen;
(Hansjürg Geiger: Auf der Suche nach Leben im Weltall, Wie Leben entsteht und
wo man es finden kann, Franckh-Kosmos Verlag Stuttgart 2005)
·
(21) Gould und seine Mitstreiter ....
lassen nicht nur Gene gelten: Organismen, Gruppen und ganze Arten können von
der Selektion ausgelesen werden.
(23) Die ökologischen Bedingungen erlaubten immer nur eine begrenzte und
einigermaßen gut bekannte Anzahl von Gestaltungsformen, von „Designs“, (schnell
schwimmende Meeresbewohner, Raubkatzen JK)
(158) (Darwin) Die Umwelt war nun eine Oberfläche mit Ritzen und Spalten, in
welche die natürliche Auslese unzählige Keile mit großer Kraft einhämmerte und
so die Formen an die vorgegebenen Herausforderungen anpasste.
(166) Anpassung ist nicht vollkommen, sondern nur im Verhältnis der
Konkurrenzsituation zu verstehen. Variation, Auslese und Anpassung geschehen
nicht nur, wenn Tiere und Pflanzen neue Lebensräume besiedeln, sondern immerzu
... Natürliche Auslese und Divergenz bewirken, dass in jedem Lebensraum die
höchstmögliche Anzahl von Arten und Individuen leben.;
(177) Darwin: Origin of Species, 1. Auflage S.73, London Penguin:
“Sämlinge aus derselben Frucht und die Jungen aus demselben Wurf unterscheiden
sich manchmal erheblich voneinander, obwohl, wie Müller bemerkte, sowohl die
Jungen als auch die Eltern offensichtlich denselben Lebensbedingungen
ausgesetzt waren; und dies zeigt, wie unwichtig die direkten Wirkungen der
Lebensbedingungen im Vergleich zu den Gesetzen der Fortpflanzung und des
Wachstums und der Vererbung sind; denn wirkten die Lebensbedingungen direkt und
hätten (sie JK) die Jungen variiert, hätten wahrscheinlich alle in der
gleichen Weise variiert.“
(203) Die Individuen einer Art können sich in zahllosen Eigenschaften
unterscheiden, und das Ausmaß dieser Unterschiede und welche Merkmale davon
betroffen sind, ändern sich ständig. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass
irgendeine Eigenschaft auf alle Mitglieder einer Art zutreffen muss. Es gibt
natürlich solche Eigenschaften – vier Gliedmaßen, Hämoglobin als Blutfarbstoff
usw. – aber selbst die Konstanz dieser Eigenschaften ist nicht notwendig. Ein
Schaf mit zwei Köpfen ist ein Schaf und ein Mensch mit sechs Fingern an jeder
Hand ist ein Mensch.;
(214) „Neodarwinismus“ – Namenswandel ist Folge der erfolgreichen
Zusammenführung von Evolutionslehre und Genetik, der so genannten
„evolutionären Synthese“, die im frühen 20. Jahrhundert mit der
Wiederentdeckung der Mendelschen Vererbungsgesetze ihren Anfang nahm.;
(10) Hox-Gene sind bei Insekten unter dem Namen Homeobox-Gene für die
Segmentierung des Körpers zuständig. Die Hox-Gene steuern sowohl bei
Wirbellosen als auch bei den Wirbeltieren den Aufbau des Körpers entlang der
Achse vom Kopf zum Körperende ... Die homeobox ist ein so genanntes Motiv im
Erbmolekül DNS, das 180 Bauteile oder Basen lang ist. Drei Basen bestimmen eine
Aminosäure, die Bauteile der Eiweiße, also ist das Produkt der homeobox, die so
genannte homeodomain, etwa 60 Aminosäuren lang. Nur bei den Wirbeltieren
spricht man von Hox-Genen.
(219) Hox-Gene gibt es nur bei Metazoen, höheren Tieren mit verschiedenen
Zelltypen und Geweben wie Ringelwürmern, Krebsen, Insekten und Wirbeltieren.
Diese Gene stammen von den so genannten Homeobox-Genen ab, die es auch bei
Einzellern und Pflanzen gibt. Die Hox-Gene sind in Gruppen entlang eines oder
mehrerer Chromosomen angeordnet. Bei Schwämmen gibt es nur ein Gen, vier oder
fünf bei den Cnidaria, sechs bis zehn Gene bei den meisten anderen Tierstämmen,
aber bis zu 39 Gene in vier Gruppen bei den Säugetieren. ...
(220) (Veränderung von Gliedmaßen und Bauplänen möglich) ... In dieser
komplexen Abfolge von genetischen Schaltern können in jedem Schritt
Erbänderungen auftreten, deren Folgen von den klassischen Modellen der
Evolutionsgenetik nicht erfasst werden können.;
In langen geologischen Zeiträumen sind die massiven Änderungen der Erde ebenso
ein Motor der Evolution wie Umbauten in der genetischen Architektur.
(Thomas P. Weber: Darwin und die neuen Biowissenschaften, DuMont Köln, 2005)
·
(2) Dass die Evolutionstheorie
empirisch widerlegt sei, kann trotz der zahlreichen neu hinzugekommenen Fakten
nicht mehr ernsthaft behauptet werden, nachdem sich Erdalter,
Evolutionsgeschwindigkeit, Fossilfunde, Genetik und Molekularbiologie als mit
ihr bestens verträglich erweisen haben.;
(7) Mutationen sind ungerichtet. Sie werden zwar ausgelöst, also verursacht
(und sind in diesem Sinne nicht absolut zufällig); ihre Ursachen sind jedoch
mit ihren phänotypischen Auswirkungen nicht gesetzmäßig verknüpft. Die
Mutationen bringen daher ein Zufallselement in den Verlauf der Evolution. Auch Gendrift
und Genrekombination sind Zufallsfaktoren. Selektion, Annidation und Isolation
sind dagegen im wesentlichen deterministischer Natur.
So kommt es zu dem charakteristischen konstruktiven Zusammenspiel von „Zufall
und Notwendigkeit“ in der Evolution ...;
(8f) Während die Mikroevolution „nur“ die Veränderungen innerhalb einer Art,
also die innerartliche oder infraspezifische Evolution betrifft, bezieht sich
der Ausdruck „Makroevolution“ auf Veränderungen über die Art hinaus, auf die
Entstehung neuer Organe, Typen, Baupläne, Lebensweisen, neuer Arten, Gattungen,
Ordnungen und höherer systematischer Einheiten (Taxa), auf die transspezifische
Evolution oder Typogenese. Die Makroevolution hat nicht nur vom Ein- zum
Vielzeller, sondern auch von den Fischen über Amphibien und Reptilien zu Vögeln
und Säugern geführt. Dabei wurden offenbar ganz neue Lebensräume erschlossen,
neue ökologische Nischen geschaffen und erobert, neue Lebensweisen ausprobiert,
neue Nahrungsquellen erschlossen ...
Für die Erklärung der Mikroevolution genügen ... tatsächlich Mikromutationen,
kleine, zufällige, ungerichtete Erbänderungen, die durch elementare Kopier- und
Übersetzungsfehler zustande kommen. ...
Makromutationen (Großmutationen, Neuentstehung von ganzen Genen oder
Chromosomen) sind bisher nie beobachtet worden. ... gibt es ... nicht;
(18f) „Präadaptation“ zunächst funktionslose Merkmale, die erst in einem
späteren Stadium der Evolution eine Funktion übernehmen ... Fische atmen durch
Kiemen und besitzen nur geringfügig versteifte Flossen. Die Crossopterygier
jedoch – als deren lebendes Fossil der rezente
Quastenflosser gelten darf – verfügten über zusätzliche Nasenrachenräume,
Lungensäcke und Stützknochen in den Flossen, obwohl sie immer „noch“ Fische
waren. Sie waren „präadaptiert“, an Land zu gehen und zu Vorfahren der
Landwirbeltiere zu werden. Einige Reptilien entwickelten bereits
gewichtssparende Hohlknochen, die auf das Fliegen des späteren Archäopteryx
„vorbereiteten“. Manche gingen vom vierfüßigen zum zweifüßigen Laufen über, so
dass die Vorderbeine frei wurden und zu Flugwerkzeugen umgewandelt werden
konnten. Sie waren zum Fliegen „präadaptiert“. Wenn man so will, dann waren
sogar die Bakterien, die gegen Penizillin resistent, oder Insekten, die gegen
DDT immun sind, für das Leben mit Medikamenten und Insektiziden „präadaptiert“.
Gleichwohl ist der Ausdruck „Präadaptation“ gänzlich verfehlt. Zunächst handelt
es sich ja gerade nicht um eine Anpassung, sondern um ein zufälliges, neutrales
(oder sogar nachteiliges) Merkmal, das eben so mitgeschleppt wird. Von einer
„Vor-Anpassung“ zu sprechen, legt dagegen eine teleologische Deutung nahe, die
weder zulässig noch eigentlich beabsichtigt ist. Die „präadaptierten“ Lebewesen
sind in keiner Weise an die Zukunft angepasst und schon gar nicht
vor-angepasst. ... Man spricht heute lieber von „Prädisposition“. ... Vorsilbe
„Prä“ im Grunde überflüssig ... eine funktionslose Struktur kann immer nur
unbedeutend sein ...
(20ff) “Funktionswechsel“ bei genauerer Prüfung der Fälle, in denen Präadaptationen
oder Prädispositionen für die Makroevolution verantwortlich gemacht werden,
wird man feststellen, dass die betrachteten Strukturen auch gar nicht
funktionslos sind, sondern iher Funktion lediglich gewechselt haben.
Insbesondere dienen die Vordergliedmaßen der Wirbeltiere in einer
beispielhaften Folge von Funktionswechseln zum Schwimmen, zum Laufen, zum
Graben, zum Greifen, zum Klettern und eben auch zum Fliegen. ...
Ein Insektenbein kann nicht nur als Laufbein, sondern „nebenbei“ auch als
Grabschaufel, Kiefer, Saugrüssel, Ruder, Geräuscherzeuger, Paarungswerkzeug und
als Legeröhre dienen ... Zähne entstanden aus Schuppen, Schwimmblasen aus
primitiven Lungen (nach Darwin sollte es übrigens umgekehrt sein) ...
Die Gehörknöchelchen im Mittelohr der Säugetiere sind ihrerseits aus
abgewanderten Knochenteilen des „primären“ Kiefergelenks der Fische entstanden.
Bei den frühen Landwirbeltieren rückte zunächst ein Kieferknochen ins Ohr und
wurde bei den Säugern zum „Steigbügel“, bei Amphibien, Reptilien und Vögeln zur
„Columella“. Später wanderten dort – allerdings nur bei den Säugetieren – zwei
weitere Teile des Kiefergelenks ein, die zu „Hammer“ und „Amboss“ umgewidmet
wurden; die Kiefer arbeiten nun mit einem „sekundären“ Kiefergelenk, das andere
Knochen beansprucht. ...Ein eindrucksvoller fossiler Beleg für diesen Übergang
ist die Gattung Diarthrognathus, die sowohl („noch“) das primäre als auch
(„schon“) das sekundäre Kiefergelenk besitzt .... (29)
Knöchelchen dienten eine Zeitlang sowohl der Gelenkung als auch der
Schallübertragung ... Reptilien nehmen Bodenvibrationen „schon immer“ über
schallleitende Knochen wahr, und zwar über Vorderbeine, Brustgürtel,
Wirbelsäule und Schädelknochen einerseits, über (den auf dem Boden
aufliegenden) Unterkiefer, Kiefergelenk, Schädel und Ohr andererseits.
(Auch Vögel haben in den Beinen noch feine Sinnesorgane, die
Bodenerschütterungen registrieren.) Die Knochen des Kiefergelenks leiten also
schon bei den Reptilien auch Schall zum Ohr: sie sind von ihrer Funktion her schon
immer Teile des Gehörs, versehen also ... eine Doppelfunktion
(24ff) Entwicklung des Auges ... alle Zwischenstufen sind sinnvoll ...
schrittweise Verbesserung ... Doppelfunktionen (z.B. Schutz und besseres Sehen)
...
Die Lungensäcke des Quastenflossers bildeten sich aus Ausstülpungen der
Speiseröhre ... leichte Knochen zu besitzen, ist nicht erst fürs Fliegen,
sondern schon für ein laufendes Reptil von Vorteil ... zweifüßiges Laufen ist
lange vor dem Fliegen nützlich ... Vogelfedern zunächst in erster Linie
Wärmeschutz, später zusätzlich beim Fliegen wichtig ... fertiger Flügel dient
später auch als Waffe, als Schmuck ... bei den Alken als Flosse;
(30) Man schätzt die Zahl der heute lebenden Arten auf zwei Millionen. Etwa
hundertmal so viele, also rund 200 Millionen, sind bereits wieder ausgestorben.
Alle Arten unterscheiden sich voneinander in mehreren Merkmalen. Es gibt also
so unglaublich viele Merkmale bei Organismen, dass eine vollständige
phylogenetische Erklärung über Doppelfunktionen nicht für alle Merkmale erhofft
werden kann. In diesem Sinne wird die Evolutionsbiologie immer unvollständig
und lückenhaft bleiben.
(33f) Die Entstehung und Entwicklung unseres Kosmos, die Evolution von
Quasaren, von Sternen, von Planetensystemen, von Kontinenten und Atmosphären
sind Gegenstand ernsthafter und erfolgreicher Forschung. Diese Bemühungen haben
zwar mit charakteristischen Schwierigkeiten zu kämpfen (Einmaligkeit ihrer
Objekte, mangelnde Reproduzierbarkeit der Phänomene, Anthropozentrik unserer
Beobachtungssituation), sind aber doch als wissenschaftliche Disziplin legitim
und anerkannt.
Auch der Biologe steht vor der Schwierigkeit, mit historisch Einmaligem
konfrontiert zu sein.;
(36) Es sind im Wesentlichen drei Besonderheiten lebender Systeme, die dem Biologen
die Arbeit so erschweren. Eine dieser Besonderheiten liegt in der ungeheuren Komplexität
jedes Lebewesens, eine zweite in der unglaublichen organismischen Vielfalt,
eine dritte in der konstruktiven Rolle des Zufalls.;
(37) Es dürfte aber einleuchten, dass jedes vernünftige (d.h. unsere Intuition
angemessen berücksichtigende) Komplexitätsmaß Organismen einen höheren
Komplexitätsgrad zuschreiben wird als einem Stern, einem Planetensystem oder
auch einer ganzen Galaxis. Die Komplexität hängt nämlich nicht so sehr von der
Zahl der Bausteine ab (und damit z.B. nicht von der Masse), sondern von der Art
und Weise, wie diese Bausteine miteinander verbunden, aneinander gekoppelt
sind.;
(41) Im makroevolutiven Bereich sind Erklärungen nur möglich über den Begriff
der Doppelfunktion: Ein Merkmal kann gleichzeitig zwei (oder mehr) Funktionen
haben. Dabei kann die Ausbildung der einen Funktion eine zweite bis zur
Funktionsreife bringen. Nur so ist begreiflich, wie ein Merkmal schrittweise
entstehen kann, das erst als Ganzes funktionsfähig ist.;
(Gerhard Vollmer: Die Unvollständigkeit der Evolutionstheorie, in:
Kanitscheider, B. (Hrsg.): Moderne Naturphilosophie, Würzburg 1984)
·
(3) Doch so viel wir auch in den
vergangenen 150 Jahren über den Ursprung der Arten gelernt haben: Die meisten
evolutionsbiologischen Erklärungen sind dennoch keine unumstößlichen
Wahrheiten, „sondern Hypothesen und Denkmodelle, die aber eine enorme
Erklärungskraft und große Plausibilität haben“, so mein Kollege Henning Engeln,
der das Konzept für dieses Heft erarbeitet hat. Denn eines darf man bei allem
Respekt vor der akribischen Forschung besonders in den letzten Jahrzehnten nie
vergessen: Die Paläoanthropologen versuchen die rund sieben Millionen Jahre
währende Entwicklungsgeschichte des Menschen aus gerade mal 3000 Funden
herauszulesen. Das entspricht einem einzigen Fossil für einen Zeitraum von
jeweils etwa 2500 Jahren.
(25) dass es mittlerweile einen ganzen „Wald“ von Stammbäumen (des Menschen
JK) gibt;
(32) Carsten Niemitz: „Der Mensch stammt nicht vom Affen ab – er ist einer.“;
Basenfolge der Erbsubstanz stimmt bei Mensch und Schimpanse zu rund 99 %
überein;
gemeinsamer Vorfahre von Mensch und Schimpanse lebte vor etwa 7 Millionen
Jahren (molekulargenetische Berechnungen zu Mutationen);
(35) Ähnlichkeiten im Verhalten zwischen Mensch und Affen (Schimpansen benutzen
Werkzeuge, erlernen symbolische Sprache mit mehr als 100 Zeichen, täuschen,
lügen, helfen einander, töten Artgenossen ohne Not; Tradition: erlerntes
Verhalten wird von einer Generation zur anderen weitergegeben);
(55) statistisch wird nur alle fünf Jahre ein wichtiges fossiliertes Relikt der
Menschheitsgeschichte entdeckt. Hominidenforscher sind daher zahlreicher als
Hominidenfunde;
(77) Für mehr als 99% unserer Evolution haben wir nicht einen einzigen fossilen
Beleg;
(81) Ob ein Birkenspanner hell oder dunkel ist, bestimmt ein einzelnes Gen;
(144) würde Deutschland heute nach Afrika verlegt – die Menschen hätten, der
natürlichen Selektion überlassen, innerhalb von rund 10.000 Jahren wieder eine
schwarze Haut;
(GEOkompakt Nr.4: Die Evolution des Menschen, Hamburg 2005)
·
(13) Wenn wir den Menschen biologisch
einordnen wollen, dann ergibt sich folgendes Bild:
Stamm: Vertebraten (Wirbeltiere
Klasse: Mammalier (Säugetier)
Ordnung: Primates (Herrentiere)
Familie: Hominidae (Menschenartige)
Art: Homo sapiens sapiens;
(15) Manchmal treten Biologen auf, die den gläubigen Menschen einschließlich
ihrer Theologen erklären möchten, dass die Glaubenssysteme inhaltlich unsinnig
und nichts als soziokulturelle Produkte Darwinscher Evolutionstheorie seien.
Durch diese frei erfundene Scheinwelt falle es der biologischen Art Mensch
leichter, mit der wirklichen Welt klarzukommen.
Wenn sich dann ein solcher Aufklärer. nachdem er erklärt hat, was Religion
wirklich ist, selber stolz zum Atheismus bekennt, erinnert mich das stark an
einen Gehörlosen, der den versammelten Musikern erklären möchte, was Musik ist.
Musik ... das seien nur diese schwarzen Striche und Punkte auf dem fünflinigen
Papier. Was diese Musiker hörten, sei Einbildung, trüge aber auf raffinierte
Weise zu einer Wirtschaftsankurbelung ... bei. Und darin bestünde ihr
eigentlicher Sinn. ...
Das andere, genau gegenteilige Problem wäre, den Menschen von allem, was ihn
mit den Tieren verbindet, zu isolieren, ihn zu einer Art Engel
hochzustilisieren, das wäre eine „Ganz-anderes-Alserei“. Aber der Mensch ist
nicht als einziges Wesen dieser Erde vom Himmel gefallen, er hat wie alle
anderen auch eine Evolutionsgeschichte durchlaufen und sehr irdische
Eigenschaften;
(17) der Neandertaler und wahrscheinlich auch schon sein Vorgänger, der Homo
erectus, sind bereits religiöse Menschen ((Sozialfürsorge, Totenkult, rituelle
Bestattungen);
(56) ist es gerade die Religiosität, die den Menschen als Menschen im
Unterschied zu den tierischen Verwandten kenntlich macht (kann dabei durchaus
auch, aber nicht allein, eine biologisch erklärbare Verhaltensanpassung sein;
Anpassung woran, wissen wir nicht, wie Fische nichts von Hydrodynamik wissen
und ihr trotzdem angepasst sind)
(61) Naturalismus durchaus Gesprächspartner für Theologie auf Augenhöhe, wenn
er nicht meint, naturwissenschaftliche Gewissheit für seine
philosophisch-weltbildhaften Aussagen zu besitzen;
(87) Anaximander (611-564 vChr): Tiere sind aus dem Feuchten entstanden ...
Ahnen des Menschen aus Fischen und vom
Meer aufs Land gestiegen;
Aristoteles (384-322 vChr): Urzeugung von Lebewesen aus unbelebter Materie;
Vermutung, eine Art Auslese habe geeignete Strukturen überleben lassen;
Begriff EVOLUTION (wenn überhaupt verwendet) als Auswicklung dessen verstanden,
was in ursprünglicher Form in die Schöpfung hineingelegt war;
(106) „Zufall“:
nach Ernst Mayr: Mutation an einzelnen Genorten, Crossing over (Austausch
homologer Chromosomenstücke), Chromosomenverteilung (auf die Keimzellen) bei
der Reduktionsteilung, Schicksal der Chromosomen (Partnerwahl,
Gametenkombination), Schicksal der Zygote ... das alles ist nur in
pragmatischer Sicht zufällig, subjektiver Zufall;
(107) präziser ist der unverursacht-quantenphysikalische Zufalls-Begriff der
Physik (objektiver Zufall = VOLLMER), hier nicht aus pragmatischen, sondern aus
grundsätzlichen Erwägungen eine physikalische Kausalitätsrecherche nicht
möglich; zufällig ist zwar der Zeitpunkt des Zerfalls eines Uranatoms, das Ziel
aber angebbar: Blei;
(111) dass die Evolutionstheorie definitiv unfertig ist
(Ulrich Lüke: Das Säugetier von Gottes Gnaden, Evolution-Bewusstsein-Freiheit,
Herder Freiburg 2006)
·
Kühn skizzierte Darwin einen Stammbaum
und schrieb kurzentschlossen „I think“ darüber.;
hatte Bedenken über die Veröffentlichung seiner Theorie, weihte als ersten den
Botaniker Hooker ein und schrieb ihm „Es ist, als gestände man einen Mord“;
Evolution der Fische, Strahlenflosser heute 25.000 Arten, von ihren armseligen
Vettern leben noch 44 Spezies; die Ahnen haben vor etwa 350 Millionen Jahren
ihr Erbgut verdoppelt; ab da macht Kopie A den normalen Job, Kopie B mutiert
indessen fröhlich vor sich hin; 20.000 Jahre reichen da locker aus, damit neue
Arten entstehen;
Homöobox-Gene als Stararchitekten: entwerfen den großen Plan, sagen, ob eine
Zelle im Embryo Kopf oder Schwanz werden soll, welche Erbgutstückchen an- und
welche abgeschaltet werden sollen; Ein- und dasselbe Gen steuert z.B. die
Entwicklung des menschlichen Linsenauges und des Facettenauges der Libelle;
Baukasten-Gene, werden mal ein bisschen mehr, mal weniger abgelesen, mal an
einer anderen Stelle im Körper oder zu einem anderen Zeitpunkt: ganze neue
Konstruktionen;
ein Gen im Gehirn des Menschen stellt größere Mengen eines bestimmten Stoffes
her als im Schimpansenhirn, geändert hat sich nicht der Bauplan des Gens,
sondern die Regulierung (die Erbgutabschnitte, die festlegen, wie viel von
einem Stoff wann und wo hergestellt wird); ein Gen als einer der Kandidaten für
die Erklärung des menschlichen Bewusstseins?
“Es wird eng für den Schöpfer.“
(Spiegel 52/2005 S.136ff)
·
Paläoanthropologie:
Jede neue Theorie stützt sich auf sehr dünne Indizien, und bislang ist die
Paläoanthropologie weit davon entfernt, mehr als zumeist höchst angreifbare
Thesen zu entwickeln; spöttisch sagt man, es gebe mehr Paläoanthropologen als
Fossilien; vielleicht liegt die Attraktion fossiler Funde letztlich darin
begründet, dass jedermann ihnen eine eigene Botschaft andichten kann
(ZEIT 25.7.02 S.10)
·
Rezension zum Buch von Stephen Jay
Gould: The structure of evolutionary theory, 2002;
Gould untersucht ausführlich die drei zentralen Kritikpunkte am Darwinismus,
dass erstens die natürliche Selektion nicht nur am Organismus ansetzt, sondern
auf unterschiedlichen Ebenen vom Gen bis zur sozialen Gruppe operiert; dass
zweitens evolutionärer Wandel nicht allein das Werk von Anpassung ist, sondern
neben der natürlichen Selektion noch andere Mechanismen wirksam sind; und dass
drittens dieser Wandel nicht allmählich und graduell vor sich geht, sondern
mitunter schubweise und von Katastrophen gezeichnet verläuft.
(ZEIT 29.5.02)
·
Interview mit Dinosaurier-Forscher
Paul Sereno:
Es scheint eines der Grundphänomene der Evolution zu sein: Nur Katastrophen
können Freiraum schaffen für die Entfaltung neuer Formen. Ist eine Tiergruppe
erst einmal zum dominanten Pflanzen- oder Fleischfresser aufgestiegen, dann ist
es für andere sehr schwierig, sie aus dieser Rolle zu verdrängen;
Wir Menschen halten uns stets für das Ende der Evolution und suchen nach einer
Erklärung für unsere Existenz. Wir suchen nach Fortschritt in der Evolution –
aber wir finden keinen. Ich glaube, wir sind nur ein Zufall der Geschichte. Das
möchten wir nicht gern wahrhaben. Wir Menschen wären gern aus Notwendigkeit
entstanden oder aus Absicht. Aber so ist es nicht. Wir sind nichts als eine
kleine Franse in der Geschichte des Lebens.;
Arten haben einen Ursprung, eine Lebensspanne und einen Tod. Die
Durchschnittsart, ob Dino oder Säugetier, lebt zwischen drei und fünf Millionen
Jahre, aber ich bezweifle, dass wir es so weit schaffen.
(Spiegel 27/1999 S.198ff)
·
Interview mit Wolfgang Frühwald,
Literaturwissenschaftler und Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft;
Datengebirge aufgeschüttet; “Eine akzeptierte Lebens und Evolutionstheorie gibt
es nicht.“
(bdw 9/1999 S.24ff)
·
Gerd Theißen (Neutestamentler in
Heidelberg) unterscheidet zwei Phasen der Evolution: die biologische und die
kulturelle Evolution. Während die biologische Evolution durch die „harten“
Gesetze von Mutation und Selektion gekennzeichnet wird, ist es die Kultur, die
eine Selektion mindert. So ist die vom Menschen vollzogene kulturelle Evolution
immer darum bemüht, Lebens- und Überlebenschancen auch dort zu schaffen, wo
natürlicher Selektionsdruck diese nicht gewährt. Damit ist die kulturelle
Evolution als Gegenbewegung zur natürlichen Selektion anzusehen. ... biblischer
Glaube wird zum Aufruf gegen das Selektionsprinzip ... Der Gott, der sich in
der Bibel offenbart, will die Menschen aus den Gesetzen der biologischen
Evolution hinausführen, wie er sein Volk aus Ägypten führte ...
Antiselektionismus ist der gemeinsame Nenner für Gottes Handeln in der Bibel
und das seinem Handeln entsprechende menschliche Verhalten. ... Moltmann:
entweder muss Gott alles Negative in der Welt zugerechnet werden oder Gottes
Macht unterliegt einer Beschränkung ... Selbstbeschränkung Gottes ... damit die
Möglichkeit für die Schöpfung, sich frei zu entfalten
(Publik-Forum 25.4.1995)
·
Entwicklungsgenetik schließt klaffende
Lücke in der Evolutionstheorie;
zeigt, wie einzelne „Chefgene“ eine Vielzahl anderer Gene dominieren;
Hierarchie der Entscheidungen: wenn ein Chef Änderungen will, tauscht er gern Abteilungsleiter
aus, der bringt dann viele Angestellte auf (neuen) Kurs;
bei Mutationen in Genen auf höheren Ebenen der Hierarchie verändert sich evtl.
ein ganzes Entwicklungsprogramm
(ZEIT 29.9.05 S.37)
·
Interview mit dem Paläobiologen Simon
Conway Morris; erklärter Christ;
ich bin Darwinist, was die evolutionären Mechanismen betrifft, verstehe ich
mich eindeutig in dieser Tradition, allerdings kann der Darwinismus die
Resultate der Evolution nicht ausreichend erklären;
Evolution und Mensch sind keine Zufallsprodukte: Viele Gene, die in unserem
Gehirn aktiv sind, lassen sich bereits in Hefe nachweisen, viele wichtige
Proteinfamilien sind schon in früher Zeit entstanden, warteten dann
gewissermaßen auf ihren Einsatz; meiner Ansicht nach war der Mensch bereits mit
dem Urknall angelegt; Entwicklung macht immer neue (zielgerichtete) Anläufe,
neben homo sapiens der Neandertaler, das Linsenauge ist in der
Evolutionsgeschichte mindestens 7 x unabhängig voneinander erfunden worden;
Schwierigkeiten mit dem brutalen Prinzip des Fressens und Gefressen-Werdens? –
Man kann keine lebendige Welt schaffen, die gleichzeitig völlige Sicherheit
bietet
(ZEIT 19.8.04 S.29)
·
Schlange mit Hüftknochen entdeckt,
lebte vor 65 Millionen Jahren, Fund zeigt, dass sich Schlangen an Land entwickelt
haben
(ZEIT 20.4.06 S.40)
·
Erbmaterial der Singvögel auf den
Galapagos-Inseln verglichen; Ergebnis: alle Arten der verschiedenen
„Darwin-Finken“ stammen von einer gemeinsamen Urart ab
(Spiegel 22/1999 S.235)
·
Experimente erhärten These, dass
Kometen und interplanetarischer Staub einst wichtige Bausteine für die
Entstehung des Lebens auf die Erde brachten;
Labor: Aluminiumblock auf minus 261 Grad abgekühlt, in die Apparatur gegeben:
Wasser, CO2, CO, NH3 und Methanol; es bildeten sich dünne Eisschichten, die
mehrere Stunden lang mit UV-Licht bestrahlt wurden (Simulation von
Sternenlicht); Ergebnis: im Eis 16 verschiedene Aminosäuren, 6 davon spielen in
Lebensprozessen eine Rolle
(bdw 6/2002 S.54)
·
Leben aus dem Eis;
Hamburger Physiker; kann zeigen, dass sich im Meereis, unter Zugabe von Fetten,
zellmembranartige Strukturen bilden; halbdurchlässig, lassen osmotischen
Materialaustausch mit der Umgebung zu; vollführen amöbenhafte Bewegungen,
bleiben nach Schmelzen des Eises bestehen; solche Strukturen könnten im
Meerwasser entstandene Erbmoleküle aufgenommen haben, Vorstufe zu einer Urzelle
(Spiegel 3/2006 S.124)
·
erstmals haben Astronomen biochemische
Grundbausteine des Lebens in einer Gas- und Staubscheibe um einen jungen Stern
entdeckt; CO2, Ethin (Acetylen), Cyanwasserstoff (Blausäure); solche Moleküle
gibt es auch in kalten interstellaren Wolken, allerdings 10.000 mal seltener,
sowie im Sonnensystem in den Atmosphären der Riesenplaneten; mit Wasser können
Ethin und Cyanwasserstoff auf geeigneten Oberflächen zu Aminosäuren und Adenin
(einem der vier Buchstaben der Erbsubstanz DNS) reagieren;
biochemisch lebensfreundliche Verhältnisse offenbar auch anderswo
(bdw 3/06 S.13)
·
Hitzerekord: 3000 Meter Tiefe 407 Grad
Celsius gemessen an einem „Schwarzen Raucher“
(bdw 8/06 S.12)
·
Minerale als Mitspieler bei der
Entstehung des Lebens;
winzige Hohlräume, Kristallgitter, besondere Oberflächeneigenschaften,
Katalysator-Eigenschaften,
(Spektrum der Wissenschaft Dossier „Grenzen des Wissens“, 2002)
·
Altersbestimmung mit C14-Methode;
manchmal verwirrende Ergebnisse (mal höhere Alter. als erwartet, mal
niedrigere); Lösung: der Gehalt der Erdatmosphäre an radioaktivem Kohlenstoff
variierte zwischen 30.000 und 50.000 Jahren vor heute – in inzwischen bekannter
(und berücksichtigter) Weise
(bdw 7/2003 S. 38)
·
Neandertaler; ungenaue zeitliche
Datierungen der Fundstücke; ein Forscher: „Alle Datierungen, die vor 1990
durchgeführt wurden, kann man glatt vergessen“
(ZEIT 12.1.06 S.33)
·
zeigen jüngste Fossilienbefunde, dass
es schon lange vor den Vögeln Saurier mit Federn gab – noch nicht zum Fliegen,
sondern als Schutz vor Kälte;
die moderne Genforschung entdeckte viele verschiedene Mutationen, durch die
sich die Erbinformation positiv veränderte, z.B. Genverdopplungen oder
Veränderungen bei der Steuerung von Genen. So haben Mensch und Schimpanse viele
identische Gene, aber diese unterscheiden sich in der Menge, in der sie in
Aktion treten, und im Zeitpunkt, zu dem dies geschieht;
neue Missing links: Laufwal Ambulocetus, Hinterbein-Urschlange Pachyrhachis
(bdw 3/06 S.30ff)
·
(35) der Seestern „Schlangenstern“
besitzt einen Panzer aus präzise gewachsenen Kalkplättchen, die sich beim
genaueren Hinsehen als Mikrolinsenfelder von bestechender Qualität
herausstellen; der Körper des Haarsterns ist tatsächlich ein Komplexauge, dank
dessen das stachlige Tierchen quasi Rundumsicht genießt;
(36) Bakterien, die sich am Erdmagnetfeld orientieren; enthalten Ketten
winziger Nano-Partikel aus Magnetit (Fe3O4), die ihnen als Kompass dienen;
fixieren nach ihrem Absterben das Magnetfeld; damit kann Geschichte des
Erdmagnetfeldes studiert werden
(Ludwig Schultz, Hermann-Friedrich Wagner (Hrsg.): Die Welt hinter den Dingen,
WILEY-VCH Weinheim, 2006)
·
weniger als 2 Seiten zu „Hypothesen
zum Ursprung des Lebens“
(Purves, Sadava, Orians, Heller: „Biologie“, Hrsg. J. Markl, 7. Auflage,
Elesevier-Spektrum, Braunsbeck, Heidelberg 2004, 1600 Seiten)
·
(4) nachdem Darwin (1859) der von
Lamarck 50 Jahre früher aufgestellten Deszendenztheorie durch seine
Selektionstheorie das sichere Fundament gegeben hatte;
(25) Die Verstandestätigkeit der Wilden bewegt sich in den engsten Grenzen, so
dass man von der Vernunft bei ihnen ebensowenig (- oder ebensoviel-) sprechen
kann als bei den intelligentesten Tieren.;
dass auch unsere eigenen Vorfahren, vor zehntausend Jahren und darüber hinaus
... niedere Wilde waren;
(37) Der rohe Naturmensch, wie er uns heute noch im Wedda und Australneger
entgegentritt, steht in psychologischer Beziehung dem Affen näher als dem
hochentwickelten Kulturmenschen.;
(50ff) Die Irrenhäuser nehmen alljährlich an Zahl und Umfang zu; allenthalben
entstehen Sanatorien, in denen der gehetzte Kulturmensch Zuflucht und Heilung
von seinen Übeln sucht. Viele von diesen Übeln sind völlig unheilbar, und viele
Kranke gehen dem sicheren Tode unter namenlosen Qualen entgegen. Sehr viele von
diesen armen Elenden warten mit Sehnsucht auf ihre „Erlösung vom Übel“ und
sehnen das Ende ihres qualvollen Lebens herbei; da erhebt sich die wichtige
Frage, ob wir als mitfühlende Menschen berechtigt sind, ihren Wunsch zu
erfüllen und ihre Leiden durch einen schmerzlosen Tod abzukürzen ...
Ich gehe von meiner persönlichen Ansicht aus, dass das Mitleid (Sympathie)
nicht nur eine der edelsten und schönsten Gehirnfunktionen des Menschen, sondern
auch eine der ersten und wichtigsten sozialen Bedingungen für das gesellige
Leben der höheren Tiere ist. ...
man sollte das hehre Gebot der Nächstenliebe nicht auf den Menschen allein
beschränken, sonder auch auf seine „nächsten Verwandten“, die höheren
Wirbeltiere, ausdehnen, und überhaupt auf alle Tiere, bei denen wir auf Grund
ihrer Gehirnorganisation bewusste Empfindung, das Bewusstsein von Lust uns
Schmerz annehmen dürfen. ...
Treue Hunde und edle Pferde, mit denen wir jahrelang zusammen gelebt haben, und
die wir lieben, töten wir mit Recht, wenn sie in hohem Alter hoffnungslos
erkrankt sind und von schmerzlichen Leiden gepeinigt werden. Ebenso haben wir
das recht oder, wenn man will: die Pflicht, den schweren Leiden unserer
Mitmenschen ein Ende zu bereiten, wenn schwere Krankheit ohne Hoffung auf
Besserung ihnen die Existenz unerträglich macht, und wenn sie uns selbst um
„Erlösung vom Übel“ bitten. ...
Als ein traditionelles Dogma müssen wir auch die weitverbreitete Meinung
beurteilen, dass der Mensch unter allen Umständen verpflichtet sei, das Leben
zu erhalten und zu verlängern, auch wenn dasselbe gänzlich wertlos, ja für den
schwer Leidenden und hoffnungslos Kranken nur eine Quelle der Pein und der
Schmerzen, für seine Angehörigen ein Anlass ständiger Sorgen und Mitleiden ist.
Hunderttausende von unheilbar Kranken, namentlich Geisteskranke, Aussätzige,
Krebskranke usw., werden in unseren modernen Kulturstaaten künstlich am Leben
erhalten und ihre beständigen Qualen sorgfältig verlängert, ohne irgendeinen
Nutzen für die selbst oder für die Gesamtheit ...
(in Europa mehr als 200000 unheilbare Geisteskranke) ... Welche ungeheure Summe
von Schmerz und Leid bedeuten diese entsetzlichen Zahlen für die unglücklichen
Kranken selbst, welche namenlose Fülle von Trauer und Sorge für ihre Familien,
welche Verluste an Privatvermögen und Staatskosten für die Gesamtheit! Wie viel
von diesen Schmerzen und Verlusten könnte gespart werden, wenn man sich endlich
entschließen wollte, die ganz Unheilbaren durch eine Morphiumgabe von ihren
namenlosen Qualen zu befreien! Natürlich dürfte dieser Akt des Mitleids und der
Vernunft nicht dem Belieben eines einzelnen Arztes anheimgestellt werden,
sondern müsste auf Beschluss einer Kommission von zuverlässigen und
gewissenhaften Ärzten erfolgen. Ebenso müsste auch bei anderen unheilbaren und
schwer leidenden Kranken (z.B. Krebskranken) die „Erlösung vom Übel“ nur dann
durch eine Dosis schmerzlos und rasch wirkenden Giftes erfolgen, wenn sie
ausdrücklich auf deren eigenen, eventuell gerichtlich protokollierten Wunsch
geschähe und durch eine offizielle Kommission ausgeführt würde.
(137ff) Lebensursprung -
a) Das Wunder des Lebensursprungs (Creatismus);
gründet auf der Schöpfungsgeschichte von Moses, wie sie im ersten Kapitel der
Genesis geschrieben steht
b) Agnostizismus – Resignation auf das Problem des Lebensursprungs;
diejenigen Naturforscher, welche die Frage vom Lebensursprung für unlösbar oder
transzendent halten; als Vertreter dieser agnostischen Ansicht können Darwin
und Virchow genannt werden; sie halten die Entstehung der ersten Organismen für
eine Frage, von der wir nichts wissen und wissen können. So erklärt Darwin in
seinem Hauptwerke 1859, das er „nichts mit dem Ursprunge der geistigen
Grundkräfte noch mit dem Ursprung des Lebens selbst zu schaffen habe“. ...
sehr zahlreiche und angesehene Naturforscher sind zwar mehr oder weniger der
Überzeugung, dass auch der Ursprung des Lebens ein „Naturprozess“ ist, glauben
aber, dass wir keine Mittel zu dessen Erkenntnis besitzen
c) Dualistische Äternal-Hypothesen;
Richter 1865 Hypothese, dass der unendliche Weltraum überall von Keimen
organischer Wesen, ebenso wie von anorganischen Weltkörpern erfüllt sei;
Helmholtz 1884: Meteore halten Keime von Organismen eingeschlossen;
d) Autogonie-Hypothese (Haeckel);
chemischer Prozess der Plasmodomie ... im Beginne des Lebens von selbst
eingetreten ist, d.h. als ein katalytischer (oder der Katalyse analoger)
Prozess (Einzelheiten Seite 145 JK)
(147) Lebensentwicklung; Evolutismus
(147) dass der biogenetische Prozess (- d.h. die Entwicklung des organischen
Lebens auf der Erde vom Beginn bis zur Gegenwart -) mehr als hundert Millionen
Jahre umfasst
(148) Der Kampf ums Dasein selbst ist ein mechanischer Prozess, in welchem die
Naturzüchtung das Missverhältnis zwischen der Überzahl der Keime und der
beschränkten Existenzmöglichkeit der aktuellen Individuen, im Verein mit der
Variabilität der Spezies, benutzt, um ohne vorbedachten Zweck mechanisch neue
zweckmäßige Einrichtungen hervorzubringen.
(149) Lamarck erklärt die langsame und allmählich Umbildung der organischen
Arten durch die Wechselwirkung von zwei physiologischen Funktionen, Anpassung
und Vererbung. Die Anpassung (Veränderung der Organe durch Übung) beruht auf
ihrer Fortbildung durch Gebrauch, Rückbildung durch Nichtgebrauch; die
Vererbung bewirkt die Fortpflanzung der neuen, so erworbenen Eigenschaften auf
die Nachkommen.
(151) dass das Karyoplasma des Zellkerns die Funktion der Fortpflanzung und
Vererbung besorgt. Diese Ansicht hatte ich zuerst 1866 ... ausgesprochen
...später genauere empirische Bestätigung durch ... Strasburger
, Hertwig u.a. ... Die verwickelten feineren Verhältnisse, welche diese
Forscher bei der Zellteilung aufdeckten, führten zu der Annahme, dass der
färbbare Bestandteil des Zellkerns, das „Chromatin“, die eigentliche Erbmasse
sei, das materielle Substrat der „Vererbungsenergie“. Weismann fügte nun zu
dieser Erkenntnis die Annahme, dass dieses Keimplasma vollkommen von den
übrigen Substanzen der Zelle gesondert lebe, und dass letztere (- das
Somaplasma -) die durch Anpassung erworbenen neuen Eigenschaften nicht auf das
Keimplasma übertragen können; gerade auf dieser Annahme beruht seine Opposition
gegen die progressive Vererbung oder die „Vererbung erworbener Eigenschaften“.
Die Verteidiger der letzteren, zu denen ich gehöre, nehmen an, .... dass eine
teilweise Mischung beider Plasmaarten eintritt.
(153) Darwin war von der hohen Bedeutung der „Vererbung erworbener
Eigenschaften“ und insbesondere von der Erblichkeit funktioneller Anpassungen
ebenso fest überzeugt wie Lamarck und wie ich selbst; er schrieb ihnen nur
einen beschränkteren Wirkungskreis zu als Lamarck.
(151) Mutation (bedeutet bei Haeckel noch Makro-Mutation, d,h.
Mechanismus für plötzliches Auftreten neuer Arten JK)
(155) (Biogenetisches Grundgesetz JK)
Die Ontogenesis ist eine kurze und schnelle Rekapitulation der Phylogenesis,
bedingt durch die physiologischen Funktionen der Vererbung und Anpassung.
“Grundgesetz“ ... der Anspruch eingeschlossen, dass dasselbe ganz allgemeine
Gültigkeit besitzt ... immer eine Wiederholung ...
(158) vielfach falsche teleologische Schlüsse gezogen worden. Indem man die
jüngste und höchst entwickelte Form jeder Stammreihe als deren vorbedachtes
Ziel hinstellte, erblickte man in ihren unvollkommenen Vorläufern und Ahnen
„Vorbereitungsstufen“ zur Erreichung dieses Zieles ...
Obgleich die Stammesgeschichte der Pflanzen und Tiere, ebenso wie die
Kulturgeschichte des Menschen, im großen und ganzen eine aufsteigende
Stufenleiter darstellt und sich von niederen zu höheren Stufen erhebt, so
finden doch im einzelnen vielfach Schwankungen derselben statt. …
Historische Wellen
Obgleich die Stammesgeschichte der Pflanzen und Tiere, ebenso wie die
Kulturgeschichte des Menschen, im großen und ganzen eine aufsteigende
Stufenleiter darstellt und sich von niederen zu höheren Stufen erhebt, so
finden doch im einzelnen vielfach Schwankungen derselben statt…
(159ff) Lebenswert der Menschenrassen
Obgleich die bedeutenden Unterschiede in dem Geistesleben und Kulturzustande
der höheren und niederen Menschenrassen allgemein bekannt sind, werden sie doch
meistens sehr unterschätzt und demgemäß ihr sehr verschiedener Lebenswert
falsch bemessen.
Das, was den Menschen so hoch über die Tiere, auch die nächst verwandten
Säugetiere, erhebt, und was seinen Lebenswert unendlich erhöht, ist die Kultur,
und die höhere Entwicklung der Vernunft, die ihn zur Kultur befähigt. Diese ist
aber größtenteils nur Eigentum der höheren Menschenrassen und bei den niederen
nur unvollkommen oder gar nicht entwickelt. Diese Naturmenschen (z.B. Weddas,
Australneger) stehen in psychologischer Hinsicht näher den Säugetieren (Affen,
Hunden) als dem hochzivilisierten Europäer; daher ist auch ihr individueller
Lebenswert ganz verschieden zu beurteilen. Die Anschauungen darüber sind bei
europäischen Kulturnationen, die große Kolonien in den Tropen besitzen und seit
Jahrhunderten in engster Berührung mit den Naturvölkern leben, sehr realistisch
und sehr verschieden von den bei uns in Deutschland noch herrschenden
Vorstellungen. Unsere idealistischen Anschauungen, durch unsere Schulweisheit
in feste Regeln gebracht und von unseren Metaphysikern in das Schema ihres
abstrakten Idealmenschen gezwängt, entsprechen sehr wenig den realen Tatsachen.
Daraus erklären sich auch viele Irrtümer unserer idealistischen Philosophie,
ebenso wie viele praktische Missgriffe, die von uns in den deutschen, erst
neuerdings erworbenen Kolonien begangen werden; diese würden vermieden worden
sein, wenn wir eine gründlichere Kenntnis vom niederen Seelenleben der
Naturvölker besäßen. …
Der Abstand zwischen dieser denkenden Seele des Kulturmenschen und der
gedankenlosen tierischen Seele des wilden Naturmenschen ist aber ganz gewaltig,
größer als der Abstand zwischen der letzteren und der Hundeseele. …
Denn je weiter die Differenzierung der Stände und Klassen … geht, desto größer
werden die Unterschiede zwischen den hochgebildeten und ungebildeten Klassen
der Bevölkerung, desto verschiedener ihre Interessen und Bedürfnisse, also auch
ihr Lebenswert. Am größten erscheint dieser Unterschied natürlich dann, wenn
man den Blick zu den „führenden Geistern“ des Jahrhunderts oben auf den
höchsten Höhen der Kulturmenschheit erhebt und wenn man sie mit der Masse der
niedern Durchschnittsmenschen vergleicht, die tief unten im Tal ihren
einförmigen und mühseligen Lebenspfad mehr oder weniger stumpfsinnig wandeln. …
Für unsere Justiz ist der Wert jedes einzelnen Menschenlebens derselbe,
gleichviel, ob es ein Embryo von sieben Monaten ist oder ein neugeborenes Kind
(das noch kein Bewusstsein hat!), ein taubstummer Kretin oder ein hochbegabter
Genius. …
Zunächst ist für jeden einzelnen Organismus sein individuelles Leben nächster
Zweck und höchster Wert. … Diesem subjektiven Lebenswerte steht der objektive
gegenüber, der auf der Bedeutung des Einzelwesens für die Außenwelt beruht
…Daraus entsteht ein beständiger Kampf zwischen den Interessen der Einzelwesen,
die ihren besonderen Lebenszweck verfolgen, und denjenigen des Staates, für
dessen Zwecke dieselben nur Wert haben als Teile einer Maschine.
(176) Alexander Sutherland hat recht, wenn er „die leitenden Nationen Europas
und ihre Abkömmlinge“ (in der Vereinigten Staaten von Amerika) als niedere
Kulturvölker charakterisiert. Zum Teil sind wir noch Barbaren!
(Ernst Haeckel: Die Lebenswunder, Alfred Kröner Verlag Stuttgart 1906)
·
(37) Huxley hatte schon 1863 aus
Darwins Abstammungslehre geschlussfolgert, dass die „Abstammung des Menschen
vom Affen“ eine notwendige Konsequenz des Darwinismus sei
(96) Linne (1735) (benutzte den biblischen Artbegriff) „Es gibt so viele
verschiedene Arten von Tieren und Pflanzen, als im Anfang verschiedene Formen
von dem unendlichen Wesen erschaffen worden sind.“
(156) Erdalter nach einer genauen geologischen Berechnung der neuesten Zeit
mindestens 1400 Jahrmillionen (1,4 Milliarden JK); häufigste Schätzungen 100
bis 200 Millionen Jahre
(Ernst Haeckel: Die Welträtsel, Alfred Kröner Verlag Stuttgart, 1899)
·
Evolution – blutiger Kampf ums Dasein?
a) Kampf ums Dasein
- selten zwischen verschiedenen Arten (Fressen und Gefressenwerden)
- innerhalb einer Art
- unblutig:
(Paarungsverhalten,
Nahrungsbeschaffung, Vorsicht gegen Feinde, Brutpflege;
Gruppenbildung, der Unterlegene im
Kampf flieht)
b) Ko-Evolution (gegenseitiger Vorteil; Insekt und Blüte)
c) symiotische Evolution (Zellen schließen sich zum gemeinsamen Vorteil
zusammen)
d) sich-aus-dem-Wege-gehen, neue Nischen erschließen
e) Bewahrung des Bestehenden hat Vorrang vor aller Veränderung, Neuerung
(JK 1995)
·
evolutionäre Entwicklungsbiologie,
„Evo-Devo“; sämtliche evolutionäre Transformationen werden über
Entwicklungsprozesse gesteuert; Baupläne und somit Entwicklung aller Lebewesen
werden durch regulatorische Netzwerke gesteuert; Schaltkreise bestehen aus
einzelnen Komponenten, die sich unterschiedlich schnell und auf
unterschiedlichen Wegen entwickelt haben; daraus bedienen sich verschiedene
Tiergruppen nach dem Baukastenprinzip; so ist für den Fortgang der Evolution
offenbar nicht immer zwangsläufig neue „Hardware“ nötig gewesen, vielmehr
liefen entscheidende Evolutionsvorgänge wohl meist über die Verbesserung der
gleichsam genetischen „Software“;
Veränderungen in den Kernbereichen der Netzwerke kaum möglich, weil dort
Mutationen meist tödliche Folgen haben; aber in seltenen Fällen auch
erfolgreiche Veränderungen (Flossen à Extremitäten)
(ZEIT 1.2.07 S.37)
·
Morgendämmerung des Lebens;
eine düstere Szenerie im Archaikum vor 3,5 Milliarden Jahren, ein höllisches
Zeitalter, als die junge Erde gerade ihrer chaotischen Kindheit entwuchs;
Vulkane spucken Lava, Asche und giftige Gase. Die Atmosphäre ist frei von
Sauerstoff. Immer wieder treffen Meteoriten auf die junge Erde. Auch das Meer
ist zu dieser Zeit eine unappetitliche Brühe mit einer Temperatur von über 50
Grad Celsius und einem extrem hohen Salzgehalt. Das Wasser enthält keinen
Sauerstoff, dafür viel Eisen, Mangan und Schwermetalle. Und doch wimmelt die
archaische Lagune von Leben ... In der Gezeitenzone liegende Steine sind mit
einer glitschigen Schleimschicht überzogen, einem Biofilm, der aus Millionen
von Mikroben besteht.; von Vulkangestein verschüttet, heute Fossilien in
Australien;
wer die Frühgeschichte des Lebens aus den geologischen Archiven rekonstruieren
möchte, steht vor der Aufgabe, ein unvollständiges Puzzle fertigzustellen; ein
paar Teile passen zusammen, viele aber nicht, und die meisten fehlen;
(bdw 3/07 S.48ff)
·
(11) es gibt eine vierte, zeitliche
Dimension der Biologie, die Evolution; Sie hat die gesamte Geschichte des
Lebens entscheidend geprägt und wirkt auch in der
Gegenwart fort. Die Evolution ist der Schlüssel zur biologischen Vielfalt ...
Die evolutionären Beziehungen zwischen all den verschiedenen Organismen
erklären sowohl die Einheitlichkeit als auch die Vielfalt des Lebens.;
drei DOMÄNEN des Lebens: Bacteria, Archaea und Eukarya; die Archaea
(Archaebakterien) sind vermutlich mit den Eukaryoten näher verwandt als mit den
Bacteria (Eubakterien);
(12) Zum Tierreich gehört natürlich auch der Mensch.;
Die Evolution ist das zentrale Thema der Biologie.;
(15) Charles Darwin ist an der Seite von Isaac Newton in der Westminster Abbey
in London begraben.;
die natürliche Auslese erzeugt keine Anpassungen, sondern sie prüft in
jeder Generation erbliche Merkmale auf ihren Anpassungswert und verändert dabei
über viele Generationen hinweg gegebenenfalls deren Häufigkeit in der
Population.;
(16) solche Abwandlungen sind jedoch nicht beliebig, sondern unterliegen
starken konstruktiven Zwängen: Wie wenn eine Maschine umgebaut würde, während
sie ununterbrochen läuft.;
(503ff) Das Ergebnis der natürlichen Selektion ist eine evolutionäre Anpassung,
ein Vorherrschen vererbter Merkmale, welche die Überlebenschancen eines
Organismus und seine Fortpflanzungsfähigkeit in einer bestimmten Umwelt
erhöhen.;
(511) Das Überleben im Existenzkampf beruht nicht (nur JK) auf Zufall, sondern
hängt unter anderem von den Erbanlagen der überlebenden Individuen ab. Die
durch ihre ererbten Merkmale am besten an die (gerade jetzt konkrete JK) Umwelt
angepassten Individuen hinterlassen wahrscheinlich mehr Nachkommen als weniger
gut angepasste.;
(513) die natürliche Selektion weist situationsbedingte Besonderheiten auf;
Umweltfaktoren schwanken von Ort zu Ort und von Periode zu Periode; eine
Anpassung an eine bestimmte Situation kann unter anderen Bedingungen nutzlos
oder sogar nachteilig sein;
(514) Ein Insektizid erzeugt keine resistenten Individuen, sondern es
selektiert resistente Insekten aus, die bereits (vorher und zufällig und
zweckfrei JK) in der Population vorhanden waren.;
(519) Darwinismus als „bloße Theorie“?;
Diese Argumentation trennt die beiden Behauptungen Darwins nicht: Moderne Arten
entwickelten sich aus altertümlichen Formen, und die natürliche Selektion ist
der Hauptmechanismus dieser Evolution ... (Abstammung) beruht auf überwältigenden
Belegen ... Theorie ist der Gedanke der natürlichen Auslese als Vorschlag zur
Erklärung des Evolutionsgeschehens;
(541) vier Gründe, warum die natürliche Selektion keine Vollkommenheit erzeugt:
+ bisheriger historischer Ablauf, vorhandene Strukturen führen zu konstruktiven
Zwängen; Umbau bei laufendem Motor
+ Anpassungen sind oft Kompromisse (versch. Funktionen der Hand)
+ nicht jeder Evolutionsschritt ist adaptiv, führt zu besseren Anpassung
(Zufälle vernichten oft günstigere Varianten)
+ nur existierende Phänotypen werden selektiert, neue Allele entstehen nicht
bei Bedarf;
In den feinen Unvollkommenheiten der Lebewesen, welche die Evolution
hervorbringt, können wir Beweise für die Evolution sehen.;
(559) „plötzlich auftretende Veränderungen“?
eine bestimmte Art überlebt 5 Millionen Jahre, die wichtigsten morphologischen
Veränderungen passieren in den ersten 50.000 Jahren; in 1 % der Zeit =
plötzlich!;
(560) Die meisten evolutionären Neuerungen sind abgeänderte Versionen älterer
Strukturen;
Beispiel: Entwicklung von Augen mehrmals und unabhängig voneinander, Übergänge
deutlich nachzuvollziehen (560);
(564) Kontinentaldrift und Massenaussterben wirken sich vermutlich mindestens
genauso stark auf die Geschichte der biologischen Vielfalt aus wie die
graduelle Anpassung durch Selektion, die auf der Populationsebene auf Genpools
einwirkt. ... historischer Zufall, Auftreten unvorhersehbarer Ereignisse ...;
(564) „Frankfurter Theorie“ als alternatives Erklärungsmodell zur Synthetischen
Evolutionstheorie;
(608) Einführung in die Geschichte des Lebens;
Meteoriteneinschläge endeten vor etwa 3,9 Mrd. Jahren; älteste Fossilien von
Mikroorganismen vor 3,8 Mrd. Jahren;
(613) Der Ursprung des Lebens;
Wir werden natürlich nie mit Sicherheit wissen, wann und wie das Leben auf der
Erde begann;
chemische Evolution; Das ist natürlich alles spekulativ, aber die Hypothese
führt dazu, dass die Voraussagen auf wissenschaftlicher Basis experimentell
geprüft werden können.
(616) Die Ergebnisse des Originalexperiments von Stanley Miller konnten trotz
vieler Variationen nicht entscheidend verbessert werden.
Vorstellungen: Ursuppe, schwarze Raucher, Kristalloberflächen z.B. Pyrit,
Import aus dem Kosmos;
(617) das erste genetische Material war vermutlich RNA, die sch selbst replizieren
konnte;
(619) Laborsimulationen können nicht beweisen, dass durch chemische Evolution tatsächlich
Leben auf der primitiven Erde entstand, sondern nur, dass einige der
Schlüsselereignisse ... so passiert sein könnten ...
(Neil A. Campbell / Jane B. Reece: Biologie, Spektrum Akademischer Verlag
Heidelberg Berlin, 6. Auflage, 2003)
·
Maus-Gen macht Fliegenauge:
Fliege und Mensch können unterschiedlicher nicht sein. Doch ihre Gene sind sich
so ähnlich, dass sich eine Gen-Mutation des Insekts, die zum Verlust der
Komplexaugen führt, mit dem intakten Säugetier-Pendant kurieren lässt. Was in
Säugern die Entwicklung des Linsenauges induziert, stößt bei der Fliege die
Entwicklung eines kompletten Komplex-Auges an. Und zwar nicht nur am Kopf,
sondern in jedem Gewebe, in dem das betreffende Gen experimentell eingeschaltet
wird, sodass dieser Fliege auch an den Antennen kleine, sehfähige Augen wachsen
können. Offenbar haben sich nicht nur das Gen, sondern auch wesentliche Teile
des nachgeschalteten frühen Entwicklungsprogramms seit über 500 Millionen
Jahren kaum verändert
(bdw 7/2007 S.31)
·
Schimpanse und Mensch;
98,7 % des Erbgutes sind identisch;
39 Millionen Bausteine unterscheiden sich, von denen allerdings die wenigsten
die Gene verändern;
im Gehirn des Menschen haben vier Mal mehr Gene ihre Aktivität verändert als
beim Schimpansen in der gleichen Zeit;
so mag ein Menschenkind alle genetischen Voraussetzungen für Sprache, Kultur
und Intelligenz in sich tragen. Aber auf einer einsamen Insel, ohne das Nest
kulturell und sozial tradierter Lehr- und Lernstrukturen, wäre es nicht
lebensfähig ... Zum intelligenten (menschlichen JK) Leben gehört nicht allein
Darwin, nicht allein Mutation und Selektion, sondern auch ein Stück weit
Lamarck: Denn kulturelle Evolution bedeutet, das im Laufe eines Lebens
Erworbene und Erfahrene über soziales Lernen in der eigenen und der folgenden
Generation weiterzugeben – unabhängig von den Genen ... Obwohl die Darwinschen
Evolutionsmechanismen von Mutation und Selektion immer nur auf der Ebene des
Individuums wirken, könnte der Mensch das beste Beispiel dafür sein, dass eine
Gruppe kooperierender Individuen einen Selektionsvorteil gegenüber einer
Population von Einzelgängern hat ... Imitationsfähigkeit ... das soziale Gedächtnis
als Erfolgsrezept ...
(bdw 7/2007 S.20ff)
·
Darwins „Entstehung der Arten ...“ –
Das missverstandene Buch;
“survival of the fittest“ – die Phrase stammt nicht von Darwin, sondern von
Herbert Spencer;
an Darwins Argument, dass die natürliche Auslese nicht nur zu verbesserten
Anpassungen, sondern auch zu neuen Arten führt, entzweien sich – im Detail –
die Expertenmeinungen ebenso wie an der Frage, ob das Entstehen neuer Arten
allein durch natürliche Selektion passieren kann. Denn Adaptation und Artbildung
sind nicht ein und dasselbe.
Artbildung wird heute von vielen Evolutionsbiologen vornehmlich als
nichtselektives Beiprodukt geographischer Isolierung von Populationen
angesehen. Geographische Trennungen – etwa durch einen sich auftürmenden
Gebirgszug oder einen sich verbreiternden Fluss – verhindern Fortpflanzung und
bewirken somit, dass keine Gene mehr zwischen den Individuen einer Population
ausgetauscht werden können ... Artbildung wird somit zumindest nicht immer
durch natürliche Auslese erreicht, sondern sozusagen passiv, allein durch die
Verhinderung von Genfluss;
Evolution will nicht Arten erhalten, sondern selektiert Individuen;
Anpassungen sind nicht Adaptationen zu aktuell herrschenden Umweltbedingungen,
sondern die Summe der Anpassungen aller Vorfahren in den vorherigen
Generationen; nur wenn eine genetische Mutation schon in einigen Individuen der
Population vorhanden ist, wird auch eine Veränderung der Häufigkeit ihres
Auftretens in der gesamten Art stattfinden können;
Natürliche Selektion ist nicht gleich natürliche Perfektion. Schon Darwin war
klar, dass die Evolution nicht nach Höherem strebt, ja nicht streben kann. ...
die Genkombination, die sich unter den herrschenden Selektionsbedingungen
besonders bewährt, also fortpflanzt – wobei unter manchen Bedingungen der
Zufall und Besonderheiten der Genetik der Merkmale eine größere Rolle spielen
als die Auslese;
schon in der nächsten Generation profitieren die Individuen womöglich von
anderen verhaltensbiologischen oder physiologischen Attributen, die in eine
ganz andere, vielleicht sogar gegenläufige Selektionsrichtung gehen. Die
perfekte Adaptation gibt es auch aus anderen Gründen nicht. Beispielsweise,
weil eine noch so starke Selektion viele evolutionsbiologische oder genetische
Vorbedingungen und Einschränkungen nicht überwinden kann. So ist schon seit dem
Devon genetisch festgelegt, dass Landwirbeltiere nicht mehr als fünf Finger
ausbilden können ... Die Evolution kann nur mit dem arbeiten, was ihr genetisch
und evolutionsbiologisch zur Verfügung steht. Und sie kann die Zukunft nicht
antizipieren.;
Würde das Tonband der Evolution zurückgespielt, entstünde jedes Mal eine andere
Musik. Zufall und damit Unvorhersagbarkeit spielen in der Evolution eine große
Rolle ... Evolution läuft nicht zielgerichtet ab;
Parasiten als Beispiel dafür, dass mit besserer Anpassung in vielen Linien eine
radikale Verkleinerung und Vereinfachung der Baupläne und der Physiologie vor
sich geht;
Was „natürlich“ ist, ist nicht notwendigerweise im philosophischen Sinne moralisch
gut. Dies trifft auch zu, wenn falsch verstandene evolutionäre Prinzipien als
sogenannte sozialdarwinistische Extrapolation auf das menschliche Miteinander –
besser: gegeneinander – angewendet werden. Hier wird die natürliche Auslese
überinterpretiert. Wir verlangen zu viel von ihr.
(Die Zeit 19.7.07 S.29)
·
Im Eis der Arktis in bis 100.000 bis
zu 8 Millionen Jahre altem Eis Bakterien gefunden und manche davon
wiederbelebt; jüngere Bakterien teilten sich innerhalb weniger Tage ein Mal;
bei Uralt-Organismen dauerte der Vorgang über 2 Monate – DNA durch kosmische
Strahlung stark beschädigt
(bdw 11/07 S.16)
·
Dinosaurier gelten nicht mehr als
ausgestorben, sie leben in allen Vogelarten weiter; wahrscheinlich trugen sie
fast alle Federn, hatten zweibeinigen Gang, und waren keineswegs
schuppenhäutig; Federn waren zunächst nicht zum Fliegen da, sondern dienten der
Wärmeisolierung, genau wie das Fell der Säuger;
schon 1980 haben Biologen gezeigt, dass bereits minimale Veränderungen in der
Eiweißstruktur ausreichen, um aus einer flächigen Hornschuppe eine fadenförmige
Struktur zu zaubern, eine kleine Mutation genügt; alle Vorstufen der Feder sind
in Fossilien nachweisbar;
(bdw 4/2007 S.34ff)
·
Schimpansen können sich Zahlenreihen
schneller und besser merken als Menschen (Schimpansen lernten zunächst die
Reihenfolge der Ziffern 1 bis 9; dann wurden an beliebigen Stellen auf einem
Bildschirm Zahlen kurz eingeblendet, dann durch neutrale Flächen an der
gleichen Stelle ersetzt, die Aufgabe bestand darin, die Flächen in der
richtigen Reihenfolge anzutippen)
(Freie Presse Chemnitz 4.12.07 + TV gleicher Tag)
·
1,8
Millionen bekannten und viel mehr unbekannten Arten ...;
der Kanadier Paul Hebert will die Arten anhand ihrer Gene ordnen;
Bestimmung über ihre Erbsubstanz; dazu reicht ihm die Kenntnis eines einzigen
Gens namens COI (Cytochrom-c-Oxidase I); alle Tiere der Welt haben es, doch
offenbar hat fast jede Art ein anderes;
COI ist Teil des Erbgutes der Mitochondrien; kurzer Abschnitt mit rund 650
Basen-Bausteinen; charakteristisches Muster für jede Art zu finden: „Barcode
des Lebens“; globale Datenbank BOLD geplant (Barcode of Life Data Systems);
für Pflanzen müssten andere Gen-Ausweise gefunden werden
(Spiegel 40/07 S.166)
·
Durch Kreuzungen verschiedener Fische (Höhlensalmler),
die seit Millionen Jahren blind zur Welt
kommen, aus weit entfernten Höhlen; bereits in der ersten Generation konnten
einige Fische sehen;
Fische haben nicht alle denselben genetischen Defekt, sondern sind aus
unterschiedlichen Gründen blind geworden, und er betrifft nicht das gesamte
Sehorgan;
Funktion durch Mutationen einiger Schlüsselgene deaktiviert;
neu: genetische Entwicklungen, die Millionen von Jahren gedauert haben, lassen
sich in kürzester Zeit rückgängig machen; Defekte kein irreparabler Schaden;
(taz 18.1.08)
·
Blinddarm
beim Menschen ist nützlich, hat Funktion:
bei schweren Durchfallerkrankungen wird fast die gesamte Darmflora zerstört;
die Bakterien im Wurmfortsatz überleben und von dort aus startet die
Neubesiedlung des Verdauungstraktes nach der Erkrankung; da in westlichen
Staaten Durchfallerkrankungen selten sind, hat das Fehlen des Appendix keine
gesundheitlichen Folgen;
(bdw 1-2008 S.17)
·
In
einer Tiefe von 1,6 Kilometern unterm Meeresboden gibt es Leben in großer
Vielfalt; Bakterien bei Temperaturen von bis zu 100 Grad Celsius in Millionen
Jahre alten Sedimenten; ernähren sich unter anderem von Methan; Analyse von
Bohrkernen aus dem Atlantik
(taz 23.5.08)
·
Erbgut in Auflösung
Das Genom galt als unveränderlicher Bauplan des Mensche, der zu Beginn des
Lebens festgelegt wird. … In Wirklichkeit sind unsere Erbanlagen in ständigem
Wandel begriffen;
das Erbgut eines jeden ist in beständigem Umbau begriffen. Die Folge: Jeder
Organismus, jeder Mensch, selbst jede Körperzelle ist ein genetisches Universum
für sich;
das Genom ist kein stabiler Text;
die jüngsten Erkenntnisse zeigen mehr denn je, dass der Mensch ein Produkt
genetischer Prozesse ist. Aber auch, dass diese Prozesse mit vielen
Freiheitsgraden ausgestattet sind. Sie bilden ein offenes System, in dem
keineswegs alles vorbestimmt ist;
genaue Analysen zeigen nun: keine Zelle gleicht der nächsten;
Umweltbedingungen können sich im Erbgut niederschlagen, und auch eineiige
Zwillinge sind nicht, wie bisher angenommen, identische Kopien voneinander;
bis vor wenigen Monaten galt die Annahme, dass sich das Erbgut zweier
beliebiger Menschen nur in etwa einem Promille (0,1 %) aller DNA-Bausteine
unterscheidet; vom wahren Ausmaß der Differenzen überrascht: In nahezu jedem
zweiten Gen (von Craig Venter) stießen die Forscher auf Unterschiede zwischen
den mütterlichen und väterlichen Genkopien … stellten zudem zuhauf sogenannte
Inversionen (ganze Abschnitte der Erbmoleküle in neuer Reihenfolge eingebaut)
oder Deletionen (Erbinformationen sind verschwunden) fest; andere Abschnitte
hatten sich aus ihrer Umgebung herausgelöst und umgedreht wieder eingefügt;
Unzutreffend ist auch die bisherige Überzeugung, jedes Gen existiere in der
Regel nur zweimal im Erbgut (einmal im väterlich, einmal im mütterlich ererbten
Satz der Chromosomen). In Wahrheit unterliegen zahlreiche Erbinformationen
einem Vervielfältigungsprozess und existieren in bis zu 16 Kopien in einem
Zellkern. Bei mindestens 1500 menschlichen Genen wurden bisher solche
Kopievarianten (CNVs = copy number variants) entdeckt; jeder Mensch weist sein
eigenes CNV-Profil auf; CNV-Muster unterscheidet sich selbst in den
Körperzellen eines bestimmten Menschen von dem anderer Zellen;
vervielfältigen sich so etwa Gene für die Produktion von Signalstoffen oder für
deren Empfängermoleküle, verändern sich die Kommunikationssysteme des
Organismus; CNVs beeinflussen die Genaktivität;
um den wahren Umfang der Baumaßnahmen im Genbestand zu ermitteln, wurde nun das
„1000 Genomes Project“ gestartet. Im Verlauf von drei Jahren soll das Erbgut
von 1000 Menschen aus aller Welt sequenziert werden;
das Wechselspiel im Menschengenom vermag nicht nur die individuellen
Eigenheiten des Einzelnen zu erklären, es produziert auch das genetische
Sortiment, aus dem die Evolution den Menschen weiter formt. Das macht einen
weiteren verstörenden Befund verständlich: Die Spezies homo sapiens unterliegt
offenbar einer Turboevolution. Hunderte Bereiche im Erbgut haben sich weit
schneller gewandelt als bei anderen Primaten. … dass die Zivilisation seit
Beginn der Jungsteinzeit die menschliche Evolution um das 100-fache
beschleunigt haben muss;
noch bevor die Frage beantwortet werden konnte, was in unserer DNA uns
menschlich mache (im Unterschied etwa zur DNA von Schimpansen), stand die
nächste Frage im Raum: Was in meiner DNA macht mich zu mir?; alles deutet auf
eine bestürzende Antwort hin: Ich bin viele;
zumindest physisch erscheint der Mensch nicht länger als Individuum, sondern
als Verband egoistischer Zellkolonien. Bei bis zu 10 % aller Erbanlagen – und
vielleicht weit mehr – ist entweder nur die mütterliche oder nur die väterliche
Variante aktiv („autosomale monoallelische Expression“); davon sind besonders
häufig Gene betroffen, die im Verlauf der Menschwerdung einer beschleunigten
Evolution unterlagen, und solche mit wichtiger Funktion im zentralen
Nervensystem;
selbst die biologische Identität des Individuums steht wohl zur Disposition;
„Ich mag die Idee, dass wir Mosaiken sind“;
Auch soziale und materielle Außenfaktoren können einen Menschen auf dem Umweg
über die Biologie prägen – indem sie seine Genfunktionen verändern. Durch
sogenannte epigenetische Prozesse können offenbar Stress oder Folter,
Ernährungsmangel oder Liebesentzug bis in den Zellkern hinein wirken;
auch die Biowissenschaftler rätseln nun über the dark matter of the genome, die
dunkle Materie des Erbguts. Finden könnten sie das dunkle Geheimnis in jenem
Teil des Erbguts, den sie bisher als Müll abgetan haben, als „Junk-DNA“.
Relevant waren für sie nur jene wenigen Prozent des Genoms, die als Gene
herkömmlicher Definition die nötigen Informationen für den Aufbau der Eiweiße
in den Zellen enthalten. Der Rest galt als evolutionärer Schrott; inzwischen
hat sich herausgestellt, dass diese vermeintliche Müllhalde des Genoms wichtige
biologische Funktionen erfüllt. In ihr verbirgt sich offenbar der gesamte
hochkomplexe Steuerungsapparat, der die Aktivität der Gene reguliert und
koordiniert;
vor allem sogenannte microRNAs, eine bis vor kurzem unbekannte Klasse von
Erbinformationen, regeln eine Vielzahl von Entwicklungs- und
Krankheitsprozessen
(DIE ZEIT 12.6.08 S.33f.)
·
(86f.)
Zu Charles Darwins Pflichtlektüre (während seines Theologiestudiums in
Cambridge ab 1827) gehören die theologischen Werke des 1805 verstorbenen
Archidiakonus William Paley. …
Besonders beeindruckt Charles die „Natürliche Theologie“ von Paley. … eine
Auffassung, die Gottes Wirken überall in der belebten Natur sehen will und
durch die Zweckmäßigkeit der Organismen begründet. Paley benutzt dabei das
althergebrachte Bild von der Uhr und dem Uhrmacher, um die Existenz Gottes zu
beweisen. Angenommen, wir finden eine Uhr auf dem Wege liegen, argumentiert er,
„wenn wir die Uhr aufheben und genau betrachten, bemerken wir …, dass ihre
Teile für einen speziellen Zweck erfunden und zusammengefügt wurden … Der
Mechanismus lässt unausweichlich darauf schließen, dass die Uhr einen
Konstrukteur hat … der sie für diesen Zweck entworfen hat.“
Genauso, lehrt Paley, stehe es mit der belebten Natur. All ihre Teile griffen
ineinander, jedes einzelne sei der Umwelt und den anderen Teilen sinnvoll
angepasst. Allein durch die Weisheit und Güte ihres Schöpfers, sagt Paley,
könne man die Zweckmäßigkeit der Organismen erklären.
(249) So kommt erst die Vermutung, dann das Zusammentragen der Fakten, aus
beiden danach die begründete Annahme, Argumente dafür und dagegen, neuerliche
Spekulationen und neuerliches Tatsachenmaterial …
(253) erwidert er auf den so peinlichen Einwand, dass die Zwischenformen
fehlen: „Gegner werden sagen: Zeige sie mir. Ich werde antworten: Ja, wenn ihr
mir jede Übergangsstufe zwischen Bulldogge und Windhund zeigen wollt“;
(265) „struggle for existence“ struggle for life („Kampf“ ums Dasein): Da
schwingt vielerlei mit: Mühsal und Überwinden von Schwierigkeiten, Abrackerei,
auch das Ankämpfen gegen Widerwärtigkeiten; struggle for life heißt für Darwin
die Abhängigkeit der Organismen von der Tyrannei der Umweltbedingungen und von
anderen Organismen, aber nur im Spezialfall „Kampf mit Zähnen und Klauen“;
Darwin benötigt Gott höchstens ein einziges Mal – ganz am Anfang. Die
Vorstellung, Gott habe das Wunderwerk der Welt geschaffen und angeworfen und
seither laufe und entwickle es sich nach unverrückbaren Gesetzen, sei viel
erhabener und einleuchtender als derjenige, dass der Schöpfer ständig
nachbessern und ausgestorbene Arten ersetzen müsse.
(267f.) Die Erkenntnisse der Geologie haben, wie er in der Autobiographie
einschätzt, seinen Glauben an das Alte Testament zerstört. „Ich war aber in
dieser Zeit“, d.h. 1836 bis 1839, „allmählich dazu gelangt einzusehen, dass dem
Alten Testament – mit seiner offensichtlich falschen Weltgeschichte, mit seinem
Babylonischen Turm, mit dem Regenbogen als Zeichen usw. und seiner Art, Gott
Gefühle eines rachdurstigen Tyrrannen zuzuschreiben – nicht mehr Glauben zu
schenken als den Heiligen Schriften der Hindus oder dem Glauben irgendeines
Wilden.“ …
An der christlichen Lehre stört ihn besonders, dass sie alle Ungläubigen in die
Hölle verdammt … seinen Vater … seinen Großvater …
„So beschlich mich“, resümiert er in der Autobiographie, „in sehr langsamer
Weise der Unglaube, bis ich schließlich gänzlich ungläubig wurde. Er kam so
langsam über mich, dass ich kein Unbehagen empfand.“
(281) (erste Skizze zur Entwicklung der Arten 1841) Darwin schließt mit einem
Gedanken, der aus dem ältesten seiner Notizbücher stammt: „Es liegt eine
einfache Größe in der Anschauung, dass das Leben … ursprünglich nur in eine
oder einige wenige Formen der Materie hineingehaucht worden ist und dass,
während dieser Planet nach festen Gesetzen seine Kreisbahn durchlief und Land
und Meer in einem Zyklus von Wechseln ihre Stellung vertauschten, … durch den
Prozess allmählicher Auslese infinitesimaler Veränderungen, zahllose äußerst
schöne und äußerst wunderbare Formen sich entwickelt haben.“
In keinem seiner Werke über die Entstehung der Arten wird dieser Satz, selbst
einer stetigen Evolution unterworfen, fehlen.
(350) (2. Auflage von „Die Entstehung der Arten …“ 1860) Dort, wo er davon
spricht, dass ursprünglich nur einigen Formen das Leben „eingehaucht“ worden
sei, fügt er ein besänftigendes „vom Schöpfer“ hinzu …
(288) Anfang des Jahres 1844 vertraut Darwin in einem Brief seinem neuen Freund
J.D.Hooker an: „Ich habe Haufen von Büchern über Agrikultur und Gartenbau
gelesen … Endlich kamen Lichtstrahlen, und ich bin beinahe überzeugt …, dass
die Spezies nicht (mir ist, als gestände ich einen Mord ein) unveränderlich
sind. Der Himmel bewahre mich vor Lamarck´schem Unsinn einer „Neigung zum
Fortschritt“, der „Anpassung in Folge eines langsam wirkenden Willens der
Tiere“ usw.! … Ich glaube, ich habe (hier ist Anmaßung!) die einfachen Mittel
gefunden, durch welche Spezies verschiedenen Zwecken ausgezeichnet angepasst
werden.“
(353) Streit zwischen „Evolutionisten“ und „Mosaisten“ (Huxley)
(355) In der ersten deutschen Übersetzung wird der Satz, der auf den Menschen
hinweist, glatt unterschlagen
(356) Friedrich Engels am 12.Dezember 1859 an Karl Marx: „Übrigens ist der
Darwin, den ich jetzt gerade lese, ganz famos. Die Teleologie war nach einer
Seite hin noch nicht kaputtgemacht, das ist jetzt geschehen. Dazu ist bisher
noch nie ein so großartiger Versuch gemacht worden, historische Entwicklung in
der Natur nachzuweisen …“
Marx´ Leseeindruck später: „“… ist dies das Buch, das die naturhistorische
Grundlage für unsere Arbeit enthält.“
(366) (1860 Brief Darwins an Asa Gray) „ich habe durchaus nicht die Absicht
gehabt, atheistisch zu schreiben“ Allerdings könne er auch nicht wie andere
„Beweise von Absicht und von Wohltätigkeit auf allen Seiten um uns herum“
erkennen. „Ich kann mich nicht dazu überreden, dass ein wohlwollender und
allmächtiger Gott mit vorbedachter Absicht … die Schlupfwespen erschaffen würde
mit der ausdrücklichen Bestimmung, sich innerhalb des Körpers lebender Raupen
zu ernähren … Auf der anderen Seite kann ich mich doch in keinerlei Weise damit
befriedigt fühlen, dieses wunderbare Universum, und besonders die menschliche
Natur, zu betrachten und zu folgern, dass alles nur das Resultat der rohen
Kraft ist. Ich bin geneigt, alles als das Resultat vorausbestimmter Gesetze
anzusehen, wobei die Einzelheiten, mögen sie gut oder schlimm sein, der Wirkung
dessen überlassen wird, was man Zufall nennen kann. Nicht, als wenn dieser
Begriff mich durchaus befriedigte. Ich fühle aufs Allertiefste, dass der ganze
Gegenstand zu tief ist für den menschlichen Intellekt. Ein Hund könnte ebenso
gut über den Geist Newtons spekulieren. Lasst einen jeden Menschen hoffen und
glauben, was er kann.“;
(368) (Briefe an Asa Gray) Auch von einer Tendenz zur Höherentwicklung will
Darwin nichts hören, das klingt ihm zu sehr nach Lamarck.;
(1861 Brief zum Bürgerkrieg in den USA) „Großer Gott, wie würde ich mich
freuen, den größten Fluch auf Erden – Sklaverei – beseitigt zu sehen.“
(382) Ernst Haeckel „über-darwint“ Darwin … H. malt einen Stammbaum für den
Menschen, der bis zur Amöbe herabreicht, ohne sich darum zu scheren, ob er auch
jeden Entwicklungsschritt nachweisen kann. Er vertraut auf den Fortschritt der
Wissenschaft. Haeckel verwirft die „dualistische Naturanschauung und die
Hypothese eines persönlichen Schöpfers“ total und kompromisslos und schreckt
dabei auch nicht vor dem noch völlig ungeklärten Problem der Entstehung der
Arten zurück … Darwin kann und will seinem Schüler bei diesen Spekulationen
nicht zustimmen …
(383) (Ausweitung des Begriffs der Evolution auf andere naturwissenschaftliche
Fragestellungen, menschliche Gesellschaft …) Darwin: „Es ist mir früher nicht
eingefallen, dass meine Ansichten auf so sehr verschiedene und hochwertige
Gegenstände ausgedehnt werden könnten“ formuliert D. in vorsichtiger Distanz;
(401) Darwin hat in die 5. Auflage der „Entstehung der Arten“ Herbert Spencers
Ausdruck „survival of the fittest“ – Überleben der Geeignetsten,
Angepasstesten, Tüchtigsten – übernommen;
(410) 1873 reiht sich ein Fremdkörper in den Stapel der noch ungelesenen
biologischen Bücher und Zeitschriften: „Das Kapital – Erster Band“. Es trägt
eine schlichte Widmung: „Für Mr. Charles Darwin, von seinem aufrichtigen
Bewunderer Karl Marx“. Darwin bedankt sich freundlich, er schneidet die ersten
105 Seiten auf – oh, dieses verdammte Deutsch! Bald gibt er auf, es
interessiert ihn nicht.
(432) (Nach Darwins Tod) Die alten Angriffe sind vergessen, er wird zum
Nationalhelden erhoben. Die Prediger Englands loben von der Kanzel herab seinen
lauteren Charakter. Evolution, heißt es nun, sei Gottes Weg der Schöpfung. Gott
und der verstorbene „Professor“ seien sich trotz früherer Missverständnisse in
allen wesentlichen Punkten einig.
(Steinmüller,A., Steinmüller,K.: Charles Darwin – vom Käfersammler zum
Naturforscher Verlag Neues Leben Berlin, 1985)
·
University
of Cambridge hat fast alle Texte von Charles Darwin online gestellt; Zugriff
auf 20.000 Dokumente unter: www.darwin-online.org.uk
(bdw 7-2008 S.9)
·
Urmenschenforscher
Schrenk, Prof. für Paläobiologie Uni Frankfurt/Main;
Es gibt etwa 300 Neandertalerfunde. Unser gesamtes Wissen über die Entstehung
des Menschen davor basiert auf etwa 2000 Funden. Rein statistisch betrachtet
kommt also auf einige tausend Generationen ein einziger Fund. Was wir in
unserer Disziplin diskutieren, sind nicht mehr als Gedankenspiele. Wir testen
Hypothesen.
(bdw 6-2008 S.92)
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Mit Beginn der Jungsteinzeit vor
10.000 Jahren explodierte die Menschenzahl, um das 1000-fache in nur 500
Generationen; muss dramatische Effekte auf die genetische Lage der Menschheit
gehabt haben: mit jedem neuen Individuum entstanden durch zufällige
Veränderungen der Erbinformationen neue genetische Varianten, lieferten den Selektionskräften
der Umwelt reichlich Spielmaterial;
Seuchen treten auf, das enge Zusammenleben mit Tieren beschleunigte auch die
Evolution pathogener Mikroorganismen, Selektionsdruck: Mutationen, die eine
Resistenz gegen die Erreger erzeugten, breiteten sich innerhalb weniger
Generationen aus,
(Die Zeit 31.12.08 S.31)
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Charles Darwin hat in einem Buch
seines Großvaters Erasmus Darwin (Zoonomia. Gesetze des organischen Lebens,
erschienen 1794 bis 1796) den Satz angestrichen: „Der Hintergrund der Kämpfe
unter den Männchen scheint zu sein, dass das stärkste und aktivste Tier die Art
fortführt und diese dadurch verbessert wird.“;
auf der Kutsche der Darwins war das Familienwappen zu sehen, drei Muscheln am
Band, und Erasmus Darwin schrieb daneben: „E conchis omnia“, aus einfachsten
Formen also
(Die Zeit 31.12.08 S.34)
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Der
letzte gemeinsame Vorfahre aller Erdbewohner könnte in einer ganz anderen
Umwelt gelebt haben als bisher gedacht (Nature 456, S.942); Früher war man
davon ausgegangen, dass dieser Einzeller sich an einem mehr als 90 Grad heißen
Ort entwickelt habe, ähnlich den bis heute existierenden Tiefseeschloten; neue
Ergebnisse deuten darauf hin, dass sie sich eher bei Temperaturen von weniger
als 50 Grad wohlfühlten; das passt zu der theoretischen Annahme, dass die
Erbsubstanz der ersten Lebewesen aus RNA bestand, diese verträgt weniger Hitze
als DNA
(Die ZEIT 23.12.2008 S.34)
·
China;
Fossil eines unbekannten gefiederten Sauriers gefunden; 150 Mill. a alt;
ungewöhnlich lange Schwanzfedern, mit denen er nach Ansicht der Wissenschaftler
balzte; das bedeutet, dass Schmuckfedern in der Evolution lange vor den
Flugfedern entstanden sind
(bdw 1/2009 S.7)
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Charles
Robert Darwin wird am 12. Februar 1809 in Shrewsbury geboren.
Er studiert Medizin in Edinburgh (ohne Abschluss) und Theologie in Cambridge
(Bachelor of Arts). Daneben betreibt er intensive naturkundliche Studien.
1831 bis 1836 ist er als Naturforscher auf dem Vermessungsschiff „Beagle“
unterwegs.
Am 24. November 1859 erscheint „On the Origin of Species” (Über die Entstehung
der Arten).
Weitere Hauptwerke sind: „Die Abstammung des Menschen“ (1871) und „Der Ausdruck
der Gemütsbewegungen“ (1872).
Am 19. April 1882 stirbt Charles Darwin. Er wird in der Westminster-Abtei in
London beigesetzt.
Darwin hat (auch) Deutsch gelernt, um Humboldt, Marx und Haeckel lesen zu
können;
etwa 14500 Briefe von ihm und an ihn sind erhalten;
Beitrag von Josef Reichholf:
Der Ursprung des Lebens und der Ursprung des Geistes bleiben vorerst
unaufgeklärt;
anders als die natürliche Selektion, die ungerichtet verläuft, weil in der
Natur keine Instanz vorhanden ist, die eine Richtung vorgibt, ist die sexuelle
Selektion von Anfang an gerichtet;
die Genetik bestätigte mit ihren Entdeckungen Darwin umfassend;
die molekulargenetischen Stammbäume
zeigen nun aber nicht nur den Grad der Verwandtschaft an, sondern sie
machen auch die Zeit errechenbar, die seit der Trennung der verschiedenen
Stammeslinien vergangen ist. Dieses neue System kommt ohne irgendeinen Bezug
auf Anpassungen aus. Wie in den Ahnentafeln von Menschengeschlechtern gibt es
nur die Abfolgen wieder, nicht aber die Gründe, warum es zu bestimmten
Entwicklungen gekommen ist.; abgeschlossene biochemische Apparatur, die es
kontrollieren und verbessern, aber ohne die es nicht existieren kann – war der
Stoffwechsel dann vielleicht zuerst da? Und ist er autonomer, als man das
gegenwärtig einschätzt? Bekannte, aber auch aufregende neue Befunde nähren
diesen Verdacht. So sind unsere roten Blutkörperchen ohne Zellkern zwei bis
drei Monate überlebensfähig …;
Es ist unter Evolutionsforschern sogar umstritten, ob das Leben insgesamt
komplexer wird. Es kann gut sein, dass die Vielfalt an Organismen vor einer
halben Milliarde Jahren genauso groß war wie heute – nur ganz anders aussah.
(bdw 1/2009 S.20ff)
·
Übersichtsartikel
von Josef Reichholf zu Darwins Evolutionstheorie;
Dabei geht der Streit meistens gar nicht um die Evolution als solche, sondern
darum, wie sie zu verstehen ist. Es geht um die Theorie der Evolution. Charles
Darwin hat nicht »die Evolution« entdeckt, sondern eine umfassende Theorie
entwickelt, die deren Verlauf erklärt. Sie beruht auf drei Hauptvorgängen. Jede
Generation bringt etwas unterschiedliche Nachkommen hervor. Diese Variationen
bilden die Basis für den zweiten Schritt, die (natürliche) Auslese oder
Selektion. Ihr fallen eher solche Nachkommen zum Opfer, die nicht so gut zu
ihrer Umwelt passen wie die anderen. Aber bei Weitem nicht alle Überlebenden
sind damit automatisch die »Besseren« oder »Fittesten«. Denn sowohl bei der
Entstehung von Variation als auch bei der Selektion ist immer Zufall mit im
Spiel. …;
Evolution kommt erst durch Änderungen in der Umwelt, in den Lebensbedingungen
zustande. Ändert sich die Umwelt nicht, bleibt alles wie gehabt.;
Darwin zog daraus den Schluss, dass sich die Lebewesen an die Umwelt anpassen.
In seiner Theorie ist Anpassung das Hauptergebnis natürlicher Selektion. Sie
wirkt umso stärker, je weiter sich die Umwelt vom bisherigen Gleichgewicht
entfernt. Erreicht die Natur einen Gleichgewichtszustand, hört Evolution auf.
Wer an die Beständigkeit der Schöpfung glaubt oder eine Natur im Gleichgewicht
für den richtigen Zustand hält, muss Evolution ablehnen. Allenfalls wird sie
als unbedeutende Randerscheinung akzeptiert, die an Äußerlichkeiten der Lebewesen
mitunter ein wenig herumfeilt.;
Variation und Selektion gibt es also, aber können sie die Entstehung von
»wirklich Neuem« erklären? Wie sollen aus Echsen Vögel geworden sein oder aus
Affen Menschen? Um dieses Kernstück der Evolutionstheorie drehen sich die
meisten Diskussionen. Darwin beantwortete diese auch ihn sehr bewegende Frage
der äonenlangen Erdgeschichte. In einer endlosen Kette kleiner Schritte würden
sich Veränderungen anhäufen, bis schließlich daraus, rückblickend betrachtet,
Neues entstanden ist.
Die Geschichte des Lebens reicht wenigstens dreieinhalb Milliarden Jahre
zurück. Doch die Fossilien passen nicht so recht in einen ganz
allmählich-kontinuierlichen, »gradualistisch« genannten Vorgang. Es gab
bisweilen heftiges Auf und Ab, auch viele andere Befunde weisen auf
katastrophale Ereignisse hin. Diese verursachten Massenaussterben und
anschließend ziemlich rasche Neuentwicklungen. Stephen Jay Gould prägte dafür
den Begriff des »unterbrochenen Gleichgewichts« und kritisierte die vorschnelle
Erklärung aller Eigenschaften der Organismen als »Anpassung«.;
Zwischen dem Körper der Lebewesen und der Umwelt bleibt ein weiter Bereich, in
dem sich das Leben abspielt. Der Körper mit seiner Innenwelt ist dabei weit
wichtiger als die leblose Außenwelt. Die zunehmende Lösung von der Umwelt
kennzeichnet die Evolution stärker als die Anpassung, wie sie Darwin erkannt
hatte.;
Eine geradezu unheimlich rasche Evolution hält die medizinische Forschung in
Atem, weil sich Viren und Bakterien schneller weiterentwickeln als die
Medikamente zu ihrer Bekämpfung. Im Bereich der Krankheiten ist Evolution der
härteste, allgegenwärtige Gegner und kein Phantom, das sich erst in
Jahrmillionen konkretisiert.;
Bleiben nach den großen Einsichten im Jahrhundert der Biologie überhaupt noch
grundsätzliche Fragen offen? Ganz sicher genug, um Generationen von
Evolutionsforschern herauszufordern. So wissen wir zwar viel über den Partner
des Genoms in der lebenden Zelle, den Stoffwechsel, aber viel zu wenig, um die
Wechselwirkung zwischen beiden auch nur annähernd zu durchschauen. Gegenwärtig
scheint es noch so, als würde die im Erbgut gespeicherte Information alles
steuern. Doch erstens trifft die Annahme, dass jedem Gen eine Eigenschaft
zukommt, nicht so direkt zu, wie anfänglich angenommen, und zweitens kann das
Genom nur tätig werden, wenn ein Stoffwechsel stattfindet. Im Virus ist das
Genom inaktiv, weder lebendig noch tot. Zu arbeiten fängt es erst an, wenn eine
passende »Wirtszelle« gefunden ist.
Spiegelt sich darin womöglich der Ursprung des Lebens? Hatten sich vor rund
vier Milliarden Jahren »Informationsträger« mit »Stoffwechslern«
zusammengefunden und so die erste Zelle und das Leben hervorgebracht – stand
eine Symbiose am Anfang? Der Schwerpunkt der gegenwärtigen Forschungen liegt
klar aufseiten der Informationsträger. Sie sind die Vorstufen des Erbgutes.
Aber wie differenziert sie auch ausgebildet sein mögen, sie benötigen einen
Stoffwechsel, um »lebendig« zu werden. Umgekehrt braucht der Stoffwechsel nicht
unbedingt ein Genom zur Steuerung. Das zeigen unsere roten Blutkörperchen. Sie
haben keinen Zellkern mit Genom, bleiben aber nach ihrer Bildung rund 100 Tage
lebensfähig. Sie sollten viel gründlicher untersucht werden.
Wir müssen also wahrscheinlich noch weit mehr vom Stoffwechsel verstehen, um
hinter das Anfangsgeheimnis des Lebens zu kommen. Aus lebloser Materie ging das
Lebendige hervor, als drei Grundeigenschaften zusammenpassten: die chemischen
Reaktionen, eine hinreichend beständige, aber wandelbare Information und genügend
Abgeschlossenheit durch eine Trennung von »innen« und »außen«. Durch die
Wandelbarkeit der Informationsträger ist Evolution möglich geworden.
Warum aber entstand das Leben nur einmal auf der Erde und nicht mehrmals? Gab
es die besonderen Rahmenbedingungen nur in einer ganz bestimmten Zeit auf der
jungen Erde? Für das gegenwärtige Leben kennen wir die Begrenzungen, die
Stoffwechsel und Energiefluss vorgeben. Leben kann sich nicht beliebig
entfalten. Die Evolution ist »kanalisiert«. Deshalb erscheint sie uns
gerichtet, weil nicht alles möglich ist.
Der Anfang des Lebens war ein Phasenübergang aus der leblosen Natur in die
Sphäre des Lebendigen. Gab es einen weiteren Phasenübergang zum »Geistigen«,
musste die Evolution zwangsläufig Geist hervorbringen? Handelte es sich bei der
Entstehung des Geistes um eine Emergenz, um ein plötzliches Auftauchen? Oder
war das stofflich nicht fassbare Geistige von Anfang an Begleiterscheinung und
Wesensmerkmal der Materie an sich?;
Die »großen Fragen« finden sich, wie könnte es anders sein, an den Grenzen.
Dort, wo Physik und Chemie lebendig werden oder Lebendes stirbt und wo Gehirne
nachweisbar Gedanken produzieren, da gibt uns die Evolution nach wie vor die
größten Rätsel auf. Zudem laufen Entwicklungen in der Kultur so erstaunlich
ähnlich wie die biologische Evolution ab, dass sich beide, Evolutionsbiologie
und Kulturwissenschaften, gegenseitig herausgefordert fühlen.
Das Ziel naturwissenschaftlicher Forschung ist fortschreitende Annäherung an
die Wirklichkeit. Um die Realität geht es ihr und nicht um Wahrheit. Skepsis
und Kritik treiben die Kenntnisse voran. Wo es irgend geht, soll das Experiment
die Annahme bekräftigen oder widerlegen. Wo nicht, wie in historischen
Zeitläufen, werden übereinstimmende Befunde und erfüllte Vorhersagen in die
Waagschale der Plausibilität geworfen. Darin entspricht die wissenschaftliche
der juristischen Vorgehensweise: Beweise durch Fakten und erdrückende Indizien
ergeben das Urteil.
Genau das ist die Grundmethode der Evolutionsforschung. Sie kann nicht die
Geschichte erneut ablaufen lassen, um zu sehen, ob es so kommen musste, wie es
gekommen ist. Doch genügend experimentell geprüfte Teilstücke und plausible
Vergleiche erfüllen diese Forderung. Rückblickend ist es durchaus möglich, zu
analysieren, warum sich dieses oder jenes ereignet hat und was die Ursachen
gewesen sind. Vorhersagen lässt sich die Geschichte
jedoch nicht. Die Evolutionsforschung stimmt in dieser Hinsicht weitestgehend
mit der Geschichtsforschung überein. Sie kann Ursachen aufdecken, Entwicklungen
plausibel erklären, aber die Zukunft nicht vorhersagen. Wissenslücken als
Kritik gegen solche Forschungen anzuführen ist unangebracht. Die Wissenschaft
hat nie Vollständigkeit beansprucht. Im Gegenteil! Lückenloses Wissen gibt es nirgends.
Das Humane verlangt größtmöglichen Widerstand gegen die blinde natürliche
Selektion durch Krankheiten, Hunger, Naturkatastrophen und
innerartlich-aggressive Vernichtung. Für eine bessere Zukunft sollen all diese
Formen der natürlichen Auslese überwunden und Krankheiten möglichst besiegt
werden.;
Die Evolution ist zukunftsblind. Gänzlich Neues kann durch biologische
Evolution nicht entstehen. Besseres können wohl nur wir ersinnen.;
Als wahrscheinlich erste Lebewesen auf der Erde könnten wir Menschen sogar den
Beweis erbringen, dass Evolution nicht blind bleiben muss.
(ZEIT 18.9.08 S.41 --- gesamter Text unter http://www.zeit.de/2008/39/N-Evolution?page=all)
·
zu
Carl von Linné:
in der 12. Auflage seines Werkes „systema naturae“ (zuerst erschienen 1735)
rechnet der Forscher den Menschen, für den er den Begriff Homo Sapiens prägt,
gemeinsam mit Schimpansen und Orang-Utans wegen anatomischer Ähnlichkeiten der
Ordnung der Primaten zu
(GEO kompakt 14: Die 100 größten Forscher aller Zeiten, 2008, S. 56)
·
Darwins
Schatten überragt seinen Namen um genau fünf Buchstaben: ismus. Sie trennen
Wissenschaft von Weltanschauung, Idee von Ideologie, Biologie von Biologismus.
Keinem Naturforscher seines Ranges, keinem Newton, Einstein oder Heisenberg,
wurde je die Ehre zuteil. Als Begründer eines Ismus in die Geschichte
einzugehen. Doch dafür zahlt Darwin posthum einen hohen Preis … Im gängigen
Sprachgebrauch steht Darwinismus für Sozialdarwinismus, für Ellbogen und das
Recht des Stärkeren im allgegenwärtigen Verdrängungswettbewerb. Wer jemand
anderen einen Darwinisten nennt, meint das in der Regel nicht freundlich. …
Die fünf Buchstaben seines Schattens haben ihren Ursprung in einer Tautologie,
dem survival of the fittest.
Die Formel gehört zu den folgenreichsten, die je ein Forscher zu Papier
gebracht hat. Sie geht allerdings nicht auf Darwin zurück, sondern auf den
Soziologen Herbert Spencer – und damit wiederum auf ein Gesellschaftsmodell …
Spencer gilt als der Begründer des Sozialdarwinismus … er glaubt an die
kulturelle Evolution … vom All bis in die Seele, vom Molekül bis zur Moral.
Krankes, Schwaches und Entartetes merzt sich im Daseinskampf selbst aus, das
Bessere ist der Feind des Guten. In Darwins Entstehung
der Arten von 1859 findet er das gesuchte Stück Biologie für seine
Weltanschauung.
Darwin übernimmt die Sprechweise vom survival
of the fittest erst ein paar Jahre später.. In
seinem Hauptwerk taucht sie erstmals in der fünften Auflage 1869 auf. …
Der Biologe Ernst Haeckel verbreitet Darwins Lehre noch zu dessen Lebzeiten wie
kaum ein anderer, vor allem in Deutschland. Haeckel macht die natürliche
Auslese zum Teil einer »universellen Entwicklungstheorie, die in ihrer enormen
Spannweite das ganze Gebiet des menschlichen Wissens umfasst«. Er stellt
biologischen Darwinismus in den Dienst politischer Ideologie, erklärt Selektion
und Konkurrenz zur Grundlage gesellschaftlichen Fortschritts und versteht den
deutschen Nationalstaat als darwinistisches Projekt. Und wie kein anderer
verschafft er dem Rassismus ein wissenschaftliches Fundament.
“Diese Naturmenschen“, schreibt er in seinen Lebenswundern, „stehen in
psychologischer Hinsicht näher den Säugethieren (Affen, Hunden), als dem
hochcivilisirten Europäer; daher ist auch ihr individueller Lebenswerth ganz
verschieden zu beurteilen.“ Wenn es heißt, der Nationalsozialismus und andere
Tyrannenregime beriefen sich auf Darwin, dann ist damit eigentlich Haeckel
gemeint.
Schuld im Sinne von Vorsatz trifft Darwin nicht. Anders als Haeckel betrachtet
er Menschen aller Hautfarben als Vertreter einer Art – und kämpft
zeitlebens gegen Sklaverei als Besitz eines Menschen durch einen anderen. …
… Alfred Russel Wallace. Der Sohn aus armem Elternhaus bildete sich
autodidaktisch zum Naturforscher aus und entwickelte unabhängig von Darwin
dieselben Ideen einer Evolution durch Modifikation und Selektion. Doch während
der menschliche Körper, so Wallace, seine Evolution weitgehend abgeschlossen
hat (eine sehr moderne Auffassung), entwickelt sich ihm zufolge der menschliche
Geist weiter und erhebt sich über die biologische Selektion.
Nicht Darwin, sondern der Mann im Blendschatten seines Ruhms begreift den
entscheidenden Punkt: Kulturelle Evolution läuft nicht darwinistisch ab,
sondern lamarckistisch; Eigenschaften wie Sprache, Werkzeuggebrauch,
medizinische Kenntnisse oder Mythologie werden kulturell tradiert, nicht über
Gene. Information fließt schneller als Blut. …
Darwin … selbst vermutete bereits, dass die natürliche Auslese nicht der
einzige Evolutionsmechanismus bleiben wird, hielt sie aber für die
entscheidende und treibende Kraft. Seine Entdeckung hat bis heute Bestand. Sie
lässt sich in Experimenten nachvollziehen und sogar im Freiland beobachten.
Weniger hätte es ihm wohl gefallen, dass sie mittlerweile mehr wie ein
kräftiges Hintergrundrauschen der Evolution erscheint, während andere
Mechanismen die Sprünge und wahrhaft großen Entwicklungsschübe auslösen.
Damit verliert ein weiterer Bereich der Theorie, auf den sich der
Sozialdarwinismus stützt, an Bedeutung: Fortschritt sei vor allem ein Resultat
der Konkurrenz unter Individuen. Heute wird in biologischen Systemen eher
Kooperation als bestimmendes Prinzip angesehen, und zwar auf jeder
Entwicklungsstufe: Moleküle bilden Zellen, die in Geweben und Organen
zusammenarbeiten, die ihrerseits dem Organismus dienen, der sich als Teil
seiner Gemeinschaft in Ökosystem und Biosphäre fügt.
Darwin verstand Kooperation nicht als Gegensatz zur natürlichen Auslese,
sondern als ihr Resultat. In der ultradarwinistischen Lesart von Dawkins hat
sich das Ganze nur auf die Stufe der Gene verlagert. Auch Zusammenhalt und
Altruismus gehen in seinem Weltbild letztendlich auf egoistische Motive zurück.
Dass sich seine Hypothese trotz zunehmender Kritik aus der Fachwelt weiterhin
großer Popularität erfreut, hat wiederum mit einem Spiegelphänomen zu tun: In
ihr erkennt sich jener Teil der Gesellschaft wieder, der sich aufseiten der
Sieger sieht und das Gedankengut des Sozialdarwinismus als natürliche
Rechtfertigung seiner Privilegien benutzt. …
Darwins historische Leistung ist unbestritten: Als Erster formulierte Darwin
eine weltumspannende Theorie des Lebens. Er beschrieb die kreative Kraft des
Todes, ohne den es keinen evolutionären Fortschritt gäbe …
Kollegen weisen Darwin darauf hin, dass künstliche und natürliche „Zuchtwahl“
sich grundlegend unterscheiden. Bei der einen wird mit (menschlichem) Wissen
und Willen bewusst ein Ziel angesteuert, der anderen fehlen Ziel und ordnende
Hand … Da in jeder Generation im Durchschnitt eher die schlechter Angepassten
von der Fortpflanzung ausgeschlossen sind, findet in freier Wildbahn auch keine
positive Selektion statt wie bei der Zucht, sondern in der Regel eine negative.
…
Darwins blinder Fleck … Er verkennt die Macht der kulturellen Evolution, die
sich spätestens mit der Sesshaftwerdung des Menschen über die biologische
Evolution zu erheben begann. Anders als seine nächsten Verwandten kann Homo
sapiens die verfügbare Nahrungsmenge über ihre natürlichen Grenzen steigern.
Ohne Ackerbau und Viehzucht, ohne Züchtung und Lebensmitteltechnologie hätte
unsere Art schon die Mitgliederzahl von einer Milliarde zu Darwins Zeiten nie
erreicht.
Seither hat die Menschheit mit kulturellen Errungenschaften, mit medizinischem
und technischem Fortschritt, ihre Zahl auf bald sieben Milliarden gesteigert
und die biologische Evolution mehr und mehr überwunden. Die wichtigste
Voraussetzung für die natürliche Auslese – eine Überzahl an Nachkommen, von
denen sich im Schnitt nur ein Teil weitervermehrt – ist in modernen
Gesellschaften immer weniger gegeben. Mit zwei Kindern pro Paar und einer
Überlebensrate bei Neugeborenen nahe hundert Prozent ist die Selektion im
Darwinschen Sinne praktisch zum Erliegen gekommen. …
(Die Zeit 31.12.08 S.29f.)
·
„Schwarze
Raucher“ 1977 entdeckt
(bdw 5-2009 S.46)
·
fossiles
missing link in der Entwicklung der Wale gefunden; drei Meter langes Tier, das
mit seinen vier Extremitäten laufen und schwimmen konnte; verwandt mit
landlebenden Huftieren (Nilpferd)
(bdw 7-2009 S.46)
·
Bakterien
in grönländischem Eisbohrkern gefunden; 120000 Jahre alt, 3000 Meter Tiefe
(bdw 9-2008 S.9)
·
Bärtierchen
(bis 1,5 mm groß) in einem astrobiologischen Experiment in einer unbemannten
russischen Photon-Kapsel für 10 Tage Vakuum, Weltraumkälte und UV-Strahlung
ausgesetzt; 2 % überleben, alle starben wenige Tage später an den Folgen der
Strahlung; schirmte man die besonders gefährliche kurzwellige UV-Strahlung
(UV-C) durch Filter ab, überlebten fast 40%, diese vermehrten sich sogar
anschließend
(bdw 5-2009 S.46)
·
China,
Fossilien eines gefiederten Mini-Dinosauriers (70 cm; 99-144 Mill. a alt);
Gefieder in einer Art Flaum
(taz 20.3.09 S.18)
·
ein
US-Geologe und ein Düsseldorfer Botaniker wollen jetzt im Labor nachspielen,
wie die ersten Organismen entstanden sein könnten: in Thermalquellen auf dem
Meeresgrund;
schlichte Substanzen zirkulieren in den Leitungen, darunter
Schwefelverbindungen und Ammoniak, Eisen und Kohlendioxid;
zur Brutstätte des Lebens werden laut dem Geologen Mike Russell
Heißwasserquellen in der Tiefsee, ähnlich den „Schwarzen Rauchern“, aber mit
höchstens 90 Grad Celsius nicht annähernd so heiß. Die Wände der kalkigen
Schlote sind durchsetzt von unzähligen, meist mikroskopisch kleinen Bläschen
und Poren. An den Schloten mischt sich heißes, mineralreiches Quellwasser mit
kaltem, kohlesäurehaltigem Meerwasser. Das chemische Gefälle zwischen den
Flüssigkeiten setzt chemische Reaktionen in Gang, in deren Verlauf einfache
organische Moleküle entstehen; in den Poren der Schlotwände können sich immer
längere Molekülketten anreichern. Kurze Moleküle, die bei den Reaktionen
ebenfalls entstehen, entweichen durch die halbdurchlässigen Wände; an den
Innenwänden der Poren lagern sich wasserabweisende Verbindungen an, die mit der
Zeit eigenständige Hüllen bilden und als erste Urzellen ihre Gehäuse verlassen
können;
2000 wurden die heißen Quellen entdeckt, in 800 m Tiefe, Türme aus weißlichem
Kalziumkarbonat, manche so hoch wie 20-stöckige Häuser;
sämtliches Wasser der Ozeane wird schätzungsweise alle 100.000 Jahre einmal
durch die mehr oder minder heißen Tiefseequellen gepumpt;
(Der Spiegel 24-2009 S.122)
·
dass der Mensch
keineswegs nur die ausführende Marionette seines Erbgutes ist – im Gegenteil, jede
einzelne Zelle entscheidet, was sie aus ihren Genen macht, sie hat dafür eine
Vielzahl von Schaltern uns sinnreichen Mechanismen; welche davon betätigt
werden, hängt auch davon ab wie viel der Mensch zu essen hat, ob er raucht oder
wie viel er sich bewegt. Und manchmal scheint die Schalterstellung, die sich
aus Umwelt und Lebenserfahrung ergeben hat, sogar vererbt zu werden
(Spiegel 30-2009, S.107)
·
irische Forscher konnten drei Gene identifizieren,
die ausschließlich beim Menschen vorkommen; im Schimpansen-Genom fehlen sie, beim Menschen hingegen erfüllen sie
eine Aufgabe;
es ist das erste Mal, dass menscheneigene Gene gefunden wurden, die sich nicht
wenigstens auf Vorläuferversionen im Genom anderen Tiere zurückverfolgen lassen
(Die Zeit, 10.9.09, S.40)
·
im
Staub des Kometen „Wild 2“ hat die NASA-Sonde „Stardust“ 2004 die Aminosäure
Glycin eingefangen
(taz 21.8.09 S.18)
·
US-Forscherteam;
einem (einzigen) Eiweiß verdanken wir Menschen die Entwicklung der Sprache; die
Menschen- und die Affenvariante (bei Schimpansen) dieses Schlüsseleiweißes
arbeiten trotz ähnlichen Aufbaus unterschiedlich; Bauplan ist in einem Gen
namens FOXP2 gespeichert, das den Beinamen „Sprachgen“ trägt; die menschliche
Variante des Gens unterscheidet sich nur in zwei Bausteinen von der des
Schimpansen; gerade diese Veränderung könnte jedoch eine feinere motorische
Kontrolle der Gesichtsmuskeln, eine größere Flexibilität des Gehirns und damit
die Basis für Sprache gelegt haben
(Freie Presse Chemnitz 12.11.09 S.1)
·
nicht
nur die genetische Verwandtschaft, sondern auch eine Kette von Fossilien
belegen die Abstammung der Wale von landlebenden Huftieren; 1992 in Pakistan
Fossil eines „gehenden Schwimmwals“ gefunden, er konnte beides: auf seinen
gespreizten vier Extremitäten laufen und mit ihnen durchs Wasser paddeln; er
ist das berühmte „missing link“, das bisher fehlende Bindeglied in der
Evolution der Wale;
andere Fossilien hatten für Paarhufer typische Knöchelknochen; das bestätigte
den schon länger bestehenden Befund der Molekularbiologen, dass die nächsten
Verwandte der Wale Schweine, Kamele, Rehe – und vor allem Nilpferde sind;
insbesondere die sich wandelnde Gestalt der Ohren macht die Anpassung an das
Wasser plausibel;
(bild der wissenschaft, 7-2009 S.46ff)
·
Leserbrief
Michael Werner;
In allen Gedanken über Leben auf anderen Himmelskörpern scheint mir ein
grundlegender Denkfehler zu liegen: Alles wird darauf abgeklopft, ob dort genau
die Form von Leben möglich wäre, die wir von uns her kennen. Darüber wird
vergessen, wie Evolution abläuft.
Selbstverständlich sind wir irdischen Lebewesen Kinder dieses Planeten und
genau an seine Bedingungen angepasst, einfach deshalb, weil es hier so ist, wie
es ist. … Nicht die Erde passt zu uns, sondern wir passen auf die Erde.
Selbstverständlich wird Leben überall ebenso die Frucht gerade seiner
heimischen Verhältnisse sein ( und hätte
wahrscheinlich Schwierigkeiten unter unseren „freundlichen“ Bedingungen.)
(bild der wissenschaft 8-2009 S.16)
·
MPI
für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig;
Mäuse mit der menschlichen Variante des Gens FOXP2 ausgestattet, unterscheidet
sich in 2 Aminosäuren von der Maus-Form; wird beim Menschen mit der
Sprachfähigkeit assoziiert;
genveränderte Tiere gesund, aber verändertes Verhalten: hielten sich häufiger
in der Gruppe auf, erkundeten seltener allein die Umgebung; außerdem war das
Piepsen der Mäuse mit dem menschlichen Gen tiefer
(bild der wissenschaft 9-2009 S.8)
·
Springende
oder auch mobile genetische Elemente … „Transposons“ … nutzen die zelleigene
Maschinerie gelegentlich dazu, sich selbst zu kopieren, und die Kopien bauen
sich dann an x-beliebiger Stelle im Genom neu ein; einige wenige Elemente
schneiden sich auch wieder aus der DNA aus, um weiter zu wandern;
Je nachdem, wo die springenden Gene auf ihrem Ziel-Chromosom landen, hat das
unterschiedliche Folgen:
a) Stellen, wo keine Gene sitzen, in der Regel keine Auswirkungen für den
Organismus
b) mitten in Genen, wo sie kodierende Sequenzen (Exons) zerstören; mögliche
Folge: krankhafter oder tödlicher Ausfall lebenswichtiger Gene
c) mitten in Genen, aber neben Exons; können dann später in der Evolution
selbst zu Exons werden, also die Funktion eines Gens verändern oder erweitern;
derzeitiger Kenntnisstand: nur 5% unseres Genoms haben überhaupt eine Funktion;
mindestens 45% unseres Genoms gehen auf mobile genetische Elemente zurück,
waren einmal mobil oder sind es noch;
unsere Gene sind “Inseln“ in einem Meer von springenden Elementen …;
vor gut drei Milliarden Jahren: kleine RNA-Schnipsel, die sich selbst kopieren
konnten, waren die erste Erbsubstanz in einfachsten Zellen. Erst später
„erfand“ die Evolution als Sicherungskopie der Erbsubstanz die DNA. Ihr Vorzug:
Sie ist stabiler als RNA, und bei der Vermehrung schleichen sich nicht so oft
Fehler ein;
Springende Elemente schaffen gute Voraussetzungen für genetische Variabilität,
wie es kein anderer Mechanismus vermag. Sie tun dies zum einen, indem sie
Kopien von Genen im Genom verstreuen. Gelegentlich nehmen mobile Elemente bei
ihrer Wanderung benachbarte Gene oder Teile von Genen quasi huckepack an einen
neuen Ort mit. Zum anderen kann eine Reverse Transkriptase auch manchmal
„irrtümlich“ vorbeischwimmende mRNA eines Gens in einen DNA-Doppelstrang
umschreiben, der sich dann später ins Genom integriert …
Keinesfalls erlauben mobile genetische Elemente eine zielgerichtete Evolution
….Transposons agieren blind, rein zufällig im Genom … Darwin ist nach wie vor
gültig
(bild der wissenschaft 9-2009 S.38ff)
·
Springende
Gene klären die Säuger-Evolution;
seit wenigen Jahrzehnten helfen molekulare Techniken, die Struktur der
Stammbäume durch Vergleich des Erbgutes zu ergründen; Punktmutationen treten
auf und werden vererbt; eines solche Punktmutation kann jedoch auch unabhängig
von der ersten Veränderung ein zweites Mal auftreten oder es kann zu einer
Rückmutation kommen; es gibt also stammesgeschichtlich informative und
stammesgeschichtlich irreführende Daten; je längere Zeiträume der Evolution
untersucht werden, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit solcher
irreführender Mutationen im Datensatz, wodurch sich das Risiko erhöht, einen
falschen Stammbaum zu rekonstruieren;
von Studie zu Studie, von Gen zu Gen unterscheiden sich die Säugetierstammbäume
gewaltig;
das Bauplanbuch des Menschen namens Erbgut besteht nur zu etwa 1,5% aus Bauplänen,
den Eiweiß-kodierenden Genen. Die Springenden Gene oder Retrotransposons machen
hingegen mehr als 40% aus;
Springende Gene tragen ihren Namen, weil sie nicht nur an ihrer festen Position
im Erbgut an die Nachkommen vererbt werden. Sie vermehren sich vielmehr auch
innerhalb eines einzigen Genoms. Dabei wird zunächst das Springende Gen durch
Enzyme kopiert. Diese Kopie wird dann an einer anderen Stelle wieder (zusätzlich JK) eingefügt. Die Stelle, an
der diese Kopie eingefügt wird, ist zufällig. Ist die Kopie des Springenden
Gens an der neuen Position fixiert, wird sie mit dem restlichen Genom an die
Nachfahren weitervererbt. Über lange Zeit teilen sich dann mehrere Arten oder
gar ganze Artengruppen diese Kopie an einer bestimmten Stelle im Erbgut. Alle Arten,
die nicht vom Vorfahren abstammen, in dessen Genom sie eingefügt wurden, tragen
sie dementsprechend nicht. Die Zufälligkeit des Einbaus ist dabei entscheidend:
Da das gesamte Genom (des Menschen JK)
etwa 3 Milliarden „Buchstaben“ enthält, ist es praktisch ausgeschlossen, dass
ein Springendes Gen zweimal an genau die selbe Stelle
im Genom eingefügt wird. Sprich: Alle Träger derselben Kopie des Gens an
derselben Stelle im Erbgut müssen von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen;
Die Daten liefern zweifelsfreie Erkenntnisse über die Entstehungsgeschichte der
heutigen Säuger.
(bild der wissenschaft plus; Klaus-Tschira-Preis für verständliche
Wissenschaft, Die Preisträger 2008, 2009, S.20ff.)
·
(Harvard-Forscher
Jack Szostack, Nobelpreis Medizin 2010, will verstehen, wie das Leben auf der
Erde einst entstanden ist:)
Szostak wendet sich damit einem jener drei großen Schöpfungsmomente zu, die wie
kaum etwas anderes von jeher die Wissenschaftler in ihren Bann gezogen haben.
Es handelt sich um jene drei Vorgänge in der Geschichte des Kosmos, im Verlaufe
deren völlig Neuartiges geschaffen wurde: Am Anfang allen Daseins vor rund 13,7
Milliarden Jahren entstand im Urknall die Materie. Im jüngsten Kapitel der
Universumsgeschichte dann verwandelte sich das Geschwätz von Neuronen
unvermittelt in Menschengeist.
Dazwischen aber, gleichsam zur kosmischen Halbzeit, begannen auf einem kleinen
Planeten namens Erde ein paar Moleküle zu leben. Sie hatten sich zu Organismen
zusammengeschlossen, die fähig waren, sich zu wandeln und sich so ihrer
Umgebung anzupassen. Und indem sie so um ihr Überleben kämpften, indem sie
Nahrung suchten, vor Gefahren flohen und stets nach Vermehrung strebten, war
plötzlich ein Zweck, ein Sinn, eine Bestimmung in die Welt gekommen. Wie nur
war das möglich gewesen? War hier ein der Materie eigener Drang erwacht, den
sie seit ihrer Entstehung im Urknall in sich getragen hatte? Oder verdankt das
Leben seine Existenz einem einzigartigen Zufall?
Unweigerlich stoßen bei Fragen wie diesen Wissenschaft und Religion
aufeinander. Denn es geht zugleich auch darum, ob die Wissenschaft die
alleinige Hoheit für die Welterklärung für sich beanspruchen kann - oder ob
noch Raum bleibt für etwa Göttliches.
Auch Szostak weiß: "Die exakten Umstände, unter denen das Leben entstanden
ist, sind möglicherweise für immer für die Wissenschaft verloren." Denn
nicht nur das Drehbuch des Dramas ist verschollen, auch die Bühne, auf der es
sich abgespielt hat, liegt weitgehend im Dunkeln.;
Als gesichert kann nur gelten, dass der Planet hektischer als heute um seine
Achse trudelte; ein Erdtag dauerte womöglich nicht länger als sechs Stunden.
Auch stand der Mond deutlich größer am Nachthimmel und schleppte eine
entsprechend mächtigere Flutwelle mit sich.
Vor allem aber stand die Urerde unter heftigem Beschuss. Schätzungen zufolge
schlugen allein 15 gigantische Himmelskörper ein, die groß genug waren, um
ganze Weltmeere verdampfen zu lassen; 4 von ihnen maßen gar mehr als 300
Kilometer im Durchmesser. Zum Vergleich: Der Meteorit, der vor 65 Millionen
Jahren den Dinosauriern den Garaus machte, war 30-mal kleiner und wog gerade
einmal ein 30000stel.
Zwischen den Einschlägen aber könnte es frostig gewesen sein. Denn die Sonne
schwächelte, ihre Strahlkraft war um etwa ein Drittel geringer als heute; zudem
dürfte der Staub zerborstener Meteoriten den Himmel immer wieder verdunkelt
haben. Gut möglich deshalb, dass sich dicke Eispanzer auf die Urozeane legten.
Und irgendwo inmitten dieses Spektakels soll das junge Leben gekeimt haben?
Nicht das Paradies, sondern vielmehr die Hölle soll seine Geburtsstätte gewesen
sein?
Als der Münchner Patentanwalt Günter Wächtershäuser in den achtziger Jahren
eine urzeitliche Schwefel-Eisen-Chemie ersann, aus der Leben hervorgegangen
sein könnte, rückten die Schwarzen Raucher, die entlang der mittelozeanischen
Rücken ihre brühend heiße Mineralfracht ins Tiefenwasser speien, in den
Mittelpunkt des Interesses.
Inzwischen gelten die gutmütigeren Verwandten dieser heißen Quellen, die
Hydrothermalquellen vom sogenannten Lost-City-Typ, als plausiblere Brutstätten
des Urlebens. Auch sie finden sich am Ozeanboden, nur dass hier das Wasser mit
moderateren Temperaturen aus dem Gestein schießt. Zudem sind die Schlote von
einem Labyrinth feiner Kavernen und Kanäle durchzogen, die den Urorganismen als
Heimstatt gedient haben könnten. ;
(Forscher aus Heidelberg und Barcelona:)
hatten sich vorgenommen, genau zu erfassen, was eigentlich das Minimum ist,
dessen es bedarf, um lebendig zu sein.
Auf der Suche nach einem möglichst unkomplizierten Lebewesen entschieden sie
sich für das Bakterium Mycoplasma pneumoniae, das mit rund 816 000
Genbuchstaben zu den schlichtesten eigenständig lebensfähigen Geschöpfen zählt.
Diese Mikrobe unterzogen die Forscher einer radikalen Molekular-Anatomie.
Gründlich wie bei keinem Organismus zuvor vermaßen sie all ihre Gene, stellten
fest, wann diese aktiv sind und wann sie abgeschaltet werden, wie die einzelnen
Proteine miteinander wechselwirken und welche chemischen Reaktionen sie
antreiben.
Stück für Stück offenbarte sich den Wissenschaftlern dabei ein vielmaschiges
Geflecht von 189 Stoffwechselreaktionen, die von insgesamt 129 Enzymen
gesteuert werden. Rund 200 molekulare Maschinen zählten die Forscher, 178
jeweils aus mehreren Proteinen zusammengesetzte Eiweißgebilde spürten sie auf.
Vor allem aber verblüffte die Forscher, wie flexibel
dieses Regelwerk auf seine Umgebung zu reagieren vermag. Je nachdem welchen
Nähr- oder Signalstoffen die Mikrobe begegnet, kann sie an einer Vielzahl von
Stellschrauben die Wirkung einzelner Gene herauf-, die anderer hingegen
herunterregeln.
Und das soll nun die einfachste Form allen Lebens sein?
Die Lücke zwischen der archaischen Chemie auf der Urerde und den ersten
Lebensformen heutiger Bauart zu schließen ist auch deshalb so schwierig, weil
in der Übergangsphase eine Form von Leben existiert haben muss, dessen
Überbleibsel vollständig getilgt sind.
Während nämlich sämtliche heutigen Bewohner der Erde ihr Erbgut in Form von
DNA-Strängen aufbewahren, war den ersten lebendigen Kreaturen diese
Molekülsorte höchstwahrscheinlich fremd. Stattdessen nutzten sie vermutlich
einen chemischen Verwandten der DNA, die sogenannte Ribonukleinsäure RNA.
Vor allem eine Eigenschaft dieses Moleküls fasziniert die Forscher: Es vereinigt
Eigenschaften von Proteinen und DNA in sich und damit beider wichtigen Gruppen
von Biomolekülen. Wie die DNA so taugt auch die RNA als Träger genetischer
Information. Gleichzeitig aber kann ein RNA-Molekül, genauso wie ein Protein,
gezielt ganz bestimmte chemische Reaktionen vorantreiben.
Deshalb gehen die Forscher davon aus, dass, ehe die ersten modernen Lebewesen
die Bühne betraten, ihre einfacheren Vorfahren eine weniger komplizierte
"RNA-Welt" bevölkerten, in der RNA-Moleküle die Aufgabe von Genen und
Proteinen gleichermaßen übernahmen. ;
Als besonders bedeutsam gilt die Entdeckung eines britischen Teams. Den
Wissenschaftlern der University of Manchester gelang es, einen Weg zu finden,
wie unter den Bedingungen der Urerde die Bausteine der RNA entstanden sein
könnten. Jahrzehntelang hatten sich ihre Kollegen vergebens bemüht, dieses
Rätsel zu knacken.
Gleichzeitig tüftelten Gerald Joyce und seine Kollegen am Scripps Research
Institute im kalifornischen La Jolla so lange mit RNA-Molekülen herum, bis sie
zwei Exemplare mit außergewöhnlichen Eigenschaften gefunden hatten: Jedes der
beiden ist fähig, eine Kopie des jeweils anderen zu verfertigen.
Indem sie sich also wechselseitig herstellen, pflanzen sich diese RNA-Kreaturen
gleichsam fort. "Wir haben unsterbliche Moleküle", verkündet Joyce.
Zwar sei es sicher verfrüht, sie lebendig zu nennen, lebensähnlich aber seien
sie immerhin.
(http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-68525307.html;
Titel: Die Schöpfung im Labor)
·
amerikanischer Komplexitätsforscher Stuart Kaufmann
über die Geburt des Lebens aus einer Molekülsuppe, die Kreativität des
Universums und das Heilige in der Natur;
natürlich sind die Naturgesetze gültig, nur eben nicht immer und überall;
ich glaube nicht an Wunder in dem Sinne, dass ein übernatürlicher Gott die
Geschicke der Welt lenkt. Wenn ich von „Wundern“ spreche, dann meine ich
Vorgänge, die sich aus keinem Naturgesetz ableiten lassen;
Ich bin überzeugt, dass wir im Universum die Spur einer enormen, zumindest
teilweise keinen Grenzen unterworfenen Kreativität finden;
ich halte es für eher wahrscheinlich, dass der eigentliche Ursprung des Lebens
eine direkte Folge der Naturgesetze ist. Leben ist, anders gesagt, ein natürlicher
Ausdruck des Universums. Die Gesetzlosigkeit, von der ich spreche, beginnt erst
danach zu wirken: Die Evolution, die nach dem eigentlichen Schöpfungsakt
folgte, entzieht sich der vollständigen Beschreibung durch Naturgesetze. Ich
bin überzeugt, dass sich mit keinem Gesetz im Voraus vorhersagen ließe, welchen
Weg die Evolution beschreiten wird;
(Was ist „Leben“?) Zunächst ist dazu molekulare Reproduktion erforderlich, also
Moleküle, die sich selbst vermehren können … Des weiteren müssen diese sich
selbst vermehrenden Moleküle auf engem Raum eingeschlossen sein, in kleinen
Fettbläschen zum Beispiel oder auf Lehm-Oberflächen. Andernfalls würden sich
die Moleküle sofort in den Weiten des Ozeans verdünnen, sodass komplexe
Reaktionen unmöglich würden … Es kommt noch ein Drittes dazu, … Dieses System
muss auch noch fähig sein, mit seiner Umgebung in Wechselwirkung zu treten.
Erst ein solches System kann handeln, auf die Umwelt reagieren, Einflüsse der
Umwelt unterscheiden und – zum eigenen selektiven Vorteil – Entscheidungen
treffen. … Das Lebendige bringt autonom handelnde Wesen hervor;
Ich spreche von der Kreativität der Natur oder des Universums, von einer
Schöpfung ohne Schöpfer;
In der Physik passieren die Dinge nur, biologische Systeme hingegen handeln;
(Frage) Muss nicht, wer „heilig“ sagt, notwendig auch „Gott“ sagen?
(Antwort) Warum nicht? Ich jedenfalls spreche von einem Gott im Sinne eines
natürlichen Werdens des Universums, eines kreativen Werdens jenseits der
Naturgesetze. Wir im Westen sind sehr säkular geworden. Nichts ist uns mehr
heilig.;
(F.) Sie wollen also die alten Götter abschaffen und an ihre Stelle die
Kreativität des Universums als neuen Gott stellen?
(A.) … Das heiligste aller Wörter ist Gott. Nichts ruft so viel wach wie dieses
komplexe Wort. Deshalb sollten wir den Mut haben, es zu benutzen.
(A.) Aber bedeutet die Berufung auf einen Gott nicht zugleich einen Verrat an
der Wissenschaft?
(A.) Eben nicht. In der Welt Newtons muss Gott intervenieren, er muss Gesetze
brechen, um eingreifen zu können. Und das erscheint uns töricht. Wenn es aber
Facetten der Welt gibt, die sich der Beschreibung durch Naturgesetze entziehen,
wenn der Ausgang vieler Vorgänge offen ist, dann bleibt Raum für mysteriöse
Kräfte. Uns steht frei, sie Gott zu nennen.
(F.) Und dieser Gott ist mithin eine zwangsläufige Folge des Urknalls?
(A.) So ist es
(Der Spiegel 1/2010 S.120f.)
·
Nature, London; anhand von
Pigmentresten entdeckt, dass einer der ersten Dinosaurier mit Federansätzen
farbige Borsten trug; die Studie gebe zudem einen außerordentlichen Einblick in
die Funktionsänderung der Federn; bislang war bekannt, dass es Tiere mit Federn
bereits vor den Flügeln gab, da nun auch die ersten Federn nachweislich
Farbpigmente enthielten, hätten sie sich zunächst womöglich nur entwickelt, um
bunte Farben zur Schau zu stellen, einen Nutzen als Wärmedämmung oder
Hilfsmittel zum Fliegen erhielten sie erst viel später im Laufe der Evolution
(taz 29.1.2010 S.18)
·
(Seite 14) Nicht ein planender Gott
hat die überbordende Vielfalt des Lebens erschaffen, sondern ein planloser
Prozess, in dem sich Zufall und Notwendigkeit verbinden. Wir haben uns wie alle
anderen Lebewesen (gemeinsame Abstammung) durch den Mechanismus der natürlichen
Auslese (Selektion) allmählich zu dem entwickelt (Evolution), was wir sind.
(35) Über die Artenfrage besteht unter Fachleuten bis heute so große
Uneinigkeit, dass manche sogar vorschlagen, den Artbegriff ganz zu streichen.
Die tauglichste Definition fasst diejenigen Lebewesen in einer Spezies
zusammen, die miteinander zeugungsfähige Nachkommen haben können und damit eine
Fortpflanzungsgemeinschaft bilden.
(38) (Der Geologe) Charles Lyell steht … aufseiten der „Gradualisten“. Nach
denen bräuchte es, um das aktuelle Bild der Erde zu verstehen, weder göttlichen
Einfluss noch zielgerichtet formende Mächte in der Vergangenheit, sondern
allein dieselben Gestaltungskräfte der Natur mit Vulkanismus,
Vergletscherungen, Erdbeben und Erosion, wie sie auch heute noch zu beobachten
sind.
(58) Nach den Prinzipien rein biologischer Evolution, wie Darwin sie verfasst,
lägen das Erobern fremder Länder oder sogar das Ausrotten einheimischer
Bevölkerungen im Rahmen der natürlichen Regeln. Doch beim Menschen macht Darwin
von Anfang an eine Ausnahme. Damit akzeptiert er – indirekt – das Konzept der
kulturellen Evolution. „Wenn das Elend unserer Armen nicht durch die Gesetze
der Natur, sondern durch unsere Gewohnheiten verursacht wird, ist unsere Sünde
groß.“ Beim Kulturwesen Mensch hat das Recht des Stärkeren seine Grenzen.
(66) Jedes sexuell entstandene Lebewesen, mit Ausnahme eineiiger Zwillinge,
unterscheidet sich genetisch von allen anderen, die jemals gelebt haben oder
noch leben werden.
(73) Not macht kreativ, Übersättigung träge. …
Unzählige Experimente haben gezeigt, dass Mangel die Evolution vorantreiben
kann, sie zu Lösungen zwingt, die sich im Überfluss nie durchsetzen würden.
Organismen erschließen sich neue Nahrungsquellen und Nischen …, oder sie
sterben aus. Je größer die Variabilität, also das Angebot an Ideen oder Mutationen,
desto größer die Wahrscheinlichkeit zu überleben. Hier liegt ein weiterer
Vorteil der sexuellen Fortpflanzung: Da Erbanlagen von beiden Eltern
zusammenkommen, hat jeder Nachkomme einen doppelten Satz davon. Damit kann eine
Art besser auf alle möglichen Eventualitäten reagieren und neue, nicht nur
räumliche Nischen besetzen – und sie hat Reserven, wenn Gene nicht richtig
„funktionieren“.
(77) Einer wie er (Darwin) würde
gewiss weiterhin die großen Geheimnisse der Biologie verfolgen: Wie übersetzt
sich genetische Information in ein vollständiges Lebewesen, in dem
zigmilliarden Zellen perfekt zusammenarbeiten? Wie funktioniert der
Überlebenstrieb, der so alt ist wie das Leben selbst? In allen brennt dieselbe
Flamme. Und jeder versucht, sie so lange wie möglich am Leben zu erhalten. Das
teilen wir mit allen Wesen, von den ersten Organismen an. Leben will leben.
Aber was treibt es an? Was uns? Ein Plan? Ein Ziel? …
die romantische Idee einer geheimnisvollen Lebenskraft, einer „vis vitalis“,
hat rationale Wissenschaft verworfen. Man kann Leben auch ohne sie verstehen.
Alles geht mit rechten Dingen zu, im Rahmen der bekannten Physik und Chemie.
Aber was ist es dann? Eine gigantische Maschine, die Algorithmen abarbeitet?
Und wenn wir sie je ermitteln könnten, wüssten wir dann, warum wir sind? Was
ist es, das uns jeden Morgen aufstehen lässt, essen,
trinken, unser Pensum erledigen? Was bringt uns dazu, uns zu vermehren? Wozu
Nachkommen, wenn sie doch wieder nur das Gleiche tun und Nachkommen
hervorbringen?
Ernst Bloch spricht vom „Prinzip Hoffnung“. Aber haben Hamster Hoffnung? Oder
Seegurken, Fadenwürmer, Bazillen? Was lässt den Frosch im Glas bis zum Letzten
kämpfen? Oder die Fliege am Honigstreifen? Jeder kennt es, jeder fühlt es, aber
keiner kann es erklären.
Das tiefe Rätsel hinter der Evolution, neben der Entstehung der Welt vermutlich
das größte überhaupt. …
Wenn Hoffnung uns antreibt, worauf richtet sie sich? Haben wir ein höheres
Ziel, etwas, das unsere Kultur über die reine Biologie erhebt? Wie funktioniert
kulturelle Evolution jenseits der biologischen? … Was ist der Mensch?
(97) Heute gehört die populäre Vorstellung einer Ursuppe längst in die
Asservatenkammer der Wissenschaftsgeschichte. Forscher gehen inzwischen davon
aus, dass sich im offenen Meer (oder Teich) keine stabilen Strukturen halten
können, weil der Zerfall dem Entstehen immer den Rang ablaufen und jeden
bescheidenen Anfang sofort wieder zunichtemachen würde.
(99) So lässt sich die Entstehung des Lebens (gemeint ist wohl: die Entstehung neuer Arten JK) zwar besser
verstehen, wie Schwerkraft und Trägheit mit Newtons Gesetzen, aber nicht
wirklich erklären. Seine scheinbare Zielgerichtetheit – Philosophen sprechen
von Intentionalität – und sein Streben nach höherer Komplexität bleiben
weiterhin sein großes Geheimnis. Der französische Philosoph Henri Bergson hat
für den unheimlichen Lebenswillen das Wort vom „élan vital“ geprägt – das
philosophische Gegenstück zur naturalistischen „vis vitalis“, die das Leben am
Leben erhält, aber nicht vorantreibt. Bergsons Lebensdrang, diese Gier nach
Existenz und Fortschritt, die das Leben vom ersten Moment an besessen haben
muss, geht aber erst aus der Gemeinschaft der Teile (her-)vor. Jedes einzelne hat sie nicht.
(130) (Darwin): „Im Sterben einer Art liegt nicht mehr Erstaunliches als in dem
eines Individuums.“ Damit begreift er Spezies als existierende Einheiten, die
wie einzelne Lebewesen geboren werden und sterben. Anfangs glaubte er sogar,
sie hätten nur eine bestimmte Lebensspanne wie Individuen, später erkennt er
als Hauptfaktor des Aussterbens die Verdrängung einer Spezies durch eine
andere. Heute sehen fast alle Fachleute dies zahlenmäßig nur als untergeordnete
Ursache, verglichen mit Umweltveränderungen, vor allem von Menschen
verursachten, denen sich Arten nicht anpassen können.
(132) Welchen Sinn hat der Tod? Als unverzichtbarer, natürlicher Bestandteil
jenes Prozesses, der das Leben durch Evolution überleben lässt, garantiert der
Tod seiner Teile dem Ganzen Unsterblichkeit.
(145) (Ende des 18. Jahrhunderts Entdeckung der Pockenimpfung)
Mit dem neuartigen Konzept rettet der englische Landarzt Edward Jenner als
erster Held der modernen Medizin unzählige Leben …
Damit nehmen die Menschen erstmals durch wissenschaftlich-kulturelle
Errungenschaften direkten Einfluss auf ihr biologisches Schicksal. Der
evolutionäre Weg, über Dutzende von Generationen durch natürliche Auslese
allmählich eine Immunität in der Population zu etablieren, wird durch
medizinische Manipulation überholt. Was mit Jenners Kuhpocken beginnt, setzt
sich fort in weiteren Impfungen, verbesserter Hygiene, Antibiotika,
Intensivmedizin, Geburtenkontrolle und Pränataldiagnostik. Als erste Spezies
beginnt HOMO SAPIENS, sich aus den Klauen der biologischen Evolution zu
befreien.
(156) … dass nur schätzungsweise ein Zehntel Prozent unserer Gene für das
erkennbare Äußere zuständig sind, der Rest für die „inneren Werte“.
(181) Wir Menschen haben es auf bemerkenswerte Weise geschafft, im Survival of the fittest besonders ein
Prinzip zum Garanten unseres „Erfolgs“ zu machen: Kooperation und
Arbeitsteilung. Manche betrachten es sogar als wichtigsten Motor der Evolution
…
Wir sind längst viel mehr Gemeinschaftswesen in unzähligen sich überlappenden
Netzwerken und gegenseitigen Abhängigkeiten, als manch einer glauben mag. Wer
seine Welt einmal aus dieser Perspektive betrachtet, wird wenig entdecken, was
Menschen frei von allen anderen täten. Gemeinschaften erzeugen vermutlich mehr
Zwänge als Gene.
(183) (Erfahrungen und Einsichten auf einem Schiff) Da haben viele „Tüchtige“ Platz neben dem Alpha (dem
Kapitän JK). Die einen können gut zwischen Interessen vermitteln, andere
kreativ mit neuen Problemen umgehen, wieder andere sich meisterhaft unterordnen
oder auch einfach verdrücken. Feigheit als Vorteil? Die Biologie hält alles
bereit. Sogar Täuschung und Lüge haben sich bewährt. …
Würde man einen Kaspar Hauser schaffen, einen Menschen, der allein auf seine
genetische Mitgift gestellt wäre und keine einzige kulturelle Errungenschaft
vermittelt bekäme, keine Sprache, keine Fingerfertigkeiten, kein soziales
Verständnis, dann würde sich erschreckend deutlich zeigen, wo wir rein
biologisch stehen.
(185) „Ratschen-Effekt“ … Jeder neue Entwicklungsschritt baut danach auf dem
Vorhandenen auf, wobei wie bei einer Ratsche das Zurückrutschen in frühere
Zustände verhindert wird. Diese stabilisierende Komponente …. wesentlicher als
die kreative: Nicht das Erfinden neuer Qualitäten und Kapazitäten stelle die
eigentliche Leistung dar, sondern das Bewahren und Anhäufen des jeweils Erreichten
(188) Symbiosen … Von unseren hundert Billionen Zellen sind überhaupt nur zehn
Prozent menschlich. Der Rest gehört Bakterien, Pilzen und anderen Mikroben.
Ohne Mitwirkung der dienstbaren Bewohner in unserem Inneren, der Darmbakterien,
die zusammen ein halbes Kilo auf die Waage bringen, könnten wir gar nicht
existieren.
(210) (Brief von Charles Darwin an seine spätere Frau Emma – 20.1.1839)
„Während der fünf Jahre meiner Reise, …
die der Beginn meines wirklichen Lebens genannt werden können, stammte meine
gesamte Freude aus dem, was mir durch den Kopf gegangen ist …
Verzeih das Maß an Egoismus.
Ich lege es in Deine Hand, da ich glaube, dass Du mich menschlicher machen und
bald lehren wirst, dass es größeres Glück gibt als Theorien zu errichten und in
Stille und Einmaligkeit Fakten anzuhäufen.
Du meine liebste Emma, ich bete ernsthaft, dass Du niemals die große, und ich
will hinzufügen, sehr gute, Tat bereust, die Du am Dienstag begehen wirst: mein
eigenes zukünftiges Weib, Gott segne Dich. …“
(214) (Der Autor hilft an einer Fähranlegestelle mit)
Da spricht mich die Ladenbesitzerin an: „Was machst du da? Reiche Menschen
arbeiten nicht.“ – „Ich helfe gern.“ – „Willst wohl in den Himmel kommen?“ –
„Deshalb habe ich es nicht getan.“ – „Aber der Himmel gehört euch nicht. Er
gehört uns Armen.“ – „Das habe ich noch nie gehört.“ – „Für uns enthält er eine
ganze Welt, unsere Träume, Wünsche. Hoffnungen.“ – „Aber für mich doch auch.“ –
„Nein, für die Reichen ist der Himmel leer. Die haben alles hier auf Erden.“
(224) Deshalb haftet dem Darwinismus, entstanden am Vorbild des
kapitalistischen Wettbewerbssystems im 19. Jahrhundert, noch immer der Geruch
an, auf sozialer Ebene den Status quo zu zementieren. Wörtlich gelesen,
vertritt er das genaue Gegenteil – zumindest in der freien Natur: Dort herrscht
Chancengleichheit bei gleichen angeborenen Fähigkeiten.
Die Natur kennt keine Klassen, Clans oder Kasten, die ihre Privilegien über
Generationsgrenzen weiterreichen. … Um die Klasse zu erhalten, muss man sie
rein halten von denen, die man biologisch für unterlegen hält. Solcherart
Klassendenken hat – bis heute – zumindest unbewusst immer auch eine
rassistische Komponente. Man heiratet nur untereinander … nich aber mit
niederen Mischlingen …
(232) (Zufallselemente in der Evolution und Artbildung)
(Mutationen in Genen)
Da Elternteile unterschiedliche Gene einbringen …
Heute wissen wir, dass zur Entstehung der Arten noch ganz andere Vorgänge
unabdingbar sind, von der „Gendrift“ über die Durchmischung des Erbguts durch
„Crossing over“, die Verdopplung von Genen und von Abschnitten des Genoms oder
kompletter Chromosomen bis zu „springenden Genen“, der Aufnahme „fremder“
Erbsubstanz, etwa aus Viren, oder der Symbiose unterschiedlicher Organismen.
All diese Prozesse enthalten weitere Elemente des Zufalls (von den zufälligen
Unwägbarkeiten der Umwelt, etwa durch Naturkatastrophen, ganz zu schweigen).
Doch Darwins Zufall allein reicht schon aus, um ihn in das gefährlichste
Fahrwasser seines Lebens zu bringen: Er widerspricht der Idee einer geplanten
Entwicklung und damit der Schöpfung. Selbst wenn Gott den Zufall als Prinzip
vorgesehen hätte, könnte er keinen Einfluss auf das Ergebnis nehmen, da es dann
kein Zufall mehr wäre. Wenn Darwin recht behält, kann
er praktisch beweisen, dass die Evolution von niedersten Tieren bis zum HOMO
SAPIENS „blind“ abgelaufen ist. Eine ordnende oder steuernde Hand ist nicht
mehr vonnöten. ...
Die Anpassungsfähigkeit der Arten rührt gerade daher, dass die Evolution kein
Ziel verfolgt und die Zukunft nicht kennt. Das erst erlaubt ihr (und zwingt
sie), sich auf jede mögliche Situation einzustellen. … Jeder planende Eingriff
(etwa auch der des Menschen durch Gentechnologie) beruht auf Annahmen über das
gewünschte Resultat. Da Zufall Zukunft jedoch prinzipiell unvorhersagbar macht,
wird das System durch jedes Eingreifen weniger flexibel, mit der Gefahr
unkorrigierbarer Irrwege.
Nur der (innere) Zufall ist gut genug, auf den (äußeren) Zufall zu reagieren,
wie ihn die sich verändernde Umwelt ständig mit sich bringt. Oder anders
gesagt: Nur der Zufall kann den Zufall in Schach halten – eine geniale
Erfindung der Natur.
(290) Indem Darwin den Menschen als Krone der Schöpfung entzaubert, fügt er
seiner Art eine zweite Kränkung durch die Wissenschaft zu. Das verleiht ihm das
Format eines Kopernikus. Dieser erste Kränker hat den Menschen auf seiner Erde
zum Nichts im All erklärt. Darwin macht ihn zum bewussten Tier, das die
Einsamkeit des Ichs zu spüren bekommt und sich mit Leib und Seele ans irdische
Dasein klammert. Nur der Glaube kann ihm helfen, der Schöpfer nicht. Dessen
Allmacht hat sich mit der Festlegung der Naturgesetze im ersten Hauch
„erschöpft“. …
Das letzte Wort im englischen Original (des
Buches „On the origin of species) heißt EVOLVED. Darwin spricht zum ersten
Mal von Evolution.
(301) Die Aussage, dass es uns eigentlich nicht geben dürfte, verliert jeden
Sinn angesichts dessen, dass es uns gibt. Meine Welt mit mir als Mittelpunkt
ist eine gleichwertige Möglichkeit unter unendlich vielen. … Sind wir in
irgendeiner Form vorgesehen? … Wenn wir Wunder wie die Schöpfung ausschließen
und alles von Anfang an nach Naturgesetzen abgelaufen ist, dann war Charles
Darwin, geboren am 12. Februar 1809 im englischen Shrewsbury, im Augenblick des
Urknalls als Möglichkeit bereits vorhanden wie jeder andere vor und nach ihm.
Im Wesen der Naturgesetze, die so etwas wie Mozart und Manhattan nicht nur
zulassen, sondern wenigstens an einem Ort im Kosmos auch verwirklicht haben,
liegt das wahre „Geheimnis aller Geheimnisse“.
(307) (Conway Morris) Wenn es ein Wunder gibt, dann nur das eine am Anfang: die
Entstehung des Alls und seiner Ordnung.
(317) ein Bericht, den Darwin und FitzRoy (Kapitän
des Schiffes Beagle) gemeinsam ein paar Monate später in einer christlichen
Zeitschrift in Südafrika veröffentlichen werden. Es entbehrt nicht einer
gewissen Ironie, dass Darwin die erste Publikation seines Lebens zur
Verteidigung der christlichen Missionsarbeit verfasst, und dann auch noch
gemeinsam mit dem Kapitän, der ihn schon bald als ketzerischen Widersacher des
Schöpfungsglaubens angreifen wird.
(318) Wenn Darwin recht hat, gibt es kein Leben im Jenseits, keine Seele, keine
Hoffnung – außer der, die wir uns selber schaffen …
Alles, was für die anderen Lebewesen gilt, das gilt auch für uns.
(322) Schon 1865 wird Evolution in Cambridge Prüfungsgegenstand.
(323) Die natürliche Auslese jedoch, der Kern von Darwins Theorie, bleibt
selbst unter wohlmeinenden Fachleuten umstritten. In ihrer kalten Blindheit
läuft sie dem Glauben an einen allmächtigen Gott zuwider, wie metaphorisch die
Heilige Schrift auch immer gelesen werden mag.
(325) Wer die biblische Sechstagewoche ernst nimmt, wer noch heute mit
sechstausend Jahren Erdalter argumentiert oder die Entstehung der Frau aus
einer Rippe des Mannes für bare Münze hält, der lehnt im Grunde nicht nur
Darwin ab, sondern die gesamte wissenschaftliche Methode als Basis moderner
Zivilisation.
(326) Kein Wissenschaftler behauptet, dass die Evolutionstheorie alle Fragen
beantworten kann. Doch seit Darwin sein Werk vorgelegt hat, sind Lücken nur
geschlossen worden, keine neue hat sich aufgetan. So bruchstückhaft das
Verständnis des Genoms zum Beispiel noch ist, jede neue Erkenntnis macht die
Darwin´sche Evolutionstheorie plausibler, nicht umgekehrt. Jeder
Wissenschaftler würde auch unterschreiben, dass Darwins Theorie „nur“ eine
Theorie ist, die sich widerlegen – falsifizieren – oder durch eine bessere
ersetzen ließe. Aber bis heute ist weder der Ansatz einer alternativen Theorie
noch die geringste Spur eines Gegenbeweises aufgetaucht, auch wenn die
Neokreationisten genau das unterstellen.
(329) Wer aber den Schöpfer einerseits als superintelligenten Planer versteht,
der sein Werk mit Erschaffung der Naturgesetze abgeschlossen hat, kann ihn
eigentlich nicht andrerseits bitten, seine Pläne später wieder zu korrigieren.
Schon Leibniz empfand es „als eben für ihn beleidigend“, dass wir Gott durch
sein gelegentliches Eingreifen für unser Schicksal verantwortlich machen. Man
unterstellte dem Fehlerlosen Fehler und lässt den Gesetzgeber seine Gesetze
übertreten. Doch der Gott des großen Wurfs, der die Welt erfunden und
vielleicht auch intelligent geplant hat, erhört keine Gebete. Er hat sein Werk
getan.
(330) Niemand weiß, wie die Welt entstanden ist. Somit darf jeder glauben, was
er will, auch dass sie von (einem) Gott erschaffen worden ist. Die allermeisten
gläubigen Naturwissenschaftler (und von denen gibt es viele) halten es wie
andere aufgeklärte Christen: Unter der erdrückenden Beweislast
wissenschaftlicher Erkenntnis wird das Terrain bis zum Anfang des Universums
geräumt. Gott hat das All erschaffen und damit auch die Evolution und das Leben
„erfunden“. Woher Gott kommt, wenn nicht „aus sich selbst“, lässt sich nicht
beantworten. Das entspricht ziemlich genau Darwins Position, als er „Die
Entstehung der Arten“ veröffentlicht. Er vergleicht die mechanischen Gesetze,
wie Newton sie formuliert hat, mit jenen, die er (D.) für die Entwicklung des
Lebens beschreibt. Gott regiert Darwin zufolge per Naturgesetz, und zwar von
Anfang an. Man kann also an (einen) Gott glauben und an die Evolution. „Ich
sehe keinen vernünftigen Grund, warum die in diesem Werke entwickelten
Ansichten irgendwie religiöse Gefühle verletzen sollten“.
(338f.) Darwins blinder Fleck lässt ihn die Besonderheiten menschlicher
Entwicklung über die biologische Evolution hinaus nicht erkennen. … versagt
seine Optik bei den ungleich schnelleren Abläufen der menschlichen Evolution
jenseits der Biologie. Er glaubt, in heutigen Worten, dass kulturelle Unterschiede
genetisch fixiert seien. „Ich bin geneigt, mit Francis Galton darin
übereinzustimmen, dass Erziehung und Umgebung nur eine geringe Wirkung auf den
Geist eines jeden ausüben und dass die meisten unserer Eigenschaften angeboren
sind.“ Ein Gedankenexperiment hätte ihm das Gegenteil klarmachen können: Könnte
man die biologische Evolution komplett stoppen, würde die kulturelle
weitergehen. …
Kulturelle Evolution läuft nicht darwinistisch ab, sondern lamarkistisch –
erworbene Eigenschaften wie Sprache oder Mythologie werden kulturell tradiert,
nicht über Gene. Information fließt schneller als Blut. …
die meisten Fähigkeiten, vom Sammeln und Jagen bis zum Lesen und Schreiben,
haben wir, auch wenn sie „in Fleisch und Blut übergegangen“ sind, erlernt und
geben sie auf gleichem Wege weiter.“
(340) Der Journalist und Philosoph Herbert Spencer findet in der „Entstehung
der Arten“ von 1859 das gesuchte Stück Biologie für seine Weltanschauung vom
„Überleben des Tüchtigsten“. Darwin wehrt sich nicht, im Gegenteil: Er
übernimmt die griffige Formel in sein Werk. Denn er glaubt an das, was Spencer
sagt. Der will Evolution total, vom All bis in die Seele, und vor allem in der
Gesellschaft. Krankes, Schwaches und Entartetes merzt sich im Daseinskampf
selber aus, das Bessere ist der Feind des Guten.
Spencer schafft mit Darwins Billigung die Voraussetzung für die um sich
greifende Biologisierung aller Lebensbereiche. …
Gerade in dem Augenblick, in dem wir uns dank Kultur immer weiter aus der
Biologie verabschieden, dehnt sich ihr ideologischer Machtbereich aus.
Evolution ist alles, alles ist Evolution.
(344) Durch Analyse und Vergleich des Erbguts unterschiedlicher Organismen kann
der Weg der Evolution bis an die Anfänge zurückverfolgt werden. Im Großen und
Ganzen bilden die genetischen Verwandtschaften Darwins Lebensbaum ab. Evolution
lässt sich beobachten, demonstrieren und in gewisser Weise sogar beweisen. Sie
ist im Wesentlichen, wenn auch mit
gewichtigen Ausnahmen, genauso abgelaufen, wie Darwin es vorgeschlagen hat.
(345) So schön das Bild von der Doppelhelix als unendlich verschlungenem
Schlangenpaar ist, so fatal sind die Missverständnisse aus der Buchmetapher.
Die „Schrift“ aus den vier „Buchstaben“ A, T, C und G ist in Wahrheit nur eine
Vorstufe, die erst nach der Decodierung gelesen werden kann – wie die digitale
Spur auf einer Compact Disc. Erst das Programm des Dechiffriergeräts oder des
biochemischen Apparats der Zelle erweckt den Inhalt zum Leben. Die Daten sind
verschlüsselt wie in einer Morseschrift. Die eigentlichen „Wörter“ finden sich
erst auf der Ebene der Eiweiße, die ihre komplexen Funktionen dem Aufbau aus
wenig mehr als zwanzig unterschiedlichen Aminosäuren verdanken. Die Schrift hat
also nicht vier, sondern über zwanzig Buchstaben.
(349) ein grundlegendes Prinzip Darwin´scher Evolution: Sie hat kein Ziel.
Kultur kann sich jedoch Ziele
setzen und erreichen.
(349ff) lamarckistische Evolution (Vererbung erworbener Eigenschaften) … Das
kann sich bis hinunter auf die Ebene der Gene auswirken … Der gesamte Stoffwechsel
– und damit der biologische Kern unseres Seins – hängt davon ab, ob sie (die
Gene) „ein-„ oder „ausgeschaltet“ sind. …
epigenetische Muster können sich offenbar auf Kinder und über mehrere
Generationen auf deren Nachkommen übertragen
…
dass ein Organismus ohne jede genetische Veränderung oder Mutation sein Genom
auf eine Umwelt einstellen kann – was die Macht der Gene weiter beschneidet. …
besagt auch, dass der Lebensstil der Eltern weitaus mehr Einfluss auf das
Gedeihen ihrer Nachwuchses hat als bis vor Kurzem
angenommen
(379) Seit über zehntausend Jahren züchten Menschen
Tiere. Nichts hat unsere Vorfahren dazu bewegt, ihr Wissen auch auf die eigene
Spezies anzuwenden. Systematische Menschenzucht in nennenswertem Umfang kennt
die Geschichte nicht. Biologisch sind wir ein kulturell geformter Wildtyp.
(392) Mikroorganismen üben einen so starken Selektionsdruck aus (als Krankheitserreger, als Symbiosepartner
JK), dass sie entscheidend zur Evolution der Arten beitragen
(394) Vermutlich hat sich während der Evolution auch das gesamte Genom mehrfach
verdoppelt, mindestens dreimal seit Beginn der Wirbeltiere. Dadurch lassen sich
Sprünge im evolutionären Fortschritt noch besser verstehen …
Dank
eines von Zellen eingesetzten Verfahrens, „Splicing“ genannt, kann ihre
Maschinerie denselben Abschnitt (der
Erbsubstanz JK) auf sehr viele unterschiedliche Weisen „lesen“. Bei der
Fruchtfliege sind mehrere Tausend unterschiedliche Eiweiße entdeckt worden, die
alle von einem Gen abstammen. Beim Menschen werden bis zu sechzig Prozent aller
Gene diesem Typus zugeordnet. …
Das Konzept „Gen“ verliert mehr und mehr seine Bedeutung. Nach Ansicht der
amerikanischen Wissenschaftshistorikerin Evelyn Fox Keller spielen Gene heute
in der Biologie eine ähnliche Rolle wie das ptolemäische Weltbild in der
Astronomie vor Kopernikus
(396) „Mastergene“, die das gesamte Geschehen auf einer nächsten
(übergeordneten) Ebene kontrollieren. Sie hören auf Namen wie „hox“ oder „pax“,
aktivieren als „Kerne“ ganze Regelkreise, haben sich in Hunderten Millionen
Jahren während der Evolution fast unverändert erhalten und werden mitunter auch
als Teil eines gemeinsamen „genetischen Werkzeugkastens“ des Tierreichs
betrachtet. Acht von ihnen finden sich in nahezu allen untersuchten
Mehrzellern.
Ob die Flügel einer Fliege oder die Arme eines Menschen, ihr Aufbau wird eingeleitet
durch die Aktivierung eines solchen Mastergens. Um neue komplexe Formen
hervorzubringen, braucht es statt Mutationen oft nur die Modifizierung vorhandener
Gene und Entwicklungspläne … so lassen sich einmal mehr auch jene Sprünge in
der Evolution erklären, mit denen Kreationisten ihre Kritik an Darwin
untermauern. Fische etwa besitzen bereits die genetischen Anlagen für
Gliedmaßen, die beim Übergang auf das Land „nur“ aktiviert werden müssen.
(464) Das kulturell erzeugte Problem der Überbevölkerung lässt sich nur
kulturell lösen.
(465) Darwins große Leistung war es, uns unsere (biologische) Herkunft zu
erklären. Für unsere (kulturelle) „Zukunft von riesiger Dauer“, die er seiner
Spezies vorhersagt, hat sein Gedankenmodell wenig oder keine Bedeutung. Wo er
noch durch „natürliche Zuchtwahl … alle körperlichen und geistigen Gaben immer
mehr nach Vervollkommnung streben“ sieht, also die Macht der Gene im Kampf ums
Dasein favorisiert, ist längst die Umwelt der wichtigste Faktor zur
Verbesserung der Conditio humana geworden. Je weiter wir unserer Biologie durch
Kultur entrinnen, desto besser sind die Aussichten für die Menschheit.
(Jürgen Neffe: Darwin – das Abenteuer des Lebens,
Goldmann München 2010)
·
Tiefseevulkan;
5000 m tief;
das über 400 Grad Celsius heiße, mineralienreiche Wasser, das aus den
Tiefseevulkanen sprudelt, ernährt eine Fülle einzigartiger Meeresorganismen
(Spiegel 14-2010 S.106)
·
Der
sanfte Mensch von Aramis;
Skelettteile der Hominidendame „Ardi“ in Äthiopien geborgen;
die wohl bedeutendste paläoanthropologische Entdeckung seit gut drei
Jahrzehnten (Zeitschrift Science widmet der Entdeckung ein Sonderheft);
4,4 Mill Jahre alt; (Skelett von „Lucy“, 3,2 Mill Jahre alt, war 1974 nur
wenige Kilometer entfernt gefunden worden);
Erkenntnisse:
aufrechter Gang bereits vorhanden, als der Vormensch noch im Wald lebte;
friedfertiges Wesen (keine Eckzähne, die sich als Waffen eignen; Wandel: weg
vom Kampf, hin zu sozialen Formen der Kooperation
(Spiegel 41-2010 S.166ff)
·
Christoph
Markschies, Prof. für Kirchengeschichte und Präsident der Humboldt-Universität
Berlin):
Evolutionstheorie:
Es handelt sich um eine faszinierende Theorie zur Beschreibung der Evolution
von Organismen. Verwendet man sie in anderen Bereichen als in der Biologie,
beispielsweise in der Geschichtswissenschaft, droht Äquivokation
(Mehrdeutigkeit – dann meint „Evolution“ einfach „Entwicklung“ und
„Entwicklung“ gibt es natürlich immer irgendwo) und unpräzise
Begriffsverwendung.;
Physiker, die die ersten Momente dieser Welt modellieren, wie
Evolutionsbiologen und übrigens auch Historiker, rekonstruieren mit Hilfe von
Theorien Kausalketten, die angeben, warum etwas, was ich vorfinde, so ist, wie
ich es vorfinde. Der Glaube an Gott, den Schöpfer, rekonstruiert nicht
irgendein Element dieser Kausalkette (und zwar das erste), sondern den, der die
Fülle dieser Kausalketten ins Dasein rief und im Dasein hält. Das ist eine
Theorie auf einer ganz anderen Ebene als die Evolutionstheorie, eine Theorie
über den Grund der Möglichkeit von etwas und nicht über irgendeinen Grund. Weil
ich davon überzeugt bin, dass Gott der Grund der Möglichkeit von überhaupt
allem ist …
(Der Sonntag, Sachsen, 22.2.2010 S.3)
·
Meeresschnecke
Elysia chlorotica produziert Blattgrün und betreibt Photosynthese;
nimmt Chloroplasten aus Algen auf; die Schnecke baut bestimmte Gene der Algen
in ihr eigenes Erbgut ein und ermöglicht so das Überleben der Chloroplasten im
Organismus der Schnecke; übernimmt sogar so viele Gene von den Algen, dass sie
gleich ihr eigenes Chlorophyll produzieren kann
(National Geografic, 7-2010 S.24)
·
Wie entsteht Leben?
Genau zu diesem Thema hatten wir gerade erst eine
internationale Tagung mit Biologen und Geologen. Wenn es da eine Antwort
gegeben hätte, würde ich sie ihnen geben.
Irgendwo
muss ja im Verlauf der chemischen Evolution über die Biochemie zur Biologie der
Funke des Lebens gezündet haben.
Sicher, aber da gibt es bisher keine Antwort.
Wurde
auch über irgendwelche „höheren Mächte“ geredet?
Wir sind Naturwissenschaftler, das ist ein anderes
Thema.
(Interview mit Heike Rauer, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Institut
für Planetenforschung Berlin-Adlershof; in: National Geographic, Heft 1/2010, S.53ff.)
·
(Seite
3)
(Erste Sätze im Heft:)
Vieles von dem, was Sie auf den nächsten 150 Seiten lesen, basiert auf
Spekulationen – wenn auch auf höchst begründeten.
Wenn wir schreiben, dass sich das Leben vor mehr als 3,5 Milliarden Jahren
entwickelt hat, dann bedeutet das: Die Forscher haben in 3,5 Milliarden Jahre
altem Gestein Spuren früher Bakterien gefunden. Was den Schluss zulässt: Die
erste Zelle muss irgendwann in der Zeit davor entstanden sein. Doch wann genau,
das lässt sich nach derzeitigem Forschungsstand nicht präziser beantworten.
(34) Niemand weiß – und vielleicht wird niemand jemals wissen -, ob die Erde
eine Entsprechung hat in der Weite des Alls oder ob sie einzigartig ist in
einem ansonsten leblosen Kosmos.;
Die meisten Forscher vermuten, dass die ersten Kreaturen in winzigen Bläschen
im Gestein unterseeischer Schlote reiften.
(34) Das Wunder in der Finsternis
Auf der jungen Erde bahnt sich vor vier Milliarden Jahren ein Prozess an, der
den Planeten wie kein anderer verändern wird: Aus unbelebter Materie entsteht
Leben. Chemie verwandelt sich in Biologie. An Quellen auf dem Grund des Ozeans
vereinigen sich einfache Substanzen zu immer komplexeren Stoffen.* …
* So zumindest lautet die unter Forschern am weitesten verbreitete Theorie.
(42) Das größte Wunder des Lebens ist: seine Entstehung.
(46) Die Suche nach dem Ursprung – wo entstand einst das Leben? Forscher halten
neben der Tiefsee noch weitere Orte für denkbar
1. Die Tiefsee
2. Das All
3. Der Ozean (Ursuppe, Miller-Experiment)
4. Das Meer-Eis
5. Tonminerale
(GEO kompakt Nr. 23 (2010): Evolution)
·
in
Israel möglicherweise die bisher ältesten Hinweise auf die Existenz des homo
sapiens weltweit gefunden; 400.000 Jahre alt
(Freie Presse Chemnitz 28.12.2010 S.8)
·
britische
University of Cambridge:
Ribozyme gelten als ein Kandidat von Molekülen, aus denen sich Ur-Einzeller
entwickelten;
Wissenschaftler froren das ursprünglichste bekannte Ribozym, die
R-18-RNA-Polymerase, ein; durch die kalten Temperaturen wurde die Fähigkeit des
Ribozyms zur Vervielfältigung erheblich begünstigt, bei minus 7 Grad nahm die
Aktivität ztu und blieb dann wochenlang bestehen, erst bei minus 25 Grad hörte
sie auf, bei Zimmertemperatur stoppte die Aktivität meist schon nach zwei
Tagen;
Hinweis auf die Möglichkeit der Entwicklung von Leben in winzigen Hohlräumen in
Eis oder Felsen
(bild der wissenschaft 12-2010 S.13)
·
Jedes
Tier ist auf seine Art in seiner Umwelt auf seine Weise schlau – optimal
angepasst oder „ökologisch intelligent“, wie es wissenschaftlich korrekt heißt
(bild der wissenschaft 12-2010 S.32)
·
(Darwins
prickelnde Botschaft)
Festzuhalten ist, dass es im Reich des Lebendigen nicht darum geht, den von
Darwin so genannten „Krieg der Natur“ bestmöglich zu führen, sondern ihm dank
bestmöglicher Anpassung auszuweichen. … dass Tiere wie Pflanzen den Zwang
inner- und außerartlicher Konkurrenz zu mindern suchen. Nämlich, indem sie ihm
durch Nischentrennung ausweichen.
(Dresdner Neueste Nachrichten 28.9.2010 S.5)
·
Lasst
sie Menschen sein!
die Linien der Vorfahren heutiger Schimpansen und Menschen kreuzten sich noch
über Millionen Jahre hinweg ziemlich regelmäßig. Vielleicht waren die Gruppen
auch nie komplett getrennt. Einiges spricht dafür, dass sie sich bis heute
miteinander fortpflanzen könnten;
der genetische Unterschied ist also je nach Zählweise größer oder kleiner. Die
publizierten Werte schwanken entsprechend um den Faktor 10, nämlich zwischen
6,4 und 0,6 Prozent. Am häufigsten wird ein Wert um 1,5% genannt, in dem sich
Schimpansen und Menschen unterscheiden – während übrigens durchschnittlich 2
bis 4 % zwischen einem Menschenmann und einer Menschenfrau liegen!;
Was hat das alles mit der Frage zu tun, ob Schimpansen und Bonobos in HOMO
umbenannt werden sollten? Ganz einfach: Auch der letzte gemeinsame Vorfahr von
Zebras und Pferden lebte vor 4 bis 6 Millionen Jahren, das Erbgut dieser
Huftiere differiert um etwa 1,5% - und sie gehören zu derselben Gattung:
„Equus“. Ähnlich verhält es sich mit Tigern und Löwen, die zur Gattung
„Panthera“ zählen.;
kaum war ein Merkmal definiert, das die „Sonderstellung“ des Menschen begründen
sollte, so fand sich bereits ein Affe, der sich nicht darum scherte – ob es
sich um Werkzeugherstellung handelte, Zukunftsplanung, Zahlenverständnis, das
Sich-Erkennen im Spiegel, Selbstmedikation, sprachliches Kommunizieren,
politisches Agieren oder Empathie.
Somit liegt der Fall ganz klar: Schimpansen sollten in HOMO TROGLODYTES
umbenannt werden und Bonobos in HOMO PANISCUS. Diese Klassifikation ist
wissenschaftlich die einzig haltbare.
(bild der wissenschaft 10-2011 S.20ff.)
·
2
Milliarden Jahre altes Wasser in einer südafrikanischen Goldmine gefunden; 3000
Meter Tiefe; Altersbestimmung über Gehalt des Edelgases Neon; Flüssigkeit
enthielt Mikroorganismen, die ohne Licht und organische Nährstoffe auskommen
(bild der wissenschaft 5-2011 S.12)
·
die
von Hitler und Himmler wie ein Religionsersatz geförderte „Welteislehre“ …
Diese Ende des 19. Jahrhunderts von dem Wiener Ingenieur Hanns Hörbiger entwickelte
pseudowissenschaftliche Theorie besagt,dass außer der Erde alle Planeten von
einer kilometerdicken Eisschicht umgeben sind. Daraus leitete Himmler
Erklärungen für seine mystische Ideologie ab. Er galubte, für die Germanen gebe
es eine Ausnahme von Darwins Lehre: Sie stammten angeblich von Supermenschen ab
und nicht wie die anderen Rassen von Affen. Diese Supermenschen seien in einem
kosmischen Kampf zwischen Feuer und Eis in ferner Vergangenheit entstanden und „als lebendiger Keim im ewigen Eis des
Weltenraums konserviert“, wie Brigitte Nagel in ihrem Buch über die Rolle der
Welteislehre im Dritten Reich schreibt. Eines Tages sollen sie dann – wie im
nordischen Sagenmythos Edda – vom Himmel auf die Erde niedergestiegen sein.
Himmler hielt es auch für möglich, dass es sich bei den von ihm in Tibet
vermuteten „Ur-Ariern“ um Nachfahren einer prä-antiken Zivilisation handle, des
sagenhaften versunkenen Atlantis.;
Hitler plante in Linz Denkmäler für die drfei seiner Meinung nach größten
Naturwissenschaftler der Menschheitsgeschichte: Ptolemäus, Kopernikus – und
Hörbiger.
(PM Magazin 08-2011 S.80)
·
(S.28)
Biologen unterscheiden häufig zwischen der Tatsache
der Evolution (alle Lebewesen sind verwandt) und der Theorie über ihren Motor (damit meint man in der Regel die
natürliche Selektion im Gegensatz zu Konkurrenztheorien wie Lamarcks Theorie
des „Gebrauchs und Nichtgebrauchs“ oder der „Vererbung erworbener Merkmale“).
Darwin selbst hielt beides für Theorien, wenn auch ur in dem Sinn, dass es sich um vorläufige,
hypothetische Vermutungen handelt … Heute ist es nicht mehr möglich, die
Tatsache der Evolution anzuzweifeln … aber nach wie vor kann man (zu Recht)
daran zweifeln, dass die natürliche Selektion ihren wichtigsten Motor
darstellt.
(S.93) Wenn man bei einem Tier ein Merkmal beobachtet und überlegt, worin sein
darwinistischer Überlebensvorteil besteht, stellt man unter Umständen die
falsche Frage. Möglicherweise geht es gar nicht um das Merkmal, das man sich
herausgesucht hat. Es wurde vielleicht nur „mitgenommen“, in der Evolution
mitgeschleppt durch ein anderes Merkmal, mit dem es durch Pleiotropie (Wirkung eines Gens auf mehrere Merkmale JK)verknüpft
ist.
(S.115ff.) Fossilien entstehen … in Sedimentgestein, beispielsweise in Kalk-
uder Sandstein, der nicht durch Verfestigung von Lava entsteht. Sedimentgestein
bildet sich aus Schlamm-, Lehm- oder Sandschichten, die nach und nach am Boden
von Meeren, Seen oder Flussmündungen abgelagert werden. Der Sand oder Schlamm
wird im Laufe langer Zeiträume immer stärker zusammengepresst und verwandelt
sich in hartes Gestein. Tote Lebewesen, die in den Schlamm eingeschlossen sind,
können dergestalt zu Fossilien werden. Letztlich geschieht das nur bei sehr
wenigen toten Tieren und Pflanzen, aber Sedimentgestein ist der einzige
Gesteinstyp, der überhaupt nennenswerte Fossilien enthält …
(S.165) Kreationisten sind zutiefst verliebt in Fossilien … es gebe da nichts
als „Lücken“: „Zeigt mir doch die Zwischenformen!“ …
Wir brauchen die Fossilien nicht –
die Belege für die Evolution sind auch ohne sie wasserdicht; deshalb ist es
widersinnig, sich auf Lücken in den Fossilfunden zu berufen, als seine sie ein
Beweis gegen die Evolution. … Wir können uns glücklich schätzen, dass wir
überhaupt Fossilien haben.
Ein echter, sehr stichhaltiger Gegenbeweis gegen die Evolution wäre die
Entdeckung auch nur eines einzigen Fossils in der falschen geologischen Schicht
… Auf die Frage, welche Beobachtung die Evolutionstheorie widerlegen würde, gab
der Wissenschaftler J.B.S. Haldane die berühmte Antwort: „Kaninchenfossilien im
Präkambrium!“
Aber niemals wurde auch nur ein einziges Fossil gefunden, bevor es hätte entstehen können. …
(S.170f.) Warum gibt es … vor dem Kambrium so wenige Fossilien? … Die meisten
Tiere hatten damals vermutlich wie die heutigen Plattwürmer einen weichen
Körper, und sie waren ebenso klein wie die heutigen Strudelwürmer – kein gutes
Material für die Fossilbildung. Vor einer halben Milliarde Jahren geschah dann
etwas, das den Tieren die Möglichkeit verschaffte, bessere Fossilien zu bilden
– unter anderem entwickelten sich harte, mineralstoffhaltige Skelette.
(S.238f.) Selbst wenn sich letztlich herausstellen sollte, dass eine göttliche
Intelligenz für die Gestaltung so komplexen Lebens verantwortlich ist, so ist
jedenfalls eines klar: Er formt die
Lebewesen nicht so ähnlich, wie beispielsweise Keramikkünstler ihre Produkte
formen, oder auch Zimmerleute, Töpfer, Schneider oder Autohersteller. Wir mögen
„wundervoll entwickelt“ sein, aber wir sind nicht „wundervoll gemacht“. Wenn Kinder „He made their
glowing colours / He made their tiny wings” singen, machen sie damit
offenkundig eine kindisch-falsche Aussage. Was Gott auch tun mag, er macht sicher weder leuchtende Farben
noch winzige Flügel. Wenn er überhaupt etwas tut, dann überwacht er die
Embryonalentwicklung der Lebewesen und fügt beispielsweise Gensequenzen
zusammen, die einen automatischen Entwicklungsprozess steuern. Flügel werden
nicht gemacht, sondern sie wachsen – nach und nach – innerhalb des Eies aus
Extremitätenknospen … Wenn er etwas gemacht hat … dann war es ein
embryologisches Rezept, eine Art Computerprogramm zur Steuerung der
Embryonalentwicklung …
(S.287ff.) Die beiden Unterpopulationen (einer Art) wurden aus irgendeinem
Grund voneinander getrennt, wahrscheinlich durch eine geologische Barriere,
beispielsweise durch einen Meeresarm, der zwei Inseln oder eine Insel und das
Festland trennte. Es könnte sich auch um einen Gebirgszug zwischen zwei Tälern
gehandelt haben, oder um einen Fluss zwischen zwei Wäldern: im zwei „Inseln“ …
Entscheidend ist nur, dass die Populationen lange genug voneinander getrennt
waren, so dass sie sich später, als sie vielleicht durch Zufall wieder
aufeinandertrafen, weit genug auseinanderentwickelt hatten, um sich
untereinander nicht mehr kreuzen zu können …
Die meisten oder vielleicht sogar alle der vielen Millionen Trennungen
evolutionärer Abstammungslinien, durch die sich unser Planet mit einer so
ungeheuren biologischen Vielfalt füllte, begannen mit der zufälligen Trennung
zweier Unterpopulationen einer Spezies, die sich oft – allerdings nicht immer –
beiderseits einer geographischen Barriere befanden, beispielsweise eines
Meeres, eines Flusses, eines Gebirges oder einer Wüstensenke. Eine solche
Aufteilung einer biologischen Art in zwei Tochterarten bezeichnet man in der
Biologie als Artbildung … Die meisten Biologen würden erklären, biologische
Isolation sei das normal Vorspiel der Artbildung …
(Richard Dawkins: Die Schöpfungslüge – Warum Darwin recht hat, Ullstein Berlin,
2010)
·
(62)
„Glauben Sie an die Evolutionstheorie?“, werde ich besonders in den USA von
fundamentalistischen Bibelgläubigen gefragt …
Da antworte ich: „An die Evolutionstheorie glaube ich nicht, denn sie ist für
mich wissenschaftlich erwiesen“.
(71) Neuere Genforschung belegt …, dass neue Arten und Organismen nicht nur
durch Selektion, sondern zugleich durch Kooperation, Kreativität und
Kommunikation entstehen und sich nur so die Evolution immer weiter
ausdifferenzieren konnte.
(190) Gott ist nicht die Evolution, wie Pierre Teilhard de Chardin
missverständlich formuliert hat, sondern Gott ist in der Evolution.
(194f.) Wie auch immer der Übergang vom Unbelebten zum Leben im Einzelnen genau
erklärt wird, er beruht auf biochemischen Gesetzmäßigkeiten und somit auf der
Selbstorganisation der Materie, der Moleküle. Wie sich aus der Urmaterie durch
elektrische Entladungen immer komplexere Moleküle und Systeme gebildet haben,
so aus Nukleinsäuren und Proteinen das auf Kohlenstoff basierende Leben. Ich
habe begriffen: Schon auf der Ebene der Moleküle regiert also das von Darwin
zunächst in der Pflanzen- und Tierwelt festgestellte Prinzip der „natürlichen
Auswahl“ und des „Überlebens der Bestangepassten“. Diese Tendenz zur „Fitness“
treibt die Entwicklung auf Kosten der weniger gut angepassten Moleküle nach
„oben“. So kommt es zur Entwicklung von einzelligen, dann mehrzelligen
Lebewesen und schließlich von höheren Pflanzen und Tieren. …
In den Einzelprozessen ist das Geschehen ähnlich wie in der Quantenmechanik von
der Zufälligkeit bestimmt, verläuft aber zugleich von Anfang an nach steuernden
Naturgesetzen. …
Der Evolutionsprozess als solcher offenbart keinen Sinn. Den Sinn muss der
Mensch ihm selber geben. Auch für den Biologen herrscht somit kein
intellektueller Zwang, sondern die Freiheit der Wahl. Doch wird er kaum an Gott
glauben, wenn er Gott in der Evolution missversteht als eine übergeschichtliche
Person, die kraft ihrer Schöpfermacht den geschichtlichen Menschen und die
Völker auch gegen die Gesetze der Natur und die Ordnungen der Welt von Zeit zu
Zeit mit Wundern überfällt und überwältigt.
(Hans Küng: Was ich glaube, Piper, München, 2009)
·
„Der
Ursprung“
Die Ursuppe hat ausgedient: Immer mehr Biologen sind überzeugt, dass das Leben
in heißen Quellen am Boden des Ur-Ozeans entstand.;
Das Rezept für die Schöpfung ist ganz einfach. „Man braucht Wasser,
Silikatgestein und einen hydrothermalen Kreislauf“, sagt Mike Russell. Auf
einem Planeten mit diesen Zutaten sei die Entstehung des Lebens fast
unvermeidlich, ist der Geologe vom Jet Propulsion Laboratory der NASA in
Kalifornien überzeugt. Russell geht sogar noch weiter: Seiner Meinung nach sind
selbst die Moleküle des Lebens bis hin zur Erbsubstanz DNA vorbestimmt. Denn
auf allen solchen Planeten treten die gleichen chemischen Triebkräfte auf.;
Zum Zeitpunkt der Schöpfung, vor etwa vier Milliarden Jahren, war die Erde ein
unwirtlicher Ort. Unter einer dunstigen, smogvernebelten Atmosphäre lag ein
zehn Kilometer tiefer Ozean. Nur wenige Vulkaninseln ragten aus den Fluten.
Gewaltige Gezeitenwellen wühlten das Meer auf, weil der Mond gefährlich nah um
den jungen Planeten kreiste. Hartes UV-Licht und kosmische Strahlung
bombardierten die Oberfläche. Meteoriteneinschläge waren an der Tagesordnung.
Die Wiege des Lebens stand nach Meinung der Forscher um Mike Russell und den
Biologen William Martin von der Universität Düsseldorf sicher und geborgen auf
dem Meeresgrund. Eine Ahnung davon, wie sie ausgesehen haben könnte, bekommt
man auf dem Gipfel des Unterwasserbergs Atlantis, auf halbem Weg zwischen
Nordafrika und Florida. Weiße Kalksteintürme ragen dort ins Wasser empor, wie
Stalagmiten auf dem Boden einer Tropfsteinhöhle. Aus ihren Wänden strömt
warmes, sanft schimmerndes Wasser.
„Lost City“ – verlorene Stadt – haben amerikanische Forscher diese heiße Quelle
getauft, als sie im Dezember 2000 zufällig darauf stießen. Anders als die
berühmten Schwarzen Raucher wird Lost City nicht durch vulkanische Hitze
angetrieben, sondern durch eine chemische Reaktion im Meeresgrund. Meerwasser
sickert durch Spalten und Risse ins Atlantis-Massiv und verwandelt dort das
Mineral Olivin in grün-graues Serpentingestein. Bei dieser Reaktion, die vor
vier Milliarden Jahren wahrscheinlich viel weiter verbreitet war als heute,
entsteht eine hochreaktive chemische Lösung: 40 bis 90 Grad Celsius warm, so
alkalisch wie eine Waschmittellauge und reich an Wasserstoff.;
Diesen Schritt haben die Forscher noch nicht in Experimenten nachvollzogen.
„Uns ist klar, dass wir ein Experiment wie den berühmten Versuch von Stanley
Miller brauchen, damit sich die Leute von der Ursuppe verabschieden“, sagt Mike
Russell. „Wir müssen zeigen, dass in einem hydrothermalen Reaktor Peptide
entstehen, einfache Aminosäureketten, die die Umwandlung von Kohlendioxid
beschleunigen.“ Der Forscher ist zuversichtlich, dass dies demnächst gelingen
wird.;
DIE KAMMERN DER CHEMISCHEN EVOLUTION
So stellen sich Forscher um Mike Russell und William Martin den Prozess vor,
der vor 4 bis 3,5 Milliarden Jahren auf der jungen Erde zur Entstehung lebender
Zellen geführt hat. Ort des Geschehens: die porösen Wände in den Schloten
hydrothermaler Quellen am Meeresgrund. Die Poren sind miteinander verbunden und
teils durchlässig. In ihnen trifft aufströmendes, alkalisches Thermalwasser auf
das leicht saure Meerwasser.
1. Einfache anorganische Moleküle wie Ammoniak, Wasserstoff, Kohlendioxid und
Schwefelwasserstoff reagieren mit katalytisch wirkenden Mineralien in den
Kammerwänden.
2. Es bilden sich die primären Bausteine allen Lebens – Zucker, Aminosäuren und
Nukleobasen.
3. Die Primärbausteine lagern sich zu größeren Moleküleinheiten oder Ketten
zusammen, Nukleotiden und Peptiden.
4. Die Nukleotide verbinden sich zu langen Ketten von Ribonukleinsäure (RNA),
die Peptide zu großen Eiweißen (Proteinen). Es entstehen sich selbst
vermehrende Komplexe.
5. Aus RNA bildet sich die Desoxyribonukleinsäure (DNA), die die Information
für Baupläne der Proteine speichert und deren Vervielfältigung zu katalysieren
beginnt.
6. Fettähnliche Lipide entstehen. Sie bilden kugelige Membranen aus, in denen
DNA und Proteine Vermehrungsgemeinschaften formen. Hier teilt sich die
Entwicklung in zwei separate Stränge: echte Bakterien (links) und Archaeen
(rechts).
7. Beide Varianten bilden Zellwände.
8. Die Ur-Zellen sind komplett ...
9. ... und verlassen vor spätestens 3,5 Milliarden Jahren ihre Kinderstuben
DIE ALTERNATIVEN
Ursuppe: Die Experimente von Harold Urey und Stanley Miller 1953 machten die
Theorie populär. Die Forscher erzeugten in einer Ur-Atmosphäre durch elektrische
Entladungen Aminosäuren und einfache Proteine. Bis heute basieren viele
Experimente zur Entstehung des Lebens auf dem Konzept dieser Ursuppe. Die
Energiequelle der ersten Mikroben wären demnach die Substanzen der Suppe
gewesen. Das größte Problem dabei: Die Ursuppe ist chemisch im Gleichgewicht.
„Da reagiert nichts mehr“, sagt der Biologe William Martin. Auch die
Molekularbiologie spricht gegen die Ursuppe: Die ersten Mikroben ernährten sich
wohl nicht von organischen Substanzen, sondern nutzten chemische
Energiequellen.
Panspermie – Biogenese im Weltall: Manche Forscher argumentieren, die Erde sei
zu jung, um etwas so Komplexes wie das Leben hervorzubringen. Es sei daher
anderswo im Weltall entstanden und mit Kometen oder Asteroiden zur Erde
gekommen. Martins Urteil: „Das kann durchaus sein, ändert aber nichts an dem
Grundproblem.“ Die Frage nach der Schöpfung wird nur an einen anderen Ort
verlagert. Tatsächlich enthalten viele Meteoriten komplexe organische Moleküle,
sogar Bausteine der Erbsubstanz DNA. Kamen wenigstens die Substanzen des Lebens
aus dem All? Martin bezweifelt es: „Im Meer hätten sich diese Stoffe stark
verdünnt. Dann hat man wieder eine Ursuppe.“
Oberflächenmetabolismus: An der Oberfläche von Tonmineralen laufen chemische
Reaktionen beschleunigt ab. Wurden an solchen Mineralen die ersten Biomoleküle
zusammengesetzt? Wohl eher nicht. Lebewesen benutzen keine
Silikat-Katalysatoren. Auch die Konzentration der Biomoleküle ist ein Problem.
Schöpfung im Eis: Wenn Meerwasser gefriert, bilden sich flüssigkeitsgefüllte
Bläschen. Darin sammeln sich Verunreinigungen. Je höher die Konzentration an
Biomolekülen ist, desto besser sind die Voraussetzungen für biochemi- sche
Reaktionen. Trotzdem hat William Martin Zweifel, dass das Leben einst im Eis
entstand: „Hier fehlt der chemische Antrieb.“ Zudem ist unklar, ob es auf der
jungen Erde überhaupt Eis gab.
Kleiner warmer Tümpel: Auch hydrothermale Quellen an Land gelten neuerdings als
mögliche Brutstätten des Lebens. Das Hauptargument: In Pfützen aus kondensiertem
Thermalwasser gab es bestimmte Spurenelemente wahrscheinlich genau in derselben
Konzentration wie heute in lebenden Zellen. Zudem lieferten die heißen Schlote
ein organisches Gebräu mit Grundstoffen für die Biosynthese. Ähnlich wie bei
der Ursuppe bleibt aber unklar, warum sich die Substanzen in den Tümpeln zu
komplexen Polymeren verbinden sollten.
(bild der wissenschaft 4-2012 S.32ff)
·
Kanada,
Alberta: erstmals gefiederte Dinosaurier auf dem amerikanischen Kontionent
entdeckt (75 Millionen Jahre alt); Feder-Daunen etwa 5 cm lang und einen halben
mm dick; bedecken Nacken, Rücken, Beine und Bauch der Tiere; Hinweise darauf,
dass der zusätzliche Federschmuck weder als Laufhilfe noch zum Fliegen diente,
sondern als sekundäres Geschlechtsmerkmal, als Schmuck
(Freie Presse Cehmnitz 26.10.2012 S.8
·
9
von 10 US-Amerikanern haben einer Studie zufolge Zweifel an der
wissenschaftlichen Evolutionstheorie. Nur rund 9,5% von über 10.000 Befragten
seien davon überzeugt, dass Gott oder eine andere höhere Macht absolut keinen
Einfluss auf die Entstehung des Universums und des mmenschlichen Lebens hätten
(Freie Presse Chemnitz 18.2.14 S.8)
·
Lokis
Burg liegt auf dem Grund des Atlantiks vor Skandinavien. Aus ihren bizarren
Türmen sprudelt bis zu 300 Grad Celsius heißes Wasser, das mit Eisen und
Schwefel versetzt ist. Ganz so, als käme es direkt aus der Hölle.
Es ist das größte Mysterium der Biologie, wie sich einst an Orten wie diesem tote Materie in Leben verwandelte, in einfachste
Zellen – und wie aus diesen komplexe Organismen entstanden. …
Eine Antwort auf diese Fragen haben Forscher nun aus der Schwärze um Lokis Burg
geborgen: Sie entdeckten spektakuläre Spuren eines winzigen Wesens – des
Vorreiters des komplexen Lebens. Es gehört zwar zu den Archaea, hat aber
bereits Eigenschaften echter Zellen entwickelt. Das bedeutet nicht weniger, als
dass Eukaryoten – und damit wir Menschen – Nachfahren der Archaea sind. Die
Erkenntnis ist ein Durchbruch in der Frage nach unseren Ursprüngen….
Eine weitere entscheidende Neuerung war die Fähigkeit, Stoffe außen, auf der
Zellhaut, anzuheften. Diese kann sich umstülpen und so die Stoffe nach innen
transportieren. Womöglich sind Lokiarchaeota die bislang einzigen bekannten
Archaea, die dazu in der Lage sind.
Auf diesem Wege gelangte auch ein ganzes urtümliches Bakterium in die
entstehenden Eukaryoten. Es musste seine Selbstständigkeit aufgeben und wird
seither als Sklave gehalten. Auch wir tragen es bis heute in unseren Zellen
herum, könnten ohne es nicht überleben. Dieses Bakterium wandelte sich nämlich
zu den Kraftwerken der Zellen, den Mitochondrien. Seine Vergangenheit erkennt
man noch immer: Das Mitochondrium besitzt Reste des Bakterienerbguts und teilt
sich selbstständig im Zellinneren….
Wer weiter in die Geschichte unseres Planeten zurückgeht, findet sich an einem
ungemütlichen Ort wieder. Auf der Urerde war die Sonne kaum zu sehen, weil
Wolken aus giftigen Gasen, Ruß und Staub den Himmel verdunkelten. Vulkane spien
Magma, Lava und Asche aus der Unterwelt an die Oberfläche. Irgendwo in dieser
grauenhaften Welt entstand das Leben, dreieinhalb Milliarden Jahre oder noch
länger ist das her.
(Die Zeit 13.5.15 S.31 - http://www.zeit.de/2015/20/archaea-mikrobiologie-ursprung-des-lebens/komplettansicht )
·
Die
Eva in uns allen
Tief in unseren Körperzellen steckt die Spur einer einzigen Urmutter aus
archaischer Zeit. …
Mitte der achtziger Jahre verglichen also Rebecca Cann, Mark Stoneking und Allan
Wilson 147 weltweit eingesammelte Plazentaproben miteinander. Ihre Studie
Mitochondrial DNA and Human Evolution erschien 1987 und schlug in der
Anthropologie ein wie eine Bombe. Das Ergebnis: Sämtliche heute lebenden
Menschen haben ihre Mitochondrien von einer einzigen weiblichen Vorfahrin
geerbt. Wir haben sie alle von derselben Mutter.
Und weil die mtDNA langsam mutiert, kann man aus der Zahl der Unterschiede
zwischen verschiedenen Personen herausrechnen, wie weit ihr gemeinsamer
Ursprung zurückliegt. Cann, Stoneking und Wilson konnten regelrecht auszählen,
wann die gemeinsame Mito-Mutti ihrer 147 globalen Probanden gelebt haben
musste. Und da kam es zur zweiten Sensation aus der DNA: Die Urmutter Eva war
praktisch eine von uns. Die Biologen verorteten sie am Beginn einer Erbfolge,
die nur 200.000 Jahre umfasst, neuere Studien verkürzen die Zeit sogar auf
150.000 Jahre. Damit kann es sich bei Eva praktisch nicht um das Weibchen einer
Vor- oder Frühmenschen-Art handeln. Sondern um eine anatomisch moderne Menschenfrau.
…
Um zu überschlagen, wie viele Generationen zwischen ihr und uns liegen, müssen
wir spekulieren: Wie viele Jahre umfasst eine Generation im Durchschnitt der
Menschheitsgeschichte? 30 Jahre, wie man heute rechnen würde? Oder eher 20?
Oder noch weniger, da Mädchen die Geschlechtsreife doch im Teenageralter
erreichen? Selbst wenn wir – vorsichtig gerechnet – von durchschnittlich
25-jährigen Müttern ausgehen, sind schon 6.000 Generationen nötig, um 150.000
Jahre zu durchmessen. Es zieht sich also eine mindestens sechstausend Frauen
lange Kette von der mitochondrialen Eva zu jeder Mama, die heute …
(Die Zeit 7.5.15 S.39 - http://www.zeit.de/2015/19/mutter-gene-urmutter-eva/komplettansicht
)
·
Zufällig
schlau
Erst das große Gehirn macht uns zum Menschen. Wie es kam, dass das Denkorgan zu
wachsen begann? Darauf gibt es eine neue Antwort. …
Lange bevor diese affenartigen Wesen als Zeitgenossen der berühmten Lucy
auftraten, kam es in ihren Erbanlagen zu einer entscheidenden Panne. Bei der
Teilung von Zellen verdoppeln sich gelegentlich Genabschnitte, was meist keine
gravierenden Konsequenzen hat. Diesmal aber hatte sich im Chromosom Nummer 15
nicht nur ein Abschnitt der Erbinformation vervielfältigt, sondern war auch
noch verändert worden. So entstand eine neue Variante eines Gens, und zwar in
enger Nachbarschaft zum Original. Lange Zeit scheint die Kopierpanne folgenlos
geblieben zu sein. Erst später, vermuten die Wissenschaftler, vor etwa drei
Millionen Jahren, erwachte der Schläfer durch weitere Mutationen zum Leben und
leitete bei Vertretern der Gattung Homo das erste messbare Wachstum der
Hirnrinde ein….
Anscheinend sind solche zufällig entstandenen verdoppelten Erbinformationen in
der Evolution immer wieder ein wirksamer Treiber für Innovationen gewesen. Weil
es noch ein Original gibt, kann die Kopie so lange ohne Folgeschäden im
Organismus mutieren, bis ein Code entsteht, der plötzlich eine neue organische
Funktion steuert. …
Doch warum wurde es zum Erfolgsmodell? Ein großes Hirn ist ein immens
kostspieliger Luxus. Ein werdender Mensch im Mutterleib muss in jeder Minute
mindestens 250.000 neue Nervenzellen bilden, in jeder Sekunde 10.000 neue
Verbindungen zwischen ihnen aufbauen. Mehr noch als bei technischen
Großrechnern ist der Energiehunger des Gehirns enorm –
über zehnmal größer als der von anderen Körpergeweben. Bei einem fünfjährigen
Kind hat das Organ in etwa die endgültige Größe erreicht – und verbraucht zwei
Drittel der zugeführten Kalorien. Auch bei Erwachsenen ist der größte Konsument
das Denkorgan: Es stellt keine zwei Prozent der Körpermasse, beansprucht aber
bis zu einem Viertel des Grundumsatzes an Nährstoffen.
"Ein großes Hirn ist ein Vorteil, aber es ist auch unheimlich teuer",
sagt Philipp Gunz, "das muss man sich erst mal leisten können." Den
riesigen Kortex, meint der Fachmann für Hirnevolution am MPI für evolutionäre
Anthropologie in Leipzig, konnten die Vertreter der Gattung Homo nur mit der
Umstellung auf Fleischnahrung befriedigen. "Wachstum beobachten wir erst
mit den ersten Hominiden, also Homo habilis", sagt Gunz. Allerdings sei
zugleich auch deren Körper deutlich gewachsen. Den großen Spurt hat das Gehirn
wohl erst in den vergangenen 600.000 Jahren hingelegt: Ab dem Homo
heidelbergensis habe eine "echte Vergrößerung um ein ganzes Drittel
eingesetzt". Zunächst hat das Luxus-Organ wohl nur das nackte Überleben
gesichert. Menschen sind ziemlich wehrlose Tiere. Sie haben keine Reißzähne, Hörner
oder Klauen. Als Sprinter bei einem Angriff oder der Flucht ist ihre Bilanz
erbärmlich. Was sie aber haben, ist ihr Gehirn – ein effektives
Überlebensinstrument und eine furchterregende Waffe.
Die Entstehungsgeschichte des Gehirns ist noch lange nicht fertig geschrieben.
Klar ist inzwischen aber: Die Entwicklung des herausragenden
Überlebensinstruments folgte keinem großen Plan. Die Evolution trieb bloß ihr
immerwährendes Spiel im Erbgut unserer Vorfahren, und am Ende stand das Organ
des Geistes bereit.
(Die Zeit 26.3.15 S.33 - http://www.zeit.de/2015/13/evolution-gehirn-wachstum-zufall/komplettansicht
)
·
Bislang
wurden rund 180 verschiedene Moleküle im interstellaren Medium und in
Sternhüllen nachgewiesen.
(Bild der Wissenschaft 4-2014 S.53)
·
Roboter
Philae landete auf Komet Tschuri; Nachweis von 16 organischen Molekülen
(Freie Presse Chemnitz 31.7.15 S.8)
·
Biologie
- „Das Leben entstand nur einmal“
Pflanzen und Tiere, Mikroben und Menschen - sie alle gehen zurück auf einen
einzigen gemeinsamen Vorfahren
William Martin, 59, Genetiker an der Universität Düsseldorf, über „Luca“, die
Urmutter allen Lebens
SPIEGEL: Was für ein Geschöpf war Luca? Martin: Ein Einzeller. Er lebte vor
rund vier Milliarden Jahren, sodass man den Organismus selbst nicht mehr
untersuchen kann. Wir haben mithilfe öffentlicher Gendatenbanken das Erbgut von
2000 sehr einfachen, ursprünglichen Zellen ohne Zellkern untersucht. So konnten
wir 355 Gene identifizieren, die all diesen Zellen gemein waren.
SPIEGEL: Kommen diese 355 Urgene auch im modernen Menschen vor? Martin: Wir
teilen nur ganz wenige Gene mit Luca … Martin: ... die Lebensbedingungen an den
Hydrothermalquellen sind ideal für Mikroben! Diese Tiefseehabitate liefern alle
chemischen Zutaten und dazu einen zuverlässigen Energiestrom. Auch findet sich
in Lucas Genen keinerlei Hinweis auf eine Lebensweise im Tümpel: keine Spur von
Fotosynthese, keine Spur einer Ernährung, die auf dem Abbau von Eiweiß oder
Kohlenhydraten basiert. SPIEGEL: Wie hat sich Luca dann ernährt? Martin: Von
Gasen wie Kohlendioxid, Stickstoff und Wasserstoff. Daraus baute der Einzeller
alles auf, was er zum Leben brauchte. SPIEGEL: Könnte es sein, dass es
parallele Evolutionen gab: eine oben im Teich, eine unten am Meeresgrund?
Martin: Nein, das Leben, von Luca bis zu uns, entstand nur einmal - sonst
müssten wir entsprechend unterschiedliche genetische Codes finden. Das tun wir
aber nicht. Und so haben wir endlich Gewissheit: Alles Leben hat seinen
Ursprung am Meeresgrund.
(Der Spiegel 32/2016 S.104)
·
Luca,
Alter! Unser aller Vorfahr ist gefunden: Ein bakterielles Blob
Natürlich wussten wir schon lange, dass es Dich gegeben haben muss: den
winzigen, bakterienähnlichen Blob, mit dem alles begann. Getauft haben wir Dich
auch schon, auf den Namen Luca: last universal common ancestor, also letzter
universaler gemeinsamer Vorfahr. Aber wie genau Du gelebt hast – darüber
konnten wir nur spekulieren. Jetzt haben Wissenschaftler von der
Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf eine Menge über Dich herausgefunden,
Dein Steckbrief steht im Fachmagazin Nature Microbiology.
Die Forscher hatten sich über 11.000 Genfamilien von heutigen Lebewesen
angeschaut und nachgerechnet, wie viele davon auch in Dir vorgekommen sein
müssen. Sie haben 355 identifiziert – und die erzählen eine Menge über Dich: Du
mochtest es heiß, und zwar so richtig. Das war Dein Vorteil gegenüber allen
anderen Lebensformen, die es damals gab. Als vor vier Milliarden Jahren
Asteroiden und Kometen auf die Erde prasselten, erhitzte sich unser Planet so
stark, dass alles starb. Nur Du nicht, Luca, denn Du lebtest sowieso schon
ziemlich extrem: Dein Zuhause waren Schlote am Meeresgrund, aus denen heiße
Gase und Wasser austraten.
Die Wissenschaftler fanden auch ein Enzym, das uns verrät, dass Du aus
Eisenionen Energie gewinnen konntest. Du hast Dich von Metall und Wasserstoff
ernährt. Also, Luca, schon toll, dass mit Dir alles angefangen hat! Schade nur,
dass wir uns nicht mehr kennenlernen können. Obwohl – enge Verwandte von Dir
leben heute noch an unterseeischen Schloten. Und alles andere, was lebt, trägt
Teile Deines Erbguts. Eigentlich ist das eine schöne Botschaft: dass wir alle
ursprünglich aus derselben Suppe kommen.
(Die Zeit 28.7.2016 S.31 http://www.zeit.de/2016/32/evolution-mikrobiologie-gene
)
·
Evolution
Familie Mensch
Der Aufstieg des Homo sapiens begann in einem Schmelztiegel afrikanischer
Urvölker. Neue Befunde verraten erstmals Details über die Geburtsstunde unserer
Spezies …
Ausgerechnet, ein Dildo. Wer hätte das geahnt? Wohl zum Frühesten, was die
menschliche Erfindungsgabe schuf, gehört ein Sexspielzeug. Vor elf Jahren barg
man das Stück aus einer schwäbischen Höhle. Es besteht aus grauem, liebevoll
poliertem Stein, ist mit fein gravierten anatomischen Details versehen und
misst 19 Zentimeter. Ob das Utensil wirklich erotischen Bedürfnissen diente
oder doch eher rituelle Zwecke erfüllte, konnte nicht zweifelsfrei
rekonstruiert werden. Denkbar ist aber, dass es schon den ersten modernen
Frauen in Europa vor fast 30.000 Jahren einsame Nächte versüßte. Da war Homo
sapiens gerade erst auf unserem Kontinent angekommen.
Der Entdeckungsort des delikaten Stücks gilt als Schatzkammer der deutschen
Vorgeschichtsforscher: der "Hohle Fels". Viele wertvolle Funde
stammten aus dieser Höhle auf der Schwäbischen Alb. …
Man weiß heute, dass es Afrikaner waren, hoch gewachsene, dunkelhäutige
Gestalten mit braunen Augen und schwarzem Haar, die derartige Zeugnisse der
Kreativität im Hohlen Fels hinterließen. Wo immer die ersten Pioniere dieser
Spezies sich niederließen, erblühten auf dem europäischen Festland vor etwa
40.000 Jahren die Technik und die schönen Künste. Die Grotte Chauvet, im Süden
Frankreichs, gilt Experten als der "Louvre der Steinzeit". Mit
präzisem Sinn für Bewegungsabläufe und räumliche Perspektive schufen die
Künstler dort vor 39.000 Jahren eindrucksvolle Tierporträts. Die Maltechnik der
afrikanischen Migranten war perfekt, ihre Werke halten jedem Vergleich mit der
zeitgenössischen Kunst stand. …
das täuscht: Die Blüte des steinzeitlichen Abendlands mag eine kulturelle
Eruption gewesen sein, der eigentliche Urknall menschlicher Schöpferkraft war
sie nicht. Die Spezies – so viel gilt als gesichert – war nicht nur physisch
ein Geschöpf Afrikas, auch ihr überlegener Geist formte sich schon auf dem
Schwarzen Kontinent. …
Genanalysen in der heutigen Bevölkerung ergeben: Die Geburtsstunde des Homo
sapiens schlug vor mehr als 200.000 Jahren. Eindeutiger noch als Knochenfunde
verrät das Erbgut, auf welchem Kontinent wir die Bühne betraten: Die Menschheit
ist ein Zweig in der Evolution afrikanischer Affen. …
Die Gen-Experten in Seattle sind überzeugt davon, dass heute viele der geistig
Behinderten den Preis bezahlen, den die Evolution vor einer Viertelmillion
Jahren für die überlegenen Fähigkeiten unserer Spezies forderte: "There is
no free lunch", sagt Eichler – es gibt nichts umsonst.
Das Honorar der Natur besteht nämlich darin, dass ihr neu erfundenes Geschöpf
mit einem Erbgut auskommen muss, das in kritischen Bereichen instabil ist. Das
bedeutet: Pflanzen Menschen sich fort, besteht immer die Gefahr, dass ihre
Nachkommen im Entstehungsprozess Erbinformation verlieren und deshalb mit
Fehlentwicklungen zur Welt kommen. Drei von hundert Kindern werden mit einem
körperlichen oder geistigen Defekt geboren. Auch wenn nicht alle Behinderungen
genetisch bedingt sind, gilt das als hohe Quote. In der Evolution des Homo
sapiens hat die Natur aber genau jene prekären Stellen in den Erbmolekülen zu
den entscheidenden Schauplätzen der Menschwerdung gemacht. Gerade weil sie
anfällig sind für Mutationen, konnte die Evolution dort zusätzliche Gene
installieren, um den Homo sapiens zu konstruieren. Das brachte die Spezies
voran – alle heute lebenden Menschen tragen diese neuen Erbanlagen in sich. …
In welcher geografischen Region Afrikas sich jener Akt des komplizierten Dramas
abspielte, ist kaum zu ermitteln. Die genetische Bühne aber ist eine instabile
Region im Erbgut, angesiedelt auf dem Chromosom 16. Darin findet sich ein Gen
mit dem Namen BolA2. Zu dieser Erbanlage gab es bislang wenig zu sagen. Sie
dient als Code für ein wichtiges Eiweiß im Eisenstoffwechsel: Der Körper
benötigt den Stoff, um Eisen aus der Nahrung zu extrahieren und zu speichern. …
Schon die ersten Befunde zeigten, dass es mit dem BolA2-Gen Merkwürdiges auf
sich hat: In manchen Menschen fanden sich sechs Kopien des Gens, in anderen
zwölf. Beim nächsten waren es elf, dann wieder vier. Mitunter stießen die
Wissenschaftler bei einzelnen Probanden sogar auf 16 Kopien des Gens. Es war
unverkennbar – an dieser Stelle des Menschengenoms hatte die Evolution eine ihrer
Zufallswerkstätten betrieben. Man entschied sich, das Geschehen aufzurollen,
bis weit zurück in die Zeit vor unserer Entstehung. Volle drei Jahre mussten
die Forscher arbeiten.
Ihr Bericht wurde kürzlich im britischen Fachblatt Nature publiziert und ist
selbst für Experten eine anstrengende Lektüre. Doch das entscheidende Resultat
ist unmissverständlich: Die Verstärkung der BolA2-Gene geschah vor genau
282.000 Jahren und verbreitete sich rasant in den folgenden Generationen der
gerade entstehenden Menschheit. Eichlers Rückschau endet mit einer Punktlandung
exakt beim Beginn der Genesis des Homo sapiens.
Doch was hatte es für das Werden des Menschen zu bedeuten, wenn aus einer ganz
normalen Erbanlage plötzlich eine Genfamilie wird? Das Ereignis verwandelte ihn
in das gefährlichste Raubtier des Planeten. Der Homo sapiens wurde zum
unermüdlichen Jäger. Mit der Mutation im Chromosom 16 wurden die Menschen
geborene Marathonläufer. Sie liefen nicht so schnell wie die meisten Tiere,
dafür aber viel länger. Und sie gaben nie auf. So konnte der Homo sapiens eine
besondere Jagdstrategie anwenden: Er verfolgte die Beute bis zu deren totaler
Erschöpfung, die geschwächten Tiere waren dann ein leichtes Opfer.
Das Gehirn kann nicht hungern. Um solche Anstrengungen zu meistern, braucht der
menschliche Körper aber eine ergiebige Versorgung mit Eisen. Das Metall ist
nicht nur ein wichtiger Faktor in den Enzymen unseres Stoffwechsels, sondern
vor allem Bestandteil des roten Blutfarbstoffs, also unerlässlich für die
Versorgung des Körpers mit Sauerstoff. Die BolA2-Aufrüstung bewirkte in der
Menschwerdung eine Art Eigenblutdoping. Es machte den Homo sapiens zum
Langstreckenspezialisten und befähigte ihn zu ausdauernden Hetzjagden. Das Wild
hatte kaum eine Chance; die frühe Menschheit konnte sich nun mit reichlich
Fleisch und Fett eindecken.
Üppige Fleischkost war vonnöten: Der Homo sapiens erwies sich zwar als
Erfolgsmodell, hatte seinen Energieumsatz jedoch kräftig erhöht. Als Veganer
wäre er jämmerlich verhungert. Die Versorgung mit Kalorien wurde jetzt zum
kritischen Faktor, denn Homo sapiens wuchs. Männer mit einer Körpergröße von
1,80 Metern waren keine Ausnahme mehr. Gerade die Wachstumsphase in der
Kindheit verlangte nach kalorienreicher Nahrung.
Dramatisch angestiegen war der Energiebedarf des Gehirns. Es hatte das
dreifache Volumen des Hirns seiner affenähnlichen Vorfahren erreicht. Damit
geriet der frühe Mensch unter Zugzwang: Das Gehirn kann nicht hungern. Wird es
nicht ausreichend versorgt, stellt es den Betrieb ein. Sein Energiedurchsatz
aber ist zehnmal höher als der anderer Organe. Bei
Erwachsenen verbraucht es etwa ein Fünftel der Kalorienzufuhr, bei kleinen
Kindern sind es fast 80 Prozent. Vor allem das mächtige Denkorgan erzwang die
Jagd nach Fett und Fleisch. Erst die stabile Versorgung mit Eisen, bedingt
durch das Anwachsen der BolA2-Gene, hat wohl den letzten Wachstumssprung des
Menschenhirns auf die heutige Größe ermöglicht. …
Noch heute stammen knapp drei Prozent der Erbmoleküle aller Europäer von den
Neandertalern, bei den Südostasiaten kommen auch noch weitere vier Prozent aus
dem Denisova-Erbe hinzu. Bloß bei den Afrikanern haben die Genetiker keinerlei
Spuren dieser Vermischung entdeckt, ihre Vorfahren sind den Vettern in Europa
und Asien ja auch nie begegnet. …
Auch in Asien entwickelten sich die afrikanischen Frühmenschen weiter: Wir
wissen nicht, wie die Denisova-Menschen aussahen, und auch nicht, ob ihr Hirn
ein menschliches Volumen erreichte, wie das der Neandertaler. Bislang konnten
außer ein paar Zähnen und dem winzigen Bruchstück eines Fingerknochens keine
physischen Zeugnisse ihres Daseins geborgen werden. Wie sie lebten? Ein Rätsel.
Doch ihr Erbgut kennen wir minutiös. Ein Stück vom Zahn reichte, um alle Daten
der archaischen Menschen präzise auszulesen. Der Vergleich ergab: Sie sind eng
verwandt mit den Neandertalern – Geschwister wahrscheinlich, mindestens
Vettern. Und beide sind direkte Nachkommen des ausgewanderten afrikanischen
Frühmenschen, des Homo rhodesiensis. …
(Die Zeit 15.9.2016 S.35 http://www.zeit.de/2016/39/evolution-mensch-homo-sapiens-anthropologie/komplettansicht
)
·
Anthropologie
- Der Sündenfall
Als die Menschheit sesshaft wurde, handelte sie sich gewaltige Schwierigkeiten
ein – und brachte die kulturelle Evolution auf Hochtouren. Die beste Quelle
dafür ist ein Buch, das jeder kennt: Die Bibel.
Der größte Fehler in der langen Geschichte der Menschheit? Für den
Evolutionsbiologen und Pulitzer-Preisträger Jared Diamond ist die Antwort
eindeutig: dass die Menschen sesshaft wurden. Zwar habe es sich, gesteht der
amerikanische Forscher zu, um den Startschuss zu einer beispiellosen
Erfolgsgeschichte gehandelt – in den vergangenen 10.000 Jahren ist die Zahl der
Menschen von vier Millionen auf bald acht Milliarden gewachsen. Doch die
gewaltigen Probleme, die durch die Sesshaftwerdung erst entstanden sind,
bestimmen das menschliche Schicksal bis heute. …
Unsere nomadischen Vorfahren haben vermutlich nie im Paradies gelebt. Weil sie
aber für Zehntausende von Jahren in kleinen Gruppen als Jäger und Sammler
umherzogen, waren sie hervorragend an dieses Dasein angepasst. Weder gab es
nennenswerten Besitz noch ausgeprägte Hierarchien. Die Beute wurde geteilt. Da
man keine Vorräte anlegen konnte, waren soziale Beziehungen die
Lebensversicherung. Egoisten wurden, wie der Anthropologe Christopher Boehm von
der University of Southern California zeigte, von der Gruppe in die Schranken
gewiesen, wenn nicht verstoßen oder gar getötet. Unter diesen Bedingungen
entstand als zentrale moralische Intuition der Sinn für Gleichheit,
Gerechtigkeit und Gemeinschaft. …
Prähistoriker diskutieren noch, ob ein Klimawandel dem natürlichen Überfluss im
fruchtbaren Halbmond zwischen Levante, Euphrat und Tigris vor gut zwölftausend
Jahren ein Ende bereitet hat oder ob die Wildbestände durch zu starke Bejagung
eingebrochen sind. Auf jeden Fall reichte das, was die Natur allein hergab,
nicht mehr aus. Da auch die Nachbarn mit diesen Problemen kämpften, war
Weiterziehen keine Option. Also mussten Ackerbau und Viehzucht fortan das
Überleben sichern.
Die Folgen waren verheerend. Zwar wuchs die Bevölkerung, weil die Babys früh
entwöhnt wurden und die Frauen mehr Kinder gebaren. Doch der Einzelne litt.
Skelettfunde aus dieser Zeit beweisen, dass die Menschen kleiner blieben und
früher starben. In der neuen Welt musste man im Schweiße seines Angesichts
schuften, da hat die Bibel recht. Samuel Bowles,
Ökonom vom Santa Fe Institute, hat berechnet, dass Bauern erheblich mehr Zeit
für dieselbe Kalorienmenge aufwenden mussten als Jäger und Sammler. Zudem
führte ihre oft einseitige Ernährung zu Mangelerkrankungen. Nicht zuletzt
veränderte die Nahrungsumstellung die Mundflora – seither plagt Karies die
Menschheit.
Es blieb nicht das einzige Hygieneproblem der Siedler. Dass die Zahl der
Darmparasiten stieg, beweisen Koprolithen, versteinerte Exkremente. Der Kontakt
mit domestizierten Tieren ließ immer mehr Erreger von Schaf, Schwein, Ziege
oder Rind auf den Menschen überspringen. (Nicht ohne Grund wird in der Thora
die Sodomie gleich dreimal explizit verboten.) Je enger die Menschen
beieinander wohnten, desto verheerender wüteten Epidemien. …
In früheren Zeiten hatte die biologische Evolution das Überleben der
Populationen gesichert, seit dem Sesshaftwerden fehlte für eine biologische
Anpassung die Zeit. Die kulturelle Evolution übernahm die Führung: Wer
überleben wollte, musste sich etwas einfallen lassen. Die größer werdenden
Gesellschaften brauchten neue Regeln für ihr Zusammenleben, Gesetze. Wer aber
sollte sie erlassen? Wer sie durchsetzen? Wie sollten sie lauten? Auch wussten
die Menschen nichts von Bakterien und Viren, von Plattentektonik, Wetter und
Klimaschwankungen…
Uralte mentale Schaltkreise lassen Menschen überall geheimnisvolle Kräfte
vermuten. So wähnten die Siedler hinter Krisen und Katastrophen die alten
Verdächtigen für Unglück: Geister und Ahnen. Diesen bescherte die Misere der
Sesshaftwerdung einen gewaltigen Karrieresprung. Aus Geistern wurden Götter. Da
sie Kriege und Krankheiten schickten, galt es, sie zu besänftigen. Man baute
ihnen Tempel und versuchte, ihre Gunst mit Opfern zu erkaufen. So avancierte
Religion zur kulturellen Schutzmacht. …
Tatsächlich birgt die Thora nicht nur die Zehn Gebote, sondern weitere 603
Gesetze. Sie sind die Hausordnung der sesshaften Welt.
Eine Vielzahl dieser Regeln dient der Gesundheitsvorsorge. Ob bei Ernährung,
Hygiene oder beim Geschlechtsverkehr: Regeln sollen verhindern, dass Gott in
Rage gerät. Besonders in Bezug auf Körperflüssigkeiten schien er leicht
erregbar. Soldaten schreibt die Bibel sogar vor, wie diese mit ihrer Notdurft
umzugehen haben: "und wenn du gesessen hast, sollst du zuscharren, was von
dir gegangen ist." (Deuteronomium 23,14) …
Gesetze regulierten auch das seit der Sesshaftwerdung aus dem Lot geratene
soziale Leben: Bei der Erkundung göttlicher Intentionen leitete die Priester
und Schriftgelehrten die Annahme, dass Jahwe dieselben Dinge zornig machen wie
die Menschen selbst. So hasst er maßlosen Reichtum, verabscheut
Ungerechtigkeit, fordert Nächstenliebe und Solidarität mit den Armen – ein
Widerhall der alten Jäger- und-Sammler-Moral. Das ist die zivilisatorische
Leistung der Thora: Als allerorten Despoten herrschten, machte sie die Moral
zur Sache Gottes und entzog sie so dem Zugriff der Mächtigen. …
(Die Zeit 15.9.2016 S.37 http://www.zeit.de/2016/39/anthropologie-bibel-sesshaftigkeit-evolution/komplettansicht
)
·
Befruchtung
aus dem All
Geologie - Der amerikanische Gelehrte Joe Kirschvink entlockt winzigen Magneten
im Gestein abenteuerliche Geschichten des Lebens: Sie erzählen, wie
Klimakatastrophen einst den Lauf der Evolution veränderten - von der
Schneeballerde bis zur Treibhaushölle
(Der Spiegel 43/2016 S.104)
·
Die
Lehren der Hirnsuppe
Evolution
Eine brasilianische Neurobiologin hat die Nervenzellen von Mensch, Affe und
Elefant gezählt - und glaubt, so das Erfolgsrezept des Homo sapiens gefunden zu
haben. …
Herculano-Houzel entschied sich deshalb für ein radikal anderes Verfahren: Sie
löst das Gewebe des Gehirns auf, sodass eine Suppe entsteht, in der die
Zellkerne frei umherschwimmen. Diese markiert sie mit Farbstoff. Im Mikroskop
erscheinen sie dann als leuchtend rote Punkte, die sich auszählen lassen. Wenn
die Forscherin ihre Suppe so lange umrührt, bis die Kerne gleichmäßig verteilt
sind, liefert das Hochrechnen auf die gesamte Hirnmasse sehr zuverlässige
Werte.
Das Ergebnis bestätigte ihren Verdacht, dass der Mensch Rekordhalter bei der
Neuronenzahl ist. In seinem Großhirn sind 16 Milliarden Nervenzellen
miteinander verdrahtet - rund dreimal so viele wie beim Elefanten. Nicht im
bloßen Hirnvolumen, sondern in der Zahl der grauen Zellen schien also das
Geheimnis menschlicher Intelligenz zu liegen. Dicht an dicht drängeln sie sich
offenbar in seiner Großhirnrinde. Dann aber machte Herculano-Houzel noch eine
zweite, nicht weniger bedeutsame Beobachtung: Der Mensch ist keineswegs das
einzige Wesen, das sich durch eine so hohe Neuronendichte auszeichnet. Diese
ist vielmehr eine Eigenheit der Primaten. Egal ob Nachtaffe, Makak oder Pavian:
Bei ihnen allen findet sich extrem dicht vernetztes Nervenzellgewebe unter der
Schädeldecke. Dieser Befund lässt die Evolution des Menschen in einem neuen
Licht erscheinen: Die Weiche, die Grundlage seines Siegeszugs werden sollte,
wurde demnach schon vor mehr als 60 Millionen Jahren gestellt. Damals wurde das
Geschlecht der Primaten geboren - und mit ihnen eine neue Art, Gehirne zu
bauen. Weil die Dichte der Nervenzellen im Denkorgan der Primaten wesentlich
höher ist als bei anderen Säugetieren gleichen Gewichts, explodiert die Zahl
der Neuronen besonders bei großen Primaten geradezu. In ihrem Erbgut scheint
eine Art Formel verankert zu sein, die die Größe des Hirns und die Anzahl der
Neuronen darin vorgibt. Ein Primat von 70 Kilogramm Körpergewicht beherbergt
demnach die hohe Zahl von nahezu 20 Milliarden Nervenzellen in seinem Großhirn.
Der Sonderweg des Menschen war also vorgezeichnet.
(Der Spiegel 23/2016 S120)
·
Erster! Neue Funde zeigen: Der moderne Mensch ist viel früher
entstanden, als Forscher bislang dachten. Und er hat Wurzeln in ganz Afrika.
Sie sind die Prototypen unserer Spezies, die allerersten modernen Menschen, von
denen jemals Überreste entdeckt wurden – und sie lebten offenbar vor mehr als
300.000 Jahren dort, wo heute Marokko ist. Forscher um Jean-Jacques Hublin vom
Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie haben Fossilien,
darunter Reste eines Schädels und eines Unterkiefers, untersucht, die zusammen
mit Steinwerkzeugen und anderen Spuren menschlichen Lebens entdeckt worden
waren – in einer eingestürzten Höhle in Marokko. …
Stimmt Hublins Datierung, dann lebten die ersten Vertreter unserer Art in
Nordafrika bereits vor mehr als 300.000 Jahren, viel früher, als die Forschung
bislang angenommen hat. Die Geburtsstunde der Menschheit müsste damit um glatte
100.000 Jahre zurückdatiert werden.
Diese Behauptung dürfte nicht nur für mediale Schlagzeilen sorgen, sondern auch
für feurige Debatten unter Anthropologen. "Das wird die Lehrbücher
ändern", glaubt Hublin, der heute einer der Direktoren am Leipziger
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (EVA) ist.
(Zeit 8.6.17 S.29)
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Die Erfindung des Sehens
An einem Fossil, älter als eine halbe Milliarde Jahre, entdeckten Forscher ein
Auge aus den Anfängen der Evolution. Es zeigt, wie die ersten Tiere begannen,
die Welt zu erkennen.
Die angeblich "unreduzierbare Komplexität" des Auges nutzten
religiöse Fundamentalisten als Argument, um es als Kronzeuge gegen die
Evolutionslehre in Stellung zu bringen. Nur der Bauplan eines intelligenten
Schöpfers, behaupteten sie, könne diesen Geniestreich hervorgebracht haben.
Doch längst haben Evolutionsbiologen den Ablauf der Entwicklung so weit
rekonstruiert, dass es zur Erklärung keines göttlichen Plans mehr bedarf. Es
gibt keine Antwort, auf die die Natur nicht selbst gekommen wäre.
(Die Zeit 7.12.17 S.39 – http://www.zeit.de/2017/51/augen-evolution-fossil-palaeontologie )
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Deutsche Schulen vernachlässigen die Evolutionstheorie
In der Türkei soll die Evolutionstheorie jetzt aus dem Lehrplan gestrichen
werden. Auch in Polen wird sie an den Rand gedrängt, und in den USA kämpfen die
Kreationisten schon seit Jahrzehnten gegen Darwin im Schulbuch. Als
aufgeklärter Deutscher ist es leicht, sich über solche wirren Eiferer zu
erheben. Aber ist bei uns wirklich alles so gut, wie es scheint? Die
Evolutionstheorie ist die Basis zum Verständnis weiter Teile der Biologie und
Medizin – von multiresistenten Krankenhauskeimen über die moderne
Pflanzenzüchtung bis hin zu innovativen Krebstherapien. Doch im Verhältnis zu
ihrer herausragenden Bedeutung siecht die Evolutionstheorie auch an deutschen
Schulen dahin. Nicht wenige Grundschüler lernen zuerst im Religionsunterricht,
wie die belebte Welt entstanden ist – und halten den Schöpfungsmythos in der
Bibel zunächst einmal für die wahre Geschichte. Wie die Wissenschaft die Sache
sieht, können diese Kinder meist nur zu Hause erfahren, denn im Sachunterricht
wird das Thema Evolution kaum behandelt. Und an weiterführenden Schulen,
kritisierte die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina kürzlich in
einer Stellungnahme, fehle die „curriculare Gesamtplanung“ beim Thema
Evolution; selbst an vielen Universitäten spiele sie nur „eine Nebenrolle“. Das
Papierbemängelte zudem, dass der neueste Wissensstand nur mit Verzögerung in
die Schulen Einzug halte. Deutsche Bildungspolitiker, die keine türkischen
Verhältnisse wollen, sollten also handeln: Gebt der Evolutionstheorie im
Lehrplan endlich den herausragenden Platz, der ihr gebührt – von der ersten bis
zur letzten Klasse.
(Spiegel 28-2017 S.89)
·
Adam und Eva aus Marokko
Es liegt im Wesen der Evolution, dass die Datierung eines einzigen Fundstücks
Forscher zwingen kann, die Geschichte umzuschreiben. So ergeht es ihnen jetzt
mit einem Urmenschkiefer aus Marokko. Im Jahr 2007 war sein Alter schon einmal
bestimmt worden: 160.000 Jahre. Das schien vereinbar damit, dass der Homo
sapiens vor rund 200.000 Jahren in Ostafrika entstand und von dort aus die Welt
erobert hat. Nun aber haben Forscher aus Leipzig das Fossil erneut untersucht. Die
Datierung mithilfe von Elektronenspinresonanz wurde inzwischen verbessert,
außerdem haben die Wissenschaftler diesmal die Hintergrundstrahlung an der
Fundstelle genauer berücksichtigt. Das Ergebnis: Das Fundstück ist plötzlich
fast doppelt so alt – und die Menschheitsgeschichte wohl anders verlaufen. Homo
sapiens hatte schon vor 300.000 Jahren ganz Afrika besiedelt, die vermeintliche
Wiege in Ostafrika war nur Durchgangsstation. Datierungen von Feuersteinen vom
Fundort und die Zusammensetzung der Kleinsäugerfauna vor Ort bestätigen das neu
ermittelte Alter.
(Spiegel 24-2017 S.94)
·
Wie kam die Giraffe zu ihrem langen Hals? Indem sie angestrengt
ihren Kopf gen Blätterdach reckte, den Hals dadurch wachsen ließ und diese
Anpassung an ihre Nachkommen weitergab? Das dachte der große Biologe und
Darwin-Vorgänger Jean-Baptiste Lamarck. Seine Evolutionstheorie gilt als
Beispiel für wissenschaftlichen Irrtum, millionenfach dokumentiert in
Schulbüchern rund um den Globus. Denn recht hatte Darwin: Evolution funktioniert
nicht über die gezielte Veränderung bestimmter Eigenschaften, sondern per
Zufall und Auswahl. Wars das? – Nach der Jahrtausendwende entdeckten Forscher
den Einfluss von »Schaltern«, die einen Genabschnitt aktivieren oder
deaktivieren. Welchen, das hängt von den Umwelteinflüssen ab. Die Epigenetik
war geboren. Mit ihr wurde Jean-Baptiste Lamarcks Evolutionslehre zwar nicht
rehabilitiert. Aber so unrecht, wie es die Biologie-Lehrbücher glauben machen
wollten, hatte er auch nicht. Immerhin.
(Die Zeit 4.5.17 S.31ff.)
·
·
Einstein: „Früher hat man geglaubt,
wenn alle Dinge aus der Welt verschwinden, so bleiben noch Raum und Zeit übrig;
nach der Relativitätstheorie verschwinden aber auch Raum und Zeit mit den
Dingen.“ (11)
Raum und Zeit sind relativ – das bedeutet, dass es eine Relation, eine
Verbindung zwischen ihnen gibt, sie sind aufeinander bezogen und existieren
nicht unabhängig voneinander, wie es oberflächlich den Anschein hat (142);
eigentlich müsste man von Einsteins Absolutheitstheorie sprechen, das, was er
ohne Bezug auf irgendeinen Beobachter als absolutes Maß festlegte, ist die
Lichtgeschwindigkeit (146)
(EP Fischer: Die andere Bildung – was man von den Naturwissenschaften wissen
sollte, Ullstein 2003, S.11)
·
Quanten haben Freiheiten, sie verhalten
sich wie jener Dackel, dem zugerufen wird: „Kommst du jetzt her oder nicht!“;
Würfelt Gott? Offenbar würfelt er. Er hält sich aber auch an die erwürfelten
Gesetze.;
unter physikalischem Zufall ist das Hindurchreichen der mikroskopischen
Unbestimmtheit in den Makrobereich der uns wahrnehmbaren Welt gemeint. Wann
beispielsweise ein schweres Quant durch ein Erbgut fliegt und an welcher Stelle
es eine Instruktion verändert, ist nicht vorherzusagen ... ähnlich auch in
unseren Gehirnen: welche Assoziationen sich in einem unbeschäftigten Gehirn
über die Ladungen von Milliarden Molekülen an Milliarden von Nervenverbindungen
einstellen werden, ist sicher auch nicht vorherzusagen
(Rupert Riedl: Zufall, Chaos, Sinn; Kreuz Stuttgart 2000, S.38,47)
·
Ganz umfassend behauptet die
Mikrophysik, dass alles Naturgeschehen, .... wenn wir hinuntersehen bis in das
Gewimmel der einzelnen Atome oder Elektronen, einerseits sprunghaftes,
andererseits ursachloses Geschehen ist.
(Dürr: Physik und Transzendenz, Scherz 1988 S. 221)
·
Die Heisenbergsche Unschärferelation
bereitete dem Laplaceschen Traum von einem absolut deterministischen Modell des
Universums ein jähes Ende: Man kann künftige Ereignisse nicht exakt
voraussagen, wenn man noch nicht einmal in der Lage ist, den gegenwärtigen
Zustand des Universums genau zu vermessen!
(Hawking: Die illustrierte kurze Geschichte der Zeit, 1997, S.72)
·
(159) E = mc2
Ein durchschnittlich großer Erwachsener enthält in seinem Körper eine
potenzielle Energie, die der Gewalt von 30 großen explodierenden
Wasserstoffbomben entspricht
(Bill Bryson: Eine kurze Geschichte von fast allem, Goldmann München 2004)
·
die sichtbare, und uns vertraute
Materie (baryonische Materie) macht nur einige Prozent der gesamten Materie des
Universums aus – anderer Teil: „dunkle“ Materie;
das Sonnensystem rast um das Zentrum der Galaxis, viel zu schnell, wenn es nur
die uns bekannte Materie gäbe;
Galaxien im Vordergrund lenken das Bild einer dahinterstehenden Galaxie ab;
Gravitationslinse; um das Bild einer Galaxie derartig zu verzerren, wie es uns
erscheint, muss die vorhandene Masse ungefähr 60 x so groß sein wie die Masse
sämtlicher Sterne in dem Haufen;
1998: Untersuchung des Lichts von fernen Supernova-Explosionen; offenbar dehnt
sich das Universum immer schneller aus; Postulieren einer Energie, die der
Schwerkraft entgegenwirkt; entspricht der „Kosmologischen Konstanten“, die
Einstein eingeführt hatte; könnte sich aber im Lauf der Zeit ändern und damit
gar keine Konstante sein ...;
dunkle Energie bis zu 70 % der Energie im Universum; normale Materie 5 %,
dunkle Materie 25 %;
der 2. Hauptsatz der Thermodynamik verletzt die Symmetrie bezüglich der beiden
Richtungen der Zeit; Erfahrungstatsache, aber nicht aus Grundgleichungen der
Physik herleitbar;
Wo und wie findet der Übergang statt zwischen der mikroskopischen Welt, in der
die Quantengesetze regieren, und der makroskopischen Welt, in der diese sinnlos
sind?;
Gleichung, die Turbulenzen beschreibt, ist seit 150 Jahren bekannt; wir können
die Gleichung nicht lösen, weder numerisch noch mathematisch; Die Gleichungen
der Chaostheorie sind lösbar, die Turbulenzen liegen aber nochmals eine
Kategorie höher;
(bdw 4/2005 S.40ff. Die 7 Rätsel der Physik)
·
(31) GPS und Relativitätstheorie:
Satelliten umkreisen die Erde mit 14000 km/h; deshalb gehen ihre Uhren nach der
Speziellen Relativitätstheorie um 7 Millionstel Sekunden pro Tag langsamer;
gleichzeitig ist die Schwerkraft in 20.000 km Höhe erheblich geringer als auf
der Erdoberfläche; wegen der Allgemeinen Relativitätstheorie läuft deshalb die
Satellitenuhr um 46 Millionstel Sekunden am Tag schneller als am Erdboden;
unter dem Strich gehen Uhren in der Umlaufbahn 39 Millionstel Sekunden
schneller; würde man den Effekt nicht berücksichtigen, würde das GPS mit jedem
Tag 11 km weiter vom richtigen Ort abweichen, nach 5 Tagen wüsste das
Navigationssystem nicht, ob es in Düsseldorf oder in Bonn ist
(41) in den Dimensionen von Nanometern (1 Millionstel Millimeter) beginnt die
Quantenphysik zu dominieren
(76) in unserem Körper zerfallen pro Sekunde etwa 8000 Atomkerne;
die starke Coulomb-Kraft will die positiv geladenen Protonen im Atomkern
auseinandertreiben, denn gleichnamige Ladungen stoßen sich ab; die noch
stärkere Kernkraft hält die Kernbausteine jedoch zusammen, hat aber nur kurze
Reichweite, deshalb kann die weiterreichende Coulomb-Kraft größere Kerne
leichter zerreißen; deshalb gibt es bei steigendem Atomgewicht immer mehr
instabile Isotope; viele Protonen auf engem Raum können durch Neutronen
zusammengehalten werden – deshalb ist U238 stabiler als U235
(Ludwig Schultz, Hermann-Friedrich Wagner (Hrsg.): Die Welt hinter den Dingen,
WILEY-VCH Weinheim, 2006)
·
(225) es ist nicht die Energie selbst,
in der sich das Sprunghafte (Quantenhafte) in der Natur unmittelbar ausdrückt;
Quantisiert ist primär das, was die Physiker „Wirkung“ nennen, und damit meinen
sie das Produkt aus Energie und Zeit;
wenn man eine so definierte Wirkung mit einer Frequenz multipliziert, hebt sich
die Zeit auf, und man erhält eine Energie; die Energie von Licht lässt sich
nämlich jetzt berechnen, wenn man seine Frequenz mit dem Wirkungsquantum h
multipliziert;
da sich aber für eine Frequenz schlecht ein Zeitpunkt festlegen lässt – man
benötigt ein Intervall, um zu zählen -, muss man schließen, dass die Energie
selbst nicht zu allen Zeitpunkten definiert ist;
(231)
Heisenberg;
die sogenannte Unbestimmtheitsrelation, die unter dem (weniger genauen) Namen
Unschärferelation in die Alltagssprache eingegangen ist …
Heisenbergs Relation erfasst die Tatsache, dass sich nicht alle Eigenschaften
eines Objekts von atomaren Ausmaßen mit beliebiger Genauigkeit in einem
Experiment messen lassen. Man kann z.B. nicht den Ort und die Geschwindigkeit
eines Elektrons zugleich ermitteln,
wie Heisenberg zum ersten Mal erkannte …
Es geht weniger um Ungenauigkeit und mehr um Unbestimmtheit. Es geht in
Wahrheit nicht einfach darum, dass sich zwei Eigenschaften eines Elektrons
(oder anderer Gegebenheiten der atomaren Sphäre) nicht gleichzeitig messen
lassen; schließlich nimmt man in diesem Fall an, dass die anvisierten
Eigenschaften einen aktuellen Wert unabhängig davon haben, ob sie jemand messen
will. In Wahrheit ist die Sache viel schlimmer, wie Heisenberg erkannte.
Tatsächlich besitzt ein Elektron gar keine bestimmte Eigenschaft, bis jemand es
auf sie abgesehen hat und sich um deren Messung bemüht. Objekte der atomaren
Wirklichkeit sind ohne die auf sie gerichtete Aufmerksamkeit (ohne einen
Eingriff) eines Beobachters unbestimmt, und zwar präzise in der Weise, in der
es die (mathematisch formulierten) Unbestimmtheitsrelationen angeben.
Elektronen halten sich alle Möglichkeiten offen, bevor sie – unter der Vorgabe
eines Subjekts in Form des Experimentators – aktuelle Qualitäten annehmen …
Heisenberg schreibt in den 1950er Jahren in seinem Buch Physik und Philosophie …: „Wir müssen uns daran erinnern, dass das,
was wir beobachten, nicht die Natur selbst ist, sondern Natur, die unserer Art
der Fragestellung ausgesetzt ist.“
(Ernst Peter Fischer: Leonardo, Heisenberg & Co., Piper TB München 2004)
·
zu Max Planck:
Quantenphysik:
1. Es gibt keine Kontinuität, Naturvorgänge in der Mikrowelt laufen nicht
stetig ab.
2. Naturvorgänge in der atomaren Welt sind nicht eindeutig vorhersagbar;
gleiche Ursachen haben nicht die gleichen Folgen, das Kausalitätsprinzip gilt
nicht.
3. Alle Bestandteile der Mikrowelt (Atome, Elektronen …) haben keine
eindeutigen Charakter; es gibt keinen objektiven Zustand der Natur
(GEO kompakt 14: Die 100größten Forscher aller Zeiten, 2008, S.89)
·
Ist Gott Mathematiker? unterwegs mit
Rolf Landua, Physiker am Genfer Kernforschungszentrum CERN;
Die Atome, aus denen alles ist, sind im Wesentlichen leerer Raum, ein Vakuum
von 99,9%, darin zuckend und zitternd ein paar Teilchen. Wenn ein Atom so groß
wäre wie ein Sportstadion, entspräche der Atom-Kern einer Erbse in der Mitte
des Rasens; die Elektronen, zehntausendmal kleiner, kreisten auf den Tribünen;
(die Existenz der Welt als Unfall) beim Urknall entstanden, wie unsere
mathematischen Modelle zeigen, nicht nur Teilchen (normaler Materia), sondern
auch Antiteilchen, jedem Teilchen entspricht ein Antiteilchen …
eigentlich hätten sich Materie und Antimaterie beim Urknall vollständig
gegenseitig vernichten sollen, müssen …
WIR sind das Ergebnis eines Symmetriebruches … ein Teil der entstandenen
Materie blieb beim Urknall ungelöscht, vielleicht ein Milliardstel. Und der
reichte aus für Milliarden von Galaxien und Milliarden von Sternen …
für das CERN stehen jährlich ein Milliarde Schweizer Franken zur Verfügung …
das macht … pro Einwohner und Jahr nicht mehr als einen Euro fünfzig …
GOTT, sagt Landua, erkenne er, wenn überhaupt, vielleicht in den Gesetzen der
Physik, der Natur …
(Die Zeit, 22.10.09 S. 54f)
·
Deutscher Nobelpreisträger Theodor W.
Hänsch:
Was halten Sie von populistischen physikalischen Schlagwörtern wie
Quantenteleportation oder Paralleluniversen?
Manchmal sind solche Schlagwörter peinlich, doch zumindest bringen sie die
Physik ins Gespräch. Bei der Quantenteleportation handelt es sich um ein
interessantes beobachtbares Phänomen, das allerdings gar nichts mit der
Teleportation à la Raumschiff Enterprise zu tun hat. Andere Schlagwörter, zum
Beispiel Paralleluniversen, beschreiben Spekulationen. Ich als
Experimentalphysiker nehme nur Theorien ernst, die man durch Experimente
überprüfen kann. Natürlich darf man auch spekulieren. Doch das ist dann nicht
mehr als Science-Fiction
(bild der wissenschaft 5-2011 S.42)
·
Doppelspaltversuch
…
Bei diesem Experiment wird einfarbiges Licht auf eine Platte gestrahlt, die
einen Doppelspalt enthält. Der Doppelspalt besteht aus zwei parallelen,
senkrecht angeordneten, schmalen, dicht beiinenader liegenden Schlitzen. Hinter
dieser Platte befindet sich eine Projektionswand, die den Teil des Lichtes
auffängt, der den Doppelspalt passieren kann …
Auf der Projektionswand zeigt sich ein Muster aus hellen und dunklen Streifen.
Dieses Muster entsteht durch Überlagerung der durch die Öffnungen in der Platte
gelangten Lichtwellen. Man bezeichnet diese Überlagerung von Wellen auch als
Interferenz. Bei dieser Interferenz bilden sich Bereiche der Verstärkung aus
(helle Streifen) sowie der Abschwächung bis hin zu völliger gegenseitiger
Auslöschung (schwarze Streifen). Das
höchst Bemerkenswerte an diesem Versuch ist nun die Beobachtung, dass er nicht
nur bei Lichtwellen zu diesem Interferenzmuster führt, sondern auch dann, wenn
Elektronen, Neutronen, Protonen, Atome oder Moleküle benutzt werden,
Mikroobjekte also, die sich sonst wie Teilchen verhalten. Ja selbst dann, wenn
nur einzelne Elektronen oder Atome nacheinander die Versuchsanordnung
durchfliegen, zeigen sich diese Interferenzmuster. Das heißt, dass auch diese
klassischen Teilchen unter bestimmten Bedingungen Welleneigenschaften zeigen.
Man spricht daher auch von Materiewellen. (Ein anschaulicher Begriff, der allerdings
heute nicht mehr gebräuchlich ist).
(Uwe Lehnert: Warum ich kein Christ sein will, TEIA, Berlin 2009, S.80)
·
Antimaterie entsteht sogar bei einem
ganz normalen Gewitter; dabei können Gammastrahlen mit einer Energie von 511
KeV gemessen werden, das ist genau die Energie, die frei wird, wenn Positronen
durch Elektronen vernichtet werden
(bild der wissenschaft 6-2012 S.61)
·
·
Q: BdW 1/96 S.48
- "Urknall" kein unerschütterliches Wissen, sondern höchstens das zur
Zeit beste Modell von der Geburt des Universums, wir werden nie absolute Gewißheit haben, wie es "wirklich" entstand
- S.56: verschiedene Universen als "Blasen" eines Urgrundes, könnte
ewig bestehen, braucht keinen Schöpfungsakt, evtl. auch je eigene Naturgesetze, eigene Physik
- S.87: Alter des Universums: Cepheiden des Virgo-Haufens vermessen,
Hubble-Konstante = 80, Alter des Universums einige
Mrd. Jahre jünger als das der ältesten Sterne; zweite Messung anderswo: 9,5
Mrd.a
·
Q: BdW 4/95 S.56
- Alter des Weltalls, Hubble-Konstante
·
Q: BdW 7/95 S.10
- Alter des Universums 15 Mrd.a, Messung an einer Gravitationslinse
·
Q: BdW 11/95 S.11
- entfernteste Galaxie: 15 Mrd. Lichtjahre
·
(Quelle: Gespräch 3sat 26.3.95)
- ein Punkt faßte alle Materie in Form
von Energie
- was war vor dem Urknall?
* bei 10-42 Sekunden enden derzeit die Theorien; hier paßt die
Naturwissenschaft; subjektive Überlegungen haben Raum (Theologen, Philosophen
fragen)
* im U. hat die Zeit erst angefangen; wenn sich nichts bewegt, läuft auch keine
Zeit; es war zu dicht und zu heiß
- wo war der Raum?
Raum als Segel, das die Galaxien aufgespannt haben;
Raum hat sich in das NICHTS hinausgefressen
- Zukunft des Universums?
* zwei konkurrierende Kräfte im Kosmos:
Expansion durch Energie des Urknalls
(geht im großen
weiter)
Gravitation (lokal Orte, wo die G.
"gewonnen hat":
Galaxien, unser Planetensystem)
* NW glaubt im Moment eher an weitere
ewige Ausdehnung
(nicht an Zusammenstürzen)
- Leben im Universum?
Erde extrem lebensfreundlich (anthropes Prinzip);
Glaubensfrage, ob Leben nur einmal gewollt ist oder überall entsteht, wo das
möglich ist
- Astronom empfindet angesichts des Himmels weder Geborgenheit noch Leere,
sondern ganz stark eine Frage: Was steckt dahinter?
- Foto einer Galaxie ist ästhetisch befriedigend und schön, Ordnung wird
entdeckt (ein Plan dahinter...?)
- Freiheit für Gott wo, wie?
* ein NWler würde Gott volle Freiheit am Anfang geben (auch Plan mitliefern);
schwierig: späteres Eingreifen (Geltung der Naturgesetze)
* über Gott können wir nichts
exaktes sagen; Gottesbild muß ständig neu erkämpft
werden, dem jeweiligen Stand des Wissens angepasst
- Freiheit?
Naturgesetzlichkeit durchbrochen, z.B. in der Quantenphysik? (der Beobachter
beeinflußt das Ergebnis des
Experiments und damit den Lauf des Universums...)
- große Probleme der Astronomie:
* dunkle Materie (90%?)
* unglaublich schnelle Bildung von Sternen und Galaxien (Computer brauchen für
"Klumpungen" wesentlich länger als 15
Mrd. a)
·
Nach dem schwachen anthropischen
Prinzip müssen die Merkmale der realen Welt (und eben auch die Naturgesetze) so
sein, dass Leben möglich ist.;
Das starke anthropische Prinzip geht darüber hinaus und behauptet, die Welt und
auch die Naturgesetze seien so, wie sie sind, damit es uns geben
konnte.;
Der Raum ist dann nicht absolut, sondern relativ, oder, wie wir heute lieber
sagen, relational.; so wirkt nicht nur der Raum auf die darin befindlichen
Körper, vielmehr können nun auch die Massen auf den Raum zurückwirken: Sie
verzerren ihn. ...
nicht alles ist relativ (z.B. Lichtgeschwindigkeit, Ruhmasse);
Es gibt gute physikalische Gründe, den Raum für dreidimensional zu halten. In
einer vierdimensionalen Welt gäbe es keine langfristig stabilen Planetenbahnen
... Atome wären nicht stabil, Ausbreitung von Wellen könnte nicht nachhall- und
verzerrungsfrei erfolgen ... (es gäbe keine stabilen Planetenbahnen, keine
zuverlässige Informationsübertragung, keine Lebewesen, keine Menschen);
Zeit in der Speziellen Relativitätstheorie als vierte Dimension?; auch nach der
SR ist unsere Welt räumlich dreidimensional. Zwar kann man den Raum R und die
Zeit T zu einem vierdimensionalen Raumzeitkontinuum E vereinigen, aber auch
dann behält die Zeit ihre Sonderrolle. Man erkennt das etwa daran, dass die
Zeitkoordinate mit einem anderen Vorzeichen in die Metrik eingeht als die drei
Raumkoordinaten: ds2 = dx2 + dy2 + dz2
–c2dt2. Man schreibt lieber E(3+1) statt E(4);
selbst wenn in den „Strings“ weitere Dimensionen „eingerollt“ existieren
sollten, - unsere makroskopische Welt bleibt auch dann dreidimensional;
wenn wir davon sprechen, dass das Licht ferner Sterne an der Sonne „abgelenkt“
werde, braucht man dafür nicht eine vierte Raum-Dimension: die Sonne verzerrt
den Raum nicht-euklidisch, und in diesem nicht-euklidischen Raum läuft das
Licht auf den geradesten Bahnen;
warum hat der Kosmos gerade die Eigenschaften, die für die Entstehung und
Entwicklung von Lebewesen gebraucht wurden?
A) Man kann das für einen glücklichen Zufall halten und auf eine Erklärung
verzichten
B) teleologische Antwort: der Kosmos ist so, damit es Lebewesen oder
sogar Menschen geben kann (starkes anthropisches Prinzip)
C) man kann annehmen, es gebe ungeheuer viele Welten, die meisten
lebensunfreundlich, einige aber doch für Leben geeignet
D) Hoffen/Warten, dass durch eine spätere Kosmophysik eine echte Erklärung
gegeben werden kann;
(Gerhard Vollmer: Wieso können wir die Welt erkennen?, Hirzel Stuttgart 2003,
S.184, 218, 233ff, 240f., 244, )
·
Erde rast mit 100.000 km/h um die
Sonne;
kleine Metalleinschlüsse in Meteoriten enthalten reines 160; das
entsteht rein nur in einer Supernova;
Erde: anfangs glutflüssig: durch Gravitationsdruck, radioaktiven Zerfall;
Erde hat ihr Wasser durch den Aufprall von kosmischen Eistrümmern erhalten: in
Tiefbohrungen kommt ein wasserhaltiges Fluid zu Tage¸ das 3He
enthält, ein Stoff, der niemals irdischen Ursprungs sein kann (Einschluss in
Meteoriten);
Mond: Mikrometeoriten pulverisieren die Gesteine mehr und mehr, und verwandeln
sie zu Regolith, einem grauen Staub;
Gezeiten erzeugen durch Flutberge Reibung, die verbraucht Energie, die Bewegung
der Erde wird gebremst, der Tag wird länger; System Erde-Mond behält seinen
Gesamtdrehimpuls, was die Erde einbüßt, muss der Mond übernehmen; das tut er,
indem er sich von der Erde entfernt; in 100 Jahren wird der Tag 1,6 ms länger,
in 225 Mill. a um 1 Stunde; wie sich aus Ablagerungen von Korallen und der
Schichtung von Sedimenten erschließen lässt, hat ein Tag vor 370 Mill. a nur 22
Std. gedauert; vor 2 Mrd. a hat die Erde für eine Umdrehung nur 5,5 Std.
gebraucht; der Mond entfernt sich mit 3,8 cm/a von der Erde (bei seiner Bildung
– Kollisionsmodell – war er nur 60000 km entfernt;
mindestens drei Viertel aller Sterne entstehen als Doppel- oder Dreifachsterne
(anfängliche rotierende Gaswolke wird zerrissen);
Protostern: a) Kerntemperatur 1 Mill Grad: Deuteriumkerne und Wasserstoffkerne
stoßen zusammen und fusionieren zu 3He (Deuteriumbrennen); b) dann
Kontraktion, bei 15 Mill Grad 4 H à 4He (Wasserstoffbrennen,
endet bei unserer Sonne, wenn 1/10 des Wasserstoffvorrats verbraucht ist) c)
weitere Kontraktion, Wasserstoffbrennen zündet in Schale um den Kern herum; im
Zentrum bei 100 Mill Grad He à
C und O;
Meteor (Sternschnuppe): Leuchtspur am Himmel, wenn ein Staubteilchen oder ein
Gesteinsbrocken in die Erdatmosphäre eintritt und verglüht,
Meteorid: heißt der Körper, der diese Erscheinung hervorruft,
Meteorit: Restkörper, der nicht verglüht und die Erdoberfläche erreicht;
Massenzuwachs der Erde durch Meteoriten etwa 40.000 t pro a, überwiegend
Mikrometeoriten (<1/10 mm);
Mond-Bahn bis heute nicht exakt zu berechnen (Gravitationskräfte von Erde,
Sonne, Planeten usw. zerren am Mond;
Stern: ist ein Objekt, das aus eigener Kraft leuchtet und seine Energie aus
Kernfusionsprozessen in seinem Inneren bezieht; untere Grenze 1/12 Sonnenmasse,
obere beobachtete Grenze 120 Sonnenmassen;
Sterne bis 8 Sonnenmassen: Ende weißer Zwerg, stößt auch noch He-Gas ab, Rest
C/O-Kern;
Doppelsternsysteme: Materie von einem aktiven Stern spiralt auf einen Weißen
Zwerg hinüber, heizt sich auf, Wasserstoff zündet (Wasserstoffbombe): NOVA;
wenn Masse des Weißen Zwergs dabei >1,44 Sonnenmassen erreicht, Explosion
als SUPERNOVA Typ I, auch C-Kern zündet, Stern wird ohne Rest zerstört;
Expansion des Raumes, die Entfernung zwischen den Objekten wächst, die Objekte
selbst bleiben unverändert groß;
Hintergrundstrahlung: Satellit COBE (Cosmic Background Explorer):
Hintergrundstrahlung exaktes Spektrum eines schwarzen Körpers bei 2,7 K; damit
war die Expansion des Universums bewiesen und die Urknalltheorie nicht mehr zu
widerlegen;
“dunkle Materie“ zeigt sich lediglich durch ihre Gravitationskraft, die sie auf
die sichtbare Materie ausübt; Anteil von etwa 90% an der gesamten Materie;
Kugelgestalt der Erde: Eratosthenes (Alexandria 240 v.Chr.) vermisst Strecke
zwischen A. und Assuan (780 km) und den Schatten, den ein Stab an beiden Orten
wirft à
Umfang der Erde etwa 40.000 km!;
Einstein wollte sich ein expandierendes Universum nicht vorstellen, fügte in
seine Gleichungen(Allg. Relativitätstheorie) ein Korrekturglied ein; der
katholische Priester Georges Lemaitre zeigte, dass die Gleichungen auch solche
Lösungen zulassen;
(Lesch/Müller: Kosmologie für Fußgänger, Goldmann München, 2001, S.12, 13, 18,
21, 48, 62ff, 74, 76, 121, 123, 128, 136, 143, 145, 160, 165, 175, 217, 246)
·
Universum bestand anfangs aus ungefähr
75 % Wasserstoff, 24% Helium, 0,001% Helium3, 0,002% Deuterium und 0,00000001%
Lithium; in den interstellaren Wolken und in sehr frühen Sternen hat sich diese
Verteilung im Wesentlichen bis heute erhalten;
in unserer Sonne verschmelzen in jeder Sekunde rund 700 Mill. Tonnen
Wasserstoff zu etwa 695 Mill. Tonnen Helium; die restlichen 5 Mill. Tonnen
werden bei den Fusionsprozessen größtenteils in Photonen und Neutrinos
umgewandelt;
Aufbrauchen des Wasserstoffvorrats:
- Stern wie unsere Sonne: 8-10 Mrd. a
- 20 Sonnenmassen: wenige Mill. a
- Stern mit hundertfacher Sonnenmasse: 1 Mill. a
- Stern mit 120 SM: wenige 10.000 a (Fußgänger S.139)
- 0,2 Sonnenmassen: einige hundert Mrd. a
- Stern mit 1/10 Sonnenmasse: 1000 Mrd. a; 200 Mrd a (Fußgänger S. 139)
nach Ende des Wasserstoffbrennens:
ab einer Kerntemperatur von 100 Mill. Grad startet das sog. Heliumbrennen;
dabei vereinigen sich je drei Heliumatome zu einem Kern des Atoms Kohlenstoff,
und in der Folge verschmilzt ein vierter Heliumkern mit dem bereits gebildeten
Kohlenstoff zu einem Sauerstoffatomkern. Durch stufenweise Anlagerung weiterer
Heliumkerne werden in geringen Mengen sogar Neon, Magnesium und Silizium
gebildet;
nach Heliumbrennen: bis 8 Sonnenmassen heftiger Teilchenwind, mehr als die
Hälfte der Gashülle geht verloren, nach Erlöschen des Fusionsfeuers bleibt der
Kern (C+O) als weißer Zwerg übrig;
Gas nach Supernova-Explosion friert aus, kondensiert zu etwa 1 Mikrometer großen
Körnchen = interstellarer Staub;
im interstellaren Staub entdeckte Moleküle: auch komplexe organische Moleküle
aus bis zu mehr als 10 Atomen bestehend (Tab. S. 119);
die frühen Sterne waren die Geburtshelfer des Lebens (Lebensbausteine erzeugt),
die heutigen sind die (nährenden) Ammen;
Aminosäuren bilden sich unter den unwirtlichsten Bedingungen im Weltall: man
findet sie in Kometen und Meteoriten, in der Atmosphäre des Jupiter und in
interstellaren Gaswolken;
Jupitermond Ganymed ist größer als der Planet Merkur;
in etwa anderthalb Mrd. Jahren wird es langsam ungemütlich auf unserem
Planeten, dann kommt die Erde in den wesentlich wärmeren bereich (Strahlung der
Sonne nimmt zu), Temperaturerhöhung, keine Winter mehr, Teil der Meere
verdampft, Wasserdampfgehalt der Atmosphäre steigt, verstärkter
Treibhauseffekt, Verhältnisse wie heute schon auf der Venus;
Abschätzung der Zahl N kommunikationsbereiter Zivilisationen in der
Milchstraße:
N = R x fp x ne x fl x fi x fc
x L
R = Sternentstehungsrate neu pro Jahr
fp = Anteil der Sterne mit Planetensystem in Prozent
ne = Zahl der Planeten in einem Planetensystem mit lebensgeeigneten
Bedingungen
fl = Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich dort Leben auch wirklich
entwickelt hat
fi = Wahrscheinlichkeit , dass Leben Intelligenz entwickelt hat
fc = Wahrscheinlichkeit, dass diese intelligenten Wesen auch
Fähigkeit zur interstellaren Kommunikation haben
L = Zeit in Jahren, während der eine solche Kultur um Kontakt bemüht ist
|
R |
fp |
ne |
fi |
fi |
fc |
L |
N |
optimistisch |
10 |
1,0 |
1 |
1 |
1 |
0,2 |
108 |
2 x 108 |
zurückhaltend |
10 |
0,5 |
1 |
1 |
1 |
0,2 |
106 |
106 |
pessimistisch |
1 |
0,4 |
1 |
1 |
1 |
0,1 |
102 |
4 |
·
bei N = 108: durchschnittliche Entfernung in Lichtjahren zwischen zwei
intelligenten Galaxien: 50 Lichtjahre
bei N = 102 : 5300 Lichtjahre;
Gründe, warum „sie“ nicht Kontakt mit uns haben (wollen) S. 322;
mit einer Apollo-Kapsel würde die Reise zu Proxima Centauri 900.000 Jahre
dauern;
(Lesch/Müller: Big Bang zweiter Akt – Auf den Spuren des Lebens im All,
Bertelsmann München 2003, S.96; 106; 107, 108, 115, 119; 122; 130; 214; 226,
233; 298ff; 322; 339)
·
Noch 1907 wurde die Entfernung zur
Andromeda-Galaxie auf 20 Lichtjahre geschätzt, 1952 berechnete man 800.000 und
1972 2,25 Mill. Lichtjahre (222)
(Deutsches Inst. f. Fernstudien Uni Tübingen, Fernstudium Naturwissenschaften,
Evolution der Pflanzen- und Tierwelt, 3. Theoretische Grundlagen, 1986)
·
Fusionsprozess in Sternen: 4
Wasserstoffatome verschmelzen zu einem He-Atomkern: erst 1920 als
energieliefernder Prozess postuliert (Eddington), vorher: konventionelle
Verbrennung gedacht; 1938 Fusionsprozess genauer beschrieben (272)
Reststern nach Supernova-Explosion 1,4 bis 3,2 Sonnenmassen --->
Neutronenstern, bei > 3,2 Sonnenmassen: Schwarzes Loch (275)
Braune Zwerge: zwischen 0,085 und 0,013 Sonnenmassen (277)
täglich 40 t Meteoriten auf die Erde (278) (= 15.000 t/a JK)
Fusionsprozesse in Sternen bis hin zum Eisen möglich mit Energiefreisetzung
(Element Nr. 26); schwerere Atomkerne durch Neutroneneinfang mit Energie-Zufuhr
(so Elemente bis 92 Uran) 295)
(Detlev Ganten u.a.: Leben., Natur, Wissenschaft; Eichborn Ffm. 2003)
·
es sind weder bei Aristoteles noch bei
Kopernikus oder bei Kepler die Planeten oder andere Himmelskörper, die sich
bewegen; es sind vielmehr die Sphären, die sich drehen und die zu ihnen
gehörenden Objekte mit sich führen (110);
die Ausdehnung des Kosmos kommt dadurch zustande, dass irgendwo und irgendwie
unentwegt Raum und Zeit entstehen (152); Raum ist nicht etwas, das da ist,
sondern etwas, das permanent gebildet wird;
Quantenkinderspiel: Ein Kandidat geht vor die Türe, Gruppe denkt sich Begriff
aus, er muss raten, Antworten nur JA oder NEIN, 21 Fragen zulässig – so die
deterministische Variante;
Variante 2: Kein Begriff wird vorgegeben, der Kandidat entscheidet durch sein
Raten und die Gruppe durch ihre Antworten, wie und wohin es weitergeht – am
Ende steht auch hier ein exakter Begriff; aber dieser war am Anfang niemandem
klar ; ohne die Fragen des Kandidaten (Experiment) ist kein Wort da (191)
(EP Fischer: Die andere Bildung – was man von den Naturwissenschaften wissen
sollte, Ullstein 2003, S.110)
·
Die Urknall-Hypothese war nie eine
rein mathematische Theorie, sie entstand aus der Kombination von Beobachtung
und Theorie; erklärt eine Vielzahl von Forschungsergebnissen, auf relativ
einfache Weise, offene Fragen stellen sie nicht ernsthaft in Zweifel
(Kitty Ferguson: Gott und die Gesetze des Universums, Econ Düsseldorf 2002,
S.186)
·
Das physikalische Universum ist
einmalig und hat eine Geschichte. Es kann daher nicht in gleicher Weise
Gegenstand der Physik sein wie z.B. der freie Fall. Physik handelt nur von
denjenigen Erfahrungen mit der Natur, die beliebig oft in gleicher Weise im
Prinzip von jedermann reproduziert werden können. Infolge dieser Objektivität
und Wiederholbarkeit können sie Gegenstand von Gesetzen werden, Wir können in
der Entwicklung des Kosmos keine wiederholbaren Erfahrungen machen. Es gibt
daher grundsätzlich kein kosmologisches Naturgesetz. Physikalische Gesetze
werden dazu verwendet, die Geschichte des Universums zu rekonstruieren. Solche
einmaligen Vorgänge sind auch Gegenstand der biologischen Evolution oder bei
Geschehnissen im religiösen Bereich;
idealisierende und extrapolierende Annahmen im Standardmodell:
1. Verteilung von Strahlung und Materie im Kosmos überall und zu allen Zeiten
homogen und isotrop
2. Einsteinsche Allgemeine Relativitätstheorie ist zu allen Zeiten und an allen
Orten des Universums anwendbar;
Masse ist eine spezielle Form der Energie. Die Gravitation wird durch die
gekrümmte Raumzeit beschrieben. Diese führt nicht nur die Masse (=Energie),
sondern alle Formen von Energie, Drücken, Spannungen usw., also insbesondere
auch die Lichtstrahlen und verändert ihre Wellenlänge. Umgekehrt kann durch
alle Formen von Energie in jeweils spezifischer Weise die Raumzeit gekrümmt und
damit gravitative Wirkung etabliert werden.
3. im Universum hat stets die „normale“ Materie vorgelegen und über die
Gravitation hat zu allen Zeiten Anziehung geherrscht (wirkt zunehmend bremsend
auf die Ausdehnung)
Nur wenn die Annahmen stimmen, ergibt sich der URKNALL als Anfang der
physikalischen Welt
empirische Kosmologie (Erfahrungen aus unserer Labor-Welt) bis zu einem
Weltalter von 4 Minuten;
weiter heran an den Urknall zunächst noch plausible, dann immer mehr
spekulative Theorien („mathematisch sauber und widerspruchsfrei formulierte
Spekulationen“; „sehr anspruchsvoll mathematisch-physikalisch formulierte
Science fiction“);
(Audretsch//Weder: Kosmologie und Kreativität, Forum Theol. Literaturzeitung,
1999)
·
Bild vom aufgeblasenen Ballon: alle
Punkte streben voneinander weg, die entferntesten am schnellsten; auf der
Oberfläche gibt es keine Mitte und keine Grenze; die Frage, was sich innerhalb
des Ballons befindet, erweist sich ohne Sinn: dort ist nichts, ausgenommen sein
Ursprung
(Rupert Riedl: Zufall, Chaos, Sinn; Kreuz Stuttgart 2000, S.36)
·
Supernovae Typ Ia:
ausschließlich in Doppelsternsystemen; zunächst ein normaler Stern, der in
seinem Inneren Wasserstoff durch Kernverschmelzung in Helium, Kohlenstoff,
Sauerstoff sowie Neon und andere Elemente umgewandelt hat; wenn der nukleare
Ofen erloschen ist, schrumpft der ausgebrannte Kern unter seiner eigenen
Schwerkraft; so bildet sich im Inneren des Sterns eine etwa erdgroße, extrem
heiße Kugel mit millionenfach höherer Dichte als gewöhnliche Materie; danach
bläst der heiße Zentralkörper die umgebende Gashülle ab und ein kompakter so
genannter Weißer Zwerg entsteht;
in einem Doppelsternsystem kann von dem Partnerstern Materie überströmen; Masse
erreicht schließlich einen kritischen Wert; in einem nuklearen Feuersturm
kollabiert der Weiße Zwerg zu einem noch viel kompakteren Objekt: einem
Neutronenstern; dabei zerreißt es den Zwergstern, er schleudert seine äußeren
Schichten mit Geschwindigkeiten von etwa 10.000 km pro Sekunde ins All; die
Leuchtkraft des Feuerballs steigert sich etwa 3 Wochen lang, bis sie ein
Maximum erreicht und dann über Monate abfällt;
im Mittel leuchtet in jeder Galaxie nur etwa alle 300 Jahre eine Supernova des
Typs Ia auf; wegen der Vielzahl an Galaxien zündet aber im Universum alle paar
Sekunden eine von der Erde aus beobachtbare Supernova des Typs Ia; ...
virtuelle Teilchen im Vakuum; Paare aus Elementarteilchen und Antiteilchen können
spontan entstehen und kurz darauf wieder verschwinden, wenn nur die Zeitspanne
kürzer ist als durch die Heisenbergsche Unbestimmtheitsrelation erlaubt (Produkt aus Zeitspanne und der den
Teilchenmassen entsprechenden Energie ist kleiner als das Plancksche
Wirkungsquantum); die virtuellen Teilchen rufen messbare Effekte hervor (Kräfte
zwischen nahen Metallplatten); die Theorie der virtuellen Teilchen stimmt mit
den Messungen auf 9 Dezimalstellen überein.; der leere Raum ist also keineswegs
leer ...
In den ersten Sekundenbruchteilen des Urknalls hat es (Modell der kosmischen
Inflation) schon einmal eine variable kosmologische Konstante gegeben,
Vielleicht erleben wir zur Zeit eine zweite solche Phase, die irgendwann enden
wird.
(Spektrum der Wissenschaft, Dossier Kosmologie 3/2004, S. 31ff, 39, 42)
·
(15) Das griechische Wort „Kosmos“ hat
eine lange Geschichte. Es meint ursprünglich „Ordnung“: früheste Erwähnung bei
Homer im 8. Jh.v.Chr. für das geordnet aufgestellte Heer. Dann „Schmuck“ ...
Schließlich um die Zeitenwende „Harmonie“, bezogen auf das Weltall, später wie
heute „Weltordnung“ und „Weltall“. Also die Welt als geordnetes Ganzes, Kosmos
als Gegensatz zum Chaos.;
(17) Kopernikus – war kein säkularisierter Naturwissenschaftler, sondern ein
katholischer Domherr;
(24) es war ein Theologe, der oft verschwiegene Astrophysiker an der
Universität Löwen Lemaitre, Schüler und Mitarbeiter von Eddington und Einstein,
der 1927 im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie das Modell eines
expandierenden Weltalls entwickelte und als Erster die Hypothese vom „Ur-Atom“
bzw. „Urknall“ („Big Bang“ war zuerst ein Spottname) aufstellte.;
(80) ob man vielleicht auch bestimmte kosmologische Hypothesen als schiere
Spekulationen bezeichnen muss, ein von der Empirie nicht gedecktes Ausdenken
bloßer Möglichkeiten;
(93) Wir kennen nur 4% des Weltalls; nur so viel besteht aus gewöhnlicher,
sichtbarer Materie (Sterne, Planeten, Monde) ...;
Der unbekannte „Rest“ von 96%? Er besteht aus
23% Dunkler Materie, die örtlich gebunden als Gravitationskraft wirken soll;
vermutlich eine gewaltige Masse unsichtbarer und unhörbarer Elementarteilchen
...
73% Dunkler Energie (nach Einstein „kosmologische Konstante“); soll als eine
Art Gravitationsfeld wirken, durch die sich das Universum immer schneller
ausdehnen kann;
(166f) anthropisches Prinzip
“schwache“, weiche Formulierung: Anfangsbedingungen und Naturkonstanten unseres
Universums sind so beschaffen, dass ein „Beobachter“ (also Leben und
Intelligenz) entstehen kann;
“starkes“ Verständnis: Universum von Anfang an so beschaffen, dass irgendwann
unweigerlich Leben und Intelligenz entstehen mussten;
unübersehbarer Hinweis darauf, dass das Ganze des Evolutionsprozesses nicht
sinnlos ist, sondern zumindest für den Menschen ... einen Sinn hat;
(168) Astrophysiker Gerhard Börner / MPI Garching: dass man aus dem
anthropischen Prinzip „nicht auf das Prinzip einer zielgerichteten Schöpfung
schließen kann, auf die „absichtliche“ Entwicklung des Menschen“. Derartige
Schlüsse könne man innerhalb der Naturwissenschaft nicht ziehen, aber man dürfe
sich „vom kosmologischen Weltbild zu solchen Gedanken anregen lassen: Wollen
wir die Entstehung des Kosmos, von Raum und Zeit, als Schöpfungsakt eines
göttlichen Wesens interpretieren, so hindern uns die naturwissenschaftlichen
Ergebnisse nicht daran.“
(Hans Küng: Der Anfang aller Dinge, Naturwissenschaft und Religion, München
2005)
·
(36) Die meisten Sternsysteme im
Kosmos sind Doppelsterne ...
(40) Als ich klein war (Jahrgang 1951), kannte man im Sonnensystem insgesamt 30
Monde ... heute mindestens 90;
(41) Die bemannte Marsmission, die der erste Präsident Bush in einem kurzen
Augenblick der Unbesonnenheit forderte, ließ man stillschweigend fallen,
nachdem jemand ausgerechnet hatte, dass sie 450 Milliarden Dollar kosten würde
und wahrscheinlich den Tod aller Besatzungsmitglieder zu Folge hätte
(Zerstörung der DNA durch energiereiche Teilchen von der Sonne);
besteht keine Aussicht, dass Menschen irgendwann einmal ... den Rand unseres
eigenen Sonnensystems besuchen werden
(44) Pluto seit 1999 offiziell im Rang eines Planeten;
(50) in einer durchschnittlichen Galaxie mit rund 100 Milliarden Sternen tritt
nur durchschnittlich aller zwei- bis dreihundert Jahre eine Supervova auf;
(175) Jedes Atom in einem Menschen hat wahrscheinlich schon Aufenthalte in
mehreren Sternen hinter sich und war auf dem Weg zu seiner jetzigen Position
schon Bestandteil von Millionen Lebewesen.;
(221) In der Kosmologie ist „ein Berg von Theorien auf einem Maulwurfshügel aus
Befunden aufgebaut“ (Carr);
(223) Wir leben in einem Universum, dessen Alter wir nicht berechnen können,
umgeben von Sternen, deren Entfernung wir nicht kennen, zwischen Materie, die
wir nicht identifizieren können, und das alles funktioniert nach physikalischen
Gesetzen, deren Eigenschaften wir eigentlich nicht verstehen.
(251) Jedes Jahr sammeln sich auf der Erde rund 30.000 Tonnen Weltraumstaub.
(260ff) Schilderung der Folgen eines Meteoriten-Einschlags auf der heutigen
Erde;
(279) Temperatur im Erdkern Schätzungen 3900 bis 7200 Grad; seit Bildung der
Erde nur um 110 Grad gesunken
(287ff) Supervulkane auf der Erde
(315) Wir leben (auf der Erde) auf einem Doppelplaneten
(317) schwerstes natürlich vorkommendes Element auf der Erde wahrscheinlich
Francium (nicht einmal 20 Atome)
(Bill Bryson: Eine kurze Geschichte von fast allem, Goldmann München 2004)
·
(12) Wichen in unserem Universum also
die Werte für die Naturkräfte (Naturkonstanten) nur leicht von den tatsächlich
beobachteten Größen ab, so wäre Leben und damit der Mensch nicht möglich. Diese
Erkenntnis ist als schwaches anthropisches Prinzip bekannt geworden und in
dieser Form kaum bestritten.
Andere, stärkere Formen des anthropischen Prinzips gehen viel weiter, bis hin
zur Behauptung, die physikalischen Grundkonstanten des Universums seien von
einem höheren Willen so aufgestellt worden, dass menschliches Leben entstehen
musste. ;
(81f) Wasserstoff und Helium: im Kosmos 99,9% Anteil, auf der Erde 0,1%;
(88) Urknall, Energie, Entstehung von Materie – wie Regentropfen aus sich
abkühlender Luft entstand damals Materie aus der sich schnell verringernden
Explosionshitze;
(123) in unserer Galaxie entsteht 1 neuer Stern pro Jahr;
(196) Sternschnuppen: täglich durch kleinste Teilchen auf die Erde fallende
Menge organischen Materials auf etwa 30 Tonnen geschätzt;
(Hansjürg Geiger: Auf der Suche nach Leben im Weltall, Wie Leben entsteht und
wo man es finden kann, Franckh-Kosmos Verlag Stuttgart 2005)
·
Die fundamentalen Naturkonstanten sind
das Maß aller Dinge – auch wenn kein Forscher ihre Werte erklären kann. Doch
fest steht: Wäre jede Einzelne dieser Konstanten nur geringfügig anders, könnte
es Leben und Intelligenz nicht geben: Das All wäre wüst und leer. Physiker und
Kosmologen versuchen derzeit zu verstehen, ob wir in einem Designer-Kosmos leben
oder nur in einem Universum unter Myriaden ganz unterschiedlicher Universen, ob
alles ein unwahrscheinlicher Zufall ist oder ob eine „Weltformel“ die
rätselhaften Feinabstimmungen erklärt ...
“Das Universum beginnt mehr einem großen Gedanken gleich zu sehen als einer
großen Maschine“, schrieb der britische Physiker James Jeans 1930 ... stimmen
seiner Weltdeutung nach wie vor einige Philosophen und Kosmologen zu. Manche
sehen in der mutmaßlichen „Feinabstimmung“ der Naturkonstanten für ein
lebensfreundliches Universum sogar einen neuen Gottesbeweis – so als stecke
hinter allem ein großer Plan. ... Andere lehnen ein solches spirituelles
Weltbild als Anthropozentrismus rundweg ab ...;
Ist das Universum, in dem wir leben, nur eines unter vielen – oder ein Designer-Produkt,
womöglich von kosmischen Ingenieuren in einem Labor kreiert?;
Zusammenhang zwischen sehr spezifischen Werten der Naturkonstanten, der
Eigenschaften von Elementarteilchen und Naturkräften ... und der Existenz von
intelligenten, bewussten Lebensformen, die sie erkennen ... „anthropische oder
kosmische Koinzidenzen“, „anthropisches Prinzip“ ... das Universum wäre wüst
und leer, wenn es die kosmischen Koinzidenzen nicht gäbe;
Erklärungsansätze:
a) Ableitung aus fundamentale(re)n Theorien und Prinzipien
b) Ensemble-Erklärung: Es existieren andere Universen mit anderen Bedingungen
c) teleologische Interpretationen: es gibt zielgerichtete Kräfte, die
Feinabstimmungen angestrebt oder bewusst geplant haben;
“Weltformel“, „Quantengravitation“; Stringtheorie“, „M-Theorie“;
„Quantengeometrie“; „Theorie von Allem“;
Leonard Susskind: vielleicht 10100 oder 10500
verschiedene Lösungen der String-Theorie (und entsprechend viele Universen mit
unterschiedlichen Naturkonstanten und Gesetzen);
Anthropisches Prinzip (1974 in Krakau erstmals formuliert):
bisher über 30 Varianten formuliert;
schwaches AP: Universum so ausgelegt, dass intelligente Beobachter möglich
sind;
starkes AP: Universum (gewollt) so ausgelegt, dass es irgendwann die Entstehung
intelligenter Beobachter zulässt;
intelligentes Leben weiter gefasst als menschliche Intelligenz oder Leben auf
Basis von C, H, O, N;
Evolutionsbiologen sprechen von einer Anpassung der Lebewesen an ihre Umwelt.
Demnach sollten die Feinabstimmungen nicht umgekehrt als Anpassung des
Universums an den Menschen gedeutet werden. Dies würde die übliche Erklärung
von Ursachen und Wirkungen umkehren. ... Hätte sich das Leben nicht vielleicht
an jedes Weltall anpassen können?;
Die Multiversum-Hypothese nimmt uns radikaler als alle astronomischen
Erkenntnisse seit Kopernikus jegliche Sonderstellung. Diametral entgegengesetzt
ist die Hypothese, dass uns das Universum gleichsam zweckdienlich auf den Leib
geschneidert wurde (übergeordnete „Absicht“ oder ein der Natur innewohnendes ziel-
und zweckgerichtetes Prinzip);
gegen alle anthropozentrischen teleologischen Ansätze lässt sich einwenden,
dass sie das Problem der Überdetermination haben: Eine kosmische Lebensstätte
für den Menschen wäre mit viel geringerem Aufwand zu haben ... unser Sonnensystem
oder die Galaxis würden ausreichen;
theologische Einwände: der persönliche Bezug zum Gläubigen mit seinen
Hoffnungen und Ängsten bleibt bei einem bloßen Weltbaumeister-Gott ja außen
vor. Hinzu kommen die seit Jahrhunderten diskutierten Probleme desTheismus,
etwa die Frage, warum die Welt so viele Übel enthält, wenn sie die
„bestmögliche“ eines allmächtigen und allgütigen Schöpfers sein soll.;
Designer-Universum muss nicht Gott beweisen , könnte auch von kosmischen
Ingenieuren sorgfältig konstruiert oder durch einen Betriebsunfall bei einem
Laborexperiment erzeugt worden sein;
37 Zahlen braucht unser Universum:
das experimentell glänzend bestätigte Standardmodell der Elementarteilchen hat
26 Werte, die gemessen und gleichsam von Hand in die Gleichungen eingefügt
werden müssen, also nicht aus grundlegenderen Prinzipien berechnet werden
können. Neben der elektrischen Elementarladung und der Stärke der
Wechselwirkungen sind dies insbesondere die Massen der diversen
Elementarteilchen (Quarks, Leptonen und Bosonen). ... dazu derzeit 11 kosmische
Kennziffern = 37 Naturkonstanten;
Buch: Jürgen Hübner u.a. (Hrsg.): „Ein Universum nach Maß?“, Tübingen 2004
(79€)
(bdw 8/2006 S.32ff)
·
(31) Der Priester, Mathematiker und
Physiker Georges Lemaitre entwickelt im Jahr 1927 und gegen Einsteins Ansichten
die Urknalltheorie; später Präsident der Päpstlichen Akademie der
Wissenschaften;
(125) anthropisches Prinzip, schwache Version: Das Universum ist so beschaffen,
dass denkende Wesen (z.B. Menschen) entstehen können oder (starke Version)
entstehen müssen;
(Ulrich Lüke: Das Säugetier von Gottes Gnaden, Evolution-Bewusstsein-Freiheit,
Herder Freiburg 2006)
·
(16) US-Physiker RRCaldwell und M
Kamionowski:
der leere Raum ist nicht wirklich leer, im Vakuum werden ständig so genannte
virtuelle Paare von Elementarteilchen erzeugt und wieder vernichtet, jeweils
ein Teilchen und ein Antiteilchen; möglich nach Heisenbergs
Unbestimmtheitsrelation – können für eine extrem kurze Zeit Δt real
existieren;
dabei gilt folgende Einschränkung: das Produkt ΔtxΔE ist stets
kleiner oder gleich der Konstanten h/4π (h = Plancksches Wirkungsquantum);
man muss aber nicht befürchten, dass plötzlich aus dem leeren Raum virtuelle
Äpfel oder Bananen auftauchen; Heisenbergs Formel gilt nur für Elementarteilchen
und spielt für makroskopische Körper keine Rolle
(aber wie kann dann aus Quantenfluktuationen ein ganzer Kosmos entstehen?
JK)
(Spektrum der Wissenschaft Dossier „Grenzen des Wissens“, 2002)
·
(54) die Einschlagstheorie sieht den
Mond als das Produkt eines streifenden Zusammenstoßes der Erde mit einem
marsgroßen Himmelskörper; vor 4 Mrd. Jahren wurde ein großer Teil der auf dem
Erdmantel schwimmenden Erdkruste in den Weltraum befördert; die Restkruste war
lückenhaft; ließ Raum für Ozeanbecken, hatte nun auch genügend
Bewegungsfreiheit, in Schollen über den heißen, in geologischen Zeiträumen
durchaus mobilen Erdmantel zu driften; an den Rändern türmen sich beim
Zusammenstoß Gebirge auf; ohne dies wäre die Erde ziemlich glatt und
vollständig von Wasser bedeckt
(Ludwig Schultz, Hermann-Friedrich Wagner (Hrsg.): Die Welt hinter den Dingen,
WILEY-VCH Weinheim, 2006)
·
(17) Nikolaus von Kues hat schon 1435
behauptet, was Kopernikus 1543 feststellt, dass sich die Erde um die Sonne
dreht;
(25) Notiz von Leonardo da Vinci: „Die Sonne bewegt sich nicht“;
(40) die Astrologie scheint die Frage nach dem Sinn des Kosmos zu klären; Sie
gibt vielen Menschen das Gefühl, Kinder des Weltalls und im Rahmen der
Schöpfung gemeint zu sein ... uns einen Ort zuweisen, an dem wir uns wohl
fühlen. Selbst die unwissenschaftlichsten Sternbilder sind manchen modernen
Menschen lieber als die gigantischen Gasexplosionen und die finsteren
Staubwolken, von denen die Astronomie zu berichten weiß. ... macht es jedermann
möglich, seine eigene Verantwortung von sich zu schieben und alles dem
Schicksal anzulasten
(Ernst Peter Fischer: Leonardo, Heisenberg & Co., Piper TB München 2004)
·
dunkle Energie, die gegenwärtig die
Ausdehnung des Weltraums beschleunigt, war schon vor 9 Milliarden Jahren
wirksam; übertrifft die Wirkung der Schwerkraft seit 5-6 Milliarden Jahren;
(bdw 2/07 S.15)
·
Neutronenstern entdeckt, der sich in
jeder Sekunde 1122 mal um die eigene Achse dreht, knapp 20 km Durchmesser;
Weiße Zwerge, Kataklysmische Variable (bei denen ein weißer Zwerg einem
normalen Stern Materie entzieht) und Blaue Nachzügler (aus der Verschmelzung
zweier Sterne entstanden); Rote Zwergsterne (massearm)
(bdw 5/07 S.12; 58)
·
Gefahr durch Asteroiden-Einschlag auf
der Erde;
selbst Apophis, der bisher gefährlichste entdeckte Asteroid, wird die Erde nach
jüngeren Berechnungen nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:45.000 treffen, in
29 Jahren;
·
mehr als 60 % aller erdnahen
Asteroiden mit Durchmesser von mehr als 1 km sind wahrscheinlich bekannt;
Einschlag mit globalen Auswirkungen; bisher im Durchschnitt einmal in 10
Millionen Jahren;
kleine Objekte von weniger als 50 Metern Durchmesser verglühen in der
Atmosphäre;
dazwischen gibt es bis zu 100.000 Objekte; ein solcher hat 1908 in Sibirien eingeschlagen;
Energie mehrerer Atombomben;
das wahrscheinlichste Ereignis: ein Einschlag aus heiterem Himmel
(ZEIT 24.5.07 S.41)
·
Das bewegte Universum
Vom verspotteten "Big Bang" über die Geburt der Sterne bis zum heutigen
Sonnensystem:
eine sehr
kurze Chronik der vergangenen 14 Milliarden Jahre.
Von Max Rauner
Am Anfang war Häme: Als »Big Bang«, zu Deutsch Urknall, verspotteten Astronomen
in den fünfziger Jahren die noch junge Idee, der zufolge das Universum in einem
unvorstellbar dichten Feuerball geboren wurde und sich seitdem unaufhörlich
ausdehnt. Hatten nicht alle großen Naturforscher von Aristoteles über Newton
bis Einstein an ein starres Weltall geglaubt? Doch die Indizien für die
Urknalltheorie häuften sich, heute zweifelt kaum noch ein Kosmologe an ihr.
Geknallt hat damals, vor rund 14 Milliarden Jahren, allerdings nichts. Zum
Zeitpunkt null gab es noch keine Luft, durch die sich Schall hätte ausbreiten
können. Nur Energie in unvorstellbar hoher Konzentration: alle Materie des
beobachtbaren Universums, komprimiert auf einem Punkt kleiner als ein Sandkorn,
einhundert Quintillionen (1032) Grad Celsius heiß. Über den ersten
Bruchteil von 10-43 Sekunden dieser Schöpfungsgeschichte reden Physiker
allerdings nicht so gern, die Theorie dafür ist noch in Arbeit. Mit Aussagen
über die Zeit danach fühlen sie sich sicherer.
Im ersten Augenblick, 10-35 Sekunden nach null, bläht sich das
Universum schlagartig auf wie ein Luftballon an einer Pressluftflasche –
Kosmologen reden von Inflation (englisch für Aufblähung). Diese Phase dauert
einen winzigen Bruchteil der ersten Sekunde. Anschließend verläuft die
Ausdehnung gemächlicher. Strahlung erfüllt das All, Elementarteilchen wie
Quarks und Elektronen schwirren umher. Innerhalb der ersten Sekunde formieren
Quarks sich zu Wasserstoff-Atomkernen, Minuten später auch zu etwas komplexeren
Helium-Atomkernen. Diese toben durchs Universum wie Sandkörner im Wüstensturm.
Das All ist heiß und undurchsichtig, Lichtteilchen kollidieren ständig mit
Materieteilchen.
Erst nach 400.000 Jahren legt sich der Sturm. Die Atomkerne haben sich mit den
Elektronen zu neutralen Atomen vereinigt, Licht kann sich fortan ungehindert
ausbreiten. Aus dieser Zeit stammt die Mikrowellenstrahlung, die noch heute das
Universum erfüllt – als Echo des Urknalls.
Allerdings ist das All noch recht langweilig. Erst allmählich klumpt die
Materie dank der Schwerkraft zu größeren Wolken zusammen. Etwa 400 Millionen
Jahre nach dem Urknall ist es so weit: Die Wolken kollabieren. In ihrem Zentrum
verschmelzen Atomkerne und strahlen dabei Licht aus. In schneller Folge
entstehen so die ersten Sterne, alle paar Stunden ein neuer.
Aber die erste Generation lebt nur kurz. Nach wenigen Millionen Jahren sind die
Sterne ausgebrannt, implodieren und schleudern ihr Inneres wieder ins All,
darunter auch Elemente wie Sauerstoff, Kohlenstoff, Eisen, die durch
Verschmelzen leichterer Atome entstanden sind. Die Sternenreste dienen als
Baustoff für die nächste Generation (auch die Atome, aus denen der Mensch
besteht, entstanden einst in Sternen). Zwei weitere Sterngenerationen hat das
Universum seitdem hervorgebracht.
Unsere Sonne entstand neun Milliarden Jahre nach dem Urknall und gehört zur
Enkelgeneration. Sie ist jetzt rund fünf Milliarden Jahre alt und wird noch mal
so lange leben, dann ist sie ausgebrannt. Sie wird sich vorübergehend auf mehr
als das Hundertfache ihrer heutigen Größe aufblähen und die Erdkruste
aufschmelzen. Dann endet sie als »weißer Zwerg«, wenig größer als die Erde und
kaum heller als der Vollmond. Alle übrigen Sterne im Universum sterben einen
ähnlichen Tod oder enden als Schwarze Löcher. Das Universum dehnt sich weiter
aus – bis in alle Ewigkeit.
„Das würde ich eine Krise nennen“ (Lee Smolin)
„Nur zu ein paar Prozent besteht unser Universum aus sichtbarer Materie.
Für schätzungsweise 95 Prozent des kosmischen Inventars haben Forscher bislang
wenig mehr als Namen, und schon die sind mysteriös genug: Dunkle Materie und
Dunkle Energie. Das All ist erfüllt von etwas, was wir nicht sehen, und wird
getrieben von einer Kraft, die wir nicht verstehen. ... Die Grundlagenphysiker
driften zusehends weg von der Naturwissenschaft, hin zu reinen Mathematik ...
Immer kühner türmen die Theoretiker ihre Gedankengebäude. Immer weiter
entfernen sie sich von den Möglichkeiten der Experimentalphysik. ... Heute ist
das meiste, was Theoretiker über die Grundlagen der Physik publizieren, nicht
überprüfbar.“
„Heute zweifelt kaum noch ein Kosmologe an der Urknall-Theorie.“
In ihrem gegenwärtigen Zustand ist die Stringtheorie eher reine Mathematik als
empirische Physik. Sie passt auf 10100 verschiedene Universen,
vielleicht auch auf 10500 , und es nicht noch nicht einmal geklärt,
ob unser Heimatuniversum dabei ist
(DIE ZEIT, 29.03.2007 Nr. 14 S. 29ff)
·
erdähnlicher Planet entdeckt: Gliese
581 c
Stern Gliese 581 hat nur ein Drittel der Masse unserer Sonne und glimmt nur mit
einem Begleiter Fünfhundertstel ihrer Leuchtkraft (roter Zwergstern);
nur identifiziert über „Gewackel“ = Unregelmäßigkeiten der Bahn seiner Sonne;
Entfernung von der Erde: 20,5 Lichtjahre
Größe: 1,5-facher Erddurchmesser
2,2-fache Erdgravitation
Durchschnittstemperatur: 0 bis 40 Grad Celsius (flüssiges Wasser!)
wendet seiner Sonne immer die gleiche Seite zu (kein Tag-Nacht-Rhythmus)
Abstand vom Zentralgestirn: 1/14 der Entfernung Erde-Sonne
Dauer eines Sonnenumlaufs: 13 Erdentage
(Spiegel 18/07 S.150; ZEIT 26.4.07 S.41)
·
Die verrücktesten Sterne |
|
Eigenschaft |
Wert |
Der größte Stern |
VY Canis Maioris |
Der hellste Stern |
LBV 1806-20 |
Der schwerste Stern |
Eta Carinae |
Der schnellste Stern |
PSRJ1748-2446ad |
Das kompakteste Paar |
4U1820-30 |
·
Sterne vom mindestens 8-fachen der
Sonnenmasse „ernähren sich einige Dutzend Millionen Jahre von Wasserstoff, dann
wenige Millionen Jahre von Helium und maximal einige Tausend Jahre von
Kohlenstoff; das darauf folgende Siliziumbrennen dauert bloß noch drei Wochen;
Oberflächentemperatur
der Sterne liegt zwischen 2000 und 50.000 Grad (Sonne 5.500);
Lebensdauer von Sternen liegt zwischen weniger als drei Millionen und mehr als
einer Billion Jahren, je massereicher ein Stern, desto schneller verbrennt er
seinen Rohstoff; Sonne 4,6 Mrd. Jahre alt, wird noch knapp 7 Mrd. Jahre
leuchten;
die meisten Sterne entstehen nicht einzeln, sondern in Paaren oder Gruppen
(Doppel- und Mehrfachsysteme);
im beobachtbaren Universum mindestens 10 hoch 22 Sterne, in unserer Milchstraße
über 100 Milliarden (10 hoch 11);
der unserer Sonne nächste Stern ist Proxima Centauri (4,2 Lichtjahre)
(bdw 10/2007 S.42ff)
·
(bdw 11/07 S.44ff):
wie sich die Sonne verändert
Stadium |
Alter |
Leuchtkraft |
Oberflächen-Temp. (Kelvin) |
Radius |
Masse |
Erstes Stadium der Hauptreihe |
0,00 |
0,7 |
5596 |
0,89 |
1,000 |
Gegenwart |
4.58 |
1,00 |
5774 |
1,00 |
1,000 |
Wärmstes Stadium der Hauptreihe |
7,13 |
1,26 |
5820 |
1,11 |
1,000 |
Letztes Stadium der Hauptreihe |
10,00 |
1,84 |
5751 |
1,37 |
1,000 |
Maximalgröße Roter Riese |
12,17 |
2176 |
2606 |
256 |
0,668 |
Beginn des Helium-Brennens im Kern |
12,17 |
53,7 |
4667 |
11,2 |
0,668 |
Maximum des RGB-Stadiums (Red Giant Branch) |
12,30 |
2090 |
3200 |
149 |
0,546 |
Letzter thermischer Puls des RGB-Stadiums |
12,30 |
4170 |
3467 |
179 |
0,544 |
·
in 1,6 Mrd a wird die Sonne 15% heller
sein als heute; die irdischen Temperaturen steigen dann auf 60 bis 70 Grad
Celsius; zu heiß für Leben; für höheres Leben kritisch: 30 Grad Celsius
in 7 Mrd Jahren wird die Erde nicht mehr rotieren, sondern der Sonne ständig
die gleiche Seite zuwenden, auf der geschmolzenes Gestein verdampft (bis 2200
Grad); Rückseite ist von einer mächtigen Eiskappe bedeckt (bis minus 240 Grad);
(bdw 11/07 S.44ff; 52ff)
·
Staubwolke nach Sternexplosion
Supernova-Rest Cassipeia A; 11.000 Lichtjahre entfernt; genaue Messungen
(Argon, Silizium, Silikate, Eisenoxid, Kohlenstoff, Aluminiumoxid, Staub); im
Trümmernebel Staub-Material,das für Bildung von über 10.000 Planeten der Masse
unserer Erde ausreichen
würde
(bdw 3-2008 S.10)
·
Bisher größtes stellares (beim
Zusammenbruch eines Sternes entstandenes) Schwarzes Loch gefunden: 24-33-fache
Sonnenmasse
(bdw 1-2008
S. 12)
·
Bisher
schwerstes stellares Schwarzes Loch entdeckt; 24-33-fache Masse der Sonne,
Ursprungsstern wohl 60 Sonnenmassen
(bdw 1-2008 S.12)
·
Zehn
Jahre ist es her, dass Astronomen eine neue, bisher unbekannte Kraft im All
entdeckten, die „Dunkle Energie“; Treibkraft, die das All seit einigen
Milliarden Jahren immer stärker auseinandertreibt;
Warum macht sich die „Dunkle Energie“ gerade jetzt bemerkbar? In der Frühphase
des Alls, als die Materiedichte sehr viel höher war, spielte sie nämlich keine
Rolle, und in ferner Zukunft, wenn zwischen den Galaxien gigantische Leerräume
gähnen, wird sie nicht mehr nachweisbar sein;
Hinweis auf das „anthropische Prinzip“;
Tagung in Baltimore; „Wir wissen nicht, ob wir auf dem richtigen Weg sind und
ob wir überhaupt die richtigen experimentellen Fragen stellen“; „Es gibt Leute,
die bringen ihr Leben damit zu, etwas zu suchen, was nicht existiert oder nicht
nachweisbar ist. Das sind merkwürdige Menschen … Ich glaube, wir sind alle
dabei, zu solchen Leuten zu werden“
(ZEIT 15.5.08 S. 38)
·
Rudolf
Kippenhahn;
Beispiel Merkur: Er umrundet die Sonne nicht einfach in einer Ellipsenbahn, wie
es die klassische Mechanik verlangt; vielmehr dreht sich seine Bahnellipse
geringfügig, sodass der Planet bei jedem Umlauf eine etwas
andere Bahn durchläuft als zuvor. Das widerspricht der klassischen Mechanik. So
genau wir von der Erde aus messen können, sagt aber die Relativitätstheorie
diese Bewegung richtig voraus. Doch die klassische Theorie wurde durch Einstein
nicht falsch, sie ist nur eine Näherung von Einsteins genauerer Theorie,
brauchbar nur für schwache Schwerefelder. Aber soll die Relativitätstheorie die
absolute Wahrheit sein? Bewegt sich der Merkur exakt so, wie si es verlangt?
Neuere Messungen der kosmischen Expansion deuten auf zusätzliche, bisher
unbekannte Kräfte hin. Sie beeinflussen die Bewegungen der Galaxien und die
Expansion des Weltalls und werden etwas vage als Dunkle Materie und Dunkle
Energie bezeichnet. Folgen auch sie Einsteins Gleichungen? … genaue Messungen
der Merkurbahn 2013 geplant …
Meine dritte Frage wird wahrscheinlich niemals beantwortet. Es ist die
Gretchenfrage nach Gott, die Astronomen immer wieder gestellt wird. … Als man
Gewitter auf Naturgesetze zurückführen konnte, wurde der Donnergott
überflüssig. So hat die Naturwissenschaft in der Vergangenheit Gott immer
weiter zurückgedrängt. Biologen und Mediziner können körperliche Vorgänge, Krankheiten
und Tod mit Naturgesetzen erklären. Vielleicht wird der mensch einmal auch die
Entstehung des Lebens aus unbelebter Materie im Rahmen der Naturgesetze
verstehen. Wäre dann kein Gott mehr nötig, wenn alles erklärt ist? Aber woher
kommen die Naturgesetze? Sind sie am Ende gottgegeben? Sind sie wie in einem
Gesetzbuch gesammelt, dessen einzelne Paragrafen wir im Lauf der Zeit begreifen
lernen? Oder schaffen wir uns die Naturgesetze selbst, um uns in einer
chaotisch erscheinenden Welt einigermaßen zurechtzufinden?
Vor diesen Fragen stehen wir genauso ratlos wie der alte Germane vor dem
Gewitter.
(ZEIT 26.6.08 S.33)
·
Selbst
von den 4 % der normalen Materie, aus der Sterne, Planeten
und wir selbst bestehen, kennen die Astronomen noch nicht einmal die Hälfte;
der überwiegende Teil soll sich … als extrem dünnes, heißes Gas zwischen den
Galaxienhaufen befinden
(bdw 7-2008 S.13)
·
Stephen
Hawking korrigiert sein Modell vom Urknall;
Vor unserem Universum könnte bereits ein anderes existiert haben –
mit umgekehrter Zeitrichtung. Der Urknall wäre dann nur eine Art Übergang
gewesen. Mit dieser faszinierenden Vorstellung provoziert Stephen Hawking die
Zunft der Kosmologen. Denn sie waren bislang davon überzeugt, dass es entweder
gar keine Zeit vor der Entstehung unseres Weltraums gab –oder dass die Zeit
seit aller Ewigkeit dieselbe Richtung hat. …
auch die kosmische Inflation und die Dunkle Energie, die bislang nicht in
Hawkings Weltmodell passten, sind jetzt damit vereinbar …
S.H.: Mithilfe seines Sprachcomputers, vielen
Mitarbeitern und eigenen mathematischen Techniken leistet er Spitzenforschung.
Doch da sich seine Theorien kaum durch Messungen überprüfen lassen, stehen
seine Aussichten für den Physik-Nobelpreis schlecht. …
1963 Krankheit, Diagnose ALS; normalerweise stirbt man an dieser degenerativen
Erkrankung des motorischen Nervensystems innerhalb von 2 bis 3 Jahren …
in jeder Sekunde wächst das Volumen des beobachtbaren Universums etwa um die
Größe unserer Milchstraße. Es ist der Raum selbst, der expandiert …
Wird das Universum im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie beschrieben,
hat es im Urknall eine Singularität – eine Stelle, wo die Naturgesetze außer
Kraft sind – und ebenso im Endknall, falls es dazu käme … Doch in der Natur
kann eine Singularität aufgrund ihrer unendlichen Dichte, Energie und Krümmung
nicht existieren – sie ist ein mathematisches Artefakt, das den Zusammenbruch
der Theorie markiert. Daher suchen Kosmologen nach singularitätsfreien
Modellen. …
Wenn in der Singularität keine Naturgesetze mehr gelten, dann entgleitet sie
gleichsam dem Zuständigkeitsbereich der Physik. Das war für manche Theologen,
Philosophen und Physiker ein willkommener Ankerplatz für metaphysische
Spekulationen bis hin zu einem schöpferischen Eingriff Gottes. Tatsächlich
wurde Hawking 1981 von den Jesuiten auf eine Kosmologie-Konferenz in der
Päpstlichen Akademie der Wissenschaften eingeladen. Papst Johannes Paul II. …
ermunterte ihn und die anderen Forscher dort, die Entwicklung des Universums
seit dem Urknall zu studieren, wollte diesen aber als Gottes Refugium
unangetastet wissen. Doch H. stellte ein physikalisches Modell vor, das die
Entstehung des Universums ohne überweltliche Intervention zu erklären versuchte
– und gleichzeitig die ominöse Urknallsingularität vermied. …
“Die Grenzbedingung des Universums ist, dass es keine Grenze hat. Das Universum
wäre völlig in sich abgeschlossen und keinerlei äußeren Einflüssen unterworfen.
Es wäre weder erschaffen noch zerstörbar. Es würde einfach SEIN.“ …
genauso unsinnig wie die Frage, was südlich des Südpols liegt … aber so, wie
die Naturgesetze am Südpol in Kraft sind, sollte das auch beim Urknall der Fall
gewesen sein …
“das Universum gibt es, weil die Allgemeine Relativitätstheorie und die
Quantentheorie seine Existenz ermöglichen und erfordern … Wenn ich recht habe,
ist das Universum in sich selbst gegründet und wird von den Naturgesetzen
allein regiert.“ …
(S.H. 2007:) “Ich denke, dass das Universum spontan aus dem Nichts entstand
gemäß den Gesetzen der Physik.“ In gewisser Weise habe es weder Anfang noch
Ende. „Die Grundannahme der Wissenschaft ist der wissenschaftliche
Determinismus: Die Naturgesetze bestimmen die Entwicklung des Universums, wenn
sein Zustand zu einem bestimmten Zeitpunkt gegeben ist. Diese Gesetze können
von Gott erlassen worden sein oder nicht, aber er kann nicht eingreifen und die
Gesetze brechen, sonst wären es keine Gesetze. Gott bliebe allenfalls die
Freiheit, den Anfangszustand des Universums auszuwählen. Aber selbst hier
könnten Gesetze herrschen. Dann hätte Gott überhaupt keine Freiheit.“ Den
Begriff Gott verwendet Hawking nach eigener Aussage „in einem unpersönlichen
Sinn, so wie es Einstein für die Naturgesetze tat.“ Für die Annahme eines
fürsorglichen Schöpfers sieht er keinen Grund: „Wir sind so unbedeutende
Kreaturen auf einem kleinen Planeten eines sehr durchschnittlichen Sterns in
den Außenbezirken von einer Galaxie unter hundert Milliarden. Daher ist es
schwer, an einen Gott zu glauben, der sich um uns kümmert oder auch nur unsere
Existenz bemerkt.“ …
Hawking legt allerdings großen Wert darauf, dass seine Hypothese bloß ein
Vorschlag ist. „Der ultimative Test ist, ob die Vorhersagen mit den
Beobachtungen übereinstimmen. In der Vergangenheit war Kosmologie ein Gebiet,
in dem wilde theoretische Spekulationen nicht durch die Beobachtungen
eingeschränkt wurden. Aber jetzt setzen präzise Messungen den theoretischen
Modellen enge Grenzen …“ …
Zunächst gibt es noch keine durch Beobachtungen bestätigte Theorie der
Quantengravitation. Hawkings Vorschlag beruht daher auf spekulativen Annahmen.
Doch das gilt auch für alle konkurrierenden Modelle. …;
(bdw 7-2008 S.36ff)
·
„kosmos“
= schöne Ordnung; nicht umsonst haben „Kosmos“ und „Kosmetik“ die gleiche
etymologische Wurzel
(EZW-Texte Impulse Nr.28, B. Heller: Naturwissenschaft und die Frage nach der Religion; Stuttgart
1989)
·
die „dunkle Energie“ könnte nur eine
optische Täuschung sein, der wir erliegen, weil wir in einer expandierenden
Gegend des Universums wohnen
(ZEIT-Wissen
Heft 1/2009, S.24)
·
Wenn
die Erde den Mond nicht hätte, wäre menschliches Leben nicht möglich;
Wirkung der Gravitation des Mondes: 21 Meter maximaler Tidenhub an der
kanadischen Atlantikküste; auch über das scheinbar stabile Festland wandert ein
Gezeitenbuckel von bis zu 40 cm Höhe;
kurz nach der Entstehung der Erde war der Tag vermutlich nur 5 Stunden lang,
der neu gebildete Mond raste in nur 20.000 km Höhe um die Erde, die Mondscheibe
am Himmel hatte den vierzigfachen Durchmesser der heutigen, noch immer entfernt
sich der Mond jährlich um weitere 3,8 cm von der Erde, der Erdentag verlängert
sich jährlich um etwa 20 Millisekunden;
Kräfte aus dem All (Schwerkraft anderer Planeten) ließen die Erde auf
chaotische Weise taumeln, würde der Mond sie nicht stabilisieren;
in etwa 1 Mrd Jahren wird die Anziehungskraft so gering sein, dass dann die
Kräfte der großen Planeten dominieren, Erdachse wird in lebensfeindliche
Positionen kippen
(DIE ZEIT 13.11.08 S.57)
·
Pulsar
im Krebsnebel dreht sich 30 x pro Sekunde;
der Rekordhalter unter den Neutronensternen bringt es auf 716 Umdrehungen je
Sekunde;
ab 4 bis 5 Sonnenmassen als Rest einer Supernova entstehen Schwarze Löcher;
Durchmesser von Neutronensternen etwa 20 km (1 Kubikzentimeter wiegt 1
Milliarde Tonnen);
(bdw 7-2009 S.52ff.)
·
nach
neuesten Schätzungen bestehen über 80% der Masse im All aus dunkler Materie
(Spiegel 22-2009 S.132)
·
Johannes
Kepler, katholisch getauft, später in protestantischen Schulen unterrichtet;
beginnt dank eines Stipendiums mit 18 Jahren ein Studium der evangelischen
Theologie; wird noch vor dem Abschluss Mathematiklehrer;
zu seinen Aufgaben gehört auch Astrologie – das dient seinem Lebensunterhalt;
(Die Zeit 5.2.09 S.80)
·
der
Vatikan habe mit der Verurteilung des Astronomen Galileo Galilei nichts zu
mtun, das sei die Inquisition gewesen und nicht der Vatikan, der damalige Papst
Urban VIII. habe das Urteil nicht unterzeichnet, die Kardinäle seien sich über
die Verurteilung nicht einig gewesen – sagte der Präsident des Päpstlichen
Kulturrats, Erzbischof Ravasi
(taz 28.11.08 S.18)
·
deutscher
Physiker Martin Bojowald: neue Theorie zum Urknall; Schleifenquantengravitation
(SQG); ein früheres Universum hat sich unter seinem eigenen Gewicht
zusammengezogen, alle Naturgesetze waren darin räumlich in ihr Spiegelbild
verkehrt; Urknall als Moment der höchsten Dichte; dann prallt der Raum an sich
selbst ab; die Modellwelt wurde heil durch den Urknall manövriert; einen Blick
in das Universum erhaschen, wie es vor dem Urknall existiert haben muss
(Spiegel 14-2009 S.130)
·
Kosmologische
Kennziffern
Alter des Universums, Milliarden Jahre |
13,7 |
Hubble-Konstante heute |
70 |
Anteil der „normalen“ Materie in Prozent |
4,4 |
Anteil der kalten „Dunklen Materie“ in
Prozent |
23,1 |
Anteil der Neutrinos in Prozent |
0,3 |
Anteil der gesamten Materie |
27,7 |
Anteil der „Dunklen Energie“ |
72,3 |
S.51: Im Wettstreit der Hypothesen führt zur Zeit
die Ansicht, dass der Urknall ein Übergang war und nicht der absolute Anfang
von allem;
ist es nicht klar, ob die Frage nach dem Ursprung des Urknalls physikalisch
überhaupt sinnvoll ist. Wenn es keine Zeit vor dem Urknall gab, kann es auch
keine Ursache für ihn gegeben haben. Und selbst wenn der Big Bang nicht der
absolute Beginn der Raumzeit war, hatte er nicht unbedingt eine Ursache. Er
könnte auch blanker Zufall gewesen sein wie etwa der Zerfall eines radioaktiven
Atoms.;
(bild der wissenschaft 11-2009 S.49ff)
·
Schwarze
Löcher, die wir beobachten, könnten in Wirklichkeit auch Wurmlöcher sein,
Tunnel durch Raum und Zeit, die weit entlegene Teile des Universums oder sogar
verschiedene Universen miteinander verbinden; lassen sich von Schwarzen Löchern
kaum durch Beobachtungen unterscheiden (Hawking-Strahlung beim „Verdampfen“ ist
zu schwach, um gemessen werden zu können)
(bild der wissenschaft 4-2008 S.10)
·
Aus
dem Tagebuch des Universums
Zeit nach |
Temperatur |
Ereignisse |
|
|
Epoche der Quanten-Gravitation, es gibt nur
eine einzige Superkraft, Raum und Zeit sind nicht unterscheidbar; Dichte 1094
Gramm je Kubikzentimeter |
10-43 Sekunden |
1032 |
Abspaltung der Gravitation, Entstehung der klassischen
Raumzeit, Plasma von Energie und Teilchen, die sich ineinander umwandeln,
Materie und Antimaterie |
10-35 |
1027 |
Abspaltung der starken Wechselwirkung,
Asymmetrie zwischen Materie- und Antimaterie-Teilchen |
10-11 |
1015 |
Aufspaltung der elektroschwachen
Wechselwirkung zur elektromagnetischen und schwachen Wechselwirkung, |
10-6 |
1014 |
Protonen und Neutronen entstehen aus
Quarks, winziger Überschuss an Materie |
100 |
109 |
Entstehung der Atomkerne der leichten Elemente
(H, He, D, Li) aus Protonen und Neutronen |
380.000 Jahre |
4000 |
Entstehung der Atome, das Universum wird
durchsichtig |
100 Millionen bis 1
Milliarde |
- 250 |
Bildung der ersten Sterne und Galaxien |
seit 1 Milliarde |
|
Entstehung von Planeten und Leben |
9,1 Milliarden |
|
Entstehung unseres Sonnensystems |
13,7 Milliarden |
- 270 |
Gegenwart |
Der dänische Astronom Tycho Brahe schlug 1587
einen Kompromiss (zwischen dem
ptolemäischen und dem kopernikanischen Weltbild) vor: Die Erde bleibt im
Zentrum, umkreist von Mond und Sonne … die Sonne wiederum steht im Mittelpunkt
der Kreisbahnen der anderen Planeten …;
Johannes Kepler machte sich in seinem Werk „Astronomia Nova“ (1609) an den
Nachweis, dass sich sowohl nach dem ehrwürdigen geozentrischen System des
Ptolemäus als auch nach dem neuen heliozentrischen System des Kopernikus die
einigermaßen sicheren Positionen der Planeten errechnen lassen. Auch wenn man
beide Systeme kombiniert, wie es Tycho Brahe getan hat, kommt man zu
vernünftigen Ergebnissen. Alle drei Systeme sind geometrisch und mathematisch
miteinander kompatibel. Die bloße Beobachtung und die Beschreibung der
Phänomene bringt also keine Entscheidung über falsch oder richtig … Kepler ging
den Schritt von der reinen Beobachtung zur begründenden Erklärung … probierte
viele Möglichkeiten … und kam zu dem Resümee: „Also ist die Planetenbahn eine
Ellipse … “;
Galilei hatte Keplers „Astronomia Nova“ wohl nicht gelesen, jedenfalls erwähnt
er nichts davon. Noch 1632 schrieb er in seinem „Dialog“ unbeirrt von Kreisen
und nicht von Ellipsen, auf denen die Planeten um die Sonne laufen.
(bild der wissenschaft 2-2009 S.38ff)
·
Leserbrief
Michael Werner;
In allen Gedanken über Leben auf anderen Himmelskörpern scheint mir ein grundlegender
Denkfehler zu liegen: Alles wird darauf abgeklopft, ob dort genau die Form von
Leben möglich wäre, die wir von uns her kennen. Darüber wird vergessen, wie
Evolution abläuft.
Selbstverständlich sind wir irdischen Lebewesen Kinder dieses Planeten und
genau an seine Bedingungen angepasst, einfach deshalb, weil es hier so ist, wie
es ist. … Nicht die Erde passt zu uns, sondern wir passen auf die Erde.
Selbstverständlich wird Leben überall ebenso die Frucht gerade seiner
heimischen Verhältnisse sein ( und hätte
wahrscheinlich Schwierigkeiten unter unseren „freundlichen“ Bedingungen.)
(bild der wissenschaft 8-2009 S.16)
·
Stephen
Hawking – da sich seine Theorien kaum durch Messungen überprüfen lassen, stehen
seine Aussichten für den Physik-Nobelpreis schlecht
(bild der wissenschaft 7-2008, S.39)
·
In
jeder Sekunde wächst das Volumen des beobachtbaren Universums etwa um die Größe
unserer Milchstraße;
verfolgt man die Expansion des Alls im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie
immer weiter in die Vergangenheit – so als würde man den kosmischen Film
rückwärts abspielen -, gelangt man an einen unerfreulichen Punkt in den
Gleichungen: eine Singularität. Hier werden die Temperatur, Dichte, Energie und
Krümmung unendlich, Raum und Zeit dagegen Null. Die Relativitätstheorie bricht
in ihrer Gültigkeit und Anwendbarkeit zusammen. … Wenn in der Singularität
keine Naturgesetze mehr gelten, dann entgleitet sie gleichsam dem
Zuständigkeitsbereich der Physik. Das war für manche Theologen, Philosophen und
Physiker ein willkommener Ankerpunkt für metaphysische Spekulationen bis hin zu
einem schöpferischen Eingriff Gottes …
Hawking stellte ein physikalisches Modell vor, das die Entstehung des
Universums ohne eine überweltliche Intervention zu erklären versuchte – und das
gleichzeitig die ominöse Urknall-Singularität vermied.
(bild der wissenschaft 7-2008, S.48ff)
·
Achim
Weiß, Max-Planck-Inst. für Astrophysik:
(F) Manche Astrophysiker behaupten, es gäbe Paralleluniversen oder Quantenkosmen,
wofür jeder Beweis fehlt. Wo ist der Unterschied?
(A) Der Unterschied besteht darin, dass das Hypothesen sind, die sich aufgrund
von aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen ergeben können. Die daran
arbeitenden Wissenschaftler belegen ihre Annahmen wissenschaftlich und wären
sofort bereit, diese zu verändern, wenn ihnen Kollegen Fehler oder einen
Widerspruch nachweisen würden.
(bild der wissenschaft 1-2010 S.48ff)
·
seit
vor über 50 Jahren die Raumfahrt begann, sind etwa 6000 Satelliten ins All
geschossen worden, 900 davon sind heute noch in Betrieb; Weltraumschrott: etwa
18000 Objekte sind größer als 10 Zentimeter, groß wie eine Kirsche sind 40 mal
so viele
(bild der wissenschaft 2-2010 S.50)
·
Wie
groß ist das Universum?
Der Urknall fand vor 13,7 Milliarden Jahren statt. Insofern könnte man
argumentieren, dass 13,7 Milliarden Lichtjahre der minimale Radius des
Universums ist …
Allerdings hat sich der Weltraum seit dem Urknall weiter ausgedehnt, und er tut
dies in den letzten 6 Milliarden Jahren sogar immer schneller. Daher ist der
Radius des beobachtbaren Universums nicht 13,7, sondern knapp 50 Milliarden
Lichtjahre groß … Der Durchmesser des sichtbaren Universums beträgt knapp 100
Milliarden Lichtjahre …
(bild der wissenschaft 3-2010 S.12)
·
Schicksal
eines Weißen Zwergs, der Materie an sich zieht und eine Masse von etwa 1,4
Sonnenmassen erreicht hat;
1. besteht er aus Kohlenstoff und Sauerstoff, wird er thermonuklear gezündet,
dass heißt sein C und O werden explosiv zu Nickel und Silizium verbrennen, als
Folge wird der Weße Zwerg in einer sehr hellen Typ-Ia-Supernova-Explosion
vollständig zerstört;
2. besteht er aus Sauerstoff und Neon, kollabiert sein Kern zum Neutronenstern,
weil die Energieerzeugung durch das einsetzende nukleare Brennen nicht ausreicht,
dies zu verhindern, gleichzeitig wird seine Hülle in einer relativ schwachen
Explosion ausgeschleudert
(bild der wissenschaft 3-2010 S.14)
·
Kosmologen
verstehen 95% der Welt nicht einmal ansatzweise. Denn 23% von allem entfallen
auf eine mysteriöse Dunkle Materie und 72% auf eine noch rätselhaftere Dunkle
Energie …
Wenn die Milchstraße kein typischer Ort im Weltraum ist, könnten sich die
Kosmologen grundlegend verrechnet haben. Dann wäre auch die Dunkle Energie ein
gewaltiger Irrtum, und das All könnte erheblich älter sein als die
Wissenschaftler bislang dachten. …
Die Hauptkandidaten dafür, woraus die Dunkle Materie besteht, sind unbekannte
Elementarteilchen, die nicht der elektromagnetischen Wechselwirkung unterliegen
…
Begriff der Dunklen Energie 1998 geprägt … Inzwischen sind weit über 1000
wissenschaftliche Artikel zur Dunklen Energie erschienen …
(neue Berechnungen: das Universum könnte plötzlich erstarren) … ist Skepsis
angebracht. Die Szenarien der Zukunftssingularitäten sind sehr spekulativ:
mathematische Möglichkeiten zwar, aber deshalb noch lange nicht real.
Vielleicht wird hier auch die Allgemeine Relativitätstheorie über ihre
Gültigkeitsgrenzen hinaus strapaziert – ähnlich wie bei den Singularitäten des
Ur- und Endknalls und in den Schwarzen Löchern. …
1917 hatte Einstein eine wesentliche Vereinfachung eingeführt, die bis heute
grundlegend geblieben ist, und die der englische Kosmologe E. A. Milne 1933
explizit formuliert und als Kosmologisches Prinzip bezeichnet hat. Es besagt,
dass das Universum im Großen und Ganzen gleich beschaffen ist und kein
Beobachter eine besondere Stellung im All hat, also auch nicht ein irdischer
Astronom. Genauer gesagt: Das Kosmologische Prinzip nimmt an, dass die Materie
im großen Maßstab in alle Richtungen gleichförmig (isotrop) und überall
gleichartig (homogen) verteilt ist.
(nur wenn das Kosmologische Prinzip vorausgesetzt wird, kann das Universum im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie
angemessen beschreiben);
Fällt das Kosmologische Prinzip, löst das einen Domino-Effekt aus … das erste
und prominenteste Opfer auf der Schlachtbank der Hypothesen könnte die ominöse
Dunkle Energie sein
(bild der wissenschaft 4-2010 S.40ff; 52ff)
·
Leserbrief:
Nicht die Erde passt zu uns, sondern wir passen auf die Erde. Selbstverständlich
wird Leben überall ebenso die Frucht gerade seiner heimischen Verhältnisse sein
(und hätte wahrscheinlich Schwierigkeiten unter unseren „freundlichen“
Bedingungen.
(bild der wissenschaft 8-2009 S.16)
·
Was
im Zentrum eines Schwarzen Lochs steckt, lässt sich auch mithilfe der
Relativitätstheorie nicht beantworten. Dafür ist eine Theorie der
Quantengravitation nötig, die es aber noch nicht gibt. Manche Physiker
spekulieren sogar über ein Tor zu einem anderen Universum oder den Zündfunken
eines neuen Urknalls. Viel wahrscheinlicher ist eine unglaublich dichte
Energiekonzentration – oder sogar das Ende der Raumzeit selbst.
(bild der wissenschaft 3-2011 S.44)
·
gibt
es seit wenigen Jahren ein widerspruchsfreies „Standardmodell“: Demnach ist das
Universum 13,7 Milliarden Jahre als und besteht überwiegend aus einer
mysteriösen Dunklen Energei (73%) und einer nicht weniger rätselhaften Dunklen
Materie (23%), während die sichtbare Materie – Gas, Satub, Sterne und Planeten
– lediglich etwa 4% ausmacht
(bild der wissenschaft 9-2011 S.43)
·
(S.32)
Aristarch bringt die von ihm vorgenommene Messung des Universums zu der
Hypothese, „dass die Erde sich um die Sonne auf der Umfangslinie eines Kreises
bewegt, wobei sich die Sonne in der Mitte der Umlaufbahn befindet.“ Mit anderen
Worten, Aristarch schlägt fast 2000 Jahre vor Kopernikus die Idee einer
heliozentrischen Welt vor.
(S.87ff.) Drittes Keplersches Gesetz: Bei der Bewegung eines Planeten ist das
Quadrat seiner Umlaufzeit proportional zur dritten Potenz der großen Halbachse.
…
Was sich nun bei Kepler ändert, sind keine gleichartigen, sondern
verschiedenartige Größen – die eine erfasst den Raum (die Länge der Achsen),
die zweite die Zeit (des Umlaufs). Raum und Zeit hängen offenkundig zusammen,
wie hier früh sichtbar und erst 400 Jahre später mit Einsteins Relativität auf-
und eingelöst wird.
(S.252f.) Wir sind … bis auf ein paar Sekunden an den Urknall herangekommen. …
um zuletzt in einem Zeitraum zu landen, in dem die Extrapolation (der in unserer Welt bekannten physikalischen
Gesetze JK) versagt und wir ahnungslos verharren müssen. Wenn wir nämlich
ganz nah zum Urknall hinkommen, wissen wir nicht mehr, welche Physik gilt, weil
dort sowohl die Relativitätstheorie von Einstein als auch die Quantenphysik
eine Rolle spielen, und deren Kombination – etwa als Quantengravitation –
entzieht sich der Wissenschaft bislang. Kippenhahn nennt diesen völlig
unerforschten (und derzeit unerforschlichen) Abschnitt der kosmischen
Entstehung die „Weiße Epoche“ und mit diesem Begriff kann man ausdrücken, was
das Bild vom Urknall besagt:
Das Reden vom „Urknall“ drückt nicht aus, dass die Welt mit einer unendlichen
Dichte und einer ebensolchen Temperatur begann, sondern nur, dass der Kosmos
aus der „Weißen Epoche“ mit einer Expansionsbewegung herausgekommen ist, die
den Eindruck erweckt, als hätte er kurz zuvor – sehr kurz zuvor – mit
unendlicher Dichte und Temperatur sein Leben begonnen.
(Ernst Peter Fischer: Die kosmische Hintertreppe, nymphenburger München, 2009)
·
(S.510) Die Selbstverständlichkeit
des Kopernikanischen Weltbilds
Ludwig
Wittgenstein, einer der großen Philosophen des 20. Jahrhunderts, fragte einmal
einen Bekannten: „Sagen Sie mir, warum die Leute immer behaupten, es sei für
die Menschen eine ganz natürliche Annahme gewesen, dass die Sonne um die Erde
kreist und die Erde sich selbst nicht dreht.“ Darauf erwiderte der Bekannte:
„Nun ja, es hat doch den Anschein, als würde die Sonne um die Erde kreisen.“
Worauf Wittgenstein fragte: „Wie hätte es denn ausgesehen, wenn es den Anschein
gehabt hätte, dass sich die Erde dreht?“
Diese Bemerkung des großen Philosophen zitiere ich manchmal in Vorträgen, und
dann rechne ich eigentlich damit, dass die Zuhörer lachen. Aber stattdessen
verstummen sie offenbar vor Verblüffung.
(Richard Dawkins: Der Gotteswahn, Ullstein Taschenbuch, Berlin 2008)
·
In
der Milchstraße wimmelt es einer neuen Schätzung zufolge von erdähnlichen
Planeten. Vermutlich besitze mindestens jeder zweite Stern in etwa erdgroße
Planeten, berichteten US-Wissenschaftler auf der Jahrestagung der
Amerikanischen Astronomischen Gesellschaft in Long Beach (Kalifornien). Das
bedeutet allerdings nicht zwangsläufig, dass es auf einem dieser Himmelskörper
auch Leben gibt. Forscher um Astronomieprofessor Geoff Marcy von der Uni von
Kalifornien hatten die Daten des Planetenjägers "Kepler" der
US-Raumfahrtbehörde Nasa analysiert
(taz 9.1.2013 S.8)
·
METEORITEN
- Roulette im All
Jederzeit kann ein Asteroid die Zivilisation vernichten. Ein Ex-Astronaut will
die Gefahr bannen - mit Geld privater Spend;
Die Gefahr, dass die Erde von einem Asteroiden getroffen wird, ist erstaunlich
groß. Ein Tunguska-großer Gesteinsbrocken kartätscht im Schnitt alle 300 Jahre
heran. Erst im Februar dieses Jahres rauschte der Asteroid 2012 DA14 in
nur 27 700 Kilometer Entfernung an der Erde vorbei. In den Weiten des
Alls gilt das als Haaresbreite.;
Die Gefahr ist real. Am 15. Februar schoss ein ungefähr 18 Meter messender
Asteroid mit über 70 000 Stundenkilometern in die Atmosphäre nahe dem
russischen Tscheljabinsk. Die Detonation fand zum Glück in über 20 Kilometer
Höhe statt. Dennoch wurden 1500 Menschen verletzt, vorwiegend durch
herumfliegende Scherben zerborstener Fenster.;
(Der Spiegel 23-2013 S.115)
·
Die
europäische Raumsonde Planck hat die Kosmische Hintergrundstrahlung sehr genau
vermessen und gleichsam das schärfste „Babyfoto" des Alls gemacht.
Die Daten zeigen: Der Weltraum ist auf großen Skalen nahezu ungekrümmt und
enthält nur zu 5 Prozent gewöhnliche Materie. 95 Prozent sind dunkel und
rätselhaft.
Kontroversen gibt es wieder einmal um den Wert der Hubble-Konstanten, von dem
das Alter des Universums abhängt – nun auf 13,8 Milliarden Jahre beziffert.;
Mit 68,3 Prozent der Gesamtenergiedichte entfällt der größte Teil auf die
mysteriöse Dunkle Energie, die seit sechs Milliarden Jahren die Ausdehnung des
Universums eigenartigerweise beschleunigt;
Fast ein Drittel, Plancks Messungen zufolge 26,8 Prozent, ist die nicht weniger
rätselhafte Kalte Dunkle Materie (cold dark matter, CDM). Sie besteht
vermutlich aus noch unbekannten, nicht elektromagnetisch wechselwirkenden
Elementarteilchen (bild der wissenschaft 12/2011, „Dunkle Materie"). Da
die Heiße Dunkle Materie nicht weiter ins Gewicht fällt (siehe Kasten S. 50, „
Heiß, dunkel und sehr leicht"), macht die gewöhnliche Materie –
überwiegend Protonen, Neutronen und Elektronen – lediglich 4,9 Prozent der
Gesamtenergiedichte aus.;
Das ist der Fortschritt der modernen Kosmologie: Heute wissen wir sehr genau,
was wir nicht kennen – und das sind 95 Prozent von allem.
(bild der wissenschaft 9-2013 S.43)
·
UNSER
UNIVERSUM IST NICHT DAS EINZIGE
Ellis, Laughlin & Co. bemängeln, dass mit Multiversen-Szenarien prinzipiell
unüberprüfbare Behauptungen in die Welt gesetzt würden. Mit harter Wissenschaft
habe das nichts zu tun. Vorhersagen wären unmöglich, der Beliebigkeit sei Tür
und Tor geöffnet, und das Erfolgsrezept der strengen Maximen der Forschung
würde unterlaufen.;
Was ist ein Universum?
Der Begriff „Multiversum“ leitet sich von „Universum“ ab, worin das lateinische
Wort „unus“ für „ein Einziger“ steht, und vervielfacht dieses im Wortanfang,
denn „multus“ bedeutet „viel, zahlreich“. Es bezeichnet die in der aktuellen
Kosmologie so beliebte wie umstrittene Hypothese, dass eine Vielzahl von
Universen existiert. Zuweilen wird „Multiversum“ synonym mit „Megaversum“,
„Metaversum“, „Omniversum“, „Ultraversum“ oder „Welt-Ensemble“ verwendet.
Die Probleme und Konfusionen beginnen schon mit der Terminologie. Denn es
werden mindestens sechs verschiedene, sich teilweise überlappende Begriffe
gebraucht. Mit „Universum“ kann gemeint sein:
(1) alles, was (physikalisch) existiert – irgendwann und irgendwo,
(2) die beobachtbare Region des Alls,
(3) die beobachtbare Region des Alls und alles, was mit ihr in kausaler
Wechselwirkung stand oder einmal stehen wird,
(4) jedes physikalische System, das universell groß werden könnte, selbst wenn
es in sich zusammenstürzt, solange es noch klein ist,
(5) ein Zweig der quantenphysikalischen Wellenfunktion (falls diese nie
kollabiert) – das heißt, eine von verschiedenen Historien oder verschiedenen
Welten in Superposition (siehe Kasten S. 51, „Viele Quantenwelten“),
(6) vollständig getrennte physikalische Systeme.;
(bild der wissenschaft 1-2014 S.38ff. - http://www.bild-der-wissenschaft.de/bdw/bdwlive/heftarchiv/index2.php?object_id=33536947
)
·
Ist
das noch Wissenschaft?
Wenn oder weil sich andere Universen nicht direkt beobachten lassen, sind die Hypothesen
darüber trotzdem nicht zwangsläufig unwissenschaftlich. Es stimmt zwar: Gerade
diese Widerlegbarkeit gilt als Gütesiegel wissenschaftlicher Hypothesen und
Theorien. „Insofern sich die Sätze einer Wissenschaft auf die Wirklichkeit
beziehen, müssen sie falsifizierbar sein, und insofern sie nicht falsifizierbar
sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit“, schrieb der Philosoph Karl
Popper 1932. Mit dieser Überzeugung, die er in seinem Buch „Logik der
Forschung“ sorgfältig ausgearbeitet und begründet hat, prägte er nachhaltig das
Verständnis von Wissenschaft als eine Sache der Bildung und Überprüfung
widerlegbarer Hypothesen (Falsifikationismus). Er betrachtete das auch als
Abgrenzungskriterium der Wissenschaft von Metaphysik, Logik sowie Mathematik
einerseits und der Pseudowissenschaft andererseits.
Allerdings sind andere Universen keine wissenschaftlichen Gesetzes-Hypothesen –
analog beispielsweise zu Galileis Fallgesetz. Spricht man vom Multiversum, so
ist dies eine sogenannte hypothetische universelle Existenzaussage. Sie lässt
sich im Gegensatz zu räumlich oder zeitlich lokalisierten Existenzsätzen
aufgrund unseres eingeschränkten Zugangs zur Welt nicht falsifizieren. Aber sie
muss verifizierbar sein.
Allerdings ist die Verifizierbarkeit universeller Existenzsätze noch nicht
hinreichend für ihre Wissenschaftlichkeit. Sonst wären beispielsweise auch
fiktive Einhörner oder Gespenster ein Gegenstand wissenschaftlicher
Betrachtungen. Ein weiteres Kriterium muss hinzukommen – die theoretische Einbettung:
Universelle Existenzsätze sind dann wissenschaftlich, wenn sie sich
verifizieren lassen und einen Platz im Rahmen einer wissenschaftlich
anerkannten Theorie haben, insbesondere wenn sie von dieser vorausgesagt
werden. Das hat schon Popper so gesehen.;
Sean Carroll vom California Institute of Technology. „Es ist ein Fehler, zu
denken, das Multiversum sei eine Theorie, die von verzweifelten Physikern am
Ende ihrer Vorstellungskraft erfunden wurde. Vielmehr wird das Multiversum von
bestimmten Theorien vorhergesagt. Die Frage ist auch nicht, ob wir jemals dazu
in der Lage sein werden, andere Universen zu sehen, sondern sie besteht darin,
ob wir die Theorie überprüfen können, die impliziert, dass sie existieren.“;
Vielleicht werden sich Kosmologen in 10, 100 oder 1000 Jahren über die
Wissenschaft Anfang des 21. Jahrhunderts wundern – und sich entweder fragen,
warum sie so blind war und die Indizien für die Existenz anderer Universen
nicht klarer gesehen hat, oder aber, weshalb sie so verrückt war, sich in
solche Fantasien zu versteigen. Im Augenblick kann die Sache nicht entschieden
werden. Auch deshalb ist es vernünftig und wichtig, die multiversalen Ideen so
gut wie möglich auszuloten – eingedenk der Warnung, die Steven Weinberg 1977
ausgesprochen hat: „Unser Fehler ist nicht, dass wir unsere Theorien zu ernst
nehmen, sondern dass wir sie nicht ernst genug nehmen.“
(bild der wissenschaft 1-2014 S.52f.)
·
Seit
noch nicht einmal 20 Jahren gibt es ein „Standardmodell“ der Kosmologie, das
alle Daten widerspruchsfrei beschreibt.
(Bild der Wissenschaft 6-2014 S.2) Kosmischer Lauschangriff
·
Astronomie
Erstmals ist-es Forschern gelungen, GravitationsWellen zu messen, winzigste
Dellen in der Raumzeit, ausgelöst vom Crash zweier schwarzer Löcher. Das
Spektakel erschütterte das Universum - und unser Verständnis vom All…
Detailgenau erzählt die Nachricht aus dem All von einem Spektakel, das sich vor
rund 1,3 Milliarden Jahren in einer fernen Galaxie am Sternenhimmel der
südlichen Hemisphäre zugetragen haben muss. Zwei schwarze Löcher, das eine
schwer wie 29 Sonnen, das andere noch um sieben Sonnenmassen schwerer,
wirbelten dort auf immer engeren Bahnen umeinander. Bis auf wenige Hundert
Kilometer hatten sich die beiden Schwergewichte einander angenähert, ihr Tempo
erreichte schwindelnde 200000 Kilometer pro Sekunde. Dann berührten sich die
beiden Trumms und verschlangen einander augenblicklich. Acht Tausendstel
Sekunden lang wabbelte das neu entstandene Gebilde, dann hatte es seine
endgültige Gestalt gefunden: Als 62 Sonnenmassen schweres schwarzes Loch zieht
es seither seine Bahnen. All das geschah im Bruchteil einer Sekunde, und doch
reichte diese kurze Zeit aus, um drei Sonnenmassen in pure Energie zu
verwandeln - das ist 50-mal so viel wie das Leuchten sämtlicher Sterne des
sichtbaren Universums zusammengenommen. Das Echo dieser ungeheuren
Energie-Eruption haben die Ligo-Forscher nun aufgefangen. …
Es ist ein eigentümliches Konzert, das zwei dieser Kolosse geben, wenn sie
einander umkreisen. Zunächst geben sie nur ein eintöniges und sehr tiefes
Gravitationsbrummen von sich, das unmerklich höher und intensiver Wird, Während
sich die beiden ganz langsam näherkommen. Ins Hörfenster der beiden
US-Detektoren verschiebt sich der Brummton erst Sekundenbruchteile vor dem
fulminanten Finale. 17-mal pro Sekunde kreiseln die beiden schwarzen Löcher zu
diesem Zeitpunkt umeinander, und plötzlich geht alles ganz schnell: Noch ein
Dutzend Mal kreisen sie und wirbeln dabei immer wilder, der Brummton schwillt
in einem mächtigen Glissando an, um dann unvermittelt abzuebben. Es ist
erstaunlich, wie viel Information sich diesem kurzen Zirpen entlocken lässt.
Der Zeitpunkt, an dem der Ton abbricht, verrät zum Beispiel, wie groß die
beiden kollidierenden Objekte waren. Die Intensität des Signals wiederum lässt
darauf schließen, in welcher Entfernung von der Erde sich der Crash zutrug. Im
Fall des jetzt verkündeten Ereignisses sind diese Fakten allein schon eine
physikalische Sensation: Bisher war nicht einmal bekannt, ob es schwarze Löcher
mit 20, 30 oder gar 60 Sonnenmassen überhaupt gibt.
(Der Spiegel 7/2016 S.105)
·
Sieben
Welten-Wunder
Warum wir im goldenen Zeitalter der Astronomie leben
Ausgerechnet im Sternbild Wassermann, Esoteriker mag es freuen, haben
Himmelsforscher eine faszinierende Entdeckung gemacht. Gleich sieben
erdähnliche Planeten kreisen dort um den 39 Lichtjahre
von uns entfernten Zwergstern Trappist-1. Schon häufiger haben Astronomen
mögliche Zwillingserden gefunden, aber noch nie so viele in einem einzigen
Sonnensystem - ein Welten-Wunder. Auf mindestens drei der Gesteinsplaneten
könnte es flüssiges Wasser geben, was als Voraussetzung für die Entstehung von
Organismen gilt. Wenn dort Aliens existierten, wären sie allerdings gezwungen,
ein Leben in ewiger Dämmerung zu führen. Der lachsrote, kühle Stern spendet nur
ein Zweihundertstel des Lichts der Erdensonne. Dafür brächen bei den Bewohnern
vielleicht weniger Kriege aus: Im Konfliktfall könnten die Streithähne auf
bewohnbare Nachbarplaneten verbannt werden. Es sind ja genug Welten für alle
da.
Der Planetenfund zeigt einmal mehr, dass wir in einem goldenen Zeitalter der
Astronomie leben. Immer geht es um die ganz großen Fragen: Sind wir allein im
Universum? Wie entstanden einst Sterne und Galaxien (siehe nächste Seite)? Wie
wird alles enden? Laien erscheint es wie Magie ~ die Antworten finden sich in
dem Licht der Sterne. Ihm seine Geheimnisse zu entreißen erfordert jedoch einen
wachsenden Aufwand. So wird sich erst mit den Himmelsaugen der nächsten
Generation enträtseln lassen, ob die sieben neuen Welten tatsächlich belebt
sind. Bereits im kommenden Jahr will die Nasa das „James Webb“ Space Telescope
ins All schießen, den Nachfolger des legendären „Hubble“-Weltraumteleskops. Und
bis 2024 errichten die Europäer in der chilenischen Atacamawüste das größte
jemals gebaute Spiegelteleskop. All diese Kathedralen der Himmelskunde kosten
viel Geld; doch ihre Ziele könnten bedeutender nicht sein.
(Der Spiegel 9/2017 S. 101)
·
Ausgerechnet im Sternbild Wassermann, Esoteriker mag es freuen,
haben Himmelsforscher eine faszinierende Entdeckung gemacht. Gleich sieben
erdähnliche Planeten kreisen dort um den 39 Lichtjahre
von uns entfernten Zwergstern Trappist-1. Schon häufiger haben Astronomen
mögliche Zwillingserden gefunden, aber noch nie so viele in einem einzigen
Sonnensystem – ein Welten-Wunder. Auf mindestens drei der Gesteinsplaneten
könnte es flüssiges Wassergeben, was | als Voraussetzung für die Entstehung von
Organismen gilt.
(Spiegel 9-2017 S.101)
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Sind wir allein im All? Forscher wollen Botschaften ins All
senden. …
Überlegene Eroberer - Zu den prominentesten Gegnern des Projekts zählt
Physikgenie Stephen Hawking: „Wenn Aliens uns entdecken, könnte es uns so gehen
wie den Azteken, nachdem sie von Cortez entdeckt worden waren.“ Falls es technische
Zivilisationen im All gibt, sind sie uns mit hoher Wahrscheinlichkeit weit
überlegen, denn unsere menschliche Hochkultur ist gemessen am kosmischen
Zeitmaßstab blutjung. Wenn E. T. üble Absichten hegt, haben wir denen so wenig
entgegenzusetzen wie die Indios vor 500 Jahren den Feuerwaffen der Spanier,
warnt Hawking.
(tv today August 2017 S.16)
·
·
Einstein (1941! JK):
“... wenn die Zahl der mitwirkenden Faktoren bei einem Komplex von
Naturerscheinungen zu groß ist, lässt uns die wissenschaftliche Methode meist
im Stich. Man braucht nur an das Wetter zu denken, für das eine Voraussage
selbst auf wenige Tage schon
unmöglich wird. Und dennoch besteht kein Zweifel, dass wir dabei einem
Kausalzusammenhang gegenüberstehen, dessen einzelne Komponenten uns im wesentlichen bekannt sind. Ereignisse auf diesem Gebiet
entziehen sich unserer exakten Vorhersage nur wegen der Mannigfaltigkeit der
mitwirkenden Faktoren, nicht wegen einer mangelnden Ordnung in der Natur.“
(Dürr: Physik und Transzendenz, Scherz 1988 S.77)
·
Europäisches Zentrum für
mittelfristige Wettervorhersagen
(EZMW) in Reading in England;
anhand der aktuell tatsächlich ermittelten Wetter-Daten werden 41 Modelle mit
geringfügig variierten Ausgangswerten gerechnet;
am dritten Tag gehen die Wege oft merklich auseinander; nach drei Wochen
rechnet jedes Modell in seiner eigenen Welt;
kurzzeitige Prognose Gitternetz von 25 x 25 km; Halbjahresprognose 145 km
Rasterweite
(Spiegel 10-2008 S.166)
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Europas schnellster Computer in Jülich;
180 Billionen Rechenoperationen je Sekunde
(Freie Presse Chemnitz 19.6.08)
·
Die tägliche Wettervorhersage trifft
mit einer
Genauigkeit von 87% zu
(ZEIT 17.1.08 S.33)
·
Gottfried Wilhelm Leibniz
Er wollte die Welt mit Intelligenz in den Griff bekommen ... die aber machte
nicht mit. Was wir dennoch von Gottfried Wilhelm Leibniz lernen können – 300
Jahre nach dem Tod dieses letzten deutschen Universalgenies.
Gerade "kleine Dinge machen oft große mächtige Veränderungen. Ich pflege
zu sagen, eine Fliege könne den ganzen Staat verändern, wenn sie einem großen
König vor der Nase herumsauset, so eben in wichtigen Ratschlägen
begriffen" – ein Fall, den Leibniz, ganz er selbst, dem Leser sodann
anschaulich ausmalt.
(Die Zeit 20.10.2016 S.35 http://www.zeit.de/2016/44/gottfried-wilhelm-leibniz-todestag-300-jahre-genie/komplettansicht
)
·
Jahresbericht Bundesamt für
Strahlenschutz 2006;
es gibt jedes Jahr 120.000 Hautkrebs-Neuerkrankungen in Deutschland, 3000 davon
enden tödlich; besonders gefährdet Altersgruppe der unter 18-jährigen (80% der
Lebensdosis der Haut wird bis dahin aufgenommen)
(taz 13.7.07)
·
Ortwin Renn:
Jährlich werden in Australien vier Menschen von Haien getötet – aber 486
sterben durch defekte Toaster;
Es gibt neue Aspekte, die wir überprüfen müssen. Denkbar wäre heute ein anderer
Umgang mit dem strahlenden Müll: Man könnte ihn z.B. einer intensiven
Neutronenstrahlung aussetzen, und dann wäre er bereits nach hundert Jahren nur
noch so radioaktiv wie natürlich strahlendes Urangestein. Diese „Transmutation“
hätte erhebliche Folgen für die Risikobewertung der Kernenergie.; das Risiko
für die heute lebende Bevölkerung würde sich wegen des Baus zusätzlicher
Reaktoren und so genannter Spallations-Neutronenquellen sogar noch erhöhen;
Nanopartikel sind unsichtbar, wie etwa auch Elektrosmog oder Radioaktivität.
Vor unsichtbaren Risiken aber haben die Menschen oft mehr Angst, als wissenschaftlich
begründbar ist. Beispielsweise entstehen bei der Verbrennung von
Dieselkraftstoff Rußpartikel in Nanogröße. Technikfolgenabschätzer rechnen
damit, dass es – sobald sich herumgesprochen hat, Nanopartikel seien nicht
unbedenklich – bei manchen Menschen zu einer psychosomatisch bedingten
Dieselrußallergie kommen wird, unabhängig von der tatsächlichen Gefährdung.
(GEOkompakt Nr.3 „Das Abenteuer Technik“ 2005 S.164f.
·
Risikoforscher Ortwin Renn über die
Folgen des Reaktorunfalls in Fukushima (Erfahrungen in der Ethik-Kommission);
wir haben uns darauf spezialisiert, neben den statistisch errechneten
Risikowerten die von gesellschaftlichen Gruppen und Individuen getragenen
Risikowahrnehmungen empirisch zu erfassen;
Ich spürte bald, wie schwer es ist, in einer emotional aufgeladenen Stimmung so
etwas wie Ausgewogenheit und nüchterne Bestandsaufnahme zu vermitteln. Viele
Journalisten winkten sofort ab, wenn sie merkten, dass ich nicht in den
Jammerton der (An-)Klagelieder nach dem Motto „Ich habe es doch schon immer
gewusst“ verfiel, sondern vielmehr darauf hinwies, dass sich das Risiko
deutscher Kernkraftwerke durch Fukushima nicht verändert hatte. Selbst die
Feststellung, dass andere Energieträger auch ihre Risiken mit sich bringen und
dass man hier Risiken abwägen muss, stieß oft auf Unverständnis und
gelegentlich sogar auf schroffe Ablehnung und Häme.;
Ein besonders schwieriger Punkt war die ethische Bewertung der Kernenergie.
Hier prallten zwei diametrale Auffassungen aufeinander. Für die einen war die
Möglichkeit folgeträchtiger Katastrophen, die potezielle Mutationswirkung
radioaktiver Strahlung und die historisch kaum zu überblickende Zeit für die
sicherzustellende Endlagerung radioaktiver Abfälle Grund genug, die Nutzung der
Kernenergie kategorisch abzulehnen. Kategorisch bedeutet dabei: Bei einem solch
hohen Risiko darf der Nutzen nicht gegengerechnet werden. Für die anderen bot
eine solche Abwägung überhaupt erst die Grundlage für eine ethische Bewertung:
Erst wenn ich alle Risiken und Chancen miteinander in Beziehung setze und die
Bilanz von Nutzen und Risiko gegenüber anderen Alternativen in Vergleich setze,
kann ich zu einem rational begründbarem Urteil kommen.
In letzter Konsequenz bedeutet das kategorische Urteil, dass alle
Kernkraftwerke weltweit sofort abgeschaltet werden müssten. Zu diesem radikalen
Schritt wollte sich aber niemand in der Kommission durchringen. Von daher war
im Lager der kategorischen Kernenergie-Gegner die pragmatische Herangehensweise
konsensfähig, auf ein langsames Auslaufen der Kernenergie zu setzen, um die
Versorgungssicherheit nicht zu gefährden. Umgekehrt zeichnete sich auch im
Lager derjenigen, die eine bilanzierende Risiko-Nutzen-Abwägung bevorzugten,
die Bereitschaft ab, die Möglichkeit von großen Katastrophen und von langfristigen
Endlagerproblemen höher zu gewichten, als es den statistischen Erwartungswerten
entsprach. Dass ich mich zum abwägenden Lager zählte, dürfte niemanden
überraschen.;
Risiken von Risikowahrnehmungen zu trennen. Sieht man z.B. die statistischen Risikowerte
für den durchschnittlichen Deutschen an, so wird man eindeutig erkennen, dass
die Lebens- und Gesundheitsrisiken ständig abnehmen. Die Lebenserwartung
steigt, die Unfälle in Beruf, Freizeit und Verkehr gehen zurück, und die Zahl
der tödlich verlaufenden Erkrankungen ist im Lebensabschnitt von der Geburt bis
zum 60. Lebensjahr stark rückläufig. Die Wahrnehmung der Risiken ist dagegen
völlig anders: Es sind nicht nur 78% der Deutschen der Meinung, dass die
Risiken für Leben und Gesundheit zunehmen, die Menschen fürchten sich auch vor
allem vor Risiken, die sie als künstlich begreifen, etwa Konservierungsstoffe
in Lebensmitteln, und die von Technik oder Fehlverhalten ausgehen, etwa von
Kriminalität. Doch daran sterben in Deutschland die allerwenigsten.;
dass es in Deutschland rund 12 mal häufiger zu Selbsttötungen kommt als zu
Tötungsdelikten – beide sind übrigens rückläufig;
wir sind nicht indifferent gegenüber der Risikoverteilung über die Zeit: Wir
fürchten uns mehr vor einem – einmal im Jahr zu erwartenden – Unfall mit 365
Toten auf einen Schlag als vor 365 kleinen Unfällen mit jeweils einem Toten;
Duch den Rinderwahnsinn BSE sind ungefähr gleich viele Menschen in Europa ums
Leben gekommen wie durch das unachtsame Trinken von parfümiertem Lampenöl: rund
150. Während BSE ein internationaler Skandal wurde, bei dem Minister ihren Hut
nehmen mussten und völlig neue Kontrollinstanzen errichtet wurden, ist das
Risiko durch Lampenöl kaum jemandem bewusst.
Ähnliches gilt für die Beurteilung der Kernenergie: Großräumige Katastrophen
sind keinesfalls auf die Kernkraft beschränkt – auch die fossilen Energieträger
können das Weltklima und damit die Lebensqualität, aber auch die Sicherheit und
Gesundheit von Millionen Menschen gefährden. Und selbst bei den regenerativen
Energieträgern gibt es weitreichende Risiken, wenn auch ganz anderer Natur:
Sollte das Netz für einige Zeit zusammenbrechen, würde das für Deutschland und
auch für andere Industrienationen eine schwere Krise bedeuten, die nicht nur
essenzielle wirtschaftliche Verluste, sondern auch direkte und indirekte
Schäden an Gesundheit und Leben von Menschen auslösen würde. Langlebige Abfälle
gibt es zudem nicht nur in der Atomindustrie. Auch hochgiftige Schwermetalle
werden in Salzbergwerken endgelagert und behalten dort ihre Toxizität für ewig.
Eien Halbwertszeit wie bei radioaktiven Abfällen gibt es dort praktisch nicht.
Und ein letztes: Bei jeder Flugreise nehmen wir eine zusätzliche radioaktive
Belastung auf uns, die in der Summe alle routinemäßigen Emissionen der weltweit
rund 440 Kernkraftwerke bei Weitem übersteigt. ;
Es kann heute ziemlich sicher davon ausgegangen werden, dass sich die
Kernenergie in Deutschland durch effizientere Primärenergienutzung und eine
weitere Erhöhung des regenerativen Energieanteils wirtschafts- und
sozialverträglich ersetzen lässt. Der Weg über Effizienzverbesserungen und
regenerative Energiequellen ist insgesamt risikoärmer als der weitere Einsatz
der Kernenergie.
(bild der wissenschaft 12-2011 S.66ff.)
·
Unberechenbarkeit - Alles
Zufall?
Zwölf Menschen sterben bei einem Terroranschlag. Warum gerade sie? Eine Frau
findet die große Liebe. Warum gerade jetzt? Ein Mann wird vom Blitz getroffen –
und überlebt. Warum gerade er? Ein Essay über die Macht des Unberechenbaren …
Der Mann, den es erwischt hat, ist 47 Jahre alt. Wie er aussieht, kann ich
nicht sagen. Er liegt auf einem OP-Tisch, Schlauch im Mund, Körper
abgedeckt, Gesicht auch. Den Schädel haben sie in einem Metallgestänge fixiert,
die Kopfhaut durchschnitten und nach oben geschoben, sodass sie aufklappte wie
ein blutiger Mund, dann haben sie die Knochenplatte entfernt. Jetzt liegt es
frei. Das Gehirn. …
I. Pech in der Lotterie
Während ich zusehe, wie der Neurochirurg Schicht um Schicht ein Loch
aushebt, das der Krebs wieder füllen wird, muss ich daran denken, was er mir
über solche Tumore erzählt hat. Sie heißen Glioblastome, pro Jahr erkranken 5
von 100.000 Menschen daran. Genetische Einflüsse spielen keine Rolle, in
unzähligen Studien wurden auch keine Umweltfaktoren gefunden. Dem Glioblastom
ist es egal, wie viel Fleisch ein Mensch isst, wie oft er in der Sonne liegt,
welche Gifte er einatmet. Hirntumore gibt es, weil es Gehirne gibt. Jedes Hirn
braucht Zellen, die sich vermehren. Sie teilen und teilen sich, millionenfach,
alles geht gut, und irgendwann passiert ein Fehler. Eine blöde Mutation, und
der Krebs ist da. …
Wenn Heese in seinem Chefarztzimmer
Ich-habe-schlechte-Nachrichten-für-Sie-Gespräche führt, dann ist es ihm
wichtig, die Rolle des Zufalls zu betonen. Er hat sich sogar einen Begriff
ausgedacht: "negativer Lotteriegewinn". Heese hofft darauf, dass sich
seine Patienten nicht mit der Frage nach dem Warum foltern, wenn er ihnen
erklärt, dass sie schlicht sehr, sehr viel Pech hatten. Und er weiß: In den allermeisten
Fällen hofft er umsonst. …Gibt es vielleicht doch schlechte Gene in der
Familie? Was ist mit Lebensmittelzusätzen? Pestiziden? Lampen mit Quecksilber?
Wo stand das nächste Atomkraftwerk? "Das Handy (als Ursache) könnte ich
akzeptieren", überlegt Becker. "Einfach nur Zufall, das wäre
schlimmer."
Ich finde, das ist ein sehr interessanter Satz. Frank Becker und Heike Fuchs
sind schlaue Menschen, sie verdrängen nichts, sie wissen um das schwarze Loch,
das sich vor ihnen auftut. Es dürstet sie jetzt nach Gründen, sie wollen
verstehen, warum das Leben ihnen diesen Horror auf die Tagesordnung gesetzt
hat. Und Oliver Heese liefert ihnen ja einen Grund: den Zufall. Einfach nur den
Zufall. Klingt wie eine Kränkung, irgendwie. Fühlt sich falsch an.
Aber warum? Ist Heeses Erklärung zu simpel? Zu abstrakt? Welche Rolle spielen
Zufälle in dieser Welt? Wenn sich sogar die komplexeste Struktur des Universums
dem Zufall ergibt – kann es dann sein, dass der Mensch viel mehr von Zufällen
gelenkt wird, als er sich klarmacht? An wie vielen Lotterien des Lebens nehme
ich täglich teil, ohne es zu ahnen? …
Ich kann eine Münze tausendmal werfen, dann schließe ich mit nahezu absoluter
Sicherheit aus, dass nur Kopf kommt und niemals Zahl. Werfe ich aber die Münze
viele, sehr viele Jahre lang, billionenfach, dann kann es schon sein, dass ich
irgendwann zwischendurch eine Wahnsinnsserie hinlege: tausendmal Schwarz!
Komische Dinge passieren. Weil so vieles passiert.
Meine Chance als 40-jähriger Mann, morgen zu sterben, ist 1.835-mal höher als
die, den Jackpot zu knacken. Trotzdem spielen Leute Lotto. Manche gewinnen
sogar. Andere Leute kriegen einen Hirntumor. Oder sie setzen genau in der
falschen Hundertstelsekunde einen Funkspruch ab. …
Den Soziologen Hartmut Rosa überraschen solche Geschichten nicht. An seinem
Lehrstuhl in Jena haben die Wissenschaftler viele ganz normale Menschen
gebeten, ihre Biografie zu erzählen. Fast immer leuchtete aus der Art, wie die
Leute auf ihr Leben schauten, eine tiefe Sehnsucht: Das, was mir geschieht,
soll mir nicht zufällig geschehen. Grausamer noch als die Erfahrung, ins kalte
Räderwerk des Zufalls zu blicken, scheint die Furcht davor zu sein, sein Dasein
nicht zu begreifen, sagt Rosa. "Jemand verliert ein Bein bei einem Unfall
und findet: Es musste so sein. Es war gut für mich. Ständig ist da dieses
Motiv: Das Schicksal will mir etwas mitteilen. Es meint mich." …Egal
welche Forscher ich frage – von der Vision ihrer Vorgänger aus früheren
Jahrhunderten, die Struktur der Welt bis ins Feinste zu durchleuchten und so
den Zufall zu erledigen, von dieser Vision lassen sie nichts übrig.
Der Quantenphysiker Anton Zeilinger erinnert an die Existenz des
"objektiven Zufalls", also daran, dass sich in der Welt des
Allerkleinsten manche Ereignisse schlicht nicht
vorhersagen lassen. "Ich sage allen Theologen immer: Selbst der liebe Gott
kennt die Ursache nicht, er kann sie nicht kennen." …Man muss sich
nur durch das Dunkel seiner Familiengeschichte nach hinten tasten. Hätte Georg
Elser Hitler aus dem Weg geräumt, hätten die Deutschen vielleicht nicht
Frankreich angegriffen, dann wäre nicht am 9. Juni 1940 der erste Ehemann
meiner Oma in der Champagne gefallen, dann hätte nicht meine Oma meinen Opa
geheiratet. Die Dominokette, an deren Ende ich selbst stehe, wäre unterbrochen
worden. So viele winzige Wendepunkte, so viele Sekunden des Schicksals. Über
die Generationen hinweg akkumulieren sich die Zufallseffekte, dass einem ganz
schwindlig werden kann davon. Sie tun das natürlich in jeder Familie.
Und dann: der Moment der Zeugung. Eine Eizelle. 400 Millionen Spermien. Ich
dachte immer, alle diese Spermien seien identisch, aber das stimmt nicht. Die
genetische Information unterscheidet sich von Spermium zu Spermium, und zwar
massiv. 400 Millionen Möglichkeiten. Hätte in jener Hundertstelsekunde
irgendein anderes sein Ziel erreicht, ich wäre ein anderer als der, der ich
bin.
Der Zufall ist nichts, was nur von außen auf mich hereinstürzt wie ein Unfall
oder ein Regenschirm in einem leeren Abteil. Er steht am Grund meiner Existenz.
…
Leben. Ein Astronom sagte mal: Die Chance, dass es entsteht, ähnelt der Chance
darauf, dass ein Taifun über einen Schrottplatz rast, und aus den
aufgewirbelten Teilen setzt sich ein Jumbojet zusammen. Vielleicht ist das ein
zweites Mal geschehen, irgendwo in der Tiefe hinter den Punkten auf dem Schirm.
Neulich auf einer Tagung haben die Planetensucher abgestimmt, da waren vier
Fünftel der Meinung, es werde schon noch was auftauchen. Aber wohl nur
Einzeller. Dass aus solchen Billigprodukten des Lebens automatisch
Menschenartiges hervorwächst, daran glaubt so gut wie kein Forscher, der sich
mit diesen Fragen befasst. …Ein Besuch bei dem Biologen Johannes Vogel, dem
Direktor des Berliner Naturkundemuseums, hat mich davon überzeugt, dass es
nicht so einfach ist. Vogel, ausgerechnet, aber natürlich nur aus Zufall
verheiratet mit einer Ururenkelin von Charles Darwin, redete viel über die verschlungenen
Wege der Evolution, die nichts anderes sein können als zufällig. Dann führte er
mich in einen seiner riesigen Säle, schaltete das Licht ein, und ich stand vor
einem Tyrannosaurus Rex und fühlte mich klein. Vogel zeigte auf das gigantische
Skelett. "Wäre nicht ein Himmelskörper auf der Erde eingeschlagen und
hätte den hier ausgerottet, dann würde er wohl heute regieren. Und nicht wir
Säugetiere."
Kein Sieger glaubt an den Zufall, schreibt Nietzsche.
(Die Zeit 29.12.2016 http://www.zeit.de/2017/01/wahrscheinlichkeit-zufall-unberechenbar-fragen/komplettansicht )
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Die Sonne, die aufging und wieder
unterging, atemlos jagt sie zurück an den Ort, wo sie wieder aufgeht
(Prediger 1,5)
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Viel Wissen, viel Ärger, wer das
Können mehrt, der mehrt die Sorge.
(Prediger 1,18)
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Rudolf Bultmann (1966): „Einen
Standpunkt außerhalb Gottes kann es nicht geben, und von Gott lässt sich
deshalb auch nicht in allgemeinen Sätzen, allgemeinen Wahrheiten reden, die
wahr sind ohne Beziehung auf die konkrete, existenzielle Situation des
Redenden.“
(1967) “Der eigentliche Sinn des Mythos ist nicht der, ein objektives Weltbild
zu geben; vielmehr spricht sich in ihm aus, wie sich der Mensch selbst in
seiner Welt versteht; der Mythos will nicht kosmologisch, sondern
anthropologisch – besser: existenzial interpretiert werden“
zur metaphorischen Konstellation religiöser Sprache gehört es, dass sie von
Gott redet in Bildern der Welt. Indem sie von Erfahrungen mit der Welt spricht,
spricht sie eine Erfahrung mit Gott aus. Sie erzählt zum Beispiel von
wachsenden Kornfeldern, um die Hoffnung auf das kommende Reich Gottes zu
begründen... die Welterfahrung hat durchaus Offenbarungsdimensionen ...
Sprachform Metapher: die M. ist kennzeichnend für religiöse Sprache und dazu
geeignet, die Transzendenz zur Sprache zu bringen, ohne die Unsagbarkeit des
Göttlichen anzutasten. Die Grundform der M. besteht aus einem Subjekt, dem
mittels einer Kopula ein bestimmtes Prädikatsnomen beigestellt wird. Die M.
„Die Natur ist ein Tempel“ bringt zwei Größen in einen Zusammenhang, die
eigentlich nicht zusammengehören ... Die M. erschließt oder entdeckt eine
(zusätzliche) Tiefendimension der weltlichen Wirklichkeit ... „Das göttliche
Schaffen von (endgültig) Neuem ist wie die Entstehung von (überraschen) Neuem
(in der Welt)“; ein Stern entsteht aufgrund zufälliger Fluktuationen in Nebeln
aus interstellarem Gas. Das Neue, das hier entsteht, kann nicht aus dem Alten
abgeleitet werden, der neu entstandene Stern ist neu im Sinn eines
unvorhersagbaren Ereignisses, einer Überraschung ... M. nur solange sinnvoll,
als die prinzipielle Differenz zwischen dem geschaffenen (Neuen) und dem
entstandenen Neuen im Bewusstsein bleibt ... das Subjekt der M. ersetzt nicht
das weltliche Verständnis des Prädikats, statt dessen unternimmt es den
Versuch, jenes zu vertiefen ... das tiefere Verstehen, das durch die Metapher
intendiert wird, ist ein angebotenes, kein erzwungenes
Theologie fasst das Prinzip der Schöpfung im Licht eines Wissens um Gott, das
aus der Erfahrung von Tod und Auferweckung Jesu Christi gewonnen wird
zur Theologie gehört die Einsicht, dass ihr Gegenstand in jedem Fall mit dem persönlichen
Lebensvollzug des Menschen unauflöslich verbunden ist;
Naturwissenschaften reden von der Welt unter Absehung von menschlichen
Subjekten, Ausklammerung aller personalen Betroffenheit;
Der Gedanke eines schöpferischen Gottes dient nicht dazu, die Existenz der
Dinge zu erklären. Vielmehr geht es darum, dem menschlichen Staunen darüber
Ausdruck zu geben, dass die Dinge überhaupt sind. ... die Existenz wird nicht
einfach hingenommen, sondern sie wird gewürdigt angesichts des (drohenden)
Nichts ... das Staunen über das Sein der Dinge kommt zustande angesichts der
Verderblichkeit und Verletzlichkeit alles Geschaffenen ... Gleichnisse von den
Vögeln unter dem Himmel und den Lilien auf dem Felde (Matth. 6,26ff): Hinweis:
es gibt (Selbst-)Erhaltung durch Fremdversorgung;
christliche Rede von Gott ist genausowenig zwingend, wie es etwa die Musik von
Mozart ist
(Audretsch/Weder: Kosmologie und Kreativität, Forum Theol. Literaturzeitung,
1999)
·
Genesis: „Die Erde bringe hervor
lebendige Tiere...“; das Lebendige aus dem Anorganischen entstanden, Gott redet
die Erde an, die Geschöpfe sind somit Mittler der Schöpfung;
Der Mensch steht am 6. Tag des ersten Schöpfungsberichts im Zusammenhang mit
den Tieren, (im zweiten wird er aus dem gleichen Material, aus Erde, gemacht;
Tiere sind mögliche Partner des Menschen) – Nähe zur Darwinschen Theorie
(Dürr HP u.a.: Gott, der Mensch und die Wissenschaft, Augsburg 1997, S.76,101)
·
wenn wir Menschen nicht einfach Wesen
sind, die auf Gott reagieren, sondern Kanäle für Gottes Macht und Einfluss,
dann besäße Gott mit ihnen ein möglicherweise bedeutsames Werkzeug in dieser
Welt; mit der Annahme eines freien Willens vereinbar, wenn Gott nur auf
Einladung eingreift und es dem Menschen weiterhin freisteht, ob er den
ANWEISUNGEN GEHORCHT;
eingreifender Gott schwierig? (Gott wird als rational und zuverlässig gedacht
- wie könnte er regelmäßig seine eigenen
Gesetze brechen?);
Gottes Eingreifen über Quantenprozesse? Gott müsste im Regelfall auf viele
Quanten gleichzeitig einwirken, damit merkbar etwas passiert;
Jona-Geschichte (Jona entscheidet sich, Gott NICHT zu gehorchen);
Glaube gehört zur Wirklichkeit mancher Menschen (indem er Wirkungen
hinterlässt), macht sie stärker, besser, freundlicher, liebesfähiger,
glücklicher, weiser, scharfsichtiger, lebensfähiger – hilft zum Leben
(Kitty Ferguson: Gott und die Gesetze des Universums, Econ Düsseldorf 2002,
S.270,280,300,324, 384)
·
Weisheitsbücher – was bei der
unvoreingenommenen Lektüre dieser Seiten der Heiligen Schrift beeindruckt, ist
die Tatsache, dass in diesen Texten nicht nur Israels Glauben enthalten ist,
sondern auch der Reichtum bereits untergegangener Zivilisationen und Kulturen.
Wie nach einem besonderen Plan lassen Ägypten und Mesopotamien wieder ihre
Stimmen hören, und manche Züge der altorientalischen Kulturen werden ... wieder
ins Leben zurückgeholt.;
Nachdem der heilige Text ausgeführt hat, dass der Mensch mit seinem Verstand in
der Lage ist, „den Aufbau der Welt und das Wirken der Elemente, ... den
Kreislauf der Jahre und die Stellung der Sterne, die Natur der Tiere und die
Wildheit der Raubtiere“ zu verstehen (Weisheit 7, 17.19.20)... erklärt er:
„Denn von der Größe und Schönheit der Geschöpfe lässt sich auf ihren Schöpfer
schließen“ (Weisheit 13,5). Es wird also eine erste Stufe der göttlichen
Offenbarung anerkannt, die aus dem wunderbaren „Buch der Natur“ besteht;
(Fides et ratio, Enzyklika von Papst Johannes Paul II. vom 14.9.1998, Bonn,
S.22,24)
·
Geboren von der Jungfrau Maria...
Übertragungsfehler aus der hebräischen Bibel in die griechische (?);
In der alttestamentlichen Verheißung des Jesaja-Buches (Jes. 7,14) ist nämlich
in der hebräischen Bibel davon die Rede, dass eine junge Frau (alma) schwanger
wird und einen Sohn bekommen wird. In der griechischen Bibel der Juden ist
schon vor Christus das Wort alma mit dem griechischen Wort für Jungfrau
übersetzt worden. Von daher hat der Evangelist Lukas die Verheißung des Jesaja
auf Jesus übertragen. Er musste dann notwendigerweise von einer Jungfrau
erzählen, die den Sohn Gottes zur Welt bringt, wie es ähnlich ja auch in
anderen Religionen und Kulturen des Mittelmeerraumes erzählt wird ...
kein Christ an das Mirakel einer Jungfrauengeburt glauben muss, zumal andere
Evangelisten und auch der Apostel Paulus die Jungfrauengeburt Jesu gar nicht
kennen ...
(Gott würfelt nicht – Chaos, Zufall, Wissenschaft, Bad Herrenalb 1993, S.182)
·
aus Hans Jonas, Auslegungen zu Psalm 8
(1984):
Gott, der sich entschied, sich dem Zufall, dem Wagnis und der endlosen
Mannigfaltigkeit des Werdens anheimzugeben, gänzlich das Abenteuer von Raum und
Zeit einzugehen, und nichts – keinerlei Lenkungsgewalt, keine Möglichkeit der
Einmischung in die Gesetze des Weltenlaufes – für sich zurückzubehalten; den
Bedingungen des Werdens lieferte Gott seine Sache aus, begann das evolutionäre
Abenteuer der Sterblichkeit in ahnender Erwartung zu begleiten;
vom Werden der Galaxien bis zum Werden der Pflanzen und Tiere kann vor dem
Erscheinen des Wissens die Sache Gottes nicht fehlgehen;
bis zur Heraufkunft der Menschheit, mit welcher die Unschuld aufhört und das
Bild Gottes in die fragwürdige Verwahrung des Menschen übergeht, um erfüllt,
gerettet oder verdorben zu werden durch das, was er mit sich und der Welt tut;
Gott begleitet diesen Prozess mit angehaltenem Atem, hoffend und werbend, mit
Freude und mit Trauer, mit Befriedigung und Enttäuschung, und macht dies dem
Menschen fühlbar, ohne in die Dynamik des weltlichen Schauplatzes einzugreifen
(Ruf an die Seelen, prophetische Inspiration)
(EZW-Texte 138, S.10f)
·
fremde religiöse Überlieferungen,
konfessionelle Vielfalt des Christentums:
Unterschiede nicht von der hybriden Frage her bewerten, wer die Wahrheit
kennt, sondern als parallele Spuren der einen großen „Wahrnehmungsgeschichte Gottes“
...
können wir in vielen nichtbiblischen religiösen Texten (Sonnenhymnus des
Pharaos Echnaton, Koran-Suren) wichtige und für den Glauben heute hilfreiche
Gottes- und Glaubenserfahrungen finden – und in biblischen Texten vieles, was
Menschen heute eher abstößt, weil es sich auch beim besten Willen mit der
Verkündigung Jesu nicht verbinden lässt. ...
Wahrnehmungen Gottes heute sind von geringerer Bedeutung als diejenigen, die
biblisch überliefert werden (?) ...
Glaubensvorstellungen, die keinen erkennbaren Lebensbezug mehr haben, und
Glaubensvorstellungen, die eine fatale Wirkungsgeschichte ausgelöst haben,
müssen deshalb hinterfragt werden, auch wenn sie biblisch fundiert sind ...
“konstruierte Wirklichkeit“: die Welt, in der wir leben und von der wir als von
einer bekannten Größe reden, entsteht erst in unserem Kopf. Ohne ein so
entstehendes Weltbild, ohne eine Weltansicht (Weltanschauung? JK),
bliebe es bei einer zusammenhanglosen Vielfalt von Einzelwahrnehmungen, gäbe es
keine „Welt“, keinen Sinn. Doch der einzelne Mensch wird in eine bestimmte
„Weltansicht“, in eine seiner Umgebung geläufiges Welt- und Menschenbild,
hineingeboren. ... „Weltansicht als grundlegende Sozialform der Religion“
(Luckmann) ... in diesem Sinn haben alle Menschen – ob mit oder ohne
Religionszugehörigkeit – mit Religion zu tun, und zwar in der Form der
„unsichtbaren Religion“. Sie vermittelt „Wissen von der Welt im umfassenden
Sinne eines letztfundierten Sinnrahmens“. ...
Biblische Texte sind kanonisierte kulturelle Texte. Das heißt: ihr
Wortlaut darf nicht mehr verändert werden. Damit sie in der jeweiligen
gottesdienstlichen Gegenwart überhaupt verstanden werden können, müssen sie
permanent erklärt, also ausgelegt werden. ...
Unser heutiges kulturelles Gedächtnis (z.B. Grundgesetz) beruft sich zu Recht
nicht nur auf die biblischen Texte und Kommentare. Sondern es wird genauso
mitgeprägt durch die schrecklichen Erfahrungen, die die Religionen und
Konfessionen im Umgang miteinander gemacht haben ...
Die Bibel der Christen enthält die Heilige Schrift der Juden ... die Heilige
Schrift der Muslime enthält Überlieferungen mit, die aus den heiligen Schriften
der Juden und Christen stammen ...
zweifeln daran, dass Gott einen Menschen danach beurteilen könnte, ob ein
Mensch in eine christliche oder muslimische oder buddhistische Familie hinein
geboren und dann in deren Glauben erzogen worden ist.... fragen vielmehr, ob
der Glaube ihnen hilft, leben und sterben zu können, und binden Wahrheit an
Lebens- und Sterbeerfahrungen von Menschen. Die meisten Laien sind den
Verfechtern eines geschlossenen Systems Religion weit überlegen, weil sie auf
diesem Lebensbezug des Glaubens bestehen. ...
Predigt: statt primär Schriftauslegung zu sein, müsste sie primär Lebensauslegung sein ...
Dogmen und Bekenntnisschriften versuchen, die „Mitte der Schrift“ zu
formulieren; sind nicht zeitunabhängig (entstanden, als konkrete Fragen
entschieden werden mussten, solche Fragen treten immer neu auf); sind längst
Teil der christlichen Tradition, (auch sie JK) bedürfen der Auslegung und der
theologischen Kritik ...
Jesus sprach aramäisch (galiläische Provinz), schriftliche
Überlieferung (30 Jahre später) in der Weltsprache Griechisch =
Quantensprung! ...
Glaube ist die Individualform von Religion; im Glauben von Individuen geht es
zuerst um das eigene Leben;
(95) Bei Martin Luther finden wir in der Erklärung zum ersten Glaubensartikel
(„Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, Schöpfer des Himmels und der
Erde“) überraschenderweise kein Wort zu der kosmischen Dimension des
Schöpfungswerkes. Die individuelle Beziehung des von Gott geschaffenen Menschen
zu seinem Schöpfer, die sich in der Gabe des eigenen Lebens und in dessen
Bewahrung zeigt, ist das einzige Thema. Aus Dank für diese Gabe ... erklärt sich der Glaubende bereit, Gott
mit seinem Leben zu dienen.
(106f) (In der Bibel zweimal der Bericht von einer Begebenheit:) König David
hat erst durch eine Zählung herausfinden lassen, auf wie viele wehrfähige
Männer er sich würde verlassen können. Weil er damit daran gezweifelt hat, dass
Sieg oder Niederlage einzig von seinem Gott abhängen, werden als Strafe dafür
70.000 Menschen aus dem Volk von einem „Würgeengel“ seines Gottes getötet. Der
ohne Zweifel ältere Bericht von dieser Geschichte (2.Sam.24) sagt, Gott selbst
habe dem David aus Zorn über Israel die Idee zur Zählung eingegeben. Das 1.Buch
der Chronik, das in Kapitel 21 dieselbe Geschichte überliefert, konnte diesen
Punkt theologisch nicht mehr verantworten … Also ersetzt er in seiner Version
Gott als Verursacher und schreibt: „Und Satan trat auf wider Israel und reizte
David, Israel zählen zu lassen.“
Wie das Leben, das Menschen in ihren Lebensbeziehungen haben, gut gelebt
und gegen seine Gefährdungen geschützt, also bewahrt werden kann, das
sagt und vermittelt Religion. ...
Albert Schweitzer: „Gut ist Leben erhalten und Leben fördern; schlecht ist
Leben schädigen und zerstören.“ ...
Religionsinterner Pluralismus meint das Nebeneinander unterschiedlicher
Gottesbilder (einschließlich ihrer differenten Taten und Wesenszüge) und
Gottesnamen inmitten ein und derselben Religionsgemeinschaft. ...
(109) Es ist ausgeschlossen, dass sich der historische Jesus in der
Christologie des Johannesevangeliums wiedererkannt hätte. ...
Die Trinität sagt, dass Gott in der Begegnung mit den Menschen seine Gestalt
ändern kann. ...
das Dogma vom trinitarischen Gott, in dessen Mitte der Gott-Mensch Jesus
Christus steht, können Juden und Muslime nicht akzeptieren. Denn im Zentrum
ihrer Gottesvorstellung steht der Monotheismus eines ganz und gar jenseitigen
Gottes. Dass die Christen am Nebeneinander der vier Evangelien und der beiden
Teile des biblischen Kanons festhalten, bedeutet deshalb heute wie in der
frühen Christenheit ein ausdrückliches „Bekenntnis zur Pluralität“. ...
dass der in der empirischen Vielfalt sich ausdrückende Pluralismus zur
Selbstoffenbarung Gottes in der Kulturgeschichte der Menschheit hinzugehört ...
Judentum, Christentum und Islam haben zur Zeit immer noch unvereinbare
Gottesvorstellungen ...
größerer Überlieferungszusammenhang: die universale Wahrnehmungsgeschichte
Gottes ...
an anderem Ort und zu anderer Zeit lässt sich das Wahrnehmungsoriginal so, wie
es zustande gekommen ist, nicht mehr reproduzieren ...
“Texte“ sind „Gewebe“; In ihnen sind alte Begegnungen und daraus
resultierende Wahrnehmungen, aber eben
auch immer neue Spuren der auf die Autoren bezogenen Erinnerungsarbeit
ineinander verwoben ...
(130) “jungfräuliche Empfängnis“;
Es geht nicht um ein biologisches Mirakel. Jesus hat natürliche Eltern gehabt
wie wir. (Joh 6,42: Ist das nicht Jesus, der Sohn Josefs, dessen Vater und
Mutter wir kennen?); benutzt damals bekannten mythischen Stoff der göttlichen
Zeugung von Götterkindern, Königen, Heroen und Philosophen – hiermit soll
ausgedrückt werden, „wes Geistes Kind“ das Menschenkind Jesus ist; das
Markusevangelium kennt keine Vorgeburts- und Geburtsgeschichte Jesu, nur seine Taufe
...
In allen schriftlichen Erinnerungen an den Auferstandenen ist es so, dass
Menschen eine ihnen begegnende menschliche Gestalt wahrnehmen, die sie aber von
ihrem Äußeren her nicht mit dem irdischen Jesus ... identifizieren können
(Gärtner, Fremder) ... erst durch Erinnerung an Bekanntes wird er erkannt (mit
Namen ansprechen, Wundmale, Abendmahlsgebet) ... Auferstehungsglaube literarisch
„rückwärts“ gewachsen: die durch den Geist bestehende Beziehung zu Jesus
besteht nach seinem Tode (verändert) fort, das leere Grab, der Leichnam Jesu
sind „blinde Flecken“ (dazu gibt es keine „Bilder“ wie beim blinden Fleck im
Auge), das Fehlende wird ergänzt ...
Zeugnisse der Begegnung von Menschen mit Jesus sind trotzdem authentische
Erinnerungsgestalten, die im Prozess des „Hörensagens“ entstanden sind, ...
Kein biblischer Text ist kodifiziertes „Wort Gottes“. ...
(140) „So sagt Gott“ ist jedenfalls sowohl auf der Kanzel als auch in
theologischen Dokumenten von Kirchen ein anfechtbarer Satz. Nur wer sich als
Prophet verstünde und sich auf eine ihm persönlich geltende Offenbarung berufen
könnte, dürfte so reden.
Begegnungen mit Gott und ihre Wahrnehmung (Gotteserfahrungen) liegen vor jeder
schriftlichen Überlieferung. Für diese Gotteserfahrungen haben wir Menschen
keine besonderen Organe. Wir nehmen sie wahr und erinnern uns an sie wie an
alles andere im Leben auch. ... Wird eine Wahrnehmung Gottes schriftlich
dokumentiert ... alle heiligen Schriften sind sekundäre Erinnerungsgestalten
Gottes ... bei Übersetzungen fällt die
Überschreibung der älteren Gedächtnisspuren aufgrund des kulturellen Wechsels
umso gravierender aus. ... Nicht nur kulturelle und religiöse Vorprägungen,
sondern auch persönliche und kollektive Erwartungen an Gott gestalten die
Gotteswahrnehmung und ihre späteren Erinnerungsgestalten mit. ...
“Das war eine Offenbarung (für mich)“ ... wörtlich: ein Tun, bei dem etwas
offen gelegt wird
(155) Jede Religion pflegt eine besondere Gedächtnisspur im Rahmen der
universalen Wahrnehmungsgeschichte Gottes. Aber Gott hat sich auch außerhalb
der jeweils eigenen Überlieferungsgeschichte wahrnehmen lassen ... keine
Religion kann deshalb mit bzw. in ihren Überlieferungen die universale
Wahrnehmungsgeschichte Gottes wiedergeben. ...
Religiöse Texte können deshalb weder so angesehen werden, als fassten sie Gott
zeit- und kulturunabhängig, noch als fassten sie Gott überhaupt. ...
(156) Der vielgeschmähte Synkretismus, das Einschmelzen von Überlieferungen aus
unterschiedlichen Religionen, ist ebenfalls positiv zu bewerten – als ein
Zeichen der Vitalität des Christentums (haben die Gestalt des Christentums
kräftig mitbestimmt und dafür gesorgt, dass das Christentum sich in ihm
ursprünglich fremde kulturelle Regionen ausbreiten konnte) ...
Dazu zwingt im Grunde schon der Glaube, dass Gott der Schöpfer aller Menschen
ist.
Religionen sind „Modelle ..., an denen der Mensch versucht, sich selbst und die
Welt zu deuten. Modelle sind nicht die Wirklichkeit. ... Wenn sich die
Weltsicht ändert, sollten auch die Religionen den Mut haben, neue Modelle zu
kreieren oder die alten neu zu interpretieren ...“
Entwurf riskieren, der ernst damit macht, dass Jesus Christus die
Gottesvorstellungen der Vergangenheit als neuer Gott abgelöst hat ...
Gottes neues Gesicht wahrzunehmen: er hat die Gewalt gegen Jesus nicht wieder
mit Gewalt verhindert, weil er ihr selbst abgeschworen hat (Mt 26,53) ... das
ist in der Tat ein neuer Gott. ...
so viel muss möglich werden: dass nicht nur der Konfessions-, sondern auch der
Religionswechsel mit Respekt begleitet werden wird ...
Jede Antwort bleibt nur als Antwort in Kraft, solange sie im Fragen verwurzelt
ist. In der Bibel sind in großer Variation Antworten auf Fragen gegeben worden,
die sich damals gestellt haben. ... Das große Problem des Kanons ist, dass er
viele der uns heute umtreibenden Fragen gar nicht oder
nur höchst mittelbar zu beantworten vermag, weil es sie damals noch gar nicht
gab. Zu sagen, die Bibel habe alle Fragen der Menschheit beantwortet, ist
ungeschichtlich und lieblos gegenüber den heute lebenden Menschen. ...
(186) Die Einsicht, dass Dogmen zeitbedingte Antworten auf zeitbedingte Fragen
gegeben haben und daher notwendig vorläufige Aussagen sind ...
(191) [ein Gott, der ungerecht ist, in Betrügereien verstrickt (Hagar und
Ismael, Esau und Jakob) widerspricht den Vorstellungen vieler Menschen heute
von ihrem Gott; antijüdische Passagen im NT; Unterordnung der Frau; Verwerfung
von Heiden und Juden; Fremdenhass = solche Textstellen „einklammern“; es muss
gefragt werden, ob diese Überlieferungen auch heute Bestandteil des
christlichen Glaubens und der Theologie sein müssen] ...
Gottes Liebe gilt der „Welt“ (Joh 3,16), wobei das griechische Wort kosmos, das
für „Welt“ steht, keinesfalls nur die gläubige Menschheit meint. ...
So vielfältig biblisch und außerbiblisch belegt Erwählungsvorstellungen auch
sind, von der unbegrenzten Liebe Gottes kann man nur glauben, dass sie (allen
Menschen gilt und) die ganze Schöpfung meint. ...
(215) Theißen formuliert den Gedanken, dass „die Verminderung des
Selektionsdrucks das heimliche Programm aller Kultur“ sei.
(220) (1. Mose 1,26ff:) „Und Gott sprach: Lasset uns Menschen* machen nach unserem
Bilde, uns ähnlich; die sollen herrschen ... Und Gott schuf die Menschen nach
seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes (älohim) schuf er sie; und schuf sie (pl.)
als Mann und Frau. ...“ [* Das im Hebräischen verwendete Wort adam ist
hier ein Kollektivum und bedeutet so viel wie „Menschheit“. Es wird nie im
Plural gebraucht und bezeichnet die Menschheit ...; adam kann aber auch
den einzelnen Menschen und den Mann bezeichnen] ... Anschluss 1. Mose 5,1-3:
„Als Gott die Menschen schuf, machte er sie Gott ähnlich; als Mann und Frau
schuf er sie. Und er segnete sie und gab ihnen den Namen Adam, ... Als Adam 130
Jahre alt war, zeugte er einen Sohn, ihm selbst ähnlich, nach seinem Bilde; den
hieß er Seth.“ [das Wort für „Bild“ ist dasselbe] ...
Paulus wandelt die Vorstellung von der Gottebenbildlichkeit entscheidend um
(1.Kor. 11,7): P. bezeichnet ganz traditionell (nur!) den Mann als Gottes Bild
und die Frau als des Mannes Bild ...
(226) dass – zumindest nach 1.Mose,5,1-3 – die Menschen zugleich als nach
Gottes Bild geschaffen und nach dem Bild des jeweiligen menschlichen Vaters
gezeugt verstanden werden können
im Hebräischen bedeutet 1000 dasselbe wie „ewig“ ...
jüdische Könige werden bei ihrer Inthronisation von Gott adoptiert (Psalm 2,7;
Gottes Sohn) ...
Menschenebenbildlichkeit Gottes; Menschen nehmen das Göttliche mit ihren
Möglichkeiten wahr (sehen, hören, gelegentlich be-fühlen) ...
Sprache der Bilder neben der Wort-Sprache ...
Schöpfung Gen 1 als Beziehungsnetz; Scheidung schafft auch jeweils
unmittelbares Gegenüber ...
Hebammen, die die Neugeborenen in dieses Leben „heben“, nennen diese Phase am
Eingang ins Leben „Austreibung“; ... ist die Austreibung die Vertreibung ins
Leben und zum Leben; ... Mit der im biblischen Mythos erzählten Vertreibung aus
dem Paradies durchschneidet der Schöpfer die während der Paradieszeit noch
nicht gekappte Nabelschnur zum Geschöpf Mensch, damit dieser nun selbständig
leben kann. ...
dass zu diesem Fortgang der Schöpfung – es geht um mehr als nur ihre Erhaltung!
– auch das Sterben hinzugehört, und zwar von Anfang an. ...
von den Vorstellungen von einem Schöpfer verabschieden, von dem kein Theologe
je hat einleuchtend machen können, wieso die Schöpfung „sehr gut“ gewesen sei
und dennoch im Menschen die todbringende Sünde lauere, von der wir dann erlöst
werden müssten. ...
(275) (Verständnis von Tod als Strafe nach dem)
der Gedanke setzt einen Gott voraus, der die ganze Menschheit in Haftung nimmt
dafür, dass die ersten Menschen einen
göttlichen Befehl missachtet haben.
(277) Mit der Vorstellung vom Tod als der „Sünde Sold“ wird dem Ungehorsam der
Menschen die Macht zugesprochen, Gottes Schöpfung verändert zu haben
Bischof Wolfgang Huber (auf der Synode Berlin-Brandenburg 23.4.04): „Ich
persönlich habe die Vorstellung, Gott sei auf ein Menschenopfer angewiesen, um
den Menschen sein Heil zuteil werden zu lassen, mit meinem Glauben an Gottes
Güte nie vereinbaren können.“ ...
(333) Theodizeefrage … Warum lässt Gott das zu? … die neuen Fragen heißen: Wie
lange werden wir das Leiden der Armen
noch zulassen? (Wann stehen wir an der Seite der leidenden Kreatur JK)?
(358) Alle Götter sind aus vorhergehenden Göttern hervorgegangen. Genauer
gesagt heißt das: alle Götter sind neue Wahrnehmungsgestalten des früher anders
wahrgenommenen Gottes. Doch sie enthalten, um als Götter erkennbar zu sein,
wichtige Wesenszüge ihrer Vorgänger. ... auch der jüdische Gott Jahwe ist
genauso wenig wie der am Ostermorgen aus dem Tod erstandene Gott der Christen,
Jesus Christus, als Deus ex machina auf der Bühne der Religionsgeschichte
erschienen, sondern hervorgegangen aus Vorläufern. Dazu gehören bei Jesus
Christus sowohl jüdische Messias-Vorstellungen als auch griechische
Vorstellungen vom therapeutischen Heiland Asklepios, ägyptische Vorstellungen
vom getöteten und auferstandenen Gott Osiris sowie vom mythischen Sänger
Orpheus. ...
(361) Jeder Wandel der Gottesvorstellungen schließt notwendige Abschiede ein.
Trotzdem ist es sinnvoll, eine Bibel zu haben, in der alte
Wahrnehmungsgestalten Gottes überliefert werden, an die niemand mehr glaubt.
Ich denke an Vorstellungen von Gott als gewalttätigem Kriegsherr und
Schutzgott, ...
Die Bibel ist für uns Heutige über weite Strecken hin Teil des religiösen
Gedächtnisses der Menschheit. Als solche aber bindet sie uns nicht im
Glauben, sondern hat sie eine reine Bildungsfunktion. ...
(Klaus-Peter Jörns: Notwendige Abschiede – Auf dem Weg zu einem glaubwürdigen
Christentum, Gütersloh 2004, S.14, 24, 26, 30, 39, 59, 62, 75f, 83, 85, 94f,
96, 106, 109, 110, 111, 114, 118, 124, 129, 130, 132, 140, 141, 155f, 169,
179f, 184, 186, 191, 198, 202, 218+220+222, 224, 230, 231, 232, 243, 269, 270,
282, 328, 358, 361)
·
(123) Gott ist in diesem Universum,
und dieses Universum ist in Gott!;
Gottes Unermesslichkeit umgreift den Raum, sie ist nicht lokalisierbar. Er ist
überall gegenwärtig, omnipraesens:
Gott ist weltimmanent: Von innen durchdringt er den Kosmos und wirkt auf ihn.
Zugleich partizipiert er an seinem Geschick, hat Anteil an seinen Prozessen und
Leiden.
Und zugleich ist Gott welttranszendent ... Unendlichkeit ... allumfassende
transempirische Beziehungswirklichkeit; ...
Er greift auch nicht aus einem übergeschichtlichen Bereich mirakulös in die
Geschichte ein. Er ist kein Zauberer, der Tricks anwendet. ...
Gott als Person ...
je nach der konkreten Situation eines Einzelnen oder einer Gemeinschaft wird
der Mensch mehr personale oder apersonale Begriffe oder Methaphern brauchen ...
Apersonale Bilder (Meer, Horizont, Sonne) können unter Umständen von Gott
ebenso viel aussagen wie personale, anthropomorphe (Vater, Mutter);
(133) Der erste biblische Schöpfungsbericht betont:
- die Transzendenz Gottes: Gott, über die Welt erhaben, erschafft die Welt
allein durch das Wort. Die Sterne sind nicht Manifestationen des Göttlichen,
sondern geschaffene Himmelslampen.
- die Würde des Menschen: Der Mensch ist nicht zum Diener der Götter
geschaffen, sondern als Ebenbild Gottes; als sein Treuhänder und nicht als
Tyrann und Ausbeuter ist er der übrigen Schöpfung übergeordnet.
- die Ordnung und Einheit der Schöpfung: Diese unterscheidet sich als Kosmos
vom Chaos, sie ist ein wohlgeordnetes, strukturiertes, harmonisches Ganzes mit
zahlreichen wechselseitigen Abhängigkeiten ...
Die Priesterschrift berichtet von keiner Schöpfung aus dem Nichts, sondern von
einer Schöpfung der Ordnung aus dem Chaos.;
(134) zweiter Schöpfungsbericht ... konzentriert sich .... auf die Erschaffung
des ersten Menschenpaares ... Nicht wie Gott Mann und Frau geschaffen hat,
sondern was Mann und Frau sind – mit Geist und Leib Gottes Ebenbild und die
Frau wesensgleiche Helferin des Mannes;
(135f) Weder Christen noch Juden müssen freilich glauben, dass die Bibel als
Gottes direktes Wort vom „Himmel“ verkündet wurde – wie dies von Muslimen in
Bezug auf den Koran erwartet wird: Dieser ist, jedenfalls nach traditionellem
islamischem Verständnis, wortwörtlich für die Menschen diktiert und deshalb
Satz für Satz unfehlbar wahr. Die Bibel aber versteht sich selber als
Gotteswort im Menschenwort. Denn sie lässt überall erkennen, dass sie Satz für
Satz von Menschen gesammelt, niedergeschrieben, bearbeitet und in verschiedenen
Richtungen weitergeführt wurde. Als Menschenwerk ist sie deshalb nicht ohne
Mängel und Widersprüche, Verhüllungen und Vermischungen, Beschränktheiten und
Irrtümer. Jedenfalls eine höchst vielfältige Sammlung von deutlichen und
weniger deutlichen, stärkeren und schwächeren, ursprünglichen und abgeleiteten
Zeugnissen des Glaubens. Dieser historische Charakter der Schriften ermöglicht
nicht nur Bibelkritik, sondern er erfordert sie geradezu. ...
Die Bibel ist also nicht nur einfach Gottes Offenbarung, sondern menschliches
Zeugnis von ihr – in einer Sprache von Bildern und Gleichnissen ... Metaphern
und Analogien, die dem Bereich menschlicher Tätigkeiten entnommen sind ...;
(172f) Wunder als Durchbrechung von Naturgesetzen lassen sich in der Bibel
historisch nicht nachweisen ... es geht in der Bibel bei ihren
Wundererzählungen ohnehin nicht primär um das erzählte Geschehen selbst,
sondern um die Deutung des Erzählten, nicht so sehr um die Aussageform als um
den Aussageinhalt. ...
Wunder stehen demnach in der Bibel als Metaphern, so wie in der Poesie
Metaphern auch nicht die Naturgesetze aushebeln wollen. ...
verkünden einen Gott, der sich „einmischt“, engagiert;
(177) John Polkinghorne:
“Das tatsächliche Gleichgewicht zwischen Zufall und Notwendigkeit, Kontingenz
und Möglichkeit, das wir wahrnehmen, scheint mir mit dem Willen eines
geduldigen und subtilen Schöpfers übereinzustimmen, der zufrieden damit ist,
seine Ziele zu verfolgen, indem er den Prozess initiiert und dabei ein Maß an
Verletzlichkeit und Unsicherheit akzeptiert, das das Geschenk der Freiheit
durch Liebe immer kennzeichnet.“;
(223) Die Bibel spricht ... keine naturwissenschaftliche Faktensprache, sondern
eine metaphorische Bildersprache;
Bilder sind nicht wörtlich zu nehmen; sonst wird der Glaube zum Aberglauben.;
Bilder sind aber auch nicht abzulehnen, nur weil sie Bilder sind; sonst
verkommt die Vernunft zum Rationalismus.;
Bilder dürfen nicht eliminiert oder auf abstrakte Begriffe reduziert werden,
sondern sind richtig zu verstehen: Sie haben ihre eigene Vernunft, stellen
Realität mit ihrer eigenen Logik dar, wollen die Tiefendimensionen, den
Sinnzusammenhang der Wirklichkeit aufschließen. Es gilt also, die von ihnen
gemeinte Sache neu aus dem Verstehens- und Vorstellungsrahmen von damals in den
von heute zu übersetzen.;
(Hans Küng: Der Anfang aller Dinge, Naturwissenschaft und Religion, München
2005)
·
(304) Hermeneutik (vom Götterboten
Hermes abgeleitet):
Man versteht darunter die Deutung eines
Texts aus ihm allein heraus, wobei man davon ausgeht, dass in ihm Informationen
verborgen sind, die der Schreiber nicht explizit erwähnt hat, unter anderem
deshalb, weil sie zu seiner Zeit und in seinem Lebensrahmen selbstverständlich
waren.;
jeder Leser eines Textes (jeder Betrachter einer visuellen Szene) bringt (s)ein
Vorverständnis mit, (bringt sich selbst mit ein JK);
(305) dass es in der Biologie – folglich im Gehirn – nicht nur kausale Faktoren
gibt, die von einer geeigneten Biophysik verstanden und geklärt werden können,
sondern auch historische Einflüsse und Auswirkungen, die nach einer
hermeneutischen Erörterung verlangen.
(Ernst Peter Fischer: Die Bildung des Menschen - was die Naturwissenschaften über uns wissen;
Ullstein Berlin 2006)
·
(97) Gott im Werden der Welt
(Schöpfungstheologie);
(99) Der Gottesglaube muss sich im Angesicht der Naturwissenschaft heute
insbesondere mit der These theologisch auseinandersetzen, dass in der atomaren,
biologischen und schließlich intellektuellen Evolution während der letzten –
vermutlich – 15 Milliarden Jahre seit dem Beginn des Kosmos immer Neues
fortgesetzt entstand. Dass also die Vorstellung einer einmaligen
Schöpfung, die es im engeren Sinn zu bewahren gilt, nicht tragfähig ist. ...
(101) Aus der Sicht der langen evolutiven Geschichte des Lebens wird es
zwingend sein, das statische Verständnis von Schöpfung bis in die Grundlage
hinein zu einem dynamischen Schöpfungsverständnis fortzuentwickeln. Dabei wird
man auf die verdrängte Sicht einer „creatio continua“, einer Schöpfung, die
noch heute weitergeht, zurückgreifen können. Schöpfung ist heute noch:
Evolution ist mit dem Schöpfungsakt identisch, auch wenn wir die
Entwicklungsgeschichte der belebten und unbelebten Natur als zeitliches
Nacheinander zu denken gewöhnt sind. ...
(102) Damit liegt das Problem auf dem Tisch, Gott auch in der Evolution,
im Gesamtprozess zu denken, wobei die Formulierung des katholischen Theologen
Teilhard de Chardin von der „Schöpfung im Werden“ das Nachdenken zunehmend
wieder bestimmt. ... „Für unsere geöffneten Augen ist das Universum in Zukunft
nicht mehr eine Ordnung, sondern ein Prozess“, hat Teilhard erklärt. ...
(103) Neuerdings hat es Jürgen Moltmann gewagt, das für evangelische Ohren
Undenkbare anzusprechen und auf folgende Formel zu bringen: „Gott schafft die
Welt und geht zugleich in sie ein.“ Gott also präsent in der Welt, nicht
nur im glaubenden, geistlichen Menschen, nicht nur in der christlichen
Gemeinde, sondern im offenen Prozess der Evolution, die noch nicht vollendet
ist. Heute gelte es, auf die ursprüngliche biblische Wahrheit zurückzukommen:
„Gott der Schöpfer von Himmel und Erde ist in jedem seiner Geschöpfe und in ihrer
Schöpfungsgemeinschaft durch seinen kosmischen Geist gegenwärtig.“ .... Nein, sagt Moltmann, dies sein nicht der gefürchtete
„Pantheismus“, sondern eher ein „Panentheismus“. ... „Wer den Namen
Gottes kennt, der entdeckt die Weisheit und die Schönheit Gottes in allen
seinen Werken ... Die wahre, natürliche Theologie ist nichts anderes als ein
Wiedererkennen des Gottes, der sich geoffenbart hat und dem man glaubt.“ ...
(128ff) Ditfurth: Zu den unberechtigten Gefühlen einer objektiven Gegnerschaft
zwischen einer naturwissenschaftlichen und einer religiösen Betrachtung der
Welt gehört als typische Konsequenz die von den meisten Menschen gar nicht
reflektierte Meinung, dass man gleichzeitig in zwei verschiedenen Welten lebt.
Da ist einmal die Welt, in der wir als körperlicher Organismus funktionieren,
gesund oder krank, leistungsfähig oder behandlungsbedürftig, da ist die Welt
der Technik, der Autos und Haushaltsgeräte; da ist die Welt, in der die
Physiker immer wieder erstaunliche Entdeckungen machen, die Strukturen des
Kosmos beschreiben, schwarze Löcher, Quasare usw. Und dann gibt es für viele
Menschen, solange sie gläubig sind oder zumindest trotz allem am Glauben
festhalten wollen, trotz aller in ihren Augen unabweisbaren
naturwissenschaftlichen Kritik als Refugium eine Welt, die als göttliche
Schöpfung zu betrachten ist. Diese Welt stellt sich dann als eine ganz andere,
eine zweite Welt dar, ... eine merkwürdige Form existenzieller Schizophrenie.
...
Insofern müsste von Schöpfung heute als einer werdenden, einem immer noch
werdenden Prozess gesprochen werden. Schöpfung als Evolution ... einer meiner
zentralen Vorschläge ... auf den ich zu meiner Enttäuschung von der
theologischen Seite ... keine Reaktion gehört habe. Dass nämlich dieser ganze
Kosmos und die Geschichte dieses Kosmos nichts anderes ist als der Augenblick der Schöpfung. Dass wir
von innen in diesem Kosmos und als Teil von ihm die Schöpfung miterleben, die
für unseren evolutiv beschränkten Horizont und unseren begrenzten Zeitmaßstab
vor vielen Milliarden Jahren begonnen hat ... dass das alles von einem
jenseitigen Zeiterleben aus – populär unter dem Aspekt der Ewigkeit – der
Augenblick ist, in dem die Schöpfung sich vollendet ... Wir sind die
Neandertaler der Zukunft. Ich glaube, dass wir in der Geschichte dieses Kosmos
ganz unvermeidlich auch Übergangsphänomene sind, wie es frühere uns
vorangegangene Lebensformen, unsere biologischen Vorläufer, auch gewesen sind
...
Gott wird diese Welt ihrer Vollendung entgegenführen, ob mit uns oder ohne uns,
und wir sind dafür verantwortlich, ob es mit uns oder ohne uns stattfindet ...
Ich komme auf diesem Weg mit Sicherheit nicht bis zum persönlichen Gott, an den
die Christen glauben ... Aber ich komme zu der Aussage, dass das Werden der
Welt, dass die innovativen Prozesse in dieser Welt, deren Ursache wir nie
verstehen werden, stets von Strukturen geringerer Ordnung zu Strukturen immer
höherer Ordnung verlaufen. Ich komme bis hin zu der Aussage, dass dieser
Prozess, die Eigenschaften der Materie, die den Prozess anstoßen und
ermöglichen, dass die Gesetze, die ihn steuern, dass die Tatsache, dass
überhaupt dieses ganze sonderbare und wunderbare Gebilde existiert, dass das
etwas ist, was mit naturwissenschaftlichen Mitteln nicht mehr erklärt werden
kann. Dies ist die größte Annäherung, die ich zu dem Begriff Gott auf dem
naturwissenschaftlichen Wege sehe. Dann beginnt der legitime Raum der
Theologie.
(Wolf-Rüdiger Schmidt: Leben ist mehr, GTB Sachbuch 957, Gütersloh 1988)
·
(107ff) Tod
Eine positive Aufnahme findet der Tod im hohen Alter. Er beendet ein erfülltes
Leben. So berichtet Gen.25,8: „Abraham starb in gutem
Greisenalter, alt und satt an Tagen, und wurde zu seinen Stammesgenossen
versammelt.“
Das ist der Tod, den der Mensch sterben darf, nicht der, den er sterben muss.
Auch Isaak, David und Hiob sterben „lebenssatt“. ... satt meint nicht den
Überdrüssigen, sondern den Befriedigten.;
Nicht einmal in der Heilszeit fehlt das endliche Sterben, Jes. 65,16ff: „denn
schon erschaffe ich einen neuen Himmel und eine neue Erde ... wer als
hundertjähriger stirbt, gilt noch als jung ...“;
Das Alte Testament erinnert daran, dass ein lebenssattes Sterben zur
Geschöpflichkeit des Menschen gehört. Schon in der Paradiesgeschichte des
Jahwisten in Gen. 2-3 ist die feine Unterscheidung von verschuldetem Tod und
geschöpflichem Tod zu bemerken. Die in Gen 2,17 für den Griff nach dem
Erkenntnisbaum angedrohte Todesstrafe wird, obwohl sie durch das Gespräch mit
der Schlange und den Genuss der verbotenen Frucht verwirkt wird, nicht durchgeführt,
sondern in die Verfügung eines mühevollen Lebens verwandelt. Der endlich
eintretende Tod jedoch wird ausdrücklich mit der Erinnerung an die Erschaffung
des Menschen erklärt Gen 3,19: „... bis du zur Ackererde zurückkehrst, denn von
ihr bist du genommen ... denn Staub bist du, und zum Staube kehrst du zurück.“
Dabei wird genau auf den Wortlaut der Erzählung von der Erschaffung des
Menschen aus Staub von der Ackererde in Gen 2,7 Bezug genommen und gar nicht
auf die Verfügung der Todesstrafe in Gen 2,17. Nachträglich wird in Gen 3,22
eingeschärft, dass „auf Dauer leben“ nicht Sache des Menschen, sondern Sache
Gottes ist, und dass es dem Menschen deshalb auch nicht als Anmaßung und Raub
zufallen soll; darum wird ihm mit der Vertreibung aus dem garten der Zugang zum
Baum des Lebens verwehrt. So hat der Jahwist den Menschen als sterbliches
Geschöpf aus Staub gesehen.
(Hans Walter Wolf: Anthropologie des Alten Testaments, EVA Berlin 1977)
·
(15) (erste Berufe)
Gen.4,2 Abel ward ein Hirt, Kain aber ein Ackerbauer;
17b Henoch Erbauer einer Stadt;
20b der Vater aller, die in Zelten und bei Herden wohnen;
21 die Zither und Schalmei handhaben;
22 die Erz und Eisen schmieden;
Gen 10,9 ein gewaltiger Jäger
9,20 Noah begann Weinberge zu pflanzen
(27) dass das christliche Bekenntnis zu Gott dem Schöpfer zunächst einmal eine
den Christen mit vielen anderen Menschen auf der Erde und in allen Phasen der
uns bekannten Menschheitsgeschichte verbindende Funktion hat ...
(34) (zwei Traditionsstränge: Erschaffung der Welt und Erschaffung des
Menschen)
Erschaffung des Ganzen in Gen.1, Erschaffung des Einzelnen, des Menschen, in
Gen.2;
bei P ist in Gen1, 26-31 die vom Vorangehenden abweichende Darstellung der
Menschenschöpfung noch zu erkennen;
Von den Schöpfungspsalmen kommen manche, wie 104, von der Weltschöpfung,
andere, wie Ps8, von der Menschenschöpfung her;
Es ist kein Zufall, dass im Apostolikum nur vom Weltschöpfer die Rede ist
(„Schöpfer des Himmels und der Erde“), dagegen Luther in der Erklärung des
Kleinen Katechismus das Gewicht ganz auf die Menschenschöpfung verlegt: „Ich
glaube, dass mich Gott geschaffen hat ...“;
(35) Dass Menschen einen Gott als Schöpfer anrufen, dass sie vom Schöpfungswerk
eines Gottes berichten, dass sie einen Schöpfer preisen, ist in Israel nicht
eine neue Möglichkeit; hierin gehört Israel zusammen mit den Menschen in vielen
Völkern, in vielen Religionen, in einer langen Reihe von Generationen, die alle
so geredet und gedacht haben.;
(36) (aber in Israel ist) Geschaffensein von vornherein das von allem
Göttlichen Unterscheidende (in anderen Kulturen können auch Götter geschaffen
werden);
Wenn in Gen1,24 das Schema der Schöpfungswerke durch den Satz unterbrochen
wird: „Die Erde bringe hervor ...“, so wird hier die Entstehung von der
Schöpfung gewissermaßen umfangen ... eine andere Nachwirkung in Psalm 139,15,
in dem noch die Entstehung des Menschen aus dem Mutterschoß der Erde
nachklingt;
(45) von Jahwe besiegtes Chaosungeheuer:
6x Rahab, 4x Leviathan, 1 x Behemot, 6 x Meeresdrache, 3 x Übeltäter;
(49) Ägypten: „Er hat die Luft erschaffen, damit ihre Nasen leben können. Seine
Ebenbilder sind sie, aus seinem Leibe hervorgegangen.“
Vorstellung der Menschenschöpfung als Formen aus Ton, in Ägypten: auf der
Töpferscheibe;
(50) sumerischer Mythos, Schöpfergott Enki: „Er nahm einen Klumpen Erde und
sprach zu sich selbst: Ich will einen Menschen machen ...“
(58) Was von Gottes Schaffen in Gen 1-3 gesagt ist, bleibt in eigentümlicher
Weise auf die Urgeschichte begrenzt. Während die Taten Gottes in der Geschichte,
etwa die Rettung aus Ägypten, durch Jahrhunderte weitergegeben werden und immer
wieder in den verschiedensten Zusammenhängen auftauchen, sind weder Gen 1 noch
Gen 2f Ausgangspunkt einer Traditionsgeschichte. Wenn in der christlichen
Tradition gerade die Lehre von der Gottebenbildlichkeit des Menschen aus Gen 1
oder die Lehre vom Sündenfall aus Gen 2 eine überragende Rolle spielen, so
fehlt etwas Entsprechendes im Alten Testament ganz ... Hierin muss die später
verlorengegangene Erkenntnis nachwirken, dass das Schöpfungsgeschehen
Urgeschichte ist und nicht Anfang der Geschichte. Von daher kommt die Tatsache,
dass bei P der Schöpfergott einen anderen Namen hat als den, den er beim Beginn
seines Wirkens in der Geschichte offenbart ;
(59) Es gibt im Alten Testament keine einzige Stelle, an der die Schöpfung oder
der Schöpfer in einen direkten Zusammenhang mit dem Glaubensbegriff gebracht
würde. Eine Verbindung wie „glauben an den Schöpfer“ oder gar
„Schöpfungsglaube“ ist für die Sprache des AT nicht möglich.;
“Der Begriff „Glauben an Gott, den Schöpfer“ setzt die Möglichkeit einer
Alternative voraus, also die Möglichkeit des Nicht-Glaubens. Diese Alternative
gibt es für die Menschen des AT noch nicht...;
(69) WWundt: „Die Weltuntergangssage (auch die Flutmythen) bildet das
mythologische Komplement zur Weltschöpfungssage“;
das Verhältnis dieser beiden Erzählungen zueinander nicht primär in einem
zeitlichen Nacheinander, sondern eben komplementär zu sehen;
(70) häufig gehört zu den Flutgeschichten der Zug, dass von den aus der Flut
Geretteten alle Menschen abstammen;
dass es im polytheistischen Bereich immer der Schöpfergott ist, der den
Beschluss zur Vernichtung der von ihm geschaffenen Menschheit fasst;
(72f) die Erschaffung der Menschen lässt die Möglichkeit ihrer Vernichtung
offen ...
Es geht in der Katastrophe der Flut um das Ganze wie es in der Schöpfung um das
Ganze geht;
(73; 84) Jahwist schildert positive Möglichkeiten des Menschen, seine
Errungenschaften, aber auch die erschreckenden Möglichkeiten, die dem Menschen
in seiner Freiheit, gegen seinen Schöpfer zu handeln, gegeben ist;
das Dasein der Menschheit in der Urzeit ist nicht nur von Freveln und
Grenzüberschreitungen, sondern auch von Fortschritten im Bewältigen ihrer
Aufgabe bestimmt;
alle Kulturgüter sind für die biblische Urgeschichte menschliche
Errungenschaften;
(85) der Mensch ist nicht zum Bedienen der Götter geschaffen, sondern zum
Beherrschen, Bebauen und Bewahren der Erde;
(85) dem Menschen wird in Gen 2f trotz seines Ungehorsams und dessen Bestrafung
das Leben und damit die Lebenskraft gelassen, der Acker und dessen
Fruchtbarkeit; das Beherrschen der Tiere wird nicht rückgängig gemacht, auch
nicht die Fruchtbarkeit des Leibes. Das alles ist im Verständnis des J
Segenswirkung. Die Geschichte des von Gott geschaffenen, aus dem Paradies
vertriebenen Menschen wird als Genealogie, als Geschlechterfolge,
weitererzählt, d.h. als Geschichte weiterwirkender Lebenskraft.;
(86) der Schöpfer verleiht dem Menschen nicht die fertigen Produkte, sondern
die Fähigkeiten, sie zu erwerben und zu schaffen;
(92) Credo in Israel: Vätergeschichte (nicht in der Urgeschichte);
Schöpfer, Schöpfung Ort im beschreibenden Gotteslob;
(94) das AT redet nicht von einer gefallenen Schöpfung oder von einer durch den
„Sündenfall“ gefallenen Menschheit, sondern bezieht vielmehr im Erzählen der
Geschichte Gottes mit seinem Volk auf mannigfaltige Weise dort, wo es sich
ergibt, das in Israel Geschehende auf das am Anfang von Sünde und Frevel der
Menschheit Gesagte.;
(112) (zu Gen 1,1 – 2,4a)
Inzwischen hat sich gezeigt, dass die Darstellung in Enūma eliš nicht die
babylonische Schöpfungsdarstellung ist, sondern eine von vielen; es hat sich
darüber hinaus gezeigt, dass Gen 1 auch Motive aus ägyptischen
Schöpfungsdarstellungen enthalten kann.;
in Gen 1 eine sehr eigentümliche Sprachgestalt, die sich an den das ganze
Kapitel durchziehenden immer gleichen Sätzen zeigt. Die durch sie erreichte
feierliche Monotonie erinnert an die Sprachform der Genealogien, für die ja das
Wiederkehren immer gleicher Sätze bezeichnend ist. Diese Entsprechung wird
sofort klar, wenn man Gen 5 (P), die unmittelbare Fortsetzung, im Anschluss an
Gen1 liest;
(124) Reihenfolge der Schöpfungshandlungen in Enūma eliš. Sie ist der in
Gen1 so auffällig ähnlich, dass hier irgendeine Beziehung nicht geleugnet
werden kann ... dem Feiern der Götter (dort) entspricht das Ruhen Gottes (in
Gen1);
Systematisierung, die P durch die Fassung der Weltschöpfung in das Schema der
sieben Tage, in die „Schöpfungswoche“, wie einige Ausleger sagen, vorgenommen
hat. P hat damit jedenfalls in das ihm überkommene Reden von der Schöpfung tief
eingegriffen ... Die Reihe der sieben Tage wird durch den siebten Tag ein
geschlossenes Ganzes. Dass damit auf den Sabbat gedeutet wird, ist klar, auch wenn
ihn P nicht nennt;
(126) Was P darstellt, ist eben nicht eine „Abfolge von sechs Tagen und dem
Sabbat am Ende“, sondern ein Ganzes oder eine gegliederte Zeiteinheit, die es
vom Ziel her wird. Dann ist nicht eine Summe von sieben mal 24 Stunden gemeint,
sondern die alle weiteren begründende Zeiteinheit, die
in sich gleichmäßig gegliedert ist. Man kann dann die Schöpfungstage nicht
nachrechnen, sie haben etwas wie Gleichnischarakter. P will sagen, dass mit der
Schöpfung die geordnete Zeit begann, die in sinnvoll geordneten Epochen auf ein
Ziel hinführt, das ein von Gott der Zeit gegebenes Ziel ist.;
(128) Als sicher kann nur vorausgesetzt werden, dass die Schöpfungserzählungen
ursprünglich einmal nicht aus der Frage, wie die Welt und die Menschen
entstanden, sondern aus der existenziellen Sorge um die Sicherung des
Bestehenden und des Daseins erwachsen ist.;
(129) Gen1 Anfang des priesterschriftlichen Werkes ... Charakter einer
feierlich-majestätischen Ouvertüre ...
es ist das Gesetz des Gottes, der Himmel und Erde geschaffen und also nicht nur
Israel, sondern alle Kreatur und die ganze Menschheit gesegnet hat! Die
Bedeutung des Festhaltens und Weitergebens einer Menschheitstradition, in der
das Gegenüber Gottes Kosmos, Kreatur und Menschheit sind, nicht aber Israel,
geordneter Kult und Observanz, ist nicht zu überschätzen.;
(131) Gen1,1 ist eine die Erzählung in einen einzigen Satz fassende
Überschrift;
(136) hebräisches Verb „bara“ für schaffen – immer ist Jahwe Subjekt des Verbs
bara, niemals ein Mensch, niemals ein anderer Gott, Niemals hat bara eine
Präposition bei sich oder den acc. des Stoffes, niemals ist etwas dabei
genannt, woraus Gott schafft;
(139) Wenn Gen1 damit beginnt, von Gott zu reden, so spricht der hier Redende
nicht von einem Seienden, sondern von einem Wirkenden. Er redet auch nicht von
einer „prima causa“; dieses neutralisierende Reden vom Schöpfergott wäre hier
unmöglich. Gott ist in Gen1 ein Wirkender und ein Redender; darin ist er Gott,
nicht aber in etwas hinter diesem Reden und Wirken Seienden. Als der Wirkende
ist Gott Wirklichkeit, nicht jenseits des Wirkens. ... Es gibt hier keinen
Wirklichkeitsbegriff, der von Gottes Wirken abstrahieren könnte oder der
außerhalb des Wirkens dieses Wirkenden gründete. Wirklichkeit gibt es, weil Gott
wirkt.;
(154) memphitische Theologie, wo in einer ägyptischen Kosmogonie Weltschöpfung
durch das Wort eines Gottes dargestellt wird;
(157) Die Finsternis ist in Gottes Schöpfung notwendig, und insofern ist auch
sie (Geschöpf und JK) gut;
(160) P spricht vom Himmel als einer festen Wand oder einem festen Gewölbe
(dieses „Weltbild“ gibt das ihm überlieferte Reden von der Weltschöpfung
wieder);
(162) Offenbar ist es gar nicht die Absicht des P, die Schöpfung so
darzustellen, dass wir sie uns dann vorstellen können;
(163) eine andere Vorstellung (in der Bibel) spricht vom Himmel als einem
ausgebreiteten Zelt (Ps104,2, Jes40,22);
dass sich über der Himmelsfeste Wasserfluten oder ein himmlischer Ozean
befinden, ist im AT noch mehrfach gesagt (Ps104,3.13; Ps148,4; 2Kö17,2.19;
Gen7,11ff). Durch Öffnungen im Himmelsgewölbe ergießt sich das Wasser auf die
Erde.;
(164) Gen1,8: Erst mit der Benennung wird ganz klar, dass die in Gen1,6-7
erschaffene Feste, also dieser feste Körper, als der die Feste gedacht ist, der
Himmel ist: dieser feste Körper wird Himmel genannt. Er ist so auch gemeint; an
ihn werden die Gestirne gesetzt. Das bedeutet aber: „Himmel und Erde“ umfasst
die Erde zusamt dem Himmelsgewölbe, nicht aber das Wasser über der Feste. ...
Die nach P von Gott geschaffene Welt ist nicht mit dem All identisch. Es ist
damit weise zugegeben, dass ein Mensch weder das All noch das Nichts zu denken
vermag. Die Bejahung Gottes als des Schöpfers der Welt bedeutet das Anerkennen
der Grenzen menschlichen Denkens. Das gilt unabhängig von den sich wandelnden
Vorstellungen darüber, wie die Schöpfung der Welt vor sich ging.
(165) der Begriff Himmel ist also ursprünglich mythisch und
naturwissenschaftlich zugleich. ...
für das AT ist der Himmel nur noch Geschaffenes, er hat keinerlei göttlichen
Charakter mehr ... Der Himmel ist nicht anders Geschöpf als die Erde; er hat
daher auch durchaus keine nähere Beziehung zu Gott als die Erde (Dt10,14) ...
Da der Himmel Geschöpf ist wie die Erde, kann das AT auch von seiner
Vernichtung beim Endgericht sprechen (Jes34,4; 51,6);
dass das mythische Verständnis des Himmels, das im alten Israel abgewiesen
worden war, erst wieder im Zusammenhang mit einer sehr späten Vorstellung
erneuert wurde, dass nämlich der Himmel zum Aufenthaltsort der Toten wurde, wie
im späteren Griechentum und im Neuen Testament Hb12,22ff, Ag6,9ff 7,4ff. Die
Vorstellung vom himmlischen Jenseits gab es lange vorher in Ägypten;
(166) Der Wechsel von Tag und Nacht begründet die Ordnung der Zeit, die
Erschaffung der Feste das Oben und Unten, die Trennung von Wasser und Land das
Hier und Dort.;
von unserer Auffassung freizukommen, als wolle der Schöpfungsbericht uns eine
„Anschauung“ vermitteln, wie es bei der Schöpfung zugegangen sei. ... Ihr Ziel
ist vielmehr, geltende Wirklichkeit zu setzen, die das gegenwärtige Dasein
bestimmt; das in der Kosmogonie Erzählte ist nicht auf den die Schöpfung sich
Vorstellenden, sondern auf den auf Grund dieser Schöpfung Existierenden
bezogen.;
(167f) zu Gen1,9:
Die Erde wird nicht von Gott „gemacht“ wie die Himmelsfeste, sie wird vielmehr
durch die Scheidung vom Wasser freigelegt ... Hier wird es ganz deutlich, dass
eine creatio ex nihilo nicht gemeint sein kann; unsere Frage nach der Herkunft
der Materie wird nicht beantwortet.
Hier wäre zu fragen, ob nicht dieses auf die menschliche Existenz bezogene
Verstehen der Welt, wie es sich in der Weltschöpfung als Scheidung zeigt, dem
modernen naturwissenschaftlichen Weltverständnis näher ist als das vom
Vorhandensein der Materie ausgehende, in dem die Vorhandenheit der Welt in
absoluter Gegenständlichkeit denkbar schien.;
(169) Zusammengehören von Scheiden und Benennen ... Unter gewissen Umständen
existiert ein Bestandteil der Welt erst, wenn er einen Namen hat; ... neu
entdeckter Stern ... neu entdeckte Insel;
(172ff.)
(Zum ersten Kapitel der Bibel – zum
dritten „Schöpfungstag“, an dem die Pflanzen geschaffen werden: Gen1,11):
„Und Gott sprach: Es ergrüne die Erde
in Grünem!“ – Gottes Wort gibt jetzt die Schöpfermacht ab, d.h. das Wort wird
zur Anordnung an das zuvor Geschaffene, selbst das weitere Neue entstehen zu
lassen. … (in Gen.1,12 geschieht es dann:
„Und die Erde ließ frisches Grün sprossen …“)
Damit aber, dass an dieser Stelle das Schaffen Gottes für das Entstehen offen
ist, ist ein grundsätzlicher Gegensatz von Schaffen und Entstehen ist nicht
mehr möglich und nicht mehr nötig. …
„Die Erde brachte hervor“. Was als Gebot formuliert „es ergrüne die Erde in
Grünem“ hieß, wird in der Ausführung mit einem anderen Verb genannt: „die Erde
bringe hervor“. Dasselbe Verb wird mit dem gleichen Subjekt dann noch einmal
Gen.1,24 gebraucht, hier in der Formulierung des
Befehls: „Die Erde bringe lebende Wesen hervor.“ Dieses „Hervorbringen“ ist
zunächst einfach so gemeint: „etwas, was darinnen ist, herauskommen lassen“.
Die Pflanzen sind in der Erde, und die Erde lässt sie herauskommen … Dahinter
steht die über die ganze Erde verbreitete Vorstellung von der „Mutter Erde“,
der Erde als Gebärerin alles Lebendigen und auch aller Vegetation;
Die beiden Verse können beispielhaft zeigen, wie das Reden von der Schöpfung
nur in der Folge verschiedener Darstellungsweisen möglich ist; die (in diesem Text) in der Mitte stehende
und eigentlich gemeinte Darstellung der Erschaffung der Pflanzen durch das Wort
des Schöpfers schließt weder die uralte Vorstellung des Entstehens (des Lebens) aus der Erde noch das später
aufkommende Fragen nach der Art und Weise des Entstehens aus …
(Entstehung des Menschen aus der Erde Ps.139,15);
(lateinisch evolvere meint „herauswälzen, herauswickeln, entströmen“ -->
Evolution!!! JK) ....;
(176) zu Gen1,14-19:
Sonne und Mond werden unter anderem zur Herrschaft bestimmt; Zur Herrschaft
wird auch der Mensch bestimmt (Gen1,26.28). Herrschen ist eine personale
Funktion, in ihr klingt die Vorstellung der Göttlichkeit von Sonne und Mond
noch entfernt nach.;
Gott segnet die Wassertiere und Vögel (Gen1,22) und den Menschen (Gen1,28),
nicht aber die Landtiere dazwischen (sind sie, weil sie zum gleichen Tagewerk
gehören wie der Mensch, in diesen Segen mit eingeschlossen?; in Gen8,17 sind
sie in den Segen eingeschlossen);
(198) zu Gen1,26-28):
Die Erschaffung des Menschen wird nicht als Schöpfung durch das Wort
dargestellt;
(205) Wenn einer der Punkte, in dem (in der alttestamentlichen Forschung)
Einmütigkeit erreicht wurde, dieser ist, dass nach den Aussagen des AT die
„Gottesebenbildlichkeit“ des Menschen nicht durch den „Sündenfall“ verloren ist
...
(211) Der Pharao heißt „Ebenbild“ als Stellvertreter des Gottes auf Erden.
(217) Gottesebenbildlichkeit – die die Ermöglichung eines Geschehens zwischen
Gott und Mensch, nicht aber eine Qualität des Menschen an sich bedeutet.;
(218) Die Gottesbeziehung ist nicht etwas zum Menschsein Hinzukommendes, der
Mensch ist vielmehr so geschaffen, dass sein Menschsein in der Beziehung zu
Gott gemeint ist.;
(219f) Auf keinen Fall ist das Herrschen über die Tiere im Sinn der Ausbeutung
durch den Menschen gemeint; der Mensch würde seine „königliche“ Stellung ... im
Bereich des Lebendigen gerade verlieren, wären ihm die Tiere nur noch
Gegenstand der Nutzung oder gar Ausbeutung. Dass eine Herrschaftsordnung
zwischen Tier und Mensch errichtet wird, bedeutet, dass die Existenz der Tiere
in ihr mehr als bloßes „Vegetieren“ sein soll; der Bezug, in den Mensch und
Tier dadurch zueinander gebracht werden, ist auch für die Tiere positiv
gemeint. ... Unsere Sprache hat eine Erinnerung daran bewahrt, wenn
„beherrschen“ in einem übertragenen Sinn auch auf Beziehungen zu
Gegenständlichem gebraucht wird: man kann eine Kunst, eine Technik, eine
Sprache beherrschen. Eigentlich ist darin eine Beziehung zu Lebendigem gemeint.;
(221) Erschaffung (gleichzeitig) von Mann und Frau;
dass es nach dieser Auffassung ein „Wesen des Menschen“, eine Bestimmung des
Menschen abgesehen von seiner Existenz in zwei Geschlechtern nicht geben kann.
Der Mensch ist hier als ein Gemeinschaftswesen,, als ein zu zweit Existierender
gesehen, und so etwas wie Menschlichkeit kann es dann auch nur bezogen auf den
zu zweit existierenden Menschen geben.;
will die Priesterschrift mit den hinzugefügten Segensworten von der „Schöpfung“
in die „Erhaltung“ hinüberweisen.;
(226) zu Gen1,29:
Eine nachweisbare Periode, in der es weder für Menschen noch für Tiere
tierische Nahrung gab, hat es nicht gegeben.;
(227) Ein Herrschaftsverhältnis, in dem der Herrscher nur Nutznießer seiner
Untergebenen ist, ist im AT undenkbar. Es schließt immer in irgendeiner Weise
ein Dasein für den Untergebenen ein ...;
(238) zu Gen1 zusammenfassend:
Während die kirchliche Lehre von der Schöpfung immer die Tendenz hatte, die
Erschaffung der Welt und des Menschen in der Weise festzulegen, dass in in sich
feststehenden Aussagen fixiert werden, Aussagen wie „Gott hat die Welt aus dem
Nichts geschaffen“, „Gott hat die Welt in sieben Tagen geschaffen“, „Gott hat
den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen“ usw., zeigte der Text selbst auf
Schritt und Tritt die entgegengesetzte Tendenz. Die das Reden von Schöpfer und
Schöpfung in Gen1 bestimmende Tendenz ist das ehrfürchtige Wahren des
menschlicher Vorstellung nicht zugänglichen Geheimnisses der Schöpfung ...
Haltung des Gott-Lobenden ....;
Stehenbleiben vor den Toren, die dem nach dem Anfang, nach dem Entstehen, nach
den Ursprüngen fragenden Menschengeist nicht erschlossen werden. ... P lässt
seine Stimme zusammen mit anderen Stimmen zu Wort kommen (Aufnehmen,
Stehenlassen älterer Traditionen JK);
(239) Von der Schöpfung kann nur in der Vielstimmigkeit der sich durch die
Geschichte erstreckenden Generationen geredet werden; es gibt von ihr kein
Wissen, das abgeschlossen verfügbar wäre.;
P erzählt die Erschaffung von Welt und Mensch so, dass er den Hörer vor die
Unfasslichkeit, die Unergründbarkeit, die Unvorstellbarkeit dessen stellt,
wovon er berichtet ... wie P die Fragen, die wir stellen (WIE hat Gott die
Welt geschaffen? JK) ganz bewusst nicht beantwortet.;
(242) Die einfache Tatsache, dass auf dem ersten Blatt der Bibel vom Himmel und
der Erde, von Sonne, Mond und Sternen, von den Pflanzen und den Bäumen, von den
Vögeln, den Fischen und den Tieren des Feldes gesprochen wird, sagt gültig,
dass der Gott, den wir im Glaubensbekenntnis als den Vater Jesu Christi
bekennen, es mit allen diesen Geschöpfen zu tun hat und nicht nur mit den
Menschen. Ein Gott, der nur noch als der Gott der Menschen verstanden wird, ist
nicht mehr der Gott der Bibel.;
P will nicht sein eigenes Verständnis des Hergangs der Schöpfung
verabsolutieren und damit jedes andere für falsch erklären. Wenn er ältere
Vorstellungen aufnimmt und in seinem Bericht mitreden lässt, ist nicht
einzusehen, warum nicht auch die weitergehende Erforschung der Anfänge von der
Grundhaltung her verstanden werden könnte, die die Darstellung des P bestimmt
...
(243) zeigt sich schon bei P deutlich eine Richtung auf naturwissenschaftliches
Denken hin, dort, wo er kategoriale Scheidungen wertet, wo er die Gestirne auf
ihre bloße Funktion reduziert, wo er die Entstehung der Pflanzen und Tiere in
Gattungen begreift, und schließlich auch, wo er die Entstehung der Welt in
Perioden sieht.... Gen1 schließt eine wissenschaftliche Erklärung der
Entstehung der Welt und der Entstehung des Menschen nicht aus, sofern solche
wissenschaftliche Erklärung für die gleiche ehrfürchtige Anerkennung des
Schöpfers frei bleibt, die den Schöpfungsbericht des P bestimmt
(249) ab hier zu Gen2,4b-3,24):
Gen2,17 „denn am Tag, an dem du von ihm isst, musst du sterben“ (geschieht
so nicht JK)
Gen2,18 „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei ...“ (nicht alles in
der Schöpfung ist gleich perfekt, gut... JK);
(261) Gen2,18.23 Der erste Versuch Gottes gelingt nicht (Gen2,20), erst mit der
Erschaffung der Gefährtin kommt das zunächst unzulängliche Schöpfungswerk zu
seiner Vollendung;
(270) Vergleich Gen2 gegenüber Gen1 (HGunkel): „Die Erde ist ursprünglich
trocken; es entsteht dann Wasser, Mensch, Bäume, Tiere und das Weib. Diese
Reihenfolge ist ganz anders als bei P.“;
(283) zu Gen2,7: Ein Verständnis, nach dem der Mensch
aus Leib und Seele bestünde, ist damit ausgeschlossen.;
(300) Zum Dasein des Menschen gehört eine Beschäftigung oder eine Arbeit (Gen2,15b)
und als wichtigstes die Gemeinschaft mit einem anderen Menschen (Gen2,18-24).
Die Arbeit ist hier also als Wesensbestandteil des Menschseins angesehen. Ein
Leben ohne Arbeit wäre kein menschenwürdiges Dasein.;
(304ff) zu Gen2,16-17:
Verbot des Essens vom Baum der Erkenntnis; „Am Tag, an dem du davon issest,
musst du sterben.“ das deutliche Aussprechen der Grenze, die mit dem Raum der
Freiheit ... zusammengehört. Das Nein zu Gott, das durch diesen Raum der
Freiheit ermöglicht wird, ist zuletzt ein Nein zum Leben; denn das Leben kommt
von Gott.;
Dass der Tod am gleichen Tage eintreffen werde, ist also nicht gemeint. Das
andere Extrem in den Möglichkeiten der Deutung ist: das („du sollst sterben“)
solle bedeuten, der Mensch werde durch das Übertreten sterblich ...
Diese Deutung ist aber ausgeschlossen durch den festgelegten Sinn der sehr
häufig für die Todesstrafe gebrauchten Formel („du sollst sterben“). Sie kann
unmöglich bedeuten „du wirst sterblich werden“. ...
Die Todesstrafe hat ... den Sinn einer Warnung. Sie soll den Menschen davor
bewahren, von dem Baum zu essen. Nachdem die Menschen von dem Baum gegessen
haben, ist eine neue Lage eingetreten. In dieser Lage handelt Gott anders, als
er es vorher angekündigt hatte. Diese „Inkonsequenz“ Gottes ist für die
Erzählung wesentlich; sie zeigt an, dass das Handeln Gottes an seinen
Geschöpfen nicht festgelegt werden kann, auch nicht durch vorher gesprochene
Worte Gottes. Eben damit aber wird das Handeln und das Reden Gottes
missdeutbar, und davon macht die Schlange Gebrauch.;
(308) im Gilgamesch-Epos in der Gestalt des Enkidu dargestellt: Enkidu lebt zu
Anfang mit den Tieren zusammen (das entspricht der in Gen2,19-22
vorausgesetzten Möglichkeit, dass der Mensch unter den Tieren die Hilfe fände,
die ihm entspricht): auch von ihm ist gerade vorher gesagt, dass er aus Erde
gebildet wurde, auch er wird durch eine Frau verführt und lernt dann die
menschliche Gemeinschaft kennen.
(316) zu Gen2,23:
Luther: “Männin“ (im Englischen woman als „wife of man“);
(324) „die Schlange, die Jahwe Gott gemacht hatte“ (ausdrücklich als Geschöpf
Gottes bezeichnet!);
(363) zu Gen3,19:
Der Tod (das Wort wird hier vermieden) ist also in Gen3,19 nicht Strafe für die
Übertretung des Menschen, er ist die Grenze für die Mühsal der menschlichen
Arbeit (und darin klingt Positives an).;
(367) zu Gen3,21 „Und Jahwe Gott machte dem Menschen und seiner Frau Röcke von
Fellen und bekleidete sie damit“ handwerkliches Tun Gottes (vgl. Luther
Kleiner Katechismus zum 1. Artikel im Glaubensbekenntnis: von Gott Kleider und
Schuhe JK);
(368) zu Gen3,23:
Der Mensch hat seine Bestimmung darin, auf der Erde und für die Erde zu
wirken.;
(374) zur Erzählung Gen2-3:
in allen abendländischen Sprachen wurde „Der Sündenfall“ zur Überschrift der
Erzählung;
Die Bezeichnung und die in ihr enthaltene Deutung hat eine Geschichte, die sich
in ihren wichtigsten Stadien erkennen lässt. Sie stammt nicht aus der
christlichen, sondern aus der spätjüdischen Überlieferung. Sie findet sich in
4.Esr7,118
„Ach Adam, was hast du getan,
als du sündigtest,
kam dein Fall nicht nur auf dich,
sondern auch auf uns, deine Nachkommen“;
Das zweite Stadium zeigt sich in der Paulinischen Theologie (Wurzeln in der
spätjüdischen Auslegung erkennbar);
Das dritte Stadium stellt die volle Ausbildung der Erbsündelehre bei Augustin
dar.
(376) katholischer Exeget HHaag: „Die gegenwärtige Auffassung der katholischen
und evangelischen Dogmatik, nach denen der Urstand eine zeitliche Phase am
Anfang der Menschheitsgeschichte war ... entsprechen nicht der Bibel. Sie kennt
keinen „vorsündlichen Menschen“ und damit auch keinen Urstand.“;
Wenn durch das ganze AT hindurch die Erzählung Gen2-3 nicht tradiert wird, wenn
sie nicht angeführt wird, nie an sie erinnert wird, wenn sie vor allem niemals
in den Zusammenfassungen der Taten Gottes (Credo) begegnet, so ist dies
ebendarin begründet, dass sie in Israel niemals als ein geschichtliches
Ereignis neben anderen geschichtlichen Ereignissen aufgefasst wurde.;
(379) Es ist von Gen2-3 her nicht möglich, die Geschichte der Menschheit von
Adam bis zum Kommen Christi so negativ darzustellen, wie Paulus das in
Rö1,18-32 tut. Dass die „Ursünde“ eine Wirklichkeit für die ganze Menschheit
ist, bedeutet nicht, dass alles, was die Menschen tun, vor Gott sündig oder
verfehlt ist.
(Claus Westermann: Genesis, Kapitel 1-11, Teil 1, EVA Berlin 1985)
·
(478) zu den Genealogien in Gen4,17-26
und Gen5:
(Angaben zu den Jahreszahlen zwischen Adam und Sintflut)
beträchtlich sich unterscheidende Überlieferung der Zahlen in M, G und Sam (älteste
vorliegende biblische Texte: M masoretischer = hebräischer Text; G griechischer
Text (Septuaginta); S samaritanischer Text JK) ...
Die Summe der Jahre, und damit das Datum der Flut, ist in M 1656, in Sam 1307,
in G 2242.
Wohl aber hat die Tatsache des Nebeneinanders dreier verschiedener Zahlensystem
in den drei Textüberlieferungen M, Sam und G eine Bedeutung für die Exegese.
Diese liegt darin, dass die Tradenten damit die Grenze ihres Wissens über die
Urzeit zu erkennen gegeben haben. ... Keines von ihnen ist das richtige oder
das ursprüngliche, weil es so etwas hier nicht mehr geben kann. In ihrem
Nebeneinander wollen sie anerkannt werden; in ihm verweisen sie auf die Grenze
allen Wissens von der Urzeit.
Gen. 4,26 „Adam erkannte noch einmal seine Frau ....“
Gen.5,1-3. „(1) Das ist die Geschlechterfolge nach Adam:
Am Tag, da Gott den Menschen erschuf, machte er ihn Gott ähnlich. (2)
Als Mann und Frau erschuf er sie, er segnete sie und nannte sie Mensch
an dem Tag, da sie erschaffen wurden. (3) Adam war 130 Jahre alt ...“
(an allen unterstrichenen Stellen steht im Bibeltext „Adam“ JK) Adam ist
in diesem Satz (Bezug auf Vers 2 JK) zweifelsfrei kollektiv gemeint (also:
Menschen JK) ,
während in der Überschrift von Vers 1a und ab Vers 3 Adam Eigenname ist. Dem
steht betont der Name „Mensch“ gegenüber, der allen gemeinsam ist. Die
Benennung dieses Geschöpfes durch Gott steht bewusst erst hier und nicht in
Gen1,26-31, weil hier mit der in die Geschichte sich
erstreckenden Genealogie der Name des Individuums aus dem Namen der Gattung
Mensch heraustritt.
(Claus Westermann: Genesis, Kapitel 1-11, Teil 2, EVA Berlin 1985)
·
Apostel Paulus ... seine Bedeutung für
die christliche Kirche ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Er, ein
hochintellektueller Mann, den bäurischen Aposteln weit überlegen, war nicht nur
der Chefideologe des Urchristentums. Er, der Jesus nicht mehr gekannt
hatte, eignete sich vielmehr die christliche Lehre an, um daraus erst eine Theologie
zu machen. Die Erbsünden-, Erlösungs- und Gnadenlehre, eigentlich alle
Fundamente des Christentums, stammen von Paulus. Und sogar die Evangelien – was
man sich in diesem Zusammenhang vergegenwärtigen muss – wurden erst nach den Paulusbriefen
geschrieben.
(ADAC Reiseführer ROM 2005, S.130)
·
Die Schöpfung in Gen. 2 ist nicht
schon im ersten Arbeitsgang perfekt, sondern der schöpferische Gott bessert
nach: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt ...“
(65) die vor allem auf Augustinus zurückgehende Erbsündenlehre, der zu Folge
die Ursünde Adams und Evas durch Zeugung weitergegeben wird;
(74) Gen 1: Als Glaubensaussagen, die unabhängig vom antiken Weltbild
Gültigkeit beanspruchen, sind wohl die folgenden zu nennen:
Der eine, einzige Gott (Monotheismus) ist Schöpfer des Alls. Die Welt ist
Gottes gutes Werk und selber nicht Ausdruck göttlicher oder dämonischer Mächte.
Der Mensch ist in seiner Zweigeschlechtlichkeit als Bild Gottes geschaffen und
trägt nach dessen Vorbild Verantwortung für die Schöpfung. Der Sabbat soll ein
Tag heiliger Ruhe sein, ein Tag der Besinnung des Menschen auf seinen
Schöpfergott. ...
Immer wenn vom Schaffen durch Gott die Rede ist, verwendet die Priesterschrift
das Wort bara, ist im ganzen Alten Testament ausschließlich dem Schaffen Gottes
zugeordnet, nie wird es für das menschliche Schaffen verwendet, nie findet sich
dabei irgendeine Angabe von Rohstoff oder Material, aus dem Gott schafft;
(76) Gen 2ff: Der Mensch (hebräisch ADAM) stammt materialiter vom Lehm oder
Staub des Ackerbodens (ADAMA) ab, zu dem er auch zurückkehrt. Im Wort ADAM
steckt aber auch das hebräische Wort DAM, was Blut bedeutet. das „blutvolle“
Leben des Menschen stammt aus der Erde, der Schöpfung Gottes, und kehrt dahin
auch wieder zurück. Wer des Menschen Blut vergießt, es wieder ausgießt in den
Acker (wie Kain, der seinen Bruder Abel tötet), der betätigt sich gewissermaßen
als Antischöpfer.
(79) Urgeschehen in den ersten Kapiteln der Bibel: „Dies nun geschah niemals,
ist aber immer“ (so der Römer Sallust); Alttestamentler Zeller:
„Urzeit-Geschichten erzählen nicht Einmaliges, sondern Erstmaliges als
Allmaliges“
(81) Mensch als Bild Gottes – gemeint ist ein an Gottes schöpferischem
Wohlwollen orientiertes Verhalten gegenüber der übrigen Schöpfung;
(82) Der Mensch ist nur als Bewahrer ein Bewahrter (Noah in der Sintflut soll
die Mitgeschöpfe retten)
(Ulrich Lüke: Das Säugetier von Gottes Gnaden, Evolution-Bewusstsein-Freiheit,
Herder Freiburg 2006)
·
in den USA gehen 84 % der Einwohner
davon aus, Gott sei an der Erschaffung des Menschen in irgendeiner Weise
beteiligt gewesen;
in Deutschland glauben nur 16 % der Bevölkerung an eine Schöpfung á la Bibel;
+ Der Mensch hat sich in Millionen von Jahren aus anderen Lebensformen
entwickelt,
Gott hat diesen Prozess gesteuert ...
JA USA 31 %; D 33 %
+ Gott hatte auf diesen Prozess keinen Einfluss ... USA 12 %, D 46 %
+ Gott hat den Menschen in seiner jetzigen Form erschaffen,
genau so, wie die Bibel es beschreibt
.... USA 53 %, D 16 %
(Spiegel 52/2005 S.136ff)
·
Generalsynode der VELKD 2006:
Die Generalsynode bittet die evangelisch-lutherischen Theologischen Fakultäten
zu erwägen, als Reaktion auf den Vortrag Benedikts XVI. in der Universität
Regensburg, die fundamentale Frage über das Verhältnis von Glaube und Vernunft
aus evangelischer Sicht so darzustellen, dass diese Sicht sich auch den
römisch-katholischen Partnern erschließen kann.
(VELKD Informationen 119 S.19)
·
Apostelgeschichte 8,37:
dieser Vers steht nur in einer einzigen frühbyzantinischen Handschrift; wird
daher auch von Vertretern des so genannten griechischen Mehrheitstextes
weggelassen; wie dieser Vers überhaupt in den Text kam, nach dem Luther seine
Übersetzung anfertigte – Erasmus hatte zwei Fassungen der Apostelgeschichte, in
einer fehlte der Vers ganz, in der anderen stand er nur als textlich unsichere
Randbemerkung, Erasmus behielt ihn wohl bei, weil er damals schon Teil der
Vulgata war, die in der katholischen Kirche als offizielle lateinische
Bibelübersetzung galt
(ideaSpektrum 42/2002 S.5; Leserbrief Riesner, Prof.f.NT Dortmund)
·
Gerd Theißen (Neutestamentler in
Heidelberg) unterscheidet zwei Phasen der Evolution: die biologische und die
kulturelle Evolution. Während die biologische Evolution durch die „harten“
Gesetze von Mutation und Selektion gekennzeichnet wird, ist es die Kultur, die
eine Selektion mindert. So ist die vom Menschen vollzogene kulturelle Evolution
immer darum bemüht, Lebens- und Überlebenschancen auch dort zu schaffen, wo
natürlicher Selektionsdruck diese nicht gewährt. Damit ist die kulturelle
Evolution als Gegenbewegung zur natürlichen Selektion anzusehen. ... biblischer
Glaube wird zum Aufruf gegen das Selektionsprinzip ... Der Gott, der sich in
der Bibel offenbart, will die Menschen aus den Gesetzen der biologischen
Evolution hinausführen, wie er sein Volk aus Ägypten führte ... Antiselektionismus
ist der gemeinsame Nenner für Gottes Handeln in der Bibel und das seinem
Handeln entsprechende menschliche Verhalten. ... Moltmann: entweder muss Gott
alles Negative in der Welt zugerechnet werden oder Gottes Macht unterliegt
einer Beschränkung ... Selbstbeschränkung Gottes ... damit die Möglichkeit für
die Schöpfung, sich frei zu entfalten
(Publik-Forum 25.4.1995)
·
Was ist Religion?
einige Merkmale, die die meisten der mehreren tausend bekannten Religionen
besitzen:
- Transzendenz: der Glaube an außer-/übernatürliche Mächte
- ultimative Bezogenheit: das Gefühl der Verbundenheit, Abhängigkeit,
Verpflichtung
- höchste Bestimmung: das Gefühl der Sinngebung, sowohl für das Individuum wie
auch für die Gemeinschaft
- Mystik: die Erfahrung des „Heiligen“ bis hin zum Erlebnis von
Einheitsgefühlen mit dieser Macht
- Mythos: die Welterklärung und -legitimation bis hin zur Annahme eines
unheilen Zustands in der Gegenwart und eines Heils- und Erlösungsversprechens
- Moral: transzendente Wertordnung aus Geboten und Verboten
- Ritus: symbolisch aufgeladene Handlungen oder Gegenstände beispielsweise zur
Abweisung des Bösen, zur Reinigung oder für bestimmte Lebensphasen und
–übergänge;
Von den heute 6,6 Milliarden Menschen sind über 90% religiös;
Zwar ist Religiosität im engeren Sinn nicht angeboren, sondern im sozialen
Umfeld erlernt: Welcher Religion man angehört, hängst hauptsächlich vom Glauben
der Eltern oder anderen nahestehenden Personen ab. Dagegen scheint
Spiritualität – Selbst-Vergessenheit, Neigung zur Mystik und die Identifikation
mit einem größeren Ganzen -, die oft, wenn auch nicht immer, mit Religiosität
einhergeht, eine starke genetische Komponente von fast 50% zu besitzen
(Zwillingsstudien);
(bdw 2/07 S.32ff Warum Glaube nützt)
·
(111ff) Gott und Welt
Theismus: Gott und Welt sind zwei verschiedene Wesen; Vorstellung Gottes als
des Außerweltlichen oder Übernatürlichen;
Pantheismus (All-Eins-Lehre): Gott und Welt sind ein einziges Wesen;
Atheismus (entgötterte Weltanschauung): es gibt keinen Gott; fällt im wesentlichen
mit dem Monismus oder Pantheismus unserer modernen Naturwissenschaft zusammen;
Schopenhauer: „Der Satz des Pantheismus „Gott und die Welt ist eins“ ist bloß
eine höfliche Wendung, dem Herrgott den Abschied zu geben.“
(Ernst Haeckel: Die Welträtsel, Alfred Kröner Verlag Stuttgart, 1899)
·
1. Mose 1, 27:
Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und
schuf sie als Mann und Weib.
1. Mose 5, 3:
Und Adam war 130 Jahre alt und zeugte einen Sohn, ihm gleich und nach seinem
Bilde, und nannte ihn Seth;
(Bibel)
·
Starke Unterstützung findet bei der
christlichen Rechten (in den USA JK) der Staat Israel. Die Forderung nach einer
israelfreundlichen Politik der US-Regierung wird dabei eschatologisch
begründet: Danach gilt die Gründung des Staates Israel als Zeichen für die
bevorstehende Wiederkehr Christi, die ohne die Existenz eines jüdischen Staates
in seinen biblischen Grenzen nicht erfolgen könne. Insofern spricht man sich
u.a. gegen die Rückgabe besetzten Landes und gegen die Gründung eines eigenen
Palästinenserstaates aus.
(Das Parlament, Beilage: Aus Politik und Zeitgeschichte 6/2007 S.27)
·
(5) dem Menschen ist die Freiheit
gegeben, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden (Gen3,1-7);
Die Gottebenbildlichkeit ging durch den sog. Sündenfall nicht verloren (vgl.
Gen 9,6)
(OEKU: Versöhnung mit der Schöpfung, Grundlagendokument; 2004)
·
(182ff)
zu Gen 1,1ff:
Die vorgeordnete Überschrift „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“ (d.h.
alles) Gen 1,1 fasst den Sinn der alttestamentlichen Schöpfungsgeschichte
zusammen und gibt damit zugleich die Richtung an, in der sie gelesen werden
soll. Ausdrücklich wird mit einem besonderen Verbum „schaffen“ (bara)
herausgestellt, dass Gott keines vorgegebnen Stoffes bedarf. Indem dieses Wort
im Alten Testament Gott allein vorbehalten bleibt, wird die Schöpfung zugleich
jeder Ähnlichkeit menschlichen Tuns und so jeder Anschaulichkeit enthoben. Eine
Vorstellung des göttlichen Wirkens ist ja nur möglich, wenn eine Analogie zu
menschlichem Handeln besteht. Das Wort (bara) ...sagt aber nichts
.... über das WIE der Weltentstehung, d.h. es lässt die Frage, „wie es
gewesen ist“, offen ...;
Auch die formelhafte Wendung „er sprach ... und es geschah so“ verzichtet auf
die Vorstellung des Hergangs; denn einen Handwerker kann man bei seiner
Tätigkeit abbilden, nicht jedoch ein Wort, das im Sprechen die Dinge ins Leben
ruft;
Sonne und Mond werden nicht mit Namen genannt; weil die mythische
Personifikation aufgegeben ist, können die Gestirne als in der Welt
vorfindliche Größen rein sachlich betrachtet werden. So führt der Glaube zu
einem Denken, das sich an das der Beobachtung Zugängliche ... hält;
zu Gen 2,4bff:
berichtet weit mehr als nur die Erschaffung des Menschen. Zwar entsteht nicht
(wie in Gen 1 JK) die Welt in sieben Tagen, aber Gott baut mit Acker, Pflanzen
und Tieren um den zunächst einsamen Menschen die begrenzte Umwelt des Bauern
auf. Hier ist nicht das Urmeer vorgegeben; Gottes Schöpfung vollzieht sich
vielmehr als Bewässerung einer Wüste. Das dem Landleben ferne Meer mit den
Fischen liegt außerhalb des Blickfelds; auch die Gestirne werden nicht erwähnt
... Überträgt Gott nach Gen 1,26ff den Menschen die Herrschaft über andere
Geschöpfe, so führt er (nach Gen 2,19f) dem Menschen die Tiere zu, damit er
ihnen Namen verleihe;
zu Gen 2+3:
Allerdings sieht die Erzählung im Tod nur das Ende der Mühsal, noch nicht – wie
Röm 5,12; 6,23 – die Folge der Sünde;
zu verschiedenen Schöpfungsvorstellungen:
finden sich gelegentlich Vorstellungen, die nicht einmal die allgemeine
Aussage: Schöpfung ist Handeln Gottes, enthalten:
Psalm 139,15f: „Mein Gebein war dir nicht verborgen, als ich im Geheimen
gemacht wurde, gewirkt in den Tiefen der Erde. (Bereits) meinen Embryo sahen
deine Augen“;
Hier schaut – der Vorstellung nach (anders Vers 13) – Gott nur zu, wie der
Mensch im Schoß der Erde „gewirkt“ wird. Die Heimat des Menschen ist nach einem
weit verbreiteten Mythos die „Mutter Erde“, die aus sich alles Lebende
hervorbringt (vgl. Gen 1,11; Ps 90,2f; Hi 1,21;38;8,28; Jes 55,10) ...
Nach anderen Texten kann Gott den Himmel wie ein Zelt ausspannen, die Erde
einer Platte gleich feststampfen (Jes 42,5; 44,24), die Erde gründen (Jes.
48,13, 51,13+16; Spr 3,19), d.h. vielleicht auf Fundamente im Wasser aufbauen
(Ps 24,2; Psw 104,5; Hi 38,4ff), die Erde, die Berge, den Menschen und die
Tiere wie ein Töpfer formen (Jes 45,18; Am 4,13; Gen 2,7+19, Jer 18,3f) usw.
... Als Vorstellungen lassen sie sich nicht ohne weiteres ausgleichen und
harmonisieren, ja können sich widersprechen: es gibt wohl ... nicht einmal ein
einheitliches „Weltbild“ ... Die bloßen Vorstellungen vom WIE der Schöpfung
waren bereits im Alten Testament selbst nicht mehr entscheidend ... Spricht
sich darin nicht eine gewisse Freiheit aus?
(Werner H. Schmidt: Alttestamentlicher Glaube in seiner Geschichte, EVA Berlin
1981)
·
Noch im Paradies, so sagt die Bibel,
bekam Adam den Auftrag, für jedes Tier unter dem Himmel einen Namen zu finden.
Es muss eine höllische Aufgabe gewesen sein, die Adam aber offenbar mühelos
meisterte. Ähnliches vermag heute niemand mehr: Schon bei den Vögeln wird es
schwierig, niemand kennt alle Schmetterlinge, und kein Sterblicher wird je alle
Arten von Ameisen aufzählen können ... Zauberhaft ist die Artenvielfalt – aber
mit rund 1,8 Millionen bekannten und viel mehr unbekannten Arten ...
(Spiegel 40/07 S.166)
·
Nächstenliebe gibt es nicht erst im
Neuen Testament:
Auch im Alten Testament gibt es ein Liebesgebot. Es steht z.B. im Dritten Buch
Mose 19,18: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Dabei sind
nicht nur Angehörige des eigenen Volkes „Nächste“, sondern auch Menschen aus
der Fremde, ja sogar Feinde (2.Mose 23,9 und 4)
(Chrismon 2-2008 S.26)
·
Warum in Luthers Kleinem Katechismus
das 2. Gebot „unterschlagen“ wird;
als im dritten und vierten Jahrhundert nach Christus der Reliquien- und
Devotionalienhandel aufkam, konnte man das 2. Gebot, das Verbot, ein Bildnis
anzufertigen, es anzubeten und kniend zu verehren, nicht mehr gebrauchen. Die
katholische Kurie hat es zuerst abgestuft und später ersatzlos gestrichen. Um
wieder auf die Zahl 10 zu kommen, wurde einfach der Vers 17 mit dem
Schlussgebot geteilt, sachlich den Sinn verfehlend. Der Noch-Katholik Martin
Luther hat zwar die Bibel an der besagten Stelle richtig übersetzt … aber in
seinem Kleinen Katechismus geflissentlich dieses 2. Gebot außen vor gelassen.
Denn immerhin besaß sein Schutzherr Friedrich der Weise über 5000 Reliquien …
(Chrismon 4-2008 S.78)
·
Vorlesung Universität Berlin Winter
1932/33
(7) Darum ist die Schöpfungsgeschichte in der Kirche allein von Christus her zu
lesen, und erst dann auf ihn hin
(15) Genesis 1 Vers 1 bis 2
dass der Anfang keine zeitliche Bestimmung ist. Hinter den zeitlichen Anfang
kann man immer zurück. Aber es ist das schlechthin Einmalige, das den Anfang qualifiziert ..
Dies schlechthin unwiederholbare, einmalige, freie Geschehen am Anfang, das nun
keinesfalls mit der Zahl 4800 oder einer derartigen Datierung verwechselt
werden darf, ist die Schöpfung.
(25) Vers 4a
Dass das Werk gut ist und sein soll und nicht allein der Wille, das ist
biblische gegen kantische Einsicht. …
Weil die Welt Gottes ist, darum ist sie gut.
(28) Vers 4b bis 5
dass es Zeiten (die über den physikalischen Tag weit hinausgehen) des Wachens
und des Schlummerns in der Natur, in der Geschichte, in den Völkern gibt – das
alles ist es, was die Bibel meint, wenn sie von der Schöpfung des Tages redet …
Es tut dem biblischen nDenken keinen Eintrag, ob die Schöpfung im Rhythmus von
Jahrmillionen oder in einzelnen Tagen geschehen ist, wir haben keinen Anlass,
das letztere zu beteuern noch das erstere zu bezweifeln … Die Tagewerke Gottes
sind die Rhythmen, in denen die Schöpfung ruht.
(29) Vers 6-10
Hier sind wir ganz im alten wissenschaftlich naiven Weltbild. Die Vorstellungen
erscheinen uns Heutigen geradezu absurd. …
Es geht nicht mit der Verbalinspiration …
(35) Vers 11 bis 13, 20 bis 25
Die Erde wird zur Mutter des Lebendigen, aus ihrem toten Dunkel soll von nun an
das Leben hervorbrechen
(39) Vers 26 ff.
Will der Schöpfer sein eigenes Bild schaffen, so muss er es in Freiheit
schaffen …
etwas Neues, noch nicht Dagewesenes … Hier ist kein Übergang von irgendwoher,
hier ist Neuschöpfung. Das hat mit Darwin gar nichts zu tun. … Es liegt uns gar
nichts daran, den Zusammenhang des Menschen mit der tierischen Welt zu
verleugnen, im Gegenteil; aber es liegt uns alles daran, das eigentümliche
Verhältnis von Mensch und Gott darüber nicht zu verlieren. …
Der Mensch soll herrschen, herrschen freilich als über die Schöpfung Gottes und
herrschen als ein solcher, der von Gott den Auftrag
und die Kraft des Herrschens empfängt. Das Freisein von der Kreatur ist nicht
etwa das ideelle Freisein des Geistes von der Natur, sondern dieses Freisein
des Herrschens schließt gerade die Bindung an die beherrschte Kreatur ein. Der
Acker und das Tier, dessen Herr ich bin, ist die Welt, in der ich lebe, ohne
die ich nicht bin …
in meinem ganzen Sein, in meiner Geschöpflichkeit gehöre ich ganz zu dieser
Welt, sie trägt mich, nährt mich, hält mich. Aber meine Freiheit von ihr
besteht darin, dass mir diese Welt, an die ich gebunden bin wie ein Herr an
seinen Knecht, wie der Landmann an seinen Boden, unterworfen ist, dass ich über
sie, die meine Erde ist und bleibt, herrschen soll und sie umso mehr meine Erde
ist, je stärker ich sie beherrsche. …
(52) Genesis 2, Vers 7
der Mensch, den Gott nach seinem Ebenbilde, d.h. in Freiheit geschaffen hat,
ist der Mensch, der aus Erde genommen ist. Stärker konnten selbst Darwin und
Feuerbach nicht reden, als hier geredet ist …
Der Mensch „hat“ nicht einen Leib und „hat“ nicht eine Seele, sondern er „ist“
Leib und Seele
(57) Vers 8 bis 17
Mythos, kindliche phantastische Ausmalung der grauen verborgenen Vorzeit – so
sagt die Welt. Gottes Wort, Geschehen am Anfang der Geschichte, jenseits der
Geschichte und doch in der Geschichte; Weltentscheidung, wir selbst die
Betroffenen, die Gemeinten, die Angeredeten, die Angeklagten, die Verurteilten,
die Ausgestoßenen … unsere Vorgeschichte, wirklich unsere eigene, jedes
einzelnen Anfang, Schicksal, Schuld, Ende – so sagt die Kirche Christi
(70) Vers 18 bis 25
Gott bildet zunächst aus dem Erdboden, aus dem er den Menschen genommen –
Mensch und Tier haben nach der Bibel denselben Leib! – Tiere. Vielleicht, dass
er unter diesen Brüdern – denn das sind sie doch, die Tiere, die mit ihm
gleichen Ursprungs sind – einen Beistand fände … Es ist meines Wissens nirgends
in der Geschichte der Religionen in solch bedeutsamem Zusammenhang vom Tier
geredet worden
(81) Genesis 3 Vers 1 bis 3
Nur als die fromme Schlange ist sie böse …
mit der ersten frommen Frage in der Welt ist das Böse auf den Plan getreten …
(84) Vers 4 bis 5
das erste Gespräch über Gott, das
erste religiöse, theologische Gespräch
(Dietrich Bonhoeffer: Schöpfung und Fall, Theologische Auslegung von Genesis 1
bis 3, EVA Leipzig 1960)
·
In den Schöpfungserzählungen geht es
um das Geschenk, das Gott den Menschen gemacht hat, und darum, dass ich mich
Gott als meinem Schöpfer verdanke – nicht nur vor ewigen Zeiten, sondern immer.
Ist die Schöpfungserzählung (der Bibel) also metaphorisch gemeint?
Nei, sie stimmt so wie die Feststellung: Ich liebe dich. Da ist etwas
tatsächlich geschehen, auch wenn es empirisch-rational nicht nachprüfbar ist
(chrismon 4/2008 S.11)
·
Internetportal
mit Zugriff auf unterschiedlichste Bibel-Übersetzungen:
www.bibelwissenschaft.de
·
(Die
Weisheit als Mit-Schöpferin)
Machtvoll entfaltet die Weisheit ihre Kraft von einem Ende zum anderen
und durchwaltet voll Güte das All …
Eingeweiht in das Wissen Gottes bestimmt sie seine Werke …
sie kennt das Vergangene und errät das Kommende …
sie weiß im Voraus Zeichen und Wunder
und kennt den Ausgang von Perioden und Zeiten …
Mit dir, Gott, ist die Weisheit, die deine Werke kennt
und die zugegen war, als du die Welt erschufst
(Bibel, Weisheit 8,1ff.;9,9)
·
Das Augsburger Bekenntnis
Artikel 2
Von der Erbsünde
Weiter wird bei uns gelehrt, dass nach Adams Fall alle natürlich geborenen
Menschen in Sünde empfangen und geboren werden, das heißt, dass sie alle von
Mutterleib an voll böser Lust und Neigung sind und von Natur keine wahre
Gottesfurcht, keinen wahren Glauben an Gott haben können, ferner dass auch
diese angeborene Seuche und Erbsünde wirklich Sünde ist und daher alle die
unter den ewigen Gotteszorn verdammt, die nicht durch die Taufe und den
Heiligen Geist wieder neu geboren werden.
Damit sind alle verworfen, die die Erbsünde nicht für eine Sünde halten, damit
sie die Natur fromm machen durch natürliche Kräfte, in Verachtung des Leidens
und Verdienstes Christi. …
Artikel 16
Von der Polizei (Staatsordnung) und dem
weltlichen Regiment
Von der Polizei ((Staatsordnung) und dem weltlichen Regiment wird gelehrt, dass
alle Obrigkeit in der Welt und geordnetes Regiment und Gesetze gute Ordnung
sind, die von Gott geschaffen und eingesetzt sind, und dass Christen ohne Sünde
…. rechtmäßige Kriege führen, in ihnen mitstreiten … können …
Hiermit werden die verdammt, die lehren, dass das oben Angezeigte unchristlich
sei. …
Artikel 17
Von der Wiederkunft Christi zum Gericht
Auch wird gelehrt, dass unser Herr Jesus Christus am Jüngsten Tage kommen wird,
um zu richten und alle Toten aufzuerwecken, den Gläubigen und Auserwählten
ewiges Leben und ewige Freude zu geben, die gottlosen Menschen aber und die Teufel
in die Hölle und zur ewigen Strafe verdammen wird.
(Evangelisches Gesangbuch, Ausgabe für die Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens,
1994, Nr. 807)
·
Apostolisches
Glaubensbekenntnis (1950)
Ich glaube an Gott den Vater, den Allmächtigen, Schöpfer Himmels und der Erde.
Und an Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, unsern Herrn,
der empfangen ist vom Heiligen Geist,
geboren von der Jungfrau Maria,
gelitten unter Pontius Pilatus,
gekreuzigt, gestorben und begraben,
niedergefahren zur Hölle,
am dritten Tage auferstanden von den Toten,
aufgefahren gen Himmel,
sitzend zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters,
von dannen er kommen wird,
zu richten die Lebendigen und die Toten.
Ich glaube an den Heiligen Geist,
Eine heilige christliche Kirche,
die Gemeinde der Heiligen,
Vergebung der Sünden,
Auferstehung des Fleisches
und ein ewiges Leben.
AMEN.
(Evangelisches Gesangbuch, Ausgabe für die Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens,
1950, Anhang Der Kleine Katechismus, Seite 68f.)
·
Umfrage: unter getauften evangelischen
Kirchenmitgliedern lehnen 30% die Vorstellung eines Lebens nach dem Tod ab;
Prof. Rolf Wischnath: Erklärungsmuster für das Verstehen des Todes Jesu, das
bis in unsere Tage hinein Schaden angerichtet hat: Opfertheorie, nach der ein
durch die Sünden der Menschen beleidigter und zürnender Gott wieder
zufriedengestellt werden kann und sich
nur durch das Opfer seines eigenen Sohnes befriedigen lässt; das ist
keine legitime Deutung des Todes Jesu
(Der Sonntag, Kirchenzeitung Sachsen, Ausgabe Ostern 12.4.09 S.3)
·
vor einigen Jahren wurde der Vorschlag
eingebracht, das Augsburger Bekenntnis von 1530 zum Grundbekenntnis der EKD zu
machen; damit könne der kirchliche Status der EKD theologisch noch besser
begründet werden, argumentierten die vor allem aus lutherischen Kirchen
kommenden Befürworter
(Der Sonntag, Kirchenzeitung Sachsen, 4.10.09 S.2)
·
(Beitrag zu einem Vortrag von Prof.
Matthias Petzoldt, Uni Leipzig;)
Luther in der Vorrede zum Jakobusbrief: „Was Christum nicht lehret, das ist
nicht apostolisch, wenn´s auch der Petrus oder Paulus lehret, wiederum, was
Christum predigt, das ist apostolisch, wenn´s gleich Judas, Hannas, Pilatus und
Herodes täten.“;
Die römisch-katholische Kirche bekräftigte im Trienter Konzil die Rolle der
kirchlichen Tradition und des Lehramtes als Autoritäten neben der Bibel.
Dagegen formulierte die altprotestantische Dogmatik mit den damaligen
wissenschaftlichen Methoden der Scholastik eine strenge
Verbalinspirationslehre. Um die Notwendigkeit eines kirchlichen Lehramtes
auszuschließen, musste gezeigt werden, dass die Schrift gar nicht dunkel ist;
und es musste das Maß der menschlichen Mitwirkung am Offenbarungsvorgang
reduziert werden. Darum wurde gemäß dem scholastischen Kausalitätsprinzip Gott
als die Hauptursache (causa principalis) der Schrift bezeichnet, während die
menschlichen Verfasser lediglich werkzeugliche Ursachen (causa instrumentalis)
waren.;
Die Irrtumsfreiheit wurde dann auch nicht nur für die theologischen, sondern
auch für die historischen, geologischen u.a. Aussagen der Schrift in Anspruch
genommen.;
(confessio, Informationen über Weltanschauungen und Ökumene, Zeitschrift,
Dresden 6-2008, S.18f)
·
Pfarrerin Barbara Lötzsch:
Biologisch verstanden – eine Fehlanzeige
Wurde Jesus wirklich von einer Jungfrau geboren?
Warum sollte Gott einen derart komplizierten und un-menschlichen Weg wählen, um
Mensch zu werden;
die Jungfräulichkeit der Maria, biologisch verstanden ist also eine
Fehlanzeige. Da hilft es auch nicht, sich auf die Bibel zu berufen. Die
angebliche „Jungfrau“ aus Matthäus 1, Vers 23 nimmt eine Vision von Jesaja 7,
Vers 14 auf. Dort ist aber schlicht von einer „alma“, einer jungen Frau im
heiratsfähigen Alter, die Rede. …
Unser Heil entscheidet sich allerdings daran gottlob nicht!
(Der Sonntag, Kirchenzeitung für Sachsen, 20.12.2009 S.10)
·
Leserbriefe zu vorigem Artikel –
Jungfrauengeburt;
1. Matthäus und Markus lassen keine Zweifel an der biologischen
Gottessohnschaft Jesu. Wer die Jungfrauengeburt Mythos nennt, stempelt beide
Evangelisten zu Narren … Wer die Jungfrauengeburt (der Zeugung durch den
Heiligen Geist) leugnet, muss die ganze Schöpfung, alle biblischen Wunder und
letztlich die Wahrheit des Wortes Gottes selbst leugnen.
2. Je mehr wir uns von den Wundern der Bibel abwenden, umso mehr verliert unser
Glaube an Kraft … Führende Kräfte, vor allem des hauptamtlichen Dienstes,
sollten wieder bewusster die Wunder Gottes lehren und einfordern
(Der Sonntag 10.1.2010 S.9)
·
Bericht über den 2. Christlichen
Gesundheitskongress (Januar 2010 in Kassel, 1400 Teilnehmer);
Referent Grundmann, der in den USA an der Universität von Valparaiso den
Lehrstuhl zur Erforschung der Zusammenhänge zwischen Religion und den
Heilkünsten innehat, legte dar, dass die Welt nicht nur durch einen einzigen
Schöpfungsakt Gottes am Anfang geschaffen wurde, sondern auch jetzt von ihm am
Leben gehalten werde… Leben ist keine Selbstverständlichkeit, es hat nur
deshalb Bestand, weil es von Gott gewollt ist … Weil Gott am Werk ist, heilen
Krankheiten und ist ärztliches Bemühen von Erfolg gekrönt … christliche Heilkunde
weiß sich auch verpflichtet der Hoffnung und Erwartung, dass Gott in die
Krankenhaussituation hineinreden und handeln kann
(Der Sonntag 31.1.2010 S.3)
·
Sämtliche Geschichten, die von Jesu
Geburt und vom zwölfjährigen Jesus im Tempel handeln, sind vermutlich Legenden.
(chrismon 12/2009 S.28)
·
zum neuen EKD-Ratsvorsitzenden, Präses
Nikolaus Schneider;
Aufhorchen ließen seine Stellungnahmen zu einer theologischen Debatte, die
vergangenes Jahr lief. Es ging um die Frage, ob Gott für die Sünden der
Menschen gestorben sei, wie die Theologen es früher gern sagten. Dazu erklärte
Schneider: „Gott braucht kein Sühneopfer, denn er muss nicht besänftigt
werden.“
(taz 25.2.2010 S.02)
·
(13) Wird zum Beispiel das Prinzip der
Auslese besser an die Umwelt angepassten Lebens, wie es weithin für die
Evolution des Lebens gilt, zum Leitprinzip der Ethik, dann erscheint das
biologisch weniger gut ausgerüstete menschliche Leben als „lebensunwert“. … Selbst wo das nicht zu den verbrecherischen
Exzessen der nationalsozialistischen Lebensauffassung führt, liegt der Fehler
dieser ganzen Denkstruktur darin, dass sie die Aufgabe unserer Vernunft und
Reflexionsfähigkeit darin sieht, ein angebliches Gesetz der unbewussten Natur
zu vollziehen. Dieser „naturalistische Fehlschluss“ ist heute weit verbreitet.
Wir können ihn auch da am Werke sehen, wo man das Werden und Vergehen der
kosmischen Galaxien als Anweisung hört, bei der Gestaltung unseres Lebens von
der grundsätzlichen Nichtigkeit unseres menschlichen Daseins auszugehen.
Übersehen wird dabei, dass wir mit einem Urteil unseres Verstandes der Natur
diese Bedeutung für uns erst geben.
(20) Im Grundsatz bedeutet der biblische Glaube an den Schöpfer, dass die Welt
als ein selbstständiges Gegenüber
Gottes verstanden wird, welches Menschen in eigener Freiheit erkennen und
gestalten dürfen. …
Die Menschen, die auf der Erde leben, sind darum auch keine Marionetten Gottes,
sondern freie Partnerinnen und Partner des Schöpfers, die den Auftrag haben,
seine Schöpfung zu bebauen und zu bewahren.
(22) Glaube tritt nur dort auf, w es gerade nicht um Wissen geht. Was ich
wissen kann, brauche ich nicht zu glauben.
(23f) … die Dimension des unmittelbaren
Erlebens unseres Daseins und des Daseins anderer Menschen, aber auch der
Natur, wie sie auf uns in ihrer Schönheit und ihrer Bedrohlichkeit wirkt …
da spricht uns der Kosmos in einer anderen Sprache an als mit den Formeln der
Wissenschaft …
(26) … der Galube hat … keine wissenden Einblicke in so etwas wie eine
Schöpferwerkstatt Gottes. Ihn spricht vielmehr die menschliche und natürliche
Wirklichkeit so an, dass dadurch das Vertrauen zu Gott als dem Schöpfer
ausgelöst wird. …
(26) Die großen Religionen Asiens – der Hinduismus und der Buddhismus – führen
die Wirklichkeit der Welt und des Menschen nicht auf einen Schöpfer zurück. Sie
richten sich auf die Erlösung und Befreiung von dieser Welt. Die Art und Weise,
wie uns die Natur und unsre menschliche Daseinsart anspricht,
hängt darum immer auch damit zusammen, welche Vorstellung vom Göttlichen wir
schon mitbringen.
(27) Glaube an den Schöpfer aber heißt, dass uns das göttliche
Schöpfungshandeln entzogen ist und
von allen innerweltlichen Entwicklungen unterschieden bleibt.
(28) unterscheiden wir … zwischen der Wahrnahme der Wirklichkeit als Natur und als Schöpfung (Kreatur). Die Naturwissenschaft lehrt uns zu verstehen,
wie die Natur, die wir als Schöpfung eines Schöpfers glauben, strukturiert ist.
Der Glaube vermittelt uns die Gewissheit, dass die Schöpfung, wie sie sich als
Natur darstellt, bejaht ist, so dass wir selbst alles, was geworden ist,
dankbar und staunend bejahen können.
(30) Der Glaube an Gott den Schöpfer, wie er sich am Beginn der Bibel
artikuliert, wurde so auch zum Element einer Weltanschauung, in der die Erde im
Mittelpunkt des Universums stand. Sie war in Europa die herrschende
Weltanschauung von der Zeit der alten Kirche bis zum Beginn der Neuzeit. Auch
wenn diese Weltanschauung aufgegeben werden musste, wirkt sie bis heute wie
eine Nötigung auf viele Christen, irgendwie über den göttlichen Anfang des
Universums und des Lebens Auskunft zu geben
(31f) (zu 1.Mose 1 und 2)
Wir nennen dergleichen Geschichten heute „Mythen“. Das heißt, es sind
Erzählungen, die den Zustand der Welt, wie ihn die antiken Menschen in Vorderen
Orient erlebten, mit einer Ursprungsgeschichte begründen. Solche Mythen sind
nicht spezifisch biblisch, auch die beiden alttestamentlichen
Schöpfungsgeschichten nicht. …
(Kreationismus) … macht aus Mythen, welche Erfahrungen aus der Welt des
Erlebens mit Ursprungsgeschichten zur Geltung bringen, quasi wissenschaftliche
Einsichten …
Außerdem kennt das Alte Testament noch andere Vorstellungen von der
Weltschöpfung, wie z.B. die von einem dramatischen Kampf Gottes gegen eine
chaotische Macht, die er besiegt (vgl. Psalm 74,13ff.;
Psalm 104,7 u.ö.)
(33ff) Doch die Profilierung des Glaubens an den Schöpfer schuf zugleich nein
Problem, das die frühe Kirche in eine ihrer größten inneren Krisen stürzte.
Wenn sich die Welt der Liebe Gottes verdankt, warum bereitet sie den Menschen
darum so viel Elend und Leid? Naturkatastrophen, Krankheiten, Übel aller Art,
das Gesetz des unbarmherzigen Kampfes aller gegen alle, Tod und Vergehen sind
doch ein hervorstechendes Merkmal des Daseins auf der Erde. Warum sollte ein
Gott der Liebe eine derartig unvollkommene Welt schaffen, in der das „Seufzen
der Kreatur“ (Römer 8,22) ein Grundton der Geschöpfe ist? ….
Marcion… in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts …: Mit dieser Welt … hat
der gute Gott, der in Jesus Christus
auf dem Plan ist, nichts zu tun. Wenn ein Schöpfer diese Welt geschaffen hat,
dann ist es ein miserabler, ein unfähiger und böser Weltenhandwerker (ein
„Demiurg“). Der gute Gott … sendet aus diesem Grunde in seiner Güte Jesus
Christus in diese Welt, um sie aus den Klauen eines solchen Demiurgen zu
befreien. …
Indem die christliche Kirche der Anfangszeit gegen Marcion am Glauben an den
Schöpfer festhielt, hat sie im Unterschied dazu eingeprägt, dass die Erde trotz
ihrer Schattenseiten ein Ort ist, auf dem Menschen dankbar und sinnvoll leben
können. Sie hat es als Auftrag Gottes für das Leben von Menschen angesehen,
sich gegenseitig in den Nöten beizustehen, welche diese Erde ihnen bereitet.
Sie hat den Mut von Menschen gestärkt, selber dafür einzutreten, dass die
Schöpfung für uns immer bewohnbarer wird.
(36) Dieses Bekenntnis lebt im Widerstand
gegen alle Erscheinungen, die von unserer Erfahrung her gegen den Satz Gottes
aus der Schöpfungsgeschichte sprechen, der da lautet „und siehe, es war sehr
gut“ (1.Mose,1,31).
(38) Gottes Urteil über die Schöpfung, dass sie gut sei, gilt so gesehen einer
Wirklichkeit, die auch noch im Werden ist und sich nicht bloß im Gewordensein
erschöpft.
(39) Theorie (Theo-ria heißt auf griechisch
Gottes-Anschauung)
(52f) John Polkinghorne / Cambridge:
Indem Gott das „Risiko“ eingeht, die natürlichen Systeme freizusetzen, schränkt
er seine Allmacht und Allwissenheit ein und nimmt leidend an den Prozessen des
Zerfalls teil. …
Verwicklung des Schöpfers in sein eigenes Werk … (Krötke:)eine Denkweise,
welche der biblische Glaube an den Schöpfer eigentlich ausschließt …
Wenn es sich also tatsächlich nahe legt, die Wirklichkeit des Universums, zu
der wir selbst gehören, als einen Prozess zu verstehen, so ist doch höchste
theologische Vorsicht geboten, wenn die Tendenz besteht, Gott selbst zu einem
Moment dieses Prozesses werden zu lassen.
(54) (biblische Darstellungen und Glaubenstraditionen) … lassen das Ende der
Erde und der Menschenwelt mit dem Ende des Universums zusammenfallen. Davon
geht jedoch keines der (physikalischen)
Szenarien des Weltendes aus
(55) Während sonst alles in einem naturgesetzlich sinnvollen Zusammenhang
gesehen wird, wird den einzigen im Universum auftretenden Erscheinungen, die
diesen Sinn entdecken und artikulieren können – nämlich uns -, Sinnlosigkeit
bescheinigt … Dergleichen befriedigt keinen denkenden Menschen, dem der Kosmos
nun einmal die Fähigkeit zugespielt hat, so etwas wie ein Ziel und sich selbst
als Ziel zu denken.
(56) Vergeistigung des Materiellen wäre dann der eigentliche Sinn des Auftretens
von Menschen. Die Möglichkeit, dass unser Geschick nicht mit dem des
Materiellen zusammenfällt, tut sich auf.
(60) Eine Schöpfung, die sich nicht als Schöpfung wahrnehmen kann, ist sinnlos.
Darum fällt uns bewussten Wesen trotz aller unserer Begrenztheit auf der Erde
die Aufgabe des ausdrücklichen Kundgebens des Schöpfers zu.
(61) (Der Mensch) ist nicht nur ein passives Bild Gottes. Er kann und soll
seine Gott entsprechende Geschöpflichkeit in Freiheit gestalten. Ihm wird, weil
nur er das inmitten der übrigen Schöpfung tun kann, damit auch eine
Verantwortung für die ganze ihm zugängliche Geschöpfwelt zugesprochen, die auf
der Linie des Handelns des Schöpfers selbst liegt. Er ist dazu bestimmt und
ausgerüstet, mit seinen menschlichen Möglichkeiten und in seinen Grenzen für
die Schöpfung einzutreten, wie sie von Gott eigentlich gemeint ist.
(63) Wer sich als Ebenbild Gottes versteht, ist niemals legitimiert, sich in
eingebildetem Größenwahn über andere Menschen zu erheben und mit seinen
Herrschaftsmöglichkeiten in der Schöpfung herumzuwüten.
(65) Bei jedem konkreten Fall des Entstehens einer Art muss nach weiteren
Faktoren gefragt werden, die im Erbgut und aus der Umwelt heraus das Entstehen
einer bestimmten Art begünstigen.
(66) … meldet sich fast unvermeidlich die Vermutung, ob nicht der ganze Prozess
der Evolution des Lebens mit innerer Gesetzmäßigkeit zu immer komplexeren
Lebensformen und schließlich zum Menschen drängt.
(71) … das Feld einer kulturellen
Evolution, auf dem die Menschheit beständig Fortschritte zu einer größeren
Freiheit von ihrer Verhaftung an die materielle und biologische Natur gemacht
hat und machen wird.
(Wolf Krötke: Erschaffen und erforscht, Mensch und Universum in Theologie und
Naturwissenschaft, Wichern-Verlag Berlin, 2002)
·
(33) Für das Alte Testament ist als
verbindliche wissenschaftliche Ausgabe des hebräischen Textes seit 1937 der
Kodex B 19 A der Öffentlichen Bibliothek in Leningrad im Gebrauch, eine aus dem
Jahre 1008 u. Z. stammende Handschrift;
verbindlicher Text für die römische Kirche ist die lateinische „Vulgata“ des
Hieronymus, die dieser um 400 u. Z. als Übersetzung aus hebräischen und
griechischen Vorlagen angefertigt hat
(Walter Beltz: Gott und die Götter, Biblische Mythologie, Aufbau-Verlag Berlin
1975)
·
liest man schon im Alten Testament
beim Propheten Amos (Amos 9,7) folgende Frage Gottes:
“Seid ihr nicht wie die Söhne und Töchter von Kusch für mich, ihr Söhne und
Töchter Israels? Habe ich nicht Israel heraufgeführt aus dem Lande Ägypten und
die Philister aus Kaftor und Aram aus Kir?“ Amos lässt Gott nicht weniger
sagen, als dass er nicht nur Israel, sondern auch Nubier (die Kuschiten),
Philister und Aramäer zu einem befreienden Exodus geführt hat, also nicht nur
mit Israel, sondern auch mit anderen Völkern eine eigene Befreiungsgeschichte
hat.
(taz 4.5.2010 S.16)
·
Prozesstheologie …
dass Gott und Universum eng verbunden werden und Gott über die Veränderungen
des Universums selbst in der Zeit veränderlich ist ;
deutet sie die Wirklichkeit dieser Welt als einen großen Prozess, an dem Gott
selbst beteiligt ist, ja selber sogar Teil dieses Prozesses ist;
Der kreative Prozess ist also durch das Werden von neuen Ereignissen bestimmt,
die ihrerseits ihre Realität durch vorangegangene Ereignisse erlangt haben,
Jedes Ereignis ist eine relative Neuheit, weil ein neues Ereignis nie
voraussetzungslos ist. Das Neue, das einzigartig und noch nie dagewesen ist,
kommt nur zustande, weil Gott die Möglichkeit für etwas Neues bereitstellt. Das
Bereitstellen von Möglichkeiten, respektive das Bewahren von allen schon einmal
gemachten Erfahrungen in der Welt, ist Gottes Beteiligung an der Schöpfung und
wird als Gottes „Absolutheit“ bezeichnet. Gottes Allmacht besteht also nicht im
Vorauswissen des Laufes der Welt, sondern in der Bereitstellung aller
Möglichkeiten im Hinblick auf die Konkretisierung von neuen Ereignissen.:
Prozesstheologie versteht die Beziehung von Gott und Welt als eine gegenseitige
Abhängigkeit. Weder Gott noch die Welt sind für sich genommen ganz, einzig in
ihrer Beziehung aufeinander sind sie ganz;
Prozesstheologie beschreibt die Schöpfung also nicht allein als eine von einem
„außenstehenden“ Gott in autonomer, souveräner und unangefochtener Manier
durchgeführte Aktion, sondern als Prozess einer vielgestaltigen, mehrstufigen
und mehrdimensionalen wechselseitigen Beziehung zwischen Gott und Welt
(Stephan Degen-Ballmer, reformierter Prozesstheologe, Schweiz)
·
Ist Gott auch für Krankheiten und
Unglücke verantwortlich?
Bibel:
Amos 3,6:
Geschieht ein Unglück in einer Stadt,
ohne dass der HERR es bewirkt hat?
Jesaja 45,6-7:
Ich bin der HERR und keiner sonst.
Der das Licht bildet und die Finsternis schafft,
der Heil vollbringt und Unheil schafft,
ich der HERR, bin es, der all dies vollbringt.
·
Chefredakteur Arnd Brummer:
Also gut: Ich glaube nicht an einen strafenden Gott. Ich halte es da mit dem
evangelischen Theologen Friedrich Schleiermacher. Ich glaube an einen Gott, der
wusste, was er tat, als er Menschen schuf. Er hat nicht zufällig fehlbaren
Typen das Leben eingehaucht, die einen freien Willen haben, nach Erkenntnis
streben und dabei alle möglichen Torheiten begehen. Und den größten Mist machen
sie, wenn sie es gut meinen. Warum aber soll Gott sie dafür bestrafen, dass er
sie so geschaffen hat?
(chrismon 06-2011 S.20)
·
Matthias Ring, Bischof der
alt-katholischen Kirche Deutschlands:
Nun bin ich kein Kind mehr, habe Theologie studiert, bin Bischof und würde
mich, hörte ich eine himmlische Stimme so zu mir sprechen wie zu Don Camillo,
beunruhigt einem befreundeten Arzt anvertrauen. Ich gebe zu, ich rechne nicht
damit, dass Gott in der Art und Weise sein Wort an mich richtet wie einst zu
Mose im Dornbusch. Würde mich jemand fragen, wie er sich das vorzustellen habe,
würde ich ihm sagen, es habe sich vermutlich nicht um eine akustisch
wahrnehmbare, sondern um eine innere Stimme gehandelt;
Eine bestimmte Art frommer Menschen mag dies als skandalösen Glaubensmangel
empfinden, aber ich müsste ansonsten für die biblische Zeit Phänomene
anerkennen, die mir heute unmöglich scheinen. Im Grunde müsste ich mich als
Mensch aufspalten in einen von Herzen Glaubenden, der Denken und Vernunft
ausklammert, und einen, der im 21. Jahrhundert lebt und seine Existenz auf
Verstandesgebrauch und Vernunft aufbaut. Mein Anspruch an mich ist ein anderer:
mit Vernunft und Verstand von Herzen zu glauben.;
wenn selbst unter Kirchenmitgliedern der Glaube an einen Gott, wie ihn die
Kirchen lehren, schwindet – das sagen uns alle religionssoziologischen
Untersuchungen. An einen persönlichen Gott glauben zum Beispiel nach einer
Studie der Bertelsmann-Stiftung (Religionsmonitor 2008) je nach Altersgruppe
noch 30 bis 43 Prozent der Befragten.;
Die Alt-Katholiken mussten sich zwangsläufig als eigene Kirche organisieren.
Glaube und Moderne nicht als Widerspruch zu erleben, sondern miteinander zu
versöhnen – dieser Anspruch steht auch an der Wiege des Alt-Katholizismus.
Vordergründig entstand meine Kirche aus dem Protest gegen die Dogmen des Ersten
Vatikanischen Konzils (1870). Dieses lehrte, dass der Papst in Fragen des
Glaubens und der Moral unter bestimmten Bedingungen unfehlbare
Lehrentscheidungen treffen könne und dass er die oberste Gewalt in der Kirche
innehabe. Diejenigen, die diese Dogmen ablehnten, sahen in ihnen eine Neuerung,
die sich weder durch die Heilige Schrift noch durch die Tradition begründen
ließ. Sie hingegen wollten beim „alten“ katholischen Glauben bleiben und
erhielten deshalb den heute so missverständlichen Namen „Alt-Katholiken“.
Missverständlich deshalb, weil es eben nicht die Ewiggestrigen waren, die sich
nach 1870 in einer eigenen Kirche organisierten, sondern jene Katholikinnen und
Katholiken, die die Kirche für die Moderne öffnen wollten.;
Ich glaube an Gott, aber im Sinne eines vernünftigen und aufgeklärten
Christentums. Mit diesen sicherlich missverständlichen Begriffen meine ich ein
Christentum, das die Erkenntnisse der Theologie, insbesondere der historischen
Wissenschaft und Bibelwissenschaften der letzten 200 Jahre, zur Kenntnis nimmt
und nicht in den Hörsälen der Universitäten ihr Dasein fristen lässt. Ich
staune immer wieder, wie wenig davon in der Verkündigung vorkommt. Da höre ich
zum Beispiel in einer Predigt „Jesus sagte“, und wir wissen genau, dass es sich
dabei um ein Wort des Evangelisten handelt und nicht um ein Jesus-Wort. Oder es
wird so getan, als hätten sich kirchliche Institutionen, auch das kirchliche
Amt, nicht entwickelt, sondern seien von Jesus so eingesetzt worden. Meint
man, man könne diese Erkenntnisse den „normalen“ Christinnen und Christen
nicht zumuten?;
Anstatt immer gleich die Rechtgläubigkeit bedroht zu sehen, würde ich mir mehr
Mut zum experimentellen Nachdenken über Gott wünschen.
(chrismon 09-2011 S.36)
·
Der kürzeste Witz über die Allmacht
besteht nur aus einem Satz: »Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähl ihm
von deinen Plänen.« Das soll heißen, dass der
Allmächtige sich nicht um die kleinen Pläne seiner Geschöpfe kümmert. Der
Mensch denkt, und Gott lenkt
(Die Zeit 15.9.2011 S.72)
·
(27)
„Glauben“, lehrt man an der Päpstlichen Universität Gregoriana, gelte nur auf
der „oberen“ Ebene der eigentlichen, der christlichen Offenbarungswahrheiten
(Dreifaltigkeit, Menschwerdung …). Glauben habe jedoch nichts auf der
„unteren“, natürlichen Ebene der Vernunft nichts zu suchen. Da müsse allein die
Ratio, das Wissen herrschen: evidente Einsichten und rationale Argumente.
(30f.) Glauben? Glauben?? Das ist doch keine Antwort! Ich möchte wissen! …
Was ging mir da plötzlich auf? Dass mir in dieser Lebensfrage ein elementares
Wagnis zugemutet wird, ein Wagnis des Vertrauens!
Welche Herausforderung: Wage ein Ja! Statt des abgründigen Misstrauens im
Gewand des Nihilismus oder Zynismus riskiere ein grundlegendes Vertrauen zu
diesem Leben, zu dieser Wirklichkeit! Statt eines Lebensmisstrauens wage ein
Lebensvertrauen: ein grundsätzliches Vertrauen zu dir selbst, zu den anderen
Menschen, zur Welt, zur fraglichen Wirklichkeit überhaupt.
(57) Bei aller Freude an der Natur kann ich kein Naturmystiker sein. Das heißt:
Die Naturerfahrung ersetzt mir nicht die Gotteserfahrung. Ich beobachte,
Betrachte, respektiere, bewundere die Natur, aber ich glaube nicht an die
Natur, kenne auch ihre finstere Seite. Ich mache sie nicht zum Gott, bin kein
Alles-Vergötterer, kein Pan-theist.
Von der modernen Naturwissenschaft überzeugt, bleibe ich mir stets bewusst,
dass die gesamte Natur unter den grausamen Gesetzen der Evolution steht: Das
„Überleben des Bestangepassten“ gilt von den Molekülen bis zu den Raubtieren …
Ein „Gesetz“ von Natur- und Menschheitsgeschichte schwierig zu vereinbaren mit
einem erfreulichen menschlichen Zusammenleben, aber auch mit einem göttlichen
„intelligent design“. …
Deshalb mache ich mir auch keine Illusionen: Immer und überall können Lebewesen
nur überleben, wenn sie andere Lebewesen schädigen, gar vernichten. Wir Menschen
unsererseits können nicht mehr und nicht weniger, als den Schaden so gering wie
möglich zu halten.
(59f.) Bei allen Bedenken gegenüber der Naturmystik kann ich Albert Einsteins
„kosmischer Religiosität“, der kein menschenartiger Gottesbegriff entspricht“,
durchaus etwas abgewinnen … Allerdings nehmen wir heute ernst, womit Einstein
aufgrund pantheistischer Neigungen noch Schwierigkeiten hatte: dass Ordnung
(„Kosmos“) und Notwendigkeit nur die eine Seite des Universums ist. Die andere
ist die Unordnung („Chaos“), das Unscharfe, Unbestimmbare, Zufällige, was sich
in der ganzen Entwicklung des Kosmos, aber insbesondere in der Quantenmechanik
zeigt, die Einstein deshalb ablehnte.
(62) „Glauben Sie an die Evolutionstheorie?“, werde ich besonders in den USA
von fundamentalistischen Bibelgläubigen gefragt …
Da antworte ich: „An die Evolutionstheorie glaube ich nicht, denn sie ist für
mich wissenschaftlich erwiesen“.
(76) … weil auch für die große Mehrheit der Katholiken das „Was ich glaube“ und
„Was die Kirche zu glauben vorschreibt“ (so die Katechismus-Formulierung) weit
auseinanderklaffen, und dies in moralischen wie in dogmatischen Fragen.
(78) Die Globalisierung erfordert, wenn sie nicht inhumane Effekte haben soll,
auch eine Globalisierung des Ethos! Angesichts der Probleme von Weltpolitik,
Weltwirtschaft und Weltfinanzsystem braucht es ein Weltethos, das von den Weltreligionen mitgetragen werden kann, aber
auch von Nichtglaubenden, Humanisten, Laizisten.
(84f.) Grundkriterium Menschlichkeit …
“Gut“ ist nicht einfach das was, wie Traditionalisten und Integralisten meinen,
schon immer und überall galt: Das „gute Alte“, die Tradition, erwies sich schon
oft als menschenfeindlich.
Gut ist aber auch nicht einfach, wie Revolutionäre und Revoluzzer stets meinen,
das Neue: Das „tolle Neue“, die Revolution, erwies sich oft als ebenso wenig
menschenfreundlich.
Nein, gut ist für den Menschen, ganz elementar formuliert, was – ob alt oder
neu – ihm hilft, wahrhaft Mensch zu
sein.
(129) Wenn ich … sehe, was da kirchlicherseits neuestens wieder in
mittelalterlichem Geist an „Wundern“ approbiert und durch „Heiligsprechungen“
sanktioniert wird, wie alte Legenden als historische Fakten verkündet, dubiose
Wallfahrten gefördert und das fromme Volk einfach für dumm verkauft wird, und
wenn ich mich dann frage: „Was ich glaube?“, lautet meine klare Antwort: Nein,
dies alles glaube ich nicht, und kein Theologe der Welt wird mich überzeugen
können, dass solches wesentlich zu meinem Gottesglauben, zumal christlichen
Gottesglauben, dazugehöre.
(152ff.) Man kann sich der Musik, gerade der klassischen, die ein
verständnisvolles Hören erfordert, schlicht verweigern. Ich kann einfach
abschalten, äußerlich und innerlich. Musik lädt mich zwar zum Hören ein, aber
erzwingt kein Zuhören. Musikhören ist ein Akt der Freiheit. Und in noch ganz
anderer Weise gilt das auch für das Ja-sagen zu einer metaempirischen
Wirklichkeit: Es geht hier erst recht um eine freie Zustimmung …
Unter Umständen können nämlich Musiker, auch Dichter, Künstler, überhaupt
religiöse Menschen Wirklichkeiten erahnen, erspüren und in ihren Werken
ausdrücken, die den physikalischen Raum, den Energie- und Zeitraum sprengen. …
(Musik existiert ja aber in dieser Welt,
ist physikalisch – z.B. durch Schwingungen – präsent; wenn Künstler andere
Wirklichkeiten erahnen, kann das ja auch nur durch grundsätzlich messbare
physikalische Wirkungen geschehen JK)
Die Musik ist nicht mehr nur ein Gegenüber, sondern ist das Umfangende,
Durchdringende, von innen her Beglückende, mich ganz Erfüllende. Mir drängt
sich der Satz auf: „In ihr leben wir, weben wir und sind wir.“ Doch das ist
bekanntlich ein Wort des Neuen Testaments, der Apostelgeschichte …
Chiffren, Spuren, die eine andere Wirklichkeit erahnen lassen als nur die
physikalisch-physiologisch-empirische. …
Es besteht also für mich stets ein Grund zur Dankbarkeit, nicht nur den
Menschen, sondern einer anderen Instanz gegenüber, die mein Leben trotz allen
Widersinns sinnvoll sein lässt. Die den Ur-Grund darstellt für ein erneutes,
erneuertes Vertrauen auf die Fügung und Führung in meinem Lebenswerk, die
Verdanktheit unserer Existenz. …
Gott als Name für den tragenden Sinn-Grund des Ganzen …
Ich galube an Gott, Urgrund und Ursinn aller Dinge. Glauben verstehe ich hier
im vollen und radikalen Sinn:
+ nicht nur „glauben, dass“: dass Gott existiert;
+ nicht nur „jemandem glauben“: seinen Worten glauben
+ sondern „an ihn glauben“: auf Gott mein ganzes, unbedingtes und
unwiderrufliches Vertrauen setzen. …
Doch – wie wäre es, wenn am Ende herauskäme, dass ich mich in meinem Glauben
getäuscht habe? Dann hätte ich, das ist meine Überzeugung, dennoch ein
glücklicheres Leben mit Gott gelebt als ohne ihn.
(167) In der christlichen Tradition ist die naive vormoderne Erklärung von
paranormalen Bewusstseinsphänomenen durch dämonische oder göttliche Einwirkung
längst einer differenzierten psychologischen Diagnose gewichen. Visionen,
Auditionen, Eingebungen sind dem Psychiater aus seiner Arbeit mit
schizophrenen, manischen oder exaltierten Patienten geläufig und werden heute
kaum noch religiös gedeutet.
(173) Albert Einstein … hat Einwände gegen ein personhaftes Gottesverständnis
geäußert. Ich nehme sie ernst. Wenn er von kosmischer Vernunft oder wenn
östliche Denker von dem „Einen“, vom „Nirvana“, „Leere“, „Absulutem Nichts“,
„Leuchtender Finsternis“ sprechen, dann wird man die verstehen müssen als oft
paradoxen Ausdruck der Ehrfurcht vor dem Geheimnis des Absoluten, das sich
weder in Begriffen noch in Vorstellungen einfangen lässt – also eine „Theologia
negativa“ („kein Reden von Gott“ JK) gegenüber allzu menschlichen
„theistischen“ Vorstellungen von Gott.
(181) Für mich ist die Bibel nicht nur literarisches Weltkulturerbe, nicht nur
ein Teil des abendländischen Bildungskanons, sondern ein einzigartiges Zeugnis
gläubiger Gotteserfahrungen durch die Jahrhunderte.
(183) Das Christentum erscheint vielen indischen Besuchern etwa barocker
katholischer Kirchen keineswegs als monotheistische, sondern durchaus als
polytheistische Religion. Nur das Katholiken all die Zwischenwesen zwischen
Gott und den Menschen nicht als Götter, sondern als Engel und Heilige
ansprechen und um Hilfe anflehen. Und die Trinitätsspekulation der Kirchenväter
und Theologen, die den Menschen Jesus von Nazaret schlicht auf dieselbe Stufe mit
dem im Neuen Testament stets exklusiv „ho theos – der Gott“, genannten Vater
setzen, dessen „Sohn“ Jesus ist, stellt nicht nur für Juden und Muslime die
Einheit Gottes in Frage.
(187) „Allmächtig“ … ist nicht mein bevorzugtes Gottesattribut. In der griechischen
Übersetzung der Hebräischen Bibel wird das Wort für „zebaot“ (Herr der
„Heerscharen“) eingesetzt, im Neuen Testament aber – abgesehen von der
Apokalypse (und einem Zitat bei Paulus) – auffälligerweise vermieden. Erst in
der Theologie der Kirchenväter und der mittelalterlichen Scholastiker erhält
dieses Prädikat Gottes besonderes Gewicht. …
Iim Prinzip würde ich vom Neuen Testament her andere Gottesprädikate wie
„all-gütiger“ oder (wie im Koran) „all-erbarmender“ Gott bevorzugen. Oder, wenn
das Wort nicht so verniedlicht worden wäre, schlicht „lieber Gotte“ – als
Ausdruck dessen, was, christlich gesehen, die tiefste Beschreibung Gottes sein
dürfte: „Gott ist die Liebe (1.Joh. 4,8.16).
Als allzu äußerliche, anthropomorphe Vorstellung empfinde ich, Gott als
allmächtiger „Herr“ und „Herrscher“
„kontrolliere“ oder „steuere“ sämtliche Ereignisse im Kosmos, auch die
scheinbar zufälligen, sogar die unbestimmten subatomaren Abläufe. Wie stünde es
denn da um all die Verschwendungen und Sackgassen der Evolution, wie um die
ausgestorbenen Arten, wie um die elend umgekommenen Tiere und Menschen? Und wie
um die unendlichen Leiden und all das Böse in dieser Welt und Weltgeschichte?
Darauf hat die Konzeption von einem allmächtigen Herr-Gott keine Antwort.
(192ff.) Haben aber diese uralten Schöpfungsberichte, die nicht in
mathematischen Formeln und physikalischen Modellen reden, sondern in Bildern
(Metaphern) und Gleichnissen (Parabeln), heute überhaupt noch etwas über den
Ursprung zu sagen? Durchaus, es sind Wahrheiten, über die auch
Naturwissenschaftler nachdenken sollten, weil sie nicht nur für die
Wissenschaft, sondern vor allem für unser Leen relevant sind:
dass Gott der Ursprung von allem und in jedem ist;
dass er in der Weltgeschichte mit keinem bösen dämonischen Gegenprinzip in
Konkurrenz steht;
dass die Welt im Ganzen und im Einzelnen, dass auch Materie, Menschenleib und
Geschlechtlichkeit grundsätzlich gut sind;
dass der Mensch Ziel des Schöpfungsprozesses ist …
Doch zur Vermeidung von Missverständnissen, die für Naturwissenschaftler nahe
liegen, füge ich sofort hinzu: Der Schöpfungsglaube verlangt keineswegs, mich
für diese oder jenes der wechselnden physikalischen Weltmodelle zu entscheiden.
Er benennt die Voraussetzung aller Weltmodelle und der Welt überhaupt und ist
mit verschiedenen Weltmodellen vereinbar
(190) Gott ist nicht die Evolution, wie Pierre Teilhard de Chardin
missverständlich formuliert hat, sondern Gott ist in der Evolution.
(194f.) Wie auch immer der Übergang vom Unbelebten zum Leben im Einzelnen genau
erklärt wird, er beruht auf biochemischen Gesetzmäßigkeiten und somit auf der
Selbstorganisation der Materie, der Moleküle. Wie sich aus der Urmaterie durch
elektrische Entladungen immer komplexere Moleküle und Systeme gebildet haben,
so aus Nukleinsäuren und Proteinen das auf Kohlenstoff basierende Leben. Ich
habe begriffen: Schon auf der Ebene der Moleküle regiert also das von Darwin
zunächst in der Pflanzen- und Tierwelt festgestellte Prinzip der „natürlichen
Auswahl“ und des „Überlebens der Bestangepassten“. Diese Tendenz zur „Fitness“
treibt die Entwicklung auf Kosten der weniger gut angepassten Moleküle nach
„oben“. So kommt es zur Entwicklung von einzelligen, dann mehrzelligen
Lebewesen und schließlich von höheren Pflanzen und Tieren. …
In den Einzelprozessen ist das Geschehen ähnlich wie in der Quantenmechanik von
der Zufälligkeit bestimmt, verläuft aber zugleich von Anfang an nach steuernden
Naturgesetzen. …
Der Evolutionsprozess als solcher offenbart keinen Sinn. Den Sinn muss der Mensch
ihm selber geben. Auch für den Biologen herrscht somit kein intellektueller
Zwang, sondern die Freiheit der Wahl. Doch wird er kaum an Gott glauben, wenn
er Gott in der Evolution missversteht als eine übergeschichtliche Person, die
kraft ihrer Schöpfermacht den geschichtlichen Menschen und die Völker auch
gegen die Gesetze der Natur und die Ordnungen der Welt von Zeit zu Zeit mit
Wundern überfällt und überwältigt.
So stellt sich selbstverständlich die Frage: Können wir in dieser Welt der
Evolution denn überhaupt noch an Wunder
glauben? Die Bibel ist voll davon, von Anfang bis Ende. … Wie bringe ich diese
Wundergeschichten mit dem streng kausalen Entwicklungsprozess zusammen, wenn da
elementare Naturgesetze durch „Naturwunder“ durchbrochen werden? Nun habe ich
selbstverständlich Verständnis dafür, dass auch heute noch Menschen, die von
den Ergebnissen der Naturwissenschaft wenig berührt sind, solche biblischen
„Naturwunder“, die den lückenlosen Kausalzusammenhang verletzen, wortwörtlich
nehmen wollen. Ich bin gegen „Zwangsaufklärung“. Doch aufgeklärte Gottgläubige
sollten für die „Naturwunder“ nicht gekünstelte naturwissenschaftliche
Erklärungen suchen müssen, sondern … die Ergebnisse der modernen
Bibelwissenschaft ernst nehmen; sie sind auch für den Naturwissenschaftler
interessant.
So wird er mit mir differenzieren können: Es gibt Wundergeschichten, bei denen
es sich zumeist um kaum bestreitbare historische Ereignisse handeln dürfte:
insbesondere die vielen charismatischen Heilungen Jesu, zu denen auch die
Austreibung von krankmachenden Dämonen gehört.
Bei einer zweiten Gattung von Wundergeschichten handelt es sich einfach um
erstaunliche, aber nicht ganz unübliche Naturereignisse: so etwa die Mücken-
oder Heuschreckenplage und andere Plagen beim Auszug aus Ägypten.
Bei der dritten Gattung jedoch handelt es sich offenkundig um legendär
ausgeschmückte Geschichten: etwa die Sonne, die dem Buch Josua zufolge über
Gibeon stillsteht, aber auch im Neuen Testament – und dies sollte man auch in
Predigten nicht verschweigen – das Wandeln auf dem Wasser, die Sturmstillung,
die wunderbare Speisung Tausender, die drei Totenerweckungen … Das sind ja die
eigentlichen „Naturwunder“, die man nicht wortwörtlich nehmen muss.
Auch für den Naturwissenschaftler ist es hilfreich zu wissen: eine wirkliche
Durchbrechung von Naturgesetzen lässt sich in der Bibel historisch nicht
nachweisen. Warum? Weil die Menschen zur Zeit der Bibel an Naturgesetzen
überhaupt nicht interessiert waren. Solche waren ihnen nicht bekannt. Man
dachte nun einmal nicht naturwissenschaftlich und verstand die
Wundergeschichten folglich auch nicht als Durchbrechung von Naturgesetzen. …
Anders als die historischen Heilungswunder stehen die sogenannten „Naturwunder“
demnach in der Bibel als Metaphern, und wie in der Poesie, so wollen auch diese
Metaphern die Naturgesetze nicht aushebeln.
(214) Allzu lange hat man in der offiziellen Lehre, in Enzykliken, Katechismen,
Hirtenbriefen und Predigten dem „Volk“ die Resultate der historischen
Bibelkritik vorenthalten und es zum Beispiel über die Entstehung der Evangelien
und die unterschiedlichen Genres biblischer Erzählungen im Dunkeln gelassen.
Bis heute fehlt es vielen Menschen an – unterdessen leicht verfügbarem –
Grundlagenwissen über die christliche Botschaft und Tradition.
(218) Wer also ist ein Christ? Nicht derjenige, der nur „Herr, Herr“ sagt und
einem „Fundamentalismus“ huldigt, sei er biblizistisch-protestantischer,
autoritär-römisch-katholischer oder traditionalistisch-östlich-orthodoxer
Prägung. Christ ist vielmehr, wer auf seinem ganz persönlichen Lebensweg (und
jeder Mensch hat seinen eigenen) sich bemüht, sich an diesem Jesus Christus
praktisch zu orientieren. Mehr ist nicht verlangt.
(234ff) Theodizee – Rechtfertigung Gottes …
Warum hat Gott das Übel nicht verhindert?
Entweder Gott kann es nicht: dann ist er nicht wirklich allmächtig.
Oder er will nicht: dann ist er nicht gut, gerecht und heilig.
Oder er kann nicht und will nicht: dann ist er machtlos und missgünstig
zugleich.
Oder er kann und will: warum dann aber all die Schlechtigkeit in der Welt? …
So kann und muss ich insbesondere zum Grauen des Holocausts dies sagen: Wenn
Gott existiert, dann war Gott auch in Auschwitz! … Unbeantwortbar aber bleibt
die Frage; Wie konnte Gott in Auschwitz sein, ohne Auschwitz zu verhindern? …
Leid, übergroßes, unverschuldetes, sinnloses Leid – individuelles wie
kollektives – lässt sich nicht theoretisch verstehen, sondern bestenfalls
praktisch bestehen
(Hans Küng: Was ich glaube, Piper, München, 2009)
·
(S. 31) Theisten,
Deisten und Pantheisten
Ein Theist glaubt an eine übernatürliche
Intelligenz, die das Universum erschaffen hat und die iimmer noch gegenwärtig
ist, um das weitere Schicksal ihrer ursprünglichen Schöpfung zu beaufsichtigen
und zu beeinflussen. In vielen theistischen Glaubenssystemen ist dieser Gott
eng in die Angelegenheiten der Menschen eingebunden. Er erhört Gebete, vergibt
oder bestraft Sünden, greift durch das Vollbringen von Wundern in die Welt ein,
zürnt über gute oder schlechte Taten und weiß, wann wir sie begehen (oder auch
nur daran denken, sie zu begehen).
Ein Deist glaubt ebenfalls an
eine übernatürliche Intelligenz, aber deren Tätigkeit beschränkt sich darauf,
die Gesetze aufzustellen, denen das Universum unterliegt. Der deistische Gott
greift später nie mehr ein und interessiert sich sicher nicht für die
Angelegenheiten der Menschen.
Pantheisten schließlich glauben
überhaupt nicht an einen übernatürlichen Gott, sondern benutzen das Wort „Gott“
als Synonym für die Natur, für das Universum oder für die Gesetzmäßigkeiten,
nach denen es funktioniert.
Deisten unterscheiden sich von Theisten darin, dass der Gott der Deisten
keine Gebete erhört, sich nicht für Sünden oder Beichte interessiert, unsere Gedanken
nicht liest und uns nicht mit launischen Wundern in die Quere kommt.
Im Gegensatz zu den Pantheisten halten die Deisten Gott dennoch für eine Art
kosmischer Intelligenz, während er für die Pantheisten ein metaphorisches oder
poetisches Synonym für die Gesetze des Universums darstellt.
Pantheismus ist aufgepeppter Atheismus, Deismus ist verwässerter Theismus.
(Dawkins zitiert Einstein – hier
verändert von JK aus dem Original wiedergegeben:)
“Zu empfinden, dass hinter dem Erlebbaren ein für unseren Geist Unerreichbares
verborgen sei, dessen Schönheit und Erhabenheit uns nur mittelbar und in
schwachem Widerschein erreicht, das ist Religiosität. In diesem Sinne bin ich
religiös.“
(Albert Einsteins gesprochenes
Glaubensbekenntnis, wahrscheinlich 1932 auf Schallplatte gesprochen, Abdruck:
Zeitschrift „Die Naturwissenschaften“ 53 (1966) Heft 8, S. 198)
In diesem Sinne bin auch ich religiös, allerdings mit der Einschränkung,
dass „unserer Vernunft nicht zugänglich“ nicht bedeutet: „für immer und ewig
unzugänglich“. Indes, ich nenne mich lieber nicht „religiös“, weil diese
Bezeichnung missverständlich ist …
(Richard Dawkins: Der Gotteswahn, Ullstein Taschenbuch, Berlin 2008)
·
Historisch interessant !
Synode der EKD 1965 zum Schriftverständnis
(S.3) … das Hauptthema der Synode: „Wort Gottes und Heilige Schrift“. Mit
dieser Thematik griff die Synode das
brennende Problem auf, das gegenwärtig in unserer Kirche zur Diskussion steht.
Untergräbt nicht die moderne Theologie das Zutrauen zur Heilige Schrift? Unterwirft
sie die Schrift nicht Maßstäben der Vernunft und der Philosophie, nach denen
Gottes Wort nun einmal nicht gemessen werden kann? Inwieweit ist die Bibel
Gottes Wort, nachdem feststeht, dass ihre Worte von Menschen verfasst sind und
bestimmte politische und gesellschaftliche Verhältnisse zur Voraussetzung
haben? …
(21) Manfred Hausmann …
Der Mensch … hört nach Menschenweise … Er hört daran vorbei, wenn er die Bibel
als eine Volksdichtung versteht, was sie in ihrer sprachlichen Urgewalt,
Märchenhaftigkeit und Zartheit auch ist, oder als eine Wesensschau des
Menschen, was sie auch ist, wie es denn in der Weltliteratur kein zweites Werk
gibt, das ein in seiner Nüchternheit so zutreffendes und in seiner
Abgründigkeit so erschreckendes Menschenbild entwirft wie sie, oder als
säkulare Geschichtsdarstellung, was sie auch ist, als ein volkskundliches
Quellenwerk, als einen Leitfaden für menschliches Verhalten, als eine bis in
die höchsten Höhen sich erhebende religiöse Ethik, als eine vielschichtige
Zusammenfassung von frühzeitlichen, mittleren und späten Mythen, was alles sie
auch ist. …
(26) Der Vorgang, durch den alte Wörter ganz neue Dimensionen erhalten, wenn
sie biblische Inhalte aufnehmen, wiederholt sich in ähnlicher Weise bei der
Übergabe alttestamentlicher Begriffe an die griechische Sprache. Das heißt an
eine Sprache, die ihrem rationalen Wesen nach die hintergründigen hebräischen
Wörter nicht verarbeiten kann. Deshalb ist die Überantwortung der
alttestamentlichen Theologie an die griechische Umgangssprache ein Widerspruch
in sich. Sie ist ebenso unmöglich uns widersinnig wie die Menschwerdung Gottes.
Und doch geschieht die eine wie die andere.
Im Gegensatz zu früheren Zeiten, die in jedem biblischen Wort den Atem Gottes
spüren wollten, glauben wir heute zu wissen, dass die Bibel von irrenden und
sündigen Menschen für sündige und irrende Menschen geschrieben ist. …
Sie ist uns bleibt Gottes Wort. Sie ist es und sie bleibt es auch dann, wenn
wir nicht mehr jeden einzelnen Satz wortwörtlich gelten lassen. …
(29) Wenn Gott redet, dann redet er nicht im leeren Raum. Seine Rede ist keine
abstrakte Rede, sondern Anrede. Er verkündigt keine beziehungslosen Weisheiten,
keine Weisheiten als solche, sondern er sendet sein Wort in ganz bestimmter
Absicht in eine ganz bestimmte konkrete geschichtliche Situation hinein. …
Paulus verfasste keine theologischen Traktate, sondern redete zu bestimmten
Zeiten bestimmte Gemeinden an, weil bestimmte Schwierigkeiten, Gefahren und
Probleme aufgetaucht waren … Er diskutierte mit ihnen nicht über irgendwelche
interessanten Themen, sondern er sprach über das, was ihnen auf den Nägeln
brannte …
(31) „Israel“ heißt „Kämpfer gegen Gott“ …
(39) Werner Krusche …
… wird der Pfarrer entweder resignieren und der notwendigen Auseinandersetzung
ausweichen, oder er wird zu einer Doppelexistenz verführt – dass er für sich
behält, was er weiß, und predigt, wie man es erwartet -, da er ja dauernd
befürchten muss, als „ungläubig“, als ein Mann mit einem „gebrochenen
Verhältnis zur Bibel“ … diskreditiert zu werden. …
(42f) Der Streit um die
Bibel in der Kirche ist nun aber ebenfalls angelegt im Wesen der Bibel selbst,
nämlich insofern wir es in ihr mit Gottes Wort zu tun haben, das als Zeugnis
geschichtsgebundener Menschen von Gottes in der Geschichte geschehendem
Heilshandeln an Menschen in bestimmten Geschichtssituationen ergangen ist und
weiterbezeugt werden will an Menschen in wieder neuen Geschichtssituationen.
Die damit gegebene Problematik konnte solange nicht in den Blick kommen, als
man in den biblischen Zeugen Menschen sah, die im Akt ihres Zeugnisses durch
Inspiration aus ihrer Geschichtsgebundenheit befreit und über sie erhöht und zu
Empfängern göttlichen Wissens wurde, als man das Geschichtshandeln Gottes im
Sinne einer historica sacra, einer von der profanen Geschichte ontologisch
unterschiedenen Geschichte ansah, und als man die Situation des Empfängers des
Zeugnisses als eine im wesentlichen gleiche verstand, als die immer gleiche
Situation des sich gegen Gott empörenden Menschen, des Sünders. In dem
Augenblick aber, in dem durch das erwachende, die Neuzeit signalisierende
Geschichtsbewusstsein das Bewusstsein der historischen Distanz und des
geschichtlichen Wandels aufbrach, mussten auch diese drei Voraussetzungen –
Inspiration der Zeugen als Entrückung von ihrem geschichtlichen Ort,
Heilsgeschichte als ontologisch andere, dem Geschichtszusammenhang entnommene
Geschichte, grundsätzlich gleiche Situation des Menschen zu allen Zeiten als
Sünder – problematisch werden. Das erwachende geschichtliche Bewusstsein wurde
der – immer schon vorhandenen und nur nicht erkennbaren
– Geschichtsgebundenheit der Bibel inne – der Zeugen, des Bezeugten und der
Empfänger des Zeugnisses und damit des Zeugnisses überhaupt. Und damit wurde
die Bibel zu einem in der Kirche
umstrittenen Buch. Sie wurde umstritten zwischen denen, die in der Behauptung
des Geschichtscharakters der Bibel ihre Auslieferung an die Relativität des
Geschichtlichen und damit die Aufhebung ihrer Singularität als Gottes
unwandelbares Wort sahen, und denen, die gerade in der Geschichtlichkeit der
Bibel den dem Menschen lebendig begegnenden Gott wirksam sehen …
Ich habe Angst, einen an der Bibel irre zu machen, und ich habe Angst, jemand
den Zugang zur Bibel zu versperren …
(46f) Die Zeugen (des Zeugnisses der Bibel) sind Menschen in einem Zeitraum von
tausend Jahren …
Sie sind Zeugen als geschichtliche Wesen
und also in der damit gegebenen Begrenztheit ihres Weltwissens, ihrer
Vorstellungswelt, ihrer Denkstruktur. …
Sie gaben ihr Zeugnis im Umkreis ihrer geschichtlichen, biographischen und
psychologischen Möglichkeiten. Und gerade so und nur so sind sie Zeugen …
Es wäre eine Aufhebung des Zeugnischarakters der Bibel, würde man behaupten,
sie sei irrtumslos und unfehlbar in allem, was sie sagt, auch in ihren
weltbildlichen Aussagen. Vielmehr hat das biblische Zeugnis teil an der
anthropologischen Begrenztheit seiner Zeugen …
Karl Barth: … „Wir können es nicht übersehen, nicht leugnen
und nicht ändern: Wir stoßen in der Bibel hinsichtlich alles dessen, was ihr
Welt- und Menschenbild betrifft, beständig auf Voraussetzungen, die nicht die
unseren sind, und auf Feststellungen und Urteile, die wir uns nicht zu eigen
machen können.“.
An einem Punkte haben das allmählich die meisten begriffen. Es bestreiten heute
nur noch wenige Fundamentalisten, dass das biblische Zeugnis vom ersten bis zum
letzten Buch der Bibel das alte geozentrische Weltbild voraussetzt (noch der
Schreiber der Offenbarung rechnet selbstverständlich damit, dass die Erde so
groß ist, dass ein Drittel der Sterne auf ihr Platz hat – Offb. 12,4). Wir
haben unter schweren Kämpfen gelernt, dass die Bibel uns die Geschichte von
Gottes Heilshandeln bezeugen und uns nicht nebenbei auch noch über alle
möglichen biologischen und astronomischen Sachverhalte belehren will und dass
die Wahrheit des Zeugnisses nicht auf Gedeih und Verderb verbunden ist mit den
Vorstellungen, in denen es ergeht und die wir uns – nicht aus Unglauben,
sondern zufolge besserer biologischer und astronomischer Kenntnisse – nicht
mehr zu eigen machen vermögen und nicht mehr zu eigen machen brauchen …
Wir haben damit eine unerhört weittragende Unterscheidung zu machen gelernt:
die Unterscheidung zwischen Gemeintem und Gesagtem, zwischen der Botschaft und
den Vorstellungen, in denen sie ausgesprochen ist. Wir müssen uns freilich klar
machen, dass das unsere
Unterscheidung ist. Die biblischen Zeugen selbst haben diese Unterscheidung
nicht gemacht und nicht machen können; sie waren von ihrer damaligen
Naturerkenntnis aus selbstverständlich der Meinung, dass ihr Zeugnis nicht nur
hinsichtlich des WAS, sondern auch hinsichtlich des WIE, dass nicht nur die
Botschaft, sondern auch ihre naturwissenschaftlichen Angaben richtig waren …
(49f) Die biblischen Zeugen hatten ein völlig anderes Verhältnis zur Historie
als wir … Sie konnten ganz sorglos das Geschehen mit einer Deutung zusammen
darstellen – und verstanden das Ganze dennoch als Darstellung. …
Sie waren ja Zeugen und nicht neutrale Berichterstatter …
Dabei führt nicht die Historie zum Bekenntnis, sondern das Bekenntnis deutet
und gestaltet die Historie. …
Bericht von den Worten und Taten des irdischen Jesus und Bekenntnis zu dem
erhöhten Herrn sind in ihrem Zeugnis unauflöslich amalgamiert, wobei der Anteil
der Historie und des Bekenntnisses jeweils sehr unterschiedlich ist …
dass manches, was wie Historie klingt, eine Bekenntnisaussage in der Form der
Historie ist.
(52f) Aber wir haben auch in der Überlieferung der Verkündigung Jesu mit der Tatsache zu rechnen, dass Worte, die als Worte
des irdischen Jesus berichtet werden, so nicht von ihm gesprochen worden sind.
Die biblischen Zeugen haben nicht an Unbekannt … geschrieben, sondern sie haben
Menschen in einer ganz bestimmten geschichtlichen Situation vor Augen, die sie
nicht ignorieren, von der sie nicht absehen können …
Paulus hätte den Brief an die Galater nicht nach Thessalonich schicken können
(54) Die Unterschiedlichkeit der Evangelien lässt sich also nicht so simpel
erklären, wie das oft versucht wird, indem man sagt: wenn vier Zeugen des
gleichen Geschehens – z.B. eines Verkehrsunfalls – den Vorfall berichten, so
ist klar, dass ihre Berichte voneinander abweiche.. Das stimmt, wenn die vier
Zeugen gleichzeitig und unabhängig voneinander berichten. Aber ebendies trifft
für die Evangelien nicht zu; ganz abgesehen davon, dass die Evangelisten nicht
selbst Augen- und Ohrenzeugen waren, haben sie nicht gleichzeitig und
unabhängig voneinander berichtet, sondern zumindest zwei von ihnen – Matthäus
und Lukas – haben das Zeugnis des ersten – Markus – gekannt. Wenn ihr Zeugnis
anders lautet als seins, so ist das also nicht selbstverständlich (wie bei den
vier Verkehrsunfalls-Zeugen), sondern dann haben sie sein Zeugnis bewusst und
mit Absicht korrigiert. Und zwar nicht nur im Sinne der Komplettierung, weil
sie sein Zeugnis für unvollständig
gehalten hätten, so dass es von ihnen noch um einiges zu ergänzen gewesen wäre.
Freilich auch nicht in dem Sinne, dass sie sein Zeugnis als unzutreffend beurteilt hätten, so dass
es von ihnen richtigzustellen gewesen wäre. Sondern sein Zeugnis war unzureichend für die neue Situation, in
die hinein sie ihr Zeugnis zu geben hatten …
nach Markus 9,1 sagt Jesus: „Unter denen, die hier stehen, sind einige, die den
Tod nicht schmecken werden, bis sie gesehen haben, dass das Reich Gottes mit
Macht gekommen ist.“ Dies ist ein Hinweis auf die Nähe der Parusie (erwartete Wiederkunft Christi JK) : einige der
Zeitgenossen werden sie erleben. Sie werden das Reich Gottes kommen sehen. Lukas bezeugt dieses Wort
Jesu neu für seine Hörer, die mit der sich dehnenden Zeit rechnen lernen
müssen, indem er das Wort „kommen“ streicht. Jesus sagt dann (Lukas 9,27): „Es
sind einige unter denen, die hier stehen, die den Tod nicht schmecken werden,
bis sie das Reich Gottes gesehen haben.“ …
(57) Dass die biblischen Zeugnisse nicht historische Tatsachenberichte sein können, zeigt die jedem aufmerksamen
Bibelleser auffallende Tatsache, dass die historischen Angaben sich nicht zur Deckung bringen lassen und
gelegentlich sich widersprechen.
(59) … hat uns die historisch-kritische Forschung die Augen geöffnet. Sie hat
uns damit einen großen Reichtum erschlossen, aber zugleich auch vor schwere
Probleme gestellt. Diese Probleme hat sie nicht künstlich erzeugt, sondern nur
sichtbargemacht. Sie hängen mit der aufgezeigten Geschichtsgebundenheit des
biblischen Zeugnisses zusammen. Weil die Bibel das Zeugnis geschichtsgebundener
Menschen an geschichtsgebundene Menschen von Gottes geschichtlichem Handeln
ist, darum ist historisch-kritische Bibelforschung nicht nur erlaubt, sondern
notwendig.
(60) … die historisch-kritische Forschung … verkündigt nicht, sondern erklärt
(64) Wenn R. Bultmann davon spricht, dass die biblischen Schriftsteller im
mythischen Denken gelebt und mythologisch geredet haben,- weil sie als Kinder
ihrer Zeit gar nicht anders reden konnten -, dann meint er damit nicht etwa
nur, dass die biblischen Zeugen hier und da mythologische Vorstellungen ihrer
religiösen Umwelt (wie etwa die Vorstellung von der übernatürlichen Geburt eines
göttlichen Kindes oder von einem Weltgericht, von Dämonen und Engeln)
aufgegriffen und zur Bezeugung der in Jesus Christus zentrierten Geschichte
Gottes benutzt haben, so dass wir vor der Aufgabe stünden, diese gelegentlich
anzutreffenden mythologischen Vorstellungen zu entmythologisieren und also zu
erklären, was mit ihnen gemeint ist. Bultmanns Behauptung von der
mythologischen Redeweise der biblischen Zeugen ist ungleich radikaler und
umfassender: die biblischen Zeugen benutzen nicht gelegentlich mythologische
Vorstellungen, das biblische Zeugnis hat nicht nur ein paar mythologische Züge,
sondern das ganze biblische Zeugnis ist von vorn bis hinten mythologisch.
Mythologisch reden heißt nach Bultmann nämlich: objektivierend, gegenständlich
von Gott und Gottes Handeln reden. Und da die Bibel von der ersten bis zur
letzten Seite gegenständlich von Gott und der Geschichte seines Handelns redet,
ist ihre Rede von der ersten bis zur letzten Seite mythologische Rede …
unangemessene Fragstellung … neutestamentliche Botschaft … verkürzt
(69) H. Braun … Aus dem richtigen Satz, dass man von Gott nicht sprechen könne,
ohne vom Menschen zu sprechen, wird bei ihm der falsche Satz, dass man von Gott
nur reden könne, wenn man vom Menschen redet ... Gott ist ein Geschehen, das
sich zwischen Mensch und Gott vollzieht … Das Heil Gottes ist „in rechter
Mitmenschlichkeit … zu finden“ …;
(73) Mir erscheint die Theologie wie eine Wissenschaft, die mit den
Schwierigkeiten fertigzuwerden versucht, die sie selber künstlich erzeugt hat.
(79ff) “Wort an die Pfarrer“ (in Magdeburg beschlossen)
… In dem Bemühen um sachgemäßes Verhalten und Auslegen der Bibel ist es
unausbleiblich, dass der Pfarrer der Geschichtsgebundenheit der biblischen
Schriften ansichtig wird. Er erkennt sie als Zeugnis von Menschen, die Gottes
Geist in Dienst genommen hat, um Gottes Heilstaten an seinem Volk zu bezeugen.
Aber wie dieses Volk selbst in ganz verschiedenen Geschichtssituationen
existiert, benutzt Gott auch das, von uns aus gesehen, begrenzte Weltwissen,
die, an unserem Maßstab gemessen, unzureichenden und unzutreffenden
geographischen, historischen, astronomischen, biologischen Vorstellungen dieser
Zeugen und ihr so ganz von dem unseren verschiedenes Verhältnis zu historischen
Fakten…
(Der Pfarrer) möchte sich keinesfalls in den scheinbar unangreifbaren Bereich
der „Bibelgläubigkeit“ zurückziehen, welche die unbedingte Autorität der
Heiligen Schrift nur dann gewahrt sieht, wenn der Charakter der Bibel als
Geschichtsbuch unbezweifelbar ist, die absolute Richtigkeit aller ihrer
Aussagen feststeht und „alles geglaubt“ wird. …
Der Heilige Geist ist nicht der Feind, sondern der Freund sachgerechter, sich
ihrer Grenzen bewusster historischer Verstehendmethoden, so wahr er die
biblischen Zeugen nicht ohne, sondern mit ihrem Weltwissen und ihrer
Denkstruktur, d.h. in ihrer Geschichtsgebundenheit zum Zeugnis ermächtigt und
in ihrem Zeugnis geleitet hat. …
(86ff.) „Wort Gottes und Heilige Schrift“
… Die Kirche hat die Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments als Kanon, d.h. als Anweisung, als
Normierung und als Maßstab für ihren Dienst erkannt und anerkannt. …
Darum dürfen wir die Gabe der wissenschaftlichen Methode nicht ablehnen und sie
in Gegensatz zu einem „Glauben an die Bibel“ ersetzen…
… haben wir erkannt, dass die Verfasser der biblischen
Schriften ein anders Verhältnis zu den historischen Fakten gehabt haben als wir
modernen Menschen. Es ging ihnen nicht um historisch exakte Wiedergabe von
Vorgängen und Aussprüchen. Sie haben bei ihrer Überlieferung und Neuerzählung
einzelner Begebnisse nur das eine Ziel, das wirkliche Geschehen der Offenbarung
Gottes hier auf Erden für ihre jeweilige Gegenwart zu bezeugen. Wir alle
sollten diesen Unterschied der Einstellung zu geschichtlichen Ereignissen
zwischen damals und heute beachten und verstehen, damit wir nicht erschrecken
oder uns entrüsten, wenn heutige Exegeten
manche biblischen Berichte in ihrer Fachsprache Sage oder Legende
nennen. Die Unterscheidung zwischen der Frage nach der Verkündigungswahrheit
eines einzelnen biblischen Berichtes und der Frage nach der historischen
Wahrheit kann uns helfen zu der Erkenntnis, dass die Wahrheit der biblischen
Botschaft nicht mit der historischen Wahrheit einzelner biblischer Berichte
steht und fällt. Die Heilige Schrift ist eine Sammlung von menschlichen Worten
und Schriften, die in bestimmter geschichtlicher Lage gesprochen und
geschrieben worden sind. …
Das Urteil der Kirche, die den Kanon zusammmengestellt und aus den damals in
der frühen christlichen Gemeinde gelesenen Schriften ausgewählt hat, ist nicht
unfehlbar …
(Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland Frankfurt/Main und Magdeburg
1965: Das Wort Gottes und die Heilige Schrift, Luther-Verlag, Witten, 1965)
·
Plädoyer
für einen aufgeklärten Glauben;
Das hat Paul Watzlawick seinerzeit so erklärt: „ Wenn wir nach langem Sucxhen
und peinlicher Ungewissheit uns endlich einen bestimmten Sachverhalt erklären
zu können glauben, kann unser darin investierter emotionalre Einsatz so groß
msein, dass wir es vorziehen, unleugbare Tatsachen, die unserer Erklärung
widersprechen, für unwahr oder unwirklich zu erklären, statt unsere Erklärung
diesen Tatsachen anzupassen.“
Das macht verständlich, warum die Kirchen nicht einmal die Erkenntnisse ihrer
historisch-kritisch arbeitenden Theologen aufnahmen. Diese wissen nämlich, dass
für die Auslegung der Bibel ein „historisch sachgemäßes und dem neuzeitlichen
Wahrheitsbewusstsein verpflichtetes Textverständnis nötig“ ist, - so der
protestantische Theologe Jan Gertz. In der Sonntagsgottesdienstpraxis beider
großer Kirchen wird das aber zumeist vermieden.
Der jüngst zum Kardinal aufgestiegene Chefhistoriker des Vatikans, Walter
Brandmüller, sagt: Die Frage, ob ein im Neuen Testament als Wort Jesu
ausgegebenes Zitat auch tatsächlich von Jesus stamme, sei unerheblich. Wenn es
im Neuen Testament stehe, sei es „Wort Gottes.“ Und für Papst Benedikt XVI. ist
die christliche Offenbarung ein „geschlossenes System“. Darin ist
definitionsgemäß kein Raum für den Zweifel. geschlossene Systeme sind unreformierbar
…
Glaubensvorstellungen von gestern erscheinen im Lichte heutigen Wissens als
Aberglaube. Jeder junge Mensch erlebt irgendwann, dass die zauberhaften Bilder
seiner Kindheit sich eben als bloße Bilder entpuppen: Nikolaus, Weihnachtsmann,
Osterhase. Die Angst, die Gläubigen seien nicht reif genug, aufgeklärt zu
werden, beherrscht anscheinend auch die Kirchen. Dabei müssten zweitausend
Jahre reichen zum Erwachsenwerden.
(Die Zeit 1.12.2011 S.66)
·
Albert Schweitzer;
100 Jahre nach der Gründung des legendären "Urwaldhospitals" im
afrikanischen Lambarene: Was bleibt vom Idol Albert Schweitzer, vom
Orgelspieler, Bach-Forscher, Philosophen und Theologen?;
Schon schwieriger fällt das Urteil über den Theologen. Gewiss, das Buch über
die Leben-Jesu-Forschung und über die Mystik des Apostels Paulus sind nach wie vor mit Gewinn zu lesen. Doch am Ende wird man
die Abneigung der Straßburger Fakultät, ihrem Privatdozenten einen Ruf auf
einen Lehrstuhl zu erteilen, ebenso nachvollziehen können wie die Entscheidung
der Missionsgesellschaft, Schweitzer nur als beginnenden Arzt und bleibenden
Musiker (das Tropenklavier!) nach Lambarene zu schicken, ihm ansonsten aber
wegen seiner heterodoxen Ansichten ein Predigtverbot aufzuerlegen. Man wird
sich hüten, Schweitzers tiefe Frömmigkeit und fromme Vorbildlichkeit in Zweifel
zu ziehen. Aber das theologische Problem lässt sich damit nicht aus der Welt
schaffen, wie sich gerade an der Frage nach dem historischen Jesus zeigt.
Schweitzers Buch gibt eine gute Übersicht über die Problemgeschichte, mündet
dann aber in ein Bild des frommen Juden Jesus von Nazareth, der sich über den
unmittelbaren Anbruch des Reiches Gottes schlicht getäuscht und deswegen nur
eine "Interimsethik" verkündet hatte. Wenn man Schweitzers
"Theologie" ganz hart abklopft, bleibt von einer protestantischen
Konfession oder gar Lehre nicht viel übrig außer einer Person, die eine
einzigartige Liebesethik vertreten hat.
Um es zuzuspitzen: Keine christliche Theologie, welcher Konfession auch immer,
kommt um das Konzil von Chalcedon des Jahrs 451 n. Chr. herum, auf dem von
Jesus Christus gesagt wurde: wahrer Mensch und wahrer Gott. Verkürzt man dieses
orthodoxe Paradox entweder nach der einen oder nach der anderen Seite, in
Richtung auf eine bloß außermenschliche Geistfigur oder auf einen bloß
empirischen, wenngleich "hochstehenden" Menschen, fällt man aus der
christlichen Theologie heraus.;
Es ist jedenfalls nicht ohne innere Logik, dass Schweitzer in der
protestantischen Kirche und Lehre keine amtliche Heimat gefunden hat – dafür
aber von den Unitariern, einer
pantheistischen religiösen Vereinigung ohne theologisches Lehr- und Leitbild,
zu den ihren gerechnet wird. 1963, zwei Jahre vor seinem Tod, hat er sogar die
Schirmherrschaft über die Unitarische Kirche in Berlin übernommen.;
Schweitzer findet seinen archimedischen Punkt in dem Topos "Ehrfurcht vor
dem Leben": "Gut ist: Leben erhalten, Leben fördern,
entwicklungsfähiges Leben auf seinen höchsten Wert bringen. Böse ist: Leben
vernichten, Leben schädigen, entwickelbares Leben niederhalten." Ob sich
jedoch aus diesem emphatischen Appell eine schlüssige und widerstandsfähige
Ethik entwickeln lässt, muss nach wie vor zweifelhaft bleiben.
Anekdotisch zeigt sich dies in einer kleinen Lambarener Szene: Da zog man unter
den Augen des "Doktors" das Wildschwein Josephine auf – als es aber
anfing, Hühner zu fressen, wurde es auf Schweitzers Anordnung hin getötet. In
einem Brief, in dem es um den Pazifismus in der Schweiz ging, war es Karl Barth
mit Blick auf Josephines Schicksal "ein gewisser Trost", dass
"zuletzt auch Albert Schweitzer es nicht unterlassen konnte, nach der
ultima ratio zu greifen". Systematischer gefasst: Gewiss ist das Leben
schlechthin das Feld, auf dem sich alle Ethik zu bewähren hat, aber das Leben
als solches kann dafür nicht die ethischen Normen liefern; alles andere wäre
ein naturalistischer, vitalistischer Zirkelschluss. Das wird besonders deutlich
an dem Selbstzeugnis Schweitzers: "Ich bin Leben, das leben will in mitten
von Leben, das leben will.";
(Die Zeit 11.4.2013 S.17 - http://www.zeit.de/2013/16/albert-schweitzer
)
·
Was
ist eigentlich gut an der Schöpfung?
Was ist eigentlich gut an der Schöpfung? Tiere fressen sich gegenseitig, die
Natur lässt sich nicht bändigen, Menschen kommen unter die Räder. Das klingt
nicht gerade nach einem Paradies;
Gute Schöpfung? Einen jährlichen „Tag für Gottes gute Schöpfung“ begeht zum
Beispiel die Evangelisch-methodistische Kirche. In etlichen Predigten und Publikationen
ist regelmäßig die Rede davon, dass die Schöpfung gut sei. Dem Autor Albert
Sahnwaldt, einem gelernten Gärtner, späteren Lehrer und Mitarbeiter einer
evangelischen Akademie, erscheint das allerdings als Stereotyp. Er sagt: Die
Schöpfung ist nicht das Paradies (so auch der Titel seines Buches). Im
Tierreich herrsche das Gesetz vom „Fressen oder Gefressenwerden“.
Krankheitserreger, Schmarotzer, Giftschlangen, tödliche Nahrungskonkurrenten –
was an ihnen soll gut sein?
Gibt es einen sinnvollen Plan?
Die Frage nach der guten Schöpfung und deren Schöpfer stellt sich noch
drängender, wenn es zu Natur- und Hungerkatastrophen kommt. Eine mitleidlose
Natur, die Menschen in den Tod reißt, kann wohl nicht gut sein. An eine „gute
Schöpfung“ vermag noch weniger zu glauben, wer Opfer von Kriminellen geworden
ist. Oder wer von Bankleuten an den Rand des wirtschaftlichen Ruins und der
seelischen Verzweiflung getrieben wird. Folgt das etwa einem sinnvollen Plan
der Schöpfung, der letzten Endes doch einen guten Ausgang nimmt?
Man könnte sich unter Hinweis auf den biblischen Schöpfungsbericht herausreden
und sagen: Erst als Adam und Eva trotz Verbots vom „Baum der Erkenntnis von Gut
und Böse“ gegessen hatten, verkehrten sich das angenehme Leben und die tägliche
Arbeit in eine Plage, und erst seitdem machen sich Tod und Untergang im Leben
breit. In der Bibel gilt die Sünde der ersten Menschen nämlich als Ursache von
Tod und Verderben. Diese Linie zieht sich bis in den Brief des Apostels Paulus
an die Römer (5,12) durch.
Heute setzen Theologen den Akzent anders: Nicht der erste Mensch, jener Adam
aus dem Paradies, hat das ganze Desaster angerichtet. Adam gibt es bis heute.
Adam heißt, aus dem Hebräischen übersetzt: der Mensch. Er ist mit seinem
Verhalten Repräsentant der ganzen Menschheit. Dass die Schöpfung nicht mehr gut
ist, ist demnach unser aller Schuld. Aber auch mit dieser Überlegung bleibt das
Dilemma bestehen: Sie erklärt überhaupt nicht, warum die Schöpfung oft so
räuberisch, so gewalttätig, so ungerecht ist – eben alles andere als gut.
Wir glauben an das Gute
Wenn Juden und Christen von Gottes guter Schöpfung sprechen, gehen sie nicht
über die Realität hinweg. Sie behaupten auch nicht, dass Religion und Glaube
die Gesetze der Natur außer Kraft setzen können. Der Satz, dass die Schöpfung
gut sei, ist nämlich keine wissenschaftliche Sachaussage, keine Beschreibung,
sondern ein Bekenntnis: Wir glauben an das Gute.
Christen waren Schrittmacher im Tierschutz, in der Friedensbewegung, in der
Fürsorge für Arme, in der Bildung. Sie üben Solidarität, wo Menschen
wirtschaftlich unter die Räder kommen und es ihnen schwerfällt, ein
menschenwürdiges Leben zu führen. Sie stellen sich auf die Seite derer, die von
anderen kulturell ausgegrenzt werden.
(Chrismon 10-2012 S.26f. - )
·
Margot
Käßmann, 55, ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland
(EKD), über das erneuerte Eheverständnis der evangelischen Kirche, Maria und
Josef als Patchwork-Familie und die Frage, wo denn nun das Höllenfeuer brennt;
SPIEGEL: Frau Käßmann, glauben Sie eigentlich noch an Himmel und Hölle?
Käßmann: … Ob es eine ewige Verdammnis der Sünder und eine Hölle gibt, diese
Frage überlasse ich lieber Gott.
SPIEGEL: Wie sieht es aus mit der Jungfrauengeburt, also der biblischen
Überlieferung, dass Maria bei der Geburt Jesu noch unberührt war?
Käßmann: Da bin ich ganz Theologin des 21. Jahrhunderts. Ich glaube, dass Maria
eine junge Frau war, die Gott vollkommen vertraut hat. Aber dass sie im
medizinischen Sinne Jungfrau war, das glaube ich nicht. … Ich denke, dass Josef im biologischen Sinne
der Vater Jesu war.;
Käßmann: Einige tun sich mit dem historisch-kritischen Blick auf die Bibel
schwer, auch wenn ich den Grund nie ganz verstanden habe. Es hat meinen Glauben
nie gefährdet, die Bibel als ein Buch zu sehen, in dem Menschen ihre
Erfahrungen mit Gott über die Jahrtausende aufgezeichnet haben. Ich muss den
Geist der Bibel erkennen und verstehen. Der Apostel Paulus sagt es sehr schön:
Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.
(Der Spiegel 30-2013 S.44ff. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-104058619.html)
·
Friedrich
Schorlemmer
„Und Jesus ist für mich auch nicht Gott, sondern Gottes Gesandter …“;
„Ich glaube nicht an Jesus, aber ich glaube wie Jesus.“;
„Mein Beten ist geprägt vom Lebensentwurf Jesu, der mich nicht nur überzeugt,
sondern mich auch ergreift. Ich habe mich befreit von einer
Weltbildvorstellung, wie sie unser Apostolisches Glaubensbekenntnis
voraussetzt. Das ist nicht mein „Glaube“ …“
(Credo, Glaubenskurs der mitteldeutschen Kirchenzeitungen, Nr.10, S.3)
·
Der
historische Jesus
Konsens ist heute, dass die Autoren der Evangelien keine Augenzeugen warten.
Ihren Berichten liegen andere Texte und mündliche Quellen zugrunde, die bereits
Stilisierungen, Deutungen und Legendarisches enthielten. Die Evangelisten
wählten dieses Material aus, ordneten es neu an und veränderten es entsprechend
ihrer konkreten theologischen Zielsetzungen. Sie beschreiben also weder den
„historischen Jesus“ noch sind ihre Jesusbilder völlig unhistorisch. Natürlich
starb Jesus am Kreuz. Natürlich sprach er vom Reich Gottes und in Gleichnissen.
Natürlich radikalisierte er dioe Thora, klagte Nächsten- und Gottesliebe ein
und wendete sich Randgruppen zu. Vieles, was darüber hinausreicht, ist aber
strittig oder gehört gar dem Bereich der Spekulation an. …
Dass man ohne neue Textfunde allenfalls mit Wahrscheinlöichkeiten argumentieren
kann.. Die Kriterien, Hiostorisches von Unhistorischem
zu unterscheiden, lernt jeder Theologe während seines Studiums. Ein Jesuswort
ist zum Beispiel umso wahrscheinlicher historisch,
+ je häufiger es in voneienander unabhängigen Texten anzutreffen ist,
+ je näher es am Sprachgebrauch des Aramäischen ist und
+ je weniger davon ausgegangen werden kann, dass es eine theologische Einfügung
des Autors (z.B. von Lukas) ist
(Credo, Glaubenskurs der mitteldeutschen Kirchenzeitungen, Nr.8, S.4)
·
Interview
mit dem Ratsvorsitzenden der EKD, Nikolaus Schneider;
… ZEIT: Was ist aus theologischer Sicht das Schwierigste am Thema
Homosexualität?
Schneider: Dass es in der Bibel sieben Stellen gibt, die gleichgeschlechtliche
Liebe scheinbar explizit verbieten, sie unter den Zorn Gottes stellen, sie als
ein Gräuel bezeichnen. Wir Protestanten leben aus unserer Bindung an die
Heilige Schrift. Und das Ringen um das rechte Verständnis von Gottes Wort und
Weisung ist so alt wie die Bibel selbst.
ZEIT: In der Bibel steht ja nun allerlei, auch völlig Widersprüchliches. Kennen
die normalen Gläubigen wirklich diese sieben Stellen?
Schneider: Unsere Kritiker kennen sie jedenfalls. Aber um biblische Texte
richtig zu verstehen, reicht das wortwörtliche Zitieren nicht. Zum Beispiel:
Die vermeintliche gleichgeschlechtliche Liebe, von der im 1. Buch Mose 19, 3–14
die Rede sein soll, betrifft die Vergewaltigung von Männern. Das heißt: Da ist
gar nicht von einvernehmlichen gleichgeschlechtlichen Beziehungen die Rede, um
die es uns heute geht. Da liegt das Problem, wenn man einzelne Bibelstellen
ohne eine reflektierte Lehre des Verstehens, das heißt ohne Hermeneutik,
einfach wortwörtlich nimmt.
ZEIT: Und was ist mit dem Auftrag an Adam und Eva, dass sie hingehen sollen und
sich vermehren?
Schneider: "Seid fruchtbar und mehret Euch" – natürlich. Das wird
auch den Tieren gesagt (1. Mose 1, 22)! Aber Sexualität dient nicht allein der
Zeugung von Kindern, sondern ist für zwei Menschen wichtig unter dem
Gesichtspunkt der Freude, des Vertrauens, der Lust. All das hat sein eigenes
Recht. Sexualität wird nicht erst legitimiert durch Nachkommenschaft.
ZEIT: Können Sie Ihren Kritikern nicht mit dem Gebot der Nächstenliebe kommen?
Das schlägt doch wohl die schwulenfeindlichen Bibelstellen!
Schneider: Ja. Zunächst aber möchte ich die verwerfenden Bibelstellen erklären.
Dann wird deutlich: Sie hindern uns nicht daran, gleichgeschlechtlich liebende
Menschen anzuerkennen.
ZEIT: Klingt ein bisschen defensiv.
Schneider: Das ist nicht defensiv. Das macht ernst damit, dass uns unsere sexuelle
Orientierung, die sich kein Mensch selbst aussucht, nicht von der Liebe Gottes
trennt.
ZEIT: Die Bibel kann also irren?
Schneider: Die Bibel ist eine untrennbare Mischung aus Gotteswort und
Menschenwort. Und Menschen können irren. Deshalb muss ich immer fragen, wie
Gott mich heute durch das biblische Wort anspricht.;
Schneider: … dass Gott Recht und Gerechtigkeit liebt, das sind Grundnormen, die
unsere Gesellschaft prägen, auch im politischen Diskurs. Zum Fundament unserer
Demokratie gehören neben dem Christentum aber auch die antike Philosophie, das
römische Recht und die europäische Aufklärung.
ZEIT: Wir religiös soll Politik sein? Sind Sie wie manche christliche Politiker
der Meinung, dass die Demokratie ohne Kirche nicht auskäme?
Schneider: Ich würde sie dann gefährdet sehen. Aber wahr ist auch: Demokratie
wurde überhaupt erst gegen den Widerstand der Kirchen erstritten. Es gab viele
Kirchenvertreter, die andere Formen staatlicher Ordnung bevorzugten. Das gehört
zur Wahrheit dazu: Der christliche Glaube wurde ein Fundament unserer
demokratischen Gesellschaft – trotz mancher Gegenbewegungen der Kirchen.;
Schneider: Keiner von uns hat unmittelbaren Zugang zu den Gedanken Gottes.
Einige Christen reden mir deshalb ein bisschen zu viel darüber, was Gott jetzt
genau will. Sie behaupten, zu wissen, was keiner wissen kann. Denn aus der
Bibel ergibt sich zu aktuellen Fragestellungen immer eine Bandbreite von
Interpretationen und Orientierungen.
ZEIT: Voriges Jahr kam in Deutschland die Forderung nach einem Blasphemiegesetz
auf. Wegen des satirischen Films Unschuld der Muslime wollten manche die
Verhöhnung von Religion verbieten. So ein Gesetz würde aber letztlich
untersagen, Gott zu leugnen. Wie steht Ihre Kirche dazu?
Schneider: Was ein neues Blasphemiegesetz angeht, bin ich zurückhaltend. Das
große Problem ist nicht die Verspottung Gottes, sondern die religiös motivierte
Aufstachelung zur Gewalt. Gegen Hassprediger vorzugehen ist eine staatliche
Aufgabe, unabhängig von Blasphemie. Ich möchte keinesfalls, dass einzelne
Prediger, welchen Glaubens auch immer, hier ungestraft zum Mord an
Andersgläubigen aufrufen dürfen. …
(ZEIT 19.9.2013 S.66 - http://www.zeit.de/2013/39/nikolaus-schneider-evangelische-kirche-toleranz
)
·
Fast
40 Prozent der Evangelischen glauben nicht an Gott oder sind unschlüssig. Es
ist aber auch schwierig: Heiliger Geist, Auferstehung der Toten, solche Sachen.
Jetzt können Skeptische, Suchende und Anfänger einfach mal ausprobieren.;
"Ich bin keine Sünderin“, sagt eine Frau im Glaubenskurs in Nürnberg, „das
lasse ich mir von niemandem einreden.“ In einem württembergischen Gottesdienst
sprechen die Leute nur jene Sätze des Glaubensbekenntnisses mit, die sie
wirklich glauben. Es ist oft still. Und in einem hessischen Einkaufszentrum
wird nach der Predigt geklatscht. Sofern sie gefiel.;
Von den Konfessionslosen kommt am Ende keiner. Voll wird der Glaubenskurs
trotzdem – mit 18 Gemeindemitgliedern, die sich von einem der Sätze in der
Einladung angesprochen fühlten. „Das mit dem Glauben ist mir bisher immer
irgendwie fremd geblieben.“ Oder: „Nach allem, was ich erfahren habe, kann ich
nicht mehr glauben.“ Der Pfarrer hat versprochen: Niemand wird bedrängt, man
darf auch künftig nur zu Weihnachten in die Kirche.
Mit Sekt und Buffet beginnt der erste Abend schon mal gastfreundlich. Pfarrer
Eisele hält zunächst einen Vortrag über Gottesbilder. Etwa den Buchhaltergott,
der angeblich alles sieht, notiert und später gegen einen wendet – „der stand
im Zentrum einer ungenießbaren christlichen Erziehung“, sagt Eisele. Eine Frau
hebt den Finger: Darf ich kommentieren? Na klar. „Im Matthäusevangelium droht
Jesus mit Höllenstrafen“, sagt sie. „Dazu kommen wir noch“, sagt der Pfarrer.
„Hier schon mal: „Geschätzte 365 Mal sagt Gott in der Bibel ‚Fürchte dich
nicht!‘ Gott kommt uns mit seiner Liebe entgegen.“;
Seltsam nur: Die meisten, die sich anmelden, sind bereits Mitglied der Kirche.
Was ist denn mit deren Glauben los?
Es gibt Zahlen dazu, und zwar aus der renommierten „Allgemeinen
Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften“: Rund 20 Prozent der
evangelischen Kirchenmitglieder glauben nicht an Gott; weitere 18 Prozent
wissen nicht, was sie glauben sollen. Warum sie trotzdem in der Kirche bleiben?
Viele finden die kirchliche Zuwendung zu den Schwachen gut, sie schätzen die
Kirche als eine Art Riegel gegen die Verrohung der Gesellschaft. Anderen liegt
etwas an einer kirchlichen Bestattungsfeier.
38 Prozent der evangelischen Kirchenmitglieder glauben also nicht oder sind
sich unschlüssig. Weitere 40 Prozent glauben an ein „höheres Wesen“, nur 22
Prozent an einen Sind also ziemlich viele Evangelische schwach im Glauben? Man
könnte das ja mal den Cheftheologen der evangelischen Kirche fragen: Thies
Gundlach, theologischer Vizepräsident des Kirchenamtes der EKD.
Wie ist das mit den Schwachgläubigen?
Thies Gundlach: Das ist ja ein furchtbarer Ausdruck, eine Wertung! Ich würde
sagen: Das ist ein suchender oder ein fragender Glaube, ein manchmal
zweifelnder Glaube.
Zweifeln Sie auch manchmal?
Natürlich. So ein Glaubensleben atmet doch. Ich kenne auch Phasen, in denen
Fragen und Zweifel die Oberhand gewinnen. Dann frage ich mich, ob Gott das
eigentlich sieht, was ich mache. Sieht er meinen Weg, meinen Kummer, sieht er
die Herausforderung, vor der ich stehe, begleitet er mich wirklich?
Und wenn ich nur an ein „höheres Wesen“ glaube – wahrer Christenglauben ist
das nicht, oder?
Ich begegne solchen Menschen mit großem Respekt. Denn da ahnt jemand, dass es
in dieser Welt mehr gibt als Schwarz und Weiß und Eins und Zwei. Solche
religiöse Musikalität ist noch nicht identisch mit dem christlichen Glauben,
aber die Übergänge sind fließend. Keiner soll über den Glauben des anderen
urteilen. „persönlichen Gott“.;
Ein Besucher fragt aus seinem Kinosessel heraus: Kann man humanistische
Grundwerte leben, ohne zu glauben? Ja, sagt der Pfarrer.;
Es gibt Eltern, die sehen die Kirche als reinen Dienstleister, nicht als
Gemeinschaft: „O. k., wenn ich in der Kirche sein muss, damit mein Kind
getauft wird, trete ich ein. Wann kann ich wieder austreten?“ Fachleute nennen
dieses Verhalten Ritualabschöpfung.;
Einmal sollten die Leute nur jene Sätze des Glaubensbekenntnisses laut
sprechen, die sie glauben. Fast still war es bei „geboren von der Jungfrau
Maria“, nur schwaches Murmeln war zu hören bei „Auferstehung der Toten“.
Das Glaubensbekenntnis macht vielen Evangelischen zu schaffen. Gerade mal die
Hälfte glaubt an ein Leben nach dem Tod. Ist das schlimm? Das soll Thies
Gundlach von der EKD beantworten.
Muss ich denn alles im Glaubensbekenntnis glauben?
Thies Gundlach: Es wäre ein maßloser Anspruch, wenn man alle diese Sätze zu
hundert Prozent für sich persönlich übernehmen müsste. Es ist ein Geschenk,
wenn man sie mit innerer Gewissheit mitsprechen kann. Manchmal aber ist es nur
ein halber Satz – das darf dann so sein. Ich verstehe dieses jahrhundertealte
Bekenntnis als ein riesiges Dach, das ich mit meinen kleinen Glaubenskräften
ein Stück mittrage in die nächste Generation.
Könnte man statt „Auferstehung“ etwas nüchterner sagen: „Ich glaube, dass ich
nach dem Tod nicht von Gott getrennt werde“?
Ja, auch so kann man das übersetzen. Unser Leben endet in Gott und nicht weg
von ihm. Das ist die ganz große Verheißung. Daran zu glauben, hat für mich
etwas Befreiendes.;
Hilft Beten? Eine muntere Debatte hebt an. Eine sagt: Wenn man etwas ganz doll
will – lass es gut gehen, bitte! –, das helfe. Aber was ist dann mit einem
Krebskranken, der trotz Betens nicht wieder gesund wird, hat der nicht genug
geglaubt, ist also selbst schuld? Gott ist doch kein Wunschautomat! „Nein“,
sagt Pfarrerin Elke Wewetzer, „aber er leidet mit uns, und er lässt sich auch
mal umstimmen von uns.“;
In ostdeutschen Glaubenskursen geht es um andere Fragen als in westdeutschen:
Wie ist das denn jetzt mit Glaube und Naturwissenschaft? Kann man die vier
Evangelien nicht zusammenschrumpfen, wenn sich doch eh so viel widerspricht?
Und wieso die Zehn Gebote? Man hatte doch schon die „10 Gebote der
Jungpioniere“.
(Chrismon 2-2014 S.13ff. - http://chrismon.evangelisch.de/artikel/2014/lieber-gott-mach-mich-fromm-20493 )
·
Ein
superfeiner Kerl
Er galt vielen als Apparatschik. Dabei war Peter Hintze einer der klügsten und
witzigsten Berliner Politiker. Erinnerungen an einen sehr freien Menschen …
Nein, an ein Leben nach dem Tod hat der Christ Peter Hintze nicht geglaubt. Die
Geschichte mit der Wiederauferstehung, das sei auch so eines der zahlreichen
Missverständnisse zwischen Mensch und Gott, die er aufzuklären versuchte.
Sein Eintreten für eine Zulassung der vorgeburtlichen Diagnostik, PID, und für
die Möglichkeit, dass Ärzte Sterbehilfe leisten, war immer auch ein Plädoyer
gegen die Angst und für die Selbstbestimmung. Hintze war gläubig, aber er war
kein Anhänger eines Kinderglaubens. Er glaubte mit dem Kopf. Bei der
Auferstehung etwa gehe es darum, dass das Leben sich eben nicht im Jenseits
entfalte, sondern im Hier und Jetzt. Auferstehung sei mithin nicht als
quantitatives Ereignis zu sehen – Leben, Strafe durch Tod, Auferstehung, neues
Leben –, sondern als qualitatives Ereignis: Es gibt die Möglichkeit, immer wieder
aufs Neue zu beginnen. An der Kirche störte ihn, dass sie "so stark mit
Furcht arbeitet". Peter Hintze betete abends mit seinem Sohn, aber wenn er
alles öffentlich gesagt hätte, was er über die Kirche und ihre Lehre dachte,
"wären mir wahrscheinlich die Ordinationsrechte entzogen worden". …
(Die Zeit 1.12.2016 S.10 http://www.zeit.de/2016/50/peter-hintze-bundestagsvizepraesident-nachruf/komplettansicht
)
·
Die Theologin Margot Käßmann ruft dazu auf, den Dialog mit anderen
Religionen zu suchen. Für sie persönlich sei Jesus der Weg zu Gott, andere
Menschen hätten andere Wege, und das sei gut so.
(Sonntag 28.5.17 S.2)
·
Glaube und Naturwissenschaft gehen schwer zusammen, findet Winfried
Kretschmann – und sucht trotzdem weiter nach Gott. Ein Gespräch mit dem grünen
Ministerpräsidenten über die Macht von Daimler, den Stuhl für Seinen Enkel und
das Christliche im säkularen Gewand
… Kretschmann: Ich bin aber nicht der fromme Katholik, wie viele immer
behaupten, nur weil ich prominent bin. Ich gehöre zu den skeptischen Gläubigen,
den Zweiflern.
Was macht. Sie gläubig und was macht. Sie skeptisch?
Kretschmann: Skeptisch bin ich schon deshalb, weil ich gelernter Biologe bin
und an die Evolutionstheorie glaube. Die Evolutionstheorie mit dem
Gottesglauben in Beziehung zu bringen grenzt immer an die Quadratur des
Kreises. Evolutionstheoretisch spricht nichts dafür, dass es ein höheres Wesen
gibt. Als Lehrer habe ich mal mit meinen Schülern einen sehr profunden Text zu
dem Thema gelesen – von einem Professor namens Ratzinger. Das habe ich ihm
später dann auch erzählt, als er Papst geworden war und ich ihn besucht habe.
Schon in diesem Text wird deutlich, was für ein gewaltiger Spannungsbogen das
ist, Vernunft und Glaube zusammenzubringen. Ich würde der Kirche auch raten,
sich mehr um das Thema zu kümmern….
Sie haben auch diese große Liebe zur Natur. Ist das auch eine Brücke zur
Gotteserfahrung? Kretschmann: Für mich jedenfalls nicht. Wenn ich durch die
Natur wandere, botanisiere ich. Und es ist nicht so, dass ich da religiöse
Erweckungserlebnisse hätte. Aber ich freue mich an der Schönheit der Schöpfung.
Das ist auch das Motiv, warum ich die Grünen mitgegründet habe: um die Natur zu
erhalten. Das war aber nicht religiös begründet, zu der Zeit war ich der Kirche fern. …
(Publik Forum 24-2016 S.41)
·
(Heiner Geißler, ehemaliger Generalsekretär der CDU)
SPIEGEL: Haben Sie mal für einen Wahlsieg gebetet?
Geißler: Nein, niemals. nicht.
SPIEGEL: Schon immer?
Geißler: Mein Glaube hat riesige Löcher und Zweifel bekommen. Ich glaube auf
jeden Fall nicht an den Gott der evangelischen oder katholischen Theologie.
SPIEGEL: Der, von dem in der Bibel die Rede ist? Geißler: Ja, dieser. Ein Gott,
der geliebt werden will und deswegen den Menschen den freien Willen gegeben
hat. Und der dann in Kauf nimmt, dass es Auschwitz gibt? In diesem Moment, in
dem wir reden, verhungern Zehntausende Leute, werden vergewaltigt, gefoltert,
geschlagen. Und das nicht nur in dieser Sekunde, sondern seit Zehntausenden
Jahren in jeder Sekunde. Da muss man sich doch fragen: Wo ist er? Sieht er
noch, was hier los ist? Warum versteckt er sich? Seit Zehntausenden Jahren hat
sich Gott nicht gezeigt und lässt uns allein. Das alles kann nicht stimmen.
(Spiegel 38-2017 S.45)
·
Jüdische
Theologie (Pinchas Lapide, Yuval Lapide u.a.)
(8; 89) Aufschrei „Das Weib schweige in der
Kirche!“ (1 Kor 14,34) wegen des Ärgers
mit ein paar Frauen in Korinth;
situativ und ortsgebunden zu verstehen;
(Ergänzung:
historischer Hintergrund: In der korinthischen Gemeinde gab es die Priesterinnen des Kults der Astarte: Sie
haben mit offenen Haaren nach Schamanenart Prophezeiungen ausgesprochen. Als
diese Frauen Christinnen wurden, sagte Paulus: „Also, so geht es nicht mehr,
ihr sollt die Haare zusammenbinden und schweigen.“
so Bärbel Wartenberg-Potter, taz 21,11,06)
(8) Christen sollten eigentlich „Paulinisten“
heißen
(9) (ab
hier fiktiver Brief an Paulus):
hast du deinen Messias als „Sohn Gottes“ verkündigt ... in der hebräischen
Bedeutung ... da dieser Begriff jemanden bezeichnet, der makellos in den Wegen
der Thora wandelt
(13) fest steht jedenfalls, dass du den
Glauben Jesu in einen Glauben an Jesus umfunktioniert hast
(13) seltsame Einstellung zu den Töchtern Evas: du behauptest, dass die Frau
lediglich ein Abglanz des Mannes sei (1 Kor 11,7) und dass die Frauen sich
unterordnen sollten (1 Kor 14,34; empfiehlst, dass ein Mann keine Frau berühre
(1 Kor 7,1) und am besten nicht heirate (1 Kor 7,7) – dass all dies dein
eigenes Sondergut ist, das keineswegs der Thora oder der rabbinischen
Lehrmeinung entspricht
(14) „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die
Wurzel (Israel) trägt dich!“ (Röm 11,18)
(20) Jedenfalls hatte Jesus von Nazareth
keine Ahnung von Trinität, griechischer Gottessohnschaft, der
Zwei-Naturen-Lehre oder gar der Zwei-Reiche-Lehre
(22) Bei Jesus ist das Wörtlein „tun“ das
häufigste Zeitwort in seinem Vokabular (Erfüllung der Gebote, er erwartet von
jedermann aktive Mitarbeit bei der Vorbereitung des Reiches Gottes auf Erden);
bei Paulus kein Wort davon, da ja die Erlösung ... bei Golgatha schon geschenkt
worden sei;
Reduktion der 30-jährigen Jesuologie der Evangelien bei Paulus auf eine abrupte
Christologie von drei Tagen;
Welch ein Verlust für das Christentum: Denn im Eiltempo des Credos von geboren
– gelitten unter Pontius Pilatus – gestorben und begraben wird all das
beispielhafte Tun und Lassen des Meisters aus Nazareth unter den Teppich
gekehrt
(seltene Stelle in der jüdischen
Überlieferung:
Es handelt sich um die Drei-Äonen-Lehre. Sie teilt die gesamte Heilsgeschichte
in drei Epochen auf:
Diese Vorstellung gewisser jüdischer Kreise
sowohl vor wie nach der Zeit des Paulus besagt also, dass mit Anbruch der
Messias-Epoche die Thora-Herrschaft zu Ende gehe ...Ist es möglich, dass Paulus
diese in normativen jüdischen Kreisen nicht allgemein akzeptierte Deutung der
Messianologie inspiriert hat?;
Wenn die „Tage des Messias“ beginnen, gehen die Tage der Thora-Herrschaft zu
Ende. Die Wahl hieße also: Gesetz oder Erlösung. Der ganze Glaube des Paulus
stand bei dieser Alternative auf dem Spiel.
(27) Während sich die evangelische Theologie
insgesamt weitgehend an Paulus orientiert, um seine Christologie zur
ausschlaggebenden Kirchenlehre zu erklären, gestehen bekannte Theologen wie
Günther Bornkamm, dass Paulus wohl „die
umstrittenste Figur des Neuen Testamentes“ sei, weil er „aus jüdischen
Schriften und heidnischen Büchern ein Dogmengebäude errichtet, ...“
(29) Jesus war kein Theologe – weil er Jude
war. Wie die Propheten vor ihm gab er konkret biblische Antworten auf
dringliche Lebensfragen, wie etwa die Armut, die römische Steuerfrage, dern
Bruderzwist – und das tägliche Brot. Jedweder Versuch, die Geheimnisse Gottes
zu enträtseln und fein säuberlich zu systematisieren, hätte ihn sicherlich als
blasphemische Arroganz angewidert.
(30) Und weil Paulus geschrieben hatte
„Christus ist des Gesetzes Ende“ (Röm 10,4), wurde Jesus, der geschworen hatte,
dass Himmel und Erde vergehen würden, ehe ein einziges Jota von der Thora
verginge (Matth 5,17ff), zum Abschaffer der Thora umfunktioniert, die mit ihm
angeblich ihre Gültigkeit verloren habe.
(31) dass derselbe Paulus unter den
unbereubaren Gnadengaben Gottes, die Israel auch nachösterlich angehören, auch
die „Gesetzgebung“ nennt (Röm 7,12?JK); dass die Vokabel „telos“ nicht nur
„Ende“, sondern auch „Ziel, Abschluss,, Vollendung“ oder „das letzte Stück“
bedeuten kann, dass der Apostel zwei Mal darauf hinweist, dass Jesus selbst dem
Gesetz gemäß gelebt habe ....;
(32) Denn für alle Talmudmeister war es
selbstverständlich, dass das Heil – oder: der Anteil an der kommenden Welt, wie
es auf hebräisch heißt – einzig und allein durch Gottes Gnadenliebe zu
erreichen ist. Anders gesagt: Das Prinzip der „sola gratia“ (allein durch
Glauben JK) galt für das normative Judentum seit eh und je als unumstrittene
Tatsache. „Wie kann ein Mensch gerecht werden oder ein Mann rein sein vor
seinem Schöpfer?“ So fragt schon Hiob (Hiob 4,17) gut rhetorisch und Psalm 143
antwortet mit Nachdruck: „Vor dir, oh Gott, ist kein Lebendiger gerecht!“;
(40) Messias und Messianität sind urjüdische Begriffe, deren Inhalt und
Zuversicht genauest in den Worten der Propheten Israels verankert sind. Ein
Messias, der geheimnisvoll auftritt und dessen Wirkung unsichtbar ist, erfüllt
nicht die Weissagungen des Jesaja, Micha und der anderen.
(43) Paulus irrte, als er den Thessalonikern
voreilig versprach, sie würden mit ihm zusammen die Wiederkunft Christi und die
endzeitliche Entrückung erleben (1. Thess. 4,17; auch 1 Kor 15,15 JK)
(46) dass Paulus die Erbsünde in der
Genesis-Geschichte erfunden habe – da das Wort Sünde bekanntlich bei Adam und
Eva nicht wörtlich vorkommt – um sie durch ein Menschenopfer zu entsühnen
(50) Luther in seinen Tischreden:
“Die Ebräische Sprach ist die allerbeste und reichste in Worten, und rein,
bettelt nicht, hat ihre eigene Farbe, so dass es ihr keine nachtun kann. ...
Wenn ich jünger wäre, so wollte ich diese Sprache erlernen, denn ohne sie kann
man Die Schrift nimmer mehr recht
verstehn. Denn das Neue Testament, obs wohl in Griechisch geschrieben ist, doch
ist es voll von Ebraismus und ebräischer Art zu reden. Darum haben sie recht
gesagt: Die Ebräer trinken aus der Bornquelle; die Griechen aus den Wässerlein,
die aus der Quelle fließen; die Lateinischen aber aus den Pfützen.“
(55) Von den 82 Zitaten, die Paulus aus der
Hebräischen Bibel bringt, stimmen rund 30 mit der Septuaginta überein; 36
weichen beträchtlich von ihr ab; 12
Zitate weisen wesentliche Sinnveränderungen auf; der Rest besteht aus äußerst
freien Paraphrasen, die kaum dem Sinn, geschweige denn dem Wortlaut des Originals
entsprechen;
(56) Die sogenannte Übersetzung der Septuaginta wurde, der Tradition gemäß, von
72 jüdischen Schriftgelehrten in Alexandrien um 270 vor der Zeitrechnung vom
Hebräischen Original ins Griechische übertragen. ...
Ein allegorisches Wort der Rabbinen in Jerusalem besagt: Der Tag, an dem die
Septuaginta vollendet wurde, schmerzt Israel wie der Tag der Tempelzerstörung.
(57 stellvertretend für viele andere Fehler
sei die Übersetzung der bekannten ALMA = junge Frau aus Jesaja 7,14 erwähnt,
die in der Septuaginta zur inzwischen weltberühmten PARTHENOS = Jungfrau
verjungfert worden ist.;
(73ff) Jakobusbrief, von Luther nicht von ungefähr zur „strohernen Epistel“
abgewertet;
liest sich wie eine antipaulinische
Philippica gegen dessen Rechtfertigungslehre;
Paulus: „gerecht allein durch Glauben“ (Röm 3,24ff; Gal 3,24; ); Jakobusbrief
(2,24) „dass der Mensch durch Werke gerecht wird, nicht durch Glauben allein“;
das Wort „allein“ (durch den Glauben) hat Luther bewusst eingefügt, es steht
nicht im Originaltext;
(Pinchas Lapide: Paulus zwischen Damaskus und
Qumran, Gütersloh, 1993)
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(16) Gottesbenennungen ... ein Verstoß gegen
das zweite Gebot: das Verbot, irgend etwas Irdisches
zu verabsolutieren, um es dann an Gottes Statt anzubeten. Das gilt auch für die
Versprachlichung Gottes, denn letzten Endes ist doch alle Menschenrede von Gott
nichts anderes als hilfloses Gestammel, ein verzweifeltes Ringen um das
letztlich Unsagbare ...
“Du sollst dir kein Schnitzbild machen noch irgendein Abbild ...“ (Ex. 20,4) –
das gilt auch für die theoretischen Gottesbilder aller Theologien.
(17) so sprechen wir Menschen von ihm eben menschenartig, und das heißt: in
Bildersprache;
poetische Bilder und Gleichnisse;
(18) wir haben die Wahrheit Gottes nur im blassen Abglanz vieler Bilder, aber
in keinem Sprachbild geht er ganz auf
(18f.) Die Bibel reserviert das hebräische Zeitwort „bara“ (schaffen) nur für
Gott. Das kommt in der ganzen weiten hebräischen Bibel nur im Zusammenhang mit
Gott vor. …
„Bara“ bezeichnet ein souveränes allmächtiges Handeln, das keine menschliche
Entsprechung kennt. …
(22) (Wenn
es am Anfang der Bibel heißt): Im Anfang schuf Gott, heißt es nicht, Gott
hat geschaffen, was eine Beendigung der Schöpfung bedeuten würde.
- Das heißt, die Schöpfung geht weiter? Auch heute noch? -
Das steht da: „Gott schuf“ und schafft weiter, wobei Sie das hebräische
Zeitverständnis mit einbeziehen müssen, das nicht die krasse Dreiteilung des
Deutschen oder der indogermanischen Sprachen kennt: Vergangenheit, Gegenwart
und Zukunft. Sondern Zeit wird im Hebräischen wie ein Fluss betrachtet, der
ewig weiterströmt und niemals stehen bleiben will. Das ist das Zeitwort von
„Gott schuf“. So heißt es im täglichen Gebet der Synagoge: „Ich glaube mit
voller Überzeugung, dass der Schöpfer, gelobt sei sein Name, alle Geschöpfe
erschaffen hat, und dass er allein das Schöpfungswerk vollbracht hat,
vollbringt und vollbringen wird.“ Damit ist nicht nur der Grundgedanke einer
fortschreitenden, vorwärts und aufwärts strebenden Evolution zum Ausdruck
gebracht, sondern auch die Erlösung als endzeitliche Vollendung des
Schöpfungswerkes mit einbezogen.
Alle drei Zeitformen werden hier im jüdischen Glaubensbekenntnis in nahtloser
Kontinuität aneinender gereiht, denn die Schöpfung ist ja im Denken des alten
Israel kein einmaliges Heilshandeln Gottes, sondern eine tagtägliche
segensreiche Gegenwart.
„Er erneuert jeden Tag das Werk seiner
Schöpfung“, ist ein häufig wiederholter Gedanke im rabbinischen Schrifttum ...
… ein „Weitergeschaffen-Werden“. Ja, unser
gesamtes Zeitalter mit all seinen fortschrittlichen Entwicklungen mutet wie
eine kurze Momentaufnahme an, ein winziger Ausschnitt aus einem
jahrmilliardenlangen Werdegang der von Gott angebahnten, noch unfertigen
Genesis. Es mag wohl sein, dass der heutige Mensch nicht „das letzte Wort“ der
Schöpfung ist, sondern das vorläufige Ergebnis einer langen Entwicklung, die
auf Zukunft hin offen bleibt.
(25) Himmel und Erde als Kontrastpaar ist ein
Synonym für das Weltall ... Gott schafft in Paaren: Sonne und Mond, Licht und
Finsternis, Trockenes und Meer
(29f) Gen 1,1 IM Anfang (gibt eine größere
Dimension) schuf GOTT (hier: elohim = Göttlichkeiten); schuf ist Einzahl = d.h.
ein Gott, aber endlos in seinen Offenbarungsweisen;
(33) Gott schenkt uns Menschen volle Freiheit (ein oft fürchterliches
Geschenk), um ohne Gängelband das Leben in dieser Welt zu meistern
(37) Der Hebräer, der diesen Text (Gen1) auf Pergament oder auf Tierhaut
brachte – nachdem 100 Generationen vor ihm es, am Lagerfeuern in der Wüste
hockend, geschliffen und gefeilt haben in einem langtausendjährigen Prozess des
Weitererzählens, des Nachdichtens und des Nachdenkens -, der Hebräer hatte ein
Weltbild, das natürlich mit unserem wissenschaftlichen nicht übereinstimmt.
Aber der Mann wollte beileibe keine wissenschaftliche Forschung referieren oder
aufschreiben, sondern einen Versuch machen, auf die Urfragen zu antworten, auf
die die Wissenschaft auch Antworten sucht.
(39) das wichtigste am dritten Tag ist, dass Gott nicht mehr alleine schafft …
“Und sprießen lasse die Erde Gesproß“. Das heißt, die Erde liegt nicht mehr
stumpf brütend da, nur ein Geschöpf … Sie hilft Gott beim Schaffen. Die Kreatur
hat von nun an ihren tätigen Anteil an Gottes Werk … vom dritten Tag an hat
Gott Mitarbeiter am fortschreitenden Schöpfungswerk … Das Mitschaffen der
Elemente, der von ihm geschaffenen Dinge, die jetzt weiterarbeiten unter seiner
Souveränität, delegiert sozusagen von ihm aus durch die Schöpfungskraft, die
ihnen verliehen wird …
(40) Gott deckte all seinen Geschöpfen den Tisch – noch ehe sie da waren;
(41) so wie Gott am dritten Tag die Kreativität an die Bäume und Pflanzen
delegiert hat, so delegiert er seine Kraft der Erleuchtung, die er am ersten
Tag bewiesen hat, am vierten auf die Himmelskörper, die von nun an leuchten
werden (verliehene Leuchtkraft)
(44) das ganze Sechstagewerk hat seine
Architektur, und sie bestätigt Herrn Darwin in gewisser Weise ... zumal wir
bedenken müssen, dass in der Bibel „tausend Jahre in den Augen des Herrn wie
der gestrige Tag“ gelten (Ps 90,4) – wobei auch „tausend Jahre“ .... Zeitalter von Jahrmillionen umfassen können.
(47) „Gott segnete sie ...“: fruchtbar sein
können, die Sexualität ist ein Segen Gottes
(49) der Mensch am gleichen Tag wie die Tiere
geschaffen;
keine Scheidung zu den Tieren; keine Krone der Schöpfung,
die Tiere sind älter als du, ehrwürdiger;
(52) Der Mensch ist ein Geschöpf
Gottes, dass er zwar die Herrschaft über die Erde und die ganze Schöpfung
bekommen hat, aber als Vizekönig ... das heißt, er ist Treuhänder dieser
Schöpfung, die er erhalten, bewahren soll
(53) keineswegs zu bewahren, sondern zu
entfalten und weiterzugeben, also besser weiterzugeben, als man es bekommen hat
(53) hier steht nicht, dass Mensch über Mensch
herrschen soll, denn alle sind Ebenbilder Gottes
(56) „sehr gut“ steht über dem Zusammenklang
der ganzen Schöpfung, nach dem Herrschaftsauftrag, als Geschenk dargeboten
(wenn ihr weiter so weise regiert, wie ich es euch vorgetan habe, dann kann man
das in der Tat sehr gut nennen), eher ein Wunsch (Gottes) als eine Feststellung
(60) Gott ist ein radikales Risiko
eingegangen mit der Schöpfung seines Ebenbildes. Denn er hat den Menschen frei
geschaffen; und Liebe ohne Freiheit gibt es nicht.... Gott hat den Menschen
geschaffen in einer radikalen Verunsicherung und nicht in einer
Vorprogrammierung, die wie eine Marionette einem ganz klar gesteckten Ziel
entgegengeht ... Gott hat den Menschen verlassen, indem er ihm die totale
Freiheit gab. Er hat sich auf ihn verlassen, aber mit dem Bewusstsein des
Risikos, dass er diese Welt auch zerschmettern, auch zerstören kann ...
(61) Die Rabbinen sagen: Zur Liebe gehören
vier Dinge ... die Freiheit des Geliebten ... das Mitleiden ... die Ähnlichkeit
... das Anderssein
(68) nicht zwei (verschiedene)
Erschaffungsberichte;
Gen 2 sagt uns das WIE der Schöpfung, was der erste Bericht uns verschweigt
(71) „Adama“ ist die Erde, „Adam“ ist der
Erdling, der aus ihr entstanden ist. Mehr noch: eine dreifache Nabelschnur
bindet uns an Mutter Erde. Aus ihr sind wir genommen, zu ihr ist unsere
Heimkehr, von ihr ernähren wir uns alle. ... Adam und Adama in einer ewigen
Schicksalsgemeinschaft verbunden, die keiner von uns zu lösen vermag;
(72) „Adam“ als Eigenname des ersten Menschen;
“Adam“ als Gattungsbegriff „Mensch“, der sowohl alle Nachkommen Adams gemeinsam
als auch ein jedes Menschenkind als Einzelwesen bezeichnen kann. In beiden
Fällen weist „Erdling“ als Inbegriff der Erdgebundenheit auf die Hinfälligkeit
unseres Menschentums hin;
im Hebräischen der Propheten ist der Sammelname für jeden Zweifüßler
„Menschensohn“ (eigentlich: Adamssohn), wie Jesus selbst sich auch nennt
(73) Gott pflanzt nach der Erschaffung des
Menschen das Paradies, den Garten Eden
Das ist ein Garten Gottes, und er gehört ihm, und der Text lässt keinen Zweifel
daran, dass Adam nur als Treuhänder eingesetzt wurde, um ihn zu bearbeiten, zu
bebauen und zu betreuen, also kein Schlaraffenland, wo alles von selber wächst.
Es bedarf der menschlichen Arbeit auch im Paradies.
(74) Dem Verbot (vom Baum der Erkenntnis zu
essen JK) geht ein Gebot voran. Es heißt: „Iss doch von allen Bäumen des
Gartens“
(75) Erkenntnis von Gut und Böse ...
Erkenntnis hat im Hebräischen etwas mit Sex und mit Liebe zu tun. „Adam
erkannte Eva“ heißt in der Tat, er ehelichte sie; und Erkenntnis ohne Liebe,
sagt der Hebräer, ist kein richtiges Erkennen, denn nur, was du wirklich
liebst, das kannst du in tiefsten Grund auch erkennen.
(76) Gut und Böse ... heißen auf Hebräisch
eigentlich: fördernd und schädlich. Gut ist, was dem Menschen frommt, was ihm
hilft, was ihn fördert. Schlecht ist das, was unnütz ist oder ihm schaden
könnte. ... der Baum als Prüfstein menschlicher Selbstdisziplinierung
(77) eine dritte Schule von Rabbinen seit
langem meint, dass nämlich das Gute hier das Leben ist ... das Böse oder das
Schlechte ist der Tod ... Fortpflanzung ist die beste Waffe gegen den Tod. Dann
aber ist das Böse der Tod schlechthin oder das Bewusstwerden der Sterblichkeit,
das mit dem Essen der Früchte dieses Baumes kommt ...
eine vierte Schule der Rabbinen sagt, dass
hier die Freiheit des Menschen beginnt, die ihm von Gott verliehene Freiheit.
Der freie Gott will freie Mitarbeiter, er will keine Marionetten oder
Hampelmänner. Wie macht er dem Adam diese Freiheit bewusst? Durch das Verbot.
Denn ein Verbot hat nur Sinn, wenn das Gegenteil auch eine Möglichkeit ist ...
Dem Adam wird hier die fürchterliche Freiheit verliehen, die unsere Gattung ...
vor allen anderen Geschöpfen unter der Sonne auszeichnet.;
(79) Das Verbot des Essens erging an Adam allein ... weil Eva noch nicht
geschaffen war
(89) Gottes Verbot, das auch heute noch gilt,
besagt: Du darfst nicht alles tun, was du kannst, auch wenn es dich verlockt.
An diesem Baum als Prüfstein seiner Selbstbeschränkung hat Adam versagt. das
ist seine Sünde, die ihm nun als Nacktheit bewusst wird.
(90) Der Apfel in der abendländischen Kunst
kommt aus einer Fehlübersetzung der lateinischen Vulgata ... Ihr werdet sein
wie Gott, scientes bonum et malum, wissend das Gute und das Böse ... „malum“
heißt „Apfel“ und „böse“;
es geht einzig und allein um die Übertretung des göttlichen Verbotes oder um
den Gebrauch der von Gott gegebenen Freiheit. Beide Deutungen sind legitim.
(91f) die Rabbinen sagen: Eva mag mitschuldig
sein, hauptschuldig aber ist Adam, an den das Verbot erging ... (er ist einfach
Mit-Esser, denkt nicht nach, wägt nicht
ab, kein innerer Kampf ...)
(94) Adam findet gleich zwei Sündenböcke: die
Frau die du mir gegeben hast ... dass hier die Hauptsünde Adams
liegt
(97) verflucht werden nur zwei, die Schlange
und der Ackerboden, gestraft werden fünf (Mann, Frau, Schlange, Ackerboden,
Dornen und Disteln)
(98) Auch die Kreatur, auch die Pflanzen sind
mitbetroffen von dieser Schuld. ... dass die ganze Schöpfung einen Knacks
bekommen hat, durch die Schuld des Menschen ... einen Knacks, aber kein
unheilbares Übel, was nicht wieder gut gemacht werden kann ... es ist
korrigierbar ...
(99) EVA hat drei Bedeutungen im Hebräischen
... Mutter alles Lebendigen ... die Sprecherin (mit der Schlange zu viel gesprochen ? ...) ... die Sinngeberin (erspürt den tieferen
Sinn ...)
(101) Es gibt eine mystische Deutung, die da
sagt, der Sündenfall sei der Beginn der wahrhaften Menschwerdung. Wären wir
alle im Paradies geblieben, hätte Adam sich geweigert, von der Frucht des
Baumes zu essen, wie es ihm aufgetragen wurde, so wären wir unserer Sendung als
Menschlinge, den tausend Herausforderungen des Menschenschicksals in dieser
unheilen Welt, niemals gerecht geworden. Nur durch die Wegschickung aus dem
Paradies, das keine Herausforderungen stellte, sondern wo alles mit normaler
Menschenarbeit gedieh und Früchte brachte, wären wir nicht die Menschen, die
wir heute sind, mit all dem Guten und Bösen, das uns heute innewohnt. Also ist
die Wegschickung aus dem Paradies der Anfang einer Entwicklung, die die
lateinischen Kirchenväter „felix culpa“ (glückliche Schuld) nennen
(Pinchas Lapide: War Eva an allem schuld?,
Gespräche über die Schöpfung, Grünewald Mainz, 1985)
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(10) Die Wissenschaften insgesamt erforschen
die Materie, das schon Gegebene in all seinen Erscheinungsformen und all seinen
Wirkungsweisen.. Die Bibel hingegen geht vom Geber
alles Lebens aus, dem wir unser Dasein verdanken. Die Wissenschaft nimmt Gottes
Werk unter die Lupe. Der Glaube sucht Gott selbst. Die Wissenschaft befasst
sich mit der Weltzeit (wie wir sagen), mit der Chronologie, welche die Menschen
mit ihren Werkzeugen und ihrem Instrumentarium erkunden können. Die Religion
hingegen hat es mit der Urzeit und der Endzeit zu tun; ihre Fragen zielen auf
die ersten und auf die letzten Dinge, die außerhalb des Kompetenzbereiches der
Professoren liegen, deren Wissbegierde eigentlich nur „die Mitteldinge“ unserer
Welt erfassen kann.
(11) Theologie als „Wissenschaft von Gott“
oder „Gotteskunde“ hat es im Judentum eigentlich nie gegeben. Das bloße Wort
schon hat für jüdische Ohren einen blasphemischen Beigeschmack. Alles, was wir
wissen, ist: dass wir Ihn nie kennen, von Ihm nie etwas wissen können. ...
Wissbar und erforschbar hingegen sind Gottes Werke; denn um sie zu verstehen,
hat uns Gott die Denkkraft den Intellekt geschenkt. ...
(12) Mit einem Satz wurde der ganze Kosmos zur Naturordnung proklamiert,
geschaffen und gestaltet von einer einzigen Macht, die schlagartig die absurden
Tier-Götter und die vergotteten Himmelskörper aller Magie entleerte, um diesem
Universum und all seinen Bewohnern einen ursächlichen Anfang, ein zielbewusstes
Weiterleben und ein hoffnungsvolles Ende zu schenken.
“Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Mit diesem Gotteswort kam das Ende der
Schreckensträume aller Dunkelzeiten, das Leben auf Erden bekam einen Sinn. „Es
ward Licht.“ ...
“Die Thora spricht in der Sprache der Menschen“, so lautet ein oft wiederholter
Leitsatz der Rabbinen. der alle Anthropomorphismen (Gott habe eine Hand, einen
Mund, einen Fuß, ja sogar eine Rückseite) zu Stilblüten reduziert und vor jeder
Wortwörtlichkeit im Schriftverständnis ausdrücklich warnt. So wird jedem Juden
anheimgestellt, ob er der dramatischen Weise der Weltschöpfung in Gen 1 und 2,
der poetischen Beschreibung in Psalm 104 oder der salomonischen in der
Spruchweisheit (Spr 8,22-31) den Vorzug gibt. Die Tatsache der Schöpfung ist
der erste der dreizehn Glaubensartikel, die tagtäglich in der Synagogenliturgie
bekräftigt werden. Jedoch die Art und Weise dieser Schöpfung bleibt offenes
Glaubensgut für alle in der großen Exegetenrepublik, die wir den Talmud nennen.
(13) So heißt es also seit Maimonides tagtäglich in der Synagoge: „Ich glaube
mit voller Überzeugung, dass der Schöpfer – gelobt sei Sein Name – alle
Geschöpfe erschaffen hat und dass er allein das Schöpfungswerk vollbracht hat,
vollbringt und vollbringen wird“, womit sowohl der Grundgedanke der Evolution
als fortschreitende Schöpfung wie auch die Erlösung als endzeitliche Vollendung
mit einbezogen werden. ...
Und im täglichen Morgengebet heißt es bei jedem Sonnenaufgang: „Er, der
aufleuchten lässt die Erde und ihre Bewohner durch Barmherzigkeit, erneuert an
jedem Tag durch seine Güte unablässig sein Schöpfungswerk. Wie vielfältig sind
doch Deine Werke Herr! Die Erde ist übervoll mit Deinen Gütern!“
“Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Eine Fülle von Einsichten kann der
gläubige Bibelleser dieser wortkargen, lakonischen Aussage entnehmen, wenn er
das Gotteswort ernst nimmt, ohne es wörtlich zu nehmen.
Nur Gott kann schaffen, ein Zeitwort, das die Hebräer für „Genesis“
reservieren; denn nur er kann „ex nihilo“, aus dem Nichts, etwas
hervorbringen. ...
(15) Warum schuf Gott die Welt?
Die Meister der Kabbala antworten: Aus Liebe – denn die Liebe allein bedarf
eines Gegenübers, eines Partners, der anders ist als du und dennoch dir im
Wesen verwandt bleibt, so dass wir Menschen ganz anders sind als Gott und
dennoch ihm im Ebenbilde gleichen.
Daraus folgern die Kabbalisten: .... dann ist Gott weder Prinzip noch Ideologie
noch einsamer Herrscher ... sondern das ansprechbare Du, das nur im Dialog und
im Zueinanderstreben der Liebe zu erfahren ist ...
(15f) Wer „am Anfang“ sagt, der lässt ein Weitergehen mitschwingen und deutet
auch für die Hellhörigen auf ein gezieltes Ende hin. ...
Weil Gott „Himmel und Erde“ schuf (was in der Stenographie der Hebräer dem
Weltall gleichkommt), wird die Natur von Anfang an in die Geschichte mit
einbezogen. Da alles von Gott kommt, gibt es keinen Riss zwischen
Menschen und Natur, keinen Dualismus zwischen Leib und Geist, keine Entzweiung
zwischen Subjekt und Objekt, keinen Graben zwischen Heilsgeschichte und
Profanpolitik, oder gar Misstrauen zum Rohstoff, zum Fleisch, das angeblich
sündig ist, bzw. zum Buchstaben, der angeblich tötet.
Juden kennen keine dreistöckige Welt, die aus Himmel, Erde und Hölle besteht,
noch kennen sie einen dreischichtigen Menschen, der aus Es, Ich und Über-Ich
zusammengeflickt ist (wie Sigmund Freud es will).
Daher lieben Juden auch die Materie, die nicht weniger Gottes Werk ist als der
Geist, das Genie, die Liebe und die Schönheit.. Juden
sind im Grunde heilige Materialisten; denn jedwede Zweiteilung in edlen Geist
und gemeinen Stoff scheint bibelwidrig und eine Blasphemie gegen des absoluten
Monotheismus. Wir wissen, dass auch der Materie eine Gottgewolltheit innewohnt,
die zur Heiligung ruft und jedweden Missbrauch als Verstoß gegen das Buch der
Schöpfung verpönt. ...
(17f) Von der Pflanze heißt es nicht mehr wie beim Licht oder beim Firmament:
es werde Licht, es werde Himmel; es heißt nicht mehr: Es werde Gespross;
sondern diesmal sagt Gott: „Sprießen lasse die Erde Gespross!“ (Gen. 1,11). Die
Verbalform im Hebräischen ist das aktive Kausativum, das Selbst-Erwirken: Die
Kreatur soll nicht stumpf brütend daliegen, während Gottes Wort an ihr
geschieht. Sie hat ihren Anteil an Gottes Werk. Der Fruchtbaum hat seinen Samen
in sich, aus dem ein neuer Baum wachsen wird nach seiner Art. ...
Je höher wir aufsteigen in den Ordnungen des Daseins, desto deutlicher wird:
Gott will diese Welt nicht als eine Puppenspiel, bei dem er selbst alle Drähte
in der Hand hat und kein Ding sich bewegen kann, ohne dass Gottes Finger an
seinen Gelenken zieht.
Gott, der lebendige Gott, will eine lebendige Welt, Wesen, die ihren eigenen
Weg gehen, die die Erde füllen und sich auf ihr tummeln nach eigenem Urteil.
Diesen Worten entnehmen die Rabbinen, dass Gott eine Schöpfung will, die sich
selbst weiter entfaltet, die vorwärts und aufwärts drängt. Gott hätte doch
Bäume, Fische und Früchte selber erschaffen können. Er wollte aber am
Schöpfungswerk Mitarbeiter, denen er freie Kreativität gewährte. ...
(20) allein der dritte Schöpfungstag genießt den Vorzug, dass es zweimal an ihm
heißt: „Und Gott sah, dass es gut war“ (Gen. 1,10 und 1,12) – wobei mit dem
zweifachen „gut“ der Anfang des Mitschöpfens der eben erst erstandenen
Geschöpfe gemeint ist. Denn nun ist Gott der Partner und nicht mehr allein. ...
(21) wird bis zum heutigen Tag ... jede Geburt bei den Talmudvätern als
Schöpfungsfest gefeiert ...
Warum schuf Gott den Menschen nach seinem Ebenbild? fragen die Rabbinen. Damit
er die Welt weiterbaue und die Arbeit verrichte, die Gott vor ihm begonnen
hatte, wobei die Rabbinen den Auftrag der Imitatio Dei sehen. Beim
Schöpfen und beim Arbeiten beginnt die Nachahmung Gottes. Nicht erst bei der
Barmherzigkeit und der Liebe, sondern schon beim Arbeiten und beim Ruhen am
siebten Tag. ...
(23) (Sintflut) dass diese Selbstverderbung der Menschen als Verstöße gegen die
Nächstenliebe, dass nämlich „der Menschen Bosheit groß war auf Erden“ (Gen
6,5), geschildert wird und nicht als Verletzung der Gottesliebe, wie es beim
Turmbau zu Babel der Fall war (Gen 11). ...
(24) Im Midrasch heißt es von Gott, er habe – nachdem er 26 Welten zerstört,
von der keine die war, die er gewollt hatte, und eine siebenundzwanzigste, die
unsere, geschaffen habe – gesagt: ... Möge sie doch Bestand haben! Die
Wunschform wird hier zur Gottesaussage: Nicht einmal Gott selbst hat die
Garantie dafür, dass die Welt Bestand hat, da dies nur dann geschieht, wenn der
Mensch etwas von dem Seinen hineinlegt, weil Gott den Menschen braucht, wie die
Rabbinen sagen. Gott hätte niemals die Welt nur dazu geschaffen, dass sie
einfach nur seiner göttlichen Spur oder seinem Fahrwasser nachfolge.
Die Schöpfung stellt ein Wagnis dar, das Gott eingegangen ist und an dem der
Mensch teilzunehmen hat. ...
(26) („Macht euch die Erde untertan“ Gen 1,28) Nur so ist das Untertanmachen
der Erde gemeint: als verantwortliches regieren, das Schalom erwirkt, Friede
und Eintracht, Gerechtigkeit und Fürsorge für die Schwachen, für die
Schutzlosen und die außermenschliche Kreatur. ...
Die Erdherrschaft folgt im ersten Kapitel des Buches Genesis unmittelbar auf
die Tatsache, dass der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen ist. Gott sprach:
„ Lasset uns Menschen machen nach unserem Bilde, damit sie herrschen über ....“ (Gen 1,26) ... Das kann nur heißen, dass der Mensch
als Statthalter Gottes auf Erden Sein Erbreich so sorgsam und fürsorglich
beherrsche, wie Gott selbst es ihm vorbildlich vorgeherrscht hat. ...
(27) heißt es schon auf der folgenden Seite der Schrift: “Und Gott gab ihnen
(ihm JK) den Garten Eden, um ihn zu bebauen und zu bewahren“ (Gen 2,15). Wenn
an Adam der Befehl erging, sogar das Paradies zu betreuen, wo alles mühelos und
unter idealen Umständen gedieh – so meinen die Rabbinen -, um wie viel mehr
muss er unsere Erde betreuen und beschützen, die nur im Schweiße unseres
Angesichts ihre Früchte sprießen lässt. ...
(28) Wer aus dieser Bibel einen Freibrief zum Raubbau oder zur Umweltzerstörung
herausliest, der vergewaltigt das Gotteswort, begeht mutwillige Lästerung –
oder er kann nicht lesen. Für das Judentum ist dieses Gotteswerk weder
Beutestück noch eine gefallenen Schöpfung, sondern Gottes Eigentum, das auf der
ersten Seite der Schrift sechsmal gutgeheißen wird.
Juden wissen um die Sünde in uns, aber sie kennen keine Erbsünde, die die
Schöpfung befleckt. Genesis ist und bleibt im Judentum ein Auftrag zur
Weltveredelung, ein Aufruf, dieser Welt die Treue zu halten, ein Mahnruf gegen
jede Vergeistigung des Heils und gegen jede bibelwidrige Weltflucht nach
Utopia. ...
(30) “Du bist es, der aus Ägypten ausgezogen ist!“ Dieser Kernsatz ist
das Herzstück der jüdischen Passazeremonie ... an einer weiteren Stelle noch
klarer: „...was der Herr an mir getan hat, als ich aus Ägypten
zog.“ ...
(31) (UND) „Nicht nur Israel zog aus Ägypten“, sagen die Rabbinen in Auslegung
des Schriftverses Ex 12,38, ... „sondern mit ihnen zog die ganze Menschheit aus
dem „Haus der Knechtschaft“. ...
(49) jedem Bibelwort wohnen siebzig Auslegungsmöglichkeiten inne ... keine
allein (als Dogma) richtig ... „Alle siebzig stehen gültig da vor Gott“, so
heißt es in einem Hebräer-Spruch, der alt war, als Jesus zur Welt kam. ...
Leitsatz, der im 5. Buch Mose siebenmal wiederholt wird: „Durch diese Gesetze
sollt ihr leben!“ ...
(158) (Rabbi Moses Mendelssohn:) dass Wunder zur Bewahrheitung aller Religionen
bemüht werden könnten und daher als Beweis für keine gelten ...
(161) Jede Blume, jeder Baum bleibt ein unerforschliches Wunder Gottes und
seiner Natur. Wir aber brauchen einen van Gogh oder einen Goethe, um uns daran
zu erinnern. Menschen bestaunen eine Sonnenfinsternis, aber verschlafen das
tägliche Wunder des Sonnenaufgangs. ...
sagte Hillel, dass die Gabe des täglichen Brotes ein größeres Wunder sei als
die Spaltung des Schilfmeeres
(Pinchas Lapide: Mit einem Juden die Bibel
lesen, Calwer Kösel Stuttgart 1982)
-------
·
Wie liest ein Jude die
Schöpfungsgeschichten der Bibel?
(Mitschriften zu einem Seminar mit Yuval Lapide 2006)
rabbinische Exegese:
auf einem gedruckten Blatt
oben: hebräischer Text
daneben: aramäischer Text
darunter: „klassischer“ (rabbinischer) Kommentar
darunter: Kommentar zum Kommentar
der Text ist „heilige Schrift“, von Gott offenbart, lange mündlich
weitergegeben;
erst nach dem Exil schriftlich;
es handelt sich also ursprünglich um gesprochenes Wort
man muss, um den Text zu verstehen, die hebräische Sprache kennen!
Hebräisch wurde seit der Zerstörung des Tempels 70 n.Chr. nicht mehr
gesprochen,
blieb über viele Jahrhunderte reine Kultsprache;
bei Gründung des Staates Israel wurde die Sprache „wiederbelebt“ -
damit für den Juden heute direkte Anknüpfung an uralte Bedeutungen möglich (???
JK)
neben der eigentlichen heiligen Schrift gibt es (den TALMUD und) die
MIDRASCHIM;
eine (verbindliche) literarische Tradition;
gleichnishafte, bildreiche Kommentare zur heiligen Schrift
(Ergänzungen, Erläuterungen, Erklärungen, Verstehenshilfen, Glättungen,
Herstellen von Verbindungen zu anderen Texten der Bibel JK)
Midrasch heißt: Erforschen;
der große Midrasch ist entstanden etwa von 500 v.Chr. bis 1000 n.Chr.; seitdem
abgeschlossener Textbestand; von der Aufklärung unbeeinflusst geblieben
Midrasch-Geschichten lernen z.B. Kinder in der religiösen Unterweisung;
“ein Midrasch erzählt, was zwischen Kain und Abel passiert ist – die Bibel sagt
das (leider) nicht so genau“ (Y.L.)
[fröhliche und unerschütterliche Gewissheit bei Y.L.:
wir modernen Juden verstehen mit unserem modernen, wieder belebten Hebräisch
die alten Texte richtig, erfassen ihren Sinn genau(er);
die Tradition der rabbinischen Auslegung ist von Gott inspiriert/geführt worden
und hat ihren richtigen Sinngehalt bis zu uns unverändert bewahrt;
historisch-kritisches Herangehen an die heiligen Texte ist unangemessen und
unnötig;
Y.L.: die ganze Thora ist von Gott irrtumslos offenbart worden; kritische
Rückfragen sind eine Verletzung der Heiligkeit dieses göttlichen Wortes
JK]
Y.L.: jedes Schicksal eines Menschen ist in der (Heils-)Planung Gottes
vorgesehen und wichtig und richtig; auch die Naturkatastrophen (z.B. Tsunami)
hängen mit dem Verhalten des Menschen zusammen, Reaktionen der gekränkten Erde
(Adama), die Erde wird böse (??? JK)
In der Auslegung der Schrift wird jedes Wort untersucht: Warum steht dieses
Wort hier und nicht ein anderes, warum
ist die Reihenfolge der Worte gerade diese ...?
im Folgenden Bezugnahme auf die Übersetzung der Bibel von Buber/Rosenzweig
Text der heiligen Schrift Gen 1:
hat eine heilige Intention, keine naturwissenschaftliche;
die Bibel ist nicht primär ein naturwissenschaftliches Buch;
“ein Tag“ ist nicht gleichzusetzen mit einem heutigen Kalendertag
(Verweis auf Psalm 90: „tausend Jahre wie ein Tag“;
Altersangaben bei den Patriarchen ???;
Lapide später: es könnten auch 7 Millionen Jahre gewesen sein)
Gen.1,1: Im (!) Anfang
(hier steht bereschit; am Anfang wäre sprachlich anders ausgedrückt:
bereschona - damit wäre eine Reihenfolge gemeint);
es geht um einen Ur-Anfang, den „Anfang aller Dinge“
“schaffen“ heißt: aus dem Nichts etwas entstehen lassen
wichtig ist der Rhythmus, die (heiligen) Einheiten 6 bzw. 7 für das Werden der
Welt
Warum steht da nicht: GOTT schuf am Anfang ...?
Gott bleibt der verborgene Gott, er stellt sich in seinem Schaffen, in seiner
Schöpfung vor;
Gott als elohim = die Gottheiten (Plural)?;
der Gott, der alles in sich vereinigt
Gott gewinnt im Laufe der Geschichte(n) immer mehr Aspekte,
je mehr (unterschiedliche) Erfahrungen Menschen mit ihm machen
Gott kommt den Menschen immer näher, wird greifbarer, fleischlicher,
menschlicher;
Gott ist (später) ALLES, was der Mensch braucht (Erfüllung seiner Sehnsüchte
und Wünsche, aber auch „Erzieher“)
Gen1,2
“Braus (Dynamik) Gottes schwingend (erhabene Bewegung wie Adler) über (Gott
steht über allem, alles blickt zu Gott hinauf) dem Antlitz der Wasser
(vielgestaltiges Element)“;
“Finsternis über Urwirbels Antlitz“
im Anfang war nicht nur das Prinzip CHAOS, sondern auch das Prinzip FINSTERNIS;
alles in der Welt hat ein Antlitz
Gen.1,3:
Gott sprach: Es werde Licht
grammatisch: nicht abgeschlossene Vergangenheit, es fing in der Vergangenheit
an und geht in die Zukunft hinein weiter, Gott hört nicht auf zu sprechen
Gen1,4
“Gott sah das Licht: dass es gut ist“
(Licht ist eine Qualität Gottes, und es ist immer (fortdauernd) gut
scheiden: Ordnung ist ohne Scheidung nicht möglich;
die Finsternis wird nicht abgeschafft, aber eingegrenzt, untergeordnet;
Gen1,5:
“Gott rief dem Licht“ (rief dem Licht zu);
Licht wird hier nicht nur benannt (andere Tagesdefinition!),
sondern es erhält damit eine Aufgabe (Bedeutung, Berufung)
(Panentheismus JK):
Gott ist in allem drin, Gott spricht ständig mit seiner Schöpfung, mit
seinen Geschöpfen (die Geschöpfe haben/erhalten auch „(mit-)schöpferische“
Aufgaben / Eigenschaften JK)
“Gott sprach ...“ das ist keine abgeschlossene Vergangenheit;
es fing in der Vergangenheit an, aber geht in die Zukunft hinein weiter;
Gott hört nicht auf zu sprechen;
“Gott rief dem Licht: Tag ...“ (Aufgabe, Zuweisung, auch Definition ? JK)
es geht auch um ein Prinzip: dass es (einen) Tag und (eine) Nacht gibt
“Abend ward und Morgen ward: ein Tag“ (falsch bei Luther: der erste
Tag);
es wird (zum ersten Mal) dunkel und (zum ersten Mal) (wieder) hell – ein neuer
Anfang, „Auferstehung“, es geht weiter !;
die Schöpfung braucht auch die Dunkelheit (jeder Tag fängt im Judentum mit dem
Abend an!);
du bekommst das Licht nur um den Preis der Dunkelheit;
Finsternis ist keine eigenständige (böse) Macht, nur die Abwesenheit von Licht
Gen1,7
“Gott machte ...“
er könnte beim Sprechen bleiben, aber er will uns Menschen einen Anreiz geben,
auch etwas zu machen
Gen1,8
“Dem Gewölb rief Gott: Himmel“ Du hast die Aufgabe, Himmel zu sein
Gen1,9
das Trockne war schon da, wird jetzt erst sichtbar
“dass es gut ist“
Gott sieht dabei immer das Gesamte an, der ganze Kontext stimmt
neben Prinzip der „Scheidung“ zunehmend auch das Prinzip der
„Individualisierung“ (Differenzierung):
Wasser: oben und unten, Land und Meer
Erde bringt verschiedene Pflanzen hervor;
“nach seiner Art“ es soll Vielfalt geben; individuelle Selbstständigkeit
(Freiheit) und Begrenzung (Zugehörigkeit zu einer Art)
Gott hat unterscheidbare Arten gewollt (wenn das durcheinander gerät –
Gentechnik – wird’s gefährlich! Y.L.)
Gen.1,11
die Erde wird in die Autonomie entlassen, alles soll aus sich heraus etwas
hervorbringen
das Leben ist erst (noch) verborgen und entfaltet sich nun in die Freiheit
“Frucht macht“ = die Pflanzen tun mit, Autonomie (bei Luther „tragen“
sie nur)
Gen1,14ff
Sonne und Mond, in der Umwelt Israels als Götter verstanden, werden entmachtet,
entthront, sind keine Götter, sind Funktionsträger (leuchten);
sind Diener Gottes, er schreibt ihnen eine Aufgabe zu;
sie „walten“ (haben Kompetenz und noch etwas Macht);
aber: Gott machte sie (sie unterstehen seiner Macht);
Gen1,20ff
“das Wasser wimmle“ Schöpfung gewinnt immer mehr Vielfalt
Leben löst sich von der Erde
[Exkurs: von „lebenden“ Wesen ist erst ab 1,21 die Rede; Leben regt sich,
pflanzt sich fort, (ver-)mehrt sich – im engeren Sinne sind nur die Tiere und
Menschen Lebewesen; die Pflanzen sind das grüne Kleid, gehören zur Erde, die
Gestirne, die sich auch bewegen, gehören zum Gewölb JK]
“Fruchtet“ aktiver Akt, Tiere schaffen aus sich heraus etwas Neues, das geht
nur mit Segen Gottes
Gen1,26ff
“Wir wollen einen Menschen machen ...“
Adam: “Erdling“, „Mensch“, geschlechtsneutral („Mann“ ist „isch“, „Frau“ ist
„ischa“)
der erste Mensch war „männlich, weiblich“; beides zugleich, ein Mann-Weib;
Midrasch hier: der Mensch ist ursprünglich doppelgesichtig, doppelgestaltig;
hat vorn Gesicht und Genitalien eines Mannes, auf der Rückseite ist er Frau;
androgyn, „männlich, weiblich schuf er sie“;
der Mensch hat (hier zunächst) noch kein Gegenüber (so Gen2,18);
erst nach der „operativen Trennung“ durch Gott (Gen2,21f) gibt es Mann und Frau
getrennt, nun können sie sich ansehen und fortpflanzen;
der Befehl zur Fortpflanzung ergeht zwar schon in Gen1,28 an den Menschen, aber
der Vollzug ist erst nach der Trennung Gen2,21f möglich;
nach jüdischem Verständnis ist der so genannte 2. Schöpfungsbericht (ab
Gen2,4b) nur eine Konkretisierung von Gen.1 (nicht etwa eine eigenständige
Erzählung, die gar noch die ältere wäre);
Mann und Frau waren ursprünglich eine Einheit;
weil aber alles in Zweiheiten / Gegensätzen existiert,
wird der Mensch getrennt, dadurch wird Leben praktisch möglich,
aber so entsteht auch die Sehnsucht nach der ursprünglichen Einheit
hebräischer Ausdruck für Ehe ist „Heiligung“ (in der Vereinigung wird das Heil
wiedergefunden);
Gen1,28
“schaltet über das Fischvolk ...“
(= herrschen im Auftrag Gottes, wie die Gestirne, die auch „schalten“);
das Wort „schalten“ hat zwei Bedeutungen: Größe, Regieren – aber auch:
Absteigen, Fallen;
wenn wir unser Menschsein (Ebenbild Gottes) verspielen, werden wir unter die
Tiere fallen ...;
der „Erdling“ als Statthalter, Stellvertreter Gottes auf Erden;
“in seinem Bilde“ (das heißt das Bild, die (Guss-)Form, die für den Menschen
vorgesehen war) UND „im Bilde Gottes“ (zugleich Abbild des Göttlichen);
Gen1,31
“sehr gut“ Midrasch: weil jetzt auch der Mensch da ist (Wortspiel: Buchstaben
von ADAM vertauscht ergibt SEHR);
Gen2,15
der Mensch soll den Garten „bedienen und behüten“
Gen3,1ff
Die Schlange (Verführer) ist im Hebräischen männlich !
Essen vom Baum der Erkenntnis:
das Böse ist, dass wir uns in unserer Freiheit über gesetzte Grenzen
hinwegsetzen (der Baum ist der (erste) Testfall);
Sünde ist die Unfähigkeit des Menschen, Grenzen zu akzeptieren;
(Die grundsätzliche Fähigkeit/Bereitschaft zur Übertretung des Gebotes, die
Versuchung in Gestalt der Schlange, ist schon VOR dem so genannten SÜNDENFALL
da JK)
Y.L.: Durch die Missachtung des Gebotes werden die Menschen erwachsen, mündig
(vorher im Paradies waren sie im Kindergarten, so Buber)
Theodizee:
“Ich erschaffe das Licht und mache das Dunkel,
ich bewirke das Heil und erschaffe das Unheil.
Ich bin der Herr, der das alles vollbringt.“
(Jesaja 45,7)
„der ich da Licht mache und schaffe die Finsternis,
der ich Frieden gebe und schaffe Unheil.
Ich bin der Herr, der dies alles tut.“
(Jesaja 45,7)
Erbsünde?
“Wie durch den einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen und der Tod durch
die Sünde, so ist der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, weil sie alle
gesündigt haben.“
(Paulus: Römer 5,12)
“Denn der Sünde Sold ist Tod.“
(Paulus: Römer 6,23)
“Die Väter sollen nicht für die Kinder noch die Kinder für die Väter sterben,
sondern ein jeder soll für seine Sünde sterben.
(5. Mose, 24,16)
Y.L.: es gibt im Judentum den Terminus „Erbsünde“ nicht;
Die Überschrift „Der Sündenfall“ ist schon bei Luther falsch – denn der Begriff
„Sünde“ kommt in diesem Abschnitt überhaupt nicht vor (erstmals Gen.4,7 – bei
Kain und Abel);
besser: „Erster Ungehorsam“
es gibt keine (biologische) Vererbbarkeit der Sünde;
“Siehe, ich habe dir heute vorgelegt das Leben und das Gute, den Tod und das
Böse.
Wenn du gehorchst den Geboten des Herrn, deines Gottes, die ich dir heute
gebiete, dass du den Herrn, deinen Gott, liebst und wandelst in seinen Wegen
und seine Gebote, Gesetze und Rechte hältst, so wirst du leben und dich mehren,
und der Herr, dein Gott, wird dich segnen ...
Wendet sich aber dein Herz und du gehorchst nicht, sondern lässt dich
verführen, dass du andere Götter anbetest und ihnen dienst, so verkündige ich
euch heute, dass ihr umkommen werdet ...
Ich habe euch Leben und Tod, Segen und Fluch vorgelegt, damit du das Leben
erwählst und am Leben bleibst ...“
(5. Mose 30, 15ff)
Ansicht des Judentums: Ich habe jederzeit (auch nach dem „Sündenfall“) die
Freiheit der Wahl zwischen gut und böse;
die Sätze des Paulus gründen in seinen persönlichen Erfahrungen, sind seine
(private) Bewertung als Theologe, spätere Zutat, dem entspricht keine biblische
Offenbarung
Gen 3,22 bei Buber:
Gottes
Befürchtung:
“Da,
der Mensch ist geworden wie unser einer im Erkennen von Gut und Böse. Und nun
könnte
er gar seine Hand ausschicken und auch vom Baum des Lebens nehmen und essen
und in Weltzeit (d.h. ewig JK) leben!“
Folge: Vertreibung der Menschen aus dem Garten und vom Baum.
Aber: Die Cheruben sind da, „den Weg zum Baum des Lebens zu hüten.“ (Gen 3,24).
[Der (Rück-)Weg bleibt offen ...
Jesus sagt beim letzten Abendmahl:
“Nehmet, esset“ (Matth. 26,26, 1. Kor. 11,24)
Aufnahme der Worte aus Gen. 3,22?, Aufhebung des
Verbotes, Einladung, Weg zum ewigen Leben jetzt frei ? JK]
Gen3,14
“Schlange ... sei verflucht“; “sei verflucht der Acker ...“
nur der Acker und die Schlange werden verflucht, nicht der Mann und die Frau;
Fluch in Deutschen: schwer, düster, verhexen, bestrafen;
Fluch im Hebräischen: belastete Beziehung, Abgetrennt-Sein;
der Mensch stand in enger Beziehung zur Erde (Adama – Adam); durch das Essen
der Frucht (die von der Erde kommt) ist die Beziehung gestört, die Erde bringt
weiter Korn hervor, aber nun auch Disteln und Dornen als Zeichen der Störung,
die Natur wird ärgerlich;
später wird Kain verflucht, d.h. von den anderen Menschen ab-gesondert;
Gen.3,21
Gott kleidet die Menschen; er liebt sie auch nach dem Ungehorsam
Die Rabbiner sagen: es war letztlich von Gott eingeplant, dass der Mensch vom
Baum der Erkenntnis isst, damit ein weiterer Entwicklungsschritt stattfindet;
Gott hat es als Möglichkeit zugelassen;
aus Fluch wird Segen;
(Gott weist den Menschen auf den Baum hin – das lockt erst JK)
Gen4,1 (vorher schon Andeutung in Gen3,20)
erst unmittelbar nach der Vertreibung aus dem Paradies (!) erfüllt sich
der Segen Gottes an den Menschen „praktisch“: Fortpflanzung beginnt!
Eva = Mutter des Lebendigen; jetzt beginnt das Leben (der Mensch ist gereift,
voller Erkenntnis, jetzt beginnt die Arbeit, jetzt bekommt er Kinder);
“Adam erkannte Eva“ – erkennen hier der gleiche Wortstamm wie beim Baum der
Erkenntnis;
das Erkennen geht weiter, auch außerhalb des Paradieses;
Erkennen nicht nur über den Kopf (verstehen), im Geschlechtsverkehr kehrt der
Mensch in die alte Verbundenheit zu Gott zurück;
auch außerhalb des Paradieses ist die Einheit (bruchstückhaft) möglich;
“erworben habe ich mit IHM (Gott)“ – Eva erlebt die Verbundenheit mit Gott in
der Zeugung und Geburt;
Gen4,2
“Diener des Ackers“
Gen4,17
“Kain erkannte sein Weib“
Kain lebt nach dem Brudermord weiter; das Leben geht durch ihn weiter (er ist
gesegnet?);
(Seminar mit Yuval Lapide: „Zum Anfang aller Dinge – ein jüdisches Lehrhaus“
Die Schöpfungsgeschichten der Bibel durch einen jüdischen Theologen erklärt;
Ev. Heimvolkshochschule Kohren-Sahlis 30.10. bis 1.11.06)
·
Die ersten vier Kapitel der Bibel, von
Juden übersetzt
Quelle:
Die Schrift, verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig,
Das Buch „Im Anfang“;
1976, Verlag Lambert Schneider, Gerlingen
(Verszählung ergänzt nach der Zählung in der christlichen Bibel von JK)
Das Buch im Anfang
1,1 Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde.
1,2 Die Erde aber war Irrsal und Wirrsal.
Finsternis über Urwirbels Antlitz.
Braus Gottes schwingend über dem Antlitz der Wasser.
1,3 Gott sprach: Licht werde! Licht ward.
1,4 Gott sah das Licht: dass es gut ist.
Gott schied zwischen dem Licht und der Finsternis.
1,5 Gott rief dem Licht: Tag! und der Finsternis
rief er: Nacht!
Abend ward und Morgen ward: Ein Tag.
1,6 Gott sprach:
Gewölb werde inmitten der Wasser
und sei Scheide von Wasser und Wasser!
1,7 Gott machte das Gewölb
und schied zwischen dem Wasser das unterhalb des Gewölbs war
und dem Wasser das oberhalb des Gewölbs war.
Es ward so.
1,8 Dem Gewölb rief Gott: Himmel!
Abend ward und Morgen ward: zweiter Tag.
1,9 Gott sprach:
Das Wasser unterm Himmel staue sich an einen Ort,
und das Trockne lasse sich sehn!
Es ward so.
1,10 Dem Trocknen rief Gott: Erde! und der Stauung
der Wasser rief er: Meere!
Gott sah, dass es gut ist.
1,11 Gott sprach:
Sprießen lasse die Erde Gespross,
Kraut, das Samen samt. Fruchtbaum, der nach seiner Art Frucht macht
darin sein Same ist, auf der Erde!
Es ward so.
1,12 Die Erde trieb Gespross,
Kraut, das nach seiner Art Samen samt, Baum, der nach seiner Art Frucht macht
darin sein Same ist.
Gott sah, dass es gut ist.
1,13 Abend ward und Morgen ward: dritter Tag.
1,14 Gott sprach:
Leuchten seien am Gewölb des Himmels,
zwischen dem Tag und der Nacht zu scheiden,
dass sie werden zu Zeichen, so für Gezeiten so für Tage und Jahre,
1,15 und seien Leuchten am Gewölb des Himmels,
über die Erde zu leuchten!
Es ward so.
1,16 Gott machte die zwei großen Leuchten,
die größre Leuchte zur Waltung des Tags
und die kleinre Leuchte zur Waltung der Nacht,
und die Sterne.
1,17 Gott gab sie ans Gewölb des Himmels,
über die Erde zu leuchten,
1,18 des Tags und der Nacht zu walten,
zu scheiden zwischen dem Licht und der Finsternis.
Gott sah, dass es gut ist.
1,19 Abend ward und Morgen ward: vierter Tag.
1,20 Gott sprach:
Das Wasser wimmle, ein Wimmeln lebenden Wesens,
und Vogelflug fliege über der Erde vorüber dem Antlitz des Himmelsgewölbs!
1,21 Gott schuf die großen Ungetüme
und alle lebenden regen Wesen, von denen das Wasser wimmelte, nach ihren Arten,
und allen befittichten Vogel nach seiner Art.
Gott sah, dass es gut ist.
1,22 Gott segnete sie, sprechend:
Fruchtet und mehrt euch und füllt das Wasser in den Meeren,
und der Vogel mehre sich auf Erden!
1,23 Abend ward und Morgen ward: fünfter Tag.
1,24 Gott sprach:
Die Erde treibe lebendes Wesen nach seiner Art,
Herdentier, Kriechgerege und das Wildlebende des Erdlands nach seiner Art!
Es ward so.
1,25 Gott machte das Wildlebende des Erdlands nach
seiner Art
und das Herdentier nach seiner Art und alles Gerege des Ackers nach seiner Art.
Gott sah, dass es gut ist.
1,26 Gott sprach:
Machen wir den Menschen in unserem Bild nach unserem Gleichnis!
Sie sollen schalten über das Fischvolk des Meeres, den Vogel des Himmels,
das Getier, die Erde all, und alles Gerege, das auf Erden sich regt.
1,27 Gott schuf den Menschen in seinem Bilde,
im Bilde Gottes schuf er ihn,
männlich, weiblich schuf er sie.
1,28 Gott segnete sie,
Gott sprach zu ihnen:
Fruchtet und mehrt euch und füllet die Erde und bemächtigt euch ihrer!
schaltet über das Fischvolk des Meers, den Vogel des Himmels
und alles Lebendige, das auf Erden sich regt!
1,29 Gott sprach:
Da gebe ich euch
alles samensäende Kraut, das auf dem Antlitz der Erde all ist,
und alljeden Baum, daran samensäende Baumfrucht ist,
euch sei es zum Essen,
1,30 und allem Lebendigen der Erde, allem Vogel
des Himmels,
allem was auf Erden sich regt, darin lebendes Wesen ist,
alles Grün des Krauts zum Essen.
Es ward so.
1,31 Gott sah alles, was er gemacht hatte,
und da, es war sehr gut.
Abend ward und Morgen ward: der sechste Tag.
2,1 Vollendet waren der Himmel und die Erde, und
all ihre Schar.
2,2 Vollendet hatte Gott am siebenten Tag seine
Arbeit, die er machte,
und
feierte am siebenten Tag von all seiner Arbeit, die er machte.
2,3 Gott segnete den siebenten Tag und heiligte
ihn,
denn an ihm feierte er von all seiner Arbeit, die machend Gott schuf.
2,4a Dies
sind die Zeugungen des Himmels und der Erde: ihr Erschaffensein.
2,4b Am Tag,
da ER, Gott, Erde und Himmel machte,
2,5 noch war aller Busch des Feldes nicht auf der
Erde,
noch war alles Kraut des Feldes nicht aufgeschossen,
denn nicht hatte regnen lassen ER, Gott, über die Erde,
und Mensch, Adam, war keiner, den Acker, Adama, zu bedienen:
2,6 aus der Erde stieg da ein Dunst und netzte
all das Antlitz des Ackers,
2,7 und ER, Gott, bildete den Menschen, Staub
vom Acker,
er blies in seine Nasenlöcher Hauch des Lebens,
und der Mensch wurde zum lebenden Wesen.
2,8 ER, Gott, pflanzte einen Garten in Eden,
Üppigland, ostwärts,
und legte darein den Menschen, den er gebildet hatte.
2,9 ER, Gott, ließ aus dem Acker allerlei Bäume
schießen,
reizend zu sehn und gut zu essen,
und den Baum des Lebens mitten im Garten
und den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse.
2,10 Ein Strom aber fährt aus von Eden, den Garten
zu netzen,
und trennt sich von dort und wird zu vier Flußköpfen.
2,11 Der Name des einen ist Pischon,
der ists der alles Land Chawila umkreist, wo das Gold ist,
2,12 gut ist das Gold des Lands, dort ist das
Edelharz und der Stein Karneol.
2,13 Der Name des zweiten Stroms ist Gichon,
der ists der alles Land Kusch umkreist.
2,14 Der Name des dritten Stroms ist Chiddekel,
der ists der im Osten von Assyrien hingeht.
Der vierte Strom, das ist der Euphrat.
2,15 ER, Gott, nahm den Menschen und setzte ihn in
den Garten von Eden,
ihn
zu bedienen und ihn zu hüten.
2,16 ER, Gott, gebot über den Menschen, sprechend:
Von allen Bäumen des Gartens magst essen du, essen,
2,17 aber vom Baum der Erkenntnis von Gut und
Böse,
von dem sollst du nicht essen,
denn am Tag, da du von ihm issest, musst sterben du, sterben.
2,18 ER, Gott,
sprach:
Nicht
gut ist, dass der Mensch allein sei,
ich will ihm eine Hilfe machen, ihm Gegenpart.
2,19 ER, Gott, bildete aus dem Acker alles
Lebendige des Feldes
und allen Vogel des Himmels
und brachte sie zum Menschen, zu sehn wie er ihnen rufe,
und wie alles der Mensch einem rufe, als einem lebenden Wesen,
das sei sein Name.
2,20 Der Mensch rief mit Namen allem Herdentier
und dem Vogel des Himmels und allem Wildlebenden des Feldes.
Aber für einen Menschen erfand sich keine Hilfe, ihm Gegenpart.
2,21 ER senkte auf den Menschen Betäubung, dass er
entschlief,
und nahm von seinen Rippen eine und schloss Fleisch an ihre Stelle.
2,22 ER, Gott, baute die Rippe, die er vom Menschen
nahm, zu einem Weibe
und brachte es zum Menschen.
2,23 Der Mensch sprach:
Diesmal ist sies!
Bein von meinem Gebein,
Fleisch von meinem Fleisch!
Die sei gerufen
Ischa, Weib,
denn von Isch, vom Mann, ist die genommen.
2,24 Darum lässt ein Mann seinen Vater und seine
Mutter
und haftet seinem Weibe an,
und sie werden zu Einem Fleisch.
2,25 Die beiden aber, der Mensch und sein Weib,
waren nackt,
und sie schämten sich nicht.
3,1 Die Schlange war listiger als alles
Lebendige des Feldes,
das ER, Gott, gemacht hatte.
Sie sprach zum Weib:
Ob schon Gott sprach: Esst nicht von allen Bäumen des Gartens
... !
3,2 Das Weib sprach zur Schlange:
Von der Frucht der Bäume im Garten mögen wir essen,
3,3 aber von der Frucht des Baums, der mitten im
Garten ist,
hat
Gott gesprochen:
Esst nicht davon und rührt nicht daran, sonst müsst ihr sterben.
3,4 Die Schlange sprach zum Weib:
Sterben, sterben werdet ihr nicht,
3,5 sondern Gott ists bekannt,
dass am Tag, da ihr davon esset, eure Augen sich klären
und ihr werdet wie Gott, erkennend Gut und Böse.
3,6 Das Weib sah,
dass der Baum gut war zum Essen
und dass er eine Wollust den Augen war
und anreizend der Baum, zu begreifen.
Sie nahm von seiner Frucht und aß
und gab auch ihrem Mann bei ihr, und er aß.
3,7 Die Augen klärten sich ihnen beiden,
und sie erkannten, -
dass sie nackt waren.
Sie flochten Feigenlaub und machten sich Schurze.
3,8 Sie hörten SEINEN Schall, Gottes,
der sich beim Tageswind im Garten erging.
Es versteckte sich der Mensch und sein Weib vor SEINEM,
Gottes, Antlitz mitten unter den Bäumen des Gartens.
3,9 ER, Gott, rief den Menschen an und sprach zu
ihm:
Wo bist du ?
3,10 Er sprach:
Deinen Schall habe ich im Garten gehört und fürchtete mich,
weil ich nackt bin,
und ich versteckte mich.
3,11 ER sprach:
Wer hat dir gemeldet, dass du nackt bist ?
hast du vom Baum, von dem nicht zu essen ich dir gebot, gegessen
?
3,12 Der Mensch sprach:
Das Weib, das du mir beigegeben hast,
sie gab mir von dem Baum, und ich aß.
3,13 ER, Gott, sprach zum Weib:
Was hast du da getan!
Das Weib sprach:
Die
Schlange verlockte mich, und ich aß.
3,14 ER, Gott, sprach zur Schlange:
Weil du das getan hast,
sei verflucht vor allem Getier und vor allem Lebendigen des Feldes,
auf deinem Bauch sollst du gehn und Staub sollst du fressen
alle
Tage deines Lebens,
3,15 Feindschaft stelle ich zwischen dich und das
Weib,
zwischen deinen Samen und ihren Samen,
er stößt dich auf das Haupt, du stoßest ihm in die Ferse.
3,16 Zum Weibe sprach er:
Mehren,
mehren will ich deine Beschwernis, deine Schwangerschaft,
in
Beschwer sollst du Kinder gebären.
Nach deinem Mann sei deine Begier, er aber walte dir ob.
3,17 Zu Adam sprach er:
Weil
du auf die Stimme deines Weibes gehört hast
und von dem Baum gegessen hast, den ich dir verbot, sprechend:
Iß nicht davon!,
sei verflucht der Acker um deinetwillen,
in Beschwer sollst du von ihm essen alle Tage deines Lebens.
3,18 Dorn und Stechstrauch lässt er dir schießen,
so iss denn das Kraut des Feldes!
3,19 Im Schweiß deines Antlitzes magst du Brot
essen,
bis du zum Acker kehrst,
denn aus ihm bist du genommen.
Denn Staub bist du und zum Staub wirst du kehren.
3,20 Der Mensch
rief den Namen seines Weibes: Chawwa, Leben!
Denn sie wurde Mutter alles Lebendigen.
3,21 ER, Gott,
machte Adam und seinem Weibe Röcke aus Fell
und kleidete sie.
3,22 ER, Gott, sprach:
Da,
der Mensch ist geworden wie unser einer im Erkennen von Gut und Böse.
Und nun könnte er gar seine
Hand ausschicken
und auch vom Baum des Lebens nehmen und essen
und in Weltzeit leben!
3,23 So schickte ER, Gott, ihn aus dem Garten von
Eden,
den Acker zu bedienen, daraus er genommen war.
3,24 Er vertrieb den Menschen
und ließ vor dem Garten von Eden ostwärts die Cheruben wohnen
und das Lodern des kreisenden Schwerts,
den Weg zum Baum des Lebens zu hüten.
4,1 Der Mensch erkannte Chawwa sein Weib,
sie wurde schwanger, und sie gebar den Kajin.
Da sprach sie:
Kaniti -
Erworben habe ich
mit IHM einen Mann.
4,2 Sie fuhr fort zu gebären, seinen Bruder, den
Habel.
Habel wurde ein Schafhirt, Kajin wurde ein Diener des Ackers.
4,3 Nach Verlauf der Tage wars,
Kajin brachte von der Frucht des Ackers IHM eine Spende,
4,4 und auch Habel brachte von den Erstlingen
seiner Schafe, von ihrem Fett.
ER achtete auf Habel und seine Spende,
4,5 auf Kajin und seine Spende achtete er nicht.
Das entflammte Kajin sehr, und sein Antlitz fiel.
4,6 ER sprach zu Kajin:
Warum entflammt es dich ? Warum ist dein Antlitz gefallen ?
4,7 Ists nicht so:
meinst du Gutes, trags hoch,
meinst du nicht Gutes aber:
vorm Einlass Sünde, ein Lagerer,
nach dir seine Begier -
du aber walte ihm ob.
4,8 Kajin sprach zu Habel, seinem Bruder.
Aber
dann wars, als sie auf dem Felde waren:
Kaijn stand auf wider Habel seinen Bruder und tötete ihn.
4,9 ER sprach zu Kajin:
Wo ist Habel dein Bruder ?
Er sprach:
Ich weiß nicht. Bin ich meines Bruders Hüter ?
4,10 ER aber sprach:
Was hast du getan!
die Stimme des Geblüts deines Bruders schreit zu mir aus dem Acker.
4,11 Und nun,
verflucht seist du hinweg vom Acker,
der seinen Mund aufmachte, das Geblüt deines Bruders
aus deiner Hand zu empfangen.
4,12 Wenn du den Acker bedienen willst,
nicht gibt er dir fortan seine Kraft.
Schwank und schweifend musst du auf Erden sein.
4,13 Kajin sprach zu IHM:
Allzu groß zum Tragen ist meine Verfehlung.
4,14 Da, du vertreibst mich heute vom Antlitz des
Ackers,
vor deinem Antlitz muss ich mich bergen,
schwank und schweifend muss ich sein auf Erden, -
so muss es sein:
allwer mich findet, tötet mich!
4,15 ER sprach zu ihm:
So denn,
allwer Kajin tötete, siebenfach würde es geahndet.
Und ER legte Kajin ein Zeichen an,
dass ihn unerschlagen lasse, allwer ihn fände.
4,16 Kajin zog von SEINEM Antlitz hinweg
und wurde erst sesshaft im Lande Nod, Schweife, östlich von Eden.
4,17 Kajin erkannte sein Weib,
sie wurde schwanger und gebar den Chanoch.
Er aber wurde Erbauer einer Stadt
und rief den Namen der Stadt nach seines Sohnes Namen Chanoch.
4,18 Dem Chanoch wurde Irad geboren,
Irad zeugte Mechujael,
Mechujael zeugte Metuschael,
Metuschael zeugte Lamech.
4,19 Lamech nahm sich zwei Weiber,
der Name der einen war Ada, der Name der zweiten Zilla.
4,20 Ada gebar den Jabal,
der wurde Vater der Besitzer von Zelt und Herde.
4,21 Der Name seines Bruders war Jubal,
der wurde Vater aller Spieler auf Harfe und Flöte.
4,22 Und auch Zilla gebar, den Tubal-Kajin,
Schärfer allerlei Schneide aus Erz und Eisen.
Tubal-Kajins Schwester war Naama.
4,23 Lamech sprach zu seinen Weibern:
Ada und Zilla, hört meine Stimme,
Weiber Lamechs, lauscht meinem Spruch:
Ja,
einen
Mann töt ich für eine Wunde
und einen Knaben für eine Strieme!
4,24 Ja,
siebenfach wird Kajin geahndet,
aber siebenundsiebzigfach Lamech!
4,25 Adam erkannte nochmals sein Weib, und sie
gebar einen Sohn.
Sie rief seinen Namen: Sehet, Setzling!
denn: gesetzt hat Gott mir einen andern Samen
für Habel, weil ihn Kajin erschlug.
4,26 Auch dem Sehet wurde ein Sohn geboren,
er rief seinen Namen Enosch, Menschlein.
Damals begann man den NAMEN auszurufen.
·
Die jüdische Zeitrechnung beginnt mit
der Schöpfung der Welt, wie sie sich aus der Zurückrechnung der biblischen
Chroniken ergibt. Demnach schuf Gott die Welt im Jahre 3761 vor Christus. Diese
Definition setzte sich im Judentum zwar erst seit dem 11. Jahrhundert durch,
geht aber auf die systematischen Berechnungen des Patriarchen Hillel II. aus
dem Jahr 359 n.Chr. zurück.
(Sonntag 24.12.06)
·
Die Thora ist für gläubige Juden
göttliche Offenbarung;
jede Thorarolle muss mit größter Sorgfalt behandelt und darf nur von Hand
geschrieben werden;
jeder Buchstabe ...;
da sie als lebendiges Objekt angesehen wird, darf sie nur aus natürlichen
Materialien hergestellt werden. Geschrieben wird auf Kalbshaut mit einer
Truthahn- oder Gänsefeder;
jeder Fehler macht die Thora unbrauchbar;
Zeitrechnung der Juden: Unsere „Jahre nach Christus“ plus 3760 Jahre
(ARTE TV: Die Juden – Geschichte eines Volkes, Teil 1, 6.3.07)
·
(238f) Leo Baeck: ... nicht die Macht
einer kirchlichen Glaubensverfassung. Nie hat es die Bestimmtheit einer umschriebenen
und stetigen Glaubenslehre gegeben, auch nicht den sicheren Aufbau eines
Bekenntnisses. Wofern man dieses Wort nicht allzu weit fasst, kann sogar gesagt
werden, dass das Judentum überhaupt keine Dogmen hat und infolgedessen ja auch
eigentlich nicht eine Orthodoxie. Zwar vererben sich „klassische Sätze“ von
Generation zu Generation fort. Aber ein Dogma im genauen Sinne ist das noch
nicht ... im Judentum haben die Glaubenssätze nie diese Bedeutung gehabt; sie
galten nicht als Bedingung der Seligkeit, noch standen sie daher unter dem
Zeichen des Alles oder Nichts.;
Die ruhenden Elemente des Judentums liegen vor allem im Dasein der Heiligen
Schrift. Darin hat das Judentum sein sicheres, unverrückbares Fundament. Die
Bibel ist das wichtigste autoritative Element im Judentum. Aber nicht das
einzige. Wie ihr einst die Überlieferung vorangegangen war, so folgte ihr bald
die Überlieferung: die mündliche Lehre, die darum ringt, das Schriftwort
seelisch zu durchdringen, es auf Vorkommnisse des Daseins zu beziehen, alle
Lebensverhältnisse religiös zu regeln und zu versittlichen ... Auch diese
Tradition, die im Talmud schließlich festgestellt worden ist, hatte sich im
Kampf durchsetzen müssen, und auch sie ist dann zu einer konservativen Macht
geworden. An religiösem Einfluss, an innerlicher Kraft und Wirkung steht ...
der Talmud hinter der Bibel zurück, , aber als Faktor
des Beharrens hat er sie oft übertroffen. ... der kanonische Charakter, den die
Bibel erhielt, wie die maßgebliche Autorität, die der Talmud erwarb ...;
die Bibel wurde im Judentum nie als ein altes Buch gelesen; sie blieb die
Schrift des Lebens, die Schrift des Tages. „Du bist der Mann“ ... Du bist aus
Ägypten ausgezogen ... „;
die Heilige Schrift ist ... unbeendet und systemlos ... lässt vieles offen ...
bleibt fragenreich ... was in ihr zwiespältig schien, musste man auszugleichen
suchen, was sie freigab, auszufüllen trachten;
(242f) Das liberale oder Reformjudentum ... entstand zu Beginn des 19. Jh. in
Deutschland, anfänglich eine von Laien ausgehende Bewegung für liturgische
Erneuerung, um die gottesdienstliche Praxis an die Verhältnisse einer
bürgerlich angeglichenen neuen Generation anzupassen, die über Jahrtausende
angewachsene Liturgie sollte gekürzt, die Predigt in der Landessprache gehalten
werden; die neue Rabbiner-Generation an Universitäten ausgebildet, erkannte in
vielen Bräuchen und Anschauungen geschichtliche Entwicklungen, statt zu meinen,
alles stamme direkt vom Berg Sinai; Lehre von der fortschreitenden Offenbarung
Gottes;
das orthodoxe Judentum betrachtet sich selbst als mit der jüdischen Tradition
identisch ... Überzeugung, dass authentischer jüdischer Glaube und jüdisches
Tun seit der Sinai-Offenbarung stets gleich geblieben sind; der Pentateuch (in
seiner heute vorliegenden Form) wird Mose als Empfänger göttlicher Offenbarung
zugeschrieben; Propheten nicht als Künder eines sich fortentwickelnden
Glaubens, sondern als Zurückrufer zum ursprünglichen Bund; Bibelkritik wird
natürlich abgelehnt;
(265) Thora nicht als „Gesetz“, besser als „Weisung“ wiederzugeben
(Buber-Rosenzweig);
(314ff)
“Talmud“: hebr. Lernen, Lehre, Studium; Sammlung der Diskussionen und
Kommentare zur biblischen Überlieferung; Ausgangspunkt des Talmud ist die
Mischna; sie wurde um die Gemara (Lehrdiskussion) erweitert; es gibt den
palästinensischen Talmud (auch Jerusalemer T. genannt) und den viel
umfangreicheren babylonischen Talmud;
“Mischna“: hebr. Lernen, Wiederholung; Sammlung von Lehrsätzen der mündlichen
Thora; ihr grundlegender Korpus entstand im 2. Jh. n.Chr.; sie ist auch
Grundlage des Talmuds;
“Midrasch“: Plural Midraschim, von hebräisch darosch, suchen, forschen; die
rabbinische Auslegung der Bibel, es haben sich zwei Grundformen entwickelt,
halachische und haggadische Midraschim;
“Haggada“: hebr. Erzählung; jener Teil der mündlichen Lehre (Thora), der
nichthalachischen Charakters ist; die Haggada umfasst erzählerische Traditionen
der verschiedensten Art: Geschichten, Sagen, Legenden, Märchen, Fabeln,
Gleichnisse, Wunder- und Weisheitserzählungen, Anekdoten, Witze, Rätsel ... sie
lebt von einer spielerischen und poetischen Phantasie der Schriftsauslegung;
jeder kann einen Schriftvers nach eigenem Verständnis auslegen, dabei dürfen
sich die Haggadot durchaus widersprechen;
“Halacha“: hebr. Gehen, Wandeln; Bezeichnung für das gesamte „gesetzliche“
System des Judentums, die Halacha beschreibt den Lebensinhalt und die
Lebensführung, eine Trennung zwischen Säkularem und Religiösem existiert nicht;
bedeutende halachische Sammlungen enthalten Mischna und Talmud;
“Tenach“: die hebräische Bibel, T steht für Thora (Bücher der Weisung), N für
Nebiim (Propheten), K oder Ch für Ketubim (Schriften);
“Thora“: hebr. Lehre, Unterweisung; meint im engeren Sinne die
Gottesoffenbarung am Sinai und ihre Grundlegung im Pentateuch, sie enthält
alles, was der Mensch zu einem gottgefälligen Leben braucht, bedarf aber der
Auslegung und ständigen Aktualisierung, diese Aktualisierung manifestiert sich
in der mündlichen Thora (Mischna);
(Hubertus Halbfas: Religionsunterricht in Sekundarschulen, Lehrerhandbuch 5,
Patmos 1994)
·
(28, 34) biblische Erzählungen aus der
Väterzeit werden von der wissenschaftlichen Forschung als Sagen bezeichnet;
Sage kommt von Sagen, es handelt sich um Erzählungen, die für lange, lange Zeit
nur mündlich überliefert wurden; erstaunlich exakt: Jeremia wiederholt, nachdem
die Schriftfassung verbrannt ist, 20 Jahre später seine Aussagen wörtlich;
(29) ANFANG – lateinisch zwei Möglichkeiten:
a) (abgeschlossener) Anfang in Raum und Zeit = initium;
b) „mitlaufender“ Anfang (meine Kindheit, Ursprünge in Gott) = principium;
(34) Schüler müssen (die Heilige Schrift) LAUT lesen und LAUT lernen;
(36ff) Thora hießen ursprünglich nur die ersten fünf Schriftrollen der Bibel
(auch 5 Bücher Mose, Pentateuch); später wurden auch die prophetischen Bücher
dazu gerechnet (aber noch zur Zeit Jesu von den Sadduzäern noch nicht als
Gotteswort anerkannt);
Thora und Prophetenschriften sind in hebräischer Sprache überliefert (Hebräisch
war bis zur Zerstörung Jerusalems 586 v.Chr. die dort gesprochene Sprache);
dann wurde das Hebräische durch die aramäische Sprache verdrängt (war die
internationale Sprache der großen Reiche im Vorderen Orient, zur Zeit Jesu auch
Muttersprache der Juden); kein biblisches Buch ist in Aramäisch geschrieben
worden;
aramäische Weltsprache wurde später durch das Griechische abgelöst; die
jüngeren Schriften der Bibel griechisch niedergeschrieben: späte Schriften des
Alten Testaments und das gesamte Neue Testament;
(Hubertus Halbfas, Religionsbuch für das 5./6. Schuljahr, Patmos 1989)
·
(103) Christen sind vor allem an der
Übereinstimmung mit der rechten Glaubenslehre interessieret ... Juden hingegen
vor allem an einer Übereinstimmung im rechten Tun ...;
der Talmud beschäftigt sich überwiegend mit Fragen des richtigen jüdischen
Verhaltens, Lehrbücher der Dogmatik gibt es dagegen im Judentum nicht.;
Glaubensinhalte werden im jüdischen Gottesdienst vermittelt; das jüdische
Gebetbuch stellt zugleich die maßgebliche jüdische Lehre dar: „Der Jude betet
Theologie“;
(111ff) neben der hebräischen Bibel (dem „Alten Testament“ der Christen) ist
der Talmud für Juden eine der wichtigsten Schriften. Im Talmud ist ihre
mündliche religiöse Überlieferung zusammengefasst.;
Nachdem das Volk Israel aus der Knechtschaft Ägyptens befreit war, empfing es
die Thora am Sinai, dem Berg der Offenbarung Gottes. In der Thora (= „Weisung“,
„Lehre“) erklärt Gott seinem Volk seinen Willen. Dieser spricht sich aus im
engeren Sinne in den zehn Geboten, im weiteren Sinne in 603 zusätzlichen
„Pflichten“ in den fünf Büchern Mose. ... Schließlich wird auch das Fünf-Buch
Mose insgesamt als „Thora“ bezeichnet.
Die fünf Bücher Mose werden als „schriftliche Thora“ bezeichnet. Nach weit
verbreiteter Auffassung gab es daneben von Anfang an (seit der
Sinai-Offenbarung JK) auch „mündliche Thora“: wurde erst dann formuliert,
wenn neue Lebensumstände es erforderten;
in „Lehrhäusern“ wurden durch Rabbinen Entscheidungen zur Anwendung der Thora
im Leben getroffen;
nach der Zerstörung des 2. Tempels in Jerusalem entstand Ende des 2. Jh. die
Mischna (als Niederschrift der bis dahin nur mündlich gelehrten Thora; Mischna
von schana = wiederholen, Auswendiglernen);
Mischna musste in der Folgezeit immer wieder kommentiert werden; Kommentare
enthielten Erörterungen über den Inhalt der Mischna mit Diskussionen im Für und
Wider, die z.T. mit Entscheidungen abschließen, zum Teil auch offen bleiben;
Kommentierung war Ende des 5.Jh. im Wesentlichen abgeschlossen, Beiträge wurden
als Gemara (= Vollendung der Mischna im Sinne von Erklärung und Deutung) der
Mischna hinzugefügt;
Mischna + Gemara zusammen bilden den Talmud (= „Lehre“);
bis heute bedarf der Talmud der Erläuterung;
im Talmud zwei Darstellungen für den Weg zum Leben:
+ Halacha (von halach = gehen): stellt die rechtliche Seite des Lebens dar,
verbindliche Angaben für das Tun
+ Haggada: dazu gehören Erzählungen, die in oft ausschmückender Weise zum
rechten Tun führen wollen;
(118) grundlegende Aussage über die ununterbrochene Kette der
Überlieferungsträger vom Empfang der Thora am Sinai durch Mose an stehen im
babylonischen Talmud:
“Mose empfing die Weisung (Thora) vom Sinai und überlieferte sie Jusua, und
Josua den Alten, und die Alten den Kündern (Propheten), und die Künder
überlieferten sie den Männern der großen Versammlung ...“ (und diese
schrieben im 6. bis 4. Jh. v.Chr. den Text auf JK)
(130) Das Buch der Juden:
Die jüdische Einteilung unterscheidet:
- die fünf Bücher Mose (zusammenfassend als „Thora“ bezeichnet);
- die „Propheten“ (einschließlich der geschichtlichen Bücher Josua, Richter,
Samuel und Könige);
- die „Schriften“ (Psalmen, Sprüche, Hiob, kleinere Schriften sowie solche aus
späterer Zeit wie Daniel, Chronik)
Nach den hebräischen Anfangsbuchstaben dieser drei Teile heißt das Alte
Testament bei Juden meist „Tanach“;
1. Mose 12,3: (mit Abraham beginnend) „sollen gesegnet sein alle Geschlechter
auf Erden“
(A. Baumann Hrsg: Was jeder vom Judentum wissen muss, GTB Gütersloh 1997)
·
„Midrasch“: hebr. Auslegung, Deutung;
rabbinische Literatur, die sich an den Bibeltext anschließt und ihn erklärt;
gleich dem Talmud enthalten diese Sammlungen neben
lehrhaft-religionsgesetzlichen Untersuchungen (Halacha) auch erzählende Teile
(Haggada);
“Judentum“: Das JUDENTUM kennt keine Theologie im eigentlichen Sinn, keine
dogmatische Normierung des Glaubensgutes, wohl aber normative Glaubenslehren,
so die Einheit und Einzigkeit Gottes. Die Welt ist seine Schöpfung, ihr Sinn
ist die Verwirklichung des Guten. Der Mensch steht Gott unmittelbar (ohne
Mittler) gegenüber; in Freiheit vermag er Gottes Willen (das Gute) zu tun oder
sich von ihm abzuwenden und im Abfall zu sündigen; bußfertige Umkehr könne
diese Verfallenheit an die Welt aufheben. Des Menschen Aufgabe ist die
Heiligung des gesamten Lebens, so dass kein Unterschied mehr zwischen weltlichem
und religiösem Bereich besteht. Das traditionelle JUDENTUM glaubt an eine
jenseitige Vergeltung der guten und bösen Taten und an die Auferstehung der
Toten; betont wird aber die Bewährung im Diesseits im Gehorsam gegenüber dem
göttlichen Gebot. Die sittlichen Pflichten sind in der Thora, in der
Verkündigung der Propheten und in der Auslegung der Tradition (Talmud)
festgelegt.
(dtv-Lexikon 1990)
·
PaRDeS = „Obstgarten
Die Thora ist wie ein Obstgarten, der beim Näherkommen immer mehr von sich
erkennen lässt:
1. Stufe des Verständnisses: Pschat = die (nüchterne) Geschichte an sich
2. Stufe: Remes = Hinweis (Nachdenken, Erinnern an Vergleichbares im eigenen
Leben)
3. Stufe Drasch = Deuten (Vergleich mit anderen Sätzen der Thora)
4. Stufe: Sod = Geheimnis (der Sinn bleibt geheimnisvoll, Annäherung durch
rabbinische Auslegung);
“Mosche empfing die Thora ... weiter an Jehoschua ... Älteste ... Propheten ...
an die großen Männer der Synagoge ...“; die großen Männer der Synagoge stellten
im 6.-4.Jh. v.Chr. die Schrift zusammen, davor, daneben und danach gab es immer
auch mündliche Überlieferung;
“mündliche Thora“ (T = Lehre): ursprünglich war es verboten, sie schriftlich
festzuhalten;
talmudische Arbeiten (Mischna + Gemara = Talmud):
Mischna (1-250 u.Z.); ist eine Wiederholung von Themen der Thora; aber der
Talmud ist nicht geeignet, um zu einer bestimmten Bibelstelle einen Kommentar
zu finden;
Gemara (Kommentare aus den nächsten Jahrhunderten; um die Texte der Mischna
herum angeordnet; à
Jerusalemer Talmud (250-350 u.Z.) und Babylonischer Talmud (250-500 u.Z.);
auch der Talmud ist (grundsätzlich) abgeschlossen, evtl. sparsame Zusätze am
Rande;
Thorarolle für den Gottesdienst muss von Hand geschrieben werden (Beruf des
Thoraschreibers, 1 Jahr, keine Schreibfehler zulässig, ganze Thora etwa 20
Meter lang, auf Tierhäute, die zusammengenäht werden); der Vorlesende wird bei
Bedarf sofort korrigiert;
“ein Jude hat immer bestimmte Geschichten im Kopf, wo man automatisch z.B.
biblische Geschichten ergänzt“;
der (ursprüngliche) hebräische Text der Thora ist ein durchlaufender Text, er
hat keine Überschriften, keine Absätze, keine Verszählung, keine Vokale (erst
später ergänzt), keine Satzzeichen (Punkt, Komma), keine Akzentuierungszeichen
(Fragezeichen, Ausrufezeichen); der autoritative Text ist der ursprüngliche
Text, spätere Zusätze sind nicht verbindlich; auch (vermutete) Ab-Schreibfehler
bleiben – das könnte etwas bedeuten!;
die Synagogen sind autonom, suchen sich Rabbiner, die theologisch zur Gemeinde
passen;
MIDRASCH: heißt generell: rabbinische Auslegung, Geschichten z.T. auch aus dem
Talmud;
bis zum 18. Jahrhundert gab es keine verschiedenen Strömungen im Judentum, erst
danach orthodoxes, liberales J. usw.
(Marion Kahnemann, Vors. der Ges. f. christlich-jüdische Zusammenarbeit
Dresden, Vortrag „Einführung in das jüdische Schriftverständnis“ 19.3.07
Chemnitz Ev. Forum)
·
PaRDeS
ist ein Akronym für die klassische jüdische Bibelauslegung. Die vier
Konsonanten des hebräischen Wortes, das Obstgarten bedeutet,
repräsentieren vier Ebenen der Bedeutung von Stellen aus der Tora, die im Laufe
der Jahrhunderte von den Rabbinern festgelegt wurden.
+ Der erste Konsonant P steht für Pschat, das bedeutet die
einfache, wörtliche Bedeutung.
+ Der zweite Konsonant R steht für Remes,
d.h. Anspielung, Allegorie. Auf dieser Ebene wird
oftmals auch Gematria, eine
zahlenmystische Buchstabenauslegung, verwendet.
+ Der dritte Konsonant D steht für Drasch:
interpretative, homiletische Bedeutung.
+ Der letzte Konsonant S steht für Sod,
d.h. Geheimnis, und enthält mystische, vielfach
esoterische Bedeutungen. Mit ihrem
Studium sollte erst begonnen werden, nachdem die drei
ersten Ebenen studiert und verstanden
wurden.
(WIKIPEDIA)
·
Aus dem Talmud
(Seite 534:)
„Wenn man in einem Verfahren über Geldangelegenheiten falsch ausgesagt hat, so
lässt sich diese Aussage durch Wiedererstattung des Geldes gutmachen, wenn aber
jemand durch falsche Aussagen hingerichtet worden ist, so haftet das Blut des
Hingerichteten und das Blut der Kinder, die er, wenn er nicht hingerichtet
worden wäre, hätte zeugen können, bis ans Ende der Welt an dem falschen Zeugen
... Warum, fahren sie mit ihrer Mahnung an den Zeugen fort, ist im Anfang nur
ein Mensch geschaffen worden? Um dich zu lehren, dass die Schrift demjenigen,
der nur eine einzige Seele Israels vernichtet hat, es anrechnet, als hätte er
die ganze Welt vernichtet, und dass sie demjenigen, der nur eine einzige Seele
Israels erhält, es anrechnet, als hätte er die ganze Welt erhalten ... Deshalb
muss jeder sagen: Meinetwegen ist die Welt geschaffen worden. ...“
(Seite 537:)
„Die Rabbanan haben gelehrt: Warum ist der erste Mensch erst am Freitag
geschaffen worden? Damit die Ketzer nicht sagen sollen, dass er Gott
mitgeholfen habe, die Welt zu erschaffen. Oder: damit man dem Menschen, wenn er
sich überhebt, sagen kann: „Selbst die Mücke war schon vor dir da“. Oder: damit
er sofort an die Ausübung der Sabbatruhe herangehen konnte ...“
(Seite 539:)
„Rabbi Jochanan bar Chanina sagte: Zwölf Stunden hat der Tag. In der ersten
Stunde wurde die zur Schaffung des ersten Menschen benötigte Erde
zusammengetragen. In der zweiten Stunde wurde er zum Klumpen geformt, in der
dritten wurden die Glieder geformt, in der vierten wurde ihm die Seele
eingehaucht, in der fünften stand er auf, in der sechsten führte ihm Gott die
Tiere vor, damit er sie benennen sollte, in der siebenten wurde ihm Eva
zugeführt, in der achten bestiegen sie zu zweit das Bett und verließen es zu
viert (mit den beiden Kindern Kain und Abel), in der neunten wurde ihm das
Verbot erteilt, vom Baum der Erkenntnis zu essen, in der zehnten hat er sich
dagegen vergangen, in der elften wurde er gerichtet, in der zwölften wurde er
aus dem Paradiese gejagt.“
(Seite 543:)
„Rabbi Meir pflegte in seinen Vorträgen dreimal halakisch, dreimal aggadisch
und dreimal in Fabeln auszulegen.“
(Seite 561f.:)
„Antonius fragte den Rabbi: „Wann kommt die Seele in den Menschen? Bei der
Empfängnis oder bei der Bildung des Embryo?“ Rabbi erwiderte: „Bei der Bildung
des Embryo.“ „Wenn es so wäre“, entgegnete Antonius, „wie könnte sich das Kind
im Mutterleibe erhalten? Kann ein Stück ungesalzenes Fleisch drei Tage liegen,
ohne zu verfaulen? Also muss die Seele schon bei der Empfängnis in den Menschen
kommen.“ Antonius fragte den Rabbi: „Von wann an herrscht der böse Trieb im
Menschen?. Von der Zeit des Embryo oder von der Zeit
der Geburt an?“ Rabbi erwiderte: „Von der Zeit der Bildung an.“ Dagegen meinte
Antonius: „Wenn das Kind schon vor der Geburt bösartig wäre, könnte es sich vor
der Zeit den Weg ins Leben suchen. Also nimmt der böse Trieb vom Menschen erst
nach der Geburt Besitz.“ Der Rabbi gab ihm Recht und wies auf folgende Stelle
hin, die seine Ansicht unterstützt (1. Buch Mose 4,7): „Die Sünde lauert vor
der Tür.“
(Seite 562:)
„Wer sagt, dass die Thora nicht vom Himmel ist? Die Rabbanan haben gelehrt: Im
4. Buch Mose 15,31 heißt es: Denn sie (die Seele) hat des Herrn Gebot verachtet
und sein Gebot fahren lassen; sie soll ausgerottet, ja ausgerottet werden, die
Schuld sei ihr. Das bezieht sich auf jemand, der sagt, dass die Thora nicht vom
Himmel ist. … Selbst wenn er zugibt, dass die Thora vom Himmel stammt, aber
auch nur von einem Verse behauptet, dass er nicht von Gott, sondern nur von
Moses herrühre, so hat er selbst keinen Anteil am jenseitigen Leben. Und wenn
er selbst zugibt, dass die ganze Thora von Gott herrührt, aber nur eine einzige
Auslegung der Talmudlehrer, eine einzige Ableitung durch eine Schlussfolgerung
oder eine Wortanalogie davon ausnimmt, so hat er keinen Anteil am jenseitigen
Leben …“
(Seite 580, Text Fromer:)
„Als Kommentar zu der fast ausschließlich aus Halakot bestehenden Mischna
müsste sich die Gemara nur mit rechtswissenschaftlichen Fragen beschäftigen.
Von Zeit zu Zeit empfanden jedoch die Talmudlehrer das Bedürfnis, ihren Geist
von dieser äußerst anstrengenden Beschäftigung auf leichtere Dinge abzulenken,
die mit „Aggada“, Erzählung, Unterhaltung, bezeichnet werden und auf alle
nichtjuristischen Wissenszweige wie Philosophie, Geschichte, Geografie, Naturkunde
usw., vor allem Erbauung, Sittenlehre und Exegese sich erstrecken. Diese mit
der Mischna in keinem ursächlichen Zusammenhang stehenden Partien kommen in der
Regel erst in späteren Kapiteln vor.“
(Seite 524f.:)
3. Traktat, 5. Kapitel, Mischna 1, Gemara -
Erläuterung Fromer: „Bei der Behandlung dieser Frage werden Schiffergeschichten
erzählt, die dem Jagdlatein oder den Münchhausiaden ähnlich sind ...“
(Der Babylonische Talmud, übertragen und erläutert von Jakob Fromer (1924),
Fourier Verlag Wiesbaden, 1991)
·
(14) … der Wortlaut der Übersetzung in
neutestamentlichen und apokryphen Texten (mit Bezug auf alttestamentliche
Stellen JK) oft von ihrer Vorlage im Alten Testament abweicht. … In vielen
Fällen wurde nicht aus dem Hebräischen zitiert, sondern aus der griechischen
Übersetzung, der sog. Septuaginta
(27) in der Tat findet sich im Neuen Testament keine Kritik oder gar
Außerkraftsetzung der alten Bibel, vielmehr gilt durchgängig, dass sich durch
den Messias Jesus „die Versprechen, die den Erzeltern gegeben wurden, als
gültig erwiesen“ haben (Röm 15,8)
(28) die meisten Schriften haben ihre endgültige Form in der Zeit vom 4. bis
zum 2. Jh. v.Chr. gewonnen. Mit dem Beginn schriftlicher Aufzeichnungen
größeren Umfangs, die in den heutigen Büchern bewahrt sind, wird man frühestens
vom 9., eher vom 8. Jh. an rechnen.
Es waren nicht zuletzt die großen Katastrophen der Geschichte, die dazu
nötigten, auf neue Art über Gott zu reden, und die nur auf diese Weise
überstanden werden konnten.;
(29) Das Wort „Tora“ bezeichnet in der Alltagssprache der biblischen Zeit die
„Weisung“ besonders der Mutter an ihre Kinder (Spr 6,20), die aus liebevoller
Zuwendung erwächst und zur Vermeidung tödlicher Gefahren anleitet – wofür
„Gesetz“ eine problematische Wiedergabe wäre
(Bibel in gerechter Sprache, Gütersloher Verlagshaus Gütersloh 2006)
·
Die Bibel der jüdischen Gemeinde ist
anders als die christliche Bibel Martin Luthers ausgerichtet. Luther hat zwar
bei seiner Übersetzung den jüdischen Kanon übernommen, (und die Apokryphen
ausgegliedert) - aber die Anordnung geändert. Das letzte Buch ist bei ihm (und
daher in allen Luther-Bibeln) der Prophet Maleachi, der in seinen letzten
Versen das Kommen Elijas verheißt (Maleachi 3,23), bevor der Tag des Herrn
kommt. In jüdischer und christlicher Auslegung wird Elija zum Vorboten des
Messias: nach Elija kommt dieser! So wird dann auch im Neuen Testament in
Johannes dem Täufer der wiedergekommene Elija erkannt: Matthäus 11,14 und Lukas
1,17. So ordnet Luther die Bücher des Alten Testament und Neuen Testament im
Sinne von Verheißung und Erfüllung: eine großartige christliche Theologie. Das
Alte Testament ist zu einem auf den Messias (so ist immer statt Christus zu
lesen) offenen Buch geworden. Das ist unsere christliche Sicht, nicht die
jüdische. Im jüdischen Kanon schließt die Bibel (des AT) mit dem Zweiten Buch
der Chronik. In 2. Chronik 36,23 wird die Rückkehrmöglichkeit Israels aus der
Gefangenschaft in Babylon proklamiert. Das heißt, das AT ist, jüdisch gelesen,
offen auf die Rückkehr nach Jerusalem, nicht auf den Messias.
(Gerhard Begrich, in: Der Sonntag 6.5.07)
·
S. Talmon:
(40) Buber tritt nicht naiv-fundamentalistisch an den biblischen Text heran.
Auf den ersten Blick hat es den Anschein, dass seine Methode sich nicht von der
der zünftigen Wissenschaftler unterscheidet. Die Terminologie, die er
benutzt, ähnelt der des Fachexegeten.
Buber scheidet „erkennbare Zusätze“ aus, „die Handlungs- und Redegang, ideellen
und stilistischen Zusammenhang stören“: Er erkennt von „einer späteren Hand
eingetragene Einschübe“, und bringt auch „Bearbeitungen“ in Betracht. Er ist
sich bewusst, dass der hebräisch-masoretische Bibeltext nicht fehlerlos ist.
(42) Da es um das gesprochene Wort geht, darf
sich der Interpret und der Übersetzer nicht damit begnügen, nur den visuell
erfassbaren Textbestand zu betrachten, sondern muss dem Text sein Ohr öffnen.
Das einst gesprochene Wort muss wieder gehört werden. ... Buber hat mit Recht
erkannt, dass in der Antike allgemein und besonders im biblischen Israel Lesen
als eine nur visuell erfahrene, nicht erhörte Aufnahme eines Textes
nicht existierte. In der biblischen Sprache bezieht sich das Wortfeld von kara
„lesen“ auf ein visuelles, von Sprechen begleitetes In-sich-Aufnehmen eines
Textes, in dem das geschriebene Wort Laut wird. ... Hören ist die
Grundlage von hörig sein, eines sich dem Gottesworte Unterwerfens.
W. Schottroff:
(73) Zugrunde liegt für Buber und Rosenzweig der masoretische Text, das heißt,
die überlieferte Endgestalt des hebräischen Bibeltextes. ... eine letzte, nicht
mehr zu hinterfragende redaktionelle Einheit ... „uns ist die Thora das Werk
eines Geistes. Wir wissen nicht, wer es war; dass es Mose war, können wir nicht
glauben. Wir nennen ihn unter uns mit dem Sigel ... R. ... nicht Redaktor,
sondern Rabbenu. ... er ist unser
Lehrer, seine Theologie unsere Lehre.“
Y.T. Radday:
(88) für das griechische Wort logos fand ich im großen Brockhaus ... 47
verschiedene Bedeutungen (er gibt alle an);
(89) das griechische telos kann wie Ziel auch Ende bedeuten - ... ob Jesus als
Ziel, Zweck oder Höhepunkt des mosaischen Gesetzes anzusehen ist oder als
dessen es abschaffendes Ende ...
(90) im Hebräischen fehlt der unbestimmte Artikel, fehlt das Neutrum, fehlt die
neutrale dritte Person („er“ oder „man“ nannte ihn ???) und fehlen Komparativ
und Superlativ. Es hat keine Hilfszeitwörter, den Konjunktiv und Tempora in
unserem Sinn gibt es nicht. Ein und dieselbe Verbform kann übersetzt werden „du
aßest einmal, hast gegessen, pflegtest zu essen, wirst künftig essen, sollst,
darfst, musst, kannst oder magst essen“. ;
(91) Idiome übersetzen ? ... Ein deutsches Beispiel: etwas im Schilde führen,
was aus der Zeit des Rittertums stammt, lebt heute noch, obwohl längst kaum
jemand je einen echten Schild auch nur gesehen hat. Der Hebräer kennt
selbstverständlich keine sprachlichen Raubritterreliquien und weiß mit dem
Ausdruck nichts anzufangen. Was geschieht aber, wenn wir in der Schrift auf
sprachliche Reliquien stoßen, die nicht wie das uns noch irgendwie vorstellbare
Rittertum fünf Jahrhunderte, sondern drei Jahrtausende alt sind und von denen
wir nicht einmal ahnen, ob sie Idiome sind.;
Ist des Menschen Trachten böse, falsch, schlecht, arg, weniger als gut,
ungut, schädlich, unrichtig oder mager von Natur? Für all das hat
die Schrift nur das Wort ra. Was tut dann der Übersetzer, bewusst, dass von
seiner Wahl das Gottes- und das Menschenbild, das sich sein Leser formt,
abhängt.;
(93) bei Buber/Rosenzweig wird im Schabbatgebot des Dekalogs (2.Mose, 20) das
hebräische melachá statt mit Werk unbegreiflicherweise mit Arbeit
wiedergegeben ... was der rabbinischen Auffassung krass widerspricht;
(93) dass die beiden, von Hieronymus, Vulgata und später auch von Luther in
denselben deutschen Topf geworfenen angeblichen hebräischen Synonyma almá
und betulá keine Synonyma sind, was heute ja bereits trivial ist. (alma
= junge Frau; betula = Jungfrau JK);
(95) das unübersetzbare und deswegen unübersetzt bleibende Wort Sabbat.
Buber / Rosenzweig ... schreiben Feier, aber das ist ein Festtag, der sich
dadurch auszeichnet, dass an ihm etwas, ja vieles geschieht, und der Sabbat im
Gegenteil dadurch, dass an ihm absolut nichts geschieht. Hätten sie bloß
Einhalt vorgezogen, was dem Sinn der Werkruhe näher kommt, freilich
gleichfalls einen Aspekt des hebräischen Wortes verfehlt: im Hebräischen ist Schabat
ein Femininum – kein Wunder, dass die Beziehung zwischen Jisrael und Schabat
seit dem Midrasch als eine zwischen Bräutigam und Braut aufgefasst wurde und so
eine fast erotische geworden und geblieben ist.;
(97f) Unsere neviim waren keine „Propheten“, wie die Griechen jene Männer
nannten, die vorgaben, die Zukunft voraussagen zu können ... Verdienst
Buber/Rosenzweig, sie mit der Prägung Künder rehabilitiert zu haben;
(98) Das hebräische pakad bedeutete noch zu Luthers Zeiten jemanden daheim
aufsuchen und seiner, sei es günstig oder nicht, gedenken, nicht aber strafen.
... dass wir (Juden) täglich darum beten, endlich von IHM heimgesucht zu
werden! ... Entthronung des berüchtigten Judengottes der Rache;
U.Vetter:
(118f) bei Buber/Rosenzweig ... Geschichte in Gen2 nicht als Sündenfall- oder
Verdammnis-Geschichte, sondern im Gegenteil als Versuchungs-, Wachstums- und
Gnaden-Geschichte, mit der der Weg Gottes mit den Menschen nicht endet, sondern
beginnt.;
keine Zwischenüberschriften ... markante Stichwortbrücken, die verklammern, was
bei Luther zergliedert wird;
(121) eine Leitwortkette: Mensch, Adam – Acker, Adama;
Gen.2,5: „Mensch, Adam, war keiner da, den Acker, Adama, zu bedienen“;
Der Dienst am Acker ist der erste und einzige bislang genannte Grund seiner
Erschaffung;
Gen3,23: (nach dem „Fall“) „So schickte Er, Gott, ihn (den Adam) aus dem Garten
Eden, den Acker zu bedienen, daraus er genommen war.“ Dem Text ist nicht mehr
zu entnehmen als dass Adam dorthin „fällt“, wo er Gen2,5
– vor dem Fall – von Gott ohnehin platziert worden war. Die Adama ist Ort und
Objekt des Adamsdienstes. ... Gen2,5 und Gen3,23 sind
das Grundthema, Gen2,15 die Variation; (Fußnote, jüdischer Kommentator: eine
Deutung, die in der Episode im Garten Eden lediglich eine Art Prüfung sieht,
die uns beweisen sollte, dass wir für gar kein anderes Leben taugen. Wir haben
die Prüfung nicht bestanden und mussten das Paradies verlassen, um den uns
angemessenen Platz einzunehmen und die Aufgabe, die uns in der Welt zugedacht
war, zu erfüllen)
Kain übernimmt den Ackerdienst (Gen4,2)
(129) Gen4,1 zerstreut die Befürchtung, das Erkennenwollen selbst trüge etwas
von Sünde und Gottesferne in sich und sei vom Bösen. So wird erzählt, „der
Mensch erkannte Chawwa sein Weib, sie wurde schwanger, und sie gebar den
Kajin“. Mit einem bei B/R im hebräischen Versmaß noch zu ahnenden Hauch von
Triumph sagt Chawwa nach Kains Geburt, dass sie „Erkennen“ gerade jetzt als
Segen, Wohltat, Gnade und Geschenk einer – geradezu intimen – Gottesbeziehung
erlebt. B/R übersetzen: „Kaniti – erworben habe ich mit Ihm (mit Gott) einen
Mann“;
(131) Jüdische Tradition rückt ins Blickfeld, dass Gen2-4 keine
Sündenfall-Geschichte ist, sondern zwei erste Beispiele für jenes unheimliche Phänomen,
das die Bibel „Versuchung“ durch Gott nennt. Doch selbst im Scheitern liest man
hier keine Geschichte des „Fallens“, sondern vielmehr eine des Aufstehens.
Buber resümiert dazu: „Der Mensch wird von dem Sitz, der ihm
eingerichtet war, auf seinen Weg, seinen, den Menschenweg, geschickt ...“
(Neu auf die Bibel hören – Die Bibelverdeutschung von Buber/ Rosenzweig –
heute; Lambert Schneider, Bleicher Verlag, Gerlingen, 1996)
·
„Wie kommt ein Jude in den Himmel?“
Von Josef Joffe (DIE ZEIT, 15.02.2007 Nr. 08 S.10)
... Sünde und Erlösung: Die Juden
haben die Sünde zwar in der Genesis erfunden (siehe »Adam und der Apfel«), aber
die »Erbsünde« verneinen sie; diese Doktrin – dass der Mensch von vornherein befleckt
sei – muss Paulus zugeschrieben werden. Daraus folgt: keine Erbsünde, keine
kollektive Erlösung im christlichen Sinne durch den Kreuzestod. Der Mensch sei
ein »ganzheitliches« Wesen, ein Bündel von guten Neigungen und schlechten, aber
nicht grundsätzlich bösen.
Die gute Seite ist das Gewissen, die gefährliche die Triebhaftigkeit. Das nimmt
Freuds »Über-Ich« und »Es« vorweg. Die Triebbefriedigung (Nahrung oder Sex) ist
natürliche Notwendigkeit, kann aber üble Folgen haben (Völlerei oder Vergewaltigung).
Deshalb ist Selbstzucht Menschenpflicht. Haut er trotzdem über die Stränge,
kann er der Bestrafung durch aufrichtige Reue entgehen, sich also selber
erlösen. In jedem Fall aber ist er Herr seiner Entscheidungen – weder Heiland
noch Priester können ihm die Last abnehmen. Demnach hätten die Juden nicht bloß
das »kleine Bier« erfunden, wie ein Wiener Antisemit in Friedrich Torbergs
Tante Jolesch höhnte, sondern auch den freien Willen. Der Schöpfer hat Adam
nicht gezwungen, vom Baum der Erkenntnis zu essen.
Gegenüber Gott reichen Reue und Umkehr, beim Menschen aber ist Handfesteres
angesagt: die Wiedergutmachung ...
Juden glauben zwar an die Unsterblichkeit der Seele, auch an die Auferstehung
der Toten, aber eben erst, wenn der Messias kommt, und der »mag trödeln«. So
drückt es Maimonides (1138 bis 1204) aus, der wichtigste Denker der
nachtalmudischen Zeit, sozusagen der Augustin des Judentums. ...
So der Messias kommt, lehrt Maimonides, werde sich die Menschheitserlösung auf
Erden entfalten: »Auch dann wird es Reiche und Arme, Starke und Schwache geben.
Aber es wird eine Zeit sein, in der die Zahl der Weisen wächst, in der es
keinen Krieg mehr gibt und die Völker nicht mehr das Schwert gegeneinander
erheben. Güte und Weisheit werden vorherrschen. Glaubt nicht, dass die
Naturgesetze außer Kraft gesetzt werden. Und bedenkt, dass alle Prophezeiungen
über den Messias Allegorien sind.« Wann kommt er denn?
Rabbi Jochanan im Talmud: »Der Sohn Davids wird nur in einer Generation
erscheinen, die entweder gänzlich rechtschaffen oder gänzlich böse ist.« Naturgemäß wird das kaum eintreten, weshalb sich Juden
viel mehr mit dem richtigen Leben auf Erden als mit der Belohnung im Jenseits
beschäftigen.
Gottgefälligkeit und Gesetz: Der lutherische Gläubige hofft auf Gnade,
der katholische auf »gute Werke«. Und der Jude? Auf die Treue zum Gesetz, das
Gott den Kindern Israels im Sinai gab, als er den »Bund« mit ihnen schloss. Die
Idee des Bundes, einer der krassesten Unterschiede zum Christentum, offenbart
sich nirgendwo deutlicher als im Ersten Gebot. Bei den Christen heißt es ganz
knapp: »Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben
neben mir.« Bei den Juden aber geht es weiter: »der
ich dich führte aus dem Land Ägypten, aus dem Hause der Dienstbarkeit«. Mithin:
Was bei Christen Glaubenssache ist, beruht bei den Juden auf göttlicher
Vorleistung, etwa: »Das habe ich für euch getan, jetzt seid ihr dran.« Dem Glauben geht der Vertragsabschluss, das do ut des (ich
gebe, damit du auch gibst JK), voraus. ...
Außer den Zehn Geboten stehen noch 603 weitere im Kontrakt (siehe
www.jewfaq.org/613.htm): Wie man betet und benedeit, dass man seine Mitmenschen
nicht beleidigen und dem Nachbarn helfen, den Armen einen Teil der Ernte
überlassen, den Fremden lieben möge. Es folgt eine lange Latte sexueller Tabus:
wer mit wem »liegen«, wen heiraten darf. Dreißig Regeln bestimmen, was gegessen
werden darf und wie – kein Aas, Schwein, Ungeziefer, keine Schlangen, keine
Völlerei –, lauter kluge Anweisungen, als es weder Gesundheitsbehörden noch
Kalorientabellen gab.
Weitere dreißig Gesetze legen die Wirtschaftsmoral fest: keine Schummelei, kein
Wucherzins. Den Bedürftigen Geld leihen, keine Pfänder zurückhalten, wenn der
Schuldner sie in seiner Not braucht. Witwen müssen nichts hinterlegen, Gewichte
und Waagen müssen stimmen. Lohn muss pünktlich gezahlt werden. Schließlich sehr
pragmatisch: Verbinde dem dreschenden Ochsen nicht das Maul. Dann geht’s ins
Juristische (43 Passagen). Verboten sind Meineid, Bestechung, Vertrauensbruch.
Verwandte dürfen nicht als Zeugen befragt werden, zur Beweisführung gehören mindestens
zwei. Die Aussage von Fremden gilt so viel wie die von Einheimischen.
Gleichheit vor dem Gesetz und Unbefangenheit des Richters. Todesurteile dürfen
nur mit einer deutlichen Mehrheit gefällt werden (was die Einstimmigkeit der
zwölf Schöffen im angelsächsischen Recht vorzeichnet). ...
Der Rest beschäftigt sich mit Ritual und Religion, mit Tempel- und
Gottesdienst, bis in die allerfeinsten Verästelungen. Aber auch mit der
Fruchtfolge auf dem Acker, dem Kriegsrecht (das seinerzeit nicht ganz den
Genfer Konventionen entsprach) und der Machtbegrenzung des Monarchen.
Interessant für den modernen Menschen: Nicht nur ist Götzendienst tabu,
verboten sind auch Zauberei, Astrologie und Geisterbefragung. Und so weiter bis
zur Nummer 613. ...
... Hang der Juden zur Jurisprudenz, der sich vom 3. Jahrhundert an in den 63
Traktaten und 6000 Seiten des Talmuds niederschlug. Auf den Punkt gebracht,
handelt es sich bei diesem geheimnisumwitterten Werk um ein Gesetzbuch mit
Auslegungen, Gegengutachten, Präzedenzfällen und Disputationen. Deshalb dauert
das jüdische »Jura-Studium« ein ganzes Leben lang.
Glauben und Vernunft: ...
Das Christentum ist im Kern eine Glaubensreligion, wie sie sich im Apostolicum
niederschlägt: »Ich glaube an Gott, den Vater und an Jesus Christus…« Das
Judentum ist eine Gesetzesreligion, die sich an der »Ur-Verfassung« vom Sinai
(Thora), den 613 Ge- und Verboten und den Auslegungen des Talmuds orientiert.
Selbst das »Sch’ma Jisrael«, die Säule des jüdischen Monotheismus, ist kein
echtes Bekenntnis, sondern ein Appell, eine Dauer-Ermahnung. Es heißt nicht:
»Ich glaube.« Sondern: »Höre, oh Israel, der Herr ist
unser Gott, der Herr ist einzig!« Also: Hör gut zu,
Amen musst du selber sagen. ...
... eine praktische Einsicht, die das Leben mit den 613 Ge- und Verboten etwas
erträglicher macht: Wer mit dem Gesetz leben will, muss es auslegen, muss es
neuen Bedingungen menschlicher Existenz anpassen können – dies aber nicht nach
Lust und Laune, sondern regelhaft, vernunftbetont und im Einklang mit allen
Beteiligten. ...
Dogma und Dehnung: Bei aller Wucht der Gesetzeslast (als Analogie zur
christlichen Dogmatik) gilt das Prinzip Pikuach Nefesch, etwa »Rettung einer
Seele«, das allergrößte Sicherheitsventil im Judentum. Geht es um Gesundheit
oder Leben, können selbst am heiligen Sabbat fast alle Gesetze ausgehebelt
werden – außer bei Mord, Götzendienst und verbotenem Sexualverkehr. Ein
modernes Beispiel: Obwohl die Entheiligung der Toten durch Verstümmelung tabu
ist, dürfen Organe entnommen werden, um ein Leben zu retten.
Auf Neudeutsch: In der ewigen Spannung zwischen Offenbarungsglaube und Moderne
haben Moses und die Rabbinen das Judentum »gut aufgestellt«. Gegen einen
unbeugsamen Fundamentalismus, der jeder Religion anhaftet, steht ein
Pragmatismus, der in der Diesseitigkeit wurzelt und selbst den ganz Frommen,
den »613ern«, eine Grundversorgung mit Elastizität sichert. Und in einem
demokratischen Ur-Gefühl, das der Staatenlosigkeit des Judentums nach der
Tempelzerstörung (70 nach Christus) geschuldet sein mag. So konnte nie eine
unduldsame Staatsreligion im Verbund mit weltlicher Macht wie in Rom oder gar
eine Theokratie wie im Islam entstehen. Die Trennung von Kirche und Staat, eine
Errungenschaft der westlichen Moderne, haben die Juden, wenn auch nicht ganz
freiwillig, schon vor knapp 2000 Jahren vorweggenommen: »Das Gesetz des
Königreiches ist das Gesetz.«
Reformation und Aufklärung? Reformation war unnötig, weil deren Hauptprinzip –
der direkte Weg zu Gott, »jedermann sein eigener Priester« – zum Judentum
gehört wie Matze und Kippa. Es gibt keinen Papst und schon lange keine Priester
mehr; der Rabbi ist Lehrer und Schiedsrichter. Jeder führt sein eigenes Gespräch
mit Gott, wie das Stimmengewirr in der Synagoge zeigt (»hier geht’s ja zu wie
in einer Judenschule«). Wie soll es auch anders sein, wenn man bedenkt, wie oft
sich die Kinder Israel gegen ihren Moses und ihren Gott aufgelehnt haben, wie
vollgepackt der Talmud mit seinen Sprüchen und Wider-Sprüchen ist? Deshalb
auch: zwei Juden, drei Meinungen. Deshalb suchen die Juden ihren
höchstpersönlichen Weg in den Himmel, auch wenn der ziemlich weit weg ist. ...
kompletter Text unter: http://www.zeit.de/2007/08/Religion-Himmel?page=all
·
Jesus ist ein frommer jüdischer Mann
(das ist z.B. kenntlich an seiner Kleidung)
Geschichte von der blutflüssigen Frau
(Matth. 9,20ff; gleiches Motiv siehe auch Matth. 14,36)
„Eine Frau trat von hinten an Jesus heran und berührte den Saum seines
Kleides“
genauer: „den Schaufaden an seinem Mantel“
Schon Luther verweist in seiner Übersetzung 1545 auf Numeri 15,38:
“… die Israeliten sollen sich Quasten an ihre Rockzipfel nähen, von Generation
zu Generation… und an den Quasten eine violette Purpurschnur anbringen.
Wenn ihr sie seht, werdet ihr euch an alle Gebote des Herrn erinnern, ihr
werdet sie halten …“
·
Probleme bei der Übersetzung der
Heiligen Schriften - schon vor 2200 Jahren
„Text meines Großvaters … Ich
bitte, dort Nachsicht zu üben, wo wir trotz intensiven Bemühens bei der
Übersetzung vielleicht doch nicht die genaue Ausdrucksweise getroffen haben.
Denn das, was bei uns auf Hebräisch gesagt wird, hat ja nicht mehr genau
dieselbe Kraft, wenn es in eine andere Sprache übertragen wird … auch die
Übersetzungen der Thora , der prophetischen Schriften und der übrigen Bücher
unterscheiden sich nicht unwesentlich von den Fassungen in der
Originalsprache.“
(Bibel, Buch Jesus Sirach, Vorwort des Verfassers zur
vorgenommenen Übersetzung ins Griechische, geschrieben zwischen 190 und 175
v.Chr.)
·
„Glücklich
sind, die ihre Lust haben an der Weisung des Herrn,
diese Weisung murmeln Tag und Nacht.“
(Psalm 1)
·
Papst Benedikt hat in die Fürbitte des
Karfreitagsgebets folgenden neu formulierten Satz – an die Adresse der Juden
gerichtet - aufnehmen lassen:
Gott möge „ihre Herzen erleuchten, damit sie Jesus Christus erkennen, den
Heiland aller Menschen“. Dies wird von vielen Juden als anmaßende Aufforderung
zur Judenmission empfunden.
(Spiegel ??? S.18)
·
Walter Rothschild, Landesrabbiner in
Schleswig-Holstein:
die Tora erinnere daran, dass der Mensch ein aktives Geschöpf sei, dazu
geschaffen, Gott zu helfen;
nach jüdischer Ansicht sei die Welt nicht fertig;
Gott werde im Judentum als ein Allmächtiger betrachtet, der auch Fehler mache,
sich korrigiere, daraus lerne;
Und er habe nicht nur das Gute, sondern auch das Böse, Krankheit, Leid, die
Nachtseiten des Lebens geschaffen
(Der Sonntag Sachsen 1.6.08)
·
Zwei wichtige jüdische Ausleger /
Kommentatoren biblischer Texte
RASCHI; Akronym für Rabbi Schlomo ben Jizchak (auch Schelomo ben Isaak), 1040
bis 1105;
RASCHBAM; Samuel ben Meir, genannt Raschbam (wahrscheinlich aus Rabbi Schemuel
ben Meir JK), 1880 bis 1160
(WIKIPEDIA 20.8.08)
·
+++ Vortrag Prof. Hanna Liss:
Wie viele Knechte hatte Abraham? Laut Bibel-Text nur einen: Elieser; aber es
waren in Wirklichkeit 318- das ist der Zahlenwert der Buchstaben im Wort
Elieser!;
Die Tora ohne Israel ist nicht viel wert!;
“Tora“ umfasst alles, was die Rabbinen später (im Laufe der Jahrhunderte und
Jahrtausende) entdecken, alles, die Bibel, die Mischna, der Talmud, die Aggada,
der Midrasch ist schon seit Ewigkeiten da; Tora lässt sich inhaltlich nicht
abgrenzen, es kann nicht festgelegt werden, was zum Glaubensgut gehört
rabbinische Exegese ist sehr am Buchstaben, am Text interessiert; warum Beginn
der Tora mit dem Buchstaben Beth? Buchstabe besteht aus drei Bögen, von oben
und unten und nach vorn geschlossen: Du sollst nicht fragen, was davor war!;
rabbinische Exegese ist immer atemporal und ahistorisch;
heutige Auslegung von Texten der Tora: man hält sich an die klassischen
Ausleger des Mittelalters; Bibeltexte sind für Juden nie nur reiner Text, immer
sind Kommentare dabei; Ziel: Gelangen zu einer von unendlich vielen möglichen
Aussagen;
es gibt in jüdischer Exegese nicht Wichtiges und weniger Wichtiges;
Namenslisten werden genauso gewichtig gelesen wie anderes;
die anderen Texte des Tanach fallen gegenüber der Tora in der Bedeutung
deutlich ab, Hiob z.B. hat weniger Bedeutung als die eigentliche Tora;
“der Ernst, mit dem manche Texte (z.B. Psalmen) protestantisch gelesen werden“
– da wird manches im Judentum nicht so ernst genommen, eigentlich hört man da
nicht richtig zu;
ein traditioneller Rabbiner wird wenig Textauslegung machen; die Bibel liest
man einmal in der Woche, entscheidend(er) ist das Studium des Talmud;
ein Text wird nicht nur auf seinen Inhalt hin gelesen, sondern auch auf Form
und Formales hin: Gestalt = Aussehen der Buchstaben, Zahlenwert der Buchstaben,
Größe der Buchstaben;
im Judentum wird nicht geglaubt, in keiner Form: es gibt keine Dogmen, keine
Glaubens-Begriffe; das Gebet „Schema Israel“ ist etwas, das man kennt,
anerkennend wiederholt;
+++
ein Jude liest Texte immer, indem er in der Tradition zurückgeht; Kommentare;
kein direkter, unvermittelter Zugang zu biblischen Texten (das wäre
Fundamentalismus);;
den ursprünglichen Text verstehen, indem wir die Stimmen mit hören, die sich
vor uns geäußert haben; bestimmte Kommentatoren sind praktisch kanonisiert,
z.B. Raschi, Raschbam;
+++
Betonung der Namen meist letzte Silbe: Adam, Juda, Jakob, Laban, Rachel …;
Übersetzung = Interpretation: Beispiel Gen.29,17: „Leas Augen waren blöd,
schwach, matt, schön, zart …“ oder?;
+++
Was glauben die Juden?
Tora und Talmud –das sind Sachen, die wir kennen, die wir wissen; das WISSEN
ist (nur) wichtig, um (recht) zu HANDELN!; wichtiger, als was wir glauben, ist,
wie wir leben und was wir tun;
+++
schriftliche und mündliche Tradition sind gleich bedeutsam;
im Judentum ist die Tradition immer Gegenwart;
(Tagung: Tora lässt die Augen leuchten; Evangelische Akademie Meißen;
30.5.-1.6.08)
·
Text Bibel Genesis in 4 Sprachen parallel:
Hebräisch, griechisch, lateinisch (Vulgata) und deutsch (ungeglättet, Wort für
Wort)
Gen.1,1: Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde
Gen.1,5: Gott sah das Licht: dass es gut (ist)
Gen1,10: und Gott sah, dass es gut (ist)
Gen.1,27: Und es schuf Gott den Adam (den Menschen) in seinem Bilde, im
Bilde Gottes schuf er ihn, männlich und weiblich schuf er sie
Gen.1,31: Und es sah Gott alles, was er gebildet hatte, und siehe (es ist)
gut, sehr
(http://12koerbe.de/arche/genesis1.htm)
·
S.12 zu Gen.1,27
schuf er ihn: ein chassidischer
Weiser lehrt, dass wir nach der Erschaffung des Menschen nicht die Worte „und
Gott sah, dass es gut war“, wie bei der Schöpfung der anderen Lebewesen finden.
Ihm ist die Willensfreiheit verliehen, er ist der Selbstentfaltung fähig, daher
musste Gott erst sehen, wie sich der Mensch entwickeln würde, ehe er gut
genannt werden konnte;
S.12 zu Gen1,28
Seid fruchtbar und mehret euch: die
Pflicht, ein Heim zu errichten und eine Familie zu begründen, ist in den
rabbinischen Gesetzbüchern das erste der 613 Mizwoth (Gebote) der Torah;
S.15 zu Gen2,4-11
Kapitel II ist kein zweiter Schöpfungsbericht, denn in ihm wird die Bildung des
trockenen Landes, des Meeres, der Sonne ebenso wie des Mondes und der Sterne
nicht erwähnt … ergänzt Kapitel II die kurze Erwähnung der Schöpfung des
Menschen;
S.19 zu Gen.2,9
Erkenntnis des Guten und Bösen: Der
Ausdruck „Gut und Böse“ bezeichnet die Erkenntnis, die der Kindheit fehlt und die
Erfahrung ausdrückt („Eure Kinder, die heute nichts Gutes noch Böses Kennen“
Deut.I,39). „Erkenntnis des Guten und Bösen“ kann auch Kenntnis aller Dinge,
d.h. Allwissenheit bedeuten;
S.21f. zu Gen2,17
sollst du nicht essen: das heiligste
Privileg des Menschen ist die Willensfreiheit, die Fähigkeit, vor seinem
Schöpfer gehorsam oder ungehorsam zu sein;
S.23 zu Gen.2,21
(eine von seinen Rippen) … Die Frau
ist aus der Seite des Mannes gebildet;
S.37 zu Gen4,10
des Blutes: das hebräische Wort steht
im Plural. Denn als Kajin seinen Bruder Hebel erschlug, mordete er gleichzeitig
Hebels ungeborene Nachkommen. „Wer ein einziges menschliches Leben zerstört,
ist gleich als ob er eine ganze Welt zerstört hätte“ (Talmud);
S.39 zu Gen.4,17
sein Weib (des Kajin): das seine
Schwester gewesen sein muss
(Pentateuch und Haftaroth, Hebräischer Text und deutsche Übersetzung mit
Kommentar von Dr. Joseph Herman Hertz; 1. Band: Genesis; Verlag Morascha
Basel/Zürich 1995)
·
Gen.5,1-2
Als Gott Adam erschuf, machte er ihn in der Ähnlichkeit Gottes. Männlich und
weiblich hat er sie erschaffen, segnete sie und nannte ihren Namen Adam, als
sie geschaffen wurden.
(Die Tora, nach der Übersetzung von Moses Mendelssohn; Jüdische Verlagsanstalt
Berlin, 2001)
·
Prof. Liss:
Die „jüdische“ Lesart liest die Bibel gerade nicht in ihrer „Nacktheit“ und
niemals ohne traditionelle Bekleidung. Nicht der biblische Text als solcher,
sondern die rabbinische Ausdeutung hat in Israels kollektives Gedächtnis
Eingang gefunden …
(gedruckte) jüdische Bibelausgaben immer mit rabbinischen Kommentaren (Texte
vom Mittelalter bis ins 19. Jh., jetzt eigentlich „geschlossen“; nicht
einheitlich: „der Drucker wählt aus, welche Kommentatoren vorkommen“) …
die Thora (nur sie) wird 1 x im Jahr stur durchgelesen (in der Synagoge)
Talmud: (detaillierte) Ausführungsbestimmungen zu den (knappen) biblischen
Geboten und Bestimmungen …
die Mischna als erster Teil des Talmud in (antiquiertem) Hebräisch, die
weiteren Kommentare aus späteren Jahrhunderten in der Gemara in aramäischer
Sprache …
Midrasch: oft auch sehr phantasievolle „Lückenfüllung“ zu biblischen Texten …
“Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“ – da gäbe es nämlich GOTT und
den Menschen als je einen, und da wird dem Menschen ein zweiter zugeordnet
(sagt Raschi) …
später in der Bibel steht sogar das Gebot, Fleisch zu essen: 2.Mose 23,19
–Trennung von Milch und Fleisch funktioniert nur so …
Prof. Lux:
Personennamen, Ortsnamen, die Symbolisches aussagen …
von erdachten Personen wird Typisches für alle Menschen erzählt …
Gruppenarbeit Kahnemann:
Ich habe die Kommentatoren ausgewählt, die mich interessieren …
“An dem Tag (an dem du vom Baum der Erkenntnis isst) wirst du sterben“ – drei
rabbinische Deutungen:
+ es ist ein Tag Gottes gemeint (Psalm 90: 1000 Jahre), und Adam stirbt mit 930
Jahren
+ es bezieht sich auf den Wochentag (aber eben irgendwann später) …
wenn der Mensch Ebenbild Gottes ist, muss er Erkenntnisfähigkeit besitzen …
“Sünde“ besteht darin, nicht seiner eigenen inneren Überzeugung zu folgen,
sondern dem Rat der Schlange …
Rabbiner Alter:
Gott ist heute (seit langem) ganz passiv, er greift nicht (mehr) in die Welt
ein, er hat sie angeschoben, nun sollen wir Menschen agieren und Gutes tun …
dass im Gebet gesagt wird, dass Gott die Schöpfung täglich erneuert, halte ich
für archaisch …
ich kann Gott sehen, fühlen, empfinden, auch heute, aber er greift nicht ein,
das ist nicht seine Aufgabe, wir sind gefordert …
im Heiligtum in der Wüste, im Tempel, war Gott präsent, seitdem ist er (weit)
weg …
der Mensch hat die Möglichkeit, durch Erfüllung der Gebote sein persönliches
Ticket für die Erlösung zu buchen …
ich bete, erwarte, dass Gott zurückkehrt und Ordnung schafft …
Gebote sind für das Judentum wichtig, aber noch wichtiger ist die Essenz:
„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ …
Juden leben (weiter) in der Erwartung der Erlösung: Vorbote wird der Messias
sein, alle gerechten Menschen werden in einen paradiesischen Zustand hinein
erlöst …
ich akzeptiere auch andere Religionen als Heilsweg, als Wege zu Gott, Toleranz!
– der Zug der monotheistischen Religionen fährt hin zu Gott, und wir sitzen nur
in verschiedenen Abteilen …
heißt die Frau nun „Männin“ (Gen.2,23) oder Eva
(Gen.3,20)? …
der Mensch ist aus dem Garten Eden vertrieben, er soll auch jetzt den Acker
bebauen (aber es fehlt hier das „Bewahren“, das in Gen.2,15
als Ergänzung stand !!??)
(Evangelische Akademie Meißen, Tagung „Mensch, wo bist du?“, Gemeinsam mit
Jüdinnen und Juden die Bibel lesen, 8.-10.5.09)
·
ab hier:
(Die Tora in jüdischer Auslegung, herausgegeben
von W. Gunther Plaut, Gütersloher Verlagshaus, 5 Bände, 2008)
Band 1 Bereschit - Genesis
(Seite 8) das progressive Judentum … heute vorherrschende Strömung innerhalb
des Judentums …
(13) Unsere Arbeit gibt die Anschauungen des Reformjudentums wieder ….
(19ff.) Dieser Kommentar geht von der Voraussetzung aus, dass die Ursprünge der
Tora in den Herzen und Gedanken des jüdischen Volkes liegen. Viele lehnen diese
Voraussetzung ab, denn sie halten die Tora für „das Wort Gottes“, das Mosche
von Gott selbst gegeben wurde – durch Verbalinspiration oder auf welchem Wege
auch immer. Einige räumen dabei durchaus die Möglichkeit ein, dass bei der
Tradierung des Textes von Generation zu Generation einige Schreibfehler
entstanden. Sie beharren jedoch auf der Meinung, das Buch als Ganzes sei
Gottes-, nicht Menschenwort. Dies ist der orthodoxe oder fundamentalistische
Standpunkt. … dass in der von Gott eingegebenen Tora jedes Wort einen Sinn
haben muss, denn hier kann kein einziger Buchstabe überflüssig sein. Es liege
an unserer menschlichen Begrenztheit, wenn wir manches Wort der Bibel nicht
verstehen. Wo moderne wissenschaftliche Erkenntnisse dem Bibelwort zu
widersprechen scheinen, werde sich später entweder herausstellen, dass unsere
gegenwärtige Wissenschaft irrt, oder dass wir die Bibel nicht sachgemäß
verstehen. Dies war und ist die Position des orthodoxen Judentums, des
fundamentalistischen Christentums und der meisten bisherigen jüdischen
Kommentare.
Dieser Kommentar teilt diese Auffassung nicht …
Das Verständnis über Gott hat sich im Laufe der Jahrhunderte verändert, wie
auch die menschlichen Erfahrungen sich verändert haben. Da die Tradition der
Tora zunächst mündlich überliefert worden ist und erst nach vielen Generationen
auch niedergeschrieben wurde, bezeugt die Endgestalt nun verschiedene
Vorstellungen über Gott und das Volk. Sie stehen in der Tora nebeneinander und
sind ein Zeugnis dafür, dass sich der Glaube unserer Vorfahren verändert und
entwickelt hat. … So verstanden stammt das Buch nicht von Gott, sondern von
Menschen …
Es ist damit zu rechnen, dass die nächste Generation die Worte anders hören und
dass sich die Suche nach neuen Antworten beständig fortsetzen wird …
Wir sollten uns vor Augen halten, dass die biblischen Autoren in der Vorstellungswelt
ihrer eigenen Zeit dachten und schrieben, nicht in der unserer Zeit …
Fundamentalismus … eine Auslegung, die die Bibel wörtlich versteht … es ist nun
eine unbestreitbare Tatsache, dass der Tora-Text, den wir heute besitzen, nur
eine von vielen Textversionen ist – wenn auch die allgemein anerkannte – und
dass viele, die ein fundamentalistisches Verständnis als einzig zulässiges
ansehen, den hebräischen Urtext gar nicht selbst kennen. Zudem gründen sich
ihre Anschauungen auf eine bestimmte Übersetzung, die selbst eine Art
Interpretation ist und deshalb nur eine Sekundärquelle. …
Bereits die jüdischen Weisen der Antike …. waren sich ohne Verlegenheit darin
einig, dass man der Meinung der Tora widersprechen dürfe …
Unser Kommentar lehnt die Auffassungen über den göttlichen Ursprung und die
mosaische Verfasserschaft der Tora, die die traditionellen Ausleger vertreten,
ab, das heißt, er akzeptiert die historisch-kritische Erforschung der Texte. …
Es gibt keine Original-Handschrift von einem der biblischen Autoren. Die
älteste Pergamentrolle der Tora, die wir kennen, stammt von ungefähr 900 n.d.Z., das heißt, sie entstand 1300 Jahre nachdem die
Endfassung des Textes geschrieben worden ist. …
Eine der besten Textüberlieferungen … der Masoreten … , die im 10. Jh. in
Tiberias entstand, fand allgemeine Anerkennung und ist der heute in Synagogen
gebräuchliche hebräische Text
(36) die Betonung der hebräischen Wörter liegt in den meisten Fällen auf der
letzten Silbe …
Buchstaben, Vokal- und Musikzeichen im hebräischen Text …
Wörter, die anders zu lesen sind, als geschrieben …
(38) verschiedene Übersetzungen der hebräischen Bibel …
die Septuaginta … 3.Jh. v.d.Z. … an einigen Stellen scheint den Übersetzern ein
anderer als der uns heute bekannte Text vorgelegen zu haben
die Vulgata (christliche Übersetzung ins Lateinische durch Hieronymus 5.Jh.
d.Z. … lag ein hebräischer Text zugrunde …
(40f.) Tradition der „mündlichen Tora“ … besteht zum einen aus Erklärungen und
Ausarbeitungen der schriftlichen Tora, zum anderen aus Ergänzungen zu ihr …
man hielt es lange für unangemessen, etwas schriftlich festzuhalten, das Mosche
nicht auf Gottes Befehl niedergeschrieben hatte … es galt jedoch als anerkannt,
dass der gesamte Korpus der (z.T. erst viel später entstandenen JK) mündlichen
Tora Mosche am Sinai übergeben worden war, denn weil er diese Mengen an
Material lernen musste, verweilte er vierzig Tage und Nächte auf dem Sinai. Die
Lehrer der mündlichen Tora waren hauptsächlich Laien, das heißt, keine
Priester. Wir kennen sie unter der Bezeichnung „Pharisäer“. Seit ungefähr 100
d.Z. trugen bewährte Lehrer den Titel „Rabbi“. Diese Lehrer sahen sich einer
konservativen Gruppe gegenüber, die vorwiegend aus Priestern bestand, den
Sadduzäern. Die Sadduzäer lehnten die Gültigkeit einer mündlichen Tora ab und
hielten nur den geschriebenen Text für autoritativ. Sie interpretierten die
Gebote in einer streng wörtlichen Art und Weise. Es könnte diese Gegnerschaft
gewesen sein, die bei den Pharisäern die Tradition des Midrasch entstehen ließ …
Der größte Teil des jüdischen Volkes verstand die geschriebene Tora im Sinne
der mündlichen Tora, so wie auch in der modernen Rechtsprechung ein
geschriebenes Gesetz das bedeutet, was die Richter auslegen. …
Obwohl die entstehende mündliche Tora, die später im Talmud verschriftlicht
worden ist, den offenkundigen Schriftsinn in vielen Fällen verdunkelte, war sie
eine treibende Kraft, die das Judentum bereicherte. …
Schließlich kam die Ansicht auf, dass es vier verschiedene Wege gebe, die Tora
zu erforschen, und dass jeder eine je eigene Gültigkeit habe: der rabbinische
Midrasch (Drasch), die philosophische Bewertung (Remes), das mystische
Geheimnis (Sod) und der offenkundige Wortsinn (Pschat) …
(42) „Rabbinerbibel“: mit dem hebräischen Text oben rechts, der aramäischen
Übersetzung links daneben und den wichtigsten mittelalterlichen Kommentaren zu
den jeweiligen Versen …
(44) Gemeinden in Babylonien lasen die gesamte Tora in nur einem Jahr, und
diese Tradition setzte sich schließlich durch …
Ursprünglich erwartete man, dass jede Person, die aufgerufen wurde, einen
Abschnitt in der korrekten Melodie selbst vortrug …
(46) Der historische Zugang weckt unsere Ehrfurcht in einer anderen Weise. Wir
sehen es nicht mehr als Notwendigkeit an, Dinge in der Tora, die unserem
Verstand widersprechen oder die unser Gewissen verurteilt, zu rationalisieren
oder zu rechtfertigen. … Von daher ist es nicht vernunftwidrig, die Offenbarung
in dem historischen Prozess zu
erkennen. …
(50) einige Texte im Koran … klingen eindeutig an Midraschim an …
(57) Schöpfer in Kapitel 1: Elohim … bedeutet Götter im Allgemeinen oder den
Gott Israels im Besonderen … hat eine Plural-Endung … wenn es für heidnische
Götter benutzt wird, steht das Verb oder Adjektiv im Plural, wenn es den einen
Gott meint, im Singular …
die Texte im Buch Genesis (und in der Tora im allgemeinen) zielten ursprünglich
darauf ab, gehört, nicht (still JK) gelesen zu werden, und enthalten deshalb
Schlüsselworte und Wortspiele (die sich nur im Hebräischen erschließen JK) …
Die Lebenszeiten der Patriarchen sind in einem numerischen System geordnet.
Demnach war Awraham 100 Jahre alt, als Jizchak geboren wurde, und er lebte 100
Jahre seines Lebens in Kenaan. Er war 175 Jahre alt, als er starb (7 x 52).
Jizchak wurde 180 Jahre alt (5 x 62) und Jaakow 147 (3
x 72).
Es gab 10 Generationen von Adam bis Noach und dieselbe Zahl von Noach bis
Terach, Awrahams Vater. …
Die Zahl 7 ist wichtig, vermutlich weil man damals sieben Planeten (Sonne, Mond
und 5 Planeten JK) kannte. 10 und 12 sind häufig genannte Zahlen, ebenso auch
40 – dies bedeutet eine Generation.
(58) Schließlich darf nicht vergessen werden, dass der Text in Hebräisch
geschrieben ist und daher an der Ausdruckskraft und an den Bedeutungen der
hebräischen Sprache teilhat. Keine Übersetzung kann das Bedeutungsspektrum des
Originals erfassen. Jede Wiedergabe in einer anderen Sprache ist eine
Interpretation des Textes.
(72) zu Gen.1,1: Raschi sagte: Wenn der Text die Reihenfolge der Schöpfung
hätte lehren wollen, hätte er BA-RISCHONA formulieren müssen (statt BERESCHIT)
(74) Abdruck einer Zeichnung „Das Weltbild der Bibel“ (Erdscheibe (getragen von
den „Säulen der Erde“), Firmament (getragen von den „Säulen des Himmels“),
darüber die „oberen Wasser“; unter der Erdscheibe die „unteren Wasser“, noch
weiter unten „die Felsen der Tiefe“ und der „Eingang zum Totenreich Scheol“; in
der Feste des Himmels „Schleusen des Himmels“, durch die Erdscheibe „Die
Brunnen der Tiefe)
(75) die Zahl 7 ist in der Bibel über 500mal erwähnt … die am häufigsten
genannte Zahl der Bibel …
Zusätzlich zum Ablauf der Woche ist das Pessachfest von der Zahl Sieben
bestimmt. Es gibt eine Dauer von sieben Wochen zwischen Pessach und Schawout
und das Schabbat-Jahr. Einige Wissenschaftler halten es für möglich, dass das
gesamte Buch Genesis und sogar die Tora selbst um diese heilige Zahl erarbeitet
und kunstvoll gestaltet worden seien (Zum Beispiel entnahm man den Buchstaben
„UND GOTT SPRACH“ den Zahlenwert 343, dies ist 7x7x7).
(76) zu Gen. 1,28: Seid fruchtbar und mehret euch … ein Segen, nach der
jüdischen Tradition ist dies das erste der 613 Gebote
(78) zu Gen. 2,2: „ruhte Gott“ oder: hörte auf … schawat ist eine Anspielung
auf schabbat
(79) Midrasch zu Gen.1,31: sehr gut:
Es heißt, dass Gott seine Schöpfung „sehr gut“ fand. Dies setzt eine
Vergleichsmöglichkeit voraus. Daher kann geschlossen werden, dass Gott schuf
und frühere Welten vernichtete …
(89) Midrasch zu Gen.1,28:
Als Gott den ersten Menschen schuf, schuf er ihn androgyn, (das heißt, es gab
keinen Unterschied zwischen Frau und Mann)
(92) zu Gen 3,6: Frucht
in der christlichen Tradition denkt man bei der Frucht oft an einen Apfel, weil
dies eine in Europa allgemein bekannte Frucht war und weil die lateinische
Übersetzung das Wort RA (böse) mit malum wiedergab, das auch „Apfel“ bedeuten
kann
(92) Gen.2,25-3,1
“Nun waren sie beide nackt, Adam und seine Frau, und schämten sich nicht.
Die Schlange war listiger als alle Tiere des Feldes, welche Gott gemacht
hatte.“
Nackt (Gen.2,25 arumim) ist ein Wortspiel mit schlau
(listig) (Gen.3,1 arum).
(93f.) Sündenfall, Erbsünde ?
Die Hauptrichtung innerhalb des Judentums lehnte es ab, die Geschichte von Eden
als einen wesentlichen Bestandteil in seine Weltsicht aufzunehmen und blieb
dabei, dass der Weg zum Heil gute Taten (MIZWOT) sind, nicht der Glaube an eine
Rettergestalt, und dass der Mensch, obwohl er zum Bösen neigt (Gen.6,5; 8,21)
nicht seinem Wesen nach eine verderbte Schöpfung ist. Obwohl der Mensch ständig
dem bösen Trieb (JETZER HA-RA) ausgesetzt ist, ist er fähig, ihn durch Gottes
Gebote zu überwinden oder zumindest ihn zu kontrollieren und dadurch den guten
Trieb (JETZER TOW) zu entwickeln. Je genauer er die Gebote befolgt, um so größer ist sein Schutz vor der Sünde. …
Jeder Mensch wiederholt in seinem Leben den Weg von Eden in die Welt. Als Kind
lebt er im Garten der Unschuld; wenn er seine Sexualität entdeckt, muss er
diesen Garten für immer verlassen …
Letzten Endes wurde der Mensch dazu „verdammt“, menschlich zu sein. …
(102) zu Gen.4,14: (Kain:) Jeder, der mich findet … wer die Bibel wörtlich
versteht, fragt, woher all diese Menschen kamen …
(104) zu Gen.4,24
Es wurde vorgeschlagen, Vers 24 meine:
“Wenn Kain zweimal siebenmal gerächt wird, dann Lamech siebenundsiebzigmal.“
Dies gründet sich auf die Folge: 2x7 = 12 + 22
+32
und 77 = 42
+ 52
+62
(105) (zu Gen.4,10) Das Hebräische sagt wörtlich:
“Deines Bruders Geblüt“ … es ist eine Pluralform. Es war nicht Hewels (Abels)
Blut allein, sondern auch das Blut seiner (ungeborenen) Nachkommenschaft.
(106) Im masoretischen Text ergibt die Summe der Jahre von Adam bis zur Flut
die Zahl 1656, im samaritanischen Pentateuch 1307, in der Septuaginta 2422
(107) Abstammungslinien … man sollte sehen, dass es in der Bibel hier um
Prototypen geht, nicht um konkrete Personen …
Der Vergleich der Abstammungslinie von Kajin und Schet besitzt überraschende
Ähnlichkeit und einige Doppelungen:
Adam 1 Enosch
Kajin 2 Kenaan
Chanoch 3 Mehalal´el
Irad 4 Jered
Mehujael 5 Chanoch
Metuschael 6 Metuschelach
Lemech 7 Lemech
Naama 8 Noach
Die Namen ADAM und ENOSCH bedeuten übersetzt beide „Mensch“. Andere Namen der
Listen klingen jeweils ähnlich, und wenn man die Plätze von Chanoch und
Mehujael vertauscht, erhält man eine einheitliche zugrundeliegende Liste, die
die Bibel in zwei Varianten überliefert. Die Menschheit hat einen gemeinsamen
Vorfahren (Adam oder Enosch) und eine gemeinsame Abstammungslinie. …
(110) zu Gen.5,23: Alle Lebensjahre des Chanoch waren
365.
eine symbolische Zahl (unabhängig von den Tagen des Jahres): 102
+ 112
+ 122
…
(112) zu Gen.6,3: Es soll aber die Frist seiner Tage (des Menschen JK) noch
sein 120 Jahre.
120 Jahre wird die ideale Lebenszeit (Mosche wird 120 Jahre alt werden),
während die zu erwartende Lebensdauer auf 70 Jahre verkürzt wird („Unsere Lebenszeit
dauert 70 Jahre“ Psalm 90,10). 120 ist das Produkt von 1 x 2 x 3 x 4 x 5
(125) zu Gen.9,20:
Noach ist ein „Mann des Ackers“ (wie ADAM, KAIN …)
(128) CHAMAS = Gewalttätigkeit
(129) die noachidischen Gebote …
(NOACH war (nur) an wenige grundlegende
Gebote gebunden (das gilt für alle seine nicht-jüdischen Nachkommen bis heute
JK):
Durch die Auslegung von Gen.2,16 gewannen die Rabbinen sechs solcher
grundlegenden Gebote: das Verbot des Götzendienstes, das Verbot der
Gotteslästerung, das Gebot, Gerichtshöfe zu errichten, das Verbot, zu töten,
das Verbot, die Ehe zu brechen und das Verbot des Raubs. Ein siebtes Gebot,
dass die Menschen kein Fleisch lebender Tiere essen dürften, kam nach der Flut
hinzu (Gen.9,4) …
(131) zu Gen.9,6: Wer Menschenblut vergießt …
Mit demselben Vers wurde das Verbot der Abtreibung begründet, dabei wurde er
jedoch in einer anderen Weise gelesen: „Wer das Blut des Menschen im Menschen vergießt…“
(132) zu Gen.9,24 Als Noach von seinem Wein erwachte, erfuhr er, was ihm sein jüngster
Sohn getan hatte …
das Wort „erkannte“ hat intellektuelle wie auch sexuelle Bedeutung
(170f.) zu Gen.14,14: Als Awram hörte, dass sein Verwandter gefangen worden
war, bewaffnete er seine geübten Hausgeborenen, dreihundertachtzehn an der
Zahl, und verfolgte sie bis Dan.
a) vermutlich eine Zahl, die innerhalb der Zahlensymbolik des Buches Genesis zu
verstehen ist. Die Primzahlen zwischen 7 und 49 (=7x7) ergeben als Summe 318
b) Midrasch: Awram verdankt seinen Sieg
über die Könige nicht der Hilfe von 318 Männern, sondern der eines einzelnen.
Denn die Zahl 318 ist der Buchstabenwert von „Elieser“, Awrams Knecht. Wenn man
weiß, dass die Zahl 318 „Elieser“ meint, kann man ferner feststellen, dass das
Wort „Elieser“ „Gott ist meine Hilfe“ bedeutet – das heißt, Awrams Helfer war
Gott. Er besiegte die Könige also auf Grund seines Glaubens, nicht aufgrund
seiner Kraft.
(Diese Gleichsetzung bezieht sich auf eine alte Methode, die zur Bibelauslegung
angewendet wird, die sogenannte Gematrie. Jeder Buchstabe des hebräischen
Alphabets wird gleichzeitig auch als Zahl benutzt. Addiert man die Buchstaben
eines Wortes, erhält man seinen Zahlenwert. Wörter mit demselben Zahlenwert
können miteinander verglichen werden und eine Grundlage für exegetische
Schlussfolgerungen bilden. Addiert man die Zahlenwerte der Buchstaben von
Elieser, ergibt sich die Summe 318: 1 + 30 + 10 + 70 + 7 + 200)
(187) zu Gen.17,11 (Einführung der Beschneidung bei Abraham)
Unvollendete Schöpfung (Midrasch)
Ein heidnischer Gelehrter fragte einst Rabbi Jehuda: „Wenn Gott die
Beschneidung so wertschätzt, warum wurde das Zeichen der Beschneidung dann
nicht bereits Adam bei seiner Schöpfung gegeben?“ Rabbi Jehuda antwortete:
„Fast alles, was in den sechs Schöpfungstagen erschaffen wurde, bedarf der Vervollkommnung
– sogar der Mensch.“
(187) Die Erfüllung aller Vorschriften ist zweitrangig gegenüber dem
menschlichen Leben …
(195) zu Gen.19,5 (Männer aus Sodom fordern, dass Lot seine Gäste herausbringt)
„… dass wir sie näher kennenlernen“
“erkennen“ hat auch sexuelle Bedeutung, die Sedomiter wollen die Männer zu
homosexuellem Verkehr oder zu anderen sexuellen Handlungen zwingen
(213) zu Gen.22
wichtig zu beachten, dass zu Beginn der Prüfung ELOHIM das Gebot ausspricht
(den Sohn zu opfern) – hier wird der allgemeine Begriff für Gott oder Götter
gebraucht. Es war ein Gebot, das auch andere ELOHIM hätten aussprechen können
und aussprachen. Doch als das Opfer vollstreckt werden soll, ist es ADONAI
(JAHWE), der Awrahams Hand zurückhält
(213) man kann Awraham auch als ISCH ÄMUNA „treuen Menschen“
bezeichnen
(215) zu Gen. 22 (Abraham soll seinen Sohn opfern)
In einem Midrasch wird angenommen, Awraham habe Gott vollkommen missverstanden.
Dieser Midrasch lässt Gott sagen: „Habe ich dir gesagt, du sollst ihn „schlachten“?
Habe ich dir nicht vielmehr gesagt: „Bringe ihn hinauf? (Ein Wortspiel im
Hebräischen: Die Wurzel A-L-H kann sowohl „heraufbringen“ als auch „opfern“
bedeuten.) Du hast ihn auf den Altar hinaufgebracht, nun bringe ihn wieder
hinunter.“
(223) zu Gen.23,1 „Es war das Lebensalter der Sara,
hundert Jahre und zwanzig Jahre und sieben Jahre“
Das Wort „Jahre“ wird wiederholt, um zu zeigen, dass jeder Lebensabschnitt in
Saras Leben bis zum Rand erfüllt war. Die Zahl 127 ist die Verbindung der
idealen Lebensdauer (120 Jahre – siehe
Gen 6,3 oben JK) mit der heiligen Zahl sieben.
(269) zu Gen.28,10ff. (Jakobs Traum von der Leiter)
Die Leiter (SULA) war ein Symbol des (SINAI), denn beide besitzen denselben
Zahlenwert
·
(Die
Tora in jüdischer Auslegung, herausgegeben von W. Gunther Plaut, Gütersloher
Verlagshaus, 5 Bände, 2008)
Band 2: Schemot – Exodus
(Seite 13ff.) Dieses Buch muss als Fortsetzung des Buches Genesis verstanden
werden. Dieses war eine Erzählung über die Anfänge der Welt und Gottes
Enttäuschungen. Nach vielen Versuchen und Enttäuschungen hatte sich Gott ein
besonderes Volk erwählt, das er zu seinem Bundesvolk und seinen Mitarbeitern
machen wollte. …
Die Erzählungen des Buches Genesis, waren eine Mischung aus Mythos, Legende,
Erinnerungen aus einer fernen Vergangenheit und der Suche nach den Ursprüngen …
Ob die Ereignisse genau so stattfanden, wie sie beschrieben werden, oder nicht,
ist weniger wichtig als die Art und Weise, wie sie erfahren und verstanden
wurden …
Durch die Schöpfung ist auch das Stiftszelt mit der Schabbatvorstellung
verbunden. Die Vorschriften für die Errichtung des Zeltes werden Mosche am
siebten Tag offenbart, nachdem er sechs Tage auf dem Berg verbracht hatte
(Ex.24,16), und die Beschreibung des Aufbaus endet damit, dass Mosche, der sein
Werk vollendet hat (40,33), es sieht und segnet (39,43) und heiligt 40,9),
Begriffe, die fast wörtlich Gottes Vollendung der Schöpfung wiederholen
(Gen.1,31-2,3) …
(55) Die Tora geht davon aus, dass ein Prophet außergewöhnliche Zeichen vollbringen
kann …
Der Prophet Elijahu sättigte hundert Männer mit 20 Broten, von denen sogar noch
übrig blieb (2.Könige 4,41-44). Außerdem heilte er Kranke und brachte sogar
Tote wieder ins Leben zurück …
(57) zu Ex.3,14
der Gottesname EHJE („Ich bin!“)
erste Person Singular des Wortes „sein“, ein Problem ist die Zeitform;
Tur Sinai sagte: „Ich mag sein“; anders: „Ich werde sein“, „Ich bin, was ich
sein werde“ …
(63) er war, er ist, er wird sein
(67) zu Ex.3,2
Gematrie
Midrasch: Der Busch steht hebräisch für die Zahl 120 und deutet darauf hin, wie
viel Jahre Mosche leben wird.
seit dem 2.Jh v.d.Z. haben traditionelle jüdische Schriften die 22 Buchstaben
des Alphabets benutzt, um Zahlen zu bezeichnen … Die Gematrie (abgeleitet von
dem griechischen Wort für „Geometrie“ oder – wahrscheinlicher – für „Schrift“ =
grammateia) war eine halb-okkulte Methode, um durch Addition der Zahlenwerte
der hebräischen Buchstaben versteckte Bedeutungen zu erkennen. Auf diese Weise
ergibt das hebräische Wort für Busch die Zahl 120: 5 + 60 + 50 + 5. Von Mosche
heißt es aber, dass er 120 Jahre alt wurde (Deuteronomium 34,7) …
Gott warnte Mosche (Ex.3,5) „Komm nicht NÄHER (=75),
denn du bist PRIESTER (=75), und wie ein Priester musst du die Schuhe
ausziehen.“ …
Gottes Siegel ist die WAHRHEIT (=441). Also ist er ein Vielfaches von EHJE (der
Gottesname „Ich bin“ = 21; 21 x 21 = 441) …
EHJE (der Gottesname „Ich bin“) steht für die Zahl 21, wie die ersten
Buchstaben von Awraham (1), Jizchak (10) und Jaakow (10): 1 + 10 + 10 = 21
(67) zu Ex.3,15 (der unaussprechliche Gottesname JHWH)
Midrasch: Gott sagt, dass JHWH sein Name „auf ewig“ sei. Das hebräische Wort
LE`OLAM wird ohne den üblichen Buchstaben WAW geschrieben, um darauf
hinzuweisen, dass es als LE`ELEM „verbergen“ zu verstehen ist. Kein Mensch soll
den Namen nach seinen Buchstaben aussprechen. Daher sagen wir stattdessen
„Adonai“. …
(85) Wie der Name JHWH ursprünglich vokalisiert wurde, kann heute nicht mehr
mit Sicherheit festgestellt werden. Seine Aussprache war mit der Zeit auf den
Tempelgottesdienst beschränkt worden, später auf den Hohen Priester am
Versöhnungstag, und nach der Zerstörung des Tempels führte man den
Aussprache-Ersatz ein, sowohl für die Vorlesung der Schrift als auch für seine
Verwendung im Gebet …
(87) Die überwiegende Mehrzahl aller Wissenschaftler geht davon aus, dass zu
Mosches Zeiten JHWH als Jahwe ausgesprochen wurde.
(156) zu Ex.15,2 Gottesname JAH
Kurzform von JAHWE ? z.B. in Hallelu-ja (Lobet JA)
(101) zu Ex.7,14-9,12 biblische Plagen als Wunder ?
bereits in Deuteronomium 13,2-4 werden wir gewarnt, den Vollzug eines
außergewöhnlichen Zeichens nicht als Beweis für einen wahren Propheten zu
betrachten. In der Folge entwickelte sich daraus eine Tendenz im Judentum,
solche Beweise unbeachtet zu lassen oder herunterzuspielen. In einer berühmten
talmudischen Geschichte tat Gott Wunder, um Rabbi Elieser ben Hyrkanos in einem
Streit zu unterstützen: Er entwurzelte einen Baum, ließ einen Fluss rückwärts
fließen, neigte eine Wand und ließ sogar ein hörbares Urteil über eine Sache
verlauten. Doch die Mehrheit der Rabbinen ließ sich davon nicht überzeugen und
meinte, die Tora sei in ihre Hände übergeben worden (und die Tora bestimmt,
dass die Majorität ein Gesetz entscheidet und schließt Gottes Eingreifen aus).
Sie ließen sich nicht davon abbringen, ihr Vorrecht aufzugeben und Rabbi
Elieser recht zu geben. Die Legende schließt damit,
dass Gott sein Wohlwollen über diesen Akt menschlicher Unabhängigkeit kundtat,
obwohl er eine „Niederlage“ erlitt. …
Deutung (Maimonides): Alle sogenannten Wunder, die in der Bibel berichtet
werden, hätten nur den Eindruck von außergewöhnlichen göttlichen Eingriffen
erweckt. In Wirklichkeit jedoch seien alle Wunder bereits während der Schöpfung
vorgesehen und in die Weltordnung eingebaut worden.
(185) zu Ex.17,7+8
Der Angriff durch Amalek (Begriff für Feinde Israels JK) folgt unmittelbar auf
das Murren (des Volkes Israel JK) … Israel sprach: „Ist auch der Ewige unter
uns oder nicht?“ (Ex.17,7) und gleich nach diesem
Zweifel „kam Amalek“ (Ex.17,8). Die Buchstaben von „Amalek“ und ZWEIFEL haben
denselben Zahlenwert, nämlich 240.
(186) Lehren (torot), plural von tora
Im Pentateuch hat „tora“ die Bedeutung von ethischer, juristischer und
ritueller „Lehre“ oder von „Gesetz“ im allgemeinen. Auch der Pentateuch als
solcher (in Abgrenzung zu „Propheten“ und „Schriften“) kann gemeint sein. In
späterer Zeit bezeichnet „tora“ die gesamte Lehre und Gesetzestradition Israels
… wird in der Regel von „zeigen, hinweisen“ hergeleitet
(210) zum Bilderverbot im 2. Gebot Ex.20,3f.
kein Götzenbild, kein Bild mit der Absicht, es zu verehren, sei es als
wirklicher Gott oder als Ersatz für einen Gott. Dies ist kein Verbot bildhafter
Kunst an sich, sonst wäre Vers 5 unnötig („Du sollst dich vor ihnen nicht
verbeugen, auch sie nicht gottesdienstlich verehren“) … Verbot nur ihres
Missbrauchs
(215) zu den 10 Geboten
Midrasch: Gott erschuf die Welt mit dem Buchstaben Bet, dem zweiten Buchstaben
des hebräischen Alphabets. (Mit diesem Buchstaben beginnt das erste Wort der
Tora, BERESCHIT.) Als sich der erste Buchstabe ALEF beklagte, tröstete ihn Gott
und sagte: „Ich werde den Dekalog mit dir beginnen“ (dieser beginnt mit dem
Wort ANOCHI), denn „Ich bin einer und du bist „eins“. (Im Hebräischen steht
ALEF auch für die Zahl 1)
Im Hebräischen ergeben die ersten sieben Wörter des ersten Verses von Exodus 20
wie auch von Genesis 1 die Summe von 28 Buchstaben. … Derjenige, der diese
Worte mit Hingabe sagt, ist wie einer, der an den
Wundern der Schöpfung und der Sinai-Offenbarung teilhat.
(613) Mizwot (Gebote)
(Nach der jüdischen Tradition enthält die Tora insgesamt 613 Gebote, die sich
aus 248 positiven und 365 negativen Bestimmungen zusammensetzen. Wie die Gebote
gezählt werden, um auf diese Summe zu gelangen, ist Gegenstand von
Auseinandersetzungen. Eine alte Tradition sagt folgendes:)
Die Buchstaben des Wortes Tora ergeben eine Summe von 611 (400+6+200+5). Diese
611 wurden von Mosche überliefert („Die Weisung = Tora, die uns Mosche geboten
hat“ Dtn.33,4). Die anderen beiden sind: „Ich bin der
Ewige“ und „Du sollst keine anderen Götter haben vor mir!“. Diese beiden wurden
dem Volk direkt von Gott gegeben. (Talmud)
Schabbat:
(218) zu Ex.20,9 (4.Gebot zur Heiligung des Sabbat)
„Sechs Tage kannst du arbeiten …“
Die Rabbinen deuten dies als positives Gebot. Durch die Arbeit eifert die
Menschheit Gottes schöpferischem Handeln nach, sowohl seinem Schaffen als auch
seinem Ruhen.
(221) Die Beachtung des Schabbat beginnt in der Abenddämmerung am Freitag und
dauert bis zum Sonnenuntergang am Samstag …
im christlichen Bereich wurde das 4. Gebot (Sabbatruhe) zusammen mit dem
biblischen Gesetz über die Beschneidung außer Kraft gesetzt. Im Jahr 321 d.Z.
wurde der Sonntag zum offiziellen Tag des christlichen Gottesdienstes erklärt.
(223) Midrasch:
Bei der Schöpfung beschwerte sich der Schabbat, dass alles mit einem Partner
geschaffen wurde, nur der Schabbat nicht. Gott sagte: „Ich gebe dir Israel als
deinen Partner“
(im Hebräischen ist Schabat ein Femininum – kein Wunder,
dass die Beziehung zwischen Jisrael und Schabat seit dem Midrasch als eine
zwischen Bräutigam und Braut aufgefasst wurde und so eine fast erotische
geworden und geblieben ist – Quelle: Neu auf die Bibel hören – Die
Bibelverdeutschung von Buber/ Rosenzweig – heute; Lambert Schneider, Bleicher
Verlag, Gerlingen, 1996)
(245) zu Ex.20 z.B. „Auge um Auge“
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in dem Toragesetz, das in diesem Kapitel
des Buches Exodus formuliert wird, nicht um eine unmittelbare körperliche
Vergeltung geht, sondern um eine finanzielle Ersatzleistung. Eine Ausnahme
bildet der beabsichtigte Mord.
(255) zu Ex.22,15 „Jungfrau“
hier für „Jungfrau“ BETULA = Mädchen und Frauen, die noch keinen
Geschlechtsverkehr hatten
·
(Die
Tora in jüdischer Auslegung, herausgegeben von W. Gunther Plaut, Gütersloher
Verlagshaus, 5 Bände, 2008)
Band 3: Wajikra - Leviticus
(Seite 16) Die rabbinischen Kommentare über die Bücher der Bibel sind als
„Midraschim“ bekannt.
(17) Einen großen Teil der kritischen Studien verdanken wir christlichen
Bibelwissenschaftlern der letzten hundertfünfzig Jahre.
(96f.) zu den Speisegesetzen Lev.11,1-23
in der Umgangssprache heißt ein nach dem jüdischen Gesetz erlaubtes
Nahrungsmittel „koscher“. Dieses Wort bedeutet „geeignet, richtig“. Es
erscheint in der Bibel nur an einer Stelle (Esther 8,5), an der es jedoch
überhaupt nicht um Nahrungsmittel geht …
Das Gegenteil von „koscher“ ist im heutigen Sprachgebrauch „treefe“ … diese
Wort bedeutet wörtlich „Zerissenes“, und bezieht sich in der Bibel auf ein
Tier, das von einem anderen Tier getötet wurde (Ex.22,30)
Talmud:
Man sollte nicht sagen: „Ich mag kein Schweinefleisch“, sondern vielmehr: „Ich
würde es gerne essen, doch mein Vater im Himmel hat es verboten und ich habe
keine Wahl“ …
(101) Reformjudentum: (Speise-)Vorkehrungen sind nicht das buchstäbliche Wort
Gottes … nicht mehr von religiöser Bedeutung … streiten nicht darum
(189) zu Lev.19,18 „Liebe deinen Nächsten so, wie du dich selbst liebst“ und
Lev.19,34: „Der Fremdling, welcher sich bei euch aufhält, soll euch so wie ein
Einheimischer sein. Du sollst ihn lieben, wie du dich selbst liebst.“
das Wort „Nächster“ in Lev.19,18 bedeutet tatsächlich den israelitischen
Nächsten, aber manche Christen übersehen dabei offenbar das Gebot in Vers 34
(aber das war wohl auch die Perspektive Jesu)
(223) Der jüdische „Tag“ beginnt nicht zu einer festgesetzten Stunde …
unabhängig von der Jahreszeit. … er beginnt und endet im Winter anders als im
Sommer … wird von Sonnenuntergang bis Sonnenuntergang gerechnet
(226) Zeitrechnung für jüdische religiöse Zwecke … legt das Datum der Schöpfung
auf das Jahr 3760 v.d.Z. fest
·
(Die
Tora in jüdischer Auslegung, herausgegeben von W. Gunther Plaut, Gütersloher
Verlagshaus, 5 Bände, 2008)
Band 4: Bemidbar - Numeri
(53) zu Num.3,15 „Alles männliche von einem Monat an
und darüber sollst du mustern“
Midrasch, Halacha:
Rabbi Schimon ben Gamliel sagt: Jedes Kind, das nicht dreißig Tage lang lebt,
hat die Monate der embryonalen Phase nicht abgeschlossen, sondern ist eine
Fehlgeburt.
(149) zum Gesetz über die Zizit (Verzierung von Gewändern mit Troddeln oder
Quasten, „Schaufäden“) Num.15,37ff.
können orthodoxe Juden an ihren heraushängenden Quasten erkannt werden … pflegt
der Betende die Quasten zu halten …
(154) Jesus trug wie alle gesetzestreuen Juden seiner Zeit ZIZIT
(Matth.23,5+13), warnte jedoch vor „Heuchlern“, die „mit breiten Gebetsriemen
und großen Quasten“ herumliefen
(153) Gematrie:
Die jüdische Suche nach einer logischen Entsprechung zwischen Tallit und
göttlichen Geboten wurde mit erstaunlichen Entdeckungen belohnt. Der Zahlenwert
des Wortes ZIZIT ist 600. Jede der Quasten besteht aus 8 Fäden und 5 Knoten,
was eine Summe von (600+8+5) 613 ergibt. Diese Zahl entspricht den 613 Geboten
in der Tora. …
(222) zu Num.23,19 „Sohn Adams“
andere übersetzen: Menschensohn. Ein Ausdruck, der sich oft in Ezechiel und in
den christlichen Schriften (des Neuen Testaments JK) findet. In der jüdischen
Tradition hat der Ausdruck BEN-ADAM keine besondere Bedeutung
(265) zu Num.28
Die Anzahl der Tiere, die an Sukkot geopfert wurden, sind ein Vielfaches von 7:
siebzig Stiere, 89 Lämmer, 14 Widder, 7 Böcke. Der Talmud kommentiert: Die 70
Stiere dienen als Sühne für die 70 Völker der Welt. (Dies setzt
Verantwortlichkeit Israels für die Sünden der Menschheit voraus) Die 89 Lämmer
sollen die 89 Flüche in Deuteronomium 28,15-68 abwehren
·
(Die
Tora in jüdischer Auslegung, herausgegeben von W. Gunther Plaut, Gütersloher
Verlagshaus, 5 Bände, 2008)
Band 5: Dewarim - Deuteronomium
(12) Unser Kommentar lehnt die Auffassungen über den göttlichen Ursprung
und die mosaische Verfasserschaft der Tora, die die traditionellen Ausleger
vertreten, ab, das heißt, er akzeptiert die historisch-kritische Erforschung
der Texte …
zum ersten Mal war mit dem Erscheinen des (englischsprachigen) Torakommentars
von Rabbiner Dr. Wolf Gunther Plaut im Jahr 1981 ein Gemeindekommentar der Tora
auf dem Markt, der den Grundsätzen des liberalen Judentums entsprach …
(15) „Sicher ist nur, dass es keinen Weg mehr an der historisch-kritischen
Methode vorbei gibt und dass sie gerade als solche einem Anspruch der Sache der
Theologie selbst entspricht“, kommentierte Kardinal Joseph Ratzinger die 1965
verabschiedete „Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung“ (Die
Verbum) des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 bis 1965. Seit dem Zweiten
Vatikanum gilt nun die Bibel als Grundlage der Dogmatik der Kirche und ist
nicht länger, wie zuvor, der Dogmatik der römisch-katholischen Kirche
unterworfen. Diese hatte noch zu Beginn des 20. Jh. erklärt, Mose sei der Autor
des Pentateuch …
(52) Gematrie:
Das erste Wort des Deuteronomiums ist ELEH = diese). In der Gematrie ergibt das
Wort die Zahl 36. Der Tradition zufolge wird die Welt von 36 Gerechten aufrecht erhalten, genau wie sie von „diesen“ Worten der
Tora aufrecht erhalten wird.
(63) Richter müssen sieben gute Eigenschaften haben: Sie müssen weise,
verständig und erfahren sein; sie müssen fähig, gottesfürchtig und
vertrauenswürdig sein und den Gewinn hassen
(64) Wie konnte Mosche einen Segen von tausendfacher Kraft spenden (Dtn.1,11)?
In der Gematrie haben die Buchstaben des Namens MOSCHE denselben Wert wie die
Buchstaben von EL SCHADDAI (ein Name für Gott) – beide Worte ergeben in der
Buchstabensumme 345. Schreibt man die Buchstaben beider Worte aus (jeden
Buchstaben quasi als Wort), und zählt nun die Buchstabenwerte zusammen, ergibt
sich als Summe 999! Mosche liebte Israel mit göttlicher Liebe, und indem er
seinen eigenen Segen noch hinzufügte, konnte er diesen außergewöhnlichen tausendfachen
Segen spenden …
(84) Gott ist ein „eifervoller“ (nicht ein eifersüchtiger) Gott
(88) zu Dtn.4,2
Eines der Gesetze, die mit der Zeit eine zentrale Bedeutung annahmen, lautet:
„Tut zu dem, was ich euch gebiete, nichts hinzu und nehmt nichts davon“
…Schreiber sollen den Text genau so bewahren, wie sie ihn vorfanden, mit all
seinen offenkundigen Widersprüchen, Schreibfehlern, Dubletten und
unverständlichen Abschnitten …
zunächst durfte aus Respekt vor den strengen Anweisungen von Dtn.4,2 und 13,1
keine der rabbinischen Regeln und keine ihrer Folgerungen aufgeschrieben werden
… um 200 d.Z. wurde diese Einschränkung aufgehoben und der Talmud entstand …
in orthodoxen Kreisen wird heute der Talmud, der Kommentar, studiert, nicht
das, was kommentiert wird, die Tora …
das meiste der Halacha … sieht sowohl die biblischen als auch die rabbinischen
Bestimmungen als bindend an, denn sie gelten als der Wille Gottes
(91) Die Kette der Generationen
Die Tora muss Kindern und Enkelkindern gelehrt werden (Dtn.4,9). Derjenige, der
sein Kind die Tora lehrt, gilt als jemand, der die Tora nicht nur sein Kind,
sondern auch dessen Kinder gelehrt hat, bis ans Ende der Zeit. Ein Enkelkind,
das von seinem Großvater gelehrt wird, gilt, als habe es die Tora vom Sinai empfangen.
(Talmud)
(103) Der freie Wille
Das Kapitel enthält einen Vers (Dtn.5,29), der im
Laufe der Zeit ein Beleg für die Lehre vom freien Willen des Menschen wurde.
(Gott sagt: „Wenn dieser Sinn nur bei ihnen beständig bliebe, mich zu fürchten
und alle meine Gebote jederzeit zu halten, damit es ihnen und ihren Nachkommen
beständig wohl ergehen möge.“) Mosche verkündigt einen Gott, der darauf hofft, dass Israel ihn stets achten und
seinen Geboten folgen würde. Dies setzt offensichtlich voraus, dass Gott nicht weiß, ob Israel seinen Willen tun
wird oder nicht, denn Israel ist – wie die gesamte Menschheit – darin frei, zu
gehorchen oder nicht. … Gott kann Israel nicht bzwingen, den richtigen Weg zu
gehen … Er mag in allen anderen Dingen allwissend sein, aber er kann nicht
bestimmen, welche Entscheidungen die Menschen treffen werden
(165) Dtn.11,26 Ich lege euch vor Segen oder Fluch (Bestätigung der
Wahlfreiheit)
(107f) Das Sch´ma Dtn.6,1-25
“Höre, Israel!“ und „Du sollst den Ewigen, deinen Gott, lieben“ sind die
Ecksteine des Gebäudes des Judentums
Dtn.6,4: Der Ewige, unser Gott, ist ein einiges, ewiges Wesen
oder: Der Ewige, unser Gott, ist einer (unteilbar)
oder: Der Ewige, unser Gott, ist der einzige Gott (Monotheismus)
(117) Midrasch:
Gott sagte zu Israel: „Meine Kinder, alles, was ich geschaffen habe, habe ich
als Paare geschaffen: Himmel und Erde: ein Paar; Sonne und Mond: ein Paar;
diese Welt und die kommende Welt: ein Paar. Aber meine Herrlichkeit ist eine
und einzigartig in der Welt.“
Darum lesen wir darüber: „Höre Israel, der Ewige ist unser Gott, der Ewige
allein.“
(140) Auch jetzt
Die Übersetzung lautet, dass Gott dich „aus Mizrajim (Ägypten) … geführt hat“
(Dtn.8,14), doch der hebräische Text heißt wörtlich:
„dass Gott dich aus Mizrajim führt“, auch jetzt. Das erinnert daran, dass Gott
nie aufhört, sein Volk zu befreien.
(152) Dtn.10,19:
Ihr müsst gleichfalls den Fremdling lieben, denn im Land Mizrajim (Ägypten)
seid ihr auch Fremdlinge gewesen
(157) die Schrift gebietet uns 36 mal, den Fremden zu lieben, d.h. ihn
anzunehmen
(188) Dtn.14,20 (auch Ex.23,19 und Ex.34,26) Du sollst das Böckchen nicht in
seiner Mutter Milch kochen
das rabbinische Judentum entwickelte das Gebot zum Kern der Speisegesetze
weiter und verstand es als Verbot, milchhaltige und fleischhaltige Produkte
zusammen zu verzehren – eine Bedeutung, die dem Text selbst gänzlich fremd ist
(237) Dtn.19,9 wird als Gebot verstanden „Du sollst nicht (unsinnig) zerstören“
(238) Dtn.20,1: „Fürchte dich nicht“ Dies ist eines der 365 Verbote der Tora …
(247) (Zusammenfassung zum Tierschutz in der Tora)
(295) Die Flüche in Kapitel Dtn.28 enthalten (im hebräischen Text) 676
Buchstaben, wie auch das Wort RA-OT = Bosheiten) den Zahlenwert 676 hat.
Nun ist zu beachten, dass Gottes heiliger Name JHWH den Wert 26 hat, und 26 x
26 ist 676. Die verborgene Bedeutung ist: Die Tora droht uns mit Bosheiten,
doch von ihnen allen wird JHWH uns erlösen.
(315) zu Dtn.31,2
Mosche wird 120 Jahre alt ….
Zahl ist das Vielfache der ersten Zahlen 1x2x3x4x5 = 120…
verbindet gleichzeitig das Dezimalsystem mit dem Duodezimalsystem (10 x 12 =
120)
(321) die Vorstellung eines allmächtigen Gottes aufgeben … Er ging ein Risiko
ein, als er uns frei erschuf, und er muss wie wir die Folgen des menschlichen
Handelns tragen …
·
bis hier:
(Die Tora in jüdischer Auslegung,
herausgegeben von W. Gunther Plaut, Gütersloher Verlagshaus, 5 Bände, 2008)
·
(12) Es gibt im Grunde nur zwei Arten
des Umgangs mit der Bibel: man kann sie wörtlich nehmen oder man nimmt sie
ernst.
(16) „Das Wort Gottes geschah mir“, so heißt es 18 mal in der Lutherübersetzung
von Jeremia;
das hebräische Schlüsselwort heißt DAWAR, das kann „Wort“ heißen, aber auch
„Sache“, „Anliegen“ (Auftrag, Nachricht,
Erlebnis JK) … die Sache Gottes widerfuhr mir … das Anliegen Gottes erging
an mich … keineswegs als wörtliches Diktat zu verstehen, sondern als Sendung,
deren Versprachlichung dem Mann Gottes überlassen wird …
DAWAR wurde aber in der griechischen Fassung LOGOS, in der Lateinischen VERBUM
DIE (Wort Gottes als druckreifes Diktat vom Himmel)
(37f) „Du sollst nicht töten!“ … darauf berufen sich Wehrdienstverweigerer und
Gegner der Todesstrafe … im Hebräischen steht hier das Verb RAZACH, das nicht
jede Art von Töten meint sondern ausschließlich ein Töten, das außerhalb des
Gesetzes geschieht. … es kann „ermorden“, „unabsichtlich töten“ oder „in
Leidenschaft töten“ heißen, nie aber wird das Verb gebraucht für das Töten im
Krieg oder für die gesetzliche Hinrichtung von Verbrechern … „Du sollst nicht
morden!“
(53) Da das Vokabular der Bibel nur 7706 Wörter umfasst …
(62) ADAM als „Erdling“, der mit der Muttererde ADAMA unzertrennlich verbunden
ist; Urvater aller Sterblichen, ist auch zum hebräischen Gattungsbegriff
geworden MENSCH, so kann ADAM auch verstanden werden als JEDERMANN oder
UNSEREINER
(70) Söhne der Propheten, Söhne des Lichts, Söhne des Bundes, Sohn Gottes
das hebräische BEN kann nicht nur „Sohn“ bedeuten, sondern auch „Nachfolger,
Angehöriger, Nachahmer, Zugehöriger, Mitglied, Genosse …“
(75) Es ist ein Ros entsprungen …
in der Jesaja-Stelle 11,1-2 ist von einem Reis die Rede
(86) (Matth.1,21) Engel zu Joseph im Traum: „Du sollst ihm den Namen Jesus
geben, denn er wird sein Volk erlösen“;
wenn man den Satz ins Hebräische rückübersetzt, ist von JESCHUA die Rede, und
das bedeutet „er wird erretten“ oder „Gott wird erlösen“
(90) Lukas 16,1-9; Parabel vom ungerechten Haushalter, Betrüger und
Urkundenfälscher und doch sagt Jesus unerwartet: „Und der Herr lobte den
ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte.“
Rückübersetzung ins Hebräische des 1. Jahrhunderts;
Schlüsselwort BARECH heißt zwar im Allgemeinen „segnen“ oder „loben“, kann aber
auch als Euphemismus das Gegenteil bedeuten „verfluchen, absagen, verwünschen“;
Doppeldeutigkeit des zweiten Schlüsselwortes ARUM, das zwar „klug, verständig“
heißen kann, aber auch „listig, hinterlistiig“;
also: Der Herr verdammte den betrügerischen Verwalter, weil er hinterlistig
gehandelt hatte.“
(93) Matth.24,51; zwei Knechte, der „böse“ rauft mit seinen Mitknechten und zecht
mit Trunkenbolden, deshalb lässt ihn der Herr „entzweihauen und ihm seinen
Anteil mit den Heuchlern geben“;
Verb GASAR „entzweischneiden“ oder „entscheiden, beschließen“ (gemeinsamer
Nenner ist das „scheiden“);
also: „Er wird beschließen, seinen Anteil …“
(107) Beispiel für Quasizitate, die Paulus sich zurechtbiegt …
Gal.3,16: „Nun ist die Verheißung zugesagt Abraham und seinem Nachkommen“, es
heißt nicht „und seinen Nachkommen“ als gälte es vielen, sondern es gilt einem:
„und seinem Nachkommen, welcher ist Christus.“
In fast allen Bibelausgaben steht hier der Verweis: „Gen.22,17“ Schlägt man
dort nach, so findet man genau das, was Paulus leugnet, nämlich „Dein
Geschlecht“ oder „Deine Nachkommenschaft“ im kollektiven Sinne aller Nachfahren
… das Wort „Same“ gibt es im Sinne von Nachkommenschaft im Hebräischen nur in
der Einzahl;
In Römer11,1 widerlegt sich Paulus selbst, als er sich „einen Israeliten, aus
dem Samen Abrahams“ nennt
(Pinchas Lapide: Ist die Bibel richtig übersetzt? Gütersloher Verlagshaus GTB1415,
1986)
·
(8) (Bergpredigt, Antithesen?)
„Ich aber sage euch“ ist eine formelartige Redewendung aus der rabbinischen
Schuldialogik, die Auslegung gegen Auslegung setzt, um den gottgefälligsten
Sinn der Schrift ringt und nicht nur keine Neuerung bringen , sondern ganz im
Gegenteil zurück zum ursprünglichen, von Gott gemeinten Sinn der Thora gelangen
will;
(93f) Jesus am Kreuz: „Warum hast du mich verlassen?“ Das hebräische
Anfangswort heißt LAMA und bedeutet WOZU?, zu welchem
Zweck?; WARUM würde auf Hebräisch MADDUA heißen; in dem (zitierten) Psalm geht
es also, recht gesehen, um die Sinnfrage (Sinn,
Richtung Ziel JK), nicht um die Theodizeefrage (Warum lässt Gott das zu?)
(Pinchas Lapide: Er wandelte nicht auf dem Meer, Gütersloher Verlagshaus, GTB
1410, 1984)
·
zum GOTTES-Begriff in der Bibel:
Hiob, 1,6: Eines Tages geschah es, dass die Götterwesen (Elohim) kamen, um vor
den Ewigen (Jahwe) zu treten, da kam auch der Satan (satan) in ihre Mitte;
Gen. 22,1 erhält Abraham von Gott (elohim) den Auftrag, seinen Sohn für ein
Brandopfer zu schlachten; wenig später (Gen. 22,11f.) ist es (ein anderer?)
Gott (Jahwe), der das Opfer untersagt;
Gen.6,2: Da sahen die Gottessöhne (bene ha-elohim), wie schön die Töchter der
Menschen waren, und nahmen sich zu Frauen, welche sie wollten
(Lutherbibel 1970 dazu: Gottessöhne sind keine leiblichen Söhne Gottes, sondern
gehören zur Umgebung Gottes)
Jes.45,1: So spricht Gott (Jahwe) zu seinem Gesalbten (maschiach = griechisch:
christos; Gesalbter = Gottes- und Königssohn, Messias, Christus), zu Kyrus …
(Kyrus ist Heide!)
·
Warum beginnt die Bibel mit dem
Buchstaben Bet, dem zweiten Buchstaben des hebräischen Alefbets, und nicht mit
Alef?
Die Bibel beginnt mit Bet/B, so lautet eine der jüdischen Antworten, weil ndies
der Anfangsbuchstabe des Wortes beracha (= Segen) ist, während das Wort für
Fluch mit Alef beginnt.;
Der Mensch, männlich und weiblich erschaffen, die ganze Menschheit wird
gesegnet, nicht nur der Mann.;
(Der Sonntag, Sachsen, 27.6.2010 S.4)
·
Jüdischer Schriftsteller Tuvia Tenenbom:
Tenenbom ist begeistert vom Abstraktionsgrad der jüdischen Religion. „Wir haben
keinen Jesus, keinen Mohammed. Wir haben eine sehr schwierige Beziehung zu
Gott. Einen Gott, der uns nach Auschwitz geschickt hat, einen Gott, der „Fuck
you!“ zu uns sagt.“ Im Judentum könne man im gleichen
Augenblick Atheist und religiöser Extremist sein. „Deshalb liebe ich es. …
Er habe noch das wahre Judentum kennengelernt. Er zitiert aus dem Talmud: Als beim
Auszug der Israeliten die ägyptischen Krieger vom Meer verschlungen wurden,
hätten die Israeliten vor Freude gesungen. Gott aber sprach: Wie könnt ihr nur
singen? Auch die Ägypter sind mein Volk. Das, sagt Tenenbom, sei für ihn die
Essenz des Judentums. …
(Spiegel 20-2017 S.110)
·
·
(3) Die ältesten „Informationen“ zu
dem arabischen Propheten Mohammed sind erst in vier „biographischen Werken“ aus
dem frühen 9. und 10. Jahrhundert greifbar.
(4,8) für die ersten beiden Jahrhunderte nach dem Tod Mohammeds berichten
andere Quellen (Byzanz, Christen) nicht von einer neuen Religion der Araber;
Kirchenvater Johannes von Damaskus (gest. um 750) ordnet sie unter die
christlichen Häresien ein; er spricht als erster vom Pseudopropheten Ma(ch)med
Der Begriff mohammad kommt im Koran nur viermal vor; Jesus wird 24-mal erwähnt,
Maria 34-mal, Mose 136-mal, Aaron 20-mal;
(8) Muhammad war also ursprünglich – wie auch die Prädikate ´abdallah
(Knecht Gottes), Prophet, Gesandter, Messias – ein christologischer Titel;
(9) Die älteste datierbare Ganzschrift des Koran stammt aus dem Jahr 870
n.Chr.;
“defektiv“ geschrieben: das Arabische kennt (in den Handschriften) keine
Vokalzeichen, im Unterschied zu anderen semitischen Schriften sind aber auch
die Konsonanten nicht eindeutig; das Arabische kennt 28 Konsonanten, aber nur
sieben von ihnen werden mit eindeutigen Buchstabenzeichen geschrieben; alle
anderen sind mehrdeutig – ihre Bedeutung wird (später) festgelegt durch die so
genannten diakritischen Punkte;
(9) viele so genannte dunkle Stellen im Koran ergeben sinnvolle Aussagen, wenn
sie als mit arabischer Schrift geschriebene syrische Texte gelesen werden
(Quelle: Karl-Heiz Ohlig: Zur Entstehung und Frühgeschichte des Islam, Aus
Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, 25.6.07 S.
3ff)
·
Der starke, reine, einfache Gott
Von Jörg Lau (DIE ZEIT, 22.02.2007 Nr. 09 S.10)
...
Es ist nicht schwer, Muslim zu werden: Man spricht die Schahada, das Glaubenbekenntnis,
vor zwei muslimischen Zeugen (»Ich bezeuge, dass es keinen Gott außer Allah
gibt und dass Mohammed sein Gesandter ist«). Der Islam ist im Kern eine
einfache Religion. Gerade dies zieht viele christliche Konvertiten an:
eindeutiger Monotheismus, keine Erbsünde, keine Ambivalenz in der menschlichen
Natur. Die Schöpfung ist gut und gerechtfertigt, weil sie von Allah erschaffen
wurde. Der Koran ist das unverfälschte Wort Gottes und enthält alles, was der
Mensch zur »Rechtleitung« braucht. Mohammed war ein Mensch, wenn auch ein ganz
besonderer. Punkt. Aus.
Nicht nur Konvertiten, auch geborene Muslime schätzen die Klarheit,
Entschiedenheit und das Positive der Botschaft Mohammeds: das eindeutige
Gottesbild (statt der vertrackten Dreiecksgeschichte der Trinität), die
heroische Leitfigur des Propheten (anstelle des leidenden und zweifelnden
Christus), die klaren Unterscheidungen von Verbotenem und Erlaubtem (statt der
christlichen Dialektik der menschlichen Freiheit), die Unantastbarkeit der Schrift
(anstelle der kritischen Bibelwissenschaft). ...
Wenn man näher zusammenrückt, fällt das Unterscheidende deutlicher ins Auge.
Das ist das Paradox des interreligiösen Dialogs: Gerade dabei stößt man auf
Differenzen, die man aus der Distanz geflissentlich übersehen konnte. Bequeme
Formeln wie die vom »Glauben an den gleichen Gott« kommen nur dem leicht über
die Lippen, der noch nie in der Verlegenheit war, einem frommen Muslim zu
erklären, dass Jesus keineswegs nur irgendein Prophet, sondern »wahrer Gott und
Mensch zugleich« sei. Wer es versucht, erntet jenes mitleidige Lächeln, mit dem
die Besitzer des einzig wahren, glasklaren Monotheismus auf die bedauernswerten
christlichen »Schriftbesitzer« herabschauen, die nur eine verwässerte Form
abbekommen haben. Christen und Muslime glauben an den einen Gott, der die Welt
geschaffen hat und sie am Ende der Tage richten wird. Doch sie machen sich
sehr verschiedene Begriffe von ihm.
Der Koran ist nicht »gleichsam der Türcken Bibel«, wie es im Grimmschen
Wörterbuch heißt. Die Analogie trügt, wie kürzlich ein deutscher Politiker
erfahren musste. Er hatte seinen türkischen Kollegen gebeten, einen als
Geschenk mitgebrachten Pracht-Koran doch bitte mit einer persönlichen Widmung
zu versehen. Das ließ den Besucher erstarren: Für ihn ist der Koran mehr als
eine heilige Schrift. Er ist göttlicher Text, Gottes eigenes Wort,
»ungeschaffen« herabgesandt durch den Engel Gabriel an den Propheten. Seine
Herabsendung ist für Muslime das entscheidende Heilsereignis. ...
Mohammed widerlegte den Verdacht, Gott habe die Araber vergessen, während er
Juden und Christen Propheten und heilige Bücher geschickt hatte. Er hatte ihnen
vielmehr das »Siegel der Propheten« vorbehalten und mit ihm die endgültige
Mahnung und »Rechtleitung«. Aus Vorformen des arabischen Monotheismus schuf
Mohammed den strikten Eingottglauben. Als alleiniger Schöpfer, Bewahrer, Lenker
und Richter der Welt verlangte Allah stete Hinwendung der Gläubigen – und die
Ausrichtung ihres gesamten Lebens auf ihn.
Vier Daten begrenzen den Lebensweg des Propheten: 570, 610, 622, 632. Sie
markieren die Geburt in Mekka, die erste Offenbarung, die Auswanderung
(Hedschra) nach Medina und seinen Tod als unbestrittener Herrscher ganz
Arabiens. Wie alle Propheten brachte Mohammed durch seine Mahnung enormen
Stress in seine Gesellschaft: Der Einzelne sollte sein Leben umstellen und
nicht nur die neuen rituellen Pflichten (Glaubensbekenntnis, regelmäßiges
Gebet, Almosen, Fasten, Pilgerfahrt) erfüllen, sondern sich auch stetig prüfen,
ob er den rigorosen ethischen Anforderungen genügte, nach denen am Ende der
Tage abgerechnet werden würde. Die Stimmung in Mekka wandte sich gegen ihn,
bis er mit seinen Anhängern nach Yathrib (Medina) emigrierte. Das Verlassen des
Clans war unerhört, geradezu eine Blasphemie gegen die Werte der
Stammesgesellschaft.
Mohammed gründete eine neue Art von Gemeinschaft, einen Superclan, der sich
nicht mehr durch Abstammung, sondern durch die Hinwendung zum gemeinsamen und
einzigen Gott definierte. ...
Die Änderung der Gebetsrichtung von Jerusalem nach Mekka war die
Unabhängigkeitserklärung von den beiden anderen Monotheismen. Die Umma wandte
sich nun der Kaaba zu und demonstrierte damit den Anspruch, den ursprünglichen
Monotheismus wiederherzustellen. Die Kaaba nämlich, hieß es nun, sei das
ursprüngliche Heiligtum des Stammvaters Abraham (Ibrahim) gewesen. Die Muslime
nahmen keinen Umweg mehr über den Glauben der Juden und Christen. Sie hatten
den direkten Weg zu Gott eingeschlagen. ...
Die anstößige Frage des vom Papst zitierten byzantinischen Kaisers, was
Mohammed denn »Neues gebracht« habe, geht am Selbstverständnis des Propheten
vorbei. Der Islam zog seine revolutionäre Kraft paradoxerweise gerade daraus,
nichts Neues, sondern das unverfälschte Alte zurückgebracht zu haben. Das
Christentum feiert den Bruch, den Jesus vollzog (auch wenn er »die Schriften
erfüllt«). Der Islam aber tritt auf als eine konservative Revolution zur Wiederherstellung
der alten Religion der Menschheit. ...
Nur durch Historisierung lässt sich die universale ethische Botschaft des
Islams von den Daseinsmustern des arabischen Mittelalters lösen. Der Islam
gehört nicht mehr den Arabern. Er ist ein globales Phänomen, von Djakarta über
Neukölln bis Dearborn, Michigan. Die Theologie muss sich noch darauf
einstellen. ...
Der Prophet wurde im Rückblick auf den verklärten Anfang zum idealen Menschen,
auf dessen überlieferten Urteilen und Handlungen (Hadith) ein ausgefeiltes
Rechtssystem, die Scharia, errichtet wurde. Etwa 300 Jahre nach dem Tod des
Propheten wurden im Sunnitentum die »Tore der Interpretation« (Idschtihad)
geschlossen. Die Orthodoxie, die alles aus einer Sure oder einem Hadith
erklären kann, setzte sich historisch durch. Sie drängte Freigeister, Rationalisten
und Mystiker an den Rand. Die Rechtgläubigkeit hat zwar den Ruf nach dem
freieren »Islam des Geistes« nie ganz ersticken können, beherrscht aber den
Mainstream.
Ihren populärsten Ausdruck findet die Orthodoxie heute in dem greisen Scheich
Jussuf al-Quaradawi. Millionen sehen seine Sendung »Die Scharia und das Leben«
auf al-Dschasira. Sein Buch Erlaubtes und Verbotenes im Islam ist seit
Jahrzehnten ein Bestseller. Darin wird das ganze Leben säuberlich in halal und
haram eingeteilt: Laufsport und Ringkampf sind erlaubt (hat der Prophet selbst
gern betrieben). Backgammon ist verboten (wegen der Würfel), Schach erlaubt
(kein Glücksspiel). Statuen und Figuren mit menschlicher Proportion sind nicht
gestattet (außer Puppen für Kinder). Männern ist es verboten, Kleidung aus Seide
zu tragen (außer bei Krätze). Männliche Selbstbefriedigung ist erlaubt (wenn
Fasten nicht hilft). Ungehorsame Frauen dürfen
notfalls geschlagen werden (nicht ins Gesicht). Frauen ist das Zupfen von
Augenbrauen untersagt (erinnert an Prostituierte). Perücken und Haarteile sind
haram (weil Juden dazu neigen). Barttragen wiederum ist empfohlen (weil Juden
und Christen es nicht tun). Und immer so weiter. Intimste Dinge werden zur
Islamisierung des Alltags durchdekliniert. Immer gibt es Belege aus dem Leben
des Propheten. ...
kompletter Text: http://www.zeit.de/2007/09/Islam?page=all
·
Grundlage und Quelle der
Rechtssprechung im sunnitischen Islam bilden zwei Textquellen: Der Koran – der
als das Wort Gottes die wichtigste Grundlage bildet – und die Sunna
(„Gewohnheit“) mit der überlieferten Lebenspraxis des Propheten.;
der sunnitische Islam kennt weder eine mit der päpstlichen Kurie vergleichbare
Lehrautorität noch einen Klerus. Die religöse Autorität liegt in den Händen von
Schriftgelehrten ... bei der rechtlichen Handhabe von Problemen, die nicht in
Koran und Sunna geregelt werden, können diese Schulen, nicht nur untereinander,
sondern auch innerhalb, voneinander abweichende Rechtsauffassungen vertreten
(Aus Politik und Zeitgeschichte,
Beilage zu: Das Parlament; Heft „Islam“, 26-27/2007 S.32ff.)
·
„Jung, cool und Salafist“
Plötzlich sind diese Revolutionäre so fromm. Ein Wiedersehen in Tunis;
Zied ist ein sympathischer Schlaks, der gewinnend lacht, wenn er debattiert. Er
nennt sich Salafist. Ein mehrdeutiges Wort. In Zieds Fall bezeichnet es
jemanden, der die Regeln für das gesellschaftliche Zusammenleben zurückhaben
will, die zur Zeit und im Umkreis des Propheten
galten. Er gehört auch nicht zu denen, die so lange an der Scharia schleifen
und feilen, bis sie zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte passt. »Die
vier Körperstrafen sind Gottes Befehl«, sagt Zied. Also Todesstrafe für Mord,
Peitschenhiebe für Unzucht, Steinigung für Ehebruch, Amputation für Diebstahl.
Und als ich ihn noch anstaune, fügt er eine gewundene Erklärung an: Die Scharia
knüpfe Bedingungen an diese Strafen, und heutzutage, wo man viel mehr als
damals über die Ursachen von Verbrechen wisse, sei es praktisch unmöglich, dass
diese Bedingungen jemals erfüllt würden. Das müsse schon ein abgrundtief
schlechter Mensch sein, der ausschließlich, wirklich ausschließlich aus eigenem
Willen – und so weiter. Meinen Einwand, dass man dann ja genauso gut zur Gänze
auf diese Strafen verzichten könne, kontert Zied damit, dass sie nun einmal
göttliche Vorschrift seien.
Eine Argumentation, der ich schon mehrfach begegnet bin. Sie soll eine
überhistorische, am Wortlaut klebende Interpretation der Scharia mit den Normen
von heute vereinen. Das Problem ist bloß: Sie bleibt taktisch. Sie beseitigt
nicht das Risiko, dass körperliche Züchtigungen irgendwann doch verhängt werden
könnten. Testfrage: Ben Ali und seinen Spießgesellen, die das tunesische Volk
23 Jahre lang unterdrückt und bestohlen haben, soll man ihnen die Hände
abhacken? »Ja«, lächelt Zied.;
Neben uns sitzt Anissa, eine 26-jährige Medizinerin. Festgestecktes Kopftuch.
Steht so im Koran, behauptet sie, was der allgemeinen Lesart entspricht. Dass
just in Tunesien einige Philologen die einschlägige Sure so verstehen, dass sie
den Frauen nur vorschreibt, ihr Dekolleté zu bedecken, tut Anissa ab: »Wenn man
die Religion weiterentwickeln will, dann bitte nicht dadurch, dass man ihre
Texte deformiert. Es gibt einen anderen Weg. Die Polygamie zum Beispiel wird in
vielen Ländern nicht mehr praktiziert, obwohl sie erlaubt bleibt: Jordanien,
Palästina, Libyen, Algerien...« Wieder dieser Versuch, Unvereinbares zu
vereinen: Um der traditionalistischen Interpretation zu genügen, solle die
Polygamie erlaubt werden, aber man werde sie ja nicht praktizieren.;
Selbst Anissa, die von sich sagt, dass für sie persönlich die Polygamie nie
infrage käme, äußert Derartiges. »Die Natur ist macho«, sagt sie zum Beispiel,
das sei die notwendige Ordnung der Dinge. Auf meine Frage, inwieweit Sterne,
Bakterien oder Pflanzen »macho« seien, antwortet sie: »Beim Sex herrscht der
Mann über die Frau, das sagt doch alles.« So spricht
eine junge, gebildete Frau, die es im Disput mit dem europäischen Gast an
Selbstbewusstsein nicht fehlen lässt. Und während sie es für geboten hält, die
Polygamie zu erlauben, ist Polyandrie für die Medizinerin aus folgendem Grund
undenkbar: »Es gibt klinische Studien, die beweisen, dass Spermien von
unterschiedlichen Männern in der Gebärmutter miteinander Gifte erzeugen.« Was nicht bloß surrealistisch ist, sondern vor allem
naturalistisch – so wie einige Argumente aus der westlichen Debatte um die
Bioethik, in der angebliche Erkenntnisse der Wissenschaft herangezogen werden,
um religiös motivierte Behauptungen über, beispielsweise, den ethischen Status
von Stammzellen herzuleiten.
(Die Zeit 5.1.2012 S.50 - http://www.zeit.de/2012/02/Dschihad-Demokratie
)
zum
Verhältnis von Glaube und Naturwissenschaft
·
Vorzug der Selektionstheorie gegenüber
der theologisch-religiösen Erklärung: Anpassung, Tauglichkeit, Zweckmäßigkeit
bei Organismen kann man durch einen tüchtigen Schöpfer erklären; aber die
Fehlanpassungen, das Leid, das Aussterben nicht; sie führen nach wie vor auf
das Theodizee-Problem, auf die Frage nach der Rechtfertigung eines
allwissenden, allgütigen und allmächtigen Gottes für das Übel in der Welt.;
Holzschnitt „Was steckt dahinter (hier „Unendlichkeit“) zuerst 1888;
Philosophieren ist Denken auf Vorrat. Vielleicht kennen Sie ja Frederick, die
kleine Maus, die im Sommer keine Körner sammelt, sondern Sonnenstrahlen, Farben
und Wörter, und die ihrer Familie damit über den Winter hilft.;
(Gerhard Vollmer: Wieso können wir die Welt erkennen?, Hirzel Stuttgart 2003,
S.113, 214, 342)
·
Biologie als Naturwissenschaft
schließt gewisse Fragen einfach aus, die anderswo gestellt werden. Fragen nach
Daseinszielen, nach dem Sinn des Lebens, nach einem Weltenschöpfer oder
Weltenlenker, nach Geltungsgründen oder moralischen Rechtfertigungen werden in
der Biologie nicht nur nicht beantwortet: Sie werden gar nicht erst gestellt,
nicht einmal zugelassen. Als legitim gelten innerhalb der
Erfahrungswissenschaften nur Fragen, die Tatsachen betreffen und die im Rahmen
erfahrungswissenschaftlicher Methoden wenigstens prinzipiell Aussicht auf
Beantwortung haben.
(Gerhard Vollmer: Biophilosophie, Reclam Stuttgart, 1995, S.51)
·
In den theologischen Glaubenssätzen
gilt allein Gott als der Schöpfer aller Dinge ... Auf welche Weise,, wann und vor allem warum Gott diesen Schöpfungsakt
vollzogen hat, darüber gibt es nichts zu diskutieren, denn das Wesen Gottes und
sein göttliches Wirken entziehen sich der menschlichen Vernunft.
(Lesch/Müller: Big Bang zweiter Akt – Auf den Spuren des Lebens im All,
Bertelsmann München 2003, S.90)
·
Johann Gottlieb Fichte: Was für eine
Philosophie man wähle, hängt davon ab, was man für ein Mensch ist.
(die Familie, die Gesellschaft, in der jemand aufwächst, bietet ihm einen
religiösen und philosophischen Deutungsrahmen JK)
(bdw 12/2003 S.43)
·
Gott gibt mir keine Landkarte in die
Hand – Er reicht mir seine Hand.
(Peter Hahne)
·
Charles Darwin wurde am 26.4.1882 in
London in der Westminster Abbey beigesetzt
(K. Ferguson: Gott und die Gesetze des Universums, Econ Düsseldorf 2002, S.13f)
·
Das Leben war und ist ja die letzte
Domäne der Kirche, das sie ohne göttliches Eingreifen nicht für erklärbar hält.
Darwin hat endgültig ein traditionelles Weltbild zu Fall gebracht, denn das hat
von der Vorstellung gelebt, dass Gott ständig punktuell ins Weltgeschehen
eingegriffen hat oder noch eingreift, dass er die Welt in einem Guss und alle
Arten unveränderlich geschaffen hat ... und vor allem, dass der Mensch eine
absolute Sonderanfertigung und Spitze und Ende der kosmischen Entwicklung ist.
Wir haben mit diesem Weltbild, das sich mit dem naturwissenschaftlichen kaum
versöhnen lässt, folgende Probleme:
1. Ein Eingreifen Gottes ist nicht mehr zur Erklärung der Entwicklung des
Lebens nötig. Darwin hat damit aber nicht das Wunderbare selbst des kleinsten
Organismus in Abrede gestellt...
2. Eine wie auch immer gedachte (religiöse) Teleologie (dass also in allem ein
Ziel liegt, auf das hin Gott verborgen die Schöpfung lenkt) ist obsolet.
Evolution hat keine Richtung, lebt von try and error (Versuch und Irrtum), und
Ziel ist der optimal an die Umwelt angepasste Organismus, der sein genetisches
Erbe weiterreicht. Sie ist unberechen- und unvorhersagbar. ... ob Entwicklung
nicht ein völlig falsches Wort für diese Prozesse ist. Damit ist klar, dass es
Arten nach dem homo sapiens geben wird. Die biblische Kosmologie ist eine
andere: sie gipfelt im Menschen, der in einer Umwelt von Tieren lebt, die seit
der Sintflut unverändert sind. Im Dialog mit den biologischen Wissenschaften
müssen wir unsere eigenen Weltbilder in Frage stellen lassen.
3. Es war den Menschen unvorstellbar, dass sie Tiere sind und deren Spuren am
eigenen Körper in Rudimenten, tief sitzenden Instinkten und Verhaltensmustern
tragen ... Die grundsätzliche Nachordnung aller anderen Lebewesen ist unser
verinnerlichtes Dogma: Im Mittelpunkt steht der Mensch. Darwin hat diesem
abendländischen Anthropozentrismus den Todesstoß bereitet.
4. Der Mensch gehört also zur Naturgeschichte und ist eines ihrer Kapitel –
keinesfalls das letzte. Die Erdgeschichte ist durch zig Katastrophen gegangen.
Unendlich viele Lebewesen sind mit blinder Gewalt vernichtet worden ... Wie
verträgt sich das mit Gottes planvollem Vorherwissen und Güte?
(U. Seidel, Brief an JK 1.6.04)
·
Mit den Urteilen über fachfremdes
Wissen dringen wir unweigerlich in die Kompetenzbereiche anderer Menschen ein.
Uns gerät dabei leicht aus dem Auge, wie schnell außerhalb unseres eigenen
Gebietes unser Umgang mit dem Fachwissen anderer laienhaft sein könnte. Wir
bedienen uns für die Kommunikation mit anderen der Alltagssprache, die aber
durch unsere eigenen Denk- und Sprachgewohnheiten gefärbt ist ... wir nicht
verstanden werden können, weil der andere das Gesagte in einem anderen Kontext
sieht ... Bild vom Babylonischen Turm: Je höher das Gebäude gerät (sprich je
umfangreicher das allgemeine Wissen), desto stärker verwirrt sich die Sprache
(das gegenseitige Verstehen).;
WASSER: Für den Chemiker ist Wasser eine chemische Verbindung aus den Elementen
Wasserstoff und Sauerstoff im Atomverhältnis 2:1, das herausragende
Lösungsmitteleigenschaften hat. Im allgemeinen Alltags-Verständnis wird man an
Trinken, körperliche Hygiene, Reinigen von Wäsche denken; weiter dürften sich
Begriffe (Assoziationen) nahe legen wie Quellwasser, Wasserfall, Bach, See,
Meer, Wellen, stürmische See, Hochwasser (Flut), die für jeden von uns mit
besonderen Bedeutungen aus persönlichen, angenehmen oder unangenehmen
Erfahrungen verbunden sind; Künste zeigen einen weiteren Zugang zum Thema
„Wasser“;
der Naturbegriff, ursprünglich verstanden als erzeugendes Prinzip
(schöpferisches Prinzip) wandelte sich zum Begriff der Natur als der Menge
aller natürlich vorkommenden Dinge (statisches Prinzip); weil die christliche
Schöpfungslehre die natürlich vorkommenden Dinge als Schöpfung Gottes begriff,
gerieten die nicht in der Natur vorkommenden Dinge in einen
Rechtfertigungszwang (warum hat Gott sie nicht gewollt? Technik wurde Sünde);
wie kann Sünde auf dem Weg zur Wahrheit helfen?;
(TTN Institut, Akzente 2: Naturwissenschaften und Glaube, drei Ansprachen,
München 1995)
·
Mensch hat zwei grundlegende
Bedürfnisse:
1. zuverlässige Deutung der Welt und unseres Lebens in ihr (Übereinstimmung mit
dem besten Wissen einer Zeit, Bewährung im Kampf um Leben und Überleben,
Technik Medizin Wirtschaften gesellschaftliches Zusammenleben)
2. Suche nach Anzeichen für einen letzten Sinn oder eine letzte Bedeutsamkeit
(Woher kommen wir? In welchem Sinne ist diese Welt ein guter Ort für mich?
...);
“gemeinsame Schöpfungsgeschichte“: Umstand, dass von verschiedenen Seiten aus
an einer Erzählung gearbeitet wird, die zugleich mit den Ergebnissen der
modernen NW verträglich sein soll. Sie umfasst Big Bang Kosmologie, die
Entstehung der Erde, die Ursprünge des Lebens, das Auftauchen von DNA, die Entwicklung
von Säugetieren, Primaten und Menschen, einschließlich ihrer Kultur, sowie
schließlich die Zukunft der Erde und des Kosmos überhaupt. Diese Geschichte
wurde erstmalig von Wissenschaftlern erzählt, wohingegen in früheren Zeiten
Philosophen, Dichter und Theologen dafür zuständig gewesen waren.;
Varianten:
A) sakrale Überhöhung der Natur; (neues Welt-Bild erscheint so beeindruckend
und faszinierend, dass es das Bedürfnis nach Religion vollauf befriedigt)
B) wissenschaftliches Äquivalent zur Religion (Frank Tipler: Die Physik der
Unsterblichkeit; will für metaphysische und theologische Überzeugungen
wissenschaftliche Äquivalente finden; aus Allgemeiner Relativitätstheorie,
theoretischer Teilchenphysik und Informatik wird Nachweis abgeleitet, dass die
Existenz eines liebenden Gottes sowie die allgemeine Totenauferstehung möglich
und wahrscheinlich seine; „Die Schlüsselbegriffe der
jüdisch-christlich-islamischen Tradition haben sich damit als wissenschaftliche
Begriffe herausgestellt. Aus physikalischer Sicht ist die Theologie nichts
anderes als eine physikalische Kosmologie, die in der Voraussetzung gründet,
dass das Leben insgesamt unsterblich ist.“; ethische Fragestellung kommt bei T.
so gut wie nicht vor)
C)
D) wissenschaftliche Kosmologie als Horizont des religiösen Glaubens (Kosmos
als „Körper Gottes“; Verbundenheit, Solidarität; Verzicht auf die Annahme eines
allmächtigen Gottes, Gott als den denken, „der eine Schöpfung hervorruft, die
der Liebe Gottes entgegenzukommen vermag“; creatio appellata – antwortende
Schöpfung;
Die eindeutige Botschaft der Naturwissenschaften ist, dass wir mit der Natur
verwandt sind; Wir erkennen, dass die Natur eine Geschichte hat und dass wir
dieser Geschichte sowohl die Tatsache als auch die Form unserer gegenwärtigen
Existenz verdanken; innere Verwandtschaft (durch gemeinsame Abstammung) und
ökologische Beziehungen zur übrigen Natur;
Im Gegensatz zu anderen Geschöpfen wird den Menschen nicht unzweifelhaft
mitgeteilt (GENE JK), nach welchen Gesetzen sie leben müssen – sie müssen ihre
Gesetze erst selbst entdecken;
Stierkampf als Interaktionsritual: Der Matador besiegt den Bullen, das Symbol
der Natur, nicht. Vielmehr stellt er in ritueller Form dar, dass die Menschen,
um zu leben, die Natur immer töten, und dass sie das nicht als sichere Gewinner
tun, sondern vielmehr als selbst verletzliche Kreaturen, die genauso oft selbst
dazu bestimmt sind, verkrüppelt oder getötet zu werden, (je) wie das Ritual
seinen Lauf nimmt.;
Naturauffassungen radikal gewendet und schwieriger:
1: unfassbare Ausdehnung des Kosmos in Zeit und Raum
2: Dimensionen im Kleinen (Materie besteht hauptsächlich aus leerem Raum;
Materie einmal Teilchen, ein andermal Welle; ...)
3: die ganze Natur kann innerhalb einer einzigen Evolutionstheorie
interpretiert werden,; wir sind gänzlich Geschöpfe der Natur
4: Die Natur ist zu Überraschungen und unvorhersagbar Neuem fähig; gegenüber
den Möglichkeiten, die bereits verwirklicht worden sind, verblassen ältere
Vorstellungen von Transzendenz;
wir werden uns verstehen als einen Teil der Versuche der Natur, herauszufinden,
was aus ihr werden kann;
Menschen oftmals denken, dass sie die Natur transzendieren; in Wirklichkeit
sind Menschen voll und ganz, einschließlich ihrer Kultur, Teil der Natur; wenn
es einen Prozess wie Transzendieren gibt, dann ist die Natur selbst sowohl das
Subjekt als auch das Objekt dieses Prozesses;
(TTN Institut, Akzente 3: Hefner P: Natur-Weltbild-Religion, München 1995)
·
„Glaube und Vernunft (Fides et ratio)
sind wie die beiden Flügel, mit denen sich der menschliche Geist zur
Betrachtung der Wahrheit erhebt.“;
Wer bin ich? Woher komme ich und wo gehe ich hin? Warum gibt es das Böse? Was
wird nach diesem Leben sein? Hat das Leben einen Sinn? Wohin führt es?;
die erste absolut sichere Wahrheit unserer Existenz außer der Tatsache, dass
wir überhaupt da sind, ist die Unvermeidbarkeit unseres Todes;
Anthropologie, Logik, Naturwissenschaften, Geschichte, Sprache;
Literatur, Musik, Malerei, Bildhauerei, Architektur;;
Man kann den Menschen als den definieren, der nach der Wahrheit sucht.
Jeder Mensch ist auf eine gewisse Art ein Philosoph und besitzt seine
philosophischen Auffassungen, nach denen er sein Leben ausrichtet. Er bildet
sich auf die eine oder andere Weise eine Gesamtanschauung und eine Antwort auf
die Frage nach dem Sinn seines Daseins: In diesem Licht deutet er sein
persönliches Schicksal und regelt sein Verhalten. ... Er findet sich von Geburt
an in verschiedene Traditionen eingebunden, von denen er ... vielfältige
Wahrheiten empfängt, denen er gleichsam instinktiv glaubt. Persönliches
Wachstum und Reifung bringen es jedoch mit sich, dass diese Wahrheiten durch
den besonderen Einsatz des kritischen Denkens (und durch eigene Erfahrungen JK)
in Zweifel gezogen und überprüft werden können ... sind im Leben eines Menschen
die einfachhin geglaubten Wahrheiten viel zahlreicher als jene, die er durch
persönliche Überzeugung erwirbt ... Wer könnte die Erfahrungs- und Denkwege
wiederholen, auf denen sich die Schätze der Menschheit an (Wissenschaft,) Weisheit
und Religiosität angesammelt haben? Der Mensch, ein Wesen, das nach Wahrheit
sucht, ist also auch derjenige, der vom Glauben lebt.;
(es gibt faktisch) von der Offenbarung des Evangeliums völlig unabhängige
Philosophie: Gemeint ist die Philosophie. wie sie geschichtlich in den der
Geburt des Erlösers vorausgehenden Epochen und in den von Evangelium noch nicht
erreichten Regionen Gestalt angenommen hat. ... dieses Bestreben unterstützen
und stärken (Suche nach Wahrheit)
(Fides et ratio, Enzyklika von Papst Johannes Paul II. vom 14.9.1998, Bonn,
S.5,29,32,76)
·
In der Regel stützt sich die NW auf
ihre grundlegenden Annahmen, und sie muss nur nachweisen, dass alles andere
logisch aus diesen folgt. Nur selten wird von ihr verlangt, diese grundlegenden
Annahmen zu verteidigen. Der Religion gestattet man gewöhnlich nicht einmal,
sich nur auf ihr grundlegendstes Prinzip – dass es einen Gott gibt – zu stützen ....
(Kitty Ferguson: Gott und die Gesetze des Universums, Econ Düsseldorf 2002,
S.392)
·
Charles Darwin: „Die Entstehung des
Lebens ist das Geheimnis aller Geheimnisse“
(Dürr HP u.a.: Gott, der Mensch und die Wissenschaft, Augsburg 1997, S.62)
·
zwar würfelt Gott, aber er hält sich
an die erwürfelten Gesetze, kein kosmischer Geist hätte voraussehen können,
dass die Erde so viel Wasser, das Leben Wirbeltiere, und Albrecht Dürer
Selbstbildnisse bilden würden, und zwar deshalb, weil Leben, auch in Spuren, in
keinem Atom vorkommt und Denken in keiner (einzelnen) Nervenzelle
(Rupert Riedl: Zufall, Chaos, Sinn; Kreuz Stuttgart 2000, S.176)
·
Naturwissenschaft muss arbeiten, als
ob es Gott nicht gäbe.:
Mit Glaube ist ein Vorverständnis der Wirklichkeit gemeint, das nötig ist, um
eine bestimmte Dimension der Wirklichkeit überhaupt wahrzunehmen. Der Glaube
wirkt damit wie ein „Sinnesorgan“ für Gotteserfahrungen im täglichen Leben.:
religiöse Erfahrungen sind in Bildern mitteilbar;
Schöpfungsgeschichten wollen Werte vermitteln;
Gott erscheint (im Schöpfungshandeln) wie ein Künstler, von dem ein Laie nicht
wissen will, mit welchen Techniken er ein Werk geschaffen hat, sondern fragt,
was es ihm persönlich bedeutet;
Glaube: Orientierungswissen; Subjekt steht mittendrin (eingebunden, gemeint);
Erfahrungen, partizipatorische Ebene
Naturwissenschaft: Verfügungswissen, distanzierter Beobachter, Subjekt
ausgeblendet, beobachten, messen
(Benz: Die Zukunft des Universums, Düsseldorf 1997)
·
Astronom Tammann findet die Idee von
unendlich vielen Universen kaum überzeugend. „Das ist doch nicht weniger
spekulativ als die Annahme eines Schöpfergottes – in beiden Fällen wird einfach
nur ein Joker ins Spiel gebracht, der mit Wissenschaft nichts zu tun hat“. T.
hält deshalb einen Schöpfergott für mindestens ebenso plausibel wie alle
übrigen, streng naturwissenschaftlichen Erklärungen für die Entstehung der
Welt: „Wer klar bei Verstand ist, kann die Möglichkeit eines Schöpfers nicht
ernsthaft ausschließen.“;
Dorschner (Jena): „Es hat wirklich den Anschein, als ob wir von Anfang an
eingeplant gewesen wären“, so beschreibt er das in der Fachwelt derzeit heftig
diskutierte „anthropische Prinzip“.;
In der neuen spirituellen Offenheit, mit der die Physiker eine göttliche Kraft
in ihrem Universum dulden, kommt allerdings zugleich zum Ausdruck, wie weit
dieser Gottesbegriff von dem der Kirche entfernt ist: Von der Vorstellung eines
religionsstiftenden Übervaters, der auch noch die Gesetze des menschlichen
Handelns erlässt, ist darin nichts mehr übrig – und über einen Gott in der
Rolle des bloßen Uhrmachers und Maschinenmeisters lässt sich ganz unverfänglich
spekulieren. Bis auf wenige Ausnahmen gestehen selbst die der Religion
aufgeschlossenen Physiker oder Biologen einem Gott nur eine bescheidene,
zeitlich befristete Rolle auf der Himmelsbühne zu. Spätestens nachdem er die
Welt und die Naturgesetze erschaffen hatte, darin sind sich fast alle Forscher
einig, begab sich der Schöpfer erschöpft zur Ruh. „Gott ist der, der etwas sich
selbst Organisierendes geschaffen hat – er war schlau genug, so zu planen, dass
er nicht eingreifen muss“ (so der Basler Genetiker und Nobelpreisträger Werner
Arber).
Ein solches Gottesbild hatte schon das Jahrhundertgenie Albert Einstein. Er
bekam im April 1921 ein Telegramm des New Yorker Rabbis Herbert Goldstein:
„Glauben sie an Gott? Stop. Bezahlte Antwort: 50 Worte“. Der sparsame Einstein
telegrafierte nur 29 Wörter zurück: „ Ich glaube an Spinozas Gott, der sich in
der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart, nicht an einen Gott, der sich
mit dem Schicksal und den Handlungen der Menschen abgibt“.
Spinoza: „Deus sive natura“ – die Natur mit ihren nach strikten Gesetzen
waltenden Kräften ist Gott.
(Spiegel 52/1998 S.166ff)
·
amerikanischer Astrophysiker George
Smoot: „Wenn man religiös ist, wirkt das, als ob man Gott zuschaut“.
(bdw 9/1992 S.60)
·
Arno A. Penzias, Nobelpreis für „Echo
des Urknalls“ (Entdeckung der Hintergrundstrahlung): „Welches Buch hat sie
besonders beeindruckt: Die Bibel“
(bdw 5/1992 S.119)
·
religiöse Überzeugungen von
US-Wissenschaftlern:
Existiert ein persönlicher Gott? 1916 JA 41,8% Nein 41,5% 1996 Ja 39,3% Nein
45,3%;
Steven Hawking: „Auch wenn nur eine einheitliche Theorie möglich wäre, so wäre
sie doch nur ein System von Regeln und Gleichungen. Wer bläst den Gleichungen
Odem ein und erschafft ihnen ein Universum, das sie beschreiben können?“;
Dass das Universum existiert und für uns verständlich ist, das ist eine
erstaunliche Tatsache. Wissenschaft kann sie nicht erklären, sondern muss sie
voraussetzen.;
Rätsel der Ordnung: die Einfachheit der Naturgesetze und die Regelmäßigkeit der
Naturvorgänge;
George Coyne (Jesuiten-Priester, Astronom und Direktor des Vatican
Observatory): „Die Schöpfungsgeschichte ist kein Lehrbuch. Sie sagt uns nicht,
wie der Himmel funktioniert, sondern wie wir dort hinkommen.“;
Physik-Nobelpreisträger Charles Townes (gläubiger Kirchgänger): „Wissenschaft
will den Mechanismus des Universums herausfinden, Religion seine Bedeutung.“;
Joel Primack (University of California, jüdischer Glaube): „Wissenschaft
fasziniert und beschäftigt mich. Aber Religion hilft mir, ein gutes Leben zu
führen.“;
Steven Weinberg (Nobelpreisträger Physik): „Es gibt keinen Beweis für Gott.“
„ich musste zuschauen, wie meine Mutter unter Schmerzen an Krebs starb, die
Persönlichkeit meines Vaters durch die Alzheimer-Krankheit zerfiel und
zahlreiche entferntere Verwandte im Holocaust ermordet wurden. Die Anzeichen
eines gütigen Schöpfers sind ziemlich versteckt ... dass es keine Anzeichen von
Güte gibt, die die Handschrift eines Schöpfers zeigen ... der Beitrag der
Religion in der Geschichte war, es guten Menschen zu erlauben, Böses zu tun.“
(bdw 12/1999 S. 42ff)
·
Schöpfung muss nicht unbedingt mit dem
Anfang der Zeit zusammenfallen; Existenz ist auch ohne Veränderung denkbar
(Zeit ist aber an Veränderung geknüpft);
die Vorstellung einer göttlichen Schöpfung als Erschaffung des Universums
sollte nicht als zeitliches Geschehen, sondern als zeitlose Verursachung
gedacht werden;
dafür, dass das NICHTS (am Anfang) der Normalzustand ist, lässt sich der
physikalischen Kosmologie nicht entnehmen – sie bezieht sich immer auf
Existierendes
(Audretsch/Weder: Kosmologie und Kreativität, Forum Theol. Literaturzeitung,
1999)
·
Unter noch nie dagewesenen Umständen
ist es durchaus denkbar, dass Gott in ganz neuer und unerwarteter Weise handeln
wird. So versuche ich Aussagen über göttliche Wunder zu verstehen, einem Thema,
das ... für einen christlichen Theologen aufgrund der axiomatischen Bedeutung
der Auferstehung Christi von zentraler Bedeutung ist.;
Wenn das physikalische Universum wahrhaft im Werden ist, seine Zukunft jetzt
noch nicht existiert, noch nicht einmal geformt ist, und wenn Gott die Welt in
ihrer Zeitlichkeit kennt, dann scheint es mir, dass auch Gott jetzt noch nicht
die Zukunft kennen kann. ... Gott hat seine Allwissenheit selbst begrenzt,
indem er eine offene Welt im Werden schuf.
Der Gott der atemporalen Sicht kennt die ganze Geschichte und interagiert mit
ihr in einer vereinheitlichten, wenn auch mysteriösen Weise. Der Gott des
zeitlichen Prozesses kennt jetzt noch nicht die sich entfaltende Zukunft und
interagiert mit der Geschichte, während sie sich entfaltet. ... Der eine ist
der Komponist der ganzen kosmischen Partitur, der andere der Künstler, der die
ganze kosmische Aufführung improvisiert. Es ist klar, dass der Gott des
zeitlichen Prozesses in seiner Beziehung zur Schöpfung verletzlicher ist als
der atemporale Gott des klassischen Theismus. Die Kehrseite dessen ist aber,
dass der atemporale Gott angesichts der Theodizeefrage vor viel größeren
Problemen steht, als es der Gott der Zeitlichkeit tut. Die Disharmonien sind im
ersten Fall der Partitur einfach eingezeichnet. Sie entstehen nicht aus den
möglichen Zusammenstößen eines kontingenten Prozesses.
zwei theologische Ansätze:
A) Atemporalität, primäre Kausalität, göttliche Leidensunfähigkeit,, Tendenz in
Richtung Determinismus, Betonung der göttlichen Kontrolle
B) Zeitlichkeit, von oben nach unten wirkende Kausalität, göttliche
Verletzbarkeit, Tendenz zur Offenheit, Wiederentdeckung von kreatürlichen
Selbstorganisationsprozessen
(John Polkinghorne: An Gott glauben im Zeitalter der Naturwissenschaften,
Gütersloh 2000, S. 75)
·
Gott nur am Anfang (Urknall)? sagt die
Quantenphysik, dass die Schöpfung nicht nur am Anfang stattfindet, sondern die
ganze Entwicklung der Welt eigentlich aus fortwährenden Schöpfungsakten
besteht, andauernd entsteht und vergeht etwas; Elektronen z.B. entstehen
unberechenbar und spontan, Potenzialität verwandelt sich in Realität;
Formen der Naturerfahrung: naturwissenschaftlich, religiös, ästhetisch;
Jenseitsvorstellungen und Glaube nur Illusionen, mit denen einfallsreiche
Evolution uns den Gedanken an die eigene Sterblichkeit erleichtern will ...
Dagegen: ein Mann und eine Frau lieben sich und zeugen ein Kind – nur
evolutionär wichtig (Fortpflanzungserfolg)? vielleicht beides richtig: sie
lieben sich UND die Gattung wird fortgepflanzt;
CFv Weizsäcker nannte einmal das „Vertrauen auf die Naturwissenschaft ... die
einzige universale Religion unserer Zeit“;
wenn Physiker von Gott reden, meinen sie meistens nicht den geschichtlich
handelnden Gott der jüdisch-christlichen Offenbarung, sondern ein
pantheistisches Weltprinzip. Max Planck zum Beispiel identifiziert
schlechterdings „die Weltordnung der Naturwissenschaft und den Gott der
Religion“
(Dürr HP u.a.: Gott, der Mensch und die Wissenschaft, Augsburg 1997, S.15,
32,130,182)
·
Physiker: Ich würde gern wissen, ob es
andere intelligente Wesen im All gibt und in welcher Form sie existieren. Ist
Gott ein Mathematiker? Werden Mathematik und Naturgesetze entdeckt oder
erfunden?
wir müssen den Sinn unserer Existenz in unsrem eigenen Leben finden, das
Universum kann ihn nicht für uns schaffen
(bdw 4/2002 S.49)
·
Ernst Haeckel bekannte sich zu einem
Monismus, der statt des Dualismus von Geist und Materie die grundsätzliche
Einheit beider propagierte, und zwar eine strikt materialistische. Keine
Materie existiere ohne Geist, kein Geist ohne Materie, „sondern nur Eins, das
Beides zugleich sei“. Einen übernatürlichen personifizierten Schöpfer lehnte er
ab. „Für Haeckel ist Gott identisch mit dem allgemeinen Naturgesetz und der
Natur selbst“, schreibt seine Biografin Erika Krauße H. war „der Ansicht, dass
aus seiner monistischen Naturphilosophie eine monistische Naturreligion
hervorgehen könnte, die mit den modernen Erkenntnissen der Naturwissenschaften
übereinstimme.“;
1866 trafen H. und Darwin in London zusammen, D. war hocherfreut über die
Verbreitung, die H. seiner Theorie in Deutschland verschafft hatte, wunderte
sich allerdings über die Rigorosität, mit der H. sie vertrat.; 1879 Debatte
über H. im Preußischen Abgeordnetenhaus, Ergebnis: Verbot nicht nur seiner,
sondern auch Darwins Schriften an den Schulen Preußens
(GEO 12/1996 S.140ff)
·
Botschaft von Papst JPII an die
Mitglieder der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, Papst hat die auf
Darwin zurückgehende Evolutionstheorie als mit dem christlichen Glauben
vereinbar anerkannt, „Neue Erkenntnisse führen zu der Feststellung, dass die
Evolutionstheorie mehr als eine Hypothese ist“, wandte sich gegen eine
„materialistische Lesart“ der Theorie über die Entstehung der Menschheit –
Ansätze, die den Geist oder die Seele als Produkte der Materie betrachten,
seien „mit der Wahrheit unvereinbar“
(taz 25.10.96)
·
Die „intelligent design – Theorie“ ist
Kreationismus unter einem wissenschaftlichen Deckmantel.
Statt Gott beim Namen zu nennen, räsonieren sie in ihren Papieren wolkig über
Design.
USA: Trennung Schule und Religion – über die (scheinbar wissenschaftliche
Argumentation unter Vermeidung biblischer Vokabeln durch die Hintertür Zugang
in die Schulen)
Buch Scherer/Junker: Evolution – ein kritisches Lehrbuch, erhielt 2002 den
„Deutschen Schulbuchpreis“, klingt nach offizieller Auszeichnung, Preis wird
vergeben vom Verein Lernen für die Deutsche und Europäische Zukunft, hat sich
zur Aufgabe gemacht, Evolutionskritik in deutsche Schulstuben zu tragen und
Bücher auszuzeichnen, „die den Schülern die Ehrfurcht vor Gott vermitteln“,
(Die Zeit 30.4.2003 S.29)
·
Italiens Bildungsministerin: an
staatlichen Grund- und Mittelschulen darf nur noch das biblische
Schöpfungsmodell unterrichtet werden,
1991 entschied das oberste US-Gericht, dass der Glaube an einen Schöpfer, der
die Welt erschuf und ihren weiteren Verlauf lenkt, nicht Grundlage des
wissenschaftlichen Unterrichts sein dürfe,
Italien II: Bildungsministerin entschied: Missverständnis, eine Kommission
solle dafür sorgen, dass schon von der ersten Klasse an die Evolutionslehre
Thema des Unterrichts sein kann
(taz 23.4.04, 5.5.04)
·
Artikel von George Coyne, Leiter des
Observatoriums im Vatikan:
Brauchen wir Gott, um das Universum zu erklären? Meine persönliche Antwort
lautet: Ganz und gar nicht. Ich brauche Gott nicht. Vielen Dank, aber ich komme
beim Versuch, das Universum zu begreifen, ganz gut zurecht, indem ich meine
Fähigkeit benutze, das Universum in meinen Kopf zu stecken. Ach übrigens, ich
glaube durchaus, dass mir diese Fähigkeit von Gott gegeben wurde.;
Sterne werden geboren und sterben. Und wenn dieser Prozess nicht stattfände,
wäre keiner von uns hier. Damit die chemischen Elemente entstehen, aus denen
der menschliche Körper aufgebaut ist, sind drei Sternengenerationen nötig.;
wir wissen heute, dass es in unserer Galaxie 100 Milliarden Sterne gibt und sie
einen Durchmesser von 100.000 Lichtjahren hat, ich kann diese Werte mit derselben
Gewissheit angeben, wie ich meine Körpergröße kenne (Anwendung der Gesetze der
Physik, der Chemie...);
wir sehen die Dinge niemals so, wie sie sind;
ein weiteres Schlüsselereignis: nach 11 Mrd. Jahren entstanden im heute 15 Mrd.
Jahre alten Universum die ersten mikroskopisch kleinen Formen von Leben. Und
wie kommen wir Menschen in dieses sich entwickelnde Universum? ... es wäre
wissenschaftlich absurd zu bestreiten, dass das menschliche Gehirn nichts
anderes ist als das Ergebnis eines Prozesses zunehmender chemischer Komplexität
in einem sich immer weiterentwickelnden Universum;
Sind wir .. durch Zufall entstanden oder aus Notwendigkeit? Als erstes muss man
sagen, dass das Problem nicht korrekt formuliert ist. Es ist nicht einfach eine
Frage von Zufall ODER Notwendigkeit, denn zunächst einmal ist es beides. Des
Weiteren gibt es eine dritte Komponente, die sehr wichtig ist. Ich nenne sie
„Gelegenheit“. Das Universum schafft so viele Gelegenheiten für den Erfolg
sowohl zufälliger als auch notwendiger Prozesse, dass wir diese Eigenschaft der
Welt mit berücksichtigen müssen ...Das Universum spielt seit 15 Mrd. Jahren
Lotterie. In diesen langen Zeiträumen haben auch „sehr unwahrscheinliche“
Prozesse eine statistisch berechenbare Chance, zu passieren.... es zur
Einengung des evolutionären Prozesses kommt (Vorhandenes legt weitere
Entwicklung fest, nicht mehr alles ist möglich);
Wir brauchen Gott nicht, um das Universum zu erklären, so wie wir es heute
sehen... Und wenn Gott uns doch etwas über sich selber sagen will, dann tut er
das durch seine Schöpfung;
Wenn wir die Ergebnisse der modernen Wissenschaft ernst nehmen, fällt es schwer
zu glauben, dass Gott allmächtig und allwissend ist im Sinne der scholastischen
Philosophen. Die Wissenschaft erzählt uns von einem Gott, der sehr anders sein
muss als der Gott, den mittelalterliche Philosophen und Theologen sahen. Könnte
Gott zB nach einer Mrd. Jahren ... vorhergesagt haben, dass menschliches Leben
entstehen würde? ... selbst wenn Gott im Besitz der „Universaltheorie“ wäre,
alle Gesetze der Physik, alle Elementarkräfte kennen würde ... dass es neben
deterministischen Vorgängen auch Zufallsprozesse gibt, .... dann sieht es so
aus, als könnte Gott selbst das Endergebnis nicht mit Sicherheit kennen. Gott
kann nicht wissen, was nicht gewusst werden kann. Das ist keine Einschränkung
Gottes. Ganz im Gegenteil. Es offenbart uns einen Gott, der ein Universum
erschaffen hat, dem eine gewissen Dynamik innewohnt und das somit am
Schöpfungsakt Gottes teilnimmt ... müssen Gläubige Abstand nehmen von der
Vorstellung eines diktatorischen Gottes, eines Newtonschen Gottes, der das
Universum als Uhrwerk erschaffen hat, das regelmäßig weitertickt. Vielleicht
sollte man Gott eher als ein Elternteil sehen. Die Heilige Schrift ist erfüllt
von diesem Gedanken. Sie stellt sogar – vermenschlichend – einen Gott dar, der
zornig wird, der maßregelt, einen Gott, der das Universum hegt und pflegt.
Theologen haben den Begriff von Gottes fortwährender Schöpfung geprägt. ...
Gott arbeitet mit dem Universum. Das Universum hat eine gewisse eigene
Vitalität, genauso wie ein Kind. Man erzieht ein Kind, aber man versucht die
eigenständige Persönlichkeit des Kindes zu erhalten und zu bereichern ...
Eltern müssen einem Kind erlauben, erwachsen zu werden, so weit zu kommen, dass
es seine eigenen Entscheidungen trifft, seinen eigenen Weg ins Leben geht. Das
ist die Art und Weise, wie Gott mit dem Universum umgeht. das sind sehr
schwache Bilder, aber wie sollten wir sonst über Gott reden? ... Für
diejenigen, die glauben, sagt uns die moderne Naturwissenschaft etwas über
Gott. Sie ist eine Herausforderung, eine bereichernde Herausforderung, für den
traditionellen Gottesglauben.
(Spiegel 52/2000 S.118ff)
·
„Wo geh ich jetzt wohl hin?“, fragte
sich mein Vater, als er starb. „Wo bin ich gewesen, bevor ich zu dir gekommen
bin?“, fragt mich meine kleine Tochter heute.;
Jeder braucht, um ein Mensch zu sein, so ein Deutungsmuster von dem, was
richtig ist und was falsch. Dafür hat er seine Vernunft. Meine Software ist der
christliche Glaube. Er dient mir als Programm, mit dem ich alles ... deuten
kann, was mich betrifft.;
Das Mathematik- und Physikgenie Blaise Pascal, das im 17. Jahrhundert lebte,
wettete mit einem Freund, ob es Gott gebe oder nicht. Der Freund wettete, es gebe
keinen: „Was bekomme ich, wenn ich gewinne?“, fragte er. „Nichts“, antwortete
Pascal, „du magst dann zwar Recht haben, aber du hast trotzdem verloren. Und
ich auch. Wenn es keinen Gott gibt, ist das Leben sinnlos und leer.“ – „Und
wenn du gewinnst?“, fragte der Freund. „Dann haben wir beide gewonnen“, sagte
Pascal. Das meinte der Freund, beantworte aber nicht die Frage nach der
Existenz Gottes. „Stimmt“, sagte Pascal, „aber es macht klar, dass du dich
entscheiden musst und dass die Entscheidung für dein Leben Folgen hat: Du musst
zwischen zwei Antworten wählen, die mit gleicher Wahrscheinlichkeit richtig
sind. Die eine Antwort hat gute Folgen, die andere schreckliche. Wie kannst du
da zögern?“ Der Freund fragte: „Und wenn ich mich irre?“ – „Macht nichts“,
versetzte Pascal, „dann hast du eine schöne Illusion gehabt. Andernfalls
hättest du das Nichts gewählt. Das macht nicht glücklich.“ Der Freund fragte:
„Ich muss also an Gott glauben?“ – „Du musst nicht“, antwortete Pascal, „aber
es ist deine einzige Chance.“;
Der Individualismus hat auf die Religion übergegriffen. Jeder bastelt sich
privat sein Ding, nach dem religiösen Lustprinzip, und wenn Probleme
auftauchen, trennt man sich halt, vom Partner wie vom jeweiligen Glauben. ...
ein bisschen zu bequem ... Viele Linke sagen ja auch: Der Sozialismus ist eine
wunderbare Idee, sie wurde lediglich schlecht ausgeführt. Das ist in etwa der
gleiche Gedanke. Die Theorie kann gerettet werden, indem man so tut, als habe
sie mit der Praxis wenig zu tun.
(Die Zeit 22.12.04 S.49)
·
Es gibt Fragen, die nicht nach
Tatsachen, sondern nach Werten und Zielen fragen: Wie soll ich mein Leben
führen? Wie erziehe ich meine Kinder? Warum bin ich manchmal so fröhlich?;
es gibt Dinge, über die sich Menschen einigen können, und es gibt Dinge, die
Menschen etwas bedeuten. Tatsächlich leben Menschen in zwei unterschiedlichen
Welten, zwischen denen sie mühelos wechseln können. In der einen Welt sichten
sie Fakten und sammeln Daten,.. in der anderen Welt
lieben und leiden sie; in der einen Welt treiben die Menschen Wissenschaft, und
in der anderen Welt spielen sie Flöte... Wissenschaften haben nur in der einen
Sphäre etwas zu sagen, und diese ist nicht unbedingt die spannendere;
Bilder: picture (etwa Photographie) und image (Gemälde);;
informatio = Ein-Bildung;
(EP Fischer: Die andere Bildung – was man von den Naturwissenschaften wissen
sollte, Ullstein 2003, S.19,23)
·
Leugnen rational erklärbarer Tatsachen
zugunsten einer getrennten Schöpfung der Arten ... sie würdigt die Werke Gottes
zu Trug und Täuschung herab ... mit den alten unwissenden Kosmogonisten
annehmen, dass die fossilen Muscheln nie Leben bargen, sondern im Stein
erschaffen wurden ...(176)
Ich sehe keinen vernünftigen Grund, warum die in diesem Werke entwickelten
Ansichten irgendwie religiöse Gefühle verletzen sollten. ... Ein berühmter
geistlicher Schriftsteller schrieb mir, er habe „allmählich einsehen gelernt,
dass es ebenso erhaben sei, von der Gottheit zu glauben, sie habe nur wenige
der Fortentwicklung zu anderen fähige Ursprungstypen erschaffen, als
anzunehmen, sie habe immer neue Schöpfungsakte ins Werk setzen müssen, um die
durch die Wirkung ihrer Gesetze verursachten Lücken auszufüllen.“ (529)
Unsere Klassifikation wird soweit wie möglich eine genealogische werden und
dann in Wahrheit einen wirklichen sogenannten „Schöpfungsplan“ (plan of
creation) darstellen werden könnte (535)
(Charles Darwin: Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl, Reclam
Leipzig 1980; zum Vergleich engl. Ausgabe)
·
„Ich erweise Gott meinen unendlichen
Dank, weil er mich allein als ersten Beobachter bewunderungswürdiger Dinge
ausersehen hat, die den bisherigen Jahrhunderten verborgen geblieben waren.“
(Galileo Galilei in einem Brief vom 30.1.1610)
(Wort und Wissen, info 2/01 S.5)
·
Peacocke: So nötige uns etwa die Rolle
des „Zufalls“ in der Schöpfung zur Einsicht, dass Gott „sich selbst bei der
Schöpfung Beschränkungen auferlegt“ und somit „eine „sich selbst begrenzende“
Allmacht und Allwissenheit besitzt“. So hat er „weder eine alles andere beherrschende
Macht über das Weltgeschehen noch vollkommenes Wissen über zukünftige
Ereignisse“. Dass Gott „ein Risiko eingeht“ und seine „Ziele aufs Spiel setzt“,
wenn er sich für die Offenheit der natürlichen Systeme und die Freiheit des
Menschen in seiner Schöpfung entscheidet, ist Peacockes Interpretation der
traditionellen Lehren von der Kenosis, der Selbstentäußerung und Selbsthingabe
Gottes. Und das Leiden Gottes versteht er so, dass Gott in den natürlichen
Prozessen immanent wird und in, mit und unter den schöpferischen Prozessen der
Welt und ihrer offenen Entfaltung in der Zeit leidet.;
Erklärung durch Gottes Wirken durch Chaosprozesse (bei Polkinghorne), „kausale
Fuge“ in Gottes Handeln, wie früher bei Pascual Jordan (Erklärung durch
Quantenprozesse) – neue Version eines Lückenbüßergottes?;
(S.M. Daecke, Zeitzeichen 1/2002 S.14)
·
Innerhalb der Naturwissenschaft kann
keine Entscheidung darüber gefällt werden, ob ein Schöpfer existiert oder nicht
(29)
(Deutsches Inst. f. Fernstudien Uni Tübingen, Fernstudium Naturwissenschaften,
Evolution der Pflanzen- und Tierwelt, 3. Theoretische Grundlagen, 1986)
·
Datierungsmethoden der Geologie:
beruhen auf der Annahme, dass die Naturgesetze, die heute wirksam sind, auch
schon vor Zeiten wirksam waren. Das Prinzip wird als Aktualismus oder
Aktualitätsprinzip bezeichnet... für uns ist dieses Prinzip heute
selbstverständlich ... Es ist aber nicht beweisbar.
Der Aktualismus ist ein Axiom, d.h. ein Satz, der zwar als unmittelbar
einsichtig gilt, aber nicht beweisbar ist.
(Schrödel Biologie Lehrbuch 1995, S.438)
·
Viele Jahre hindurch habe ich Notizen
gesammelt über den Ursprung oder die Abstammung des Menschen, ohne Absicht,
über diesen Gegenstand etwas zu veröffentlichen; ich wollte dies entschieden
vermeiden, denn ich glaubte, es könnte nur die Vorurteile vermehren, welche
meinen Ansichten entgegengestellt wurden.;
... so habe ich doch wenigstens, ich hoffe es, ein gutes Werk verrichtet, indem
ich dazu beigetragen habe, das Dogma der besonderen Schöpfungsakte zu stürzen;
... veredelnder Glaube an die Existenz eines allmächtigen Gottes ...;
die höhere Frage, ob ein Schöpfer und Weltenlenker existiere; diese ist von
vielen der größten Geister, die je auf Erden waren, zustimmend beantwortet
worden;
... erkennen wir (die Menschen JK) mit unserem heutigen Wissen annähernd unsere
Verwandtschaft. Wir brauchen uns ihrer nicht zu schämen. Der geringste
Organismus ist etwas viel Höheres als der unorganische Staub unter unseren
Füßen; und niemand, der vorurteilsfreien Geistes ist, kann irgend ein lebendes
Wesen studieren, ohne durch dessen wundervolle Struktur und Eigenschaften von
staunender Begeisterung erfüllt zu werden.;
Ich weiß wohl, dass die Schlussfolgerung, zu der ich in diesem Werke gelangte,
von manchen als höchst irreligiös angeklagt werden wird. Wer da aber zum
Ankläger wird, sollte auch darlegen, warum es irreligiöser ist, den Ursprung
des Menschen als besondere Art durch die Abstammung von irgend einer
niedrigeren Form gemäß der Gesetze der Variation und der natürlichen Zuchtwahl zu
erklären, als die Geburt des Individuums gemäß der Gesetze natürlicher Zeugung.
Die beiden Geburten der Art wie des Einzelwesens sind gleiche Teile der großen
Folge von Ereignissen, die unser Geist nicht als das Resultat blinden Zufalls
betrachten will. Der Verstand empört sich gegen eine solche Schlussfolgerung
...;
Wir müssen ... anerkennen, dass der Mensch mit all seinen edlen Eigenschaften,
mit seiner Sympathie, die er für das Niedrigste fühlt, mit seinem Wohlwollen,
das sich nicht nur auf andere Menschen erstreckt, sondern auch auf das
geringste lebende Geschöpf, mit seinem göttlichen Intellekt, der die Bewegungen
und die Beschaffenheit des Sonnensystems ergründet hat – dass der Mensch mit
all diesen erhabenen Kräften doch noch in seinem Körperbau den unauslöschlichen
Stempel seines niedrigen Ursprungs trägt. (= letzter Satz JK)
(Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die Zuchtwahl in
geschlechtlicher Beziehung, Reclam Leipzig o.J., Bd. I - S.3; 92; 139; 140; 248; Bd. II
– S.420; 429)
·
das Urknall-Modell hängt mit der
Evolutionsbiologie nur über die Altersangaben zusammen; ist aber eng mit
anderen (erprobten) physikalischen Theorien verwoben (Relativitätstheorie,
Elementarteilchen-Physik)
(JK)
·
Die Wissenschaften insgesamt
erforschen die Materie, das schon Gegebene in all seinen Erscheinungsformen und
all seinen Wirkungsweisen. Die Bibel hingegen geht vom Geber alles Lebens aus,
dem wir unser Dasein verdanken. Die Wissenschaft nimmt Gottes Werk unter die
Lupe. Der Glaube sucht Gott selbst. Die Wissenschaft befasst sich mit der
Weltzeit (wie wir sagen), mit der Chronologie, welche die Menschen mit ihren
Werkzeugen und ihrem Instrumentarium erkunden können. Die Religion hingegen hat
es mit der Urzeit und der Endzeit zu tun; ihre Fragen zielen auf die ersten und
auf die letzten Dinge. die außerhalb des Kompetenzbereiches der Professoren
liegen, deren Wissbegierde eigentlich nur „die Mitteldinge“ unserer Welt
erfassen kann. ...
Theologie als „Wissenschaft von Gott“ oder „Gotteskunde“ hat es im Judentum
eigentlich nie gegeben. Das bloße Wort schon hat für jüdische Ohren einen
blasphemischen Beigeschmack. Alles, was wir wissen, ist: dass wir Ihn nie
kennen, von Ihm nie etwas wissen können. ...
Wissbar und erforschbar hingegen sind Gottes Werke; denn um sie zu verstehen,
hat uns Gott die Denkkraft den Intellekt geschenkt. ...
So heißt es also seit Maimonides tagtäglich in der Synagoge: „Ich glaube mit
voller Überzeugung, dass der Schöpfer – gelobt sei Sein Name – alle Geschöpfe
erschaffen hat und dass er allein das Schöpfungswerk vollbracht hat, vollbringt
und vollbringen wird“, womit sowohl der Grundgedanke der Evolution als
fortschreitende Schöpfung wie auch die Erlösung als endzeitliche Vollendung mit
einbezogen werden. ...
(Buch der Weisheit, Kohelet, Prediger) Was Kohelet uns sagen will, ist
zweierlei: Ein Glaube, der sich weigert, sich der Wissenschaft zu stellen,
läuft Gefahr, in Aberglauben zu entarten – aber eine Wissenschaft, die meint,
sie könne ohne Glauben auskommen, ist bereits unterwegs zum Größenwahn. ...
Aber auch der reichste Schatz an Wissenschaft taugt nur als Werkzeug für die
mittleren Dinge auf Erden. Denn für die ersten und letzten Dinge, für das Woher
und das Wohin unseres Lebens bleibt das gläubige Herz die zuständige Instanz.
...
“Bei viel Weisheit ist viel Kummer“ und „Wer Erkenntnis mehrt, der mehrt auch
das Leiden“ (Kohelet 1,18). (andere Übersetzung: „Viel Wissen, viel Ärger, wer
das Können mehrt, der mehrt die Sorge.“ JK) ...
(Pinchas Lapide: Mit einem Juden die Bibel lesen, Calwer Verlag Stuttgart,
1982, S.10ff, 84)
·
neben der naturwissenschaftlichen gibt
es gleichrangig jene Rationalität, die Kurt Hübner im Blick auf die Wahrheit
des Mythos beschrieben hat ... da sich beide Rationalitäten, die mythische und
die wissenschaftliche, aber in ihren Prämissen unterscheiden – die eine denkt
Wirklichkeit mit Gott zusammen, die andere nicht – nenne ich ihre Verbindung
komplementär. ...
Max Weber: „Wissenschaftliche Argumentation zwingt niemand zur Entscheidung in
der Wertsphäre. ... Sie wird mit anderen Mitteln vollzogen als mit denen des
Verstandes, und sie soll niemand abgenommen werden.“ ...
... wir Menschen darauf angewiesen sind, dass wir im Verlauf unserer
Sozialisation ein Menschen-, Welt- und Gottesbild übernehmen, das uns von der
unmöglichen Aufgabe befreit, die Welt gewissermaßen selbst zu „erfinden“ ...
Religionen sind „Modelle ..., an denen der Mensch versucht, sich selbst und die
Welt zu deuten. Modelle sind nicht die Wirklichkeit. ... Wenn sich die
Weltsicht ändert, sollten auch die Religionen den Mut haben, neue Modelle zu
kreieren oder die alten neu zu interpretieren ...“
Einsicht, dass Dogmen zeitbedingte Antworten auf zeitbedingte Fragen gegeben
haben und daher notwendig vorläufige Aussagen sind ...
(Klaus-Peter Jörns: Notwendige Abschiede – Auf dem Weg zu einem glaubwürdigen
Christentum, Gütersloh 2004, S.27, 89, 91, 169, 186, )
·
Einstein wörtlich: „Der Alte würfelt
nicht.“;
Woher kommt das Universum? fragt ein Schüler seinen Zen-Meister. Woher kommt
das Leben? Woher kommt der Geist? Der Lehrer antwortet: Woher kommt deine
Frage?
(Dürr HP u.a.: Gott, der Mensch und die Wissenschaft, Augsburg 1997, S.139,213)
·
Niels Bohr:
Es gibt bekanntlich biologische Zusammenhänge, die wir ihrem Wesen nach nicht
kausal, sondern finalistisch, das heißt in Bezug auf ein Ziel, beschreiben. Man
kann z.B. an die Heilungsprozesse nach Verletzungen eines Organismus senken.
Die finalistische Interpretation steht in einem typisch komplementären
Verhältnis zu der Beschreibung nach den bekannten physikalisch-chemischen oder
atomphysikalischen Gesetzen; das heißt, in dem einen Fall fragen wir, ob der Prozess zu dem gewünschten Ziel,
der Wiederherstellung normaler Verhältnisse im Organismus führt, im anderen
nach dem kausalen Ablauf der molekularen Vorgänge.
(Dürr: Physik und Transzendenz, Scherz 1988, S.306)
·
(12) Einstein, der mit Berufung auf
„Häretiker“ wie Demokrit, Franz von Assisi und besonders Spinoza eine
dogmenfreie „kosmischen Frömmigkeit“ vertrat, die „keinen Gott kennt, der nach
dem Bild des Menschen gedacht wäre“. Diese kosmische Frömmigkeit ist nach ihm
die „stärkste und edelste Triebfeder der wissenschaftlichen Forschung“.;
(18) Galilei erkennt natürlich selber die Bedrohlichkeit seiner Forschungen für
das biblische Weltbild. Er möchte grundsätzlich sowohl das in der Sprache der
Mathematik geschriebene „Buch der Natur“ als auch das „Buch der Bibel“
ernstnehmen. ... legte 1613 seine Auffassungen über das Verhältnis der Bibel
zur Naturerkenntnis dar: Wenn die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse feststehen
und den Aussagen der Bibel widersprechen, ist eine Neuinterpretation der Bibel
fällig!;
(19) (nicht nur die katholische Kirche) auch die Reformatoren Luther und
Melanchthon verwarfen das Werk des Kopernikus. Aber da es nur theoretisch
begründet und angeblich nur als Hypothese vorgetragen wurde, meinten sie, es
vernachlässigen zu können. Kopernikus wurde denn auch erst 1616 – als der Fall
Galilei akut wurde – auf den römischen Index der verbotenen Bücher gesetzt.;
(30) (Suche nach der Weltformel, der Theorie von allem usw.) Im Hintergrund
dieser Theorie scheint bei einzelnen Physikern – nicht Heisenberg! – das
Wunschdenken zu stehen, mit einer hieb- und stichfesten Super-Theorie begründen
zu können, dass ein Schöpfergott gar keine Wahl gehabt hätte, wie er die Welt
schaffen sollte. Gott würde auf diese Weise überflüssig bzw. mit der gesuchten
Weltformel identisch.;
(31) Hawking versprach in seinem Bestseller „Eine kurze Geschichte der Zeit“
... eine einheitliche große Theorie, die uns nicht nur bestimmte empirische
Daten erklären, sondern uns auch fähig machen würde, „to know the mind of God“.
Zu deutsch: „den Geist Gottes kennen“.;
Mit einer solchen „Theorie für Alles“ (Theory of Everything = TOE) würde die
Welt sich selbst erklären und Gott als Schöpfer nicht mehr notwendig sein.;
“Natürlich hätte es immer noch in (Gottes) Ermessen gestanden, die Gesetze zu
wählen, die das Universum bestimmen. Doch eine echte Entscheidungsfreiheit
könnte er bei dieser Wahl auch nicht gehabt haben, denn es ist durchaus
möglich, dass es nur sehr wenige vollständige einheitliche Theorien gibt ...
die in sich widerspruchsfrei sind und die Existenz von so komplizierten
Gebilden wie den Menschen zulassen, die die Gesetze des Universums erforschen
und nach dem Wesen Gottes fragen können.“;
(32) „Auch wenn nur eine einheitliche Theorie möglich wäre, so wäre sie doch
nur ein System von Regeln und Gleichungen. Wer bläst den Gleichungen Odem ein
und erschafft ihnen ein Universum, das sie beschreiben können? Die übliche
Methode, nach der die Wissenschaft ein mathematisches Modell konstruiert, kann
die Frage, warum es ein Universum geben muss, welches das Modell beschreibt,
nicht beantworten.“;
(32) (Suche nach einer vollständigen, vereinheitlichten Theorie der Physik):
„... wenn wir eine vollständige Theorie entdecken, ... werden wir uns alle mit
der Frage auseinandersetzen können, warum es uns und das Universum gibt. Wenn
wir die Antwort auf die Frage fänden, wäre das der endgültige Triumph der
menschlichen Vernunft – denn dann würden wir Gottes Plan kennen“.;
(36) Ein Mathematiker oder Physiker, der „den Geist Gottes zu kennen“
beabsichtigt, hätte sich vielleicht doch mit philosophisch-theologischen
Fragestellungen ebenso ernsthaft auseinanderzusetzen wie mit physikalischen. Wenn
die Grundlagen der Mathematik vielfach unbewiesen sind, sollte man dann
universale Ansprüche des mathematisch-naturwissenschaftlichen Denkens nicht mit
mehr Bescheidenheit und Zurückhaltung formulieren?
Heute sieht Stephen Hawking dies ein: „Wenn es mathematische Resultate gibt,
die nicht bewiesen werden können, dann gibt es physikalische Probleme, die
nicht vorausgesagt werden können.“;
(49) Die Wirklichkeit eines Museums ist eine andere für den Chemiker ... für
den Historiker ... für den Kunstliebhaber ... wichtig: Jede Beschreibung und
Beurteilung, die des Chemikers, des Historikers oder des Kunstliebhabers, kann
wahr sein – je nach Perspektive!;
(54) Unbestreitbar hat gerade die deutsche Theologie in ihrem Verhältnis zur
Naturwissenschaft einen erheblichen Nachholbedarf. In der Schule Karl Barths
war man am Dialog mit den Naturwissenschaften gehindert durch eine historisch
bedingte Abneigung gegen jede „natürliche Theologie“. In der Schule Rudolf
Bultmanns aber konzentrierte man sich unter völliger Vernachlässigung der
Kosmologie auf die Erhellung der menschlichen Existenz.;
(59f) Die Frage nach dem Anfang (griechisch arché) aller Dinge war schon für
die alten Griechen ein Hauptproblem der Philosophie. Die älteren ionischen
Naturphilosophen am Anfang des 6. Jh. v. Chr. nahmen ein einziges Urprinzip an,
aus dem alle Dinge entstanden sind: Thales von Milet das Wasser, Anaximenes die
Luft, Heraklit das Feuer, Anaximander aber das „Grenzenlose“ … und “Göttliche”
... Dem Weltstoff setzt dann unter den jüngeren Naturphilosophen im 5. Jh. v. Chr. Anaxagoras den
selbstständigen, weltordnenden “Geist” (griechisch noús) entgegen ...;
(61) Wieviel „Glauben“ mutet der menschlichen Vernunft das kosmologische
Standardmodell zu! Nach dem Urknall sollen aus einer winzigen Einheit
Milliarden Galaxien entstanden sein? Wenn das nicht eine Art
„wissenschaftlicher Wunderglaube“ ist? Das jedenfalls meint der amerikanische
Wissenschaftsjournalist Gregg Easterbrook: Was „deren schiere Unglaublichkeit“
angehe, würde „nicht an Theologie oder Metaphysik dem Big Bang das Wasser
reichen. Käme diese Schilderung der kosmischen Genese aus der Bibel oder aus
dem Koran statt aus dem Massachusetts Institute of Technology, würde sie ganz
sicher als ein überspannter Mythos behandelt.“;
Anfang der Welt lässt sich auch mit dem Wort „Ursprung“ ausdrücken ...;
(62) (Kant: Kritik an Gottesbeweisen) Die Grenzen der Vernunft müssen nicht
identisch sein mit den Grenzen der Wirklichkeit. Das heißt: Was die Vernunft
nicht erkennt, kann dennoch wirklich sein! Auch Gott! ... „Ich musste also das
Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen,“
(64) Wie Beweise für Gott, so lehnt Kant auch die Beweise gegen Gott ab. Warum?
Weil auch sie den Erfahrungshorizont überschreiten. ... Im Bild: Wer zugibt,
dass er nicht hinter den Vorhang gucken kann, darf auch nicht behaupten, es sei
nichts dahinter. Auch der Atheismus ist hier in seine Schranken gewiesen. Alle
Beweise oder Aufweise der bedeutendsten Atheisten reichen zwar aus, um die
Existenz Gottes fragwürdig zu machen, aber nicht, um Gottes Nicht-Existenz
fraglos zu machen.;
(65) (Zitat von Keith Ward) „Gute Wissenschaftler wie Francis Crick, Carl
Sagan, Stephen Hawking, Richard Dawkins, Jaques Monod und Peter Atkins haben
Bücher publiziert, die religiösen Glauben offen ins Lächerliche ziehen, und
beanspruchen dabei die Autorität ihrer wissenschaftlichen Arbeit für ihre
Attacken ... Ihre eigentliche wissenschaftliche Arbeit hat keine besondere
Relevanz für die Wahrheit oder Falschheit der meisten religiösen Behauptungen.
Wenn sie sich wirklich auf das Feld der Philosophie verirren, ...;
(66) „Nur“-Sätzen und „Nichts-als“-Sätzen ist (darum) (natürlich auch bei
Theologen!) mit Misstrauen zu begegnen.;
(68) Naturwissenschaft muss Gott aus dem Spiel lassen;
Die moderne Naturwissenschaft musste und muss, wenn sie methodisch einwandfrei
vorgehen will, Gott, der ja nicht wie andere Objekte empirisch konstatiert und
analysiert werden kann, notwendigerweise unberücksichtigt lassen.;
Insofern ist das Problem der Existenz Gottes keine physikalische
Fragestellung.;
Die Naturwissenschaft darf also, wenn sie ihrer Methode treu bleiben will, ihr
Urteil nicht über den Erfahrungshorizont hinaus ausweiten.;
(69) Man hätte frühzeitig biblisches Weltbild und biblische Botschaft unterscheiden
können, wie Galilei und Descartes es wünschten ...;
(70) dass die autonome Vernunft ihrerseits sich in Gestalt der modernen
Naturwissenschaft oft so sehr verabsolutierte, dass für einen Glauben an
Meta-Empirisches kein Platz mehr übrigblieb und der Gottesglaube praktisch
weithin durch Wissenschaftsglauben ersetzt wurde.;
(71) hatten Vertreter des Dialektischen Materialismus schon früh aus
Glaubensgründen Einsteins Weltmodell heftig als „idealistisch“ verurteilt; es
schien ihnen ihr Dogma von der Unendlichkeit und Ewigkeit der Materie nicht zu
bestätigen;
(74) die „Wette“ des Physikers, Mathematikers und Philosophen Blaise Pascal:
als Alternative steht zur Wahl „Gott ist – oder er ist nicht“; beide
Möglichkeiten sind freilich ungewiss; aus Gründen der Vernunft ist keine Wahl
naheliegend oder verboten; Man muss wählen!; Nicht-Wählen ist auch eine Wahl;
Aus der Natur der Alternative (unendliches, glückliches Leben oder das Nichts)
und aus der Größe des Einsatzes (endlicher Einsatz für Unendliches) ... stehen
die Chancen von Unglauben und Glauben wie „Null zu Unendlich“: Man verliert in
jedem Fall Nichts, wenn man an Gott glaubt, kann aber alles gewinnen;
(84) (Spekulationen über viele Universen) Selbst von der berühmten Idee eines
„vollkommenen“ oder „absolut notwendigen“ Wesens (Anselm von Canterburys und
Descartes´ „ontologischer“ Gottesbeweis) lässt sich keineswegs auf die Existenz
eines solchen Wesens schließen. Und noch viel weniger von der Idee eines
unvollkommenen Universums auf die Existenz eines völlig anderen Universums;
(85) Steven Weinberg zu Studenten (60er Jahre): Von den beiden kosmologischen
Modellen – der Urknalltheorie und der Steady-State-Theorie – favorisiere ich
die letztere, weil sie dem Bericht der Genesis am wenigsten ähnelt“ ... bekennender
Atheist ... Weinbergs instinktives Sträuben angesichts des Genesis-Berichts mag
nicht nur mit unaufgeklärter Religionskritik, persönlichen Erlebnissen oder
seiner jüdischen Prägung zu tun haben, sondern vielleicht noch mehr mit
voreiliger Instrumentalisierung der Urknall-Theorie durch fundamentalistische
christliche Gläubige in den USA zum Beweis, dass „die Bibel doch recht hat“.;
(87) Kein Physiker sollte eine wissenschaftliche Theorie vorziehen, nur weil
sie mit der eigenen Überzeugung (christlich, jüdisch, islamisch, auch
atheistischer „Glaube) leichter vereinbar ist.;
im Vorwort (zu Stephen Hawkings Buch: Eine kurze Geschichte der Zeit) weist der
amerikanische Physiker und Fernsehautor Carl Sagan auf das eigentliche Thema
des Buches hin: die Abwesenheit Gottes.;
(92) Mikro- wie Makrokosmos lassen sich letztlich nur mit Bildern, Chiffren,
Vergleichen, mit Modellen und mathematischen Formeln umschreiben.;
(96) Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?
Dies ist nach dem großen Mathematiker und Philosophen Leibniz die Grundfrage
der Philosophie und nach dem Philosophen Heidegger das „Wunder aller Wunder“:
„Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?“;
Ist „Gott“ mehr als eine fromme Hypothese, deren der Naturwissenschaftler nicht
bedarf, wie Laplace ... gegenüber Napoleon ausdrückte?;
(97) Heisenberg: „Wenn jemand aus der unbezweifelbaren Tatsache, dass die Welt
existiert, auf eine Ursache dieser Existenz schließen will, dann widerspricht
diese Annahme unserer wissenschaftlichen Erkenntnis in keinem einzigen Punkt.
Kein Wissenschaftler verfügt auch nur über ein einziges Argument oder irgendein
Faktum, mit denen er einer solchen Annahme widersprechen könnte.“;
Dass unser Universum wahrscheinlich endlich ist in Raum und Zeit, wie die große
Mehrheit der Naturwissenschaftler heute annimmt, ist für unser Welt- und
Selbstverständnis – auch philosophisch-theologisch gesehen – von nicht geringer
Bedeutung. Es bestätigt uralte religiöse Überzeugungen von der Endlichkeit und
Vergänglichkeit alles Geschaffenen, alles Seienden.
Aber sofort sei hinzugefügt: Selbst die Annahme eines unendlichen Universums
würde den unendlichen Gott nicht automatisch aus dem Kosmos „verdrängen“. Ein
solches Universum wäre für den unendlichen Gott, der kein Lückenbüßer, sondern
allumfassender und allesdurchdringender reiner Geist ist, keine Beschränkung
seiner Unendlichkeit, sondern deren Bestätigung. Das heißt: Der Gottesglaube
ist mit verschiedenen Weltmodellen vereinbar.;
(98f) Unmöglich ist sowohl ein induktiver Beweis als auch eine deduktive
Ableitung Gottes aus dieser erfahrenen Wirklichkeit von Welt und Mensch durch
eine theoretische Vernunft, die Gottes Wirklichkeit in logischen
Schlussfolgerungen demonstrieren möchte;
Vergleich mit der Vertrauenshaltung beim Schwimmenlernen ... erfolgt nicht
durch Stehen am Ufer, Lesen eines Lehrbuchs oder einen Trockenschwimmkurs ...
sondern durch das Wagnis, sich mit Haut und Haar auf das rätselhafte Wasser
einzulassen, das nur den trägt, der sich ihm anvertraut und nicht steif
verhält, sondern sich bewegt;
(105) Thomas R. Malthus, Pfarrer und später fortschrittskritischer
Sozialökonom, Theorie der Diskrepanz zwischen Bevölkerungswachstum und
Nahrungsmittelversorgung;
(106) Darwin, der den Tod seiner vielgeliebten Tochter nie verwinden konnte,
wurde religiös gegen Ende seines Lebens immer mehr zum Agnostiker.;
(109) In der Enzyklika „Humanis generis“ (1950) gesteht Papst Pius XII. ... zu,
das noch immer völlig ungeklärte Problem einer Evolution des Menschenleibes
dürfe naturwissenschaftlich und theologisch weiter untersucht werden ...
Festzuhalten sei (allerdings) an der unmittelbaren Erschaffung der
Menschenseele durch Gott und am Ursprung des gesamten Menschengeschlechts aus
einem einzigen Menschenpaar (Monogenismus);
(109) protestantischer Kreationismus;
(111) nach einer Gallup-Umfrage im Februar 2001 stimmten rund 45% der
erwachsenen Amerikaner der Aussage zu: „Gott hat die Menschen weitgehend in
ihrer heutigen Gestalt innerhalb der vergangenen etwa 10000 Jahre erschaffen.“;
(114f) Teilhard de Chardin ...die Natur ... als ein riesiger
Entwicklungsprozess, der, in Jahrmilliarden stufenweise sich vorwärtstastend,
durch immer stärkere Komplexität und Verinnerlichung der Materie seiner
Erfüllung zureift. Gott ist für ihn nicht nur Ursprung und Ziel der Schöpfung.
Er ist selber in Evolution, macht diese Evolution mit ...auch der Mensch selbst
ist noch nicht vollendet. Er ist ein werdendes Wesen ... im „Punkt Omega“, wo
das individuelle und das kollektive Abenteuer des Menschen Ende und Vollendung
findet, wo Vollendung der Welt und Vollendung Gottes konvergieren.;
“Ich glaube, dass das Weltall eine Evolution ist. Ich glaube, dass die
Evolution auf den Geist hin strebt. Ich glaube, dass der Geist sich im
Personalen vollendet. Ich glaube, dass das höchste Personale der universale
Christus ist.“;
(117ff) Alfred North Whitehead: Gott im Prozess;
die ganze Natur als riesiger Prozess;
doch anders als Teilhard, der diese Dynamik der Natur als Ablauf verschiedener
Phasen auffasste, als eine linear nach „oben“ verlaufende kumulative Evolution,
verstand Whitehead sie als ein in allen möglichen verschiedenen Formen
pulsierendes Leben. Als einen nicht zielgerichteten Prozess: ein kreatives
Vorwärts, gewiss, aber eine unendliche Zeit ohne Höhepunkt;
mit Recht verwirft er den Begriff des göttlichen Tyrannen, aber das schöne Bild
eines mitleidenden Gottes ... übersteigt ja wohl jede philosophische
Erkenntnis;
(136f) Die Bibel beschreibt keine naturwissenschaftlichen Fakten, sondern
deutet sie, auch für unser gegenwärtiges menschliches Leben und Handeln. ...
Wissenschaftliche und religiöse Sprache sind so wenig vergleichbar wie
wissenschaftliche und poetische. Das heißt: Urknalltheorie und
Schöpfungsglaube, Evolutionstheorie und Erschaffung des Menschen widersprechen
sich nicht, sie sind aber auch nicht zu harmonisieren.;
(137) Heisenberg: „Im astronomischen Universum ist die Erde nur ein winziges
Staubkörnchen in einem der unzähligen Milchstraßensysteme, für uns aber ist sie
die Mitte der Welt – sie ist wirklich die Mitte der Welt.“;
(141) Zufall, dass die moderne Naturwissenschaft sich gerade auf dem
Hintergrund der jüdisch-christlichen Schöpfungslehre entwickeln konnte?
zweifellos hilfreiche Voraussetzungen:
Die Welt ist nicht Gott, sie ist geschaffen und nicht in sich heilig: Sie ist
dem Menschen zur Verfügung gestellt.
Die Welt ist nicht Chaos, sondern geordnet, Kosmos: Sie darf vom Menschen
genutzt, bebaut, erforscht werden.;
(142) Naturwissenschaft – Verfügungswissen;
Schöpfungsglaube – Orientierungswissen; Er lässt den Menschen einen Sinn im
Leben und im Evolutionsprozess entdecken und vermag ihm Maßstäbe im Handeln und
eine letzte Geborgenheit in diesem unübersehbar großen Weltall zu vermitteln;
Das Ganze stammt nicht nur aus einem Ur-Knall, sondern einem Ursprung: aus
jenem ersten schöpferischen Grund der Gründe, den wir Schöpfergott nennen;
(143) An Gott als den Schöpfer der Welt glauben heißt auch nicht, sich für
dieses oder jenes der wechselnden Weltmodelle zu entscheiden ...;
Wer an Gott als den Schöpfer glaubt, kann ... auch die Welt und den Menschen
als Gottes Schöpfung bejahen:
- den Menschen als Mitmenschen (nicht als minderes Wesen)
- auch die außermenschliche Natur, die Tiere besonders, als unsere Um- und
Mit-Welt (nicht als Feinde, nicht als beliebig verwertbares Material)
respektieren und pflegen;
(169) Naturwissenschaft und Religion haben beide ihre Berechtigung,
Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit ... können sich im Rahmen einer
holistischen Gesamtsicht der Dinge ergänzen:
Religion kann die Evolution als Schöpfung interpretieren
Naturwissenschaftliche Erkenntnis kann Schöpfung als evolutiven Prozess
konkretisieren
Religion kann so dem Ganzen der Evolution einen Sinn zuschreiben, den die
Naturwissenschaft von der Evolution nicht ablesen, bestenfalls vermuten kann;
(172f) Wunder als Durchbrechung von Naturgesetzen lassen sich in der Bibel
historisch nicht nachweisen ... es geht in der Bibel bei ihren
Wundererzählungen ohnehin nicht primär um das erzählte Geschehen selbst,
sondern um die Deutung des Erzählten, nicht so sehr um die Aussageform als um
den Aussageinhalt. ...
Wunder stehen demnach in der Bibel als Metaphern, so wie in der Poesie
Metaphern auch nicht die Naturgesetze aushebeln wollen. ...
verkünden einen Gott, der sich „einmischt“, engagiert
(Hans Küng: Der Anfang aller Dinge, Naturwissenschaft und Religion, München
2005)
·
(100) der Erzbischof James Ussher von
der Church of Ireland gelangte nach sorgfältigem Studium der Bibel und anderer
historischer Quellen ... 1650 zu dem Schluss, die Erde sei am Mittag des 23.
Oktober 4004 v. Chr. erschaffen worden (andere Quellen: Usher, 1654 oder 1664,
26. Oktober?);
(191) Einstein konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Gott ein Universum
geschaffen habe, in dem man manche Dinge prinzipiell nicht wissen kann.;
Einsteins oft zitierter Satz „Gott würfelt nicht“ lautet in Wirklichkeit: „Es
ist anscheinend schwierig, Gott in die Karten zu sehen. Aber dass er würfelt
und sich „telepathischer“ Methoden bedient ... kann ich keinen Augenblick lang
glauben.“
(425) Wir Menschen neigen zu der Vorstellung, jedes Leben müsse einen Sinn
haben;
Das Leben will ... einfach nur sein.
(426) Geschichte der Erde als 24-Stunden-Tag
(Bill Bryson: Eine kurze Geschichte von fast allem, Goldmann München 2004)
·
(19) „Früher haben wir geglaubt, unser
Schicksal steht in den Sternen, heute wissen wir, unser Schicksal liegt in den
Genen.“ (James D. Watson)
(22) Der Mensch ist das Tier, das sich schämen kann ...
Der Mensch ist das Tier, das seine Grenzen kennt und sich nicht daran halten
will ...
(29) Kant: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender
Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit
beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“
(Natur- und Geisteswissenschaft);
(82) Wenn ich die Wahrheit sagen will, muss ich dies poetisch tun – in Bildern
und Gleichnissen zum Beispiel.;
(98) Konrad Lorenz: „Das Geistige schließlich ist erst in der allerjüngsten
Phase der Schöpfung auf den Plan getreten.“
(Ernst Peter Fischer: Die Bildung des Menschen - was die Naturwissenschaften über uns wissen;
Ullstein Berlin 2006)
·
(128ff) Ditfurth: Zu den
unberechtigten Gefühlen einer objektiven Gegnerschaft zwischen einer
naturwissenschaftlichen und einer religiösen Betrachtung der Welt gehört als
typische Konsequenz die von den meisten Menschen gar nicht reflektierte
Meinung, dass man gleichzeitig in zwei verschiedenen Welten lebt. Da ist einmal
die Welt, in der wir als körperlicher Organismus funktionieren, gesund oder
krank, leistungsfähig oder behandlungsbedürftig, da ist die Welt der Technik,
der Autos und Haushaltsgeräte; da ist die Welt, in der die Physiker immer
wieder erstaunliche Entdeckungen machen, die Strukturen des Kosmos beschreiben,
schwarze Löcher, Quasare usw. Und dann gibt es für viele Menschen, solange sie
gläubig sind oder zumindest trotz allem am Glauben festhalten wollen, trotz
aller in ihren Augen unabweisbaren naturwissenschaftlichen Kritik als Refugium
eine Welt, die als göttliche Schöpfung zu betrachten ist. Diese Welt stellt
sich dann als eine ganz andere, eine zweite Welt dar, ... eine merkwürdige Form
existenzieller Schizophrenie. ...
Insofern müsste von Schöpfung heute als einer werdenden, einem immer noch
werdenden Prozess gesprochen werden. Schöpfung als Evolution ... einer meiner
zentralen Vorschläge ... auf den ich zu meiner Enttäuschung von der
theologischen Seite ... keine Reaktion gehört habe. Dass nämlich dieser ganze
Kosmos und die Geschichte dieses Kosmos nichts anderes ist als der Augenblick der Schöpfung. Dass wir
von innen in diesem Kosmos und als Teil von ihm die Schöpfung miterleben, die
für unseren evolutiv beschränkten Horizont und unseren begrenzten Zeitmaßstab
vor vielen Milliarden Jahren begonnen hat ... dass das alles von einem
jenseitigen Zeiterleben aus – populär unter dem Aspekt der Ewigkeit – der
Augenblick ist, in dem die Schöpfung sich vollendet ... Wir sind die
Neandertaler der Zukunft. Ich glaube, dass wir in der Geschichte dieses Kosmos
ganz unvermeidlich auch Übergangsphänomene sind, wie es frühere uns
vorangegangene Lebensformen, unsere biologischen Vorläufer, auch gewesen sind
...
Gott wird diese Welt ihrer Vollendung entgegenführen, ob mit uns oder ohne uns,
und wir sind dafür verantwortlich, ob es mit uns oder ohne uns stattfindet ...
Ich komme auf diesem Weg mit Sicherheit nicht bis zum persönlichen Gott, an den
die Christen glauben ... Aber ich komme zu der Aussage, dass das Werden der
Welt, dass die innovativen Prozesse in dieser Welt, deren Ursache wir nie
verstehen werden, stets von Strukturen geringerer Ordnung zu Strukturen immer
höherer Ordnung verlaufen. Ich komme bis hin zu der Aussage, dass dieser
Prozess, die Eigenschaften der Materie, die den Prozess anstoßen und
ermöglichen, dass die Gesetze, die ihn steuern, dass die Tatsache, dass
überhaupt dieses ganze sonderbare und wunderbare Gebilde existiert, dass das
etwas ist, was mit naturwissenschaftlichen Mitteln nicht mehr erklärt werden
kann. Dies ist die größte Annäherung, die ich zu dem Begriff Gott auf dem
naturwissenschaftlichen Wege sehe. Dann beginnt der legitime Raum der
Theologie.
(Wolf-Rüdiger Schmidt: Leben ist mehr, GTB Sachbuch 957, Gütersloh 1988)
·
(158ff) Kreationisten sind äußerst
aktiv und versuchen gegenwärtig, auch in Europa Fuß zu fassen ... Es ist mir
ein großes Anliegen, die Gefahren von einer derartig radikalen Auslegung der
Bibel aufzuzeigen. ... eine sich zumindest teilweise wissenschaftlich tarnende
Sekte ... in Deutschland „Studiengemeinschaft Wort und Wissen“, in der Schweiz
„Pro Genesis“ ... Wenn die Resultate des wissenschaftlichen Arbeitens nur als
eine andere Art Glaube gelten, so beginnt das Fundament der modernen
Gesellschaft zu wanken. ... Wenn zu viele Zeitgenossen dieses
(naturwissenschaftliche JK) Fundament nicht kennen oder gar ablehnen, droht
entweder die Spaltung der Gesellschaft in eine kleine informierte Elite, welche
die Geschicke der Menschheit nach eigenem Gutdünken gestaltet, und in eine
uninformierte, manipulierte Masse, oder gar ein Rückfall in ein finsteres,
fundamentalistisches Zeitalter, mit allen Konsequenzen für unser Leben. ... Es
kann nicht hingenommen werden, dass Resultate naturwissenschaftlicher Arbeiten
in der breiten Bevölkerung als ein Glaube oder eine weitere Art esoterischen
Weltverständnisses gelten ... Die Menschheit wird nur dann eine
Überlebenschance haben, wenn es gelingt, den Rückfall in ein wissenschaftliches
Mittelalter zu vermeiden. ...;
(172ff) 3,5 Milliarden Jahre alte Fossilien von Bakterien – lange
Mikrofotografien in Lehrbüchern – 2002 andere Erklärung in Nature gegeben;
auch andere Entdeckungen von Resten in Lavagestein (Südafrika) umstritten,
Deutung zurzeit völlig offen;
(Hansjürg Geiger: Auf der Suche nach Leben im Weltall, Wie Leben entsteht und
wo man es finden kann, Franckh-Kosmos Verlag Stuttgart 2005)
·
(18) Die Naturwissenschaften mit ihren
großen Deutungsansprüchen spielen heute – vielleicht mehr gewollt als ungewollt
– häufig die Rolle eines Religionsersatzes. Um in eine solche Rolle schlüpfen
zu können, brauchen auch die Wissenschaften ihre großen und kleinen Mythen, die
ihre Anstrengungen, Leistungen und vor allem ihre Ansprüche rechtfertigen. ...
Mythen machen letztgültige Aussagen über das Handeln göttlicher oder
gottähnlicher Wesen, die für die Existenz der Welt oder für bescheidenere Werke
verantwortlich sind.;
Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts hat nun die Biologie die Physik als
Leitwissenschaft verdrängt.;
(33) Für Soziologen, Historiker, Anthropologen und Ethnologen beginnt das
„Soziale“, sobald zwei oder mehr Menschen in Wechselwirkung stehen:
Wissenschaft kann daher nicht anders als „sozial“ sein. Für
Naturwissenschaftler ist das Soziale dagegen das Ungebändigte, Irrationale, das
nie in das Heiligtum des Labors eindringen darf.;
(37) Der moderne Darwinismus entwickelt sich zunehmend zu einer Ideologie, die
für fast alle natürlichen und nun auch kulturellen Erscheinungen eine Erklärung
zu bieten glaubt (Verweis auf Edward O. Wilson: Die Einheit des Wissens);
(46f) bis Newton gab es Astrotheologie = natürliche Ordnung als Beweis für
Gottes Handeln; das konnte nun anders erklärt werden;
die belebte Welt bot sich als viel überzeugendere Quelle für einen schaffenden,
planenden und wohltätigen Gott an (= Naturtheologie; Schönheit und
Zweckmäßigkeit verweisen auf einen Plan und dieser auf einen Planer);
(103) Darwin, Lyell und Hooker ... waren einer vernunftgeleiteten Religion
verschrieben. Sie glaubten nicht, dass Gott ab und zu seine Schöpfung
„reparieren“ müsse und die Menschen mit Wundern unterhalte, sondern dass er,
wie ein vernunftgeleiteter Staatsmann, Gesetze erließ und dann allen Dingen
erlaubte, ihrem natürlichen Lauf zu folgen.;
(105) ... auch Darwins Origin of Species waren nicht nur an eine kleine Gruppe
professioneller Wissenschaftler gerichtet, sondern vor allem an eine
lesefreudige Öffentlichkeit. Darwin und seine schreibenden Zeitgenossen waren
außergewöhnlich besorgt um ihren Gebrauch von Metaphern und Analogien. ...
Darwin benutzte die Metapher der „Auslese“ (Selektion JK), die beinhaltete, dass
„jemand“ eine Wahl trifft, ganz bewusst, doch konnte auch er nicht
kontrollieren, wie Leser diese Metapher auffassten.;
(121) Klassifizierung von Gesteinen 18. Jahrhundert:
primäre Gesteine ohne Fossilien, sekundäre und in Schichten abgelagerte Gesteine,
deren Ursprung in der Sintflut vermutet wurde, und schließlich tertiäre,
nachsintflutliche Ablagerungen.;
(147) Noch kurz vor dem Ende der Beagle-Reise war Darwin ein
Schöpfungsgläubiger, allerdings ein Schöpfungsgläubiger, für den Gottes Wirken
meist in weiter Ferne und durch die Vermittlung von Naturgesetzen stattfand.;
(237) Viele Sozialdarwinisten wollen ganz klar die herrschenden hierarchischen
gesellschaftlichen Strukturen oder eine Rangfolge der Rassen rechtfertigen.
(Thomas P. Weber: Darwin und die neuen Biowissenschaften, DuMont Köln, 2005)
·
(11) Evolution und Schöpfung,
Evolution statt Schöpfung, Evolution als Schöpfung ...
(12) Debatte um das dem Menschen angemessene Denken, auf der sich der
naturalistisch-reduktionistische Denktyp mit unverhohlenen
Alleinvertretungsansprüchen gegen alle anderen Denktypen zu positionieren
versucht;
(24) Immanuel Kant hatte das Feld der Philosophie durch die weithin bekannten
vier Fragen abgesteckt:
Was kann ich wissen?
Was soll ich tun?
Was darf ich hoffen?
Was ist der Mensch?;
(29) Vom allgemeinen weltanschaulichen Reduktionismus ist aber ein
methodologischer Reduktionismus zu unterscheiden. Gegen einen methodologischen
Reduktionismus, der um seine aus dem Erkenntnisinteresse erwachsende und um der
besseren Erkennbarkeit willen vollzogene Partialisierung des
Erkenntnisgegenstandes weiß, ist nichts einzuwenden;
(30) Mephisto:
“Daran erkenn ich den gelehrten Herrn!
Was ihr nicht tastet, steht euch meilenfern,
Was ihr nicht fasst, das fehlt euch ganz und gar,
Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr,
Was ihr nicht wägt, hat für euch kein Gewicht,
Was ihr nicht münzt, das, meint ihr, gelte nicht.“;
(30) Dass auch der Naturwissenschaftler, der sich mit dem Menschen befasst, wie
jeder andere Naturwissenschaftler ein methodologischer Atheist zu sein hat
(arbeitet nur mit naturwissenschaftlichen Hypothesen und nicht mit der
Hypothese GOTT) oder aufhört, ein Naturwissenschaftler zu sein, das liegt auf
der Hand. ... Unabhängig davon kann (aber) beim Bäcker wie beim
Naturwissenschaftler ein tief religiös zu nennendes Bewusstsein davon vorhanden
sein, auf materiell-sächliche und geistig-intellektuelle Vorgaben angewiesen zu
sein, die er sich nicht selbst hergestellt oder erschlossen, sondern wie ein
vorgegebenes Geschenk empfangen hat.
(33) im 19. Jahrhundert formulierte das I. Vatikanische Konzil: „Gott, der
Ursprung und das Ziel aller Dinge, kann mit dem natürlichen Licht der
menschlichen Vernunft aus den geschaffenen Dingen gewiss erkannt werden“;
(34) Der religiöse Glaube mit seiner theologischen Rationalität fragt nach
Ursprung, Sinn und Zweck des Ganzen. Theologie ist subjektorientiert, aber eben
nicht am Objektivierbaren vorbei.
Die wissenschaftliche Rationalität betrachtet Segmente des Ganzen, sie
präpariert ihre Objekte aus dem Ganzen heraus, sie fragt nach ganz konkreten
Zielen und Methoden. Sie ist objektorientiert, aber in jede Erkenntnis geht das
Subjekt mit ein.;
... ist das Verhältnis von Theologie und Glaube einerseits und
Naturwissenschaft andererseits vielleicht ganz gut mit dem Bild von der
Bergwanderung zu beschreiben. Naturwissenschaft ist wie das Fortschreiten auf
dem Weg, das Fokussieren auf den nächsten oder die wenigsten nächsten Schritte
und deren Bewältigung. Dabei werden erstaunliche Strecken zurückgelegt, aber
die Gesamtorientierung hintangestellt.
Theologie und Glaube sind wie das Innehalten auf dem Weg. Dabei wird das Ziel
auf dem Gipfel neu in den Blickgenommen, eine Gesamtorientierung ...
ermöglicht. Man steht und kommt währenddessen nicht voran, zugleich aber werden
die Intention und die Motivation neu gestärkt.;
(35) Einstein: “Obwohl die Religion das Ziel bestimmt, hat sie doch weitgehend
von der Wissenschaft gelernt, mit welchen Mitteln sich diese von ihr gesetzten
Ziele erreichen lassen. Die Wissenschaft kann hingegen nur von denen aufgebaut
werden, die durch und durch von dem Streben nach Wahrheit und Erkenntnis
erfüllt sind. Die Quelle dieser Gesinnung entspringt aber wiederum auf
religiösem Gebiet ... Naturwissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne
Naturwissenschaft ist blind.“;
(38) nicht die Technik, wohl aber der Techniker ist dafür verantwortlich, wofür
er sich und seine Technik in Dienst nehmen lässt. Er arbeitet zwar an
moral-indifferenten Objekten, nicht aber in moralfreien gesellschaftlichen
Verwendungskontexten und mit ethikfreien Intentionen.
Graffitto: „I don´t know, what I want, but I know, how to get it“
(39) Aufgabe der Theologie: hartnäckiges Nachfragen nach gesellschaftlichen
Zielen, wissenschaftlichen Hintergründen, wirtschaftlichen Absichten und
persönlichen Intentionen;
(42) Der Naturalismus ist ein Chamäleon; denn er kann als Positivismus,
Materialismus, Atheismus, Deismus und auch als Pantheismus auftreten. (später
auch: Mechanismus, Determinismus, Biologismus ...);
der methodologische Naturalismus hält die Naturwissenschaften zumindest für die
vollkommenste Form des Vernunftgebrauchs, manchmal sogar für die einzige und
glaubt, alle anderen Formen seien im Letzten auf Naturwissenschaft
zurückzuführen .... dann ist der Weg vom methodologischen zum ontologischen
Naturalismus nicht mehr weit ... das Wirkliche werde vornehmlich oder einzig
von der Naturwissenschaft erfasst ... nur das von der Naturwissenschaft
Erfasste sei wirklich;
(47) das „ignorabimus“ (wir werden es nicht wissen) fehlt in ihrem Wortschatz;
(93) 1909 äußerte sich die Päpstliche Bibelkommission in dem Sinne, dass an der
Historizität der ersten drei Kapitel von Genesis im Wesentlichen festzuhalten
sei. Durch diese irrige Festlegung standen biologische Evolutionslehre und
biblische Schöpfungslehre im unmittelbaren Gegensatz ...;
(99) dass da, wo der blanke Zufall herrscht, ein göttlicher (Heils-)Plan, eine
Vorsehung nicht mehr denkbar ist, und dass da, wo die totale Gesetzmäßigkeit
obwaltet, die Freiheit des Geschöpfes Mensch geopfert werden muss;
(100) Schöpfungstheologie - (k)ein Kontra zur Evolutionstheorie?
Die Bibel ist keine primitive Naturkunde darüber, wie es zum Menschen kam,
sondern eine Urkunde darüber, was es mit dem Menschen auf sich hat.;
(101) Natürlich ist die Behauptung der Evolution mehr als nur eine Hypothese
... sie ist eine der am besten begründeten Theorien, die sich nicht nur auf
biologische, sondern auch auf biochemische, physiko-chemische und
physikalisch-kosmologische Argumente, Beobachtungen und Rückschlüsse stützen
kann.;
(131) Zufall kann biologisch auch als Optimierungsmethodik interpretiert
werden;
(132) Habermas, der, bevor er generell den Sinn von Musik bestreitet, es
immerhin für möglich hält, dass nur er selbst „religiös unmusikalisch“ ist;
(133) Was es in der Tat gibt, ist eine unbestreitbar solide und höchst detail-
und umfangreiche wissenschaftliche Datenbasis für eine Theorie der Evolution.
Was es des weiteren gibt, ist eine mit höchster Sorgfalt und philologischer
Umsicht ausgearbeitete Exegese biblischer Schöpfungsaussagen und ihre
philosophisch-theologische Explikation... so wenig das Eine zum Gottesbeweis
reicht, ebenso wenig reicht das Andere zum Gottesverweis.;
(142) Der Mensch – das betende Tier (Buchtitel von Alister Hardy);
(Ulrich Lüke: Das Säugetier von Gottes Gnaden, Evolution-Bewusstsein-Freiheit,
Herder Freiburg 2006)
·
Sir Roger Penrose, Physiker und
Mathematiker:
„Gott ist keine besonders gute Theorie, aber er ist eine bessere Theorie als
alle anderen, die ich kenne.“
(bdw 12/06 S.10)
·
ARTE 19.00 Uhr: Logbuch der Schöpfung
EVOLUTION
(tv today 11.12.2006)
·
Umfrage:
Sollte die biblische Schöpfungsgeschichte wie bisher im Religionsunterricht
gelehrt oder gleichberechtigt neben der Evolutionstheorie im Biologieunterricht
behandelt werden?
nur Religionsunterricht ... 70 %
auch im Biounterricht ...... 25 %
(Spiegel 45/06 S.20)
·
Giordano Bruno hatte die Glaubenshüter
mit dem Entwurf eines pantheistisch beseelten Universums provoziert, in dem
unendlich viele Sonnen Mittelpunkte gleichfalls unzähliger Planetensysteme
bilden. Zum Flammentod verurteilt wurde er 1600 jedoch nur, weil er hartnäckig
das Kirchendogma der Trinität, der Heiligen Dreieinigkeit, leugnete.;
Galilei wurde 1616 in das Haus des Kardinals Bellarmin bestellt, der ihn milde
ermahnte, die Ansichten des Herrn Kopernikus forthin nur noch als Hypothesen zu
behandeln;
drei der zehn Inquisitionsrichter hatten sich geweigert, das Urteil gegen
Galilei zu unterzeichnen, er widerrief seine Aussagen
(Spiegel 23/1998 S.90)
·
Galilei hatte einen Brief an einen
Freund geschrieben und versuchte, das Verhältnis von Wissenschaft zur Religion
zu klären, er verwies darauf, dass die Bibel kein wissenschaftliches Lehrbuch
sein und oft in Bildern spreche; dieser Brief geriet in die Hände eines Paters,
der ihn der Inquisition zuleitete, daraufhin wurde G. nach Rom zitiert und
ermahnt seine Irrtümer aufzugeben und seine Lehren nicht weiter zu verbreiten
(bdw 12/2003 S.76)
·
die Einsicht, dass etwas, das „nicht
stimmt“ (rational-logisch betrachtet) – etwa ein Gedicht, eine Erzählung, ein
Gleichnis – und dennoch „wahr“ sein kann
(ideaSpektrum 16/2002 S4. Leserbrief)
·
Wirkung bezeugt
die erfahrene Wirklichkeit;
Mit Glaube ist ein Vorverständnis der Wirklichkeit gemeint, das nötig ist, um
eine bestimmte Dimension der Wirklichkeit überhaupt wahrzunehmen. Der Glaube
wirkt somit wie ein „Sinnesorgan“ für Gotteserfahrungen im täglichen Leben;
Gott erscheint (im Schöpfungshandeln) wie ein Künstler, von dem der Laie nicht
wissen will, mit welchen Techniken er sein Werk erschaffen hat, sondern was es
ihm persönlich bedeuten soll;
es geht (in Schöpfungsgeschichten) nicht um den Naturvorgang an sich, sondern
um den Sinn der Dinge, ihre Beziehung zueinander und zu uns, wollen nicht
objektive Tatsachen mitteilen (sondern Menschen als Subjekte ansprechen, in
Bewegung setzen);
Naturwissenschaft vermittelt Verfügungswissen, der Glaube Orientierungswissen;
(A. Benz: Die Zukunft des Universums, Düsseldorf 1997)
·
S.3: Der Psychoanalytiker Günter Hole
beschreibt den typischen Fanatiker auf der gedanklichen Ebene als einen
Menschen mit einem starken Bedürfnis nach Einfachheit und Eindeutigkeit der
Ideen, an denen er sich orientiert. Diese Ideen sollen absolut gültig sein und
dadurch Sicherheit geben, dass sich die Dinge säuberlich in richtig und falsch,
gut und böse einteilen lassen. Dafür müssen entgegenstehende Tatsachen
ausgeblendet und Widersprüche ignoriert werden. Das fanatische Verhalten wird
durch Kompromisslosigkeit und die Unfähigkeit gekennzeichnet, sich mit
andersdenkenden Personen zu verständigen.
(H. Hemminger: Religiöser Fanatismus, EZW
Berlin Texte 178/2004)
·
Peter Mittelstadt, Prof. f. theor.
Physik:
Die von uns gesuchten und konzipierten Naturgesetze gelten unabhängig vom Ort
und von der Zeit und in allen möglichen Welten. Sie galten vor der Entstehung
der Welt und sie gelten bis an das Ende der Welt und darüber hinaus. Daher
ließen sie die Welt entstehen.
(bdw 12/2003 S.54)
·
Stephen Hawking: “Gott würfelt
wirklich” Wir alle sind das Produkt von Quantenfluktuationen.
(taz 19.10.05)
·
Mutationen sind Ausdruck zufälliger
Prozesse bei den Individuen ... nun folgert man aber gerne den Satz: Die
Entwicklung des Lebens in unserer Welt ist eine Sache des Zufalls. --- aber:
was richtig ist für die Beschreibung der Veränderung bei einem Individuum, gilt
nicht, wenn man es auf die Gesamtheit der Entwicklung des Lebens bezieht ...
(zeitzeichen 3/06 S.52)
·
(12) EPFischer: Warum-Fragen haben
ganz allgemein ihre Tücken. Sie lassen sich stets in zwei Richtungen beantworten:
von der Ursache und von dem Ziel, der Bestimmung, her.
(Spektrum der Wissenschaft Dossier „Grenzen des Wissens“, 2002)
·
(321) Francis Crick (Mitentdecker der
DNS-Struktur); vertritt die Gewissheit, dass „detailliertes wissenschaftliches
Wissen bestimmte religiöse Glaubenssätze unhaltbar macht“; „große Teile der
Bibel sind ganz offensichtlich falsch“; Erklärung: Crick kann es nicht
verwinden, dass er sich einmal blamiert hat, weil er dem Wortlaut der Bibel
vertraute: die (zweite) Schöpfungsgeschichte legt den Gedanken nahe, dass
Männer über eine Rippe weniger als Frauen verfügen, Crick hat das erst auf der
Universität anders erfahren
(335) James D. Watson (Mitentdecker der DNS-Struktur): 1989 Interview mit
Magazin TIME: „ Früher haben die Menschen geglaubt, dass ihr Schicksal in den
Sternen liegt. Heute wissen wir, dass unser Schicksal in den Genen steckt.“
(Ernst Peter Fischer: Leonardo, Heisenberg & Co., Piper TB München 2004)
·
(Vorwort 1904) jene tiefen und
unversöhnlichen Gegensätze zwischen Wissen und Glauben, zwischen wahrer
Naturerkenntnis und angeblicher „Offenbarung“;
Entweder Naturerkenntnis und Erfahrung – oder Glaubensdichtung und
Offenbarung!;
(31) moderne Naturwissenschaft und Technik ... deren natürlicher Todfeind die
orthodoxe (preußische) Kirche ist
(149) trat diesem metaphysischen Kreatismus der physikalische Evolutismus
gegenüber
(183) der „große Heide“ Goethe; sein Glaubensbekenntnis ist der reine Monismus,
und zwar die pantheistische Richtung desselben, die wir als die einzig naturgemäße
anerkennen
(198) (Haeckels) monistische Theologie ... gelangt zum Pantheismus im Sinne von
Spinoza und Goethe
(Ernst Haeckel: Die Lebenswunder, Alfred Kröner Verlag Stuttgart 1906)
·
(161ff) (Kapitel:) Das
Glaubensbekenntnis der reinen Vernunft
(11) (Gott als) „gasförmiges Wirbeltier“
(133) Kapitel: Unsere monistische Religion
(Ernst Haeckel: Die Welträtsel, Alfred Kröner Verlag Stuttgart, 1899)
·
(18) Die Naturwissenschaft sucht nach
natürlichen Ursachen für natürliche Phänomene. Dadurch ist sie auf die Untersuchung
von Strukturen und Prozessen beschränkt, die sich direkt oder indirekt
beobachten und messen lassen, wobei oft technische Geräte wie z.B. Mikroskope
unsere Sinne erweitern. ... Es lässt sich naturwissenschaftlich weder
widerlegen noch nachweisen, ob übernatürliche Wesen wie Engel, Götter oder
Geister für Unwetter, Regenbögen, Krankheiten und Heilungsprozesse
verantwortlich sind; solche Erklärungen liegen jenseits der Grenzen der
Naturwissenschaft.;
(22) Naturwissenschaftliche Theorien sind natürlich nicht die einzige
Möglichkeit, Erkenntnisse über die Natur zu erlangen. ... Naturwissenschaft und
Religion sind zwei grundverschiedene Ansätze, sich mit Naturphänomenen zu
befassen. Die Kunst ist wieder eine andere Möglichkeit ... Das Lehrbuch Biologie
beschreibt das Leben aus rein naturwissenschaftlicher Sicht ...;
(23) Erkenntnisse auf naturwissenschaftlicher Basis haben stets einen
vorläufigen Status, im Gegensatz zu religiösen Dogmen. ...;
Naturwissenschaftler lassen Theorien nicht zum Dogma aufsteigen (520)
(Neil A. Campbell / Jane B. Reece: Biologie, Spektrum Akademischer Verlag
Heidelberg Berlin, 6. Auflage, 2003)
·
Faraday Institute for Science an
Religion in Cambridge (2006 gegründet); regelmäßig Tagungen zu Themen im
Grenzbereich zwischen Glauben und Wissen;
Intelligentes Design, die aus den USA nach Europa herüberschwappende
Überzeugung, dass die Entstehung und Entwicklung menschlichen, tierischen und
pflanzlichen Lebens nicht der Evolution geschuldet sei, sondern über die
Jahrmillionen dem scharfsinnigen Plan einer höheren Macht folgt, und biblischer
Schöpfungsglaube gewinnen ... immer mehr Anhänger. Eine Umfrage der BBC ergab,
dass 22 Prozent der Briten annehmen, die Welt sei vor etwa 6000 Jahren vom
lieben Gott in sechs Tagen erschaffen worden. 17 Prozent glauben an dieses
Intelligent Design. Nur 48 Prozent halten die Evolutionstheorie für wahr. Das
sind schon fast amerikanische Werte.;
Schweizer Reformator Johannes Calvin: „Wenn ihr etwas über die Sterne wissen
wollt, schaut zum Himmel auf und nicht in die Bibel“;
Darwin machte nie Rückschlüsse von der Natur auf Gott. Er gab nie vor, den
Ursprung des Lebens oder des Universums erklären zu können. Manchmal drückte er
sich in geradezu biblischen Wendungen aus.;
Wissenschaftliche Erkenntnisse haben keine zwingenden Folgen für den Glauben.;
John Polkinghorne: „Wir leben in einer Welt, deren Existenz man entweder durch
einen außerordentlichen Zufall erklären kann oder durch eine
Viele-Welten-Deutung der Quantenphysik oder durch einen Schöpfungsakt. Das ist
der Punkt, an dem die Physik in die Metaphysik übertritt.“
(Zeit 6.6.07 S.41)
·
Die hessische Kultusministerin Karin
Wolff hat mit Kreationismus „überhaupt nichts am Hut“ ... Aber sie spricht von
„Konvergenzen“ zwischen „Evolution und Schöpfungsgeschichte“, und sie hält es
für „sinnvoll“, Schüler nicht allein mit der Evolutionslehre im
Biologieunterricht zu konfrontieren. Darwin und Nachfolger dürften nicht
getrennt werden von der „Schöpfungslehre der Bibel“, die im Religionsunterricht
vermittelt wird. Auch „noch eine andere Sicht“ sei notwendig als nur die der
Naturwissenschaft.;
“Affenprozess“ in Tennessee 1925; Verstoß des Lehrers Scopes gegen ein gerade
verabschiedetes Gesetz,: danach war an den Schulen „jedwede Theorie“ verboten
worden, „welche die ganze Schöpfung verneint und stattdessen lehrt, der Mensch
entstamme einer niedrigeren Form des Tierlebens“; Scopes wurde zu 100 Dollar
Strafe verurteilt; ein Jahr später hob das Oberste Gericht des Staates das
Urteil wegen eines Formfehlers auf;
nur zwei von 15 Staaten, die das ursprünglich vorhatten, dekretierten den
Antidarwinismus: Arkansas und Mississippi; erst 1968 entschied der Supreme
Court des Bundes, dass in Arkansas Evolution gelehrt werden könne, nicht aber
Kreationismus, weil der als Religion an staatlichen Schulen nichts zu suchen
habe; zuletzt musste das US-Bezirksgericht 2005 in Pennsylvania eine
Schulbehörde belehren, dass „Intelligent Design“ als Alternative zur angeblich
„wissenschaftlich zweifelhaften Evolutionstheorie“ nicht angeboten werden
dürfe, weil das gegen die verfassungsgemäße Trennung von Kirche und Staat
verstoße;
Intelligent Design: hinter komplexen Konstruktionen („Maschinen“) ist immer ein
Designer zu vermuten; warum aber soll dieser „Ingenieur“ Gott sei und kein
Marsmännchen oder ein überintelligenter Zeitreisender aus der Zukunft?;
Alle Wissenschaft ist erstens vorläufig. Zweitens muss sie zumindest im Prinzip
empirisch überprüfbar sein – „intersubjektiv“ und nachvollziehbar. Und drittens
muss man ihre Erkenntnisse falsifizieren können. Der Satz „Der Himmel ist blau“
ist ein Satz, der widerlegbar ist; „dort wohnt Gott“ ist es nicht.
(Die Zeit 12.7.07 S.42)
·
Evolutionsforscher Richard Dawkins:
Einmal schrieb ich in einer Buchrezension: „Sicher ist jemand, der bei einer
Unterhaltung behauptet, nicht an die Evolution zu glauben, ungebildet, dumm
oder verrückt.“;
6000 Jahre oder 4,6 Mrd. Jahre Erdalter? – sechstausend Jahre ist nicht nur ein
kleiner Unterschied zu 4,6 Milliarden Jahren, sondern vergleichbar damit, als
würden Sie behaupten, New York und San Francisco wären nicht 5500 Kilometer
voneinander entfernt, sondern nur etwa 7 Meter;
Lawrence M. Krauss: „Ich denke auch nicht, dass wir der Menschheit je den
religiösen Glauben austreiben werden, ebenso wenig wie Liebesgefühle oder
andere irrationale, aber dennoch grundlegend menschliche Wesenszüge. Obwohl sie
wissenschaftlicher Ratio zuwiderlaufen, sind diese dennoch real und kaum
weniger wert, wenn wir unsere Menschlichkeit betrachten.“;
Natürlich ist es etwas anderes, den Glauben zu bereichern, als ihn zu
begründen, was Wissenschaft meiner Ansicht nach nicht tut.
(Spektrum der Wissenschaft 9/2007 S.102ff)
·
Im Lehrplan Biologie für den
gymnasialen Bildungsgang des Hessischen Kultusministeriums aus dem Jahre 2005
für die 12. Jahrgangsstufe zum Thema Evolution:
Auseinandersetzung mit philosophischen und religiösen Aussagen müssen die
naturwissenschaftliche Diskussion ergänzen und erweitern“
(Intelligent Design als Herausforderung an Naturwissenschaften und Theologie,
Hubert Meisinger, 2007)
·
Der Kreuzzug der Gottlosen – eine neue
Generation von Skeptikern und Wissenschaftlern ...;
Meisterdenker ist der 66-jährige Evolutionsbiologe aus Oxford Richard Dawkins;
Dawkins: „Der alttestamentarische Gott ist einer der unangenehmsten Charaktere
der Literatur“;
S.61ff: Die Botschaft der Neuen Atheisten lässt sich in zehn Geboten
zusammenfassen;
“VII. Du sollst keine anderen Götter neben der Wissenschaft haben.
Wissen und Glauben sind wie Feuer und Wasser. Es gibt kein Gemeinsames. Der
angebliche Glaube prominenter Wissenschaftler ist Selbsttäuschung und
Begriffesverwirrung. Wenn unter „Gott“ nur die so herrlich ineinandergreifenden
Gesetze des Universums verstanden werden, dann ist das für den Glauben sehr
unbefriedigend: Man betet nicht zum Gesetz der Schwerkraft.“;
Bisweilen scheint es, als würde auf alles eingeschlagen, was sich dem Messbaren
entzieht, ohne dem Geheimnis einen Raum zu lassen, als wäre unsere Zeit nicht
schon an sich ausgenüchtert genug.;
“Einen der größten Bärendienste hat Dawkins den Naturwissenschaften geleistet,
indem er sie als unnachgiebig und notwendig atheistisch darstellt“ (Oxforder
Molekularbiologe und Kirchenhistoriker McGrath);
die neuen Atheisten nehmen sich die abstrusesten Vertreter des Glaubens vor und
überschütten sie mit Spott;
zugleich zitieren Harris und Dawkins die Bibel ebenso buchstabengläubig wie die
vernageltsten Adventisten, ohne zwischen Bildrede, Allegorie und Lyrik zu
unterscheiden; Kirchenregeln werden mit Glaubensdogmen verwechselt, Religion
mit Gottesglaube;
Gott ist für die meisten Gläubigen weder Person noch ein Prinzip, noch eine
Existenz, sondern eine Antwort auf die Frage, warum etwas ist und nicht nichts;
“Aufklärungs-Fundamentalismus“;
(Spiegel 22/07 S.56ff)
·
Joseph Lewis, Präsident der atheistischen
Freidenker Amerikas, nach dem Flug von Sputnik 1: „Der Satellit hat im Himmel
keinen Gott entdeckt.“
(Spiegel 39/07 S.179)
·
Evangelische Zentralstelle für
Weltanschauungsfragen:
in Deutschland wächst die Zahl der Menschen, die an die Schöpfungslehre
glauben, wie sie in der Bibel steht. Die wissenschaftliche Evolutionstheorie
stoße im Gegenzug zunehmend auf Skepsis. … vor allem in Freikirchen und
unabhängigen Gemeinden … derzeit würden nach Studien zwischen 10 uns 12 Prozent
der Bundesbürger Darwin und seine Evolutionstheorie ablehnen. In den USA seien
es mehr als 30 Prozent.
(Freie Presse Chemnitz 4.12.07)
·
Pater George Coyne, Leiter der
Sternwarte des Vatikan:
Die Schöpfungsgeschichte ist kein wissenschaftliches Lehrbuch. Sie sagt uns
nicht, wie der Himmel funktioniert, sondern wie man dort hinkommt.;
erzählen uns eher etwas über den Schöpfer als darüber, WIE er schuf. In Form
dieser schönen Geschichte, geprägt von den mythischen Vorstellungen der
damaligen Menschen, wird uns hier gezeigt, DASS es Gott war, der die Welt schuf
– und uns, in zärtlicher, liebender Fürsorge.
(bdw 4-1995 S.68f)
·
Zum Biologen Richard Dawkins, Oxford
England;
hat die gleiche Schwarz-Weiß-Sicht von der Welt wie seine fundamentalistischen
(christlichen) Lieblingsgegner, Er ist genauso wie sie unfähig zu einem
Perspektivwechsel. Für ihn sind die „heiligen Schriften“ die 150 Jahre alten
Texte von Charles Darwin, und er ist nicht in der Lage, seine evolutionsbiologische
Perspektive im Sinne moderner Wissenschaftstheorie als eine unter vielen zu
sehen;
der Atheismus hat heutzutage ein Problem. Ab dem Jahr 1900 stürzte mit der
Quantentheorie der Determinismus, mit der Relativitätstheorie der Materialismus
und mit der Urknalltheorie die Vorstellung von der Ewigkeit der Welt zusammen;
schon die Evolutionstheorie war mit der christlichen Vorstellung einer „creatio
continua“, einer dauernden Schöpfertätigkeit Gottes, viel besser vereinbar als
mit dem Rentnergott der gebildeten Aufklärer;
man meint, Feuerbach habe irgendwie die Existenz Gottes argumentativ widerlegt.
Doch das ist mitnichten der Fall. Ludwig Feuerbach setzt die Nichtexistenz
Gottes einfach voraus und erklärt dann, warum es dennoch Religion gäbe.;
Gottesbeweise sind wie Liebesbeweise: sie überwältigen nicht mit Gewalt, aber
sie können ein Leben tragen
(chrismon 12-2007 S.62ff)
·
Vatikan ehrt Galileo Galilei;
eine lebensgroße Marmorskulptur soll auf Wunsch der Päpstlichen Akademie 2009
in den vatikanischen Gärten aufgestellt werden
(taz 10.3.08)
·
Beitrag Jens Reich:
Was immer ich mir an einem neuen Menschen ansehe …. Es ist wunderbar. Wenn ich
grüble, kommen mir Zweifel an meiner Überzeugung, dass all dies das Ergebnis
einer blinden, nicht auf ein Ziel gerichteten Zukunft sein soll, und ich
beginne intuitiv, über einen superintelligenten Schöpfungsentwurf nachzudenken.
Die Idee eines intelligenten Designers muss ich allerdings umgehend verwerfen,
wenn ich mir die eingebaute Unvollkommenheit dieses Entwurfs vor Augen führe.
Der Designer hat nicht einfach nur gepatzt, er hat ganz offensichtlich
grundsätzliche Fehler begangen … Bandscheiben … Konstruktion des Auges … enges
weibliches Becken … Sprunggelenk …
Ich kann mir keinen Gott vorstellen, der dies alles absichtlich mit so vielen
Fehlern geschaffen haben soll. Ich kann mir Gott nur als Schöpfer vorstellen,
der die Naturgesetze erschaffen hat und anschließend interessiert zusieht, was
die Evolution zustande bringt
(ZEIT
19.3.08 S.38)
·
Fast
ein Drittel der Bundesbürger zweifelt an der Evolutionstheorie, in den USA
bilden Schöpfungsgläubige seit Langem die Mehrheit
(Die Zeit 31.12.08 S.31)
·
Der Vatikan sieht keinen Grund für
eine posthume Entschuldigung bei dem Briten Charles Darwin für die kirchlichen
Kontroversen über dessen 150 Jahre alte Evolutionstheorie;
Präsident des Päpstlichen Kulturrats: „Seine Evolutionstheorie ist nicht von
vornherein unvereinbar mit der Lehre der katholischen Kirche und mit der
Botschaft der Bibel.“
(taz 19.11.08)
·
(S.35
zu Kopernikus:)
Vor allem protestantische Theologen widersprechen den Zweiflern am
althergebrachten Weltmodell. Für sie ist die Bibel die einzig maßgebliche
Instanz.
(S.38ff. zu Galilei):
Nie hat ein einzelner Prozess einer Institution so geschadet wie dieser. Bis heute hängt dem Vatikan das
Verdikt an: wissenschaftsfeindlich, rückwärtsgewandt, unbelehrbar! Der Prozess
gegen Galilei war, so die übliche Lesart, der Höhepunkt der jahrhundertelangen
Unterdrückung Andersdenkender, der letzte Beweis für die Intoleranz der Inquisition.
Zugleich war er der Beginn einer strahlenden Epoche, an der die Kirche weder
teilhaben konnte noch durfte: Aufklärung, moderne Wissenschaft, Fortschritt!
Galilei war ein Held, die Kirche ein Schurke. So wird das Drame bis heute
gelesen.
Nur kann die neueste Forschung diese Deutung nicht bestätigen. Sie findet im
Galilei-Prozess weniger ein Heldenstück als eine Tragikomödie: ein verworrenes
Lehrstück über Macht und Missbrauch, über Eitelkeit und Eigennutz, über
Verfehlungen und Verirrungen. Nur eines kommt darin kaum vor: Wissenschaft. Um
sie ging es am wenigsten, auch wenn das Stück mit ihr beginnt. …
(Galilei beobachtet mit seinem Teleskop:) Auf dem Mond gibt es Berge! Täler!
Krater! Das kann, das darf nicht sein.
Nach gängiger Lehre, unbezweifelt seit den antiken Gelehrten Aristoteles und
Claudius Ptolemäus, ist der Kosmos in zwei Sphären unterteilt. In der irdischen
Sphäre sind alle Dinge veränderlich, endlich, unvollkommen. Jenseits davon, im
himmlischen Reich, auf dem Mond also und bei den Sternen, ist alles ewig,
unveränderlich, vollkommen. Daher hat man sich den Mond als glatt polierte,
wenngleich leicht fleckige Kugel vorgestellt.
Denn am perfekten Himmel kann nur eine perfekte Kugel hängen.
Aber nichts davon: Der Mond gleicht der Erde in all ihrer Unvollkommenheit –
sollten Himmel und Erde also aus dem gleichen Stoff sein? Es wäre ein
kosmologischer Umsturz …
Die Sonne, so erkennt er später, hat Flecken – ist auch sie nicht perfekt? …
Den Jupiter umkreisen vier Monde! …
In jenen Tagen glaubt man, das gesamte Universum habe nur einen einzigen
Drehpunkt: die Erde. … Die Monde, die ihre Bahnen um den Jupiter ziehen, sind
der Beweis, dass nicht alle Himmelskörper um die Erde kreisen …
Rasch schreibt er nieder, was er entdeckt hat … Die nur 48-seitige Broschüre
(„Die Sternenbotschaft“ 1610) macht ihn innerhalb weniger Wochen zum
berühmtesten Wissenschaftler Europas …Die Herrscher – weltliche wie geistliche
– gieren nach Sensationen, nach Abwechslung. Ob das Weltbild wankt,
interessiert sie wenig.
Ganz anders die Philosophen, die das Geistesleben Europas beherrschen und weit
energischer als Kirche und Obrigkeit die traditionelle Weltsicht verteidigen.
Diese scholastischen Gelehrten werden in den folgenden Jahren zu Galileis
erbittertsten Feinden.
Sie haben auch am meisten zu verlieren: Sollte sich Galileis Forschungsmethode
durchsetzen – Erkenntnis durch Beobachtung und Experiment – wären sie
entbehrlich.
Im Laufe der Jahrhunderte haben sie auf einigen Grundsätzen des Aristoteles und
anderer antiker Philosophen ein überwältigend komplexes Denksystem errichtet.
Das Messen, Experimentieren, Wiegen, so wie es Galilei unternimmt, gilt ihnen
als völlig untauglicher Weg zur Erkenntnis. Nach ihrer Vorstellung lassen sich
die tiefsten Seinsgründe nicht durch Beobachtung, nicht durch die Sinne
erschließen, sondern nur durch die Vernunft, durch eine rein geistige
Wesensschau. …
Es gehört zum Mythos der modernen Naturwissenschaft, dass ihre frühen
Entdeckungen die Menschen wie selbstverständlich überzeugt hätten, allein durch
die Macht ihrer Wahrheit. Und dass nur verstockte Ewiggestrige wie die
kirchlichen Inquisitoren sich deren Evidenz verweigert hätten.
Aber so ist es nicht gewesen. Nach dem damaligen Kenntnisstand haben Galileis
Gegner gute wissenschaftliche Argumente. Also muss der Astronom dafür sorgen,
dass seine Entdeckungen auf anderen Wegen akzeptiert werden. …
Galilei widmet seine Schrift
„Sternenbotschaft“ dem Großherzog der Toskana … dieser ernennt ihn zu seinem
„Ersten Mathematiker und Philosophen“ und stattet ihn mit Empfehlungsschreiben
aus… Kaiser Rudolf II. in Prag schaut „glücklich und zufrieden“ durch das ihm
von Galilei geschickte Fernrohr …
1611 reist Galilei nach Rom an den päpstlichen Hof … Kardinäle besuchen seine
Teleskopvorführungen, die jesuitischen Astronomen bestätigen seine Entdeckungen
und feiern ihn auf einer eigens einberufenen Konferenz. Papst Paul V. gewährt
ihm eine Privataudienz – es gibt keinerlei Anzeichen, dass die Kirche ihren
Glauben bedroht sieht durch Galileis Entdeckungen.
Dennoch hält sich bis heute die Legende, die Kirche sei durch Galileis Teleskop
in eine tiefe Krise geraten. Und dass sie ihn verfolgt habe von Anfang an, als
Ketzer, als Zerstörer des Glaubens.
Nichts dergleichen. Das sind Erfindungen des 18. und 19. Jahrhunderts, als
Aufklärer die Kirche schwärzer malen, als diese jemals gewesen ist.
Die Kirche ist in der frühen Neuzeit der bedeutendste Förderer des Wissens.
Italien steht weitgehend unter dem Einfluss des Papstes, und Kunst und
Wissenschaft florieren wie kaum anderswo in Europa. …
Schon Kirchenlehrer wie Augustinus (354-430) und Thomas von Aquin (1225-1274)
haben Naturerkenntnis und Glauben zu unterscheiden gewusst. Sie waren klug
genug, die Bibel nicht wegen jeder neuen wissenschaftlichen Entdeckung Zweifeln
auszusetzen.
In der Astronomie, verkündete im 4. Jh. Augustinus, könne ein Ketzer mitunter
besser informiert sein als ein frommer Christ. Und zu Galileis Zeit heißt es:
Die Bibel zeigt den Weg in den Himmel, aber nicht, wie es im Himmel zugeht.
Die katholische Kirche hat die Heilige Schrift zu keiner Zeit als wörtliche
Wahrheit verstanden. erst recht nicht als wissenschaftliches Lehrbuch. …
Als Galilei seine Entdeckungen macht, kennt die Kirche daher kein Dogma, nach
dem die Welt sich um die Erde drehe. Zwar sind die meisten Theologen – wie
praktisch alle Menschen jener Zeit – fest vom Geozentrismus überzeugt; aber bis
dato ist er nicht zur Glaubenssache erhoben worden.
Erbitterte Gegner des Heliozentrismus von Copernicus finden sich in jener Zeit
eher unter Protestanten, eben weil sie die Bibel oft wortwörtlich nehmen. …
1613: Galilei verteidigt in seinen „Briefen über die Sonnenflecken“ zum ersten
und einzigen Mal in seinem Leben schriftlich die Lehren des Nicolaus
Copernicus.
1614: Der Karmeliterpater Paolo Antonio Foscarini veröffentlicht eine
Streitschrift, in der er die Bibel Punkt für Punkt mit dem heliozentrischen
Weltbild aussöhnt. Er legt sie dem Kardinal-Inquisitor Bellarmin vor.
1615: Ein Dominikanerpater zeigt Galilei an, aber die römische Inquisition
sieht keinen Anlass, ein Verfahren zu eröffnen. Bellarmin schreibt Foscarini in
einem höflichen Brief, die Kirche habe nichts gegen Kopernikus einzuwenden,
solange die Forscher dessen Lehre bloß „ex suppositione“ darstellen, also als
Hypothese, nicht als bewiesene Wahrheit.
Der 73-jährige Kardinal will auf diesem Wege beides schützen, die herrschende
Bibelauslegung und die Freiheit der Forschung. Die meisten Wissenschaftler
akzeptieren den Vorschlag. Er behindert ihre Arbeit nicht, und einen Beweis für
das copernicanische Weltbild kann eh noch niemand erbringen.
Einer der wenigen, die gegen den Kompromiss anschreiben, ist Galilei. Er
verlangt, dass sich die Kirche aus allen naturwissenschaftlichen Fragen
heraushalte – nicht so sehr, um die Forschung vor der Kirche zu bewahren,
sondern um im Geiste der Kirchenlehrer die Bibel vor neuen Erkenntnissen zu
schützen. Dennoch schafft er sich viele Feinde, weil er sich weit auf das
Gebiet der katholischen Theologen wagt.
Die werden immer nervöser, je mehr sich der Protestantismus ausbreitet. Die
Bibelexegese ist der zentrale Streitpunkt zwischen den Konfessionen, und in
jenen Tagen gilt jede Neudeutung als heikel: Wenn man die astronomischen
Aussagen der Bibel neu auslegen kann, so fürchtet der Vatikan, warum dann nicht
gleich die ganze Bibel?
1616 gewinnen die Hardliner im Vatikan die Oberhand. Die Kirche setzt das
Hauptwerk des Kopernikus „De revolutionibus orbium coelestium“ („Über die
Umdrehungen der Himmelskörper“ – genauer:
der himmlischen Kreise, Copernicus nahm noch kreisförmige Kugelschalen an,
Sphären, die sich mit den Himmelskörpern bewegten JK -, 1543), das sie 73
Jahre lang toleriert hatte, auf den Index.
Zugleich billigt der Papst ein drastisches Edikt: Der Standpunkt der
Copernicaner, die Sonne sei der Mittelpunkt der Welt, sei „philosophisch
töricht und absurd, und formal ist er ketzerisch.“ Das gleiche gelte von der
Erdbewegung, auch sie sei „hinsichtlich der theologischen Wahrheit zumindest
glaubensmäßig irrig.“
Erstmals in ihrer Geschichte macht sich die Kirche eine kosmologische Lehre
offiziell zu eigen – und dann ausgerechnet jenen
Geozentrismus, den die meisten Astronomen zwar noch unterstützen, der aber
längst nicht mehr zweifelsfrei dasteht. …
Die Folgen dieses neuen Dogmatismus sind zunächst allerdings weit weniger
dramatisch als befürchtet. Denn wieder einmal ist der Vatikan alles andere als
konsequent. Eigentlich müsste die römische Inquisition nun sofort ein Verfahren
wegen Ketzerei gegen Galilei einleiten. Stattdessen zitiert Kardinal Bellarmin
den Forscher herbei und übergibt ihm in herzlicher Atmosphäre eine schriftliche
– und väterliche – Ermahnung, die beiden verbotenen Aussagen nicht mehr zu
verteidigen …
Erstaunlich milde verfährt die Kirche auch mit dem Buch des Copernicus. Sie
lässt nach der Indizierung alle Aussagen über die Erdbewegungen als Hypothesen
umschreiben, und bereits 1620 erhält das Werk wieder die Druckerlaubnis.
Galilei lässt sich durch seine kurze Konfrontation mit den römischen
Glaubenswächtern nicht sonderlich beunruhigen … 1623 wird sein Freund und
Gönner Maffeo Barberini als Urban VIII. auf den Papstthron gewählt. Im Jahr
darauf empfängt Urban Galilei sechsmal in seinem Palast zu langen
philosophischen Gesprächen; er schenkt ihm Medaillen, gewährt ihm Ablässe und
eine lebenslange Pension.
Urban ermuntert en Forscher zudem, in seinem nächsten Buch „durchaus die
mathematischen Betrachtungen der copernicanischen Annahme über die Bewegung der
Erde“ anzuführen, solange er sie als Hypothese darstelle. Der Papst ist nicht
der einzige, der hofft, Galilei könne den ursprünglich griechisch-heidnischen
Aristotelismus ablösen und dem Christentum eine neue Weltsicht schenken. …
1632 veröffentlicht Galilei den „Dialog über die beiden hauptsächlichen
Weltsysteme, das ptolemäische und das coprnicanische“, die Ideen sind
weitgehend als Hypothesen verfasst … zwar
haben kirchliche Zensoren die Druckerlaubnis erteilt, doch Papst Urban
verbietet den weiteren Verkauf … Hintergrund: Galilei hat Vereinbarungen nicht
eingehalten, Urban hat außenpolitischen Druck, muss Härte und
Durchsetzungsvermögen zeigen ... es geht um Politik und Macht … Urban beruft
ein Sondertribunal ein, um die Anklage gegen Galilei zu formulieren …
Die Anklage ist merkwürdig zahnlos. Galilei steht nicht etwa wegen Ketzerei vor
Gericht – oder weil er ein verbotenes Weltbild vertreten habe. …
Das gilt nicht für den einzigen ernst zu nehmenden Vorwurf: Er lautet auf
Ungehorsam gegen die Kirche und stützt sich auf ein Dokument von 1616, das
Galilei nach eigener Aussage nie zuvor gesehen hat. … Demnach hätte Galilei den
Copernicanismus „in keiner Weise, weder in Wort noch Schrift“ lehren dürfen,
also auch nicht als Hypothese. Gegen diese Auflage habe Galilei verstoßen. Eine
wackelige Argumentation: Denn das mysteriöse Dokument trägt weder Stempel noch
Unterschrift … (nach einem Privatbesuch
eines Kommissars der Inquisition) gesteht Galilei drei Tage später seinen
Irrtum ein. …
Es vergehen noch einmal fast zwei Monate, ehe die Kardinäle im Tribunal ihr
Urteil sprechen, „dass Du, Galilei, Dich der Häresie sehr verdächtig gemacht
hast; das heißt, dass Du eine Lehre geglaubt und behauptet hast, welche falsch
und der Heiligen und Göttlichen Schrift zuwider ist.“
am 22.6.1633 schwört Galilei ab …
In seinem letzten Lebensjahr diktiert Galilei in einem Brief an einen
Freund …: „Dass das copernicanische System falsch sei, darf um keinen Preis
bezweifelt werden, vor allem nicht von uns Katholiken. Und genau wie ich die
Beobachtungen und Vermutungen des Copernicus für unzureichend halte, so halte
ich ebenso und noch mehr diejenigen von Ptolemäus und Aristoteles für
trügerisch und irrig.“ …
(Im „Dialogo“ hatte er geschrieben:) „Es gibt kein Geschehnis in der Natur,
auch nicht das einfachste, das von den Theoretikern jemals vollkommen verstanden
werden kann.“
Alles Wissen ist vorläufig und richtig nur, bis es als falsch erwiesen wird. …
Das ist Galileis radikale, antimetaphysische, moderne Botschaft.
(GEO kompakt 14, Die 100 größten Forscher aller Zeiten, 2008)
·
TU
Dortmund; Befragung von Studenten, was sie von der Evolutionstheorie halten;
angehende Lehramtsstudenten Biologie: 15% lehnen die Theorie ab;
Biologiestudenten: 7% gegen Evolutionstheorie;
(Die Zeit 5.3.09 S.61)
·
Indischer
Verhaltensbiologe im Gespräch:
bei uns in Indien hat niemand Schwierigkeiten mit der Evolutionstheorie. Dass
die Welt in ständiger Entwicklung begriffen ist, dass Zerstörung und
Neuschöpfung miteinander einhergehen, dass die Naturgeschichte kein Ziel hat –
all das lehrt die hinduistische Philosophie seit jeher.
(ZEIT-Magazin 8-2009 12.2.09)
·
Reinhard Junker (Wort und Wissen):
Man muss sich klar machen, dass Evolution … im Vergleich zur Schöpfung ein
vollkommen anderer Vorgang ist. Evolution führt das Werden des Lebens allein
auf natürliche Gegebenheiten zurück. Konkret: Sie beruht auf der Variabilität
der Arten und einer Überproduktion der Nachkommen. Daraus folgt zwingend eine
Auslese: In der Regel werden diejenigen Formen Nachkommen hervorbringen und
ihre Merkmale an die nächste Generation weitergeben, die am besten mit den
jeweiligen Umweltbedingungen zurechtkommen (Auslese der Bestangepassten). Das
wiederum bedeutet, dass innerartliche Konkurrenz unvermeidlich ist. Mehr noch:
Konkurrenz ist in evolutionärer Perspektive sogar eine Triebfeder für den
Fortgang der Entwicklung. Die Erzeugung der Variabilität als Reservoir für die
Auslese erfolgt letztlich durch Mutationen. Diese sind aber – bis auf spezielle
Ausnahmen – ungerichtet.
Evolutionstheoretiker betonen immer wieder, dass es im Evolutionsprozess keinerlei Zielorientierung gibt – diese
kann es auch gar nicht geben, da Evolution als ein rein natürlicher Prozess
verstanden wird. Bloße Naturprozesse können aber keine Ziele verfolgen.
Schöpfung dagegen beinhaltet im Gegensatz dazu gerade Zielorientierung,
Zweckbestimmung und Ordnung.
Mach man sich also auf der einen Seite klar, was Evolution bedeutet, und auf
der anderen Seite, was Schöpfung durch das Wort bedeutet, wie es uns im Alten
und Neuen Testament bezeugt wird, ist offenkundig, dass es sich um zwei
grundverschiedene Vorgänge handelt, die nicht miteinander harmonisiert werden
können. Wird dies gemacht (z.B. durch Versuche einer theistisch gedachten
Evolution), geschieht dies nur unter Preisgabe der für Schöpfung oder für
Evolution charakteristischen Kennzeichen.
(Wort und Wissen, info 2/09 S.1f)
·
Bericht Harald Lamprecht über eine
Veranstaltung zum Schöpfungsglauben auf dem Kirchentag in Bremen;
Wissenschaftsjournalist und bekennender Ateist Rüdiger Vaas: Pointiert vertritt
er seine These: Der Darwinismus sei mit einem allwissenden und allgütigen Gott
unvereinbar.
(confessio, Informationen über Weltanschauungen und Ökumene, Dresden, Heft
3/2009, S.8)
·
(Bischof Wolfgang Huber):
Gerade weil sich das Ziel, um dessentwillen die Welt entstand und das Leben
sich auf Erden bildete, nicht aus naturwissenschaftlichen Einsichten selbst
erschließt, brauchen wir einen Zugang zu dem Sinn des Ganzen, der den Raum des
unserem Wissen Zugänglichen überschreitet. Der Glaube an Gott als den Schöpfer
vermittelt die Gewissheit, dass diese Welt die Möglichkeit zum Guten in sich
enthält; er erschließt einen Zugang zur Welt, der sich auf diese Güte verlässt
und zu ihr beizutragen bereit ist. Dass Gott es mit der Welt im Ganzen ebenso
wie mit meinem persönlichen Leben gut meint, ist der Grundsinn des
Schöpfungsglaubens.
(Die Zeit 21.8.08 S.13)
·
Wie viele Kritiker der
Evolutionstheorie zeigt auch Wolfgang Huber (Ratsvorsitzender der Evangelischen
Kirche in Deutschland JK) in seinem Beitrag „Wenn Atheisten zu Propheten
werden“ (ZEIT 35/08), dass er den revolutionären Kern des Darwinschen Werkes
entweder nicht verstanden hat oder vorsätzlich ignoriert. Bei Aussagen wie
„innerer Sinn“ und „Ziel, um dessentwillen die Welt entstand“, sträuben sich
jedem Evolutionsbiologen die Haare.
Weder die Welt noch das Leben oder die Selektion haben einen Sinn oder
verfolgen gar Ziele. Die Anpassung der Lebewesen erfolgt völlig opportunistisch
und ohne eine dahinter liegende Fortschrittsidee.
(Die Zeit 28.8.08 S.36)
·
… die Theologie wird durch Darwins
Evolutionstheorie auf unterschiedlichste Weise herausgefordert: Was ist der
Kern des christlichen Schöpfungsglaubens? Gibt es (wenn schon keinen
biologischen, so doch) einen theologischen Zielpunkt, das Omega, auf das alles
zuläuft? Ist alle Entwicklung nur Zufall oder steht hinter der Entwicklung des
Menschen eine Notwendigkeit, ein sog. Anthropisches Prinzip? Wie sieht es aus
mit dem „Survival of the fittest“ und Jesu Botschaft von der Zuwendung zu
denen, die sich selbst nicht helfen können?
(Christiane Krause)
(confessio, Informationen über Weltanschauungen und Ökumene, Zeitschrift,
Dresden 1-2009, S.17)
·
Pascal schrieb: „Verschlungen von der
unendlichen Weite der Räume, von denen ich nichts weiß und die von mir nichts
wissen, erschaudere ich … Das ewige Schweigen der Räume erschreckt mich … Wenn
ich bedenke, dass der Mensch … sich selbst überlassen ist wie ein Verirrter in
diesem Winkel des Weltalls … dann überkommt mich ein Grauen.“;
Schöpfungsglaube … Man möchte sich nicht in einem sinnverlassenen Universum
verloren vorkommen, sondern will irgendwie „gemeint“ und „angesprochen“ sein.
In der Welt habt ihr Angst, aber ich habe euch beim Namen gerufen, ihr seid
mein, verspricht der Christus.;
Die totalitären Ideologien des letzten Jahrhunderts, Nationalsozialismus ebenso
wie Kommunismus, haben sich … als pervertierte Religionen oder, was auf
dasselbe hinausläuft, als politische Ersatzreligionen erwiesen. Sie
monopolisieren die Wahrheit, geben dem Menschen die Geborgenheit einer Festung
mit Sehschlitz und Schießscharte. Sie setzen auf die Angst vor der Freiheit und
gliedern den einzelnen in ein Kollektiv ein: Dort darf er sich zugehörig fühlen
– im verfeindenden Gegensatz zu denen, die nicht dazugehören.;
(Safranski)
(Der Spiegel 3/2010 S.119ff.)
·
„Das
Wort Zufall ist Gotteslästerung“, heißt es in Lessings 1772 uraufgeführten
Drama „Emilia Galotti“. Denn der Zufall ist nach Ansicht der meisten Religionen
nur eine Illusion der menschlichen Wahrnehmung, die die alles durchwaltenden
kosmischen Gesetzmäßigkeiten nicht erfassen kann. … Doch die Suche nach Sinn in
der Welt birgt auch die Gefahr der Selbsttäuschung. … neuronale Voraussetzungen
rationaler Erklärungen ist wichtig für die Orientierung in der Welt, weil sie
Verständnis und Voraussagen von natürlichen und sozialen Zusammenhängen
ermöglicht. Sie kann freilich in Form von Rationalisierungen überschießen und
kausale Zusammenhänge dort konstruieren, wo gar keine existieren.
(bild der wissenschaft 1-2010 S.54)
·
Christoph
Markschies, Prof. für Kirchengeschichte und Präsident der Humboldt-Universität
Berlin):
Physiker, die die ersten Momente dieser Welt modellieren, wie
Evolutionsbiologen und übrigens auch Historiker, rekonstruieren mit Hilfe von
Theorien Kausalketten, die angeben, warum etwas, was ich vorfinde, so ist, wie
ich es vorfinde. Der Glaube an Gott, den Schöpfer, rekonstruiert nicht
irgendein Element dieser Kausalkette (und zwar das erste), sondern den, der die
Fülle dieser Kausalketten ins Dasein rief und im Dasein hält. Das ist eine
Theorie auf einer ganz anderen Ebene als die Evolutionstheorie, eine Theorie
über den Grund der Möglichkeit von etwas und nicht über irgendeinen Grund. Weil
ich davon überzeugt bin, dass Gott der Grund der Möglichkeit von überhaupt
allem ist …
(Der Sonntag, Sachsen, 22.2.2010 S.3)
·
Derzeit
glauben die meisten Wissenschaftler, dass religiöses Empfinden die erste
Triebkraft für die kognitive und kulturelle Evolution des Menschen war – und
nicht der Kampf gegen die Natur ums nackte Überleben.
(bild der wissenschaft 11-2010 S.72)
·
(S.139)
Immanuel Kant in der Allgemeinen Naturgeschichte des Himmels:
“Man kann das Weltgebäude nicht ansehen, ohne die trefflichste Anordnung in
ihrer Einrichtung, und die sicheren Merkmale der Hand Gottes, in der
Vollkommenheit ihrer Beziehungen zu erkennen.“
(S.301) Beurteilung des englischen Nobelpreisträgers für Physik George Thomson:
“Vermutlich würde jeder Wissenschaftler an eine Schöpfung glauben, wenn die
Bibel nicht unglücklicherweise vor vielen Jahren etwas dazu gesagt hätte und
diesen Gedanken nun nicht altmodisch aussehen ließe.“
(S.321f.) Lamarck … der die Evolution nicht gegen die Religion, sondern im
Vertrauen auf Gott entdeckt hat.
Lamarck kümmerte sich um Fossilien und er konnte mehr als jeder andere
vergleichen. Dabei drängte sich ihm der Schluss geradezu auf, dass in der
Vergangenheit der Erde, als sich die geologischen Bedingungen geändert hatten,
einige Arten ausgestorben waren. So würden wir heute sagen. Doch Lamarck sah
das anders. Er traute Gott nicht zu, Arten erst zu kreieren und dann streben zu lassen, und er konnte diesem Dilemma nur entkommen, indem
er annahm, dass sich die Arten geändert hatten. Gottes Größe zeigte sich gerade
durch die Evolution und in ihr. Er sorgte mit dieser Eigenschaft für die
Kontinuität des Lebens, das er geschaffen hatte. Der Gedanke der Evolution
nimmt Gott ernst, statt ihn abzuschieben.
(Ernst Peter Fischer: Die kosmische Hintertreppe, nymphenburger München, 2009)
·
Albert
Einstein:
„Es scheint hart, dem Herrgott in die Karten zu gucken. Aber dass er würfelt
und sich telepatischer Mittel bedient (wie es ihm von der gegenwärtigen
Quantentheorie zugemutet wird), kann ich keinen Augenblick glauben."
(Über die Quantenmechanik in einem Brief an Cornelius Lanczos, 21. März 1942,
Einstein-Archiv 15-294, zitiert nach Einstein, Briefe, Seite 65, zitiert nach
Alice Calaprice (Hrsg.): Einstein sagt, Piper-Verlag, München, Zürich 1996,
ISBN 3-492-03935-9, Seite 146)
·
„Gibt
es andere Universen – und wie viele?“
Auch die moderne Wissenschaft hat ihre Glaubensfragen. Ein Gespräch mit der
US-amerikanischen Physikerin Lisa Randall.;
Randall: Das Wort Schöpfung benutze ich nicht, und eine Predigerin bin ich
schon gar nicht. Es geht mir darum, die Welt zu verstehen – also zu überprüfen,
ob etwas wahr oder falsch ist.
ZEIT: Der Urknall ist auch eine Art Schöpfungsakt.
Randall: Aber die große Frage, wie alles anfing, können Kosmologen nur schwer
beantworten. Die Urknalltheorie sagt uns, wie sich das Universum entwickelt
hat, aber nicht, was am Anfang knallte. Darüber können wir nur spekulieren. Es
ist nicht ausgeschlossen, dass noch andere Universen existieren, die von
unserem komplett abgetrennt sind und in denen andere Naturgesetze gelten.
Vielleicht gibt es da zum Beispiel eine andere Art Elektrizität.
ZEIT: Viele Ihrer Fachkollegen sind fasziniert von solchen Paralleluniversen.
Stephen Hawking behauptet, dass die Theorie von einer möglichen Vielzahl der
Universen Gott überflüssig mache.
Randall: Ach was, dieser Gottesstreit ist doch nur PR. Ich halte wenig davon,
Wissenschaft als Ersatzreligion anzupreisen. Dass es andere Universen gibt, ist
theoretisch denkbar, und die Idee mag sexy sein. Aber Wissenschaft muss auf
Experimenten und überprüfbaren Vorhersagen beruhen.
ZEIT: Was ist falsch daran, die Faszination für die Wissenschaft zu wecken,
indem man ein paar letzte Fragen stellt?
Randall: Nach jetzigem Wissensstand sind Paralleluniversen bloße Glaubenssache.
Und wer nur über solche Aufreger spricht, hat in Amerika schnell die
Kreationisten vor der Tür, die heftig protestieren. Ich hatte unlängst eine
Diskussion mit dem Evolutionsbiologen Richard Dawkins. Er beschwört das Schöne
und Majestätische der Wissenschaft und glaubt, sie könne die Religion ersetzen.
Für mich dagegen ist das Großartige an der Wissenschaft gerade ihre Unordnung.
Wissenschaftler sind nicht im Besitz einer geoffenbarten Wahrheit, sondern
müssen selber herausfinden, was die Welt im Innersten zusammenhält. Wir
überprüfen unsere Ideen und verwerfen sie wieder, auch wenn sie noch so schön
sind.;
ZEIT: Aber beide, sowohl der Priester in der Kathedrale als auch der Physiker
am Cern, behaupten, die Wahrheit zu verkünden.
Randall: Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob der Priester die Wahrheit auch
gesucht hat oder immer nur glaubt, sie schon zu kennen. Wissenschaftler
jedenfalls suchen die Wahrheit.;
Wissenschaftler stellen sich jedoch gegenseitig ständig infrage. Ich kann als
Physikerin nicht einfach irgendetwas behaupten. Ich muss erklären, warum das,
was ich sage, stimmt, wie ich darauf gekommen bin und was es bedeutet.
ZEIT: In Ihrem neuen Buch Die Vermessung des Universums schreiben Sie, dass die
Religion im Konflikt mit der Wissenschaft steht, weil sie nicht nur Aussagen
über das Verhältnis des Menschen zur Welt macht, sondern auch über die Welt
selbst – in Konkurrenz zur Wissenschaft.
Randall: Solange Religion Privatsache ist, etwas Persönliches, kommt sie nicht
mit der Wissenschaft in Konflikt. Wenn sie aber behauptet, dass Gott oder eine
übernatürliche Kraft in die Welt eingreift, dann fordert sie die Wissenschaft
heraus, weil die Wissenschaft sagt, dass alles in der Welt nach dem Prinzip von
Ursache und Wirkung geschieht. Wenn jemand behauptet, er habe diese oder jene
Entscheidung getroffen, weil Gott ihn geleitet habe – dann riskiert er meinen
Widerspruch. Denn ich sage, dass jede Wirkung eine Ursache haben muss und allem
eine physikalische Struktur zugrunde liegt. Wenn etwa keine Synapsen in unserem
Gehirn feuern würden, dann könnten wir keine moralischen Entscheidungen
treffen. Wer wirklich glaubt, dass Gott bei diesen Entscheidungen mitspielt,
muss erklären, wie Gott das Feuern der Synapsen beeinflusst.
ZEIT: Die Vorstellung, dass Gott aktiv in den Weltenlauf eingreift, haben die
Europäer doch schon im 18. Jahrhundert aufgegeben. Seither gilt eine
Arbeitsteilung: Die Religion sagt, was gut und böse ist. Die Wissenschaft
untersucht, wie die Welt funktioniert.;
ZEIT: Liegt die Schwierigkeit bei der Beschreibung des Gottesglaubens wirklich
nur in der Komplexität der entsprechenden wissenschaftlichen Theorie? Glauben
ist doch eine fundamental andere Kategorie als alles, was wir sonst mithilfe
von Atomen erklären.;
(Randall) … Wir sollten uns vor Übertreibungen hüten und offen über ungeklärte
Fragen reden. Das ist kein Scheitern. Es gehört zur Aufgabe der Wissenschaft,
dass sie uns auch das zeigt, was wir noch nicht verstehen.
ZEIT: Gibt es für Sie als Physikerin gar keine festen Überzeugungen und
unverrückbaren wissenschaftlichen Glaubenssätze?
Randall: Doch, aber ich hänge nicht an ihnen. Wenn sich meine Überzeugungen als
falsch erweisen, bin ich bereit, sie zu verwerfen.;
Randall: Da haben Sie recht. Wissenschaftler glauben, dass letztlich alles nach
dem Prinzip von Ursache und Wirkung geschieht. Aber beweisen können sie es
nicht immer.
ZEIT: Sind Naturwissenschaftler, die an Gott glauben, schlechtere
Wissenschaftler?
Randall: Wer Naturwissenschaftler sein will und gleichzeitig in religiösen
Kategorien denkt, gerät in Schwierigkeiten. Ich habe Freunde, die brillante
Naturwissenschaftler sind und dennoch an Gott glauben – vermutlich geht das nur
deshalb, weil sie zu verschiedenen Zeiten verschiedene Hirnregionen benutzen.
An einem Tag gehen sie in die Kirche, am nächsten untersuchen sie Moleküle.
Religion gehört zu ihrem Lebensstil, aber nicht zu ihrer wissenschaftlichen
Arbeit.
ZEIT: Immerhin haben sich viele große Physiker auf Gott berufen: Isaac Newton,
Albert Einstein, Stephen Hawking.
Randall: Newton war religiös, aber er lebte in einer anderen Zeit. Hawking
beruft sich auf Gott, um in die Zeitung zu kommen. Bei Einstein bin ich mir
nicht sicher. Manche Leute sagen, er habe an Spinozas Gott geglaubt.
ZEIT: Baruch de Spinoza gilt als Begründer des modernen Pantheismus, er war
überzeugt, dass Gott eins sei mit dem Kosmos und letzten Endes diesseitig sei,
dass das Göttliche sich in den Erscheinungen der Natur zeige. Sein Credo
lautete »Deus sive natura«. Er wurde wegen Atheismus verfolgt, weil er die
Existenz eines Jenseits leugnete.;
ZEIT: Wie können Sie über Sachen nachdenken, die unsichtbar sind?
Randall: Ich kann eine Gleichung aufschreiben.
ZEIT: Das klingt ziemlich abstrakt.
Randall: Wenn Sie an Gott denken, obwohl Sie ihn nicht sehen können, wie
stellen Sie sich ihn dann vor?
ZEIT (Rauner): Fragen wir mal meinen Kollegen Tobias Hürter, der ist Christ.
ZEIT (Hürter) »Du sollst dir kein Bild machen«, sagt das Alte Testament.
Randall: Na also. Nur in der Wissenschaft erwarten Sie, dass es von allem ein
Bild gibt. Wie sieht aber die Liebe aus? Es gibt so viele Dinge, für die wir
kein Bild haben. Tobias, Sie hätten mir gleich sagen sollen, dass Sie religiös
sind.
(Die Zeit 3.5.2012 S.58 - http://www.zeit.de/2012/19/Lisa-Randall-Paralleluniversen
)
·
„Schöpfung
ohne Schöpfer“
(Prof. Werner Thiede)
Die Wirklichkeit könnte indes viel interessanter sein: Getragen sein von einem
letzten, guten Sinn, der sich freilich aus guten Gründen so verborgen hält,
dass seine Wahrheit vorläufig nur durch Offenbarung erkannt werden kann.
Positiver wie negativer Glaube bleiben aber – erkenntnistheoretisch gesehen –
Spekulation. Und Spekulationen kritisch wie konstruktiv zu bearbeiten, ist
primär eine gesteswissenschaftliche Angelegenheit;
(Der Sonntag, Sachsen, 8.1.2012 S.3)
·
Interview
mit Familienministerin Kristina Schröder;
ZEIT: Wie erkläre ich als gläubiger Mensch meinem Kind, dass Gott ein Gebet
nicht erhört?
Schröder: Oje. Das ist schon gegenüber einem Erwachsenen schwer zu erklären.
Wenn die Frage lautet, warum man trotz Gebet eine Klassenarbeit vermasselt hat,
wäre meine Antwort: Gott hat dich klug gemacht, aber du musst deine Fähigkeiten
selbst anwenden. Schwierig wäre ein schlimmerer Fall: Das Kind betet, damit der
Opa wieder gesund wird – und er wird nicht wieder gesund. Da würde ich sagen,
dass ich selbst nicht alle Entscheidungen Gottes verstehe. Dass es mir auch
sehr wehtut, dass es dem Opa schlecht geht und dass ich mich manchmal auch
ärgere über den lieben Gott.
ZEIT: Wie erklärt man einem kleinen Mädchen, das alle zu DEM lieben Gott beten,
nicht zu DER Gott?
Schröder: Ganz einfach: Für eins musste man sich entscheiden. Aber der Artikel
hat nichts zu bedeuten. Man könnte auch sagen: das liebe Gott.
ZEIT: Darf man dem Kind erzählen, dass Gott die Welt erschaffen hat?
Schröder: Es kommt darauf an, wie man es erzählt. Wenn das Kind noch ganz klein
ist, ist die biblische Geschichte in Ordnung. Später würde ich die
Evolutionsgeschichte danebensetzen. Dass man die Bibel da nicht wörtlich nehmen
kann, ist klar, und ab einem gewissen Alter verstehen Kinder das. Ich finde es
ganz unproblematisch, zu sagen: Dass sich alles in der Natur so sensationell
entwickelt hat, da war der liebe Gott ganz erheblich dran beteiligt.
(Die Zeit 19.12.2012 S.5 - http://www.zeit.de/2012/52/Kristina-Schroeder-Interview
)
·
„Ohne
den Menschen gäbe es keinen Gott. Er ist eine Schöpfung der Evolution.“
Günther Hasinger, Astrophysiker
(bild der wissenschaft 12-2012 S.12)
·
9
von 10 US-Amerikanern haben einer Studie zufolge Zweifel an der wissenschaftlichen
Evolutionstheorie. Nur rund 9,5% von über 10.000 Befragten seien davon
überzeugt, dass Gott oder eine andere höhere Macht absolut keinen Einfluss auf
die Entstehung des Universums und des mmenschlichen Lebens hätten
(Freie Presse Chemnitz 18.2.14 S.8)
·
38%
der befragten Amerikaner meinen, die Wissenschaft solle die Möglichkeit eines
Wunders in ihren Theorien und Erklärungen berücksichtigen
(Der Spiegel 9-2014 S.114)
·
Gottfried
Wilhelm Leibniz
Er wollte die Welt mit Intelligenz in den Griff bekommen ... die aber machte
nicht mit. Was wir dennoch von Gottfried Wilhelm Leibniz lernen können – 300
Jahre nach dem Tod dieses letzten deutschen Universalgenies.
Leibniz hat seine Protogaea auf Latein verfasst, erfreulicherweise gibt es eine
englische Übersetzung. Das Buch ist auch deswegen ein interessantes Dokument,
weil es naturwissenschaftlich vorgeht und sich zugleich darum bemüht, die
Befunde nicht mit der biblischen Schöpfungsgeschichte kollidieren zu lassen.
Leibniz erwähnt beispielsweise Autoren, denen zufolge alles Leben aus dem
Wasser entstanden sei und die Landtiere sich allmählich daraus entwickelt
hätten – derlei stünde aber in Konflikt mit den Aussagen der Heiligen,
"denen zu widersprechen Unglaube ist".
Damit lässt Leibniz es bewenden, ganz wohl scheint ihm nicht dabei zu sein.
Immerhin korrigiert er seine ursprüngliche, ebenfalls theologisch begründete
Ansicht, Fossilien seien nicht die Spuren von Lebewesen, sondern nur eine Laune
der Natur. Das Material, das er sieht, ist zu offenkundig animalischen
Ursprungs. Als Naturbeobachter spekuliert er nicht. Nur mit allergrößter
Vorsicht spricht er von Fossilien, die auf Einhörner hinweisen. Vom Hörensagen
und von Märchen hält er nichts. Von Wundern ebenso wenig, denn in der Welt gehe
es gesetzmäßig zu. Leibniz ist der eigentliche Erfinder eines
Gedankenexperiments, das später als "Laplacescher Dämon" berühmt
wurde: Ein Geist, der einen momentanen Zustand des Alls vollständig durchschaute,
könnte dessen zukünftige Entwicklung für alle Zeit vorhersagen. Das jedenfalls
glaubt Leibniz, denn betrachte man die Welt als Ganzes, enthalte sie keine
Zufälle, wie er meint. Zu solcher Betrachtung sei freilich nur Gott fähig, der
menschliche Verstand hingegen zu beschränkt.
Gerade "kleine Dinge machen oft große mächtige Veränderungen. Ich pflege
zu sagen, eine Fliege könne den ganzen Staat verändern, wenn sie einem großen
König vor der Nase herumsauset, so eben in wichtigen Ratschlägen
begriffen" – ein Fall, den Leibniz, ganz er selbst, dem Leser sodann
anschaulich ausmalt.
Wo bleibt in einer solch determinierten Welt der freie Wille? Leibniz ist
konsequent und schreibt: "Beim Menschen wie auch sonst überall ist alles
gewiss und im voraus bestimmt und die menschliche Seele ist eine Art geistiger
Automat."
Nur – wozu dann Gebete und Gelübde? Oh, kein Problem, "diese Gebete und
Gelübde, die guten und schlechten Handlungen, die heute geschehen, standen Gott
schon vor Augen, als er den Entschluss fasste, die Dinge zu regeln".
Gewiss, "die ganze Zukunft ist bestimmt; daran besteht kein Zweifel; aber
da wir nicht wissen, wie sie bestimmt, was vorgesehen oder beschlossen worden
ist, so müssen wir unsere Pflicht tun nach der uns von Gott vorgegebenen
Vernunft".
Aufgelöst ist der Widerspruch zwischen dem freien Willen und der Notwendigkeit
damit natürlich nicht, was Leibniz dazu veranlasst, das Problem immer wieder zu
umkreisen und sich oft genug in Formulierungen zu verrenken. Herabblicken
sollten die Heutigen auf Leibniz’ Gedankenqualen nicht, denn das Problem bleibt
noch immer ungelöst, nur verschiebt es sich allmählich aus der Philosophie in
die Neurowissenschaften.
Wenn nun aber das Universum abschnurrt wie ein Uhrwerk und wenn Gott es
geschaffen hat, woher kommt dann das Böse? Von Gott? Muss ja wohl.
Ein Widerspruch: Da Gott nur Gutes tut, muss es auch gut sein, dass es Böses
gibt. Das Böse selbst muss gut sein. Wie das?
Die Theologie arbeitet bis heute an diesem Problem. Gott hätte auch eine Welt
ohne Sünde ins Leben rufen können, schreibt Leibniz. Aber der Schöpfer habe,
selbstverständlich, die beste aller möglichen Welten erschaffen, und das sei
eben diejenige, in der es das Böse gibt: nämlich damit die Menschen es besiegen
können.
Leibniz findet das logisch. Es ist ja auch ein Glück, das Böse zu besiegen.
Aber wäre nicht mehr Glück in der Welt, wenn dieser Sieg überhaupt nicht nötig
wäre? Und wer selbst das bestreitet: Hätte Gott nicht die Seelen so ausstatten
können, dass sie den Sieg über das Böse gar nicht erst für ihr vollständiges
Glück benötigten? An dieser Stelle antworten Theologen gern, der Mensch könne
die göttliche Vernunft nicht erfassen. Das ist die beste aller möglichen
Antworten. Nur leider beendet sie das Gespräch.
(Die Zeit 20.10.2016 S.35 http://www.zeit.de/2016/44/gottfried-wilhelm-leibniz-todestag-300-jahre-genie/komplettansicht
)
·
Kreationismus
und „Intelligent Design“
·
In den letzten Jahren gelingt es uns
immer weniger, Studenten der Natur- oder Humanwissenschaften für die
Seminarangebote der Studiengemeinschaft Wort und Wissen zu gewinnen.
(Brief Leitungskreis der Studiengemeinschaft Wort und Wissen, 23.1.01)
·
Intelligent design; Formen
irreduzibler Komplexität: Neues nicht in kleinen Schritten, sondern das
evolutiv höhere Niveau wird sprunghaft erreicht;
(103) Strategie der Intelligent-Design-Theorie immer in einem Dreischritt:
1. Sign detecting (Nachweis komplexer Zweckmäßigkeit in organismischen
Bildungen)
2. Argumentum ad ignorantum: Ausschluss aller bekannten Ursachen
3. Analogieschluss: wo wir (trotzdem) Design finden, muss es einen Designer
geben
(Ulrich Lüke: Das Säugetier von Gottes Gnaden, Evolution-Bewusstsein-Freiheit,
Herder Freiburg 2006)
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Die jüdische Zeitrechnung beginnt mit
der Schöpfung der Welt, wie sie sich aus der Zurückrechnung der biblischen
Chroniken ergibt. Demnach schuf Gott die Welt im Jahre 3761 vor Christus. Diese
Definition setzte sich im Judentum zwar erst seit dem 11. Jahrhundert durch,
geht aber auf die systematischen Berechnungen des Patriarchen Hillel II. aus
dem Jahr 359 n.Chr. zurück.
(Sonntag 24.12.06)
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Darwin entwickelte die
Evolutionstheorie, weil er eben nicht von einer theistischen Prämisse ausging,
und nicht, weil ihn Beobachtungen und Befunde dahin zwangen.
(W+W info 1/03 S.4)
·
Anmerkungen zur Filmdokumentation „Hat
die Bibel doch recht? Der Evolutionstheorie fehlen die Beweise“;
Ob überzeugte Evolutionstheoretiker Poppenbergs Arbeit als akzeptable Kritik
einstufen werden, sei dahingestellt. Alle aufgelisteten Anfragen, die gegen die
verbreiteten Evolutionsmodelle sprechen, sind dem Eingeweihten bekannt und es
mangelt nicht an hypothetischen Alternativen, um diese zu beantworten.
(W+W info 1998 S.2ff)
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15 Millionen Tonnen kosmischer Staub
und Schutt rieseln pro Jahr auf die Erde nieder
(GEO 11/96 S.190)
·
6500 Tonnen außerirdische Materie
prasseln pro Tag auf die Erde nieder (= 2,4 Millionen Tonnen pro Jahr)
(bdw 7/97 S.90)
·
Zuwachs durch Meteoriten-Einfall auf
der Erde: etwa 1 Millimeter in 100 Millionen Jahren
(ZEIT 13.7.06 S.32)
·
Entgegen der Behauptungen von
Frontal21 soll die christliche Schöpfungslehre nicht im Biologieunterricht
verankert werden.
(Warum aber heißt dann das Buch von Junker/Scherer: „Evolution – ein
kritisches Lehrbuch“ ? JK)
(W+W Disk.-Beitr. 3/05)
·
230 Mitglieder hat “Wort und Wissen“
(ZeitWissen 1/06 S.63)
·
Intelligent Design:
ein solcher Masterplan wäre gar nicht sinnvoll, da doch die Ziele – nämlich die
Lebensumstände – beständig wechseln
(zeitzeichen 3/06 S.50)
·
Bundesrichter Jones USA; Urteil zu
Intelligent Design:
“dass ID von der wissenschaftlichen Welt nicht akzeptiert wird, keine
wissenschaftlich überprüften Ergebnisse veröffentlicht (gemeint: in anerkannten
Fachzeitschriften mit peer review JK) und nicht Gegenstand von Versuch und
Forschung ist“;
Templeton-Foundation, eine US-Stiftung, die Religion und Wissenschaft
zusammenbringen will, hatte ID-Leute um Vorschläge für Forschungsarbeiten
gebeten – es kamen keine;
(bdw 3/06 S.30ff)
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Eisbohrkern aus der Antarktis liefert
lückenlose Klimadaten über 740.000 Jahre
(taz 24.3.06)
·
republikanischer Senator von Tennessee
will einen Bericht zur Frage: „Wurde das Universum von einem höheren Wesen
geschaffen?“;
Zweite Frage: „Warum wird der Kreationismus nicht an den staatlichen Schulen
von Tennessee gelehrt?“;
“Niemand hat einen Beweis für Darwins Evolutionstheorie geliefert.“
(ZEIT 8.3.07 S.37)
·
(13) Die „moderne Maschinentheorie des
Lebens“ verlangt für die Entstehung des Organismus ebenso einen „vernünftigen
Bauplan“ und einen zweckmäßig bauenden „Maschineningenieur“, wie er tatsächlich
für die Entstehung und Wirkung der Maschinen im „vernünftigen Menschen“ gegeben
ist. ... Reinke bezeichnet „Gott“ oder die „Weltseele“ mit Vorliebe als die
„kosmische Intelligenz“, schreibt aber diesem mystischen immateriellen Wesen
dieselben Eigenschaften zu, die man im Schulunterricht und in schönen Predigten
dem „lieben Gott“ als „Schöpfer Himmels und der Erde“ andichtet. Die
menschliche Intelligenz, die der Uhrmacher auf das verwickelte Räderwerk der
Uhr anwendet, vergleicht Reinke mit der „kosmischen Intelligenz“, die Gott der
Schöpfer in den Organismus gelegt hat, und betont dabei besonders die Unmöglichkeit,
ihre zweckmäßige Organisation aus ihrer materiellen Beschaffenheit ableiten zu
können.
(Ernst Haeckel: Die Lebenswunder, Alfred Kröner Verlag Stuttgart 1906)
·
RATE-Projekt in den USA;
Behauptung: radioaktiver Zerfallsrate war in der Erdgeschichte früher viel
größer; daher sind in der Erdgeschichte nicht Milliarden, sondern nur tausende
von Jahren vergangen;
problematisch:
es werden nur Proben aus einer einzigen Tiefenbohrung verwendet;
die Bohrstelle befindet sich zudem in der Nähe von natürlichen Heliumvorkommen
(der Heliumgehalt spielt aber in den Messungen eine zentrale Rolle);
es gibt nur Hinweise auf Beschleunigung um den Faktor 2 (für die alternative
Erklärung des Erdalters von 10 Milliarden Jahren wäre aber eine Beschleunigung
um den Faktor 1.000.000 notwendig)
(W+W Info 1/07 S.2ff)
·
aktuelle Umfrage Uni Dortmund; fast
jeder fünfte Studienanfänger glaubt, dass der Mensch – so wie er heute aussieht
– ein direktes Produkt eines überirdischen Schöpfers ist; auch fast 10 % der
Biologiestudenten lehnten ab, dass Mensch und Schimpanse gemeinsame Vorfahren
gehabt haben; bei den befragten Lehramtskandidaten waren es sogar 13 %, die
nicht an die Evolutionstheorie glauben wollen
(taz 27.4.07)
·
versteinerte Trittspuren von Sauriern
in Bolivien; über 450 Fährten auf einer 72 Grad schrägen, 65000 m2 großen
Fläche;
was hat es mit den angeblichen Menschenspuren auf sich, die bibeltreue
Kreationisten im texanischen Glen Rose neben Dinosaurierfährten gesichtet haben
wollen – und als Beweis dafür heranziehen, dass die Schöpfungslehre wörtlich zu
nehmen sei und alle Lebewesen gleichzeitig geschaffen wurden? „Nichts weiter
als Abdrücke von Krokodilen“, sagt Meyer (Direktor des Naturhistorischen
Museums in Basel). „Der Mensch hat nun mal nicht nur vier Zehen, wie wir sie
dort sehen.“
(ZEIT 6.6.07 S.43)
·
Kreationisten kennen den Beginn der
göttlichen Schöpfungswoche ganz genau: es ist der 23. Oktober des Jahres 2004
v.Chr. (9 Uhr morgens JK: so der Film: Wer den Wind sät ...)
(taz 6.7.07)
·
Menschliche Fußabdrücke zusammen mit
Dinosaurierfährten?
vor allem Beispiel Unterkreide-Kalkstein am Paluxy-River in Texas;
die damalige Leitung des Institute for Creation Research, also eine der
wichtigsten kreationistischen Organisationen in den USA, kam nach anfänglicher
Zustimmung schon in den 1980er Jahren zu dem Schluss, dass es sich bei den
Menschenspuren um fehlgedeutete Dinosaurierfährten handelt. Der entsprechende
Film Footprints in Stone wurde damals aus dem Verleih genommen;
vom biblischen Schöpfungsbericht her gehen die Mitarbeiter von Wort und Wissen
von der Gleichzeitigkeit von Dinosauriern und Menschen aus;
echte Gebirge gab es zur Zeit der Kreide-Episode wohl nicht;
(w+w info 2/07 S.2f)
·
Hessens Kultusministerin Karin Wolff
sieht eine „erstaunliche Übereinstimmung“ zwischen dem biblischen Mythos von
der Erschaffung der Welt in sechs Tagen und der wissenschaftlichen Theorie der
Evolution;
bereits im vergangenen Herbst sprach sie sich ausdrücklich für
fächerübergreifenden Unterricht von Religion und Naturwissenschaften aus
Evang. Kirche in Hessen und Nassau: Klarstellung – die biblische
Schöpfungslehre sei „keine wissenschaftliche Theorie“ und ihre unmittelbare
Einbeziehung in den Biologieunterricht „nicht sinnvoll“;
bei einer Umfrage der Universität Dortmund unter ihren ehramtsstudenten hielt
jeder achte Studienanfänge Darwins Theorie für fragwürdig, selbst 5,5 % der
künftigen Biologielehrer zeigten sich skeptisch, ob die Evolution wirklich
stattgefunden hat;
(Spiegel 29/07 S.44)
·
„Schöpfung: mangelhaft!“
Artikel des Evolutionsbiologen Josef Reichholf)
In einem Punkt muss ich dem Papst zustimmen: die Wissenschaft kann die
Evolution nicht vollständig erklären. Vollständige Erklärungen liefert allein
der Galube. Die Naturwissenschaft ist viel bescheidener. Stück für Stück arbeitet
sie sich voran und schafft Wissen, das hinterfragt und widerlegt werden kann.
Der Wunsch nach Unfehlbarkeit hat in der Naturwissenschaft nichts zu suchen;
Tagung im Vatikan 1./2.9.2006 über „Schöpfung und Evolution“ mit Anwesenheit
des Papstes (Ergebnisband Horn/ Wiedenhofer (Hrsg.) „Schöpfung und Evolution“;
Augsburg 2007);
darin Benedikt XVI.: „zu zeigen, wo die Fragen sind: dass es nicht darum geht,
sich entweder für einen Kreationismus zu
entscheiden, der sich der Wissenschaft grundsätzlich verschließt, oder für eine
Evolutionstheorie, die ihre eigenen Lücken überspielt und die über die
methodischen Möglichkeiten der Naturwissenschaft hinausreichende Fragen nicht
sehen will. Es geht vielmehr um dieses Zusammenspiel von verschiedenen
Dimensionen der Vernunft, in dem sich auch der Weg zum Glauben öffnet“;
“Intelligent design“: Glaube daran, die Natur stelle ein einziges Lob auf den
Schöpfer das und den besten Gottesbeweis;
aber die konkreten Gegebenheiten der Natur müssten eher dazu verführen, auf eine
zweite, auf eine teuflische Intelligenz zu schließen; wie lassen sich
Meteoriteneinschläge, Vulkanausbrüche, Überflutungen, Kontinentalverschiebungen
mit einem intelligenten Plan vereinbaren?; Reichholf bringt zwei Beispiele für
„raffinierte Strategien“ von Parasiten zu ihrer Verbreitung, wobei die
Wirtstiere im Verhalten „umprogrammiert“ und ihren Fraßfeinden geopfert werden;
Der Zufall ist kein Lotteriespiel. Möglich ist nur, was das Vorhandene zulässt.
Der „Zufall“ ist stark eingeschränkt, und viele Fehler, die durch Mutationen
entstehen, werden vom Genom korrigiert. Ordnung baut auf Ordnung auf, Neues
geht aus dem Vorhandenen hervor. So komplizierte Gebilde wie Augen entstanden
nicht durch Zufall, sondern über sehr viele Zwischen- und Übergangsstadien.
Evolution geht aus der Wechselwirkung eingeschränkter und sich wieder neu
eröffnender Freiheitsgrade hervor. Der bloße Zufall ist so bedeutungslos wie
die Unbestimmtheit im (sub)atomaren Bereich für die wirkliche Struktur der
Materie.
Schließlich zweifelt doch niemand daran, dass sich auch im Gang der
menschlichen Geschichte stets klare Ursachen und Zufälle miteinander vernetzt
haben. Der tatsächliche Verlauf der Historie ist sehr wohl im Rückblick zu
analysieren, auch wenn es viele Lücken zu überbrücken gilt. Voraussagbar wird
Geschichte deshalb allerdings nicht. ... die historischen Großereignisse der
Vergangenheit lassen sich natürlich nicht aus unserer Gegenwart erklären. Wer
solches für die Evolution fordert, verkennt ihre Geschichtlichkeit. ;
im Vorwort des Tagungsbandes (s.o.) wird Papst Bendikt XVI. mit einer Rede aus
dem Jahre 1999 zitiert, in der er sich auf die Kreationisten Junker und Scherer
und deren Buch „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“ beruft;
(bdw 9/2007 S.38ff)
·
Die moderne synthetische Theorie der
Evolution geht nicht von einem Zusammenbau eines Organs am Fließband aus,
sondern von einer stufenweisen Entfaltung funktionaler Strukturen,
einschließlich von Funktionswechseln. ... Ein Mensch entsteht auch nicht, indem
man seine Organe eines nach dem anderen anbaut. Sie wachsen und entfalten sich
aus Vorstufen, und der Mensch ist vom Embryo angefangen in jedem Stadium
lebens- und funktionsfähig. Anders gesagt: Kein Lebewesen ist „unreduzierbar
komplex“ im Sinn der Definition Michael Behes. Diese Definition lässt sich nur
auf ... Apparate anwenden, nicht auf Organismen
Die Aussage „Der Mensch entstand durch Zufall“ und die Aussage „Der Mensch
entstand nach Gottes Willen“ sind keine konkurrierenden Sätze, sofern sich der
erste auf die natürliche Selektion bezieht
(Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen Berlin (EZW),
Materialdienst 5/2006, Hansjörg Hemminger: Intelligentes Design und der
Kulturkampf in den USA)
·
Der irische Erzbischof James Ussher
errechnete 1650 aus den Lebensspannen der Personen im Alten Testament genau den
Zeitpunkt der Sintflut und sogar der Schöpfung. Ergebnis: Gott sandte die
Fluten im Jahr 2501 vor Christus. Himmel, Erde und alles Lebendige, jedes Tier,
jede Pflanze hatte er exakt 1503 Jahre vorher geschaffen. Gottes erster
Arbeitstag war Sonntag, der 23. Oktober des Jahres 4004 vor Christus.
(Spiegel 2-2008 S.129)
·
Schweizer Kreationisten planen einen
biblischen Erlebnispark bei Heidelberg (Arche Noah in Originalgröße, 1 Elle mit
50 Zentimetern kalkuliert);
(ZEIT 5.6.08 S.35)
·
USA Film „Expelled: No Intelligence
Allowed“ (Ausgestoßen – keine Intelligenz zugelassen); These: Forscher werden
gezielt aus der wissenschaftlichen Gemeinschaft ausgestoßen, wenn sie Zweifel
an der Evolutionstheorie äußern oder über die Möglichkeit von „Intelligent
Design“ diskutieren; der Film behauptet, Darwins Lehre sei schuld am Holocaust
(ZEIT 24.4.08 S.40)
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S.1: Stand von „Wort und Wissen“ beim
„Christival“ in Bremen 2008;
Auf ihre Position zur Ursprungsfrage angesprochen, erwiderte der überwältigende
Teil der Befragten nach langem Überlegen, dass sie an Gott als Schöpfer der
Welt keinen Zweifel hätten, sich beim „WIE“ seiner Schöpfung jedoch nicht
sicher seien bzw. annehmen würden, er könne schließlich auch durch Evolution
schaffen. Die Evolutionstheorie zweifelten nur wenige an. Dogmatisch vertraten
diese Position die meisten Besucher jedoch nicht (Diejenigen, die dies doch
taten, waren interessanterweise überwiegend Menschen mit theologischer
Ausbildung). …
wurde die Motivation der Studiengemeinschaft, die naturwissenschaftlichen Daten
im Rahmen der biblischen Urgeschichte zu interpretieren, erläutert …;
S.6f: Landeplatz der Arche Noah gefunden?
Programm, das mit Google Earth zu Orten der Bibel führt; auf der Internetseite
einer kurdischen Guerilla-Gruppe ein Foto des Gipfels des Berges Cudi im
Gebirge Ararat gefunden, dort Klosterruine (angeblich am Ort der Landung der
Arche errichtet, auch Holz der Arche beim Bau verwendet); Lage genau
rekonstruiert 37.3666N 42.4954E
(info Wort und Wissen 2/08)
·
(S.7) Ist die Evolutionslehre in
irgendeiner Form mit dem biblischen Schöpfungszeugnis vereinbar? Wenn ja, muss
man verständlich machen, wie sich Gottes schöpferisches Handeln im Prozess der
Evolution manifestiert. Steht aber die Evolutionslehre, auch in theistischen
Varianten (Gott als Verursacher und Lenker der Evolution), im Widerspruch zu
zentralen biblischen Inhalten, ergeben sich tiefgreifende Konsequenzen: Die
Evolutionsanschauung schlechthin (nicht nur Vorstellungen über Mechanismen der Evolution)
muss dann hinterfragt werden. Daraus ergibt sich die umfangreiche Aufgabe, die
für die Evolution vorgebrachten naturwissenschaftlichen „Beweise“ kritisch zu
prüfen, zu entkräften und wenn möglich auch alternative Deutungsmöglichkeiten
aufzuzeigen.
Die Studiengemeinschaft WORT UND WISSEN beschreitet den zweiten Weg. Sie lehnt
die Evolutionslehre, auch in der theistischen Version, ab, weil durch sie
grundlegende biblische Inhalte in Frage gestellt werden.;
(11) Wir vertrauen der Bibel und sehen in ihr das von Gottes Geist geoffenbarte
Wort Gottes an uns Menschen. Wir glauben weiter, dass das biblische Zeugnis
Wahrheit vermittelt hinsichtlich geistlicher, heilsgeschichtlicher und
historischer Zusammenhänge. Dazu gehört auch die Realität der Schöpfung als
historische Tatsache …
Die in den biblischen Schriften dokumentierte Geschichte Gottes mit den
Menschen und der gesamten Schöpfung schließt auch die historische
Zuverlässigkeit des Berichteten ein.;
(12) Wer sich naturwissenschaftlicher Methoden bedient, muss sich aber auch
ihrer Grenzen bewusst sein. Es steht nicht in Frage, dass erfolgreiche
Wissenschaft methodisch so arbeiten muss, dass nicht mit einem besonderen
Eingreifen Gottes in den Laboralltag gerechnet wird (methodische Beschränkung
auf empirisch Fassbares). … Das mit Naturwissenschaft erworbene Wissen muss
sich bewähren, es bleibt aber immer vorläufig und fehlbar …
(13) Dennoch halten wir aus wissenschaftlicher Perspektive die
Evolutionsbiologie angesichts der besonderen Kennzeichen der Lebewesen für eine
berechtigte Forschungsrichtung. Wissenschaft muss es grundsätzlich erlaubt
sein, danach zu fragen und zu forschen, ob Leben von selbst aus Materie
entstehen kann und ob und wie weit Organismen
wandlungsfähig sind.
(14) Erdgeschichte. Der biblische
Zusammenhang des historischen ersten Menschen Adam mit dem menschgewordenen
Sohn Gottes, Jesus Christus, führt uns zur Annahme einer kurzen Erdgeschichte,
zumindest einer kurzen Geschichte des Lebens und des Menschen einschließlich
seiner fossilen Überreste. Außerdem nehmen wir das biblische Zeugnis von einer
weltweiten Sintflut ernst … Dem tragen wir Rechnung in unseren Bemühungen, eine
biblisch-urgeschichtliche Geologie zu entwickeln, die vom Leitgedanken einer
kurzen, biblisch bezeugten Erdgeschichte und von der Historizität einer
weltumspannenden Sintflut bestimmt wird. …
Wir gehen davon aus, dass Grundtypen aller Lebewesen als klar voneinander
getrennte Formen in der Schöpfungswoche erschaffen wurden
(14) Umgang mit offenen Fragen.
Viele geologische und physikalische Befunde sperren sich nach unserer
momentanen Kenntnis gegen eine Interpretation im Rahmen einer kurzen
Erdgeschichte und einer gleichzeitigen Erschaffung der Grundtypen. Wir stellen
uns ebenso den naturwissenschaftlichen Argumenten, die für das Evolutionsparadigma (z.B in der Paläotologie), für die großen Zeiträume in der
Erdgeschichte (z.B. radiometrische Datierungen) und gegen eine weltweite Sintflut sprechen …
Wir sehen … klarer als zu Beginn, dass wir von der Formulierung eines rein wissenschaftlichen
Gesamtmodell für eine kurze Geschichte des Kosmos, der Erde und des Lebens noch
weit entfernt sind.
(16) dass die naturwissenschaftliche Arbeit bei WORT UND WISSEN nicht dem Ziel
dient, das biblische Wirklichkeits- und Geschichtsverständnis wissenschaftlich
zu beweisen …
Alle menschlichen Beschreibungen und Erkenntnisse sind Stückwerk (1.Kor.14).
Sie sind vorläufig und können falsch sein, das gilt natürlich auch für unser
Schriftverständnis und unsere wissenschaftlichen Entwürfe
(19) dass Schöpfung durch das Wort augenblicklich
geschehen kann und dass Gott in seinem Wirken nicht durch die biologischen,
chemischen oder physikalischen Gesetzmäßigkeiten eingeschränkt wird (wenn er
sich ihrer auch bedienen kann).
(20) Wenn Evolution als Prozess der Entstehung des Lebens wahr wäre, hätte Gott
z.B. Tausende von Parasiten von vornherein
gewollt, ebenso die auf Fressen und Gefressenwerden angelegten ökologischen
Zusammenhänge.
(22) Eine theistisch geprägte Evolutionsvorstellung vom Tod steht im Widerspruch
zur biblischen Lehre.
(32) Bei WORT UND WISSEN ist die biblische Schöpfungslehre Bestandteil des
Fundaments der ersten unbewiesenen Voraussetzung, der verbindlichen Wahrheit
biblischer Gottesoffenbarung. Dieses Fundament steht für sie unverrückbar fest.
Hierin kann es keine Annäherung an naturalistische Evolutionslehren geben
(35) Zeugnisse tierischen Todes – und dazu gehören die unzähligen Tierfossilien
–sind daher zeitlich in den Rahmen einer kurzen Menschheitsgeschichte zu
stellen, da erst durch die Sünde des Menschen der Tod in die Menschen- und
Tierwelt hineinkam.
(36) Ursprungsmodell SCHÖPFUNG
Alter der fossilführenden geologischen Schichten im Bereich von …zigtausend
Jahren, Interpretation von Isotopenverteilungen im Sinne von niedrigem Alter;
Die Entstehung der fossilführenden Schichten wird im Rahmen sehr kurzer
Zeiträume interpretiert (katastrophisches Prinzip);
Die Ähnlichkeit der Lebewesen ist die Folge eines gemeinsamen Plans des
Schöpfers
(46f.) „Intelligent Design“
Der Grundgedanke des „Intelligent Design“-Ansatzes (ID) ist, dass man an
Strukturen der Lebewesen (oder auch der unbelebten Welt) Eigenschaften und
Merkmale erkennen könne, die auf das Wirken eines intelligenten,
willensbegabten Urhebers (Designer, Schöpfer) hinweisen und andere
Möglichkeiten ihrer Herkunft unwahrscheinlich machen …
ID kann man in einer starken und in einer schwachen Form vertreten. Nach der
starken Form soll es möglich sein, aus den Beobachtungen in der Natur
(besonders bei den Lebewesen) auf das Wirken eines Schöpfers zwingend zu
schließen. Nach der schwachen Form ist eine solche Schlussfolgerung nicht
möglich, sondern bestimmte Situationen gelten nur als … „Design-Indizien“ ...
Allerdings beinhaltet nicht nur die starke, sondern auch die schwache Form des
ID-Ansatzes die Überzeugung, dass die Annahme des Wirkens eines Urhebers die
beste bzw. einzig schlüssige Erklärung bestimmter Phänomene ist. Die
Studiengemeinschaft WORT UND WISSEN vertritt ID in der schwachen Fassung
(49) Positionen im Überblick
2. Theistische Evolutionslehre …
in Deutschland besonders, aber nicht ausschließlich, in den großen Kirchen
vertreten
4. Kreationismus im Sinne von „Creation Science“
Evolution wird abgelehnt
Schöpfungsbericht gilt als quasi naturwissenschaftlicher Text
Das Alter der Erde ist 6.000 (bis 10.000) Jahre
Junge Erde wird als wissenschaftlich gut begründet angesehen
“Schöpfung“ wird häufig als wissenschaftlich bewiesen betrachtet
Es gibt kaum (fast keine) Argumente für Makroevolution
Fossilien sind im Wesentlichen durch die biblische Sintflut entstanden
Tendenzen zu einem wissenschaftlichen
Absolutheitsanspruch
5. Die Position der SG Wort und Wissen
Evolution wird abgelehnt
Biblische Schöpfungsaussagen enthalten naturwissenschaftlich
relevante Elemente
Alter des Lebens (und der Erde bzw. des
Kosmos?) in der Größenordnung von ca. 10.000 Jahren
Junge Erde konnte bisher wissenschaftlich nicht
gut begründet werden
Es gibt gute Indizien für „Schöpfung“. Schöpfung
kann aber nicht naturwissenschaftlich bewiesen werden
Soweit es gute Argumente für Evolution gibt, werden sie anerkannt
Fossilien sind nur zu einem (geringen?) Teil durch die biblische Sintflut
entstanden
strikte Ablehnung von Polemik; Anerkennung wissenschaftlicher Leistung von
Evolutionsbiologen, auch ihrer wissenschaftlich fruchtbaren Erklärungsansätze
Die biblischen Schilderungen der Urgeschichte im Buch Genesis (1.Mose) sind
historisch zuverlässig.
Die biblische Urgeschichte beinhaltet allgemeinverständliche, wirkliche
Beschreibungen grundlegender Ereignisse der Schöpfung und Urzeit
(58f) Die Studiengemeinschaft WORT UND WISSEN vertritt eine Schöpfungslehre,
die nicht nur gegenüber der Evolutionslehre, sondern darüber hinaus auch
gegenüber einer historisch-kritischen Textauslegung der Bibel in den
theologischen Wissenschaften eine kritische Position einnimmt. Dadurch sind
zwangsläufig viele Konflikte zwischen historisch-kritisch orientierten
Theologen und Gemeinden oder zwischen Religionslehrern und Schülern
vorprogrammiert …
(Thema „Schöpfung und Evolution“ in der Schule?):
Theologische Aspekte von Schöpfungslehren sind Gegenstand des
Religionsunterrichts. Eine Verhältnisbestimmung von Naturwissenschaft,
Evolution und Schöpfung ist Aufgabe eines Fächer
übergreifenden Unterrichts.
(Henrik Ullrich, Reinhard Junker (Hrsg.): Schöpfung und Wissenschaft – Die
Studiengemeinschaft WORT UND WISSEN stellt sich vor; Hänssler Verlag
Holzgerlingen 2008)
·
Reinhard Junker, einer der beiden
Autoren, zum Buch „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“:
“Dass ein Laienpublikum die Zielgruppe des Lehrbuchs sei, stimmt (auch) nicht.“
(Wort und Wissen info 3/08 S.6)
·
(War zuerst das Ei da oder das Huhn?)
Christen, die die Bibel wörtlich nehmen, haben auch eine Antwort: In der
Schöpfungsgeschichte steht, Gott habe am vierten Tag „allerlei gefiedertes
Gevögel, ein jegliches nach seiner Art“ geschaffen – von Eiern ist da nicht die
Rede, also war das Huhn zuerst da.
(ZEIT 11.9.08 S.47)
·
Die Bibel ist Gottes Wort
… Wenn man gleich am Anfang der Bibel liest, wird von der
wunderbaren Schöpfung der Erde in sechs Tagen berichtet.
Es gibt heute viele Menschen, die sich Christ nennen und die Schöpfung in sechs
Tagen ablehnen.
Ja sogar die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) lehnt die Schöpfung, wie
sie in der Bibel steht, ab.
Ich kann nicht begreifen, warum sich diese Leute Christen nennen. Gott sagt uns
ganz deutlich, dass Menschen, die sein Wort in Frage stellen, untüchtig für den
Glauben sind (2.Tim.3,8).
Wir brauchen uns nicht immer neue Lehren auszudenken.
Denn die Bibel war damals und ist heute das unfehlbare und irrtumslose Wort
Gottes.
Jegliche Bibelkritik ist ein Zeichen, dass Menschen sich von Jesus weg bewegen
…
(Benjamin Gruner, in: Sächsisches Gemeinschaftsblatt, Hrsg. Landesverband
Landeskirchlicher Gemeinschaften Sachsen e.V., Heft 4/2008 S.2)
·
Professor Siegfried Scherer, Mitglied
des Leitungskreises der Studiengemeinschaft Wort und Wissen, in einem Seminar
der Evangelischen Allianz: laut Scherer sprechen zwar viele physikalische
Erkenntnisse dafür, dass sich die Welt in mehreren Milliarden Jahren zu ihrem
jetzigen Zustand entwickelt hat; Allerdings bildeten die Defizite der
Evolutionstheorie kein Argument für die Wahrheit der biblischen
Schöpfungsberichte; „Dass Gott die Welt geschaffen hat, kann man nur glauben.“
(ideaSpektrum 33/2008 S.6)
·
Abgeordnete eines türkischen
Parlamentsausschusses wollen den wahren Ruheplatz der Arche Noah geortet haben.
Anders als in der Bibel dargestellt, sei die Arche nach der Sintflut nicht auf
dem ostanatolischen Berg Ararat gelandet ... vielmehr sei die Arche wohl auf
dem südosttürkischen Berg Cudi gelandet, so wie der Koran die Ereignisse
beschreibe. … nach der Geschichte von Noah kehrte die Taube mit einem
Olivenblatt im Schnabel zurück … Auf dem Ararat gebe es aber keine wilden
Olivenbäume, auf dem Cudi dagegen schon
(Freie Presse Chemnitz 7.1.09)
·
jeder sechste
Highschool-Biologielehrer in den USA ist Kreationist;
2000 Lehrer angeschrieben, 939 Antworten;
ein Viertel der Rücksender behandeln Kreationismus im Unterricht;
12,5% bringen ihren Schülern bei, dass der Kr. eine berechtigte
wissenschaftliche Alternative zu Darwinschen Lehre sei;
nach persönlicher Einstellung gefragt – 16% tendierten zu kreationistischen
Ansichten
(bdw 8/2008 S.7)
·
(zu ideaSpektrum 51-2008, S.15-17)
Die redaktionelle Einleitung zum anschließenden Beitrag von Prof. W. Gitt über
die sechs Schöpfungstage kann man so missverstehen, als würden … auch Dr.
Junker und die Studiengemeinschaft Wort und Wissen die Sechs-Tage-Schöpfung
ablehnen. Das ist jedoch nicht der Fall.
Manfred Stephan, Mitarbeiter der Studiengemeinschaft Wort und Wissen
(IdeaSpektrum 1/2/2009 S.5 Leserbriefe)
·
Schon Denker in der Antike sehen die
Schöpfung als eine Art Modellwunderland. Alles sei so zweckmäßig und
zielgerichtet geordnet, dass es einen obersten „Baumeister“ geben müsse. Das
ist der „teleologische Gottesbeweis“ (von griechisch telos = Ziel)
(GEO kompakt Nr.16 „Glaube und Religion“, Hamburg 2008, S.42)
·
Beitrag Dirk Evers, Tübingen;
Als Kern der „Gotteshypothese“ behauptet Dawkins die folgende Aussage: „Es gibt
eine übermenschliche, übernatürliche Intelligenz, die das Universum und alles,
was darin ist, einschließlich unserer selbst, absichtlich gestaltet und
geschaffen hat.“ (Der Gotteswahn, S.46);
Dawkins hat sicher Recht, wenn er als Konsequenz der Darwinschen
Evolutionstheorie darauf hinweist, dass ein Designer-Gott, der die Lebewesen je
nach ihren Arten durch wundersame Vorgänge hergestellt hat, als durch die
Wissenschaft widerlegt gelten kann. Damit ist allerdings eine Gottes- und
Schöpfungsvorstellung, die von Dawkins so genannt „Gotteshypothese“, widerlegt,
die in solcher Naivität im Grunde nie vertreten wurde. …
Man wird, wenn man von Gott als Schöpfer redet, ihn nicht als Hersteller der
Geschöpfe verstehen können und dürfen. Das ist durch die Evolutionstheorie
ausgeschlossen, und darin ist die richtige und wichtige Anfrage bei Dawkins zu
sehen. Ihn aber als den Ermöglichungsgrund der physikalischen Wirklichkeit zu
verstehen und als denjenigen, der die Wirklichkeit so angelegt hat, dass in ihr
durch Systembildung, Selbstorganisation und die geschichtliche Evolution das
Leben, wie wir es kennen, entstehen konnte, und der zugleich als derjenige
gelten kann, auf den hin sich die Lebewesen entwickeln, das ist dadurch
keineswegs ausgeschlossen.
(EZW-Texte 203, Religionsbeschimpfung, Berlin 2009, S.59ff)
·
Schöpfungszeit 2010: „Vielfalt –
Geschenk Gottes“
Vielfalt in allen Facetten ist das Thema der Schöpfungszeit-Aktion der oeku des
kommenden Jahres. Als „Geschenk Gottes“ bezeichnet die oeku die Vielfalt. Als
Geschenk betrachtet, ist die Vielfalt reinen Nützlichkeitsüberlegungen entzogen
und unserer Sorgfalt anheimgestellt. „Die biblische Sicht zeigt eine Vielfalt,
die weder ein Unfall noch ein Zufall ist, sondern die Ausdruck von Wesen und
Willen Gottes ist“, meint der Wiener Kardinal Schönborn.
(oeku Nachrichten, Kirche und Umwelt Schweiz, Heft 1/2010 S.8)
·
Arche
Noah gefunden?
Die Indizien, die (in der Vergangenheit) für den Fund der Arche vorgelegt
wurden, waren immer vage, mehrdeutig oder gar durch mysteriöse Umstände
verlorengegangen; jedenfalls unabhängig nicht nachprüfbar. Die neuesten
Meldungen über die Entdeckung vom April dieses Jahres durch ein 15-köpfiges
chinesisch-türkisches Team zeigen nach den bislang vorliegenden Schilderungen
leider vergleichbare Anzeichen: kein wissenschaftlich nachprüfbarer Befund …
Unabhängig davon, wie gut der Nachweis eines möglichen Fundes der Arche
gelingt: Die Mitarbeiter der SG Wort und Wissen sind davon überzeugt, dass Noah
in der Arche tatsächlich die Sintflut überlebt hat und dass der Fund dieses
Schiffes eine archäologische Sensation wäre, der die Glaubwürdigkeit der Bibel
stark unterstreichen würde. Nichtsdestotrotz muss die Beweislage genau
überprüft werden.
(Wort und Wissen, info 2/2010 S.2)
·
Dr.
Henry M. Morris (Kreationist aus den USA)
Die ganze Heilige Schrift ist von Gott gegeben,
aber dieser Teil (Bezug hier auf 2. Mose 31,17) wurde von Gott persönlich
geschrieben!
(Herold Seines Kommens, September 2010, S.2)
·
1.620
Meter langer Eiskern aus der Antarktis; zeigt eine ungestörte Klimazeitreihe
der vergangenen 250.000 Jahre, erlaubt die atmosphärischen und klimatischen
Veränderungen der Vergangenheit mit so einer hohen zeitlichen Auflösung zu
beschreiben, wie sie bislang bei keinem Kern der Ostantarktis möglich gewesen
ist
(taz 10.12.2010 S.18)
·
Christliche
Fundamentalisten in den USA wollen die Arche Noah nachbauen, sie glauben, dass
es Schiff und Sintflut wirklich gab;
Datum der Sintflut 2348 v.Chr.;
Arche 137 m lang, 23 m breit, 14 m hoch;
eine Art himmlischer Leitstrahl führte die Tiere zur Arche;
Tiere fielen in eine Art übernatürlichen Winterschlaf;
vor allem Jungtiere verladen;
Anzahl wird auf 4000 Arten heruntergerechnet („Sorten“);
(Der Spiegel 51-2010 S.129)
·
Beispiel
Kreationismus
Vertreter einer evangelikalen Theologie betrachten die Bibel nicht lediglich
als ein Zeugnis der Offenbarung Gottes, sondern als diese Offenbarung selbst.
Sie sind deshalb von der wörtlichen Wahrheit der Bibel überzeugt. Zeugnisse
können bekanntlich das, was sie bezeugen, unvollständig und fehlerhaft
darstellen und sich deshalb als korrekturbedürftig erweisen. Wenn der biblische
Textbestand dagegen selbst der Offenbarungsgehalt ist – vermittelt über die
unmittelbare göttliche Inspiration der Autoren –, dann sind solche Korrekturen
nicht nötig und auch nicht möglich, ohne zugleich die religiöse Autorität des
Textes zu zerstören. Wenn die Bibel selbst Offenbarung und nicht lediglich
deren Zeugnis ist, bedeutet, sich im Widerspruch mit der Bibel zu befinden, sich
in einem direkten Widerspruch mit Gott zu befinden. (So erklärt sich die
systematische Bedeutung des „Kreationismus“ für eine evangelikale Theologie.)
Während der Beratungen des Wissenschaftsrates wurde deutlich, wie schwer sich
katholische und evangelische Theologen an staatlichen Fakultäten damit tun, ein
Bibelverständnis zu akzeptieren, dass den Bibeltext nicht primär als einen
Gegenstand für entwicklungsgeschichtliche und quellenkritische Forschungen
betrachtet, sondern als eine von Gott inspirierte Quelle wahrer Erkenntnisse
und gültiger Handlungsanweisungen. Bemerkenswert war auch die unter ihnen
bestehende Tendenz, die Wissenschaftlichkeit ihrer Disziplin im Wesentlichen
auf die historisch-kritische Auseinandersetzung mit dem Bibeltext zu gründen. Nun
ist unbestritten, dass die historisch-kritische Bibelforschung strengen
Anforderungen an eine historische Wissenschaft genügt und keinen Vergleich mit
anderen historischen Disziplinen scheuen muss. Es ist ebenfalls gut
nachzuvollziehen, dass theologische Reflexion nicht ohne empirische und
historische religionswissenschaftliche Forschung auskommt. Wie könnte man den
theologischen Gehalt eines Offenbarungstextes verstehen, ohne den historischen,
sozialen und kulturellen Kontext zu kennen, in denen die Wörter, Sätze und
Satzfolgen des Tex-tes zuerst ihre Bedeutung erlangt haben? Es sollte freilich
ebenso unbestritten sein, das die historisch-kritische Methode für eine am
Bibeltext ansetzende Theologie nicht die wesentliche Grundlage einer sich als
Wissenschaft verstehenden Theologie sein kann. Bei aller Bewunderung für die
Ergebnisse einer an der faktischen Entstehungsgeschichte des Textes ansetzenden
Bibelforschung ist nicht zu übersehen, dass diese auf die Frage nach der
Gültigkeit christlicher Wert- und Normvorstellungen keine Antwort zu geben
vermag. Christliche Theologie kommt, ebenso wie jüdische oder islamische
Theologie, nicht umhin, etwas über Gott zu sagen und darüber, was er von uns
erwartet; und dazu muss sie – zumindest aus Sicht eines theologisch womöglich
naiven Atheisten – auch die Exis-tenz Gottes annehmen. Darüber hinaus muss sie
eine Erklärung dafür anbieten, warum Gottes Erwartungen an seine Geschöpfe die
ihnen zugeschriebene Verbindlichkeit beanspruchen können. Über alle diese Dinge
jedoch lässt sich durch historische oder empirische Forschung gar nichts
ausmachen. Eben darin liegt die Pointe der evangelikalen Bewegung und ihre
Provokation für die etablierten theologischen Fakultäten: Wenn es so etwas wie
eine bibelgestützte christliche Theologie geben soll, dann muss sich ein
wesentlicher Teil des Inhalts der Bibel – insofern sie nämlich eine
autoritative Quelle wahrer Erkennt-nisse und gültiger Handlungsanweisungen ist
– bei aller Notwendigkeit einer kontext-bezogenen Auslegung dem Zugriff der
historisch-kritischen Methode entziehen.;
Die Aufgabe von Schulen und Hochschulen besteht in der Bildung und Aus-bildung
von jungen Menschen, die unabhängig von ihren religiösen oder nicht-religiösen
Wertvorstellungen und Lebensentwürfen auf ein eigenständiges und produktives
Leben in einer Welt vorbereitet werden sollen, die umfassend und tief greifend
von der modernen Wissenschaft und der für sie eigentümlichen Rationalität
geprägt ist. Dies setzt ein vertieftes Verständnis und eine durch Kenntnis und
Einübung erworbene Vertrautheit mit den methodischen Ansprüchen der modernen
Wissenschaften und ihren Ergebnissen voraus. Ein solches Verständnis könnte
aber nicht vermittelt werden, ohne aus wissenschaftlicher Sicht obsolete (oder
sollen wir sagen absurde?) Glaubensvorstellungen über die Verfassung der
empirischen Wirklichkeit als solche kenntlich zu machen und aus dem schulischen
und akademischen Unterricht auszuschließen respektive als nur mehr historisch
relevant vorzustellen. Was es gerechtfertigt erscheinen lässt, den
„Kreationismus“ als unwissenschaftlich aus Schule und Hochschule
auszuschließen, ist also nicht ein (abwegiger) Glaube an die absolute
Gültigkeit des gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes, sondern die
unabweisbare Aufgabe dieser Einrichtungen, auf ein Leben in einer von den
modernen Wis-senschaften geprägten Welt vorzubereiten. So ist zwar ein
evangelikales Verständnis der Bibel, das diese selbst als Offenbarung und nicht
lediglich deren Zeugnis betrachtet, zumindest im Prinzipmit liberaler
Legitimität und Wissenschaftlichkeit kompatibel. (Entsprechendes gilt natürlich
auch vom Koran als Offenbarungstext des Islams.) Die mit einem solchen
Verständnis häufig verbundene kreationistische Auffassung von der Entstehung
des Lebens und der Arten ist es dagegen nicht.
(Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft „Religion und Moderne“, 10.7.2013,
S.10ff. http://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/162404/religion-und-moderne)
·
Im
Oktober 2007 hat die Parlamentarische Versammlung des Europarates eine
Resolution an die EU-Mitgliedsstaaten verabschiedet, in der eindringlich vor
dem Kreationismus gewarnt wird („The dangers of creationism in education“; http://tinyurl.com/kuaarlz;
http://assembly.coe.int/main.asp?link=/documents/adoptedtext/ta07/eres1580.htm
). Es ist davon die Rede, dass die Ausbreitung kreationistischer Vorstellungen
Konsequenzen für unsere Demokratien hätte. Wörtlich (in Übersetzung): „Wenn wir
nicht achtsam sind, könnte Kreationismus zu einer Bedrohung der Menschenrechte
werden ... .“ Die Gefahr entstünde dadurch, dass
Glaube als Wissenschaft ausgegeben und nicht strikt zwischen Glauben und Wissen
getrennt werde, was letztlich wissenschaftsfeindlich sei.
(Wort und Wissen 3/2013 S.7 - )
·
Amerikas Wissenschaftler machen mobil – ein Aufstand für die
Vernunft
Nicht erst seit Donald Trump herrscht in den USA eine Stimmung, in der
wissenschaftliche Erkenntnis wenig zählt. Doch nun sind die Forscher
aufgewacht. …
In
der Presse wird Wissenschaft häufig als eine Meinung von mehreren behandelt,
reflexartig wird jedem Wissenschaftler, der über den Klimawandel spricht, ein
Skeptiker an die Seite gestellt. Jeder sechste Biologielehrer ist ein glühender
Anhänger des Kreationismus und lehrt die Schöpfungsgeschichte zumindest gleichberechtigt
neben der Evolutionslehre. Die Evangelikalen haben in einigen Staaten
entsprechende Regelungen durchgesetzt – und die republikanische Partei hat sich
bei diesen fundamentalistischen Christen angebiedert.
(Die Zeit 16.2.2017 S.37 http://www.zeit.de/2017/08/forschung-usa-donald-trump-protest-wissenschaftler/komplettansicht
)
Religiosität, (andere) Religionen
·
die Entstehung (Genesis) des gegenwärtigen
Universums fiel laut Maya-Datierung umgerechnet auf den 11. August 3114
v.Chr. (vor 5123 Jahren)
(bild der wissenschaft
10-2009 S.76)
·
Die reine Lehre des Buddhismus kennt keinen Gott, kein
Paradies, keine ewige Verdammnis. Sie bietet ein Weltbild, das weitgehend auf
Metaphysik verzichtet; es gibt keinen Dualismus von Geist und Materie, von Gott und Welt. Vielmehr verstehen die
Buddhisten die Realität als ein Kontinuum von Prozessen.
Kein göttlicher Schöpfer hat die Welt erschaffen.;
So wäre der Buddhismus nach konventionellem westlichem Denken eher als
Philosophie einzuordnen. Andererseits muss aber auch der Buddhist glauben, denn
rational „beweisen“ lassen sich die Fundamente seiner Lehre nicht –etwa die
Überzeugung vom ewigen, leidvollen und unfreiwilligen Kreislauf aus Leben, Tod
und Wiedergeburt.;
Der Buddhismus ist folglich so etwas wie eine „Religion ohne Gott“. Eine
Weltanschauung, die durch ethische Regeln und kulturelle Praxis über
Jahrtausende zahlreiche Kulturen beeinflusst hat.;
Als Buddhist gilt, wer anerkennt, dass Siddharta Gautama (ca. 560 bis 480
v.Chr.) die Erleuchtung erlangte und den Weg zur Erlösung wies, und wer
Zuflucht nimmt zu den „drei Juwelen“:
zu Buddha, dessen Lehren und der Gemeinschaft der Gläubigen.
(GEO kompakt Nr.16 „Glaube und Religion“, Hamburg 2008, S.144)
·
Hindus
verfügen weder über ein allgemeines Glaubensbekenntnis, noch sind sie in eine
einheitliche Organisationsstruktur eingebunden. Vielmehr verehren sie eine
Vielzahl von Göttern und Göttinnen und kennen eine Fülle von Ritualen.; Nicht
alle Hindus verehren dieselben Götter;
Entstehungsgeschichte reicht in die Mitte des 2. Jahrtausends v.Chr. zurück;
zu jener Zeit entstanden die so genannten Veden … mündlich überliefert, erst
2000 Jahre später niedergeschrieben … Hindus glauben, dass die Inhalte der
Veden göttlichen Ursprungs sind und mythische Wahrheiten offenbaren.
So berichten die Veden etwa von der Entstehung des Universums: Aus dem
Ur-Menschen Purusha, der einst den Göttern geopfert wurde, entstanden die
soziale Welt und der Kosmos. Der Mond ging aus Purushas Geist hervor, die Sonne
aus seinen Augen, das Firmament aus seinem Kopf und die Erde aus seinen Füßen.
Erfährt ein Hindu durch Hingabe an seine bevorzugte Gottheit die Verschmelzung
mit der Allseele, hat er sein Heil gefunden, die Erlösung (moksha). Dann vermag er sich aus dem Kreislauf zu befreien, der
sich andernfalls endlos fortsetzen würde: dem Zyklus von Geburt, Tod und
Wiedergeburt. Dieser Kreislauf folgt dem Gesetz des karma;
Jeder erntet, was er sät: Wer Gutes tut, wird gut; wer selbstsüchtig und
böse handelt, befleckt seine Seele und riskiert eine Wiedergeburt als Wurm oder
Ratte.
(GEO kompakt Nr.16 „Glaube und Religion“, Hamburg 2008, S.140)
·
Im Kern ist der Daoismus etwas Unbeschreibliches – ein Weltgesetz, etwas, was immer
war und immer sein wird. Es durchdringt alle Wesen und Dinge und ist der
Ursprung jeder Veränderung. Der Name dieses Ungreifbaren ist dao.
Werden und Vergehen unterliegen nicht einem göttlichen Willen oder Schicksal,
sondern der natürlichen Dynamik des DAO.
Dieses Urprinzip kann nicht verstanden und gelehrt werden, weil es sich jeder
Vorstellung entzieht. Nur intuitiv ist das DAO … zu erfassen.
(GEO kompakt Nr.16 „Glaube und Religion“, Hamburg 2008, S.146)
·
Heute ist die Christenheit in zahllose Glaubensgemeinschaften zersplittert –
Religionswissenschaftler gehen von etwa 30.000 weltweit aus.
(GEO kompakt Nr.16 „Glaube und Religion“, Hamburg 2008, S.149)
·
Atheisten
sind sich sicher, dass es keinen Gott gibt, können aber Anhänger einer
gottlosen Religion sein.
Agnostiker lassen im Gegensatz dazu
die Frage nach Gott offen.
Religion: System von Überzeugungen
und Praktiken, das auf „letzten“, mit dem Verstand nicht begründbaren
Wahrheiten und Prinzipien beruht. Anhänger einer Religion kennen neben der
irdischen, profanen Wirklichkeit einen Bereich des Übernatürlichen und
Transzendenten. Glaubenssätze und Regeln erklären ihnen, wie sie die Welt
verstehen können und in ihr handeln sollen.
Theologie: Wissenschaftliche Lehre,
die sich mit den Quellen, der Geschichte, den Lehrinhalten und der
Glaubenspraxis einer als wahr vorausgesetzten Religion befasst. Im Unterschied
zur Religionswissenschaft ist die Theologie stets an eine bestimmte
Glaubenstradition gebunden – so etwa die evangelische Theologie an den
Protestantismus –und legt die Werte und Regeln innerhalb dieser Tradition fest.
(GEO kompakt Nr.16 „Glaube und Religion“, Hamburg 2008, S.152)
·
„Woraus diese Schöpfung entstanden
ist, ob er sie geschaffen hat oder ob nicht – der ihr Aufseher ist im höchsten
Himmel: Der nur weiß es! Oder ob er es auch nicht weiß?“
Rigveda 10.129.7, die älteste Hymnensammlung des alten Indien
(EZW-Texte 203, Religionsbeschimpfung, Berlin 2009, S.43)
·
Es ist ein großes Missverständnis anzunehmen,
dass der Buddha die Existenz der Götter geleugnet hätte. Zahlreiche Textstellen
im Pali-Kanon weisen auf das Gegenteil hin. Alle Gottheiten sind aber Teil des
ewigen Kreislaufs von Geburt und Tod und daher ebenso vergänglich wie die
anderen Wesen.
(EZW-Texte 203, Religionsbeschimpfung, Berlin 2009, S.45)
·
Anschläge auf Kirchen in Kuala Lumpur
(Malaysia);
Hintergrund der Angriffe ist ein Urteil des Obersten Gerichts von Ende
Dezember: Das erlaubte der malaysischsprachigen katholischen Wochenzeitung
HERALD, den christlichen Gott als „Allah“ zu bezeichnen
(taz 9./10.1.2010 S.09)
·
die Genesis des gegenwärtigen
Universums fiel laut Maya-Datierung umgerechnet auf den 11. August 3114 v.Chr.
(bild der wissenschaft 10/2009 S.76)
·
Gläubige in Prozent der Weltbevölkerung 2007:
Religion |
Prozent
der |
Christen |
33,3 |
Muslime |
21,0 |
Hindus |
13,3 |
Buddhisten |
5,9 |
Juden |
0,2 |
Stammesreligionen; sonstige |
12,2 |
Atheisten |
2,3 |
Nichtgläubige |
11,8 |
in 238 Staaten und Gebieten
wurden vor 40 Jahren rund 10.000 verschiedene Religionen gezählt
(Spiegel 52-2009
S.102ff)
·
Nicht jeder Glaube will alle selig
machen. Den Hindus reicht ihr Subkontinent. Buddhisten erheben keinen
ausgeprägten Anspruch auf die Welt, schon gar nicht auf die Weltherrschaft.
Nichts ist ihnen wichtig außer dem Nichts. Auch dem Shintoismus ist ziemlich
gleichgültig, ob außerhalb der japanischen Grenzen jemand an die Shinto-Götter
glaubt. Und die Juden haben genug mit sich selbst zu tun, außerdem ist „auserwählt“
zu sein, keine Entscheidung, die der Mensch beeinflussen könnte.
Zwei Religionen aber erheben Anspruch auf den ganzen Erdenball. Zwei, die
glauben, ihnen hätte ein Gott die einzig wahre und allgemeingültige Lehre
offenbart. Einen Glauben für jeden und für ewig. Diese beiden erstaunlich
selbstbewussten Religionen sind Christentum und Islam.
(Spiegel 52-2009 S.102ff)
·
Der jüdische Kalender zählt die Jahre
ab dem 7. Oktober 3761 v.Chr., beginnend mit dem angenommenen Zeitpunkt der biblischen
Schöpfung der Welt.
Die islamische Zeitrechnung beginnt im Jahr 622 n.Chr., als der Überlieferung
nach der Prophet Mohammed aus Mekka auswanderte
(bild der wissenschaft 6-2010 S.12)
·
Ein Gespräch mit dem großen Hindu Sri
Sri Ravi Shankar über Atemtechnik, Atheisten und religiös motivierte Konflikte;
DIE ZEIT: Kriya ist Sanskrit und bedeutet so viel wie vollkommene Handlung. Im
Westen kennen wir das Wort aus dem Yoga, aber Sie sind kein Yogalehrer. Man
könnte Sie den Papst der Hindus nennen. Wie erklären Sie den Hinduismus
jemandem, der noch nie davon gehört hat?
Sri Sri: Hinduismus ist die älteste Religion auf unserem Planeten. Sie kennt
nur einen Gott, den Gott der Liebe, der allerdings viele Namen hat. Er kann auf
unterschiedliche Arten gefeiert werden. Darin besteht die Freiheit unseres
Gottesdienstes.
DIE ZEIT: Hindus kennen kein zentrales Glaubensbekenntnis. Und wir haben immer
noch nicht verstanden, wer von den Göttern Vishnu, Brahma oder Saraswati nun
der wichtigste ist.
Sri Sri: Der Hinduismus hat viele Bücher und Propheten. Alles, wofür die
moderne Gesellschaft steht, ist darin angelegt: Freiheit, Unabhängigkeit,
Gleichberechtigung und sogar Demokratie.
DIE ZEIT: Warum hat der Hinduismus keine Kirche?
Sri Sri: Weil er nur eine Lebensweise und keine organisierte Religion ist.
DIE ZEIT: Was ist der Unterschied zu allen anderen großen Religionen?
Sri Sri: Mich interessieren nicht die Unterschiede, sondern die
Gemeinsamkeiten. Wir sollten uns das Gute aus allen alten Traditionen
heraussuchen, um die heutige Welt zu verbessern. Alles, was uns hilft, liebende
und freundliche Menschen zu werden, sollte man nutzen.;
Sri Sri: Alle Religionen geben Zeugnis von der Existenz der einen absoluten
Wirklichkeit. Nur unsere Ignoranz gegenüber den heiligen Schriften unserer
Nachbarn verursacht Konflikte.;
Die Zeit: … was ist mit den Atheisten? Können sie auch etwas vom Hinduismus
lernen?
Sri Sri: Definitiv! Von den sechs philosophischen Schulen des Hinduismus
berühren drei das Thema Gott überhaupt nicht. Sie beschäftigen sich nur mit
Körper, Geist und Schöpfung.
DIE ZEIT: Welcher Teil Ihrer Lehre Art of Living passt nun für Atheisten?
Sri Sri: Jeder atmende und denkende Mensch kann von unserer Atemtechnik
profitieren. Atheisten sind auch bloß Menschen. Auch sie suchen letztlich
Frieden, wollen geliebt werden und lieben, sorgen sich um den Planeten. Sie
glauben an sich selbst und an die Welt. Der Glaube ist der Punkt, wo Atheisten
und Gläubige sich treffen;
DIE ZEIT: Was meinen Sie eigentlich mit Spiritualität?
Sri Sri: Die Überzeugung, dass Gott keine abstrakte Idee, sondern eine
Erfahrung des Herzens ist. Wenn Religion keine Suche ist, wenn sie sich der
Vernunft verschließt und wissenschaftliches Denken ablehnt, dann verengt sie
sich.;
DIE ZEIT: Liegt es nicht in der Natur des Glaubens, dass er zu einer gewissen
Diskussionsunfähigkeit neigt?
Sri Sri: Nein. Man darf religiöse Gesetze niemals absolut setzen, sondern muss
Werte wie Mitleid und Liebe, Gerechtigkeit und Freiheit hochhalten.;
DIE ZEIT: Wozu gibt es dannüberhaupt unterschiedliche Religionen? Neulich saßen
Sie mit einer evangelischen Theologin auf dem Podium, und so, wie Sie beide das
Wort Gott benutzten, hatte man den Eindruck, Sie meinten dasselbe.
Sri Sri: Aber natürlich ist Gott stets derselbe, egal, wie wir ihn nennen. Er
ist omnipotent und omnipräsent. Er zeigt sich in der Schöpfung und in jedem
Menschen, auch in Ihnen und in mir. Die äußeren Erscheinungen mögen
unterschiedlich sein, aber die innere Essenz ist gleich.;
DIE ZEIT: Der Hinduismus setzt sich aus so vielen Einflüssen zusammen, dass er
für Außenstehende manchmal kaum zu verstehen ist.
Sri Sri: Ist das nicht wunderbar? Sie können im Haus eines Hindus ohne weiteres
ein Bild von Jesus finden. Hindus gehen auch in
buddhistische Tempel. Ich erzähle Ihnen mal eine Geschichte. Als Präsident
Nixon nach Japan kam, traf er mit einem buddhistischen Priester und einem
Schinto-Mönch zusammen. Nixon fragte den Buddhisten, wie viel Prozent der
Japaner seinem Glauben anhingen. Der antwortete: »Achtzig Prozent.« Dann stellte Nixon dem Schintoisten dieselbe Frage. Der
antwortete: »Achtzig Prozent.« Da rief Nixon: »Wie ist
es möglich, dass Sie beide auf achtzig Prozent kommen?«
Die beiden Priester lächelten und sagten: »Es ist möglich.«;
DIE ZEIT: Würden Sie zum Schluss einen Satz für uns vervollständigen? Religion
kann revolutionär sein, wenn…
Sri Sri: … wenn sie wissenschaftlich ist. Oder: wenn sie nicht der Vernunft
entbehrt. Suchen Sie sich die Zeile aus, die Ihnen am besten gefällt.
(Die Zeit 30.6.2011 S.62 - http://www.zeit.de/2011/27/Interview-Hindu-Sri-Sri/seite-2
)
·
(S.87)
Definition … Religion …
erlaube ich mir eine vorbehaltliche und vorläufige Aufzählung von fünf Zügen,
die uns nicht grundlos vorschweben, wenn wir von Religion sprechen:
+ den Bezug auf übermenschliche Macht, Unbedingtes, Heiliges oder
Transzendentes
+ einen Bezug auf Traditionen, also eine Generationenkontinuität
+ einen Gemeinschaftsbezug, der in der Regel die Grenzen des Standes
überschreitet, bei den sogenannten Weltreligionen auch nationale Grenzen
+ Lebensorientierung, und zwar sowohl im Alltag als auch besonders in den
sogenannten Grenzsituationen des menschlichen Lebens, wie Krankheit,
Schicksalsschläge, Tod und Schuld
+ eine religiöse Praxis, und zwar sowohl gemeinschaftliche, wie etwa den
Gottesdienst, sld such individuelle, wie das Gebet.
Die Schwierigkeiten einer Definition der Religion ergeben sich daraus, dass
sich im Abendland zunächst ein Religionsbegriff gebildet hat, der sich an dem
orientierte, was im westlichen Kulturkreis unter Religion verstanden wurde:
Glaube an Gott oder Götter. Das passte ganz gut für Judentum, Christentum,
Islam und die Religionen der bekannten Antike der Griechen und Römer. Doch dann
kamen zwei außereuropäische Entdeckungen hinzu, die sich dieser Definition
nicht einfügten.
Die eine waren die sogenannten Naturreligionen, wir nennen sie besser Stammesreligionen schriftloser Völker.
Das Schamanentum gehört dazu, der sogenannte Fetischismus, der Ahnenkult. Hier
geht es nicht um Götterverehrung, sondern um den Umgang mit Geistern und
Kräften, die Magie gehört auch hierher.
Die andere Entdeckung war der Buddhismus.
Das Nirwana ist kein Gott und das Ziel des Buddhismus ist nicht Götterverehrung,
er möchte sie als etwas Vorläufiges überwinden. Der Buddhismus ist aber
gemeinschaftsbildend, traditionsbildend und lebensorientierend wie ansonsten
Religionen. Also eine atheistische Religion? Der Ausdruck ist mindestens
ungewohnt. …
(S.90)
Religio ist ursprünglich ein Wort der lateinischen Alltagssprache und
bezeichnet ein bestimmtes Verhalten, eine Tugend. Die beste Übersetzung ist
wohl: Respekt. Deshalb kommt das Wort ursprünglich nur im Singular vor. Von
anderen Tugenden wie Mut oder Besonnenheit können wir ja auch keinen Plural
bilden. Ob das Wort von relegare,
genau beobachten, oder von religare,
verbinden abzuleiten ist, war schon in der Antike umstritten. Bei den Römern
meint das Wort religio so viel wie
korrektes Verhalten den Verwandten und jeglichen Verbindlichkeiten gegenüber,
besonders aber den Göttern gegenüber, und zwar als Vollzug der landesüblichen
Riten und Sitten. Der irreligiosus
ist nicht der Atheist im Sinne einer atheistischen Weltanschauung, sondern der
Respektlose.
(Richard Schröder: Abschaffung der Religion?, Herder, Freiburg, 2008)
·
(72f.)
Ein Ethos zum Überleben
Wo immer sich schon in der Frühzeit des Menschen Bedürfnisse des Lebens
meldeten, wo immer sich zwischenmenschliche Dringlichkeiten und Notwendigkeiten
zeigten, da drängten sich von Anfang an Handlungsorientierungen für
menschliches Verhalten auf: bestimmte Konventionen und Sitten, also ethische
Maßstäbe, Regeln, Normen, Weisungen. Solche wurden im Lauf der Jahrtausende
überall in der Menschheit erprobt. Sie mussten sich in den aufeinanderfolgenden
Generationen sozusagen einschleifen.
Natürlich waren diese Werte und Maßstäbe in den frühen (und auch noch heutigen)
Stammeskulturen ungeschriebene, nicht
satzhaft formulierte Normen. Sie
wurden als Familien-, Clan-, Stammesethos überliefert in Geschichten, Parabeln,
Vergleichen, Bräuchen. Doch war es kein Zufall, dass sich in den
verschiedensten Regionen der Erde ähnliche Normen entwickelten. Sie
konzentrierten sich auf lebenswichtige Bereiche. In erster Linie auf den Schutz
des Lebens: das Verbot, Menschen zu
töten, außer bei bestimmten Ausnahmen (Konfliktregelung, Gewaltbestrafung).
Doch zugleich ging es von Anfang an auch um den Schutz des Eigentums, drittens um den Schutz der Ehre und viertens um die Regelung der Beziehungen zwischen den Geschlechtern. …
(später) Differenzierung der Kulturen, die schließlich zu Hochkulturen und
Hochreligionen führte. Nun wurden die Normen auch satzhaft formuliert und
niedergeschrieben. In manchen Kulturen wurden sie unter den Willen der Götter
gestellt oder – exemplarisch in den Zehn Geboten der Hebräischen Bibel – unter
die Autorität des Einen Gottes.
Durch all die Jahrhunderte wurden solche Gebote von Generation zu Generation
weiter tradiert.
(88f.) Goldene Regel …
Sie findet sich schon fünf Jahrhunderte vor Christi Geburt beim chinesischen
Weisen Konfuzius: „Was du selbst nicht wünschest, das tue auch nicht anderen
Menschen an“.
(90) Es gibt vier ethische Imperative, die sich nicht nur in den Zehn Geboten
der Hebräischen Bibel finden, bestätigt im Neuen Testament und im Koran,
sondern auch bei Patanjali, dem Begründer des Yoga, im Buddhistischen Kanon und
in der chinesischen Tradition: „Nicht morden, nicht stehlen, nicht lügen, nicht
die Sexualität missbrauchen.“
(126) Religion ist allgegenwärtig, sowohl historisch wie geographisch. … Darf
man aus der Vergangenheit folgern, dass es uach in Zukunft Religion geen wird?
Nicht unbedingt. Religionen können sterben: die ägyptische, babylonische,
römische, germanische … Ob allerdings das Menschheitsphänomen Religion sterben
kann? Vermutlich so wenig wie die Menschheitsphänomene Kunst oder Musik.
(160) „Von den ältesten Zeiten bis zu unseren Tagen findet sich bei den
verschiedenen Völkern eine gewisse Wahrnehmung jener verborgenen Macht, die dem
Lauf der Welt und den Ereignissen des menschlichen Lebens gegenwärtig ist, und
nicht selten findet sich auch die Anerkenntnis einer höchsten Gottheit oder
sogar eines Vaters. Diese Wahrnehmung und Anerkenntnis durchdringt ihr Leben
mit einem tiefen religiösen Sinn. Im Zusammenhang mit dem Fortschreiten der
Kultur suchen die Religionen mit genaueren Begriffen und in einer mehr
durchgebildeten Sprache Antwort auf die gleichen Fragen.“ (Erklärung des
Zweiten Vatikanischen Konzils über das Verhältnis der Kirche zu den
nichtchristlichen Religionen vom 28.10.1965)
(161) … dass die Buddhisten den Begriff Gott ablehnen, dass sie aber sehr wohl
eine letzte und höchste geistige Wirklichkeit (Ultimate Reality) annehmen, die
sie „Großes Sein“ (Great Being) oder „Kraft des Transzendenten“ (Power of the
Transcendent) oder „Höhere geistige Autorität“ Higher Spiritual Authority)
nennen. Sie hätten auch vom Nirvana, dem Ziel des Erlösungsweges, oder vom
Dharmakaya (Leib der Lehre), dem Kosmos und Mensch bestimmenden Gesetz sprechen
können.
(162) Die Religionen wollten schon immer gleichzeitig Lebensdeutung und
Lebensweg sein, wobei mir der zweite Aspekt zunehmend wichtiger wurde.
+ Lebensdeutung: Religionen, jedenfalls die ethischen Hochreligionen, gehen von
denselben ewigen Fragen aus, die sich
hinter dem naturwissenschaftlich Sichtbar-Greifbaren und der eigenen begrenzten
Lebenszeit eröffnen: Woher kommen die Welt und ihre Ordnung? Warum sind wir
geboren und müssen wir sterben? Was bestimmt das Schicksal des Einzelnen und
der Menschheit? Wie erklären sich das sittliche Bewusstsein und das
Vorhandensein ethischer Normen? …
+ … Lebensweg …Als Orientierung auf diesem Weg bieten sie Leitlinien ethischen
Verhaltens an. Allesamt betrachte sie Mord, Lüge, Diebstahl und sexuellen
Missbrauch als schuldhaft und vertreten als allgemeingültige praktische
Richtschnur so etwas wie die „Goldene Regel“.
(163) Zahllos die Götter der Religionen in Geschichte und Gegenwart, die
göttlichen Naturgestalten und Naturgewalten, die Pflanzen-, Tier- und
Menschengötter, die ranggleichen Gottheiten und die gestuften Hierarchien. Da
drängt sich unweigerlich die Frage auf: Welcher ist der wahre Gott? Ist er in
den ursprünglichen, noch einfach strukturierten
Stammesreligionen zu finden oder in den hochentwickelten? In den langsam
gewachsenen oder in den gestifteten? In den mythologischen oder den
aufgeklärten? Und weiter die Fragen: Gibt es viele Götter: Polytheismus? Oder
unter vielen Göttern einen einzelnen höchsten Gott: Henotheismus? Oder überhaupt
nur einen Gott: Monotheismus? Ist Gott über oder außerhalb der Welt zu denken:
Deismus? Oder geht Gott ganz in der Welt auf: Pantheismus? Oder ist die Welt
ganz in Gott: Panentheismus?
(203) Hindus glauben an die uralte Lehre vom Kreislauf der Wiedergeburten. An
einen Kreislauf in den Abläufen der Natur und in den verschiedenen
Weltperioden, einen Kreislauf auch in der Wiederverkörperung des Menschen …
dass das moralisch richtige oder falsche „Handeln“ (Sanskrit „Karma“) in meinem
vorausgegangenen Leben mein jetziges Leben bestimmt, und mein positives oder
negatives Handeln im jetzigen Leben meinen Stand im nächsten Leben …
(206) Buddhisten … teilen mit Hindus zwar die zyklische Weltsicht vom Kreislauf
der Geburten und der Weltperioden, ebenso die Vorstellung der Bestimmung durch
das Karma, die vorausgegangenen Taten … lehnen jedoch die Autorität der Veden
ab und damit die Herrschaft der Brahmanen, die blutigen Opfer und die
Kastenordnung der Hindus …
Orientierungsgestalt des Buddha (7. Jahrh. v.Chr.; der Erleuchtete) … er bietet
den Menschen einen Weg der Vergeistigung, Verinnerlichung, Versenkung an. Durch
seine Lehre (Dharma) gibt er den Menschen Antworten auf die vier Urfragen, die
„vier edlen Wahrheiten“: Was ist Leiden? Das ganze Leben. Wie entsteht es?
Durch „Lebensdurst“, Gier, Hass, Verblendung. Wie kann es überwunden werden?
Durch Nicht-Anhaften und dadurch Versiegen des Lebensdurstes. Welches ist der
Weg, dies zu erreichen? Der „achtfach Pfad“ des Buddha.
Der Buddha will keine Welterklärung bieten, sondern eine Heilslehre und einen
Heilsweg … In der Meditation soll der Mensch nach innen gehen …
(208) Das konfuzianische Modell …
Neben den prophetischen Religionen nahöstlicher Herkunft, Judentum Christentum
und Islam, und den mystischen Religionen indischer Provenienz, vor allem
Hinduismus und Buddhismus, bilden die Religionen chinesischen Ursprungs,
Konfuzianismus und Daoismus, ein drittes eigenständiges und kulturhistorisch
gleichwertiges religiöses Stromsystem. Ihr Prototyp ist weder der Prophet noch
der Guru, sondern der Weise. Gegenüber der indischen Religion mit ihrem
Mystizismus, mit überquellenden Mythologien und streng zyklisch ausgerichtetem
Denken ist die chinesische Kultur von nüchterner Rationalität und historischem
Denken geprägt …
Dem Menschen und seiner Vernunft wird der Vorrang eingeräumt vor Geistern und
Göttern …
Für Konfuzius sind weniger die traditionellen Orakelsprüche von Bedeutung als
die ethischen Entscheidungen der Menschen selbst.
… der „Himmel“ ist als wirkende Macht, Ordnung, Gesetz üergeordnet, weswegen es
nicht nur um eine simple Morallehre geht. Den „Willen des Himmels“ soll der
Mensch, besonders der Herrscher, zu verstehen und zu erfüllen trachten …
Das Wort, das ein ganzes Leben lang als Richtschnur des Handelns dienen soll,
ist nach Konfuzius die „Gegenseitigkeit“ (Shu), Sie ist die Abkürzung für die
von ihm zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte formulierte Goldene Regel:
„Was du selbst nicht wünschest, das tur auch nicht anderen!“
(Hans Küng: Was ich glaube, Piper, München, 2009)
·
aktuelle
Umfrage der Nachrichtenagentur AP und des Marktforschungsinstituts GfK;
fast 77 Prozent der erwachsenen US-Amerikaner glauben an die Existenz von
Engeln;
auch vier von zehn Befragten, die nie Gottesdienste besuchen, glauben an Engel;
Frauen mehr als Männer; über 30-jährige mehr als jüngere Landsleute
(taz 24./25./26.12.2011 S.8)
·
Interview
mit dem heutigen Häuptling der Apachen;
»Ich werde Ihnen heute alles erklären«, verspricht Kaydahzinne auf dem Weg
durch die Wälder. Er hat die Stimme eines Geschichtenerzählers, tief und warm.
»Ihr Weißen glaubt an die Evolution, an den Urknall. Wir Apachen glauben diesen
Unsinn nicht. Wir stammen doch nicht vom Affen ab! Uns hat der Schöpfer
geschaffen.«
Manitou?
»Nie gehört«, sagt Kaydahzinne. »Unser Schöpfer heißt Bik’egu’in Dán. In eurer
Sprache: Der uns Leben schenkt.« Während der Wind an
seinem Wagen rüttelt, erzählt Kaydahzinne eine komplizierte Geschichte vom
»Anfang der Zeit«, als auf dem Gipfel des White Mountain aus Blitz, Donner und
Regen der Mensch geboren wurde. »Wenn ich diese Geschichte bis zum Ende
vortrage, dauert sie zwei Tage.«
Der Glaube der Apachen wird mündlich überliefert, in Gesängen und Gebeten. »Das
geht schnell verloren«, sagt Kaydahzinne, »wir sind nur noch wenige.«
(Die Zeit 15.3.2012 S.17)
·
(S.10ff)
Nun sind Judentum, Christentum und Islam zum einen mit Dingen befasst, die den
Bereich des Erfahrbaren transzendieren, und zum anderen mit Regeln und Geboten
für das menschliche Leben und Zusammenleben, die sich ebenfalls einer
schlichten Widerlegung durch die Erfahrungswissenschaften entziehen (und
natürlich auch einer Bestätigung durch diese). Dies ist die
religionsphilosophische Botschaft von Immanuel Kants Kritik der reinen
Vernunft: „Ich musste dem Wissen Grenzen setzen, um dem Glauben Platz zu
machen.“;
(S.28ff.) Von den im Jahr 2010 gezählten 6,9 Milliarden Menschen weltweit
gehörten 5,8 Milliarden einer Religionsgemeinschaft an. Das sind 84 Prozent der
Weltbevölkerung. Zum Christentum bekennen sich 32 Prozent, zum Islam 23
Prozent, zum Hinduismus 15 Prozent, zum Buddhismus 7 Prozent, zum Judentum 0,2
Prozent – es gibt also nur noch 14 Millionen Juden weltweit. Es überrascht
wenig, dass sich 99 Prozent der Hindus und 99 Prozent der Buddhisten im
asiatischen Raum finden. Der asiatisch-pazifische Raum ist mit 62 Prozent auch
die Heimat der Mehrheit der Muslime. Global am weitesten verbreitet ist das
Christentum. Schwerpunkte sind der nord-, mittel- und südamerikanische
Kontinent, das südliche Afrika und Europa.
Während weltweit Religionen wachsen, müssen die Volkskirchen in Deutschland
herbe Mitgliederverluste hinnehmen. Die römisch-katholische Kirche hat zwischen
1990 und heute mehr als 3,5 Millionen Mitglieder verloren, die in der
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) organisierten evangelischen Kirchen
mehr als 5 Millionen.;
Finanzielle Verluste erleiden die Kirchen in Deutschland durch die Austritte im
Übri-gen nicht. Das Kirchensteuereinkommen der beiden großen Kirchen lag im
Jahr 2001 bei 8,5 Milliarden Euro. 2010 lag es bei 9,2 Mil-liarden Euro.;
Die Zahl der Menschen, die sich keiner Religionsgemeinschaft zugehörig fühlen,
wird vom „Pew Forum on Religion and Public Life“ mit 1,1 Milliarden angegeben.
850 Millionen finden sich in Asien, davon allein 700 Millionen in China, 135
Millionen in Europa, 60 Millionen in den USA, 45 Millionen in Südamerika,
26 Millionen im südlichen Afrika und 2
Millionen im Mittleren Osten und nördlichen Afrika. Bei diesen Zahlen muss man sich
aber vor Augen halten, dass beispielsweise 68 Prozent der „Nones“ in den USA
durchaus an einen Gott als eine wie auch immer geartete höhere Macht glauben.
Auch 30 Prozent der konfessionslosen Europäer glauben trotz ihrer Distanz zur
Kirche an ein höheres Wesen. Bei näherer Betrachtung der Einstellungen der 700
Millionen religiös nicht Gebundenen in China kommt man ebenfalls zum
Nachdenken: So gehen mit größter Selbstverständlichkeit 44 Pro-zent dieser
Chinesen am nationalen Grabpflegetag an das Grab ihrer Ahnen und bringen diesen
Essen, Getränke und selbst eigens dafür hergestelltes Geld fürs Jenseits mit.;
Die Besonderheit religiöser Kommunikation liege in deren Realitätsverdoppelung:
„Es ist dann nicht mehr einfach alles, was ist, real, indem es ist, wie es ist,
sondern es wird eine besondere, sagen wir reale Realität dadurch erzeugt, dass
es etwas gibt, was sich von ihr unterscheidet.“;
Luhmann kann deshalb auch ganz lakonisch sagen: „Religion scheint immer dann
vorzuliegen, (…) wenn man einzusehen hat, weshalb nicht alles so ist, wie man es
gern haben möchte.“
(Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft „Religion und Moderne“, 10.7.2013,
http://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/162404/religion-und-moderne)
·
„Wir werden Götter sein“ - SPIEGEL-Gespräch - Der israelische
Historiker Yuval Noah Harari, 41, glaubt, dass der Mensch durch neue
Technologien bald die nächste Evolutionsstufe erreicht. Der mit gottgleichen
Fähigkeiten ausgestattete Homo Deus verdrängt dann den Homo sapiens. …
Harari: Ich sage nicht, dass wir all diese Pro| bleme komplett überwunden
hätten. Ich sage bloß, dass Gewalt, Krankheit und Hunger für Jahrtausende
omnipräsente Probleme der gesamten Menschheit waren. So gut wie niemand, der
vor 300, vor 3000 oder vor 30000 Jahren gelebt hat, wäre auf die Idee gekommen
zu erwarten, dass das nächste Jahr ohne Krieg, Epidemien oder Hunger
vorbeigehen könnte. Heute ist genau das für den größten Teil der Menschheit
selbstverständlich. Zum ersten Mal in der Geschichte Sterben mehr Menschen,
weil sie zu viel essen, nicht, weil sie zu wenig essen. 2010 starben drei
Millionen Menschen an den Folgen von Übergewicht – das sind mehr als durch
Hunger, Kriege, Gewaltverbrechen und Terrorismus zusammen. Für einen Amerikaner
oder Europäer der Gegenwart ist CocaCola die größere Bedrohung als al-Qaida.
SPIEGEL: Guter Satz! Sie haben ein Talent für solche Catch-Phrases. An einer
anderen Stelle bezeichnen Sie den Terrorismus, dessen Gefahr Sie für
überschätzt halten, als „Fliege im Porzellanladen“.
Harari: Eine Fliege kann keinen Porzellanladen zerstören, sie bringt nicht
einmal eine Tasse ins Wanken. Was tut sie also? Sie sucht sich einen Elefanten,
fliegt in dessen Ohr, macht ihn verrückt, bis der Elefant vor Wut schäumt und
das Porzellan kaputt schlägt. Das haben wir in den vergangenen 20 Jahren
erlebt. Niemals hätte al-Qaida den Irak von allein destabilisieren können, also
haben sie die Amerikaner in Rage gebracht, und die haben dann den Irak
zerstört, in dessen Ruinen wiederum neue Terrorgruppen erblühen konnten.
SPIEGEL: Funktioniert die Metapher auch für Europas Umgang mit dem Terror?
Harari: Dem europäischen Projekt und der EU ist es seit 1945 gelungen, einem
Kontinent, der über Jahrhunderte fast pausenlos in schreckliche Kriege
verwickelt war, dauerhaften Frieden zu bringen. Und jetzt, 2017, zweifeln
plötzlich viele der 500 Millionen Bürger Europas an dieser so erfolgreichen
Union, und weshalb? Weil ein paar Terroristen ein paar Hundert Menschen
umgebracht haben. Das ist die Fliege im Ohr. Und es trampeln gerade ein paar
ziemlich gefährliche Elefanten durch Europas Demokratien, wie wir wissen. …
Harari: Der Mensch braucht Visionen. Er braucht eine sinnvolle Vorstellung der
Welt, in der er lebt und leben wird, er braucht eine große gesellschaftliche
Erzählung, in der er eine Rolle spielen kann. Im 20. Jahrhundert war der
Stahlarbeiter aus Pennsylvania oder aus dem Ruhrpott das Zentrum des
gesellschaftlichen Diskurses. In allen Zukunftsvisionen, egal ob kommunistisch
oder faschistisch, hatte der Arbeiter eine zentrale Rolle. Heute ist er weg von
der Bildfläche. Die einzigen großen Entwürfe kommen aus dem Silicon Valley, und
die sind voll grandioser Begriffe wie „Künstliche Intelligenz“, „Big Data“,
„Virtuelle Realität“ und „Algorithmus“ – aber kein Wort vom Arbeiter. Das
Einzige, was der Arbeiter noch hat, ist sein Stimmrecht. … Die größte
Veränderung der letzten 20 Jahre war das Internet – aber niemand hat je darüber
abgestimmt. Um das Internet zu etablieren, mussten weitreichende
Entscheidungengefällt werden, die die Privatsphäre betreffen, die Arbeitswelt,
die Souveränität von Staaten. All das wurde außerhalb der Politik entschieden.
Und das ist erst der Anfang. Wir werden immer mehr Innovationen erleben, die
unser Leben verändern, unsere Beziehungen, unsere Jobs, sogar unsere Körper.
Aber nichts davon wird vom demokratischen Souverän beschlossen. Also wählen die
Leute jemanden wie Trump, um dem System, Pardon, einen
Tritt in den Hintern zu geben.
SPIEGEL: Aber diese Leute haben ja erst recht keine Rezepte.
Harari: Natürlich nicht. Niemand hat ein Rezept, weil alles zu schnell geht.
Wir wissen heute nicht mehr, was wir unseren Kindern in der Schule beibringen
sollen, um sie auf die Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte vorzubereiten.
Wir haben keine Ahnung, wie die Gesellschaft und die Arbeitswelt von 2050
aussehen werden. Wir irren auf kurze Sicht im Weltnebel herum. …
SPIEGEL: Was meinen Sie mit dem Begriff Homo Deus?
Harari: Ganz Wörtlich: einen Menschen, der Fähigkeiten erlangt, die in
traditionellen Vorstellungen Göttern vorbehalten sind. Manches davon haben wir
längst erreicht, insofern müsste schon der heutige Mensch seinen Vorfahren wie
ein Gott vorkommen. Für den größten Teil der Geschichte erwarteten die Menschen
von ihren Göttern Lösungen für praktische Probleme. Man war krank, man betete
zu Gott. Es fiel kein Regen, und die Ernte war bedroht, man betete zu Gott.
Heute haben die Wissenschaft und der technische Fortschritt für die meisten
dieser Probleme Lösungen gefunden, die viel besser sind als die unzuverlässigen
Götter. Die Konzepte, die wir im 21. Jahrhundert noch mit Religionen verbinden
– das Jenseits etwa oder die moralischen „Werte“ – sind nur Überreste des
Göttlichen. Durch die ganze Geschichte hindurch haben die Religionen ihr
Angebot angepasst, in einer steten Fluchtbewegung vor dem Fortschritt. Sobald
sie merkten, dass ihre Hilfe am Krankenbett oder in der Landwirtschaft nicht
mehr gefragt war, nahmen die Religionen neue Fantasieleistungen in ihr Angebot
auf, die von der Wissenschaft noch nicht abgedeckt wurden, eben das „Leben nach
dem Tod“.
SPIEGEL: Die zentrale Fähigkeit des biblischen Schöpfergottes ist aber die
Erschaffung von Leben.
Harari: Daran arbeitet der Mensch gerade. Ich glaube, dass die wichtigsten
Produkte der Ökonomie des 21. Jahrhunderts nicht mehr Autos, Textilien und
Esswaren sein werden, sondern Körper und Gehirn und Bewusstsein, also
künstliches Leben. Und es gibt drei Wege, wie sich der Mensch zum Homo Deus
„upgraden“ kann: erstens Bioengineering, zweitens Cyborgs, drittens
anorganisches Leben. Wenn das gelingt, werden wir Götter sein. …
SPIEGEL: Sie benutzen auch den Begriff des „Übermenschen“ für die nächste
Evolutionsstufe des Homo sapiens. Das sollten Sie einem deutschen Publikum
erklären.
Harari: Ich rede von „Superhumans“.
SPIEGEL: Die deutsche Übersetzung nennt das „Übermensch“.
Harari: Ich weiß, dass das ein belasteter Begriff ist in Deutschland, und der
Vergleich taugt auch nur aufgrund der Kontraste. Während Hitler und die Nazis
vor 80 Jahren den Übermenschen durch Selektive Fortpflanzung und „ethnische
Säuberungen“ züchten wollten, verfolgt die Wissenschaft der Gegenwart ein
verwandtes Ziel mit wesentlich effizienteren Mitteln, eben mit Gen-Engineering
oder Schnittstellen zwischen Computer und Gehirn. Diese Supermenschen hätten
physische und kognitive Fähigkeiten, die unseren heutigen weit überlegen wären.
Besseres Gedächtnis, höhere Intelligenz, stärkere, widerstandsfähigere Körper.
Vielleicht bewegen wir uns auf eine Zukunft zu, in der ein kleiner Teil der
Menschheit gottähnliche Fähigkeiten erlangt, während die allermeisten Menschen
zurückbleiben. Und so, wie das 19. Jahrhundert und die Industrialisierung eine
neue Klasse geschaffen haben, die urbane Arbeiterklasse, könnten das 21. Jahr|
hundert und die Digitalisierung ebenfalls zur Geburt einer neuen Klasse führen:
der Klasse der Nutzlosen. Sie haben keine politische Macht mehr und keinen
Wirtschaftlichen Wert. Und das halte ich für eine der größten Gefahren der nahen
Zukunft. …
SPIEGEL: Ein Konzept gegen das Ende der Arbeit und die drohende ökonomische
Nutzlosigkeit der Massen wird bereits erprobt: das universelle Grundeinkommen.
Was halten Sie davon?
Harari: Es ist gut, dass mit solchen Dingen jetzt experimentiert wird. Das
Konzept des universellen Basiseinkommens hat allerdings große Schwierigkeiten.
Ein Problem ist, dass es seinen Empfängern keinerlei Sinngehalt bietet, keinen
Daseinszweck. Wir schuften nicht nur für Geld, sondern ziehen auch Lebenssinn
aus unserer Arbeit. Da gibt es allerdings vielleicht Alternativen. Eine Idee
ist, dass Menschen ohne Arbeit künftig ihre Zeit vermehrt mit Computerspielen
verbringen. S
PIEGEL: Sie Scherzen.
Harari: Keineswegs. Intelligente Computerspiele und virtuelle Welten werden
immer elaborierter, sie könnten durchaus zum befriedigenden Lebensinhalt
werden. Es gibt schon heute Menschen, die ziehen ihren Lebenssinn zu einem
beträchtlichen Teil aus Fußballspielen, warum sollten also nicht auch
Computerspiele zur Ersatzreligion taugen? Apropos Religion: Auch religiöse
Glaubenssysteme, die den Menschen İ Tausenden Jahren als Quellen von Sinn
und Bedeutung dienten, funktionieren sehr ähnlich wie Computerspiele.
SPIEGEL: Ein kühner Vergleich.
Harari: Eine Religion erlässt bestimmte | Spielregeln für die Wirklichkeit, für
den Alltag ihrer Anhänger. Ein Christ geht mit diesen Regeln durchs Leben und
kann dabei Punkte gewinnen. Wenn er betet, kriegt er Punkte, wenn er sündigt,
werden | ihm Punkte abgezogen. Und wenn sein Punktestand am Ende des Lebens
nicht unter null liegt, dann erreicht er nach seinem Tod den nächsthöheren
Level. …
… eher werden wir Schritt für Schritt und in einer für
die meisten Menschen unmerklichen Weise mit unseren eigenen Erfindungen
verschmelzen, mit Computern, mit dem Internet aller Dinge, mit weltumspannenden
Datenströmen. Viele Leute empfinden ja schon heute ihr Mobiltelefon als Teil
ihrer selbst, von dem sie sich kaum noch trennen können. Viele Leute Verbringen
schon heute mehr Zeit damit, ihre Persönlichkeit auf Facebook zu gestalten als
in der Wirklichkeit, Irgendwann werden diese Optimierungen uns so weit
verändert haben, dass es nicht mehr sinnvoll ist, dieses Lebewesen Homo sapiens
zu nennen.
(Spiegel 12-2017 S.104)
·
glaubenskritisch:
Atheisten, Agnostiker, Unitarier
·
Richard Dawkins: Der
Gotteswahn
(S.45) Der Gott des Alten Testaments
Der Gott des Alten Testaments ist … die unangenehmste Gestalt in der gesamten
Literatur: Er ist eifersüchtig und auch noch stolz darauf; ein kleinlicher,
ungerechter, nachtragender Überwachungsfanatiker; ein rachsüchtiger,
blutrünstiger ethnischer Säuberer; ein frauenfeindlicher, homophober,
rassistischer, Kinder und Völker mordender, ekliger, größenwahnsinniger,
sadomasochistischer, launisch-boshafter Tyrann.
(Dawkins führt als Belege Beispiele von
biblischen Geschichten und Gesetzen vor allem aus dem 1. bis 5. Buch Mose auf,
z.B. S.327ff. – Dawkins bezieht sich konkret u.a. auf folgende Bibelstellen: 1.
Mose 19,5ff;1. Mose 19,31ff.;
Richter 19,24ff.1. Mose 20,2ff; 1. Mose 22; Richter 11,30ff; 4. Mose 31,18ff;
4. Mose 25,1ff; 2. Mose 34,13ff; 5. Mose 20,16ff; 3. Mose 20; 4. Mose
15,32; JK)
(S.71) Thomas H.
Huxley zu „Agnostizismus“
Der Agnostizismus ist eigentlich kein
Glaube, sondern eine Methode, deren Wesen die strenge Anwendung eines einzigen
Prinzips ist …
Folge in Fragen des Intellekts deiner Vernunft, so weit sie dich bringt, ohne
irgendwelche anderen Überlegungen zu berücksichtigen … Und …Tue in Fragen des
Intellekts nicht so, als seien die Schlussfolgerungen, die nicht bewiesen oder
beweisbar sind, sicher.
Agnosticism, in fact, is not a creed, but a method, the essence of
which lies in the rigorous application of a single principle. That principle is
of great antiquity; it is as old as Socrates; as old as the writer who said,
'Try all things, hold fast by that which is good'; it is the foundation of the
Reformation, which simply illustrated the axiom that every man should be able
to give a reason for the faith that is in him, it is the great principle of
Descartes; it is the fundamental axiom of modern science. Positively the
principle may be expressed: In matters of the intellect, follow your reason as
far as it will take you, without regard to any other consideration. And
negatively: In matters of the intellect, do not pretend that conclusions are
certain which are not demonstrated or demonstrable.
http://www.infidels.org/library/modern/mathew/sn-huxley.html
(S.80ff.) Glaube und Naturwissenschaft – zwei unterschiedliche
Bereiche der Wirklichkeit (?)
Der Astronom Martin Rees stellt am Anfang seines Buches „Our Cosmic Habitat“
zwei potenziell letzte Fragen … „Die eigentliche Frage lautet: Weshalb gibt es
überhaupt etwas? Was verleiht den physikalischen Gleichungen den Odem des
Lebens und lässt sie zu einem tatsächlich existierenden Kosmos werden? Fragen
wie diese liegen außerhalb der Naturwissenschaften, sie gehören in den Bereich
der Philosophie und der Theologie.“ Ich würde lieber sagen: Wenn sie wirklich
außerhalb des Bereichs der Naturwissenschaften liegen, dann liegen sie auch
außerhalb des Bereichs der Theologen ... Ich bin versucht, sogar noch einen
Schritt weiter zu gehen und die Frage zu stellen, inwiefern man überhaupt sagen
kann, die Theologen hätten eine eigene Domäne. …
… was mir ein Astronom aus Oxford antwortete, als ich
ihm eine dieser weit reichenden Fragen stellte: „Ach, damit verlassen wir den
Bereich der Naturwissenschaft. An dieser Stelle muss ich das Wort meinem guten
Freund erteilen, dem Kaplan.“ Ich war damals nicht schlagfertig genug, um die
Antwort zu geben … „Aber warum dem Kaplan? Warum nicht dem Gärtner oder dem
Koch?“ …Warum sind Naturwissenschaftler so voll kriecherischem Respekt vor den
Ambitionen der Theologen – und das in Fragen, zu deren Beantwortung die Theologen
sicher keine größere Qualifikation mitbringen als die Naturwissenschaftler
selbst?
Einem langweiligen Klischee zufolge … beschäftigt sich die Naturwissenschaft
mit Fragen nach dem WIE, während nur die Theologie die Voraussetzungen
mitbringt, Fragen nach dem WARUM zu beantworten. Was um alles in der Welt ist
eine Frage nach dem WARUM? Nicht jeder Satz, der mit dem Wort „Warum“ beginnt,
ist eine legitime Frage. Warum sind Einhörner innen hohl? Manche Fragen
verdienen einfach keine Antwort. … Nur weil man eine Frage in einen
grammatikalisch korrekten Satz kleiden kann, bedeutet das nicht, dass sie
sinnvoll wäre oder ein Anrecht auf unsere ernsthafte Aufmerksamkeit hätte. Und
selbst wenn es sich um eine echte Frage handelt und wenn die Naturwissenschaft
sie nicht beantworten kann, heißt das noch lange nicht, dass die Religion dazu
in der Lage wäre.
Vielleicht gibt es tatsächlich tief greifende, sinnvolle Fragen, die für alle
Zeiten außerhalb des Bereiches der Naturwissenschaft liegen werden. Vielleicht
klopft schon die Quantentheorie an die Tür des Unergründlichen. Aber wenn die
Naturwissenschaft solche letzten Fragen nicht beantworten kann, wieso denkt
dann irgendjemand, die Religion sei dazu in der Lage? …
Ich warte noch immer auf einen stichhaltigen Grund für die Annahme, dass die
Theologie (im Unterschied zu historischer Bibelkunde, Literatur usw.) überhaupt
ein Forschungsgegenstand ist.
(S.83ff.) Hat Naturwissenschaft über
Glaubensdinge wirklich nichts zu sagen?
Die Gotteshypothese besagt, es gebe in der uns umgebenden Realität eine
übernatürliche Handlungsinstanz, die das Universum entworfen hat und es –
zumindest in vielen Versionen der Hypothese – auch verwaltet und sogar mit
Wundern eingreift, das heißt mit vorübergehenden Verletzungen seiner ansonsten
erhabenen, unabänderlichen Gesetze. Richard Swinburne, einer der führenden
britischen Theologen, äußert sich in seinem Buch „Is There a God?“ (Gibt es
einen Gott?) überraschend eindeutig zu diesem Thema:
„Der Theist behauptet von Gott, dieser habe die Kraft, alles, groß oder klein,
zu erschaffen, zu erhalten oder zu vernichten. Er kann auch Dinge sich bewegen
oder etwas anderes tun lassen … Er kann veranlassen, dass Planeten sich auf
bestimmte Weise verhalten; er kann chemische Substanzen explodieren oder nicht
explodieren lassen auch nach ganz anderen Gesetzmäßigkeiten als denen, die wir
kennen. Gott ist nicht durch die Gesetze der Natur beschränkt; er macht sie und
kann sie ändern oder aufheben, wenn er will.“ …
Hatte Jesus einen Menschen als Vater, oder war seine Mutter zum Zeitpunkt
seiner Geburt noch Jungfrau? Unabhängig davon, ob heute noch genügend Belege
existieren, um dies zu entscheiden, handelt es sich hier um eine streng
wissenschaftliche Frage, auf die es prinzipiell eine eindeutige Antwort gibt:
ja oder nein. Weckte Jesus Lazarus von den Toten auf? Kam er selbst lebend
wieder, nachdem er drei Tage zuvor gekreuzigt worden war? Auf jede derartige
Frage gibt es eine Antwort, ob wir diese in der Praxis finden können oder
nicht, und diese Antwort ist ausschließlich naturwissenschaftlicher Art. …
Um die entscheidende Aussage noch dramatischer zu formulieren: Angenommen,
forensische Archäologen förderten aufgrund besonderer Umstände und anhand von
DNA-Analysen den Beweis zutage, dass Jesus tatsächlich keinen biologischen
Vater hatte, kann man sich dann vorstellen, dass die Religionsvertreter mit den
Achseln zucken und auch nur annähernd so etwas sagen würden wie „Na und?“
Naturwissenschaftliche Beweise sind in theologischen Fragen völlig
bedeutungslos. Falscher Wissensbereich! Uns geht es nur um letzte Fragen und
ethische Werte. Weder DNA-Analysen noch irgendwelche anderen naturwissenschaftlichen
Belege haben für diese Frage so oder so die geringste Bedeutung.“? …
Man kann sein letztes Hemd verwetten: Sollte es einen solchen
naturwissenschaftlichen Beweis geben, würden sich alle darauf stürzen und ihn
lautstark verkünden … Sobald es auch nur den Hauch eines Indizes zugunsten des
religiösen Glaubens gäbe, würden die Religionsvertreter ohne Zögern die ganze
Idee von den getrennten Wissensbereichen über Bord werfen
…
Wunder verletzen definitionsgemäß die Gesetze der Naturwissenschaft. …
Wozu ist ein Gott gut, der keine Wunder tut und keine Gebete erhört? …
(Ambroce Bierce) Beten: „Darum bitten, dass die Gesetze des Universums wegen
eines einzigen … Bittstellers außer Kraft gesetzt werden.“
(Wer seinen Glauben – auch - auf Wundern
gründet, die sich in dieser für Menschen zugänglichen Welt ereignen/zeigen und
als Durchbrechung der Naturgesetze verstanden werden, der macht sie dadurch
grundsätzlich offen und zugänglich für naturwissenschaftliche Überprüfung;
der Zustand der Welt VOR und NACH dem Sprechen eines erhörten Gebetes, dem
Eintreten einer wunderbaren Veränderung ist überprüfbar;
naturwissenschaftliche „Bestätigungen“ für Wunder, das Erhören von Gebeten
werden akzeptiert, negative Befunde wegen „Unzuständigkeit“ der
Naturwissenschaft für solche Fragen abgewehrt;
JK)
(S.217) Wenn Gott den Menschen tatsächlich etwas mitteilt, liegt diese Tatsache
ganz eindeutig nicht außerhalb der Naturwissenschaft. Gott platzt aus seinem
wie auch immer gearteten außerweltlichen Revier, das sein gewöhnlicher Aufenthaltsort
ist, in unsere Welt, wo seine Mitteilungen von menschlichen Gehirnen
aufgenommen werden können – und dieses Phänomen soll nichts mit Wissenschaft zu
tun haben?
(S.108ff.) Argumente für die Existenz
Gottes? Allmacht und Allwissenheit?
Gottesbeweise (z.B. bei Thomas von Aquin)
Alle „Beweise beruhen auf einer unendlichen Regression (einem immer weiteren
Zurückgehen JK) – die Antwort auf eine Frage wirft eine vorausgehende Frage
auf, du so weiter ad infinitum.
(Am Ende bzw. am Anfang stößt man auf JK:)
1. Der unbewegten Beweger –
irgendetwas muss die erste Bewegung veranlasst haben, und dieses Etwas nennen
wir Gott
2. Die Ursache ohne Ursache –
Gott als die erste Ursache
3. es muss eine Zeit gegeben haben, in der keine physikalischen Objekte existierten
– etwas Nicht-Physikalisches muss sie ins Dasein gebracht haben (= Gott) …
Alle drei Argumente stützen sich auf den Gedanken der Regression und greifen
auf Gott zurück, um sie zu beenden. Sie gehen von der völlig unbewiesenen
Voraussetzung aus, dass Gott selbst gegen die Regression immun ist. Sogar wenn
wir uns den zweifelhaften Luxus erlauben, willkürlich einen Endpunkt der
Regression zu postulieren und ihm einen Namen zu geben, einfach weil wir einen
solchen Endpunkt brauchen, besteht kein Anlass, ihn mit den Eigenschaften
auszustatten, die Gott normalerweise zugeschrieben werden: Allmacht,
Allwissenheit, (All-)Güte, kreative
Gestaltung, oder gar menschliche Eigenschaften wie das Erhören von Gebeten,
Vergebung der Sünden und Lesen unserer innersten Gedanken.
Übrigens ist es der Aufmerksamkeit der Logiker nicht entgangen, dass
Allwissenheit und Allmacht unvereinbar sind. Wenn Gott allwissend ist, muss er
bereits wissen, wie er mit seiner Allmacht eingreifen und den Lauf der
Geschichte verändern wird. Das bedeutet aber, dass er es sich mit dem Eingriff
nicht mehr anders überlegen kann, und demnach ist er nicht allmächtig.
(S.119) Beweise für göttliche Wunder (?)
Ein Flugzeug ist abgestürzt, 143 Passagiere und Besatzungsmitglieder kamen ums
Leben. Aber ein Kind überlebte und trug nur Verbrennungen dritten Grades davon.
Also existiert Gott.
(S.133) offenkundige Widersprüche IN der
Bibel
der Evangelist Matthäus (Matt. 1,1ff.) verfolgt die Abstammung Jesu von Josef
über David bis Abraham zurück, nennt konkrete Namen und kommt auf 28
Generationen;
der Evangelist Lukas (Lukas 3,23ff.) zählt in seiner Abstammungsliste 41
Generationen und nennt eine Vielzahl anderer Namen;
(Und wenn Jesus von einer Jungfrau zur
Welt gebracht wurde, sind Josephs Vorfahren ohnehin bedeutungslos, und man kann
sie nicht benutzen, dass sich in Jesus die alttestamentarische Prophezeiung
erfüllt, wonach der Messias von David abstammt JK)
(S.220) Argumente aus dem 19
Jahrhundert?
(Dawkins wird immer wieder gesagt:)
„Sie kommen aus dem 19. Jahrhundert“ Was heißt das im Zusammenhang mit einer
Diskussion über Religion? Im Klartext bedeutet es: „Sie sind so grob und
ungeschlacht, wie können Sie so unsensibel und schlecht erzogen sein, mir eine
direkte, zugespitzte Frage zu stellen wie „Glauben Sie na Wunder?“ oder
„Glauben Sie, dass Jesus von einer Jungfrau zur Welt gebracht wurde?“ Wissen
Sie nicht, dass man solche Fragen in gepflegter Gesellschaft nicht stellt?
Solche Fragen waren schon im 19. Jahrhundert aus der Mode.“ Aber überlegen wir
doch einmal, warum es unhöflich ist, religiösen Menschen heute eine solche
Frage zu stellen. Es ist peinlich! Aber das Peinliche ist die Antwort, wenn sie
JA lautet. …
Hakt man genauer nach, so sind viele Christen auch heute noch so loyal, dass
sie Jungfrauengeburt und Auferstehung nicht leugnen wollen. Andererseits ist es
ihnen aber peinlich, denn mit ihrem rationalen Verstand wissen sie, dass es
absurd ist. Also wollen sie lieber nicht gefragt werden.
(aufgeklärte Theologen werden – zu recht
– sagen: Das ist UNS doch alles schon lange bekannt, kalter Kaffee;
Aber dieses Wissen hat keine Konsequenzen für die Verkündigung – als Aufklärung
der normalen Gemeinde-Christen - und führt nicht dazu, dass solche Geschichten
als lehrreiche Legenden benannt und behandelt werden JK)
(S.174) Religion als Begnügen mit
Nicht-Wissen
Es ist ein wesentlicher Teil der wissenschaftlichen Arbeitsweise, dass man
Unwissen eingesteht oder sich sogar darüber freut, weil Unwissen eine
Herausforderung darstellt und Anlass zu weiterer Forschung gibt. Mein Freund
Matt Ridley schrieb einmal: „Die meisten Wissenschaftler finden das, was
bereits entdeckt ist, langweilig. Was sie antreibt, ist das Unwissen.“ Mystiker
schwelgen im Geheimnisvollen und wollen, dass das Mysteriöse erhalten bleibt.
Wissenschaftler schwelgen ebenfalls im Geheimnisvollen, aber aus einem anderen
Grund: Es verschafft ihnen die Möglichkeit, etwas zu tun. … dass es zu den
wirklich schlimmen Auswirkungen der Religion gehört, dass sie uns lehrt, es sei
eine Tugend, sich mit dem Nichtwissen zufriedenzugeben.
(S.187) (Genetiker Jerry Coyne:) „Wenn die Geschichte der Naturwissenschaft uns
etwas lehrt, dann dieses: Unser Unwissen GOTT zu nennen führt nirgendwohin.“
(S.188) Deutung des Anthropischen
Prinzips als Alternative zum Schöpfungsglauben
(Das Universum (der Ort, an dem wir
leben) ist so beschaffen, dass unsere Existenz als Menschen möglich ist JK)
Das anthropische Prinzip ist wie die natürliche Selektion eine ALTERNATIVE
zur Gestaltungshypothese (Schöpfungsvorstellung
JK). Es liefert eine vernünftige Erklärung für die Tatsache, dass wir uns
in einer Situation befinden, die unser Dasein ermöglicht, und diese Erklärung
kommt ohne göttliche Gestaltung aus. Die Verwirrung im religiösen Denken kommt
meiner Meinung nach dadurch zustande, dass das anthropische Prinzip immer nur
im Zusammenhang mit dem Problem erwähnt wird, das es löst – der Tatsache, dass
wir uns an einem lebensfreundlichen Ort befinden. Was dem religiösen Denken
allerdings entgeht, ist, dass für dieses Problem zwei Lösungsvorschläge
angeboten werden. Der eine ist Gott, der andere das anthropische Prinzip. Es
handelt sich um Alternativvorschläge. …
Die Gestaltungshypothese postuliert einen Gott, der absichtlich ein Wunder
vollbrachte, die Ursuppe mit göttlichem Feuer anreicherte und die DNA oder
etwas Entsprechendes auf ihre folgenschwere Laufbahn schickte. …
(S.351) Erbsünde - Bezug auf Adam
… dass Adam, der angeblich die Erbsünde beging, in Wirklichkeit nie
existiert hat.
Dass Paulus das nicht wusste, kann man ihm nachsehen …
… bringt diese seltsame Tatsache das gesamte Fundament
dieser ganzen quälend-gehässigen Theorie zum Einsturz. Ach ja, natürlich, die
ganze Geschichte von Adam und Eva war ja nur ein SYMBOL, stimmts? Ein SYMBOL?
Um sich selbst zu beeindrucken, musste Jesus also gefoltert und hingerichtet
werden, als stellvertretende Bestrafung für eine symbolische Sünde, begangen
von einer Person, die gar nicht existiert hat?
(Paulus baut aber auf der Verfehlung des
„ersten“ Adam, dem Essen vom Baum der Erkenntnis gegen den Willen Gottes, die
Vorstellung von der UR(sprünglichen)-Sünde auf, die den Tod in die Welt bringt,
den Menschen sterblich macht, seitdem von Generation zu Generation weiter
vererbt wird – erst der zweite Adam, Jesus, nimmt die Schuld dafür auf sich und
erlöst alle Menschen;
„Durch einen einzigen Menschen kam die Sünde in die Welt und durch die Sünde
der Tod, und auf diese Weise gelangte der Tod zu allen Menschen, weil alle
sündigten.“ (Röm 5,12). Ist durch die Übertretung des einen der Tod zur
Herrschaft gekommen, durch diesen einen, so werden erst recht alle, denen die
Gnade und die Gabe der Gerechtigkeit reichlich zuteil wurde, leben und
herrschen durch den einen, Jesus Christus (Röm 5,12-17). Der zentrale Punkt
wird im ersten Brief an die Korinther des Paulus nochmals betont: „Denn wie in Adam alle sterben, so werden
auch in Christus alle lebendig gemacht werden“ (1. Kor 15, 22) http://de.wikipedia.org/wiki/Erbs%C3%BCnde
alle Menschen für alle Zeiten an allen Orten? Neandertaler, Australopithecus ?;
Das Erklärungsmodell stürzt zusammen, wenn die Historizität der Existenz des
ersten ADAM bzw. des Geschehens im Paradies in Frage steht
JK)
(S.365ff.) atheistisch formulierte „neue
10 Gebote“
Dawkins hat auf einer atheistischen Website gefunden:
+ Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu.
+ Strebe immer danach, keinen Schaden anzurichten.
+ Behandle deine Mitmenschen, andere Lebewesen und die Welt im Allgemeinen mit
Liebe, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Respekt.
+ Sieh über Böses nicht hinweg und scheue dich nicht, Gerechtigkeit walten zu
lassen, aber sei immer bereit, schlechte Taten zu verzeihen, wenn sie freimütig
eingestanden und ehrlich bereut werden.
+ Führe dein Leben mit einem Gefühl von Freude und Staunen.
+ Strebe stets danach, Neues zu lernen.
+ Stelle alles auf den Prüfstand; miss deine Ideen immer an den Tatsachen und
sei bereit, auch lieb gewordene Überzeugungen über Bord zu werfen, wenn sie
sich nicht mit der Wirklichkeit vereinbaren lassen.
+ Versuche nie, zu zensieren oder dich von Meinungsverschiedenheiten
abzukapseln; respektiere immer das Recht der anderen, anderer Meinung zu sein
als du.
+ Bilde dir aufgrund deiner eigenen Vernunft und Erfahrung eine unabhängige
Meinung; lass dich nicht blind von anderen führen.
+ Stelle alles infrage
Der Philosoph John Rawls hätte vielleicht ungefähr Folgendes formuliert:
“Entwickle deine Regeln immer so, als wüsstest du nicht, ob du in der Hackordnung
ganz oben oder ganz unten stehen wirst.“
Dawkins eigene Vorschläge :
+ Erfreue dich an deinem eigenen Sexualleben (solange es keinem anderen Schaden
zufügt) und lass andere sich des ihren ebenfalls erfreuen, ganz gleich, welche
Neigungen sie haben – die gehen dich nichts an.
+ Diskriminiere oder unterdrücke nicht aufgrund von Geschlecht, Rasse oder
(soweit möglich) biologischer Art.
+ Indoktriniere deine Kinder nicht. Bring ihnen bei, selbstständig zu denken,
Belge zu beurteilen und anderer Meinung zu sein als du.
+ Beurteile die Zukunft nach einem Zeitmaßstab, der größer ist als deiner.
(Richard Dawkins: Der Gotteswahn, Ullstein Taschenbuch, Berlin 2008)
·
Richard Dawkins: Die Schöpfungslüge
Im englischen Original lautet der Titel
des Buches – etwas offener und nicht so kämpferisch: „The greatest show on
earth“ – Die größte Show auf Erden (JK)
(S.13ff.) Bei zwei Gelegenheiten arbeitete ich mit dem damaligen Bischof
von Oxford und heutigen Lord Harries zusammen. Ein Artikel, den wir 2004
gemeinsam für die Sunday Times schrieben, schloss mit den Worten: „Heute gibt
es nichts mehr zu diskutieren. Die Evolution ist eine Tatsache und aus
christlicher Sicht eines von Gottes größten Werken.“ Dieser letzte Satz stammte
von Richard Harries …
Der Erzbischof von Canterbury hat mit der Evolution ebenso wenig ein
Problem wie der Papst … Das Gleiche gilt für gebildete Geistliche und
Theologieprofessoren. Dieses Buch handelt von den Belegen dafür, dass die
Evolution eine Tatsache ist. Es richtet sich nicht gegen die Religion. Ein
solches Buch habe ich bereits geschrieben, aber das ist ein anderes Paar Schuhe
… Bischöfe und Theologen, die sich mit den Belegen für die Evolution befasst
haben, haben den Widerstand gegen sie aufgegeben. …
Um noch einmal auf die aufgeklärten Bischöfe und Theologen zurückzukommen: Es
wäre schön, wenn sie sich ein wenig mehr für die Bekämpfung des
wissenschaftsfeindlichen Unsinns engagieren würden, den sie selbst beklagen.
Allzu viele Geistliche stimmen zwar zu, dass die Evolution wahr ist und dass es
Adam und Eva nie gegeben hat, treten dann aber vergnügt auf die Kanzel und
leiten aus der Geschichte von Adam und Eva irgendeine ethische oder
theologische Aussage ab, ohne dabei auch nur einmal zu erwähnen, dass Adam und
Eva in Wirklichkeit natürlich nie existiert haben! Spricht man sie darauf an,
so wenden sie ein, sie hätten eine rein „symbolische“ Bedeutung im Sinn gehabt,
die vielleicht mit der „Erbsünde“ oder der Tugend der Unschuld zu tun hat.
Vielleicht fügen sie auch noch im Brustton der Überzeugung hinzu, es werde doch
niemand so dumm sein, ihre Worte für bare Münze zu nehmen. Aber weiß die
Gemeinde das auch? Woher sollen die Menschen in den Kirchenbänken oder auf dem
Gebetsteppich wissen, welche Teile der heiligen Schriften wörtlich und welche
symbolisch gemeint sind? Kann ein ungebildeter Kirchgänger das wirklich ohne Weiteres erkennen? In nur allzu vielen Fällen lautet die
Antwort eindeutig nein …
Denken Sie darüber nach, Herr Bischof. Seien Sie vorsichtig, Herr Vikar. Sie
hantieren hier mit Dynamit, spielen mit einem Missverständnis, das darauf
wartet, einzutreten …
(Richard Dawkins: Die Schöpfungslüge – Warum Darwin recht hat, Ullstein
Berlin, 2010)
·
(41)
zum Buch von Richard Dawkins: Der Gotteswahn …
Mit dieser leichtfertig-einseitigen, süffisant unaufgeklärten Religionskritik
wäre er sicher unter das Verdikt des Philosophen gefallen, der als Erster am
Ende des 19. Jahrhunderts den „Tod Gottes“ feierlich verkündet hat, Friedrich
Nietzsches. Dieser hat gespottet über „unsere Herren Naturforscher und
Physiologen“, denen „die Leidenschaft in diesen Dingen fehlt, das Leiden an ihnen“ („Der Antichrist“,
Nr.8). Sie könnten nicht ermessen, was es bedeutet, Gott verloren zu haben. Sie
stimmen beim Ruf des „tollen Menschen „Ich suche Gott! Ich suche Gott“ ein
großes Gelächter an“.
(Hans Küng: Was ich glaube, Piper, München, 2009)
·
(S.6)
Folgende Grundtypen des Atheismus lassen sich unterscheiden:
die Ablehnung Gottes
im Namen der leidenden Kreatur (Akkusarischer Atheismus mit Bezug auf die Theodizeefrage),
im Namen von Vernunft und Wissenschaft (Szientismus),
im Namen der Natur (Naturalismus),
im Namen des Menschen (Humanismus),
im Namen des Lebens (vitalismus),
im Namen der Mündigkeit (psychologischer Atheismus),
im Namen der Freiheit (Existenzialismus).
Hinzuweisen ist darüber hinaus auf den praktischen Atheismus und die Haltung
der Gleichgültigkeit gegenüber religiösen Wahrheitsgewissheiten und einen
methodischen Atheismus, der das wissenschaftliche Arbeiten bestimmt.
(S.11) Weder die Existenz Gottes noch seine Nichtexistenz können aus der
Perspektive wissenschaftlicher Welterkenntnis bewiesen werden. Die von
Atheisten beanspruchte Rationalität ist keine überzeugende Beweisführung,
sondern eine Missachtung der Grenzen menschlicher Vernunft. Ähnliches ist
allerdings zu fundamentalistischen Grenzüberschreitungen zu sagen, wenn sie von
der komplexen Struktur der Lebewesen und der Zielgerichtetheit der Natur auf
einen intelligenten Planer schließen und den Glauben gewissermaßen als
Konsequenz wissenschaftlicher Welterkenntnis darstellen.
(S.73) … sogenannter methodischer Atheismus. Als eine Methode des
wissenschaftlichen Arbeitens ist er für die moderne naturwissenschaftliche
Erkenntnis kennzeichnend. Er verdankt sich zum einen der Einsicht, dass exakte
Wissenschaften ihre Aussagen nicht über den Bereich gegenständlicher Erfahrung
hinaus ausweiten können und dürfen. Er verzichtet also auf jegliche Metaphysik.
Zum anderen beruht er auf der theologischen Erkenntnis, dass Gott als die alles
bestimmende Wirklichkeit grundsätzlich kein Gegenstand objektivierender
Erkenntnis sein kann. Im Sinne empirischer Wissenschaft „gibt“ es Gott nicht.
Da moderne Naturwissenschaft sich mit ihrer Methode nach ihrem Erkenntnisobjekt
richtet, rechnet sie weder mit Gott als Erklärungshypothese noch macht sie
theologische bzw. metaphysische Aussagen. Sie praktiziert vielmehr einen
methodisch notwendigen Atheismus. Dieser sagt nichts über die religiöse bzw.
weltanschauliche Prägung dessen aus, der ihn anwendet, noch darüber, ob es eine
Wirklichkeit gibt, die menschlicher Erkenntnis verborgen ist bzw. dieser voraus
ist und sie übersteigt.
(S.106) Herbert Schnädelbach: Der fromme
Atheist …
So ist der fromme Atheist nicht „gegen Gott“; er lehnt nichts ab, leugnet
nichts und bekennt nichts Gegenteiliges, sondern er hat nicht, was der fromme
Theist zu haben beansprucht – den Glauben an Gott. Der ist ihm abhanden
gekommen, und so weiß er, was er nicht hat. Das unterscheidet ihn vom gelebten
Atheismus der meisten Zeitgenossen, in dem die Gottesfrage gar nicht mehr
vorkommt …
Der fromme Atheist gibt zu, dass er ihn (den Glauben als göttliches Geschenk)
nicht hat. Er kann sich nicht dazu entschließen, ihn zu haben, denn er weiß,
dass er ihn dann auch nicht hätte. Ihm fehlt die offenbar alles verändernde
Erfahrung, die die Gläubigen „Offenbarung“ nennen und als unabweisbare Evidenz
von etwas Göttlichem verstehen. Das bedeutet nicht, dass er unempfindlich wäre
für das Religiöse, er ist hier nicht einfach „unmusikalisch“, denn sonst wäre
er nicht fromm. Er kann sich vorstellen, was Glauben wäre, sei es theistisch
oder nicht, aber er kann nicht glauben. Vielleicht würde er sich, wenn sich
etwas ohne sein Zutun gut gefügt hat, gern bedanken, aber bei wem? Oder in
einem anderen Fall beklagen, aber wo ist der Adressat? …
(S.110ff.) Joachim Kahl: Die beiden
Säulen des Atheismus …
Die beiden Säulen des Atheismus lauten:
1. Es gibt keinen Gott, der die Welt erschaffen hat. Die Welt ist keine
Schöpfung, sondern unerschaffen, unerschaffbar, unzerstörbar. Die ewige und
unendliche Welt entwickelt sich unaufhörlich gemäß den ihr
innewohnenden Gesetzmäßigkeiten, in denen sich Notwendiges und Zufälliges
verschränken.
2. Es gibt keinen Gott, der Tiere und Menschen aus ihrem Leiden erlöst. Die
Welt ist unerlöst und unerlösbar, voller Webfehler und struktureller
Unstimmigkeiten, die aus der Bewusstlosigkeit und Blindheit ihrer
Gesetzmäßigkeiten herrühren.
Die beiden Säulen des Atheismus haben die gleiche Wichtigkeit. Sie vertreten
zwei unterschiedliche Herangehensweisen und liefern jeweils eine metaphysische
und eine empirische Kritik am Gottesglauben. Die empirische Kritik zeigt auf
den unerlösten, elenden Zustand der Welt, auf das herzzerreißende, unschuldige
Leiden von Tier und Mensch. Mit dem Glauben an einen zugleich allgütigen,
allwissenden, allwirksamen und allmächtigen Gott sind derartige Sachverhalte
nur schwer vereinbar. Der Atheismus
findet eine starke Begründung in den alltäglichen Niederungen des Lebens selbst,
in der mit Blut und Tränen getränkten Geschichte des Tier- und Menschenreiches.
Wie kann ein angeblich liebender Gott, bei dem kein Ding unmöglich ist, die
Lebewesen, die er doch geschaffen hat, so unsäglich leiden lassen? Entweder ist
er nicht allmächtig und kann die
Leiden nicht verhindern, oder er ist nicht allgütig und will die Leiden nicht verhindern. …
Aber auch angenommen, es gäbe dermaleinst tatsächlich einen seligen Zustand,
wie ihn das Neue Testament in der Offenbarung des Johannes verheißt, dass Gott
abwischen wird alle Tränen und es keinen Tod und kein Leid und keinen Schmerz
und kein Geschrei mehr geben wird (Apk 21,4): Stünde dann Gott in seiner
Herrlichkeit unangefochten da, und würden alle bisherigen Atheisten reumütig
vor ihm auf die Knie fallen? Kaum, denn jede erträumte Erlösung im Jenseits
käme zu spät. Was zuvor geschehen ist, könnte sie nicht im Geringsten
ungeschehen machen. Die Unumkehrbarkeit der Zeit ist die unüberschreitbare
Grenze jeden Allmachtsglaubens. Kein religiöses Erlösungsversprechen verhindert
Erdbeben-, Kriegs-, Folter-, Mord-, Vergewaltigungs-, Krebs- oder
Verkehrsopfer. Kein religiöses Erlösungsversprechen macht das darin erfahrene
Leid wieder gut. Das liebenswerte Sehnsuchtsbild einer vollendeten
Gerechtigkeit, einer universalen Versöhnung bleibt unerfüllbar, weil selbst bei
einer jenseitigen Kompensation das zuvor Geschehene nie ungeschehen gemacht
werden kann. Wer gefoltert wurde, bleibt gefoltert …
Alles in allem: Wenn Gott überhaupt einen Zustand ohne Schmerz, ohne Leid, ohne
Tod schaffen kann, warum dann erst so spät und nicht von Anfang an? Warum nur
für wenige und nicht für alle? Warum zuvor die eigenen Geschöpfe durch ein Meer
von Blut und Tränen waten lassen? …
Oft genug ist die Wirklichkeit bitter. Im Glauben an Gott ist sie bitter und
absurd. …
Die Ewigkeit der Welt ist nicht beweisbar, aber eine wohlbegründete Hypothese,
nur scheinbar von gleichem erkenntnistheoretischem Rang wie der religiöse
Glaube an einen ewigen Gott … Ein ewiger Gott ist eine willkürliche Setzung,
die ewige Welt dagegen eine wohlbegründete metaphysische Annahme. Denn die Welt
ist fraglos gegeben. Mit sinnlicher Evidenz erweist sie sich als
allgegenwärtig. … Ein Zustand vor und außerhalb der Welt ist undenkbar. Das
Nichts ist undenkbar. Es ist ein leerer, ein gegenstandsloser Gedanke, ein
Ungedanke. Selbst wenn wir versuchen wollten, alles wegzudenken, es bliebe ja
das denkende Subjekt … Das Denken ist nicht wegzudenken. Und da das Denken ohne
Sein nicht denken kann, ist auch die Welt nicht wegzudenken. (Dies ist der ontologische
Sinn des berühmten Satzes von René Descartes: „Ich denke, also bin ich“) …
(Reinhard Hempelmann (Hg.): Dialog und Auseinandersetzung mit Atheisten und
Humanisten, EZW-Texte 216/2011, Berlin)
·
Heinz Kahlau: Kein Gott (1973)
Ich lebe jetzt. Mein Tod ist zu
erwarten.
Danach vergehe ich so schnell wie Gras.
Von mir bleibt nur, was andere verwenden
zu ihrem Nutzen und zu ihrem Spaß.
Gedanken, Verse, ein paar Gegenstände,
durch mich entstanden, bleiben in der Welt.
Für eine Weile kann man sie noch brauchen,
bis das, was keinem nützlich ist, zerfällt.
Ich habe keinen Gott. Für alle Taten,
die ich begehe, muss ich Täter sein.
Kein Weltenrichter wartet, mich zu strafen –
für jeden Irrtum steh ich selber ein.
Ich habe keinen Vater, der mich tröstet.
Es gibt kein Wort, das unumstößlich ist.
Mich stützt kein Glaube. Keine weise Fügung
besitzt ein Maß, das meinen Nutzen misst.
Ich denke selbst. Ich habe keine Rettung
vor meinen Zweifeln, wenn die Furcht mich schreckt.
Ich hab die Grenzen meiner Höhn und Tiefen
in meinen eignen Träumen abgesteckt.
Ich hänge ab von der Natur von Menschen,
von allen Kräften für und gegen mich.
Die Welt, in der ich bin, ist gut und böse,
doch weiß ich – alles um mich ändert sich.
Nichts bleibt sich gleich. Wer wagt, sich einzurichten,
der richtet sich für Augenblicke ein.
In einer Welt, bestehend aus Bewegung,
da kann ich selber nur Bewegung sein.
Ich fürchte Menschen. Was sind Eis, was Fluten,
was Pest und Feuer gegen die Gewalt
des Untiers Mensch? Die Schreie seiner Opfer
sind, seit es Menschen gibt, noch nie verhallt.
Ich liebe Menschen mehr als alle Tiere.
Sie suchen unaufhörlich einen Sinn
für ihr Vorhandensein, verstrickt in Irrtum.
Es macht mich froh, dass ich beteiligt bin.
Ich bin allein. Für kurze Augenblicke
bin ich Geliebter, Bruder oder Freund.
Um eine Arbeit, eine Lust zu machen,
wenn sich ein Weg mit meinem Weg vereint.
Auf dieser Erde leben Ungezählte,
aus denen gleiche Furcht und Hoffnung spricht.
Ich weiß um sie. In glücklichen Sekunden
seh ich mitunter einem ins Gesicht.
Da ist kein Mensch und keine Macht vorhanden,
nichts, das mich ganz für sich gewinnen kann.
Ich füge mich der Stärke und der Schwäche.
Nur wer mich tötet, hält mein Suchen an.
Ich bin missbrauchbar, ich bin zu gebrauchen,
denn ich muss sein und suche meinen Wert.
Ich will mich nähren, ich muss mich behausen.
Und über Preise wurde ich belehrt.
Solange ich lebe, arbeite und liebe,
solange sich mein Geist, mein Blut noch regt,
bin ich dem Wesen meiner Zeit verhaftet,
denn mich bewegt, was meine Zeit bewegt.
Ich denke noch, und bin noch zu belehren.
Ich suche zweifelnd weiter nach dem Sinn,
der uns zu Menschen macht, wer will mich hindern,
die Welt zu lieben, bis ich nicht mehr bin.
·
Uwe Lehnert:: Warum ich kein Christ
sein will, TEIA AG Berlin, 2009, ISBN 978-3-939520-70-2:
(S.12) Es geht um nichts Geringeres
als um die Wesensfragen unserer Existenz hier auf dieser Erde, die sich so
viele andere Menschen vor mir auch schon gestellt haben: Wer sind wir? Woher
kommen wir? Wohin gehen wir? Worauf können wir hoffen? Wer will ich sein, wer
sollte ich sein? Wer oder was gibt dem Ganzen einen Sinn? Das intensive Suchen
nach Antworten, ja möglichst Gewissheit in diesen existenziellen Fragen drückte
sich in der Phase des Abiturs in dem ernsthaften Wunsch aus, Theologie zu
studieren. Die Ahnung, dass dies für mich zu keinem guten Ende fuhren würde, ließ diese Absicht aber wieder in den
Hintergrund treten. Die damals verdrängte Frage nach meiner Einstellung zu
Christentum und Kirche ist für mich nach dem Ende meines Berufslebens wieder
bedeutsam geworden und wird ein zentrales Thema dieses Buches sein. Ich
versuche, vor mir zu begründen und möchte anderen erklären können, warum ich
kein Christ sein kann und auch nicht sein will.
(14) Vor allem ist es die streng
logische und systematische Denkweise der heutigen Naturwissenschaften und ihre
empirische Verankerung, die ich mir zum Vorbild genommen habe. Nur diese
Denkweise und Forschungsmethodik hat die faszinierenden Erfolge der Astronomie,
der Physik, der Biologie oder beispielsweise der Medizin ermöglicht. Nur Logik
und Empirie sind meines Erachtens in der Lage, verlässliche Erkenntnisse über
unsere Welt zu gewinnen. Dabei ist mir sehr wohl bewusst, dass es Bereiche
gibt, über die die Wissenschaft prinzipiell nichts sagen kann. Und ich verkenne
auch nicht, dass unsere Einsichtsfähigkeit immer auch zeitbedingte und
vermutlich wohl auch prinzipielle Grenzen hat. Dennoch bilden nach meiner
Überzeugung rational-logisches Denken und naturwissenschaftlich erarbeitetes
Wissen die sicherste und intellektuell befriedigendste Basis für unser Denken
und Handeln. Denn worüber man nichts Begründetes sagen kann, kann man
allenfalls spekulieren.
Sich seines Denkvermögens zu bedienen, heißt deshalb für mich, nichts zu »glauben«,
was dem Verstand und wissenschaftlicher Erkenntnis eindeutig widerspricht. Zwar
kann auch Wissenschaft nicht alles erklären, aber Glaube erklärt gar nichts.
Damit möchte ich religiösen Gedanken nicht von vornherein ihre Berechtigung
absprechen, aber feststellen, dass der Glaube zum Verständnis unserer Welt
meines Erachtens nichts beiträgt.
(15) Ich meine, dass es jedem erlaubt
sein muss, an existenzielle Fragen mit jenem Verständnis heranzugehen, das man als »gesunden Menschenverstand« zu bezeichnen pflegt.
Es kann doch nicht richtig sein, dass man nur nach einem mehrjährigen
akademischen Studium der Theologie oder der Philosophie befähigt sein sollte,
für sich gültige Antworten in Fragen des rechten Glaubens und eines erfüllten
Lebens zu finden. Jeder Mensch, ob gebildet oder nicht, ob studiert oder nicht,
ob geistreich oder einfach denkend, hat das Recht, nach den für ihn »richtigen«
Antworten zu suchen. Die Kriterien allerdings, die ich an die Aussagen meines
»Weltbildes« anlege, sind innere Stimmigkeit, sie dürfen sich also logisch
nicht widersprechen, und sie sollten mit meinen Erfahrungen übereinstimmen,
insbesondere dürfen sie derzeit als gesichert angesehenen
naturwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht zuwiderlaufen.
(21) Heutige Naturwissenschaftler
gehen jedenfalls von der These aus, dass die Welt regelhaft strukturiert ist,
wenigstens teilweise erkennbar und daher wenigstens teilweise durch
Wahrnehmung, Nachdenken und Wissenschaft in Form von Hypothesen beziehungsweise
Theorien erklärbar ist.
Noch einmal zurück zu PLATON. Mit seiner Auffassung, dass es einen wesentlichen
Unterschied zwischen den Erscheinungen und den von ihm behaupteten »ldeen«
gibt, stimmt der hypothetische Realismus insofern überein, als auch er
feststellt, dass es oft eine erhebliche Differenz gibt zwischen den über unsere
Sinnesorgane gewonnenen Anschauungen und der objektiven Natur der Dinge. Der
Blick in den nächtlichen Sternenhimmel oder in einen Garten mit bunten
Sträuchern und duftenden Blumen enthüllt uns nur einen Bruchteil dessen, was
sich »hinter« den Erscheinungen tatsächlich verbirgt. Und das, was wir
wahrnehmen und glauben zu erkennen, hat meist mit der objektiven Realität wenig
Ähnlichkeit. Einerseits sind wir für die meisten Eigenschaften der uns
umgebenden Natur »blind«, weil wir für diese Merkmale - wie zum Beispiel
Ultraschall, Magnetismus, Radioaktivität - überhaupt keine Wahrnehmungsorgane
besitzen. Andererseits »konstruiert« unser Gehirn beim Blick in die Natur
Eigenschaften, wie etwa ein leuchtendes Grün oder einen betörenden Duft, die so
objektiv gar nicht existieren, sondern Schöpfungen unseres Wahrnehmungs- und
Erkenntnisapparates sind.
(34) So gesehen ist Naturwissenschaft
der Versuch, die uns durch die Natur beziehungsweise Evolution gesetzten Grenzen
des Wahrnehmens und Erkennens zu überwinden. Wir »erweitern« unsere
Sinnesorgane durch Mikroskope, Fernrohre, Mikrofone, Kameras, Messinstrumente
usw. und wir »erweitern« unsere kognitive Informationsverarbeitungskapazität
und Vorstellungsmöglichkeit durch Modelle, Mathematik und Computer. Die
Naturwissenschaften machen sichtbar, was wir unmittelbar nicht sehen.
(37) Unser Erkenntnisvermögen, unsere
Anschauung und Sprache haben sich evolutiv an den mesokosmischen Strukturen
entwickelt und können in diesem »mittleren« Bereich erfolgreich eingesetzt
werden, um Informationen über die Welt zu gewinnen, zu formulieren und
anzuwenden. Mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden gelingt es, auch über den
mikrokosmischen und makrokosmischen Bereich Erkenntnisse zu erlangen, diese
immer wieder auf Gültigkeit zu testen und dadurch ständig zu verbessern. Alle
Erkenntnisse sind aber immer hypothetisch, das heißt, wir können ihrer nie ganz
sicher sein, sie können aber so lange als zutreffend gelten, wie sie nicht
durch andere Erkenntnisse relativiert oder gar widerlegt werden. Es ist sogar
objektive Erkenntnis möglich. Wir können aber der Objektivität oder Wahrheit
auch objektiven Wissens nie absolut sicher sein, da alle Erkenntnis eben immer
hypothetisch ist.
(56) Die Annahme, dass »das alles«
schon immer da gewesen sein sollte, unbegrenzt in Zeit und Raum, aber auch die
gegenteilige Vorstellung, dass »das alles« von einem Wesen, Gott genannt,
erschaffen worden sein soll, das selbst aber unerschaffen sei, also schon immer
und ewig existieren soll, erzeugt beim intensiven Darübernachdenken in meinem
Kopf ein logisches Tohuwabohu und lässt in mir ein Gefühl entstehen, als ob mir
der Kopf zerspringen würde. Es ist so, also ob die neurologischen Schaltkreise
in diesem Moment »durchdrehen« und bei der Anwendung der erlernten Logik bloß
einen antwortlosen Gedankenwirbel
erzeugen. Die Frage nach einer letztendlichen Ursache will
nicht verstummen, aber sie überfordert unseren Verstand hoffnungslos.
(61) »Die naturwissenschaftlichen
Kenntnisse werden zwar in der Schule gelehrt; sie tragen auch einiges zum
Verständnis der Natur, aber wenig zum Verständnis der Kultur bei. ... So
bedauerlich es manchem erscheinen mag: Naturwissenschaftliche Kenntnisse müssen
zwar nicht versteckt werden, aber zur Bildung gehören sie nicht.« (Dietrich Schwanitz: Bildung – was man alles wissen muss;
Eichborn AG, Frankfurt, 1999).
Hier zeigt sich - ich möchte das an dieser Stelle einmal so deutlich
formulieren - die typische Ignoranz, ja Arroganz eines weit verbreiteten Typs
von Geisteswissenschaftlern mit einem sehr traditionalistischen
Bildungsbegriff, der nicht selten auch noch damit kokettiert, von »Physik und
Mathematik keine Ahnung zu haben«. SCHWANITZ hätte stattdessen darüber
nachdenken sollen, was er - und natürlich wir alle - zum Beispiel den
Astronomen NIKOLAUS KOPERNIKUS (1473-1543) und JOHANNES KEPLER (1571-1630)
sowie dem Philosophen, Mathematiker und Physiker GALILEO GALILEI (1564-1642) zu
verdanken haben. Sie lösten durch das von ihnen vertretene heliozentrische
System die von der Kirche behauptete Auffassung von der gottgegebenen Stellung
der Erde als Mittelpunkt der Welt ab. Der Philosoph und Astronom GIORDANO BRUNO
(1548-1600) ging noch darüber hinaus und behauptete schon damals, dass das Universum
unermesslich groß sei und von unzähligen Sonnen wie die unsere erfüllt sei. An
jedem Ort des Kosmos könnte man den Eindruck haben, im Mittelpunkt der Welt zu
stehen. Von daher verbiete es sich, die Erde oder unser Sonnensystem als
Zentrum einer göttlichen Naturordnung anzusehen.
Worin bestand - neben der
wissenschaftlichen Leistung - die geistig-kulturelle Bedeutung dieser
Wissenschaftler? Man kann es in einem Satz sagen: Sie wagten es, ihre
Einsichten und Beobachtungen über die Autorität der Kirche und der Bibel zu
stellen, sie trauten sich, ihren Verstand zu be- nutzen und ihre empirischen
Erkenntnisse gegen nur behauptete, angebliche Wahrheiten, wie sie zum Beispiel
auch in den alten Schriften eines ARISTOTELES (384-322 v. Chr.) niedergelegt waren,
zu setzen. Sie leiteten damit die entscheidende Wende im Denken jener Zeit ein
und etablierten neben der Philosophie und Theologie die Naturwissenschaften als
dritte prägende kulturelle Disziplin.
(69) In den Naturwissenschaften hat
der Begriff der Theorie eine deutlich andere, durch bestimmte Merkmale genau
definierte Bedeutung. Eine gute naturwissenschaftliche Theorie zeichnet sich
durch folgende Eigenschaften aus: Präzision in den Begriffen und in der Aussage
(was sich oft darin ausdrückt, dass die Theorie in mathematischer Form
abgefasst ist), Möglichkeit zur Ableitung neuer Erkenntnisse und damit
Möglichkeit zur exakten Voraussage von zukünftigen Ereignissen beziehungsweise
Abläufen, und schließlich eindeutige Überprüfbarkeit der Theorie an der Wirklichkeit.
Die Eindeutigkeit und Zuverlässigkeit einer naturwissenschaftlichen Aussage
oder Theorie sind meines Erachtens somit ungleich höher einzuschätzen als dies
bei Einsichten und Erkenntnissen im Bereich der Kultur- oder
Geisteswissenschaften der Fall ist. …
Naturwissenschaftliche Aussagen werden
zwar grundsätzlich als Hypothesen angesehen und müssen so formuliert werden,
dass sie überprüft werden können. Sie können auch nur so lange Gültigkeit
beanspruchen, wie sie nicht widerlegt worden sind. Das Prozedere der
Naturwissenschaften garantiert aber höchstmögliche Zuverlässigkeit, zwar keine
absolute, da eben alles Wissen prinzipiell hypothetisch ist, bei sorgfältiger
Beachtung wissenschaftlicher Standards jedoch führt solches Vorgehen zum
jeweils bestmöglichen Erkenntnisstand.
Kultur- und geisteswissenschaftliches
Wissen besteht aus subjektiven Erfahrungen, Meinungen, Behauptungen,
Wertmaßstäben, Sinnsetzungen und Deutungen, ferner auch aus so genannten
Glaubensgewissheiten und Offenbarungen einzelner Menschen.
Naturwissenschaftliches Wissen kann im Prinzip objektiver Natur sein, auch wenn
wir niemals wissen können, ob eine Erkenntnis tatsächlich objektiv zutrifft,
kulturelles Wissen ist subjektiver, allenfalls intersubjektiver Natur.
Kennzeichnend für die Naturwissenschaft ist das Bemühen, die Welt objektiv zu
beschreiben, den Einfluss des Subjekts also soweit wie irgend möglich
auszuschließen, während es in den Kultur- und Geisteswissenschaften vor allem
um das Wissen und die Erfahrung des Subjekts geht.
(136) Mit wenigen Ausnahmen (siehe
z.B. die Reformationsbewegung des Calvinismus oder Luthers Lehre »Vom unfreien
Willen« ist nach christlicher Lehre der Mensch mit einem freien Willen
ausgestattet und kann sich in freier Selbstbestimmung für das Gute oder das
Böse entscheiden. Die ihm gegebene Willensfreiheit lässt ihm - so die Lehre -
die Wahl zwischen einem gottgefälligen oder gottabgewandten Leben. Dabei sind
erhebliche theologische Argumentationskünste erforderlich, göttliche
Allwissenheit logisch mit der individuellen Willensfreiheit zu vereinbaren.
Denn wenn Gott alles weiß, dann weiß er auch, wie sich ein Mensch entscheiden
wird. Das aber hieße, dass die Entscheidung im Voraus schon bekannt ist, also
eigentlich schon feststeht. Wie ist dann aber noch eine freie Entscheidung
durch den Menschen möglich? Dieser logische Widerspruch ist nur mit sehr viel
Argumentationsakrobatik aufhebbar. Der österreichische Schriftsteller FRANZ
KAFKA (1883-1924) brachte diesen Widerspruch auf die einfache Formel:
»Wie kann denn überhaupt jemand
schuldig sein? Wir sind Gottes Geschöpfe. Wenn wir schuldig sind, was ist er
dann?«
In theologischer Sicht lässt aber noch
ein weiterer Aspekt die Freiheit der Willensbildung fragwürdig erscheinen. Kann
es sich wirklich um eine freie Willensentscheidung handeln, wenn die beiden
Entscheidungsalternativen so ungleich bewertet werden? Wendet sich der Mensch
mit seiner Entscheidung von Gott ab, macht er sich der Sünde schuldig, im
schlimmsten Fall droht ihm ewige Verdammnis. Angeblich hat Gott den Menschen
mit der Freiheit ausgestattet, sich für ihn oder gegen ihn zu entscheiden.
Gleichzeitig wird dem Menschen aber von theologischer beziehungsweise
kirchlicher Seite sehr nachdrücklich bedeutet, dass nur das Ja zu Gott, der
unbedingte Glauben an ihn die rechte Entscheidung darstellt. Die Verweigerung
gottgefälligen Verhaltens gilt als Verrat an Gott. Kann man da noch von einer
wirklich freien Willensbildung sprechen, wenn eigentlich folgsames Verhalten
erwartet wird und die Alternative dazu eine strafbewehrte Sünde darstellt, im
Extremfall sogar mit ewiger Verdammnis geahndet wird?
(143) In einem Punkt erheben wir uns
vielleicht über die Natur: Wir sind im Begriff, ihrer Erbarmungslosigkeit
auszuweichen, indem wir ihre Gesetze erkennen und so zu Mitgestaltern im Sinne
von mehr Menschlichkeit werden können. Die heimliche Sorge vor den
Fortschritten der Hirnforschung, die so manchen Vertreter der Willensfreiheit
umtreibt, stellt sich mir dar als Hoffnung auf mehr einfühlendes und helfendes
Verstehen im mitmenschlichen Umgang.
(145) Zu solchen Provokationen des
Verstandes gehören für mich zum Beispiel die angeblich grenzenlose Güte und
Barmherzigkeit Gottes und das gleichzeitig zu beobachtende durch Mensch und
Natur ausgelöste maßlose Leid auf dieser Welt. Dazu gehört die Behauptung, dass
die von Gott kommende Botschaft eine Botschaft der erbarmenden Liebe sei, aber
die Geschichte dieser Lehre ist durchzogen von einer blutigen Spur: Kreuzzüge,
Ketzerverfolgungen, Inquisitionsgerichte, Hexenverbrennungen und Sklaverei mit
Millionen dahingemetzelter, verbrannter oder sonstwie zu Tode gequälter
Menschen. Und - um ein weiteres Beispiel zu nennen - Altes und Neues Testament
als angebliches Gotteswort enthalten eine solche Fülle an grausamen, geradezu
sadistisch zu nennenden göttlichen Bestrafungen und Strafandrohungen, dass
entweder an der Menschenfreundlichkeit dieses Gottes oder an der behaupteten
göttlichen Urheberschaft dieser Texte gezweifelt werden muss.
Ich kann mich mit solchen Widersprüchen
nicht abfinden. Das wäre nur möglich, wenn mir diese Dinge gleichgültig wären.
Sie sind es aber nicht, sie beschäftigen mich seit der Zeit des
Konfirmandenunterrichts.
(147) Fragte ich einen katholischen
oder evangelischen Mitmenschen, … worauf er sein christliches Bekenntnis
begründe und was er für wichtig halte, wurden in der Regel die Zehn Gebote und
die Bergpredigt genannt, der Glaube an Jesus Christus und natürlich an Gott.
Fragt man jetzt detaillierter weiter, dann wird nur in wenigen Fällen der Befragte
ein klares, streng christliches Bekenntnis ablegen wollen, vielmehr wird
deutlich werden, dass er über die meisten Fragen überhaupt noch nicht wirklich
nachgedacht und keine eigene Entscheidung getroffen hat. Solche Fragen könnten
die nach dem »persönlichen« Gott sein, also nach Gott als Person, nach dessen
Ebenbild angeblich der Mensch geformt wurde, nach seiner ganz persönlichen
Meinung zur so genannten Erbsünde, zur Sündenvergebung und Erlösung durch den
Opfertod von Jesus Christus am Kreuz, nach dem Glauben an eine tatsächliche
leibliche Auferstehung oder aber an die ewige Verdammnis in einer jenseitigen
Hölle. Spätestens an dieser Stelle erwidern die meisten, dass sie sich darüber
so genau noch keine Gedanken gemacht hätten oder das Ganze eher symbolisch
verstünden oder eigentlich überhaupt als überholt, wenngleich aus moralischen
Gründen als ganz nützlich erachteten, wenn nicht gar unverzichtbar für den
gesellschaftlichen Zusammenhalt.
(153) An dieser Beweisführung (Gott
als erste Ursache) kann Verschiedenes kritisiert werden. Zunächst kann man sich
fragen, warum ein »unverursachter« Gott die erste Ursache sein sollte, warum
nicht eine unverursachte Urkraft oder ein ungöttliches allgemeines Prinzip.
Zudem kann man argumentieren, wenn Gott als unverursacht angenommen wird, warum
kann dann nicht auch das Universum als unverursacht, also ohne Grund ewig
bestehen. Hinzu kommt eine formal-logische Kritik, die auf die
Widersprüchlichkeit der Argumentationsform zielt. Wenn man eingangs formuliert
(in der so genannten Prämisse), dass aufgrund des Kausalitätsprinzips alles
eine Ursache habe, dann kann man nicht plötzlich argumentieren, für den ersten
Verursacher, also für Gott, gelte dieses Kausalitätsprinzip nicht. Auch lässt
sich einwenden, dass eine unendliche Kausalkette denkbar sei, und das Universum
von daher keine eigentliche anfängliche Ursache haben müsse
(158) Selbst der katholische Theologe
HANS KÜNG (* 1928), Autor vieler mit Gott und Christentum befasster Bücher, bekennt
seine Ratlosigkeit, wenn er in seinem Buch »Credo« schreibt:
»... ich gestehe darüber hinaus, dass
ich nach Auschwitz, dem Gulag und zwei Weltkriegen erst recht nicht mehr
vollmundig von >Gott, dem Allmächtigem reden kann, der da als
>ab-soluter< Machthaber >los-gelöst<, unberührt von allem Leid,
doch alles dirigiert, alles macht oder mindestens alles machen könnte, wenn er
wollte, und der dann doch angesichts größter Naturkatastrophen und
Menschheitsverbrechen nicht eingreift, sondern schweigt und schweigt und
schweigt ... «.
Es ist aber nicht nur das
verabscheuungswürdige Verhalten von Menschen, in viel größerem Maße ist es die
Natur, die durch Krankheiten und Katastrophen die Ursache schlimmsten Elends
darstellt. Lepra, Malaria, Pest und Krebs, um nur einige der verheerenden
Krankheiten zu nennen, haben über die Jahrtausende Hunderte von Millionen
Menschen erbärmlich dahinvegetieren lassen und um Lebensglück und Leben
gebracht. Die Hilferufe nach oben zu Gott wendeten das Schicksal der Betroffenen
nicht, erst moderne Wissenschaft und Medizin waren in der Lage, hier eine
entscheidende, wenn auch noch keine vollständige Hilfe zu leisten.
(159) Anlässlich des Tsunami 2004 in
Südostasien … traten die damals höchsten Vertreter der beiden großen christlichen
Kirchen Deutschlands, KARDINAL LEHMANN und BISCHOF HUBER, am 9. Januar 2005 bei
einem ökumenischen Gedenkgottesdienst im Berliner Dom auf. Beide rangen in
ihren Predigten, rat- und hilfesuchend gen Himmel blickend, nach den hier noch
möglichen Worten. KARDINAL LEHMANN verglich das Tsunami-Unglück mit der
Sintflut der Bibel und erinnerte an frühere Naturkatastrophen, die
Atombombenabwürfe, an Auschwitz und den Holocaust.
»Es gibt eben unsägliches, durch und
durch unverständliches Leid. Auch die Bibel kennt die Klage gegen Gott.« Als Christ finde er keine andere Antwort als den Blick
auf das Kreuz Jesu. Und er fragte laut und vernehmlich: »Gott, wo warst Du?«
Die Hilflosigkeit und die Bedrückung,
die aus den Worten des Kardinals sprachen, fielen mir auf. Sie hatten nichts
mehr von jener selbstsicheren, ja manchmal
selbstherrlichen Gottesgewissheit eines hohen kirchlichen Amtsträgers,
der schon von Berufs wegen unbedingte Glaubenssicherheit ausstrahlen muss. Ich
fand das menschlich und bewegend, weil es in seiner offen gezeigten
Ratlosigkeit auf mich aufrichtig und wahrhaftig wirkte. Ein ähnlich
bemerkenswertes Wort gibt es von PAPST JOHANNES PAUL II. anlässlich einer
Generalaudienz im Jahr 2002:
»Es gibt neben dem Schwert und dem
Hunger eine noch größere Tragödie, nämlich die des Schweigens Gottes, der sich
nicht mehr offenbart und sich scheinbar in seinem Himmel eingeschlossen hat, so
als sei er des menschlichen Tuns überdrüssig.«
Die Ausführungen der letzten fünf
Seiten waren von der Frage geprägt, wer das Böse und das Leiden in unserem
Leben verursacht und wer die Verantwortung dafür trägt - der Mensch, die Natur
oder gar Gott? Den Menschen als den eigentlichen Sünder hinzustellen, wäre
etwas zu einfach. Selbst wenn man ihm einen freien Willen unterstellte - »es
stirbt kein Sperling ohne Gottes Willen«, wie Jesus einst verkündete. Mit dem
freien Willen kommt eine andere, kaum lösbare Problematik hinzu: Warum gibt uns
der allgütige Gott einen freien Willen, wenn er doch in seiner Allwissenheit
wissen muss, dass wir ihn missbrauchen werden? Und was ist mit einem kleinen
Kind, das krebskrank oder durch die Trümmer eines erdbebengeschüttelten Hauses
qualvoll zu Tode kommt? Hatte es überhaupt schon eine Gelegenheit, aufgrund
seines freien Willens Böses zu tun? Oder will man gar mit dem absurden Argument
daher kommen, dass es schon durch die Erbsünde belastet und damit von
vornherein schuldig sei?
Wenn - wie es geschrieben steht und
täglich gepredigt wird - Gott die Eigenschaften Allmächtigkeit, Allwissenheit
und Allgüte (im Sinne allumfassender Güte oder Barmherzigkeit) zukommen, dann
bleibt es unverständlich, warum er all dies
geschehen lässt und gleichgültig »schweigt und schweigt und schweigt«.
Im übrigen kommt der Mensch gegenüber Krankheiten und
naturbedingten Katastrophen - wie oben schon festgestellt wurde - nur in
weitaus geringerem Maß als Ursache für das Leiden in Frage. Krankheiten,
Missbildungen, Seuchen und Naturkatastrophen bewirken ungleich mehr an Leid und
Elend.
(164) Im christlichen Verständnis ist
Gott moralisch vollkommen, hasst das Leiden, liebt den Menschen, ist unendlich
barmherzig.
Da aber physisches und moralisches
Übel zweifellos in der Welt in für menschliche Maßstäbe unfassbarer Größe
existieren, bleibt als logische Konsequenz nur anzunehmen, dass entweder Gott
nicht allmächtig ist oder nicht allgütig oder sich für die Welt und ihre
Menschen nicht interessiert, also nicht willens ist, das Übel und das Böse zu
verhindern. Was Menschen im christlich-abendländischen Bereich früher kaum zu denken
wagten, dürfte dennoch die logisch befriedigendste Lösungsvariante darstellen:
dass es nämlich diesen von uns mit menschlichen Eigenschaften versehenen Gott
gar nicht gibt. Ein Argument gegen die Existenz eines Gottes überhaupt wären
Leid und Elend in dieser Welt jedoch nicht!
In Diskussionen wird an dieser Stelle
gern eingewandt, dass man die Güte Gottes nicht nach menschlichen Kategorien
beurteilen dürfe. Aber – so möchte ich einwenden - was wäre das für ein Gott,
der nicht einmal die bescheidenen Formen von Zuwendung und Gerechtigkeit kennt,
die wir als Basis ganz elementaren mitmenschlichen Handelns empfinden und die
im Zentrum des allgemein akzeptierten menschlich-moralischen Verhaltens stehen.
Und noch ein weiterer Einwand wird an dieser Stelle vorgebracht. Gottes Wesen
übersteige alles menschliche Erkenntnisvermögen, deswegen sei es anmaßend und
geradezu hochmütig, mit den eigenen bescheidenen Verstandesmitteln die im
Rahmen der so genannten Theodizee aufgeworfene Problematik bewältigen zu wollen.
Hier könne man eben nur glauben.
(178) Anders als Bibel und Kirche uns
weismachen wollen, sind moralische Prinzipien nicht von Gott dem Menschen in
Form offenbarter Texte vorgeschrieben worden, sondern haben sich im Laufe der
Menschheitsgeschichte auf evolutionärem Wege von selbst herausgebildet. Es
haben sich in Jahrtausenden jene Regeln des Zusammenlebens
herauskristallisiert, die das Überleben einer Gesellschaft am besten
ermöglichten. Moral, also ein System von sittlichen Normen, das dem Mitmenschen
und der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit gut tut, hat sich auf diese Weise
selbst konstituiert. Dass dem wohl so ist, dafür spricht die Tatsache, dass
weltweit weitgehend dieselben Grundsätze gelten: Du sollst nicht töten, nicht
lügen und betrügen, du sollst das Eigentum des Anderen respektieren, du sollst
dem in Not Geratenen helfen und weitere, weltweit übereinstimmende Gebote.
Dabei dürfte unbestritten sein, dass die behauptete Existenz eines höheren
Wesens, das nach dem Tode angeblich gutes Verhalten belohnen und schlechtes
bestrafen würde, solchen grundlegenden Normen höchste Autorität verlieh.
(187) Wenn Naturwissenschaftler sich
als gläubig bezeichnen, dann ist es zumeist ein allgemeiner Gottesglaube, der
sich als Glauben an eine nicht näher bestimmte umfassende göttliche Idee, an
einen kosmischen Geist von Ordnung und Harmonie, an eine Macht als Urgrund und
Ursache alles Seienden darstellt. Die wenigsten Naturwissenschaftler glauben an
einen persönlichen Gott, so wie er in der Bibel beschrieben wird, der in die
individuellen Geschicke eingreift, der durch Beten gnädig gestimmt werden kann
und der auch ein Leben nach dem Tod verheißt. Die Elite der US-amerikanischen
Naturwissenschaftler ist Mitglied in der National Academy of Science, die etwa
1800 Mitglieder zählt. Unter ihnen gelten besonders die Biologen als die
größten Zweifler. 95 Prozent von ihnen geben an, Atheist oder Agnostiker zu
sein.
ALBERT EINSTEIN (1879-1955) schrieb
1926 in einem Brief an den Physiker Max Born: »Die Theorie liefert viel, aber
dem Geheimnis des Alten bringt sie uns doch nicht näher. Jedenfalls bin ich
überzeugt davon, dass der nicht würfelt. «. EINSTEIN wollte mit dieser
Formulierung seine Ablehnung der Quantentheorie untermauern. Aus diesen locker
dahin geworfenen Worten wurde in der Öffentlichkeit der berühmte Ausspruch
»Gott würfelt nicht«, der gern als Zitat verwendet wird, um zu belegen, dass er
an Gott geglaubt habe. EINSTEIN bestreitet in einem 1954 geschriebenen Brief
diese Auffassung:
»Es ist natürlich eine Lüge, was Sie
über meine religiöse Überzeugung lesen, eine Lüge, die systematisch wiederholt
wird. Ich glaube nicht an einen persönlichen Gott und habe dies nie verhehlt,
sondern habe es klar zum Ausdruck gebracht. Wenn es etwas in mir gibt, das
religiös genannt werden kann, dann ist es die grenzenlose Bewunderung für die
Struktur der Welt, so weit sie jedenfalls) die Wissenschaft erkennen kann. «
(191) Zu welchen theologischen
Konstruktionen die Bedrückung über Gottes Gleichgültigkeit gegenüber dem Leiden
der Juden in der Zeit des Nationalsozialismus führen kann, demonstriert uns der
deutsch-amerikanische Philosoph und Religionswissenschaftler HANS JONAS
(1903-1993). In seiner Schrift »Der Gottesbegriff nach Auschwitz«, die hier nur
kurz erwähnt werden soll, hat er die These aufgestellt, dass Gott mit der
Erschaffung des Menschen seine Macht selbst begrenzt habe. So sei er zwar
allmächtig, habe aber, damit die Menschen nicht nur Marionetten seien,
zugelassen, dass sie auch gegen ihn denken und handeln.
Ich sehe in dieser These nur den
verzweifelten Versuch, die Existenz eines Gottes zu verteidigen, der
menschlicher Logik und menschlicher Erfahrung immer mehr widerspricht. Eine
solche Auffassung scheint mir unvereinbar zu sein mit der sonst verbreiteten
Vorstellung von Gott als eines Wesens von reinster Moral und größter
Barmherzigkeit. Kann man es wagen, einem Überlebenden des Holocaust, der Eltern
und Geschwister grausam
verloren hat, eine solche Erklärung
anzubieten, die nur erfunden wurde, um das Unbegreifliche logisch erscheinen zu
lassen?
(192) Was bin ich nun? Bin ich ein
Atheist, der Gottes Existenz strikt leugnet? Bin ich vielleicht doch eher ein
Agnostiker, also einer, der das Göttliche für un- erkennbar hält, aber dessen
Existenz nicht unbedingt verneint? Als ein mit Vernunft begabtes Wesen sehe ich
mich jedenfalls nicht in der Lage, an den mir kulturell anerzogenen »lieben
Gott« zu glauben. Denn wer einmal »vom Baum der Erkenntnis« gegessen hat, für
den gibt es kein Zurück. Zu viele Widersprüche zwischen verkündeter Botschaft
und erlebter Wirklichkeit tun meinem Verstand weh. Aber auch das weiß ich: Mein
und unser aller Verstand ist begrenzt, vieles können wir nicht sehen, vieles
nicht denken und begreifen, noch viel mehr nicht wissen, und wer weiß, wieviel
wir nicht einmal erahnen?
So halte ich denn meinen Geist und
meine Seele - so ich denn eine hätte - offen für Einsichten, die mir vielleicht
bisher verborgen geblieben sind. Der Christ und der Muslim freuen sich auf den
Himmel, der ihnen dereinst unendliche Freuden bescheren wird. Ich bin da
bescheidener und freue mich darüber, ein wenn auch winziger Teil des Universums
zu sein, der sich vorübergehend als ein »lch« empfinden und dieses
unbegreiflichen Universums bewusst werden konnte. Vielleicht - so denke ich
manchmal - hat ja das Universum uns Menschen hervorgebracht - aber das ist nun
wirklich nur naives Phantasieren jenseits aller wissenschaftlichen Logik und
Erkenntnis! - nur um sich durch uns seiner selbst bewusst zu werden.
(198) »Die Bücher des Alten Testaments
stammen von Verfassern, durch die Gott zu den Menschen spricht und durch die
das Volk Israel seinen Glauben an die Heilstaten und Verheißungen Gottes
bekennt. Juden und Christen glauben an die Inspiration (Eingebung) dieser
Bücher durch den Geist Gottes. ... Die Lehrer Israels haben das so empfangene
Wort Gottes betend durchdacht, erläutert und erweitert. Schließlich fanden sich
Männer, die der so weitergegebenen Überlieferung jene endgültige schriftliche
Form gaben, die Jesus und die Urkirche als Heilige Schrift anerkannten und der
Kirche anvertrauten.«
Und im Vorwort zum Neuen Testament der
Einheitsbibel heißt es:
»Die im Neuen Testament ...
enthaltenen urchristlichen Schriften wurden von der Kirche des 2. Jahrhunderts
gesammelt, weil sie den Glauben der apostolischen und nachapostolischen Zeit
auf zuverlässige Weise bezeugen. Nach Auffassung der Kirche sind sie unter dem
Beistand des Heiligen Geistes abgefasst worden.«
Die katholische Kirche ist in ihrem
neuesten, unter der Leitung des damaligen KARDINALS JOSEPH RATZINGER (*1927)
(heute PAPST BENEDIKT XVI.) zusammengestellten und von PAPST JOHANNES PAUL II.
1992 herausgegebenen Katechismus noch deutlicher. Dort heißt es:
»Die
Heilige Schrift ist Gottes Rede, insofern sie unter dem Anhauch des
Heiligen Geistes schriftlich aufgezeichnet worden ist.«
(S. 60) An anderer Stelle heißt es (S.65): »Gott
hat die menschlichen Verfasser (Autoren) der Heiligen Schrift inspiriert. «
Weiter: »Die inspirierten Bücher lehren
die Wahrheit. Da also all das, was die inspirierten Verfasser ... aussagen,
als vom Heiligen Geist ausgesagt gelten muss, ist von den Büchern der Schrift
zu bekennen, dass sie sicher, getreu und ohne Irrtum die Wahrheit lehren, die
Gott um unseres Heiles willen in heiligen Schriften aufgezeichnet haben
wollte.« (Kursivdruck im Original!)
Festzuhalten bleibt also, dass nach
Überzeugung insbesondere der katholischen Kirche die Bibel, und das meint nicht
nur Neues sondern ebenso Altes Testament, vom Heiligen Geist inspiriert ist und
somit Gottes Wort darstellt und ohne lrrtum(!) die Wahrheit lehrt. Betont sei
in diesem Zusammenhang, dass der hier zitierte Katechismus der für alle
katholischen Gläubigen verbindliche aktuelle Leitfaden der christlichen
Glaubenslehre ist. Es handelt sich um eine Schrift, die von höchster Stelle
herausgegeben wurde.
(204) Einerseits ist festzustellen,
dass über die Jahrhunderte und bis heute Millionen und Abermillionen Menschen
tröstenden Zuspruch und moralischen Halt durch Bibel und Kirche erfahren haben.
Auch die unermesslichen, teilweise lebenslangen Mühen und großen Opfer, die
Menschen auf sich genommen haben, um durch Gotteshäuser unübertroffener Größe,
Gestalt und Schönheit ihre Gottergebenheit zu bekunden, zeugen von der Kraft
dieses Glaubens. Und auch die kirchenmusikalischen Werke eines Bach, Mozart
oder beispielsweise Mendelssohn Bartholdy mit ihrer Fähigkeit, den zuhörenden
Gläubigen in eine überirdisch anmutende Welt zu entführen, können als Zeugnis
eines »Geist und Seele in höchste Gefilde« tragenden Glaubens gedeutet werden.
Andererseits hat diese kraftvolle,
unsere Welt prägende Glaubenslehre Unheil und Unglück in ebenso unfassbarer
Dimension über die Menschen gebracht: Kreuzzüge, Glaubenskriege, Inquisition,
Hexenverbrennungen, Verfolgung Andersgläubiger und Zwangsmissionierungen. Aber
auch die seelischen Deformationen von ungezählten Menschen durch die permanente
Drohung mit Hölle und ewiger Verdammnis, sollte denn das gottgefällige Leben
verfehlt werden, gehen auf ihr Konto. Auch der derzeit immense geldwerte
Grundbesitz der Kirchen und seine Herkunft sowie die weltweiten, teilweise
dubiosen Finanzgeschäfte des Vatikan wären einer näheren Betrachtung wert,
besonders unter dem Aspekt der von Jesus gepredigten Armut.
(226) Selbstverständlich enthält die
Bibel auch Aussagen, die anerkennenswert in ihrer Absicht sind, menschliches
Verhalten moralisch so zu beeinflussen, dass wir uns auch heute damit
identifizieren können. Worte wie »Wer ohne Schuld ist, der hebe den ersten
Stein« oder »Die Rache ist mein, spricht der Herr« oder das von Jesus
abgelehnte alttestamentarische Rachedenken »Auge um Auge, Zahn um Zahn« zeugen
in ihrer zu Frieden und Verständigung aufrufenden Ermahnung davon, dass die
Bibel ein Buch ist, das aufgrund seiner Jahrtausende währenden Entstehungszeit
auch kulturelle Schätze bedeutender Art enthält. Diese zweifellos ebenfalls
vorhandenen Bibelstellen, denen ein auch unseren heutigen Moralvorstellungen
entsprechender Rang nicht abzusprechen ist, können die archaisch-inhumanen und
fragwürdigen Teile innerhalb dieser »unheiligen Schrift« jedoch in keiner Weise
aufwiegen. Es macht doch auch einen Raubmörder nicht zu einem Heiligen, wenn
man erfährt, dass er mit einem Teil des erbeuteten Geldes ein Waisenhaus
finanziert. Soll sagen, dass es die Qualität bestimmter Aussagen oder Taten
nicht zulässt, durch andere relativiert oder gar aufgehoben zu werden.
Das Nebeneinander von Aussagen
unterschiedlichster moralischer Qualität erhärtet die für mich schon lange
bestehende Überzeugung, dass die Bibel reines Menschenwerk ist, verfasst von
Menschen unterschiedlichster moralischer Natur und Absicht. Was schließlich die
selektive Vorgehensweise bei der hier getroffenen Auswahl betrifft, so kopiert
sie lediglich die in Schule, Konfirmandenunterricht und Predigt seit jeher
übliche Methode, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen und verhält sich damit
in legitimer Weise kompensatorisch. Ich habe während meines bisherigen Lebens
keine der hier von mir zitierten fragwürdigen Bibelstellen zu Gehör bekommen …
(227) An dieser Stelle höre ich dann
oft das Argument, dass man die Bibel eben nicht so buchstabenfixiert lesen
dürfe, vielmehr sei zu berücksichtigen, dass in ihr vielfach in Bildern und
Allegorien im Verständnis der damaligen Zeit gesprochen werde und dass manches
einfach als interpretationsbedürftige Dichtung zu verstehen sei. Solche
Auffassung - so würde ich darauf antworten - mag moderner Theologensicht
entsprechen, über fast zwei Jahrtausende jedoch haben die Menschen das so
geglaubt, wie es geschrieben steht (beziehungsweise ihnen vorgelesen wurde) und
auch wörtlich gemeint war. Und die meisten Menschen verstehen die Bibel - wenn
sie denn in ihr lesen - auch heute noch so. Deswegen ist meines Erachtens nicht
maßgebend, was moderne Textdeutung heute hineininterpretiert, sondern allein
das, was Menschen ohne diese Interpretationsmuster diesem Text unmittelbar
entnehmen. Denn Lehre, Praxis und Macht des Christentums wurden und werden durch den Originaltext der Bibel bestimmt und geformt
und nicht durch das, was moderne Theologen an Interpretationen entwickelt haben
oder an zeitgeistiger Deutung uns anbieten.
Auch heißt es oft, man dürfe die
Aussagen der Bibel nicht mit heutigen Maßstäben beurteilen, man müsse vielmehr
den geschichtlichen Rahmen dieser Zeit berücksichtigen. Die Menschenrechte, die
wir als Leitbild immer vor Augen hätten, seien schließlich ein Ergebnis erst
der jüngeren Zeit, deshalb sei es unangebracht, an die Texte der Bibel mit
diesen heutigen Kriterien heranzugehen. Das ist gewiss richtig. Dennoch war
bestimmt auch damals schon das von Gott befohlene Pfählen von Andersgläubigen
(Num 25, 1-5) ein Akt schlimmster Barbarei und das Zerschmettern unschuldiger
Kinder an Felsen (Psalmen 137, 8-9) nichts anderes als elender Mord.
(245) Kaum bekannt ist, dass die
evangelischen Landesbischöfe und Landeskirchenpräsidenten von Sachsen,
Hessen-Nassau, Mecklenburg, Schleswig-Holstein, Anhalt, Thüringen und Lübeck am
17.12.1941 sich mit folgender Erklärung eindeutig hinter das
nationalsozialistische Programm der Judenverfolgung stellten:
»Die nationalsozialistische deutsche
Führung hat mit zahlreichen Dokumenten unwiderleglich bewiesen, dass dieser
Krieg in seinen weltweiten Ausmaßen von den Juden angezettelt ist. Als Glieder
der deutschen Volksgemeinschaft stehen die unterzeichneten deutschen
Evangelischen Landeskirchen und Kirchenleiter in der Front dieses historischen
Abwehrkampfes, der unter anderem die Reichspolizeiverordnung über die
Kennzeichnung der Juden als der geborenen Welt- und Reichsfeinde notwendig
gemacht hat. Schon Dr. Martin Luther erhob nach bitteren Erfahrungen die
Forderung, schärfste Maßnahmen gegen die Juden zu ergreifen und sie aus
deutschen Landen auszuweisen. Von der Kreuzigung Christi bis zum heutigen Tage
haben die Juden das Christentum bekämpft oder zur Erreichung ihrer
eigennützigen Ziele missbraucht oder verfälscht. Durch die christliche Taufe
wird an der rassischen Eigenart des Juden, seiner Volkszugehörigkeit und seinem
biologischen Sein nichts geändert. Eine deutsche evangelische Kirche hat das
religiöse Leben deutscher Volksgenossen zu pflegen und zu fördern.
Rassejüdische Christen haben in ihr keinen Raum und kein Recht. Die
unterzeichneten deutschen Evangelischen Kirchen und Kirchenleiter haben deshalb
jegliche Gemeinschaft mit Judenchristen aufgehoben. Sie sind entschlossen,
keinerlei Einflüsse jüdischen Geistes auf das deutsche religiöse und kirchliche
Leben zu dulden.«
(264) Schauen wir uns an, was der
durch PAPST JOHANNES PAUL II. und KARDINAL JOSEPH RATZINGER (heute PAPST
BENEDIKT XVI.) gemeinsam verantwortete Katechismus sagt und - für mich - als
modernes Zeugnis archaischen, alttestamentarischen und unmenschlichen Denkens
festhält:
»Die Rechtfertigung [d.h. Reinwaschung
von unseren Sünden, U.L.] wurde uns durch das Leiden Christi verdient, der sich
am Kreuz als lebendige, heilige, Gott
wohlgefällige Opfergabe
dargestellt hat und dessen Blut zum
Werkzeug der Sühne für die
Sünden aller Menschen geworden ist.«
An anderer Stelle heißt es:
»Auch die selige Jungfrau ging den
Pilgerweg des Glaubens. Ihre Vereinigung mit dem Sohn hielt sie in Treue bis
zum Kreuz, wo sie nicht ohne göttliche Absicht stand, heftig mit ihrem
Eingeborenen litt und sich mit seinem Opfer in mütterlichem Geist verband, indem sie der Darbringung des
Schlachtopfers, das sie geboren hatte, liebevoll zustimmte.«
(Hervorhebungen von mir)
Diesen letzten, hervorgehobenen
Halbsatz muss man zweimal lesen, um ihn in seiner Abartigkeit voll zu erfassen
- oder sind meine Maßstäbe so völlig „verrückt“ …
(269) Und der Petersdom in seiner
majestätischen Größe, das einmalige kirchenmusikalische Schaffen eines Johann
Sebastian Bach oder das opfervolle Leben so vieler Menschen, die sich
ausschließlich ihrem Gott und ihrem Glauben hingaben - alles das soll letztlich
nur einer Einbildung geschuldet sein? Es fällt nicht leicht, darauf mit einem
betonten »Ja« zu antworten. Aber haben wir Skrupel, dasselbe über Menschen
auszusprechen, die einem anderen Glauben anhängen, über die Azteken oder
Assyrer etwa, die seinerziet im Rahmen ihrer Glaubenssysteme ihre Götter auch
mit größter Inbrunst und Überzeugung verehrten, …
(273) Die Vorstellung, dass das eigene
Ende endgültig ist, dass das eigene Ich nie wieder die Möglichkeit haben wird,
sich seiner und dieser Welt bewusst zu werden, dass ein Wiedersehen von
geliebten Menschen nie mehr möglich sein wird, hat etwas sehr traurig
Stimmendes an sich. Aber ist der Gedanke wirklich so unerträglich, dass man aus
dem Nichts kommt, für einen kosmischen Augenblick dieser Welt gewahr wird und
wieder im Nichts verschwindet? Ist es nicht vielmehr als etwas Unbegreifliches,
Unfassbares, ja Unergründliches zu betrachten, dass die Gesetze dieses Kosmos
aus dessen Bausteinen etwas zusammengefügt haben, das ein Bewusstsein von sich
und dieser Welt entwickelt und das sich als ein einmaliges Ich erlebt?
Unendlich viele andere Ichs sind denkbar, die aber nie die Gelegenheit hatten,
in die Wirklichkeit einzutreten. Wir, die wir jetzt über unsere Endlichkeit
nachdenken, hatten diese Chance, und wenn wir unser Leben gerne gelebt haben,
dann können wir von einem einzigartigen Glück sprechen, über unsere Sinne und
unseren Verstand etwas von der Existenz dieser Welt erfahren zu haben.
(275) Zu bedenken ist aber bei
alledem, dass die Wissenschaften, insbesondere die Naturwissenschaften, trotz
ihrer höchst beeindruckenden Erfolge und der noch zu erwartenden und uns sicher
auch noch sehr überraschenden Einsichten nicht in der Lage sind, auf bestimmte
Fragen eine Antwort zu geben. Die Wissenschaft wird uns auf die Frage nach dem
Sinn des Lebens eine Antwort schuldig bleiben. Auch die Frage, was ein
erfülltes Leben sein könnte, „versteht“ die Wissenschaft nicht. Ebenso sind
Probleme der Ethik keine Themen, die wie wissenschaftliche zu behandeln wären …
(276) Selbstverständlich gibt es
Dinge, von denen - wie WILLIAM SHAKESPEARE (1564-1616) es damals schon
formulierte - »sich unsere Schulweisheit nichts träumen lässt«, Dinge, die
heute noch oder womöglich für immer außerhalb des für uns Erfahrbaren und Begreifbaren
liegen, Dinge, die sich soweit jenseits des uns sprachlich-begrifflich
Fassbaren bewegen, dass sie nicht einmal in den Horizont unseres Erahnens
geraten. Eine Welt, die nur aus dem unmittelbar Erfahrbaren und Erkennbaren
bestünde, wäre sicherlich um wesentliche Dimensionen verkürzt.
Die Wirklichkeit geht mit Sicherheit
über das uns - wenigstens heute noch - als denkende und fühlende Menschen
Zugängliche hinaus. Fragen, die man - wie erwähnt - als religiöse bezeichnen
könnte, die unseren Alltag transzendieren, die auf etwas verweisen, das sich
unserem Erkenntnisstreben verschließt,
sind so legitim wie Fragen des täglichen Lebens. Aber gegen die Antworten der
christlichen Religion auf solche uns bewegenden Fragen wehre ich mich vehement.
Was ich vor allem nicht hinnehmen will, ist, dass die Antworten auf das uns
Unbegreifliche unseren Erfahrungen, Erkenntnissen und bewährten Denkmustern
diametral entgegengesetzt sein sollten, dass sie als um so tiefsinniger und
glaubwürdiger gelten sollten, je mehr sie unserem Verstand widersprechen.
»Credo, quia absurdum - ich glaube, weil es widervernünftig ist«, wie es in dem
schon erwähnten theologischen Diktum heißt …
Der Naturwissenschaft wird von seiten
der Kirche gern vorgeworfen, dass sie in ihrem Erklärungsanspruch anmaßend und
überheblich sei. Die dogmatisch definierte Unfehlbarkeit des Papstes in Fragen
der Lehre, die das l. Vatikanische Konzil 1870 beschloss, ist tatsächlich
anmaßend und überheblich.
Wie überraschend ist hier die Position
des derzeitigen DALAI-LAMA (* 1935), des geistlichen und früher auch
politischen Oberhaupts des tibetischen Volkes. Im Vorwort seines Buches »Die
Welt in einem einzigen Atom« formuliert er folgende erstaunliche Auffassung:
»Das Vertrauen, das ich in diesen
Dialog [mit den Naturwissenschaften, U.L.] setze, beruht auf meiner
grundlegenden Überzeugung, wonach das Verständnis der Wirklichkeit in den
Naturwissenschaften - genau wie im Buddhismus - durch kritische Untersuchungen
gewonnen wird. Sollte die Wissenschaft abschließend nachweisen können, dass
gewisse Behauptungen des Buddhismus falsch sind, müssen wir die Erkenntnisse
der Wissenschaft annehmen und überholte Anschauungen revidieren.«
Solche Offenheit und Flexibilität
eines Religionsführers ist der Kirche unbekannt. Wer seinerzeit erkannte, dass
die Erde nicht im Mittelpunkt der Welt steht und wagte, dieses Wissen auch
öffentlich kund zu tun, wurde - wenn er der Kirche unterstand - verbrannt. Wer
als Mediziner darauf verwies, dass ein Mann keineswegs eine Rippe weniger hat, jene
nämlich, aus der Eva geschaffen worden sein sollte, hatte ebenfalls sein Leben
verwirkt. Die DARWINsche Evolutionstheorie war in den Augen der Kirche
Teufelswerk, wurde schließlich aber im Jahr 1996 von der katholischen Kirche
als wissenschaftliche Erklärung für die Entwicklung der Arten und letztlich des
Menschen anerkannt. Diese Anerkennung erfolgte allerdings nur unter der
Bedingung, dass Gott die Entwicklung auf den Menschen als Ziel gelenkt und ihm
im Gegensatz zum Tier eine unsterbliche Seele verliehen habe. (Zwischenfrage:
Ab wann eigentlich verfügte der aus dem Tierreich sich entwickelnde
»ebenbildliche« Mensch über eine Seele? Schon vor 100000 Jahren, schon als
inzwischen ausgestorbener Neandertaler oder erst sehr viel später?)
Rückblickend betrachtet hat die Kirche
in ihren Auseinandersetzungen mit der Wissenschaft ein Rückzugsgefecht nach dem
anderen angetreten und stets endgültig verloren. PAPST BENEDIKT XVI. (*1927)
ist vorsichtiger geworden. In einer Rede im September 2006 in der Universität
Regensburg über Glauben und Vernunft beanspruchte er für Gott nur noch die
Rolle als Erstbeweger und Sinnstifter.
(280) Und noch etwas ist von großer
Merkwürdigkeit: Wenn Gott uns wirklich etwas zu sagen hat, warum sagt er es uns
nicht selbst? Ganz direkt und unmittelbar und nicht durch selbsternannte
Vertreter vermittelt. Warum bedarf es einer Priesterkaste, die über die
Jahrhunderte oft genug gezeigt hat, wie sie die - teilweise durchaus
beherzigens- und bedenkenswerten - Forderungen der Bergpredigt wie
Barmherzigkeit, Nächstenliebe oder Verzicht auf nicht lebensnotwendigen
Reichtum verraten hat und stattdessen eher am Ausbau ihrer Macht interessiert
war. Wenn Gott wirklich auf unserer Seite steht, warum zeigt er uns das nicht
so unmissverständlich, dass es nicht der Interpretationshilfe sich in so
vielfacher Weise widersprechender »Zwischenhändler« bedarf? In seiner Allmacht
und Weisheit dürfte es ihm nicht schwerfallen, Mittel und Wege zu finden, uns
unmittelbar und glaubhaft anzusprechen. Eine solche direkte göttliche Ansprache
würde wohl jeden Menschen überzeugen und machte dann die riesigen kirchlichen
Verkündigungsbetriebe und die Heerscharen von Vertretern, die Gottes Wort
glauben erklären zu müssen, überflüssig. Würde Gott in seiner angeblichen Fürsorge
sich klar und eindeutig offenbaren, dann wären so zahllose mörderische
Auseinandersetzungen zwischen seinen Anhängern unterblieben, weil sie ihn dann
nicht alle unterschiedlich verstanden hätten; dann wäre so unermesslich viel
menschliches Leid entfallen, weil sein aufklärendes Wort den gnadenlosen
Verfolgungen in seinem Namen dann Einhalt geboten hätte. Warum äußert er sich
in seiner angeblich unendlichen Liebe zu uns nicht deutlich und verständlich?
Warum »schweigt und schweigt und schweigt er«? (Hans Küng) Und wenn er
angeblich spricht, warum sind dann seine Worte so vieldeutig, dass sie der
Interpretation seiner Propagandisten bedürfen, die dann mit vielen und sich
widersprechenden Stimmen sprechen? So viele ungezählte, in den Himmel empor
gestreckte, um Hilfe flehende Arme wären nicht ohne hörbare Antwort geblieben,
wenn er wirklich für uns da wäre. Deswegen nein und nochmal nein zu einer
solchen meinen - ich betone ausdrücklich: meinen – Verstand beleidigenden
Religion.
(284) Für Touristen sind solche an
historischen Orten stattfindenden sakralen Veranstaltungen besonders beliebte
Ziele. Es spielt dabei überhaupt keine Rolle mehr, ob man selbst noch eine
Beziehung zu dem beobachteten Kult hat, allein das Schauspiel interessiert, es
wird als gefilmter Erlebnisbericht mit nach Hause genommen. Die Dome in Berlin
und Köln, in Mailand und Rom sind für sehr viele Menschen nur noch als
ästhetisches Kulturobjekt von Interesse, so wie wir das beispielsweise bei
einem Tempel aus altägyptischer oder babylonischer Zeit schon immer empfunden
haben. Der Glaube an das Göttliche spielt hier keine oder kaum noch eine Rolle,
stattdessen stellen sich eher Bewunderung, allenfalls eine gewisse
Nachdenklichkeit ein. Für nicht mehr kirchlich gebundene Menschen ist das Christentum
in seiner rituellen, baulichen und musikalischen Ausprägung Kultur geworden,
deren religiöser Ursprung oftmals nur noch als ergänzende Information
wahrgenommen wird.
Sollte man nun redlicherweise als
erklärter Nichtchrist alles Christliche aus seinem Alltag und Jahresablauf
verbannen? Wie steht man als Nichtchrist zu kirchlicher Trauung und kirchlicher
Beerdigung? Lebensstationen, denen die Kirche ihren eigenen Stempel aufgedrückt
hat, für die sie einen würdevollen Rahmen bietet, der selbst von Kirchenfernen
mangels gleichwertiger Alternative oft genug noch in Anspruch genommen wird.
Auch die dem Jahreszyklus Abwechslung und Farbe verleihenden Zeiten wie Ostern,
Pfingsten, Advent und Weihnachten sind christlich geprägte Tage im Jahr, auch
wenn zum Beispiel Ostern ursprünglich ein heidnisches Frühlingsfest war und
Weihnachten auf die germanische Sonnenwendfeier beziehungsweise auf das am
gleichen Tag begangene römische Staatsfest der Geburt des Sonnengottes
zurückgeht, also ebenfalls nicht-christlichen Ursprungs ist.
Ich denke, dass es falsch und
unhistorisch gedacht wäre, den ganzen einmaligen Reichtum an Traditionen,
Musik, Malerei und Architektur ablehnen, gar verachten zu wollen, der im Laufe
der Jahrhunderte entstand und der Phantasie und der Schöpferkraft gläubiger
Menschen zu verdanken ist. Es käme einer Bilderstürmerei von talibanischer
Gesinnung gleich und würde die Zeitlosigkeit von Kunst verkennen, wollte man
sich dieses kulturellen Erbes nur deswegen entledigen, weil der Grund seines
Vorhandenseins –jedenfalls für mich und jene, für die der christliche Glaube
seine ursprüngliche Bedeutung verloren hat - eine gedankliche Konstruktion war.
Man kann ohne Verlust an ideeller und materieller Kultur die europäische, ganz
wesentlich durch das Christentum geprägte Geschichte nicht einfach zurückdrehen
und an einem selbst definierten Punkt neu beginnen lassen. Die überwältigend
großen, auch die Vielzahl weniger mächtiger, dennoch einfach schöner
Kirchenbauten, die phantasiereichen und vielfach unerreichten Malereien und
Skulpturen als Zeugnis christlicher Frömmigkeit und Ergebenheit, vor allem die
von Menschen selbst unterschiedlichster religiöser oder weltanschaulicher
Auffassung fast wie ein himmlisches Geschenk empfundene geistliche Musik eines
Bach, Händel, Mozart, Bruckner oder beispielsweise die unvergleichlich schönen
gregorianischen Gesänge stellen einen unschätzbaren Wert schon für sich allein
dar. Eine Vielzahl solcher Werke ist Bestandteil meiner Musik-CD-Sammlung. Sie
abzulehnen, nur weil der Grund ihres Erschaffenwerdens für viele Menschen nicht
mehr existiert, würde den Eigenwert von Kunst ignorieren. Die Verzweiflung und
die Hoffnung, die Trauer und die Freude, die menschliche Sehnsucht nach Halt
und Trost, die eine Messe oder Kantate zum Ausdruck bringt, kann auch ohne
ihren Bezug zur christlichen Verkündigung erlebt und verstanden werden.
Kirchliche Kunst kann auch in einem nicht-gläubigen Menschen das Gefühl
aufkommen lassen, dass es Fragen gibt, die über uns hinausweisen, auf die jeder
seine eigenen Antworten finden muss, dass es etwas gibt, das uns im Innern
bewegt, unser Verstand aber kaum in Worte fassen kann.
(286) Denn auch ein gläubiger Christ
erfreut sich ja an griechischer, an ägyptischer oder vielleicht alter
mittelamerikanischer religiöser Kunst und bewundert sie, unabhängig davon, dass
er die damit seinerzeit verehrten Götter heute als Phantasiegebilde betrachtet.
Diese Werke haben sich für ihn als Betrachter losgelöst von ihrem jeweiligen
konkreten religiösen Motiv.
(287) Was dieser Form eines wieder
verweltlichten Weihnachtsfestes fehlen würde, ist eine das Gefühl ansprechende,
gemeinschaftlich erlebte Feierlichkeit. Dass sich zu Weihnachten regelmäßig die
Kirchen füllen, ist für mich weniger Zeichen einer jährlich einmal aufflackernden
Frömmigkeit, sondern vielmehr der unbewusst sich äußernde Wunsch nach einer
gefühlsmäßigen Überhöhung eines solchen Tages, die in uns eine Ahnung
aufsteigen lässt, dass das Leben aus mehr besteht als aus der rationalen
Bewältigung des täglichen Lebens, dass es Fragen gibt, die unser Wissen über
die Welt und uns übersteigen, die sich der Beantwortung entziehen und doch als
Fragen immer da sind. Es fehlt eine Form von Feierlichkeit, die das Gemüt -
oder wenn man es lieber so ausdrücken möchte: die Seele - anspricht, ohne den
Verstand zu kränken.
Deswegen sei noch einmal betont: Die
Ablehnung der christlichen Religion bedeutet für mich keinesfalls auch
Ablehnung einer Art religiöser oder spiritueller Dimension überhaupt, einer
Dimension also, die jenseits unserer Erkenntnis und Erfahrung liegt, unsere
Alltagslogik übersteigt und damit über die uns rational zugängliche Welt
hinausweist. Ob diese »jenseitige Welt« uns immer verschlossen bleiben wird,
weil unseren Verstand prinzipiell übersteigend oder ob wir sie über
wissenschaftliches Erforschen zunehmend zum Diesseits machen können, ist für
mich derzeit nicht entscheidbar. Die Anerkennung einer unsere erkenn- und
erlebbare Wirklichkeit transzendierenden Dimension bedeutet aber andererseits
keinesfalls auch Zustimmung zu den nur noch historisch zu begreifenden naiven
Vorstellungen von einem Himmel, einer Hölle und einem richtenden Gott, der zu
Paradies oder ewigen Verdammnis verurteilt. EINSTEIN hat es etwas pathetisch so
formuliert:
»Das Wissen um die Existenz des für
uns Undurchdringlichen, der Manifestationen tiefster Vernunft und leuchtendster
Schönheit, die unserer Vernunft nur in ihren primitivsten Formen zugänglich
sind, dies Wissen und Fühlen macht wahre Religiosität aus; in diesem Sinn und nur
in diesem gehöre ich zu den tief religiösen Menschen. Einen Gott, der die
Objekte seines Schaffens belohnt und bestraft, der überhaupt einen Willen hat
nach Art desjenigen, den wir an uns selbst erleben, kann ich mir nicht
einbilden.«
Für viele Menschen ist jedoch die
Bibel immer noch ein Buch, das ihr Gefühl beziehungsweise ihren Glauben in
Worte fasst, dass es eine Wirklichkeit gibt, die jenseits unserer Einsicht
liegt. Die Bibel oder genauer gesagte das was sie aufgrund selektiver
Zitierpraxis als Bibel ansehen (ohnehin fast nur die bekannten Passagen aus dem
neuen Testament!), mag daher unsicheren Menschen eine Hilfe bei der Suche nach
metaphysischer Orientierung sein. Deswegen möchte ich auch sagen: Wer sich als
eigentlich mündiger Mensch überfordert fühlt und sich nicht traut, auf seinen
Verstand zu bauen, sich stattdessen nach einer Autorität sehnt, die ihm sagt,
was er zu tun hat, der mag mit seinem christlichen Glauben, wie er sich ihn
auch zurecht gelegt haben mag, besser fahren. Ich begegne dem berühmten »alten
gläubigen Mütterchen« mit Verständnis und Respekt. Und würde ich gefragt, ob es
siel vor der Hölle fürchten müsste, würde ich zu einer frommen Lüge greifen und
sagen, dass Gott jeden Menschen, der sich ehrlich bemüht hat, ein guter Mensch
zu sein, bestimmt zu sich aufnehmen würde. Warum einen Menschen mit der eigenen
Überzeugung »beglücken«, wenn man ihn dadurch in Unsicherheit oder gar
Verzweiflung stürzen würde.
Wir Menschen sehnen uns nach
Sicherheit, Es scheint so zu sein, dass manche Menschen besser mit Lebenskrisen
wie Tod und schwerer Krankheit umgehen können, wenn sie ein starker Glaube
erfüllt. Viele Menschen fühlen sich daher vom Christentum, vom jüdischen oder
muslimischen Glaubet oder anderen Glaubenssystemen angezogen, die auf jede
Lebenssituation scheinbar eine Antwort haben. Diese Menschen finden es
beruhigend, wem aus einer als heilig angesehenen Schrift immer eine passende
Weisheit zitiert werden kann, die als Lebenshilfe deutbar ist. Je einfacher
diese Vorschriften, um so besser; sie machen einfaches
Denken und Handeln in einer unüberschaubar gewordenen Welt möglich. Diese
Menschen lieben Lebensregeln, die Tag und Jahr strukturieren, und unterwerfen
sich gern verpflichtenden, Demut zeigende Riten. Es
ist dies die Sehnsucht nach Halt und Orientierung und die Hoffnung auf
Belohnung, die aus einerjenseitigen Welt versprochen wird.
(303) Solche sehr generell gehaltenen
Fragen wie die nach dem Urgrund alles Seins, nach dem Woher und Wohin unserer
Existenz, nach einem Weiterleben einer vermuteten Seele über den körperlichen
Tod hinaus, nach einer möglichen außerweltlichen Orientierung unseres Denkens
und Handelns bilden wohl den Ursprung aller Religionen. Menschen stellten sich
solche, den Horizont ihrer Alltagswelt überschreitende Fragen seit jeher,
unabhängig zunächst von irgendeinem spezifischen religiösen System. Auch ein
Mensch mit einer naturalistisch ausgerichteten Weltsicht wird solchen Fragen
nicht von vornherein die Berechtigung absprechen und sie als sinnlos
bezeichnen. Seine möglichen Antworten würden allerdings so ausfallen, dass sie
logischen Kriterien und empirischer Erfahrung nicht widersprechen, Merkmale
also, die auf wesentliche Aussagen des biblisch-christlichen Glaubenssystems
schwerlich zutreffen.
(304) (H.v.Ditfurth) »Als Aberglaube
muss eine Überzeugung angesehen werden, die nachweislich unhaltbare
Behauptungen einschließt (indem sie z.B. konkret vorliegenden oder
nachprüfbaren Erfahrungen widerspricht).«
Ich habe hier die Einstellung von
HOIMARV. DITFURTH ausführlicher dargestellt, nicht so sehr, um mich mit seinem
Buch auseinander zu setzen, sondem weil er mir typisch zu sein scheint in
seiner Haltung gegenüber Christentum und Kirche für eine ganze Klasse von
Intellektuellen. Er repräsentiert jene nicht gerade kleine Schar
Intellektueller, die in souveräner Manier und ganz allgemein für
christlich-religiöse Positionen eintritt, im konkreten Fall jedoch Festlegungen
und klare Aussagen vermeidet, stattdessen in Gesprächen dann gern auf die
Zeitgebundenheit biblischer Texte verweist, auf die symbolisch gemeinte
Bedeutung von sakralen Handlungen, auf die gesellschaftliche Notwendigkeit
einer jenseitigen absoluten moralischen Instanz, überhaupt auf die kulturellen
Leistungen des Christentums. Ganz allgemein wird der Eindruck vermittelt, dass
christliche Lehre und moderne Wissenschaft sehr wohl vereinbar seien, obwohl
man insgeheim, wenn man ehrlich zu sich selbst ist, die Unvereinbarkeit
allenthalben mindestens ahnen müsste.
(326) Abschließend noch dies: Ich habe
in diesem Buch mit grundsätzlicher Kritik an Kirche und Christentum nicht
gespart und habe meine Ablehnung dieser Religion sehr deutlich zum Ausdruck
gebracht. Was ich aber mit Respekt anerkenne, ist die praktische Hilfe, der
tatsächlich »Leid mindernde und Glück vermehrende« Dienst von ungezählten
Pfarrerinnen, Pfarrern, Nonnen, Diakonissen und anderen Menschen, die aufgrund
ihrer christlichen Einstellung Nächstenliebe praktizieren. Auch andere
Religionsgemeinschaften könnten hier genannt werden. Die Motive unseres
Handelns mögen mitunter ganz unterschiedliche sein, es zählt allein, was der
Schriftsteller ERICH KÄSTNER (1899-1974) einst so formulierte: Es gibt nichts
Gutes, außer man tut es. Die Geschichte vom barmherzigen Samariter - sie steht
im Lukas-Evangelium in Kapitel 10, Vers 25-37 - ist hier ein schönes Beispiel
für Nächstenliebe: Dem Andern selbstlos helfen, weil er leidet, gleichgültig
von welcher Stammeszugehörigkeit oder religiösen Auffassung er ist. In einer
solchen Praxis sehe ich eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit auch mit einem mir
ansonsten fernstehenden christlichen Glauben.
(328) Das in Kapitel V, 3 »lst Moral
ohne Gott möglich?« dargestellte Prinzip Faimess mit den Beurteilungskriterien
»fair« beziehungsweise »unfair« bei der Lösung von Interessenkonflikten, die
zwischen Menschen natürlicherweise bestehen, scheint mir ein sehr gelungener,
dem Menschen gerecht werdender Ansatz zu sein. Im Zentrum meines humanistischen
Konzepts steht jedenfalls für mich der Satz, der in den Ohren vieler Menschen
wie eine Provokation klingen mag, dass der Mensch das Maß aller Dinge sei und
nicht eine vermeintlich über uns stehende jenseitige Instanz.
Nun könnte man einwenden, dass das
Faimess-Prinzip mit seinen Kriterien »fair« und »unfair« ebenso willkürlich
gesetzt sei wie das oben abgelehnte Schuldprinzip, das aus den Kriterien »gut«
und »böse« folgt. Der Einwand ist berechtigt, tatsächlich ist auch diese
Setzung willkürlich erfolgt. Auch der Satz, dass der Mensch das Maß aller Dinge
sei, ist lediglich die Spiegelung der Behauptung, dass ein göttliches Gesetz
die oberste Richtschnur menschlichen Verhaltens sei. Es ist daher an dieser
Stelle notwendig, sich darüber klar zu werden, wie menschliche Normen, Gesetze
und Verhaltensregeln zu Stande kommen: Sie werden in der Tat gesetzt
beziehungsweise gefordert oder aus übergeordneten, ebenfalls gesetzten Normen
und Regeln abgeleitet. Sind sie deshalb willkürliche Setzungen? Ja und nein.
Sie sind insofern willkürlich, als sie letztlich nicht logisch oder
wissenschaftlich bewiesen oder widerlegt werden können wie zum Beispiel ein
mathematischer Satz oder ein physikalisches Gesetz. Sie müssen dennoch nicht
beliebig sein, weil sie mit dem Anspruch - ebenfalls eine Setzung! – verknüpft
sein können, unmittelbar einsichtig und in ihren Konsequenzen zustimmungsfähig
zu sein.
Wir können uns das am Beispiel der so
genannten Menschenrechte verdeutlichen. Die »Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte« wurde 1948 von den Vereinten Nationen verkündet und ist damit
Grundlage des heute gültigen Völkerrechts geworden. Der Grundgedanke dieser
Erklärung kommt gleich in den ersten drei Artikeln zum Ausdruck, dass nämlich
»alle Menschen frei und gleich an
Würde und Rechten geboren sind« (Artikel l),
und zwar »ohne irgendeinen
Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion,
politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft,
Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand« (Artikel 2),
und »jeder hat das Recht auf Leben,
Freiheit und Sicherheit der Person« (Artikel 3).
Allgemeine Menschenrechte wurden
erstmals in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 formuliert.
Dort heißt es ebenso bestimmend:
»Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, dass alle Menschen gleich
erschaffen wurden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen
Rechten begabt wurden, worunter Leben, Freiheit und das Streben nach
Glückseligkeit sind.«
Bemerkenswert erscheint mir, dass
schon damals das »Streben nach Glückseligkeit« als ein selbstverständliches
Menschenrecht angesehen wurde.
Betrachtet man diese beiden
Menschenrechts-Erklärungen näher, so wird man feststellen, dass sie lediglich
Forderungen und Bekenntnisse darstellen. Diese können nicht bewiesen, sie
können nur verlangt oder behauptet werden.
(352) Ich selbst verwende für mich den
Begriff Atheist nicht, obwohl von meiner Einstellung her eine solche
Bezeichnung zutreffend wäre. Ich definiere meine Weltanschauung weniger in
Abgrenzung gegen eine Auffassung …
(Uwe Lehnert:: Warum ich kein Christ sein will, TEIA AG Berlin, 2009, ISBN
978-3-939520-70-2)
·
Deutsche Unitarier
Religionsgemeinschaft (http://www.unitarier.de/ )
+ Unitarier streben nach religiöser Eigenständigkeit.•
+ Sie treten weltweit für Freiheit, Vernunft und Toleranz und damit für
Menschenrechte und Demokratie ein.
+ Wahrheiten sind nie absolut, sondern immer persönlich zu suchen und zu
erfahren.
+ Deshalb kann es bei uns keine allgemeingültige Offenbarung, keine
verbindliche Gottesvorstellung und keine heiligen Schriften geben.
+ Unsere gemeinsamen Glaubensaussagen haben wir als Grundgedanken demokratisch
vereinbart.
+ Sie fußen auf einem ganzheitlichen Welt- und Menschenbild und bleiben offen
für neue Erkenntnisse und Erfahrungen.
+ Wir sind vor unserem Gewissen für uns und unsere Mitwelt verantwortlich.
+ Das verpflichtet uns zu gesellschaftlichem Handeln.
Grundgedanken
Wir Unitarier haben als Leitlinie gemeinsam erarbeitete und formulierte
Grundgedanken. Diese sind nicht ein für allemal festgeschrieben. Jede
Generation hat die Freiheit, Gemeinsames neu auszudrücken und dabei neue
Einsichten und Entwicklungen, gewandeltes Empfinden und zeitgemäßes
Sprachgefühl zu berücksichtigen.
Zur Zeit gilt eine Fassung der Grundgedanken, die
1995 verabschiedet wurde:
(Präambel)
In der Deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft haben sich Menschen aus
religiöser Selbstverantwortung zusammengeschlossen und eine demokratische
Verfassung gegeben. Jedes Mitglied kann seine religiösen Vorstellungen
einbringen und sich an der Erarbeitung gemeinsamer Glaubensaussagen beteiligen.
Die Deutschen Unitarier stehen in einer Jahrhunderte alten Tradition freier
Religion und Weltanschauung und sind verbunden mit geistesverwandten
Bestrebungen in aller Welt. Sie sind sich der Schwierigkeit bewusst, religiöse
Vorstellungen in Worten auszudrücken. Bei Wahrung der Freiheit ihrer
persönlichen Auffassungen haben sie sich auf folgende Grundgedanken geeinigt:
Über Religion
Religiosität ist ein Grundbestandteil menschlichen Seins. Sie ermöglicht
dem Menschen, sich auf das Lebensganze zu beziehen, und motiviert ihn, Sinn zu
suchen. Durch Erleben, Deuten und Gestalten des Lebens kommt er zu den
sinngebenden Vorstellungen, die seine Religion bilden. Sie gibt ihm
Geborgenheit, Lebensmut und Orientierung.
Aus der Religion von einzelnen entsteht eine Religion der Gemeinschaft,
wenn sich Menschen mit ähnlichen religiösen Auffassungen zusammenschließen und
gemeinsame Ausdrucksformen entwickeln.
Keine Religion kann beanspruchen, über absolut gültige Wahrheiten zu
verfügen, denn ihr Ursprung liegt im Menschen. Glaubens- und Gewissenszwang
sind nicht zu rechtfertigen.
Über unitarischen Glauben
Wir glauben, dass alles, was ist, eine Ganzheit bildet. Ihre vielfältigen
Erscheinungsformen sind eingebunden in einen allumfassenden Zusammenhang. Wir
erleben uns als Teil dieses Zusammenhangs, der uns trägt und auf den wir
Einfluss nehmen.
In uns und um uns erfahren wir die gleichen schöpferischen Kräfte, die
viele als göttlich erleben. Sie wirken im Großen wie im Kleinen und sind immer gegenwärtig,
auch wenn wir sie nicht jederzeit wahrnehmen.
Unitarische Religion ist offen für neue Erkenntnisse und Erfahrungen.
Über das Leben
Das Leben ist ein fortwährend selbstschöpferischer Ablauf von Entstehen,
Wandel und Vergehen. Es vollzieht sich in veränderlichen, wechselseitigen
Abhängigkeiten.
Wir empfinden Ehrfurcht vor dem Leben, auch im Wissen um seine Widersprüche
und Härten. Die Vielfalt seiner Erscheinungsformen bedeutet uns Reichtum.
Bestrebungen, diese Vielfalt einzuschränken, treten wir entschieden entgegen.
Die Vergänglichkeit des Einzelwesens ist eine notwendige Voraussetzung für die
Entwicklung dieser Vielfalt.
Über den Menschen
Der Mensch ist eine unter zahllosen Erscheinungsformen der Natur,
eingebunden in die Evolution des Lebens. Er ist ein unteilbares Ganzes.
Körperlich, seelisch und geistig entwickelt er sich im Wechselspiel mit seiner
Umgebung. Alle Menschen mit ihren individuellen Unterschieden sind
gleichberechtigt.
Aufgrund seiner Fähigkeit, vielfältige Zusammenhänge zu erkennen und zu
bewerten, trägt jeder Mensch für sein Tun und Lassen Verantwortung gegenüber
der Mitwelt und sich selbst. In allem, was er entscheidet und was ihm
geschieht, liegen Chancen zur Entfaltung, aber auch Möglichkeiten der
Gefährdung. Stärken und Schwächen, Schicksalsschläge und schuldhafte
Verstrickungen erfordern Auseinandersetzung und Bewältigung.
Der Tod beendet das Leben des Menschen. Darüber hinaus gibt es keine
Gewissheit. Dieses Wissen verstärkt unser Bestreben, bewusst und Sinn erfüllt
zu leben. Jeder Mensch hinterlässt Spuren, die seinen Tod überdauern.
Über Zusammenleben
Persönliche Entfaltung vollzieht sich im Spannungsfeld zwischen dem Streben
nach Eigenständigkeit und dem Bedürfnis nach Liebe und Geborgenheit. Deshalb
braucht der Mensch Gemeinschaften, die ihn tragen und die er mitgestalten kann.
Unser Leben entfaltet sich am besten im friedlichen Zusammenleben
selbstverantwortlicher Menschen. Mit diesem Ziel wollen wir aktiv in
Gesellschaft, Staat und Menschheit mitwirken. Konflikte wollen wir gewaltlos
austragen, indem wir uns um Verständigung bemühen.Wir erkennen an, dass es
Konflikte gibt, die wir nicht lösen können und deshalb aushalten müssen.
Wir leben in der Natur und sind Teil von ihr. Darum fühlen wir uns – auch
unter persönlichem Verzicht – zu rücksichtsvollem Umgang mit ihr verpflichtet.
·
Unitarismus
Um den Unitarismus (Unitarianismus) sachgerecht einzuordnen (in
der toleranten Spielart), werden üblicherweise einige Merkmale zusätzlich zur
Ablehnung des Dogmas von der Dreieinigkeit benannt. Obwohl durch keine
Autorität festgeschrieben, werden im Allgemeinen die folgenden akzeptiert:
+ der Glaube an EINEN Gott und an die Einheit und Einzigartigkeit Gottes
+ dass der Lebensweg und die Lehren von Jesus Christus das Vorbild dafür darstellen,
wie jedermann sein eigenes Leben gestalten sollte
+ dass der Verstand, vernünftiges Denken, Wissenschaft und Weltanschauung in
Koexistenz stehen mit dem Glauben an Gott
+ dass Menschen die Fähigkeit besitzen, ihren freien Willen verantwortlich, gestaltend
und in Bezug auf moralisches Verhalten auszuüben, und das mit Unterstützung
durch den Glauben
+ die Überzeugung, dass das Wesen (die Natur) des Menschen unter den
gegenwärtigen Bedingungen nicht etwa von Grund auf verdorben ist, sondern fähig
dazu, sowohl das Gute als auch das Böse zu tun, weil Gott das so wollte
+ die Überzeugung, dass keine Religion den Anspruch erheben kann, allein im
Besitz des Heiligen Geistes oder der theologischen Wahrheit zu sein
+ die Überzeugung, dass die Autoren der biblischen Texte, obwohl sie von Gott
inspiriert waren, Menschen sind und daher menschlichen Irrtümern augesetzt sind
+ die Ablehnung der überlieferten Lehre, wonach daran geglaubt wird, dass das
Wesen Gottes unheilvolle Züge beinhaltet, oder dass das wahre Wesen (Natur) und
die Aufgabe von Jesus Christus durch die Glaubenssätze von der
Vorherbestimmung, der ewigen Verdammnis, vom stellvertretenden Opfertod
(Rechtfertigungslehre, Sühneopfer) verschleiert werden …
+ Unitarier fassen ihren Glauben zusammen als “die Religion, die Jesus vertrat,
aber nicht eine Religion, die etwas über Jesus aussagt” („the religion of
Jesus, not a religion about Jesus.")
+ Unitarier glauben generell nicht daran, dass Jesus im Leib einer Jungfrau
empfangen wurde oder dass beispielsweise Wunder in dem Ausmaß vollbracht
wurden, wie das die Evangelien darstellen.
(http://en.wikipedia.org/wiki/Unitarianism )
·
Agnostizismus
Der Agnostizismus ist eine
Weltanschauung, die insbesondere die prinzipielle Begrenztheit menschlichen
Wissens betont. Die Möglichkeit der Existenz transzendenter Wesen oder
Prinzipien wird vom Agnostizismus nicht bestritten. Agnostizismus ist sowohl
mit Theismus als auch mit Atheismus vereinbar, da der Glaube an Gott möglich
ist, selbst wenn man die Möglichkeit der rationalen Erkenntnis Gottes verneint.
Die Frage „Gibt es einen Gott?“ wird vom Agnostizismus dementsprechend nicht
mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet, sondern mit „Das kann ich nicht genau
wissen“, „Es ist nicht geklärt“, „Es ist nicht beantwortbar“.
Unabhängig davon ist die Frage „Glauben Sie an einen Gott?“. Diese kann auch
von einem Agnostiker mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden.
(Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Agnostizismus )
·
Michael
Weinrich, Theologieprofessor Bochum;
“Was ist neu am neuen Atheismus?“
Unermüdlich wird die Unvereinbarkeit des modernen naturwissenschaftlichen
Weltverständnisses mit einem in dieser Welt handelnden Gott statuiert. Es wird
sich schwerlich behaupten lassen, dass dies ein neues Argument ist, und die
Häufigkeit seiner Wiederholdung macht es nicht evidenter …
zumal die philosophische Bildung, welche die Vertreter des neuen Atheismus nach
weislich ihrer Lebensläufe durchlaufen haben, von erschreckend dürftiger Natur
ist …
Es zeigt sich eine erschreckende Neigung zu treilweise bornierten
Simplifizierungen und emotionalisierenden Polarisierungen …
(Zeitzeichen 3-2011 S.43)
·
Glück
ohne Gott
Für unser Wohlergehen brauchen wir Menschen keine Religion: Der amerikanische
Philosoph Sam Harris plädiert für eine weltliche Moral.;
Kontroversen über moralische Werte sind Kontroversen, zu denen die Wissenschaft
offiziell keine Meinung hat.
Ich halte das für grundfalsch. Und ich möchte dafür plädieren, dass ethische
Fragen – nach dem Sinn, der Moral und der Bestimmung menschlichen Lebens – in
Wirklichkeit Fragen nach dem Wohlergehen bewusstseinsfähiger Geschöpfe sind.
Werte lassen sich deshalb auf Tatsachen gründen, die einem wissenschaftlichen
Verständnis zugänglich sind: unserem Wissen über die Ursachen positiver und
negativer Gefühle, über die Auswirkungen bestimmter Gesetze auf die sozialen
Beziehungen, über die Neurophysiologie von Glück und Leid. Der große Vorzug dieser
Tatsachen ist ihr transkultureller Charakter. Es ist wie mit den Fakten über
die körperliche und geistige Gesundheit von Menschen: Krebs ist im Hochland von
Neuguinea ebenso Krebs wie in New York City, Cholera ist Cholera, und
Schizophrenie ist Schizophrenie. Dasselbe gilt meiner Ansicht nach auch für
eine menschliche Regung wie Mitleid und vor allem für unser Wohlergehen.;
Es gibt wissenschaftlich richtige und falsche Antworten auf die Fragen nach der
Moral. Um dieser Sichtweise zur Geltung zu verhelfen, müssen wir nur mit
einigen uralten Meinungen über den Status von moralischen Wahrheiten aufräumen.
Religiöse Menschen glauben, dass die Moral von Gott selbst in die Struktur der
Wirklichkeit eingebaut wurde. Atheisten dagegen glauben, dass sich unsere Vorstellungen
von Gut und Böse infolge unserer kulturellen Entwicklung herausgebildet haben.
In der ersten Lesart ist unsere Moral ganz von Gott abhängig, in der zweiten
von kulturellen Vorurteilen und philosophischen Irrtümern. Ich denke, dass sich
beide Parteien irren.;
Unsere Unfähigkeit, eine Frage zu beantworten, sagt ja noch nichts darüber, ob
es auf die Frage eine Antwort gibt. Genauso wenig spricht der Umstand, dass wir
vielleicht nie in der Lage sein werden, bestimmte moralische Dilemmata
aufzulösen, für die gleiche Gültigkeit aller konkurrierenden Einstellungen, die
man zu ihnen haben kann. Meiner Erfahrung nach führt es zu erheblicher
Konfusion in moralischen Fragen, dass das bloße Fehlen von Antworten mit der
grundsätzlichen Unmöglichkeit einer Antwort verwechselt wird.;
Ein konkretes Beispiel. Es gibt derzeit 21 amerikanische Bundesstaaten, die in
ihren Schulen immer noch körperliche Züchtigung erlauben. Wir sprechen davon,
dass es tatsächlich rechtens ist, wenn ein Lehrer ein Kind mit einem Holzlineal
schlägt, ihm Prellungen und sogar Platzwunden zufügt. Tausende Kinder erleiden
jedes Jahr eine solche gewaltsame Behandlung, meist im Süden der USA. Die
Rechtfertigung ist natürlich religiös: Der Schöpfer des Universums habe uns
ermahnt, die Rute zu benutzen und das Kind zu züchtigen, wenn wir es nicht
verziehen wollen (Sprüche Salomos 13,24; 20,30 und 23,13–14). Im Namen Gottes
setzen wir also unsere Töchter und Söhne Schmerzen, Angst und Demütigung aus.
Wenn uns das kindliche Wohlergehen wirklich am Herzen liegt, müssen wir uns
fragen, ob wir gut beraten sind, unsere Moral aus der Bibel abzuleiten. Besteht
auch nur der geringste Zweifel daran, dass es auf diese Frage eine Antwort
gibt? Besteht auch nur der geringste Zweifel daran, dass es eine Rolle spielt,
ob wir die richtige Antwort finden? Tatsächlich besagt die gesamte
wissenschaftliche Forschung, dass Körperstrafen ein verheerender Brauch sind,
der Gewalt und soziale Pathologien verursacht – und perverserweise sogar eine
gesteigerte soziale Akzeptanz neuer Körperstrafen.;
Wir haben es in der Ethik mit Lebensfragen zu tun, bei deren Beantwortung wir
es uns nicht leisten können, einfach auf »Traditionen« zu pochen, fremde
»Gepflogenheiten« zu tolerieren und uns damit zu begnügen, dass wir zu keinem
Konsens kommen. Die Wissenschaft wird solche Fragen immer öfter entscheiden
helfen. Warum? Weil sie traditionsunabhängig und kulturübergreifend nachweisen
kann, dass beispielsweise Gewalt destruktiv ist, dass Rache und Prügel dem
Wohlergehen des Einzelnen wie der Gemeinschaft schaden. Wenn wir über Moral
sprechen, sprechen wir von Tatsachen, die miteinander zusammenhängen.;
Sie wurzeln tiefer als etwa die religiöse Zugehörigkeit eines Menschen. Man
könnte sagen: Eine christliche oder muslimische Moral gibt es so wenig wie eine
christliche Physik oder eine muslimische Algebra. Ja, ich vertrete die
Auffassung, dass die Moral ein noch unentwickelter Zweig der Wissenschaft ist.;
Die Wissenschaftsgemeinde ist überwiegend säkular und liberal eingestellt. Die
Konzessionen aber, die Wissenschaftler zumindest in den Vereinigten Staaten dem
religiösen Dogmatismus gemacht haben, rauben einem den Atem. Nicht einmal so
hochrangige Einrichtungen wie die Nationalen Wissenschaftsakademien und die
US-Gesundheitsbehörde blieben davon verschont. Selbst die Zeitschrift Nature,einflussreichste
Wissenschaftspublikation des Planeten, sah sich außerstande, die Grenze
zwischen rationalem Diskurs und frömmelnden Fantastereien zu wahren. Wenn man
prüft, wie die Zeitschrift in den vergangenen zehn Jahren den Ausdruck
»Religion« benutzte, muss man feststellen, dass sich die Redakteure letztlich
Stephen J. Goulds altmodisches Konzept der »sich nicht überschneidenden
Gegenstandsbereiche« zu eigen gemacht haben – dass Wissenschaft und Religion gar
nicht in Konflikt geraten könnten, weil es sich um unterschiedliche
Wissensgebiete handle. Ein Leitartikel verkündete, Probleme entstünden nur,
wenn diese Disziplinen »sich auf das jeweils andere Terrain verirren und dort
Unruhe stiften«. Man hält die Wissenschaft für die höchste Autorität in Fragen
des physikalischen Universums, aber die Religion für unschlagbar in Sachen
Werte und Moral, Glück und Sinn.
Das ist der Preis, den wir für das Zögern der wissenschaftlichen Gemeinde
zahlen, in moralischen Fragen Farbe zu bekennen. Wissenschaftler selbst haben
den Anschein erweckt, die Wissenschaft sei in den wichtigsten Fragen des
menschlichen Lebens inkompetent und bloß eine Vorstufe der Technik. Während die
wissenschaftliche Methode jahrhundertelang die Religion in Tatsachenfragen
blamierte, gilt heute, dass die Wissenschaft nichts darüber zu sagen hat, was
ein gutes Leben ausmacht. In diesem Punkt treffen sich Dogmatiker aller Art.
Die Begründung für den Glauben an Gott lautet heute nicht mehr, dass es überwältigende
Beweise für seine Existenz gebe, sondern dass der Glaube die einzig
verlässliche Quelle von Orientierung sei. Die Anhänger miteinander
unvereinbarer religiöser Traditionen ziehen denselben Fehlschluss.;
Das menschliche Wissen und die menschliche Moral darf man nicht voneinander
trennen. Meinungsverschiedenheiten in moralischen Fragen enthüllen lediglich
die Unvollständigkeit unseres Wissens. Über den Sinn des Lebens sollten wir
nicht länger in einer Sprache sprechen, die hinter unserem Wissen über die Welt
zurückbleibt. Wir sollten uns vor den großen Fragen nicht in heilige Bücher und
uralte Mirakel flüchten – sondern den Mut haben, in den offenen Raum der
moralischen Landschaft zu treten, die wir nach bestem Wissen und Gewissen
selber gestalten. Von unserem Mut zum freien Denken hängt unsere Zukunft ab.
(Die Zeit 3.1.2013 S.48 - )
·
Warum
Religionen Spott ertragen müssen;
Religionen, zumal der Katholizismus, neigen zu drakonischen Strafen. Dort
regieren Dogmen, Gewissheiten, Unfehlbarkeiten, Autoritäten. Gut und Böse sind
relativ klar geschieden, Verfehlungen sind leicht zu erkennen, ein Urteil in
diesem System hat göttliche Weihe. Wer meint, dass er nicht irrt, fühlt sich
zur Strenge bemüßigt.
In der Demokratie dagegen ist alles umstritten, die eine Meinung ist so
willkommen wie die andere, in jedem Urteil steckt auch ein Irrtum. Der Diskurs
hört nie auf, er sorgt für ständige Unsicherheit und damit
Erneuerungsfähigkeit. Deshalb wird er geschützt, deshalb steht er im
demokratischen Staat höher als die religiöse Empfindsamkeit. Die wehrhaften
Christen wollen jedoch nicht, dass die Religion ein normaler Teil dieses
Systems ist, sie wollen eine Sonderrolle. Das Christentum verdiene Schonung,
weil es einen großen Beitrag für die Demokratie leiste.;
Wehrhafte Christen behaupten zudem, ihre Religion habe für die Demokratie
unschätzbare Beiträge geleistet. Matussek und Spaemann zitieren den Satz, der
in diesem Zusammenhang immer zitiert wird: "Der freiheitliche,
säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren
kann." Das hat der ehemalige Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde
1976 geschrieben. Er fragte, ob dieser Staat nicht "letztlich aus jenen
inneren Antrieben und Bindungskräften leben muss, die der religiöse Glaube seiner
Bürger vermittelt".;
Es wird gern so getan, als seien Demokratie und Christentum zwei Seiten einer
Medaille, aber so ist es nicht. Die Kirchen haben mit fast allen Systemen
paktiert, dem Absolutismus, der konstitutionellen Monarchie, der Diktatur bis
hin zum Nationalsozialismus. In den meisten Fällen nehmen sie das, was da ist,
und passen sich an.;
Die Demokratie entstand ohne einen Beitrag des Christentums, da die Griechen
Jesus nicht kennen konnten. Beim zweiten Anlauf vom 18. Jahrhundert an musste die
Demokratie meist gegen die Kirchenführung erkämpft werden, denn die verstand
sich als Teil der Obrigkeit. Allerdings ist wahr, dass die Demokratie der
Neuzeit stark vom christlichen Menschenbild zehrt. Aber das hatte die
Kirchenführung lange selbst mit Füßen getreten, erst die Aufklärung leitete den
Prozess ein, der zu verbrieften Menschenrechten führte. Es ist daher nicht so,
dass allein die Demokratie in der Schuld der Kirchen stehe. Umgekehrt ist es
genauso. Mit Hilfe des demokratischen Denkens fand das Christentum zu seinem
Kern zurück: der Menschenwürde, die unverletzlich ist.
(Der Spiegel 33-2012 S.110f - http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-87737229.html )
·
Es
ist der Konflikt zwischen den religiösen Geboten und den weltlichen Gesetzen,
zwischen der einen Wahrheit und den vielen Meinungen, zwischen der
Unanfechtbarkeit einer Heiligen Schrift und der Diskutierbarkeit unserer
freiheitlichen Prinzipien. Dieser Konflikt betrifft keineswegs nur die
Katholiken. Denn alle großen Religionen vertrauen darauf, dass Gott existiert.
Das ist eine absolute Setzung. Und daraus folgen absolute Geltungsansprüche.
Sie sind nicht die persönliche Marotte eines Papstes, sondern unausweichlich.
Wer wirklich an Gott glaubt, der muss auch wollen, dass seine Wahrheit gilt.
Deshalb ruft der Vatikan katholische Apotheker auf, keine empfängnisverhütenden
Mittel zu verkaufen, wo Empfängnisverhütung gesetzlich erlaubt ist. Deshalb
will die Evangelische Kirche Deutschlands die Präimplantationsdiagnostik
verbieten und beruft sich dabei auf das christliche Menschenbild, obwohl die
von einem Verbot betroffenen Bürger gar nicht alle Christen wären.
Der demokratische Staat aber hat sich von Gott distanziert, um verschiedene
Geltungsansprüche unter seinem Dach zu vereinen. Er garantiert eine
Friedensordnung, in der konkurrierende Wahrheiten nebeneinander existieren
können. Er ist überhaupt erst entstanden, weil die Religionen sich einst als
friedensunfähig erwiesen haben, als sie noch im Besitz der politischen Macht
waren. Weil sie jedoch auch heute Politik machen, entstehen an der
Schnittstelle zwischen Glauben und Demokratie zunehmend heftigere Debatten,
sodass selbst fromme Bürger rufen möchten: Lasst mich mit eurem Gott in Ruhe!
Ob Beschneidung oder Blasphemie, Kopftuch oder Kruzifix: Es ist immer derselbe
Konflikt. Religion zielt auf Letztes und Unbedingtes. Demokratie zielt auf
Offenheit und Pluralismus. Da knirscht es im Gebälk der freien, aber religiös
geprägten Gesellschaft. Darum streiten wir, ob die Beschneidung gegen das Recht
auf Unverletzlichkeit der Person verstoße. Und wenn nicht, ob das
Selbstbestimmungsrecht hier missachtet werde. Und wenn ja, ob dann nicht nur
die Beschneidung, sondern demnächst auch die Taufe zu verbieten sei.
Die Debatte nervt. Aber sie ist nötig. Sie betrifft weniger das Verhältnis der
Bürger zur Religion als das Verhältnis der Religion zur Politik.
(Die Zeit 29.11.2012 S.66)
·
Atheismus
rappt! - Baba Brinkman provoziert das bibeltreue Amerika mit Darwin-Shows.;
ZEIT: Heute touren Sie als religionskritische Volkshochschule durch die USA.
Woran glauben Sie?
Brinkman: Als Atheist glaube ich an menschliche Fähigkeiten wie Mitleid, Liebe,
Respekt. Man könnte mich als philosophischen Naturalisten bezeichnen, der
findet, alles hat eine faktische Ursache. Mein Religionsprofessor an der Uni
erklärte es so: Es gibt Atheisten, die nicht glauben; es gibt Theisten, die
glauben; dazwischen sind die Agnostiker, warme und kalte. Die kalten sagen:
Keine Ahnung, ob Gott existiert, es ist mir auch egal. Die warmen sagen: Keine
Ahnung, ob es ihn gibt, aber ich hoffe es. Lange war ich ein warmer Agnostiker.
ZEIT: Was hat Sie umgestimmt?
Brinkman: Darwins Theorie war einfach am überzeugendsten, weil sie schlüssige
Gründe für unser Verhalten findet. Sie kann sogar begründen, warum wir an
unglaubliche Dinge glauben: um das Leben zu meistern. Die Biologen nennen die
Religion deshalb auch adaptive fiction – eine verinnerlichte Fiktion: unwahr,
aber hilfreich.;
ZEIT: Was sind in Ihren Augen die besten Argumente gegen Atheismus?
Brinkman: Die Tatsache, dass so viele Menschen glauben, beweist zumindest, dass
sie einen Gewinn daraus ziehen. Das ist aber nur ein Argument für Religiosität,
nicht für Religion. Es besagt: Auch wenn der Gott, an den du glaubst, nicht
existiert, kann Glaube guttun.
ZEIT: Welche Beweise für die Existenz eines persönlichen Gottes überzeugen Sie
am wenigsten?
Brinkman: Der Klassiker sind wundersame Heilungen. Gerade wieder hatte ich eine
E-Mail von einem todgeweihten Krebskranken. Er habe gebetet, und plötzlich sei
er genesen, gegen jede ärztliche Prognose. Das ist genauso ein schlechter
Beweis gegen Darwin wie der Vorwurf, dass wir nicht wissen, was vor dem Urknall
war. Weil wir uns etwas nicht erklären können, muss Gott beteiligt gewesen
sein: So geht religiöse Logik für Ignoranten. Gott als Lückenbüßer. Sogar der
Leiter des National Health Institute in den Vereinigten Staten, Francis
Collins, der ein Evangelikaler ist, behauptet, Altruismus sei durch die
Evolution nicht erklärbar, folglich müsse es einen Gott geben.
ZEIT: Vielleicht ist die Evolutionstheorie ja ungeeignet, um Mitleid oder
Nächstenliebe zu definieren.
Brinkman: Was wäre denn die bessere Methode?
ZEIT: Die Metaphysik zum Beispiel, weil sie unser Menschsein nicht biologisch
deutet. Darwin sieht unser gesamtes Verhalten determiniert durch die Natur. Was
bleibt da eigentlich vom freien Willen?
Brinkman: Dass es evolutionäre Ursachen für unser Verhalten gibt, heißt ja
nicht, dass das Individuum nicht frei entscheidet. Ich bin kein Feind der
Freiheit, aber mich frustriert die Wissenschaftsfeindlichkeit vieler
Amerikaner.;
Aber survival of the fittest heißt jedenfalls nicht nur survival of the
strongest. Geist und Witz zählen auch.;
ZEIT: Viele Gläubige halten die Atheisten für verkappte Fundamentalisten.
Brinkman: Oh bitte! Das ist nun ein böswilliges Missverständnis. Seriöse
Atheisten behaupten keineswegs, zu wissen, dass es Gott nicht gibt. Sie glauben
nur an seine Nichtexistenz.
(Die Zeit 14.8.2013 S.56 http://www.zeit.de/2013/34/rapper-baba-brinkman)
·
4000
Jahre Zweifel
In Oxford berieten Altertumsforscher über frühe Formen des Atheismus: Der
Unglaube, so ihre Botschaft, sei keine Erfindung der Neuzeit, sondern älter als
das Christentum.;
In Oxford gibt es mittlerweile zahlreiche Kirchgänger, die als
"christliche Atheisten" bezeichnet werden. Sonntags sitzen sie in der
Kirche Saint Mary the Virgin, nur ein paar Schritte vom Corpus Christi College
entfernt, und schmettern Hymnen zu Ehren eines Gottes, an den sie nicht
glauben. Was sie verehren, sind lediglich die folkloristischen Rituale der
anglikanischen Kirche.
Pfarrer Brian Mountford spricht mit verblüffendem Wohlgefallen über diese
verirrten Schäfchen: "Ich verlange nicht, dass jemand noch vor dem
Frühstück an sechs unmögliche Dinge glaubt, wie es bei ,Alice
im Wunderland' heißt."
(Der Spiegel 30-2013 S.100ff.)
·
Robert Misik: Gegen
Gott
Wer also nicht nur spezielle Exzesse einzelner Religionen, sondern religiöse
Frömmlerei als solche mit kritischen Fragen belegt – und mag es auch die
sanfteste Kritik sein –, der muss mit drei Gegenstrategien rechnen: Erstens,
Kritik am religiösen Bewusstsein sei „Fundamentalismus der Aufklärung“.
Zweitens, Religionen seien „wahr“, und außerdem gebe es sie schon sehr lange –
und etwas, was so lange zu überdauern vermag, muss ja eine irgendwie höher
geartete anthropologische Würde besitzen. Und drittens, selbst wenn sie nicht
wahr seien und all das Zeug mit Gott nur Fantasie und Spinnerei, so seien sie
wenigstens nützlich, weil sie Menschen auf ein moralisches Leben verpflichten,
Ge-sellschaften zusammenhalten et cetera. Und wenn all dies nichts mehr hilft,
dann sagen sie, der Kritiker sei ein „atheistischer Fundamentalist“, der ihre
„Gefühle verletzt“, mithin also ein extrem unhöflicher Kerl.;
Die moderne Theologie hat zwar alle diese bisherigen Gottesbilder
verabschie-det – man könnte auch sagen, sie verhält sich atheistisch zu allen
Gottesvorstellungen aller bisherigen Menschengenerationen – und hat den Begriff
„Gott“ transformiert zu einem unbegreiflichen Etwas, das alles durchdringt. Der
oder das ist immer hier, so wie Feinstaub; und er ist immer noch die Ursache
von allem, der Schöpfergott. Kluge Köpfe fragen seit Langem: Wenn er allmächtig
und gut ist, warum hat er dann eine Welt geschaffen, wo es an allen Ecken
knirscht und knarrt? Mord und Totschlag, Hitler, Tsunamis und das Grauen der
Natur, Nahrungskette, gefressen und gefressen wer-den. Würden Sie sich, wenn
Sie ein Schöpfergott wären, solch eine Welt ausdenken? Albert Camus sagte,
entweder ist er, Gott, allmächtig, dann ist er nicht gut, oder er ist gut, dann
ist er nicht allmächtig. Liberale Christen sagen in all ihrer Milde, die wir
natürlich nicht dem Christentum, sondern den Aufklärern verdanken, die zu ihrer
Zeit mit einem weit weniger milden Christentum konfrontiert waren, dass es für
die Existenz Gottes natürlich keine „Beweise“ gibt, auch wenn Millionen
Menschen das Transzendente „spüren“, so wie es aber auch für seine
Nicht-Existenz keine „Beweise“ gibt. Das ist an sich formal richtig, aber es
ist doch ein Unterschied, ob man an etwas glaubt, für dessen Existenz es weder
Evidenzen noch Probabilitäten gibt, oder ob man annimmt, wenn es für etwas
weder Evidenzen noch Probabilitäten gibt, dann liege doch ziemlich nahe, dass
es auch nicht existiert. Die Religionen sind somit, noch in ihren mildesten und
aufgeklärtesten Ausprägungen, Einfallstore für Obskurantismus.Und die
Allermeisten von ihnen evozieren ein Weltverständnis, das den Menschen als Wurm
des Universums sieht, der sich nur auf Knien seinem Schöpfer nähern darf. All
das verdanken wir den Religionen ebenso wie die Idee von Strafgerichten und den
Höllenqualen und die Imagination des Menschen als verworfener Sünder. Und alle
zusammen, mögen sie sich auch mit der Botschaft der Liebe schmücken, stoßen die
schlimmsten Verwünschungen aus, wenn sie mit den Ungläubigen konfrontiert sind.;
Nun trennen Gläubige und religiöse Würdenträger, besonders wenn sie sich an
eine Existenz in säkularer Umgebung gewöhnt haben, üblicherweise zwischen ihrem
Binnen- und ihrem Außendiskurs. In ihrem Binnendiskurs ist das Kriterium ihres
Glaubens die „Wahrheit“. Sie glauben beispielsweise an Jesus, weil Jesus der
Erlöser ist. Weil er auferstanden ist. Aber manche Gläubige wissen auch, dass
man mit solchen fragwürdigen Wahrheiten jene, die nicht an sie glauben, kaum
für die Religion erwärmen wird können. Für den Außendiskurs mit den
Nichtgläubigen und einer säkularen Gesellschaft haben sie sich deshalb zwei
Muster zurechtgelegt, deren zentrale Kategorien der Erfolg und die Nützlichkeit
sind. Die Kategorie Erfolg verweist darauf, dass es Religionen seit Jahrtausenden
gibt und sie offenbar nicht abzuschaffen sind – und dass dieser Umstand schon
darauf verweist, dass sie offenbar irgendwie „gut“ sein müssen. Nun gibt es
aber Patriarchat, Mord, Totschlag und Sklaverei auch schon seit Jahrtausenden.
Nur weil sich etwas lange „bewährt“ hat, ist das noch kein Argument für dessen
Nützlichkeit. Deshalb wird heute am allermeisten mit einer elementareren
Nützlichkeit der Religio-nen argumentiert, die sich so zusammenfassen ließe:
Magst Du, Nichtgläubiger, auch die „Wahrheit“ des religiösen Glaubenssystems
infrage stellen, musst Du doch zugeben, dass es immerhin nützlich ist, weil es
Zusammenhalt unter den Menschen stiftet, sie mit verbindlichen Werten
ausstattet, den Menschen vor Gigantomanie bewahrt und seine Gren-zen in Erinnerung
ruft, ihn zum Maßhalten anleitet und zur Hilfe für Arme motiviert.Wenn der
Mensch keinen Gott über sich fühlt, dann macht er sich zum Maß aller Dinge,
dann „herrscht immer mehr die Willkür, verfällt der Mensch“ (Joseph Ratzinger),
so ist unentwegt von religiöser Seite zu hören. Es ist ein abgedroschener
Abiturientengemeinplatz, den man, ähnlich wie einen Ohrwurm, kaum mehr aus dem
Kopf bekommt, dass dort, wo Gott nicht existiert, alles erlaubt sei –
sturmfreie Bude, sozusagen. Gewiss, es hat schon Ungläubige gegeben, die sich
in verrückter Egomanie als Herren über Leben und Tod gefühlt haben und
berechtigt, Hunderttausende oder gar Millionen in den Tod zu schicken. Aber es
hat auch schon genügend Gläubige gegeben, die das getan haben, gerade weil sie
geglaubt haben, der Gott, den sie über sich fühlten, würde genau das von ihnen
erwarten. Sicher, sicher, man braucht keinen Gott, um Massenmorde zu begehen.
Aber wenn man sich einbildet, dass Gott gerade das von einem wünscht, dann
fällt das Massakrieren entschieden leichter.;
Es ist also keineswegs so, dass die Menschen gleichsam natürlich zu Konkurrenz,
Kampf, Hass und Gewalt neigen und nur durch moralische religiöse Botschaften
von Mord und Totschlag abgehalten werden können. Eher das Gegenteil ist der
Fall. Über Jahrtausende konnte das „Sozialwesen“ Mensch einstudieren, dass es
besser fährt, wenn es mit anderen kooperativ interagiert und eine
gesellschaftliche Ordnung etabliert, an dessen Regeln sich alle halten müssen.
Nächstenliebe, meint der Soziologe Gerhard Schulze deshalb, sei darum „kein
Monopol von Religionen, die oft genug als Nächstenhasser aufgetreten sind,
sondern eine anthropologisch gegebene
Disposition“.;
Gewiss gibt es viele religiöse Menschen, die moralische Individuen sind, die
Gutes tun, und das mit ihrem Glauben begründen. Es gibt, wie ein weiser Mann
einmal formulierte, gute Menschen, die gute Dinge tun, und schlechte Menschen,
die schlechte Dinge tun, ganz unabhängig davon, ob sie einen Glauben haben oder
nicht. „Aber“, so fügte er sarkastisch hinzu, „damit gute Menschen schlechte
Dinge tun, braucht es Religion“.;
Meist sind es der Welt zugewandte Menschen, die Unrecht als besonders
unerträglich empfinden, während ein guter Gläubiger oftmals die fixe Idee in
seinem Kopf hat, dass die rein äußerlichen Unterschiede auf Erden keine Rolle
spielen, da alles Irdische ohnehin eitel sei. Sklave oder Bürger? Alles
unwichtig. „Ein jeglicher bleibe in dem ruff/darinnen er beruffen ist“, heißt
es in der Lutherbibel (1. Ko-rinther 7. 20). Jeder soll bleiben, was er ist,
denn er ist von Gott dorthin „berufen“, und der Knecht mag zwar irdisch unfrei
sein, aber wenn er den Herrn bei sich weiß, dann ist er „ein Freigelassener des
Herrn“ (1. Korinther 7. 22). Toller Ratschlag.;
Einerseits sieht der Gläubige sich ins Zentrum der kosmischen Ordnung gestellt,
es wird ihm weisgemacht, dass sich Gott um ihn – um jeden Einzelnen –
individuell kümmert, was man schon auch ein bisschen wichtigtuerisch finden
kann. Auf der anderen Seite sieht sich der Gläubige immerzu als nichtswürdiger,
verworfener Sünder, an der Schwelle zu ewiger Verdammnis, als moralisches
Nichts, der vor seinem Herrn auf die Knie zu fallen hat. Superioritäts- und
Minderwertigkeitsgefühle liegen in seiner Seele im Streit. Gesund ist das bestimmt
nicht. Das Konzept „Sünde“, von den Religiösen als Grundlage moralischen
Verhaltens verkauft (weil man „gut“ ist, um die „Sünde“ zu vermeiden), ist eine
grandiose Unmoralität und schlägt um in unmoralisches Eiferertum, die Sorge vor
der eigenen Verdammnis kippt in die Verdammung der Anderen. Nichts ist besser
geeignet, Kinder in Angst und Schrecken zu versetzen und aus normalen Kleinen
neurotische Erwachsene zu machen. Wie weit das gehen kann, zeigt sich alle
Tage. Jedes Unglück wird als Strafe Gottes gewertet, und jeder, der irgendein
Pech im Leben hat, wird es schon irgendwie verdient haben, heißt es in dieser
krausen Logik.
(Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft „Religion und Moderne, 10.6.2013, S. 3ff.
http://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/162404/religion-und-moderne)
·
Auszüge aus dem Buch
Kurt Flasch: „Warum ich kein Christ bin“; C.H.Beck, München 2013
(S.23) Meine Position ist konsequent
agnostisch, nicht atheistisch. Denn ein Atheist traut sich zu, er könne
beweisen, dass kein Gott sei. So zuversichtlich bin ich nicht. … Nein, ich
brauche keinen Ersatz. Ich lasse die Stelle leer. Ich leide nicht an
Phantomschmerz. Ich habe kalt und ersatzlos abgeschlossen. Die Geschichte des
Christentums, seine Kunst und Literatur interessieren mich wie zuvor, aber
alles Dogmatische geht mich nur historisch etwas an. …
(26) Ich gehe von den geschichtliche4n Quellen des Christentums aus. Das
erzeugt vermutlich den Eindruck, was ich ablehnte, sei nur ein veraltetes, ein
heute kaum noch vertretenes Christentum. Das muss so aussehen bei Christen, die
nur noch ein abgespecktes Christentum, eine „Orthodoxie light“ kennen. Ich behaupte, es sei die
Altertümlichkeit des unverkürzten Christentums selbst. …
(41) Viel musste seit dem 18. Jahrhundert passieren, bis die christliche
Vorstellung von Erlösung nicht nur unplausibel, sondern als eines guten Gottes
unwürdig erschien: Wie konnte der Ungehorsam des ersten Menschen Gott so sehr
beleidigen, dass allein das blutige Opfer seines geliebten Sohnes ihn mit der
Menschheit versöhnte. …
(50) Die historisch-kritische Untersuchung hat als einzige theologische
Disziplin unbestreitbare Ergebnisse gebracht, und darunter verstehe ich
Ergebnisse, die nur zusammen mit dem Beweisweg vorgetragen werden, der zu ihnen
geführt hat, so dass sie widerlegbar sind. Weil sie prinzipiell widerlegbar
sind, sind sie überwiegend sicher. Es ist Mode geworden, die Ungewissheiten der
Vernunft in den Kulturwissenschaften zu betonen. Aber mit Redensarten ist hier
nichts gewonnen. Wenn die historisch-kritische Bibelforschung z.B. feststellt,
Paulus nenne niemals Jesus „Gott“, dann ist leicht mit völliger Gewissheit zu
ermitteln, ob dieser Satz wahr ist oder falsch. Wenn er richtig ist, sagen die
vermutlich ältesten Texte der Christenheit noch nichts von der Gottheit
Christi. Wenner wahr ist, verlangt er als unbestreitbares Faktum eine
historische Erklärung, von der nur ablenkt, wer vorbringt, historisches Wissen
sei keine strenge Wissenschaft. …
(57) Markus berichtet im achten Kapitel, Jesus habe die Jünger einmal
gefragt, was die Leute so über ihn sagten. Sie antworteten, die einen hielten
ihn für den zurückgekehrten Johannes den Täufer, andere für Elias oder einen
anderen der Propheten. Die leibhaftige Rückkehr von Toten war ihnen ein
vertrauter Vorgang. Die Apostelgeschichte erzählt, Petrus und Paulus hätten
Tote erweckt. (Apostelgeschichte 9,36 und 20,9. Markus 6,7 und Matthäus 10,8
berichten, Jesus habe die Apostel ausgesandt, um Kranke zu heilen, Tote zu
erwecken und Dämonen auszutreiben) …
(61) Bekanntlich hat der Apostel Judas, wie Matthäus 27 berichtet, den
Erlöser zum Preis von 30 Silberlingen
verraten. Matthäus sah darin eine Weissagung erfüllt, … und zitiert dafür
den Propheten Jeremia „Sie nahmen die 30 Silberlinge …“ (Matth. 27,9). Nun
findet sich aber dieser Text mit den 30 Silberlingen nicht im Text des Jeremia,
wohl aber beim Propheten Sacharja, 11,12-13. Der Evangelist, würden wir
folgern, habe die beiden Namen verwechselt. …
(76) Wenn der Christ sagt, sein Leben habe Sinn, dann macht er diese
Aussage mit jeder beliebigen Tatsachenfeststellung über sein Leben kompatibel.
Wenn ihn ein Auto überfährt oder wenn er Lungenkrebs bekommt, sagt er auch,
sein Leben sei sinnvoll. Oder ist sein Leben nur sinnvoll, weil ihn sein Glaube
für das jenseitige Leben disponiert? Dann wäre das irdische Leben in sich
sinnlos, eine Attrappe als Rampe fürs Jenseits. …
(79) Die Abscheu vor Glaubensbegründungen kennt verschiedene Formen und
verbirgt sich unter verbalen Nebeln. Oft hat sie nur den Charakter einer
Atmosphäre, sei es der Feierlichkeit, sei es der Traditionspflege, sei es der
inszenierten Ästhetisierung. Diese ist eine elegante Art, sich der Rechenschaft
über seinen Glauben zu entziehen, zu der die frühe Christenheit sich
verpflichtet sah. Die christliche Religion, sagt man in unbestimmten Wendungen,
sei eine Form hohen Stils in einer Zeit der Formlosigkeit; sie biete gestaltete
Kontinuität in sich überstürzenden Prozessen und trage so ihre Rechtfertigung
in sich. Sie sei schön, und was schön sei, bedürfe keiner begrifflichen oder
historischen Rechtfertigung; man muss es nur sehen und erleben. …
(81) Meine Kritik betrifft die christlichen Lehren, nicht die kirchlichen Zustände;
und ich spreche nicht aus dem Ressentiment des Kirchengeschädigten. …
(84) Kirche … gestattet, den faktischen Charakter der biblischen Berichte verschieden zu interpretieren, aber wer
ihn bestreitet, verliert das Lehramt.
Die Kunst mancher Theologen besteht darin, Formulierungen zu erfinden, denen
man nicht leicht anmerkt, dass Eva nicht
aus der Rippe gebildet und dass das Grab (Jesu) nicht leer war. Es genügt, dass der Theologe in irgendeiner
unbestimmten Form an der Erbsündenlehre festhält, denn ohne sie funktioniert
weder die lutherische noch die römische Erlösungstheorie. …
(107) Kaum etwas ist weniger überprüfbar als die Behauptung, eine Jungfrau
habe ein Kind geboren. Als Joseph Ratzinger in seiner „Einführung in das Christentum“
(ich zitiere die Erstausgabe von 1968) darüber sprach, gestand er zunächst
einmal zu, diese Idee sei von heidnischen Vorstellungen „wohl nicht völlig
unberührt geblieben“ (S.227), aber nach diesem halbherzigen Zugeständnis an die
Religionsgeschichte erklärte er sie dann doch aus seiner Theologie des
alttestamentlichen Gottes: Die Jungfrauengeburt bedeute, dass der Mensch Jesus
sich nicht der Menschheit verdanke, sondern ganz, auch dem Leib nach, das Werk
Gotte sei (228). Ratzinger schließt seine Erklärung der Jungfrauengeburt, indem
er darauf besteht, sie sei ein tatsächliches Ereignis gewesen. Achten wir auf
jedes seiner Worte, wie er das sagt. Er schreibt:
„Es sollte eigentlich keiner eigenen Erwähnung bedürfen, dass all diese
Aussagen (über den Sinn der Jungfrauengeburt – Zusatz von K.F.) Bedeutung haben
nur unter der Voraussetzung, dass das Geschehen sich wirklich zugetragen hat,
dessen Sinn ans Licht zu heben sie sich mühen. Sie sind Deutung eines
Ereignisses; nimmt man dies weg, so werden sie zum leerem
Gerede. das man dann nicht nur als unernst, sondern als unehrlich
bezeichnen müsste“ (S.228).
Dies steht am Ende des Abschnitts über die Jungfrauengeburt. Der Autor besteht
abschließend darauf, sie sei ein wirkliches „Geschehnis“. Wer dies offenlasse,
rede unernst und gar unehrlich. Aber wenn dies so ist, wäre doch vor der
Erörterung über den Sinn des Vorgangs
sein faktischer Charakter zu sichern
gewesen … Er möchte sogar „eigentlich“ über die Tatsächlichkeit nicht sprechen;
er nimmt sie als selbstverständlich in Anspruch. Aber wieso sollte sie
„eigentlich keiner eigenen Erwähnung bedürfen“, wenn ohne Faktizität alle
Aussagen über sie keine Bedeutung haben …
(111) Im ersten Kapitel des Evangeliums nach Matthäus tritt der Engel des
Herrn auf und erklärt Joseph, wieso seine Maria ein Kind erwartet, das nicht
von ihm ist:
„Sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird
sein Volk retten von ihren Sünden.
Das ist aber alles geschehen, damit erfüllt würde, was der Herr durch den
Propheten gesagt hat:
»Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie
werden ihm den Namen Immanuel geben«, das heißt übersetzt: Gott mit uns.
Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen
hatte …“
Also nicht nur der Verfasser des Evangeliums, sondern der Engel des Herrn
selbst sah die Jungfrauengeburt als vom Propheten Jesaja 7,14 vorausgesagt. Der
Evangelist fand sich dabei in sicherer Gesellschaft; Jesus selbst hatte gesagt,
die Propheten hätten von ihm gesprochen, Matthäus 11,4-6. Im
Weihnachtsevangelium dient das Argument aus der Erfüllung der Vorhersage der
Bestätigung der Worte des Engels; seine Botschaft ist von Gott selbst
besiegelt; er kann Joseph beruhigen.
Die Bibelstelle, die der Engel des Herrn zitiert, steht im 7. Kapitel des
Propheten Jesaja. Dort wird in den Versen 1-9 berichtet: Gott schickt den
Propheten Jesaja zum König Ahas. Dieser ist erschrocken, weil er gehört hat,
zwei feindliche Könige hätten sich gegen ihn verbündet und seien im Anmarsch.
Der Prophet trifft den König bei Arbeiten, die der Wassersicherung im Fall der
Belagerung deinen. Der Prophet beruhigt den König: Gott wird den Sieg der
beiden Könige verhindern. ‚
Die Verse 10-17 desselben Kapitels erzählen weiter, Gott habe dem König Ahas
ein Zeichen angeboten, damit der König dem beruhigenden Prophetenwort glauben
kann. Ahas lehnt es ab, um ein Zeichen zu bitten. Er wolle Gott nicht ‚in
Versuchung führen‘. Darauf bietet Gott ihm von sich aus ein Zeichen an. Er
verspricht ihm – ab Vers 14, jetzt in der Übersetzung der bischöflichen
Einheitsübersetzung:
„Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären, und
sie wird ihm den Namen Immanuel geben. …
Bevor das Kind Gut und Böse unterscheiden kann, wird das Land verödet sein, vor
dessen Königen dir jetzt graut.“
In Vers 14 gibt es ein Problem der Übersetzung: Wo von der zukünftigen Mutter
die Rede ist, steht (im hebräischen Urtext – JK) „alma“, was nicht „Jungfrau“
bedeutet, sondern: die unverheiratete Tochter, das Mädchen, aber auch: die
junge, verheiratete Frau. Joseph Ratzinger fand sich zu dem Zugeständnis
bereit, aus dem Wortlaut gehe „nicht ohne weiteres hervor“, dass „dabei an eine
Jungfrau im strengen Sinne gedacht sei“ („Einführung in das Christentum“,
S.224). Mit vielem „Weiteren“ machten Theologen aus der nicht-strengen Jungfrau
dann doch eine „Jungfrau im strengen Sinne“. Die alte griechische Übersetzung,
die Septuaginta, war dazu behilflich, denn sie schrieb für das hebräische Wort
(„alma“) parthenos ‚Jungfrau‘ . Die lateinische Übersetzung, die Vulgata, lieferte: Ecce virgo concipiet, und die westlichen christlichen Ausleger
folgten ihr: So kam die Weissagung der Jungfrauengeburt zustande. Aber nur,
wenn man diesen Satz aus dem Zusammenhang riss. Dieser war: Ahas sollte
Hoffnung schöpfen, weil er erfährt, die Koalition der Feinde werde zerbrechen,
ehe das Kind groß ist, das die junge Frau jetzt erwartet. Gott spendet Trost in
drohender Kriegsgefahr. Da hätte es keinen Sinn, dass der Prophet ein
Hoffnungszeichen verspräche, das in vielen hundert Jahren als wunderbare
Jungfrauengeburt eintreten wird. Der Prophet will den König jetzt beruhigen; die Geburt Jesu wird er
nicht erleben. Ein Ausblick auf Christi Geburt nutzt ihm nichts in seiner
Situation des drohenden Kriegsausbruchs mit zwei übermächtigen Gegnern. …
(118) Ich benutze das Wort „Mythen“, wenn es um Erzählungen geht, meist
Göttergeschichten, bei denen die „realistische“ Rückfrage nach „Tatsachen“
nicht angebracht ist. …
Noch ein Wort zum Verhältnis von Wundern und Realität: Es gibt Zufälliges und
Unerklärliches beim augenblicklichen, wohl aber bei jedem Stand des Wissens.
Ich kenne keinen „Rationalisten“, der die völlige Durchsichtigkeit der Welt
behauptet hätte. …
(119) Augustinus schrieb, wenn Gott in der Natur ein Wunder wirke, geschehe das
nicht gegen die Natur (De civitate Dei 21,8,2). Dabei setzte Augustin die
Allmacht des Erschaffers voraus, der jedem Ding die Natur zuteilen kann, die er
für es will. Was Gott bewirkt, ist allemal die Natur des Dings. Er braucht
nicht die einmal von ihm gesetzten Naturen zu respektieren. ER bestimmt
souverän, was die Natur sein soll. Thomas von Aquin … bestätigte: Gott ist der
Herr der Natur; sie ist sein Instrument, und was er für sie festsetzt, auch
über den normalen Naturprozess hinaus, das ist ihre wahre Natur. …
(120) Die Auferstehung Jesu nach seinem Kreuzestod, sagt man mir, sei das
zentrale Ereignis des christlichen Glaubens. Den Christen beweise sie die
Gottheit Christi. Und wenn Christus nicht auferstanden ist, schreibt Paulus,
dann ist unser Glaube leer. Dann werden auch die Christen nicht auferstehen, 1.
Korinther 15,14. Damit hat er zweifellos recht. So
betrifft das Nachdenken über Jesu Auferstehung Vergangenheit und mögliche
Zukunft, es ist die zentrale Frage an jemanden, der von sich sagt, er sei kein
Christ mehr. …
(121) Die ältesten Berichte sagen, Gott habe Jesus aus dem Tod „erweckt“.
Nicht, er sei aus eigener Kraft auferstanden,
sondern Gott habe ihn aus dem Todesschlaf gerufen. Christus geht nicht als Gott
in eigener Vollmacht aus dem Grab hervor. Paulus hat ihn niemals „Gott“
genannt. …
(126) Nach Matthäus 28,16-20 trifft Jesus die elf Jünger in Galiläa: Er gibt
ihnen den Befehl, in alle Welt, also zu den Heiden zu gehen und sie zu taufen
„im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“
Das ist die einzige Stelle im Neuen Testament, die von der Trinität redet. Auch
der Taufbefehl kommt nur hier vor. Der antike Kirchenhistoriker Eusebius
zitiert die Stelle ohne den Taufbefehl und ohne Trinität. Sie fehlte wohl in
einigen alten Handschriften.
So viel wir von der Urgemeinde wissen, kannte sie diesen Befehl nicht. Ihre
überwiegende Ansicht war, für die kurze Zeit bis zum Weltende solle die Mission
nur für Israel gelten. So ausdrücklich nach Matthäus 10,5. („5 Diese Zwölf
sandte Jesus aus und gebot ihnen: Geht nicht zu den Heiden und betretet keine
Stadt der Samariter, 6 sondern geht zu den verlorenen Schafen des Hauses
Israel. 7 Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe.“). Paulus setzte nur
mit Mühe die Heidenmission durch. …
(130) … Vorwurf, die heiligen Schriftsteller hätten gelogen und betrogen. Das
behauptet kein besonnener Mensch. Sie haben nur erzählt.
… ist von einem auffälligen „Fortschritt“ der theologischen Wissenschaft zu
berichten: Im Lexikon für Theologie und
Kirche Band 1, Freiburg 1993, Spalte 1185 steht das Eingeständnis: „Die
Auferstehung ist keine beweisbare Tatsache.“ Nicht die Auferstehung, nur die
Auferstehungserzählungen seien Gegenstand historischen Wissens. …
(132) „Die Auferstehung Christi ist ausschließlich Glaubenszeugnis“, sagt das
maßgebliche evangelische Konkurrenzlexikon (Religion in Geschichte und
Gegenwart, Band 1, Tübingen 1998, Sp. 922). Ich wüsste gern, was hier das Wort „ausschließlich“
bedeutet. …
(142) Gott hat eine Geschichte. Auch seine Ewigkeit ist nicht von ewig. Er hat
sie mit der Zeit bekommen. Der Gott der Bibel ist entstanden und hat sich
verändert. Er war nicht immer das reine Gute; er hatte anfangs dämonische Züge.
Zuweilen war er schwer vom Satan zu unterscheiden. Er sandte Donner und Blitz;
er trank Hekatomben von Blut. In seinem Tempel floss ständig das Blut der
Opfertiere. Der Patriarch Jakob kämpfte mit ihm wie mit einem Feind (Genesis
32,23-33). Gott tötete. In seiner Wut fiel er über seinen auserwählten Moses
her, der dem Mordversuch nur knapp entging (Exodus 4,24-26 – „24 Unterwegs am
Rastplatz trat der Herr dem Mose entgegen und wollte ihn töten. 25 Zippora ergriff einen Feuerstein und schnitt ihrem Sohn die Vorhaut
ab. Damit berührte sie die Beine des Mose und sagte: Ein Blutbräutigam bist du
mir. 26 Da ließ der Herr von ihm ab. «Blutbräutigam», sagte sie damals wegen
der Beschneidung.“). Einmal sagt Gott sogar von sich, er habe Israel Gesetze
gegeben, die nicht gut sind (Ezechiel 10,25 – „Auch gab ich ihnen Gesetze, die
nicht gut waren, und Rechtsvorschriften, die es ihnen unmöglich machten, am
Leben zu bleiben.“).
Es kommt darauf an, wie man das Wort „Gott“ definiert. Der Einwand, das
Unendliche sei nicht definierbar, klingt tiefer als er ist, denn es geht hier
nur darum, die Bedeutung einer Vokabel anzugeben. Gehört reines Gutsein
wesentlich zu ihm? Dieser Begriff von „Reinheit“ also von Unvermischtsein mit
Bösem,. ist platonisch, nicht biblisch. Gehört das Verlangen nach Opfern zum
Begriff „Gott“? Will er Menschenblut sehen? Fordert er Tieropfer? Oder will er
Gehorsam statt blutiger Opfer? Ist er der wahre „König“? Dominiert er das
Gemeinwesen? Er sagt von sich, er sei „heilig“. Aber „heilig“ hieß bei ihm
lange Zeit soviel wie „abgegrenzt, erschreckend und unnahbar“. Es bedeutete
Todesdrohung für den, der sich ihm nahte. Er übte amoralische Magie: Er tötete
einen Mann, der zufällig und ungewollt die ins Rutschen geladene Bundeslade
berührte (2. Samuel 6,6-7). Er nannte sich „Vater“, aber auch „Herr der
Heerscharen“. Sein Konzept der Vaterschaft war einseitig hart. Es besagte nicht
„Liebe“ in unserem Wortsinn. Er war nicht der Vater aller Menschen, sondern der
Besitzer eines besonderen Volkes. Nicht selten wurde er zornig. …
Historisch gesehen ist Gott ein werdendes, ein vergängliches Wesen. Was wir von
ihm haben, was wir von ihm wissen, steht in Texten, die seine Wandlungen
belegen. Früher war er eifersüchtig bis zur wilden Wut auf Menschen, die einen
anderen Gott verehrten. Er forderte Intoleranz, die Zerstörung fremder
Kultstätten, die Zerschlagung von Götterbildern und das Umbringen der
Götzendiener. Sollte er das heute nicht mehr wollen, war das ein
unvorhersehbarer Wandel. …
(157) „Mose sagte zu ihnen: Warum habt ihr alle Frauen am Leben gelassen? … Nun
bringt alle männlichen Kinder um und ebenso alle Frauen, die schon einen Mann
erkannt und mit einem Mann geschlafen haben. 18 Aber alle weiblichen Kinder und
die Frauen, die noch nicht mit einem Mann geschlafen haben, lasst für euch am
Leben!“ (4. Buch Mose 31,15-17
(159) Ich bestehe auf meinem Widerwillen gegen verbrämende Abschwächungen, die
so tun, als sei der Gott der Bibel immer nur „lieb“. Könnte heute jemand wachen
Sinns Christ werden, der einmal das ganze Alte Testament gelesen hat? …
(164) Noch schwieriger ist es, dem Buch Exodus historisch Verlässliches über
Moses und den Auszug aus Ägypten zu entnehmen. Schon Goethe hatte seine
Zweifel, wieso die große Heeresmasse – 600000 Soldaten mit Kind und Kegel
(Exodus 12,37) – 40 Jahre gebraucht habe für eine Strecke, die in zwei Jahren
zu bewältigen gewesen wäre. …
(172) Zwar ist die Welt uns in Teilen begreiflich. Die Natur zeigt Gesetze,
die, selbst wenn sie nicht lückenlos gelten, doch den alltäglichen Umgang mit
ihr relativ sichern. …
Sehen wir einmal von den Verbrechen der Menschheit ab, vor allem von ihren
Kriegen – nicht um sie zu bagatellisieren, sondern nur, um für den Augenblick
die Argumentation zu vereinfachen –, so zeigt doch die außermenschliche Natur
unübersehbar Grausamkeit, Krankheiten und Tod. Erdbeben, Tsunami und
Überschwemmungen bedrohen das Leben von Tieren und Menschen. Meteoriten
verwüsteten die Erde, längst bevor es Menschen gab. Viele Tiere waren von
Anfang an darauf angewiesen, Mittiere zu töten und aufzufressen. …
Das Leben auf der Erde hat begonnen, und es wird vermutlich auf ihr ein Ende
finden. Sieht das nach einem guten, weisen und allmächtigen Schöpfer aus? Wäre
Gott zwar gut und weise, aber nicht allmächtig, dann könnte ihm niemand das
Unglück vieler seiner Kinder vorwerfen. Angesichts des ungeheuren Elends des
20. Jahrhunderts haben nachdenkliche Christen vorgeschlagen, auf Gottes
Prädikat „Allmacht“ zu verzichten. Aber dann verzichte ich lieber ganz auf
affirmative Sätze über das Satzsubjekt „Gott“. …
(174) Theologen sagten lange zur Entschuldigung Gottes, er habe das Schlechte
zwar zugelassen, aber nicht gewollt und bewirkt. Diese Aussage verschlimmert
die Lage nur, denn dann wäre Gott nicht wirklich der Herr der Welt. Er bewirkt
doch die Zulassung; er weiß doch, was er macht. …
(177) Augustin führte es auf die Erbsünde zurück, dass die Arbeit des Landmanns
schwer und die Geburt für die Mutter schmerzhaft ist. Sein bischöflicher
Kollege Julian, von höherer philosophischer Qualifikation, fragte zurück, warum
denn dann die Säugetiere unter Qualen gebären: Haben etwa auch sie vom falschen
Futter gefressen? Augustin ließ die ganze Natur durch die Erbsünde verdorben
sein. …
(178) Neuere Theologen bringen vor, das Problem der Leiden in der Welt werde
dadurch gelöst, dass Gott selbst mit uns leide. Dieses Argument ist untauglich
aus mehreren Gründen.
Zunächst wird unser Leiden nicht dadurch erträglicher, dass ein anderen Mensch
mit uns leidet wie Jesus am Kreuz….
Auch wenn Gläubige sich gestärkt fühlen, wenn sie einen göttlichen Leidensgenossen sehen, bleibt die Frage, ob man es der
Welt ansieht, dass ein guter und allmächtiger Gott sie weise erschaffen hat.
Danach sieht sie aber nicht aus; geschichtliche Berichte über das Leiden eines
Gerechten taugen nicht zur Rechtfertigung Gottes. …
(197) Wo immer die christliche Botschaft genau genommen und korrekt gepredigt
wird, liegt ihr bis heute Augustins Gnadenlehre der Jahre nach 397 mit einigen
Abweichungen zugrunde. Zum fortwirkenden Grundbestand gehören insbesondere
folgende Vorstellungen: …
+ Adams Sünde ist die weltgeschichtliche Urkatastrophe; durch sie erst sind
Krankheit, Tod und Konkupiszenz (Neigung zur Sünde – JK) in die Welt gekommen;
+ was allen geschieht, die nicht von einer Jungfrau geboren sind, lautet in
kraftvoll lutherischen Wendungen so: Sie werden „in Sünden empfangen und
geboren, das ist, dass sie alle von Mutter Leibe an voll böser Lust und Neigung
sind, keine wahre Gottesfurcht, keinen wahren Glauben an Gott von Natur haben
können … dass sie untüchtig sind zu allen Gottes Sachen“;
+ Gott liebt die Menschen, besteht aber auf Genugtuung; er fordert ein
Sühneopfer wegen der unendlichen Beleidigung durch den Apfelbiss;
+ der erzürnte Gott kann allein besänftigt werden durch die Tötung des
Gottessohns am Kreuz. …
(199) Als die Erlösungsidee noch in ihrem ambivalent-schillernden Glanz stand,
enthielt sie bei Protestanten und Katholiken archaisch-befremdliche Nuancen,
dunkle Schatten und urtümliche Reste, die oft übersehen, vertuscht oder
abgeschwächt werden, als sei „Erlösung“ nichts anderes als der Erweis der Liebe
Gottes zu den Menschen. Aber die Quellen sprechen eine ganz andere Sprache: Sie
reden von Sühneopfer und von Besänftigung des Zornes Gottes, von „Loskauf“ und
Lösegeld. Da wird ein „Schuldschein“ zerrissen. Es heißt, der Tod am Kreuz
schaffe „Genugtuung“, Gottvater verlange von seinem geliebten Sohn Blut und Tod
als Sühneopfer. Dem Sohn widerstrebt das, aber er gehorcht. Der Sündenlose
bringt sich stellvertretend für die Sünder am Kreuz dar. Gottvater verlange es
von ihm, weil er die Menschen liebe. Die Liebe geht aber nicht so weit, auf
Kompensation zu verzichten. Gottes Liebe zeige sich bei der Erlösung daran,
sagen Theologen, dass er das Tier oder den Menschen gibt, die als Opfertier ihr Blut geben. Seine Liebe ist dadurch …
man könnte sagen, … begrenzt oder sogar: durchkreuzt, dass er im Bewusstsein
seiner hohen Würde Schadenersatz verlangt für die Beleidigung durch den
Ungehorsam Adams, der für die gesamte Menschheit sprach. Die Verletzung sei auf
Seiten Gottes unendlich groß gewesen, deswegen bestehe er auf Wiedergutmachung.
Die könne aber nur ein Mensch leisten, der ohne Zutun eines Mannes von einer
Jungfrau geboren wurde. Denn die Libido bei der normalen Erzeugung eines
Menschen übertrage die Schuld Adams auf alle anderen. Gott gewährt der
Menschheit Verzeihung, aber nicht formlos, nicht ohne blutige Vermittlung. …
(200) Es war im August 1942; es regnete zum ersten Mal Bomben auf meine
Heimatstadt … der Kaplan überlegte in der Religionsstunde laut: Wenn Gott uns
nicht erlöst vom Krieg, nicht von unserem Hunger und unserer Todesangst, müssen
wir ihm dann nicht sagen, er könne auch den Rest für sich behalten? …
(201) Gottes Zorn wurde gestillt, indem wir seinen eigenen Sohn töteten.
Irgendwie muss das Gott gefallen haben. Er hat es
jedenfalls so gewollt und hat dazu seinen Sohn auf die Erde geschickt. …
(203) Es gibt noch andere Bedenken: Christus soll doch Gott sein. Wenn er aber
Gott war, dann versöhnte er sich durch seinen Kreuzestod mit sich selbst. Die
zweite Person der Trinität mit der ersten? …
(206) Will Gott, dass alle Menschen
erlöst werden? Das Heil, das er Israel versprach, sollte exklusiv diesem Volk
gelten. Es war nicht primär individuell konzipiert als Ziel eines individuellen
Weges, und schon gar nicht für Individuen der anderen Völker. …
Nur wer sich bekehrte, konnte erlöst werden. Dazu musste die christliche
Predigt ihn erreicht haben. Das war aber nicht überall der Fall, weder im Jahre
400 noch später. Die überwiegende Mehrheit der Menschen war noch immer
ungetauft … Trotzdem galt theoretisch lange der universale Heilswille Gottes.
Aber gehört er nicht zum Wesen des Christentums? Ist der Gott des Neuen Bundes
nicht die Liebe? … Weder der Jesus der Evangelien noch Paulus haben gesagt,
dass Gott die Liebe sei. Der Satz kommt zweimal in der Bibel vor, und zwar im
1. Johannnesbrief 4,8 und 4,16. …
Der 1. Brief sagt unmissverständlich, dass Gott seine Kinder liebt. Seine
Kinder sind aber allein die, die Jesus von der Sünde befreit hat und die
deshalb im kommenden Zorngericht bestehen werden. Alle anderen Menschen stammen
vom Teufel: ihnen gilt Gottes Liebe nicht: 1 Johannesbrief 3,1-10. Es gibt
Kinder des Teufels, und es gibt Kinder Gottes. „Wir“ sind die Kinder Gottes.
„Wir“ sollen uns lieben … Die Liebe des Christengilt hier schon nicht mehr dem
„Nächsten“, sondern nur dem miterlösten Glaubensbruder. Wer seinen Bruder
liebt, bleibt im Licht. … Jeder, der nicht erklärt, Jesus sei der Retter,
stammt vom Antichrist. … Dieses exklusive Gruppenbewusstsein schränkt die Liebe
Gottes auf die Gläubigen ein. …
(208) (Johannesevangelium) Jesus wirft „den Juden“ vor, sie glaubten nicht an
ihn, weil sie nicht aus Gott sind: „Ihr habt den Teufel zum Vater“ (Joh. 8,31;44). … Nur wer wiedergeboren wurde „aus dem Wasser und dem
Geist“ (Joh.3,3-7), gehört zu den Söhnen. Man muss
getauft sein, um von Gott geliebt zu werden. Die Liebe Gottes zur Welt besteht
darin, dass er seinen Sohn dahingab, damit jeder,
der glaubt, das ewige Leben habe (Joh.3,16). Nur
wer an den Sohn glaubt, wird vom Vater geliebt. … Der Jesus des
Johannesevangeliums lehnt es ausdrücklich ab, für alle zu beten. Er betet nur
für die, die aus Gott sind (Joh.17,9-19). …
(217) (Matthäusevangelium) … sind es die „geringsten Brüder“, denen wir Hilfe
schulden, keineswegs alle Armen dieser Erde. Juden uns Heiden zu helfen, das
wird nicht verboten, aber der primäre „Nächste“ ist das Gemeindemitglied. …
(218) (10 Gebote) Ich beginne mit den sozialethischen Verboten (5. Buch Mose
17-21). Zuerst kommt das Verbot, Stammesgenossen zu töten. Wer übersetzt: Du sollst nicht morden!, hat insofern recht, als das Töten
im Krieg erlaubt war. Auch Hinrichtungen galten als rechtlich. Vom Töten der
Tiere ist ohnehin nicht die Rede; Schlachtopfre forderten Gott und seine
Priester.
Es folgt das heutige sechste Gebot: Du
sollst nicht ehebrechen! (Vers 18). Es führt nicht die Monogamie ein. Es
verbietet nicht den sexuellen Verkehr des Sklavenbesitzers mit seinen Sklavinnen.
Vom Geschlechtsleben Unverheirateter ist nicht die Rede. Geschützt wird die Ehe
als Institution. …
Niemand, auch kein Gott, könnte im Orient das Lügen verbieten. Homer hat es
bewundert. Daher verbietet Vers 20 nur das falsche Zeugnis vor Gericht. …
(221) Israel soll … diesem Gott anhangen:
„Höre Israel! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig. Darum sollst Du den Herrn,
deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft.“
(5. Buch Mose 6,4).
Sofort wird dieses Liebesgebot erklärt: Israel soll sich exklusiv verstehen und aggressiv
gegen die Ureinwohner vorgehen: „Ihr sollt ihre Altäre niederreißen, ihre
Steinmale zerschlagen, ihre Kultpfähle umhauen und ihre Götterbilder im Feuer
verbrennen“ (5. Buch Mose 7,5).
(227) (Bergpredigt) Vom Ganzen der Synoptiker her gelesen, stehen alle
ethischen Aussagen unter der Bedingung des nahenden Weltendes. Man hat daher
von „Interimsethik“ gesprochen. Jedenfalls erklärt dies den radikalen Verzicht
auf Daseinsfürsorge, auch die Feindesliebe. Es beschränkt die Geltung dieser
Imperative. Die Welt ist nicht untergegangen. Jesus hat sich über das nahe Ende
getäuscht. Wir stehen ethisch unter veränderten Bedingungen. Die Bergpredigt
kann heute nicht ohne neue Prüfung der ethischen Orientierung dienen. Kleien
radikale Gruppen mögen sich eine Weile an ihr orientieren; Familienväter,
Republiken und Großkirchen können das nicht. …
die jesuanische Zuspitzung beruht auf dem Irrtum, das Ende sei nahe. Wer davon
absieht, erzeugt nur Radikalrhetorik. An kohärente Weltgestaltung ist in der
Bergpredigt nicht gedacht. …
(253) Ja, ich bin kein Christ, wenn man unter einem Christen jemanden versteht,
der an Gott, an ein Leben nach dem Tod und an die Gottheit Christi glaubt. Bist
du also Atheist? Nein. Die Argumente für die Existenz Gottes überzeugen mich
zwar nicht, aber auch die Nicht-Existenz Gottes kann ich nicht beweisen. Zwar
höre ich Theisten jubeln, wenn der Atheismus unbewiesen dasteht, aber dazu
haben sie keinen Grund, denn außer ihrer Position bleiben dann unendlich viele
andere offen. Sie sind
beweispflichtig. …
(254ff.) Wie fühlt es sich an, wenn man kein Christ mehrt ist? Jedenfalls
anders, als Prediger behaupten. Sie sagen gern, ein Leben ohne Gott und ohne
Glauben sei sinnlos. Sie malen sich den Ungläubigen aus, als sehne er sich nach
seinem Kinderglauben zurück, als fehle ihm etwas Wesentliches. Beklagt er nicht
wenigstens die Abwesenheit Gottes? Sollte er nicht Zeugnis ablegen von der
entstandenen Leere? Sucht er nicht Geborgenheit, Zuversicht? Braucht er nicht
Lebensmut aus Lebenssinn? Wohlwollende Christen blicken ihn mit mitleidigem
Auge an …
Mein Fall ist ein anderer: Ich habe Gott gesucht und habe ihn nicht gefunden. …
Ich streiche Jesus nicht aus meiner Vorstellungswelt. … Ich weiß sehr wenig
von ihm, Aber sicher ist, dass er in den Evangelien nicht sagt:
Ich bin wahrer Gott, und zwar die zweite Person der Trinität, außerdem bin ich
vollständiger Mensch und lasse mich für euch kreuzigen, damit ihr von der
Erbsünde befreit werdet und Gott euch wieder gnädig ist. …
Im Übrigen schildern ihn die Evangelien so sanft nicht, wie heute oft die
Pastoren: Er hat Ungläubigen ewige Höllenstrafen angedroht. Er hat sich und
andere über das nahe Weltende getäuscht (Belege: Markus 9,1; Matthäus 10,23;
16,28; 24,34; 26,64; Paulus 1. Thess. 4,15-17). Er hat es abgelehnt, „Gott“
gleich gesetzt zu werden (Markus 10,18). Am Kreuz sah er sich von Gott
verlassen (Markus 15,34). Er hat auch Bizarres getan: Er hat böse Geister
ausgetrieben und in eine Herde von zweitausend Schweinen verbannt, die sich
dann in einen Fluss gestürzt hat (Markus 5,11-14). Er hat einen Feigenbaum zum
Verdorren verdammt, nur weil er außerhalb der Erntezeit für ihn keine Früchte
trug (Markus 11,10-14). …
(257) Der alttestamentliche Gott – religions- und ideengeschichtlich von großem
Interesse – ist archaisch-grausam. … Die geschichtlichen Berichte zeigen ihn
nicht als Weisen; er fürchtet Konkurrenz; er bereut und vernichtet die
Menschheit bis auf einen Liebling (Noah – JK) … Gott verhängte die Todesstrafe
für unverschuldetes Berühren der Bundeslade (2. Samuel 6,6-7). Der christliche
Glaube hat Menschen in lebenswichtigen Dingen irregeführt, indem er z.B.
versicherte, es gebe Hexen (2. Buch Mose 22,17). Agnostiker schmunzeln, wenn es
Gott gut tut, dass Salomo ihm 22000 Rinder und 120000 Schafe opfert (2. Chronik
7,5). Sie vermuten aber, es sei erzählerische Großmäuligkeit im Spiel.
(261) Der Herr sprach zu Moses, wen er als Priester nicht will:
„Denn keiner mit einem Gebrechen darf herantreten: kein Blinder oder Lahmer,
kein im Gesicht oder am Körper Entstellter, kein Mann, der einen gebrochenen
Fuß oder eine gebrochene Hand hat, keiner mit Buckel, Muskelschwund, Augenstar,
Krätze, Flechte oder Hodenquetschung. Keiner der Nachkommen Aarons, des Priesters,
darf herantreten, um die Feueropfer des Herrn darzubringen, wenn er ein
Gebrechen hat.“ (3. Buch Mose 21,18-22).
(262f.) … jüdisch-christliche Tradition. Sie ist auch ein Bildersaal produktiver religiöser Erfindungen: Ein Gott,
der im Stall in der Krippe liegt. Ein Gott, der die Menschen vom Himmel
besuchen kommt und den sie töten. Der Geist, der in Fischer fährt und sie in
allen Zungen reden macht. Ein Weltenrichter, der die
zur Hölle schickt, die korrekt immer „Herr, Herr!“ gesagt
haben, und der nur die aufnimmt, die Hungernden zu essen gaben. Das sind
Bildideen, die dem Nachdenken bleiben. …
Wer religiöse Reden poetisch nimmt, hat kein Toleranzproblem …
Wer kein Christ mehr ist, verliert nicht den Zusammenhang mit der christlichen
Kultur. Er achtet ihren Bildervorrat, hört Monteverdis Marienvesper und besucht
den frommen Bildersaal der Kunstgeschichte. Er betritt offen – so distanziert
wie beeindruckt – die Kathedrale von Chartes, auch wenn er nicht kommt, um zu
beten. Er freut sich an der Legendenwahrheit, dass Franziskus den Vögeln
predigte. …
… das Poetische der Religion, bei dem kein denkender
Mensch fragt, ob es „wirklich“ passiert sei. Ich kann an dieses Wunder
„glauben“ und gleichzeitig sagen, es sei Legende: ich zähle den Vorgang nicht
zur Welt der Fakten. …
(265) Ich war ein langsamer Nestflüchter. Am Ende stand das ruhig gewonnene
Resultat: Ich war kein Christ mehr.
Gott gesucht und nicht gefunden
Kann man heute noch Christ sein? Der Philosoph und Historiker Kurt Flasch,
Fachmann für die Geschichte des mittelalterlichen Denkens, erklärt seinen
Abschied von der Kirchenlehre.;
Flasch, 83, geboren und aufgewachsen in Mainz, war bis 1995 Professor für
Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum.;
… SPIEGEL: Kann man überhaupt aus dem Christentum aussteigen? Sind wir als
Europäer nicht alle Christen, ob gläubig oder nicht?
Flasch: Doch, das sind wir. In dem Sinne bin ich auch ein Christ. Ich brauche
keine Nachhilfe in Kirchengeschichte und Kirchenkunst. Die Kathedralen, die
Bilder und Kunstwerke gehören nicht mehr der Kirche, sie gehören der
Menschheit.;
Flasch: Man kann sich nicht auf die Existenz der Kunstwerke berufen, um die
christliche Lehre zu rechtfertigen. Die Ästhetik des Christentums begründet
nicht die Wahrheit seiner Glaubenssätze. Wenn ich sage, ich kann zwar nicht
glauben, aber ich bekenne mich als Christ, weil das Christentum Gewaltiges,
Herrliches hervorgebracht hat, führt das nur wieder zu schwierigen
Kompromissen.;
SPIEGEL: Bedauern Sie den Verlust Ihres Glaubens manchmal?
Flasch: Ich leide nicht an Phantomschmerz. Wer das Christentum bewusst
aufgegeben hat, verlangt nichts von all dem, was als Religionssubstitut üblich
ist. Ich habe kalt und ersatzlos abgeschlossen, ich lasse die Stelle leer.
Daher bin ich auch nicht verpflichtet, an die Stelle des christlichen Glaubens
etwas Besseres zu setzen.
SPIEGEL: Sie agitieren nicht wie ein militanter Atheist.
Flasch: Das Etikett Agnostiker lasse ich in Bezug auf mich allenfalls
durchgehen, Atheist nicht. Denn ein Atheist traut sich zu, er könne beweisen,
dass kein Gott sei. So zuversichtlich bin ich nicht.
SPIEGEL: Es ist schwer, die Nichtexistenz zu beweisen?
Flasch: Zwar höre ich die Theisten jubeln, wenn der Atheismus unbewiesen
dasteht, aber dazu haben sie keinen Grund, denn sie sind beweispflichtig. Alle
Argumente, die ich für den christlichen Glauben gehört, gelesen und geprüft
habe, konnten mich nicht überzeugen. Sie sind mir unter der Hand zerkrümelt.
Ich bin kein Christ, wenn man unter einem Christen jemanden versteht, der an
Gott, an ein Leben nach dem Tod und an die Gottheit Jesu Christi glaubt. Ich
bin auch kein Suchender: Ich habe Gott gesucht und nicht gefunden, denn bei
genauem Hinsehen bröckelte die barocke Stuckherrlichkeit alter dogmatischer
Beweispaläste.
SPIEGEL: Gibt es gar keinen Wahrheitsgehalt, den Sie dem christlichen Glauben
zubilligen?
Flasch: Muss man an Gott glauben, um religiöse Erzählungen sinnvoll und
erbaulich zu finden? … Die christliche Tradition ist auch ein Bildersaal
produktiver religiöser Erfindungen. Sie beginnt mit einem Gott, der im Stall in
der Krippe liegt, und endet mit dem Weltenrichter, der die einen bei sich
aufnimmt und die anderen zur Hölle schickt. Das sind Bildideen, die dem
Nachdenken bleiben. Ohne den objektivistischen Wahrheitsbegriff der Dogmatiker
blühen die Metaphern auf. Ich kann damit etwas anfangen und gleichzeitig sagen,
es sei Legende; ich darf den Vorgang nur nicht zur Welt der Fakten zählen. Wer
religiöse Reden poetisch nimmt, hat übrigens auch kein Toleranzproblem, er
gewinnt Argumentationsfreiheit. Eine aufgeklärte Philosophie der Offenbarung
kann sich diesem poetischen Reichtum öffnen.;
… Gegen Kriegsende, als ich meine Mutter und meinen Bruder einen halben Meter
von mir entfernt im Bombenhagel verloren hatte, selbst verschüttet und mit 14
Jahren allein zurückgeblieben war, hätte ich einige Monate kaum überlebt ohne,
sagen wir mal so, die Hoffnung auf Unsterblichkeit.
SPIEGEL: Der Glaube spendet Trost.
Flasch: Ich wollte meine Mutter im Himmel wiedersehen. Ich habe meine Mutter sehr
geliebt, und ich habe mich immer geliebt gefühlt. Aus Liebe zu meiner Mutter
war ich dann auch fromm.
SPIEGEL: Sie brauchten das Gottvertrauen?
Flasch: Die Metapher "Himmel" hat inzwischen die biblische Herkunft
abgestreift, die Vorstellung des Himmels ist derart ausgedünnt, dass
christliche Prediger darüber lieber schweigen. Aber wenn jemand sie braucht,
dann braucht er sie eben. Das will ich gern anerkennen. Allerdings, wenn
er mit mir diskutiert und behauptet, er wisse, dass es den Himmel gebe, dann kriegt
er Einwände zu hören.
(Der Spiegel 43-2013 S.132ff - http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-117180398.html )
·
Martin
Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments:
An welchen Gott glauben Sie?
Ich bin auf ein katholisches Gymnasium gegangen. Ich hatte eine sehr gläubige
Mutter und einen religiös passiven Vater. Als Kind glaubte ich an Gott, doch
der ist mir mit den Jahren verloren gegangen. Für mich sind wir Menschen das
Resultat eines natürlichen Prozesses, mit unserem Tod hört unsere geistige
Existenz auf. Es gibt eine Ausnahme, die für mich beweisen könnte, dass es doch
einen Gott gibt: die Musik. Sie entsteht aus Materiellem, ist aber weder
sichtbar noch greifbar. Aber sie existiert. Wenn es etwas Göttliches gibt, dann
ist es für mich Musik.
(Chrismon, 1-2014 S.22)
·
Die
Kirche wird zu einem Dienstleister für das gehobene Ritual.
(Der Spiegel 52-2013 S.120)
·
Atheismus
ist immer noch erlaubt
Ohne Religion geht gar nichts. Ohne Religion würde auch die Demokratie
letztlich nicht funktionieren - das ist die erstaunliche Behauptung, die jetzt,
den neuen Religionskonflikten zum Trotz, ständig wiederholt wird. Gefragt
wird allenfalls und allerorten: Was darf Religion? Die übliche Antwort ist im
Grunde keine: Religion sei unabdingbar, sei ein Wert an sich. Ohne Gott kein
moralisches Handeln. Und die Atheisten? Immerhin kritisierte der
Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche kürzlich in der ZEIT die Ausgrenzung
von Atheisten, um dann freilich in das altbekannte Horn zu stoßen, dass
humanitäre Verpflichtung am stärksten durch den Glauben zu begründen sei. Er
tat das sehr differenziert, beeindruckend selbstkritisch auf Historie wie
Gegenwart der Kirche blickend – letztlich aber eben doch.
Ein zentrales Argument der Religionsverteidiger lautet, dass ein Mensch, der
sich keiner höheren Instanz verantwortlich fühle, für unmoralisches Handeln
prädestiniert sei. Wenn wir aber die Angst vor Autoritäten, die Furcht vor
Gottesstrafen und das Hoffen auf Belohnung im jenseits als pädagogisches
Prinzip verteidigen, erziehen wir zur Unmündigkeit. Geschichte wie Gegenwart
zeigen, dass Religion alles andere als eine Garantie dafür ist, menschlich zu
handeln. Das Jahrhundert der atheistisch motivierten Verbrechen haben wir
hinter uns. Heute sind religiöse Extremisten und theokratische Staaten das
Problem. Deren Organisationen ähneln den untergegangenen Diktaturen in
verblüffender Weise: Ihre Hierarchien werden dominiert von alten Männern, die
die Zukunft weisen; Dissidenten werden hasserfüllt verfolgt, Dogmen gepflegt.
Hinzu kommt eine Lustfeindlichkeit, die nicht nur Sex
und Erotik betrifft, sondern auch weite Gebiete von Kunst bis Küche.
(Die Zeit 18.8.2016 S.50)
·
Sind Ungläubige die besseren Menschen?
Es gibt eine Glaubensrichtung in Deutschland, die seit 50 Jahren ungebremsten
Zulauf hat, und das ist der Unglauben. Die Konfessionsfreien sind eine
gesellschaftliche Gruppe, von der kaum je die Rede ist, vielleicht Weil vor
lauter Debatte über den Islam (vier Prozent der Bevölkerung) keine Zeit bleibt.
Die Gottlosen tauchen erstmals um 1970 in der deutschen Statistik auf. Schon
vor der Wiedervereinigung mit der atheistischen DDR erhöht sich ihre Zahl
markant, und heute sind sie mit gut 38 Prozent die mit Abstand größte Gruppe,
weit vor den Katholiken oder den Protestanten (Konfessionsfreie: 1970: 4%;
1987: 11%; 2004: 32%). Global betrachtet verstehen
sich laut Schätzungen rund 800 Millionen Menschen als ungläubig, jeder zehnte
auf Erden. Und anders als mit vielen religiösen Eiferern ist mit diesen
Menschen sehr wohl ein Staat zu machen. Sie glauben statt an Außerweltliches an
den irdischen Gemeinsinn, an Toleranz, an Menschenrechte, wie Erhebungen des
Religionssoziologen Phil Zuckerman zeigen. Der hat auch belegt, dass Ungläubige
im Schnitt besser gebildet, Weniger fremdenfeindlich, weniger homophob,
gleichberechtigter und weniger gewalttätig sind als ihre religiösen
Mitmenschen. Die Gottlosen gehören längst zum Kern der Gesellschaft. Und sorgen
dort mit ihrer aufgeklärten Haltung auch dafür, dass jene, die an einen Gott
glauben wollen, egal an welchen, das auch weiterhin dürfen. Etwa um 2025, so
glauben Fachleute, wird mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung keiner
der beiden großen Kirchen mehr angehören.
(Der Spiegel 49/2016 S.70 – Reihe “Früher war alles schlechter“)
·
Führen
uns heilige Bücher in die Zukunft?
Denn sie sind die Projektionen vormoderner Menschen auf Gott
Von Hamed Abdel-Samad (geboren 1972, deutsch-ägyptischer Politikwissenschaftler
und Buchautor) …
Um in die Zukunft der Religion und unsere Zukunft mit ihr blicken zu können,
lohnt es sich, einen Blick in die Vergangenheit der Religion zu wagen. Wie ist
die Idee von Gott, wie die Konzeption heiliger Bücher entstanden? Wie hat sich
die Religion zu einer Weltmacht entwickelt?
Als wir im Rahmen der Evolution zu Menschen wurden, standen wir ziemlich
alleine da. Wir waren einsam und hatten Angst. Wir waren umgeben von vielen
Naturphänomenen und Gefahren, die wir weder abwehren noch erklären konnten. Wir
sahen, wie unsere Mitmenschen vor unseren Augen getötet wurden. Wir wollten
wissen, wohin sie nach dem Tod gehen, aber bekamen keine Antwort. Wir selbst
mussten töten, um zu überleben, und später töteten wir, um uns zu bereichern.
Überlebenskampf, Angst und Schuldgefühle belasteten uns.
Aber unerklärliche Phänomene und Naturschauspiele beflügelten auch unsere
Fantasie. Wir sahen die Vögel, wie sie frei am Himmel flogen, und wünschten
uns, Flügel wie sie zu haben. Wir sahen die Bäume, wie sie ihre Wurzeln tief in
die Erde schlugen, wie ihre Äste und Blätter mit dem Wind tanzten, wie sie in
voller Blüte standen und Früchte trugen. Wo waren unsere Wurzeln? Wir fragten
uns, wie sich unsere Unzulänglichkeiten lindern ließen.
Deshalb erfanden wir eine transzendentale Macht und projizierten all das auf
sie, was wir nicht sein konnten. Anfangs beteten wir die Sonne, die Sterne, das
Wasser und die Steine an. Weil wir vergänglich sind, war für uns alles, was uns
überdauert, Gott. Später beteten wir weibliche Götter an, Isis und Ishtar, weil
sie, wie die Natur, Leben in sich tragen und Lebengeben. Dann kam unsere
Arroganz als Männer: Wir wollten uns die Erde untertan machen. Wir erfanden den
himmlischen Gott und nannten ihn vollkommen, weil wir Mangelwesen sind. Wir nannten
ihn Frieden, weil wir voller Gewalt sind. Wir nannten ihn Richter, weil wir uns
nach Gerechtigkeit sehnten. Weil wir trotzdem Probleme mit unseren
Unzulänglichkeiten hatten, stellten wir uns vor, auch wir könnten
Vollkommenheit erlangen. Gott würde uns dabei helfen, er würde uns genau sagen,
was er von uns erwartet, damit wir vollkommen würden. Deshalb erfanden wir die
heiligen Bücher, die Gebote und Verbote, die Scharia und die Strafe.
Doch dabei übernahmen wir uns. Wir konnten die Gebote nicht erfüllen, weil wir
nicht für die Vollkommenheit gedacht waren. Und so erfanden wir zuerst die
Sünde und dann den Teufel, damit wir die Verantwortung für unser sündhaftes
Verhalten an ihn als Sündenbock abgeben konnten. Er war der große Verführer,
der uns in die Falle lockte. Was aber konnte den potenziellen Sünder von der
Sünde abhalten? Mit dieser Frage war die Idee zur Hölle geboren. Die
Vorstellung, man könne eines Tages tief unter der Erde in einem Feuer schmoren,
versetzte uns in Verzweiflung. Wir glaubten, daran zu ersticken – und erfanden
die Barmherzigkeit Gottes. Er würde uns erretten und uns im Paradies mit
offenen Armen empfangen. Das hielten wir in unseren heiligen Schriften fest.
Nun sind Jahrtausende vergangen, seitdem wir die Idee von Gott in die Welt
eingeführt haben. Es gibt Tausende Vorstellungen von diesem Gott. Der
friedliche Mensch konnte sich mit einem liebenden Gott identifizieren, der die
Menschen aufruft, ihre Feinde zu lieben. Er geht selbst mit gutem Beispiel
voran und stirbt, um die Menschen zu erlösen. Andere konnten in einem wütenden,
strafenden Gott ihr Heil finden, der von ihnen verlangt, sich für ihn zu
opfern. In seinem Namen konnten sie zum archaischen Menschenbild zurückkehren
und enthemmt töten und vergewaltigen, um – so sagen sie – Gottes Plan und
seinen Auftrag zu erfüllen.
Die Wissenschaft hat unterdessen die meisten Phänomene erklärt, die damals zur
Genese von Gott beitrugen – und die modernen Verfassungen haben die vormodernen
Konzepte durch Gesetzgebung abgelöst. Dennoch lebt die Religion weiter. Es
haben sich Normen, Gründungsmythen von Nationen und Erinnerungskulturen
etabliert, die weder durch Säkularisierung noch durch Religionskritik
relativiert werden können. Drumherum sind Geschäftsideen entstanden: das
Geschäft mit der Hoffnung, das mit der Angst, die Pilgerfahrten, alter und
moderner Ablasshandel. Man muss nur den Bereich »Islamic Banking“, das Vermögen
der katholischen Kirche oder den Kirchenanteil am Bildungs- und
Gesundheitswesen in Deutschland in Betracht ziehen, um die Dimension der
Religion als Wirtschaftsmacht einzuschätzen, von Dschihad und Bereicherung
durch Eroberungskriege ganz zu schweigen.
Dabei merkt man, dass es zwei entgegengesetzte Prozesse gibt. Je reicher und
einflussreicher die religiösen Institutionen werden, desto ärmer werden diese
Religionen, was Spiritualität angeht. Je lautstärker Islamisten werden, desto
trockener und materialistischer wird der Islam. Je reicher der Vatikan wird,
desto leerer werden die Kirchen. Im Islam gibt es heute mehr Atheisten als in
seiner gesamten Geschichte in über 1400 Jahren zusammen. Dazu kommt eine innere
Abwanderung zum Sufismus, dahin, wo es keine Moscheen, keine Scharia, keine
Hasspredigten und keinen Dschihad gibt. Während christliche Würdenträger den Tod
des Christentums in Europa befürchten, erlebt dieselbe Religion in China eine
Renaissance. Dort wo der Materialismus mit Mangel an Spiritualität gepaart ist,
findet das Christentum jenseits von Macht und Geld ein neues Terrain. Trotz des
von Terror und Gewalt überschatteten Bildes vom Islam suchen nach wie vor junge
und alte Menschen in Europa sozialen und spirituellen Halt in dieser Religion.
Jenseits der Religionen boomt wiederum das Esoterik-Geschäft.
Welche Form der Religion kann uns in die Zukunft begleiten? Die
Menschheitsgeschichte liest sich als die Geschichte der Suche nach Gott und der
Emanzipation von Gott zugleich. Wie viel Emanzipation ist noch nötig? Und wie
viel Suche?
Eine Religion, die auf politische Macht, Exklusivität und Gewaltsetzt, hat
sicherlich keine Zukunft. Manche Religionen werden verschwinden, manche werden
zur Folklore, manche werden zum Schatten ihrer selbst werden. Doch wir werden
nicht religionsfrei leben. Denn das, was die Religion ausmacht, macht uns
Menschen aus: Angst, Hoffnung, Weisheit, Dummheit, Hass und Liebe,
Selbstüberschätzung und Demut. Deshalb mag ich – bei aller Religionskritik –
Moscheen, Kirchen, Synagogen und Tempel. Ich fühle mich dort immer sehr wohl
Nicht weil es Gotteshäuser, sondern Orte voller Gefühle, Orte der Sehnsucht
sind, in denen der Mensch innehält, mit sich – oder auch einer höheren Macht –
das Gespräch sucht, in Form eines Gebetes oder auch nur schweigend. Das, was
der Mensch in der Religion sucht, ist Halt und Aufgehobensein. Die Sehnsucht,
die ich meine, wohnt allen Menschen inne, sie macht uns gleich und trennt uns
nicht voneinander.
Wenn wir von den heiligen Büchern sprechen, sollten wir daher nicht Mächte
meinen, die uns nach inhaltlich-religiösen Aspekten voneinander trennen. Wir
Menschen bilden eine Schicksalsgemeinschaft auf dieser Welt. Wir sollten uns
daran erinnern, dass wir alle die Sehnsucht nach Liebeteilen. Eine Liebe, die
verzeiht und uns annimmt, mit allunseren Schwächen. Egal, ob wir Christen,
Muslime oder Atheisten sind. Egal, welche Hautfarbe wir haben oder Wo wir
leben. Diese Liebe brauchen wir – aber keine göttliche Instanz (oder unser
Konstrukt einer solchen Macht), die uns für unsere Unzulänglichkeiten geißelt,
die Bedingungen stellt, Mitgefühl nach Religion und Rasse spendet und die
Barmherzigkeit nur nachblinder Gefolgschaft und Unterwerfung verteilt.
Oft höre ich den Satz: Der Islam braucht einen Martin Luther, um den Weg in die
Zukunft zu finden. Ich finde, der Islam braucht keinen Luther, sondern einen
Erasmus von Rotterdam und einen Moses Mendelssohn, die eine Bildungsrevolution
in ihm herbeiführen. Er braucht eine Coco Chanel, die Muslime vom Korsett der
eigenen Tradition befreit. Und er braucht eine Monthy-Python-Gruppe, die ihn
durch Satire auflockern könnte. Wer einen neuen Luther brauchen kann, das ist
das Christentum. Ein moderner Luther würde den Kirchen nahelegen, sich aus der
Politik, den Medien und der Wirtschaft zurückzuziehen und sich der
Spiritualität zu widmen. Vielleicht würden dann auch die Kirchen wieder voller
– und die Politik in Bezug auf die Islamverbände und andere
Glaubensgemeinschaften handlungsfähiger.
Doch bei aller Sehnsucht nach Veränderung sollten wir nicht davon träumen, die
heiligen Bücher abzuschaffen. Wir dürfen allerdings verlangen, dass uns ihre
Gottesbilder nicht in die Zukunft führen. Wir müssen unsere Beziehung zu diesen
Büchern verändern. Ihre Inhalte sind die Projektion vormoderner Menschen auf
Gott. Wir aber müssen danach fragen, was wir Menschen voneinander erwarten, wie
wir jenseits von Religion und Rasse miteinander friedlich leben können.
Wir müssen Abschied davon nehmen, den heiligen Büchern angebliche Pläne Gottes
zu entnehmen. Denn selbst wenn wir nur die friedlichen Passagen dieser Bücher
betonen, können wir andere nicht daran hindern, das Gewaltpotenzial derselben
Bücher abzurufen. Deshalb sage ich: Weil wir die Spiritualität brauchen,
brauchen wir einen postreligiösen Diskurs!
(Publik Forum 7-2017 S.34)
·
Die
Nackedeis aus Eden
Mythen Wer hat eigentlich Adam und Eva erfunden? Der Kulturwissenschaftler
Stephen Greenblatt erzählt von Babylon, einem Mönch mit Sexproblem und böse
spottenden Dichtern – die Geschichte des wirkmächtigsten Märchens der Welt.
… Augustinus war es, der die Paradieserzählung mit dogmatischer Schärfe als buchstabengetreue
Wahrheit nahm. Und er gebar auch den Gedanken, dass die Schuld, die Adam und
Eva auf sich luden, seither auf der ganzen Menschheit laste. Jeder werde als
Sünder geboren und gebe die Erbsünde an die nächste Generation weiter.
„Menschliche Sünde“, resümiert Greenblatt, „ist eine sexuell übertragbare
Krankheit.“ …
Rätselhaft bleibt zum Beispiel die Geschichte von Kain, dem ältesten Sohn von
Adam und Eva. In der Genesis heißt es, er habe sich ein Weib genommen. Doch
woher kam diese Frau, wenn doch nirgends von einer Tochter Adams und Evas die
Rede ist? Kain gründete eine Stadt – für wen, wenn da doch niemand sonst War,
der auf Erden lebte? Er fürchtete sich, gefunden und ermordet zu werden – von
wem, wenn er doch allein mit seiner Familie war? Im 18. Jahrhundert, dem
Zeitalter der Aufklärung, wurde die Kritik an der Überlieferung des Sündenfalls
grundlegender und aggressiver. Der französische Philosoph Voltaire zum Beispiel
begnügte sich nicht damit, den Wahrheitsgehalt der Story vom sündigen Biss in
die Frucht in Zweifel zu ziehen, ergriff die dahinterliegende Botschaft an.
„Warum duldet Gott nicht, dass der Mensch Gut und Böse erkennt?“, fragte er.
Der Christengott oute sich gleichsam als Herrscher, der seine Schäflein in
Unwissen zu halten versucht. …
Charles Darwin ersann eine neue Schöpfungsgeschichte – diesmal mit
wissenschaftlichen Belegen. Ob die Evolutionstheorie sich mit der christlichen
Lehre im Prinzip vereinbaren lässt, kann man so oder so sehen, eines aber ist
über jeden Zweifel erhaben: Die Möglichkeit, dass der Mensch einfach so
erschaffen wurde, schließt sie aus. In einer Welt, in der alle Geschöpfe der
Natur, einschließlich des Menschen, aus dem Wechselspiel von Mutation und
Selektion hervorgegangen sind, gibt es keinen Platz mehr für einen Garten, in
dem Götter gebrauchsfertige Ebenbilder aus Staub anfertigen könnten. …
(Spiegel 38-2017 S.117)
·
Evangelischer Bund trifft sich mit Vertreter der
Giordano-Bruno-Stiftung Dresden
… Die Evolutionslehre führt für Falko Pietsch unmittelbar zur Theodizeefrage,
denn Evolution ist ein grausamer Prozess, bei dem die meisten Individuen
erbarmungslos um ihr Überleben kämpfen müssen. Insofern bringt Evolution nicht
„gute“, sondern „funktionierende“ Ergebnisse hervor. Angesichts dieser
Grausamkeiten aber an einen von einem liebenden Gott gelenkten Prozess zu
glauben, ist ihm nicht möglich. Weil Evolution ethisch blind ist …
In den Debatten erleben die Mitarbeiter des Evangelischen Bundes Sachsen einen
klugen Menschen, der klar zu argumentieren vermag und sich in Selbstloser Weise
für die von ihm als | richtig erkannten Prinzipien und seine Mitgeschöpfe,
genauer: Mitlebewesen einzusetzen bereit ist. Mit ihm Zu diskutieren ist eine
Bereicherung und es gibt etliche Themen, bei denen sich große Übereinstimmungen
zeigen. Aber der glaubende Zugang zur Religion fehlt ihm. Sein Denken ist so
von Logik, Kausalitäten und Plausibilitäten bestimmt, dass es ihm als
Selbstwiderspruch vorkäme, einen Bereich zuzulassen, der davon ausgenommen
wäre. Die Methode der Empirie wird zum alleinig zulässigen Modell der
Welterklärung überdehnt. Er lehnt es kategorisch ab, religiöse Mythen auf
Augenhöhe mit wissenschaftlich gesichertem Wissen zu diskutieren. Folglich geht
es zum Ende des Gespräches wieder um das Grundsätzliche, um die Gottesfrage. …
Dass Gott nicht im naturwissenschaftlichen Sinn beweisbar ist, sagen auch die
Theologen. Darin besteht gar kein Dissens. Wohl aber darin, ob es diese
Realität außerhalb der Welt der vernunftlogischen Beweise als umfassendere
Größe geben kann oder nicht. …
(confessio 3-17 S.6)
·
Was glauben die Deutschen?
35 Prozent der Deutschen glauben an die Auferstehung Christi, 29 Prozent lehnen
diesen Glaubenssatz ab. Unter den Mitgliedern der großen Kirchen liegt der Prozentsatz
bei etwa fünfzig Prozent (Katholiken 52,2 Prozent, Evangelische 48 Prozent).
Das ergab eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA.
Allgemein glauben etwa dreißig Prozent der Deutschen, dass es ein Weiterleben
nach dem Tod gibt. Allerdings zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den
Generationen. So sind 37,5 Prozent der unter 25-Jährigen von einer postmortalen
Existenz überzeugt, aber nur 27,8 Prozent der über 65-Jährigen. Bei den über
65-Jährigen glauben 41,5 Prozent an die Auferstehung Christi, bei den unter
25-Jährigen sind es nur noch 28,8 Prozent. Der Glaube an die Auferstehung
Christi ist also nicht deckungsgleich mit dem Glauben an ein eigenes
Weiterleben nach dem Tod. »Ältere glauben häufiger an die Auferstehung Jesu,
Jüngere häufiger an das eigene Weiterleben nach dem Tod«, bilanziert INSA-Chef
Hermann Binkert die Ergebnisse der repräsentativen Studie.
(Publik Forum 8-2017 S.34)
·
Für Christen verbindlich gelten die Zehn Gebote. In Bezug auf die
Ehe finden sich zwei: »Du sollst nicht ehebrechen.«
Und: »Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib.«
Dass in biblischen Texten gelegentlich die Vokabeln Mann und Frau fallen, ist
klar, denn das waren nun einmal die Ehekonstellationen im historischen Kontext.
Das heißt nicht automatisch, dass diese nur so denkbar sind. Wir nehmen uns
hierzulande schließlich auch nicht die alttestamentlich völlig normale Vielehe
zum Vorbild, finden nicht, dass es zum guten Ton gehört, sich von der Sklavin
Kinder gebären zu lassen, und haben auch das heiratsfähige Alter deutlich
heraufgesetzt. Wir gehen auch erstaunlich selbstverständlich davon aus, dass es
die Intention des Gebots ist, dass auch der Nächsten Gatte nicht begehrt
gehört, obwohl das dort nicht steht, weil die Frau als Eigentum neben Vieh und
anderem geführt wird. Die Bibel sollte man ernst, nicht wörtlich nehmen. Sonst
kauft man sich allerlei unschöne Tipps ein, für deren Befolgung man heutzutage
im Gefängnis landen würde. Im biblischen Kontext dagegen konnte die eine oder
andere Regelung, die uns heute absurd erscheint, eine Verbesserung der
Situation Benachteiligter bedeuten. Hinter den biblischen Versen, die sich mit
Partnerschaft befassen, ob in der hebräischen Bibel, bei Jesus oder bei Paulus,
steht die Sorge um gelingende Beziehungen und verbindliche und verlässliche
Verantwortung füreinander.
(Publik Forum 13-2017 S.33)
(Leserbrief
zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften)
Widerspruch muss da scharf erfolgen, wo Menschen wegen ihrer sexuellen
Orientierung diffamiert und ausgegrenzt werden. Die Zeit der Hexenjagden ist
doch vorbei, oder?
1. Die Bibel gibt zeitbedingte Antworten auf zeitbedingte Fragen und darf nicht
dazu benutzt werden, für die eigene subjektive Meinung passende Stellen
herausfiltern. Entweder man lebt wortgetreu nach allen Regeln der Bibel
(unreine Frauen nichtberühren; jeden Morgen das Haar mit Öl einreiben; Bart
nicht stutzen; Kleidung aus nur einem Fadentragen; Kinder gerne
züchtigen/schlagen usw.) oder man erkennt den Sinn dahinter.
2. Wenn man persönliche Vorurteile, Berührungsängste, Abneigungen gegen
Homosexuelle hat, sollte man dafür nicht die Bibel Vorschieben. Gott ist ein
Gott der Liebe und nicht der Abgrenzung.
3. Die Bibel verurteilt bestimmte sexuelle Praktiken, die damals bekannt waren.
Dass Homosexuelle Verlässliche Partnerschaften in Liebe eingehen können, war
den Menschen der Antike unbekannt. Ebenso, dass Menschen eine dauerhafte
homosexuelle Orientierung haben können. Die Bibel verurteilt Homosexualität nur
in der Form von Prostitution und Vergewaltigung bei Fremdkulten im Umfeld der
Bibel. Diese Texte können nicht für die Bestimmung einer heutigen Sexualethik
herangezogen werden.
4. Jesus entschärft und relativiert zahlreiche Tora-Gebote. Aus Jesu Zuwendung
zu damals moralisch verdammten Randgruppen, Leprakranken, Prostituierten,
Ehebrecherinnen und Samaritanern kann auch geschlossen werden, dass Jesus auch
Homosexuelle nicht verurteilt und von Gottes Heilausgeschlossen hat, da er das
Gebot der Nächstenliebe mit der Gottesliebegleichstellte und so allen übrigen
Torageboten überordnete.
Marcel Schneider, Dresden
(Sonntag
16.7.17 S.11)
·
Eugen Drewermann: Schöpfungstheologie
Religion und Naturwissenschaft
Zitatensammlung aus Büchern von Eugen
Drewermann
zum Verhältnis von Glaube und Naturwissenschaft
Eugen
Drewermann hat von 1998 bis 2002 in drei Bänden seine Erkenntnisse und Gedanken
zu „Religion und Naturwissenschaft“ veröffentlicht.
·
Drewermann, Eugen: Glauben in Freiheit, Bd. 3. Religion
und Naturwissenschaft,
Teil 1. Der sechste Tag: Die Herkunft des Menschen und die Frage nach Gott,
Walter-Verlag Zürich u. Düsseldorf, 1998, 544 Seiten
·
Drewermann, Eugen: Glauben in Freiheit, Bd. 3. Religion
und Naturwissenschaft,
Teil 2. Biologie und Theologie; ... und es geschah so: Die moderne Biologie und
die Frage nach Gott,
Walter-Verlag Zürich u. Düsseldorf, 1999, 969 Seiten
·
Drewermann, Eugen: Glauben in Freiheit, Bd. 3. Religion
und Naturwissenschaft,
Teil 3. Kosmologie und Theologie; Im Anfang ...: die moderne Kosmologie und die
Frage nach Gott,
Walter-Verlag Zürich u. Düsseldorf, 2002, 1287 Seiten
Auf
2.800 Seiten nimmt er nicht nur viele Stimmen aus der theologischen Diskussion
der vergangenen 2000 Jahre auf. Er bietet zusätzlich eine sehr detaillierte Darstellung
des aktuellen Wissensstandes aus Biologie (einschließlich der Evolution des
Menschen) und Kosmologie.
Daraus entwickelt er seine „Schöpfungstheologie“ (er selbst verwendet diese
Bezeichnung für das Gesamtwerk in Teil 2 auf Seite 821).
Im
Folgenden sind einige Zitate zusammengefasst, die zwar eine subjektive Auswahl
des Lesers (JK) darstellen, aber auch wichtige Argumentationslinien von
Drewermann nachvollziehen lassen.
Am
Anfang jedes neuen Absatzes steht dabei links in Klammern die Seitenangabe im
jeweiligen Band.
Eugen Drewermann: Schöpfungstheologie – Teil 1
(Drewermann,
Eugen: Glauben in Freiheit,
Bd. 3. Religion und Naturwissenschaft,
Teil 1. „Der sechste Tag: Die Herkunft des Menschen und die Frage nach Gott“,
Walter-Verlag Zürich u. Düsseldorf, 1998)
(Seite
17) Ob Gott „wirklich“ „ist“ oder nicht, entschied sich für ihn (Jesus JK)
einzig daran, ob und wie er sich im Leben von Menschen auswirkte.
(25)
Bereits die Gnostiker der ersten nachchristlichen Jahrhunderte erkannten die Unvereinbarkeit
der Lehre Jesu von einem Gott der Güte und der Liebe mit jener eher
gleichgültigen und grausamen Einrichtung der Natur, die ein so ganz anderer
Gott als Weltenbaumeister (als „Demiurg“) geschaffen haben musste.
(28)
bis in die Gegenwart macht sie (die katholische Kirche JK) den Glauben an die
Botschaft Jesu von der Vorstellung eines Gottes abhängig, der „allmächtig“ in
dem Sinne sein soll, dass er tun kann, was er will, wann er will und wie er es
will; immer noch verteidigt sie jede Lücke unserer Naturerkenntnis als Bastion
eines unerklärlichen „Eingreifens“ Gottes: Die Entstehung des Menschen, die
Entstehung des Lebens auf diesem Planeten, die Entstehung des Kosmos insgesamt
- ... nur ... als Planungen einer unendlich überlegenen göttlichen Weisheit
verstehen ließen ... weigert sich schlechtweg zu begreifen, dass die
naturwissenschaftliche Methode selbst keine Lücken des Unerklärlichen zulässt
...
Wir werden im folgenden viel Mühe auf den Nachweis verwenden, dass die Rede von
Gott auf einer grundsätzlich anderen Ebene angesiedelt ist als auf der Ebene
naturwissenschaftlichen Fragens. ... bereits Kant ... wusste, dass Gott ein
Ideal der Vernunft, nicht eine Kategorie des Verstandes sein kann
(33)
„Wie konnte Gott das zulassen?“ oder: Die Frage nach der „Rechtfertigung Gottes“
angesichts eines Meeres von Leid
(36)
Ein Gott, der alles kann und doch nichts tut, verdient, wenn er so viel des
Unheils tatenlos mitanschaut, wohl nicht
für gütig gehalten zu werden; oder umgekehrt: wäre er gütig, doch könnte selbst
er es nicht hindern, so wäre er wohl nicht allmächtig; beide Eigenschaften
vereinbaren sich nicht miteinander, solange die Welt so ist, wie sie ist: ein
Jammertal. Beide Eigenschaften, die Allmacht ebenso wie die Güte, gehören
indessen laut christlicher Theologie unabdingbar dem Göttlichen zu.
(37)
Leibniz 18. Jahrhundert: Gott, meinte er, habe die „Übel“ der Welt in Kauf nehmen
müssen, um des höheren Gutes willen, das die Harmonie im Gesamtzusammenhang
auszeichne: „in der großen Ordnung ... herrscht stellenweise auch etwas Unordnung,
und diese kleine Unordnung bedeutet für das Ganze nur Schein“ ... Missgeburten,
tektonische Verschiebungen der Erdrinde – all das also sind nur „Unordnungen“,
denen wir „unsern Reichtum und unsere Bequemlichkeit schulden ... all das sind,
würden wir heute sagen, nur „chaotische Schwankungen“, die notwendig sind, um
den Bau des Kosmos in seiner ganzen Weisheit und Schönheit zu errichten. ...
Von einem Gott, der so vorgestellt wird, wie die jüdisch-christliche
Glaubenswelt ihn bis heute gelehrt hat, erwartet man Besseres, Menschlicheres
als „Unordnungen“, die in jedem Einzelfalle ein ungeheures Meer von Leiden
bedeuten.
(38)
Dostojewskis Argument: die Unschuld der Kinder! Sie zumindest leiden immer zu
Unrecht. ...
nicht nur, dass viele Übel die Unschuldigen ganz unabhängig von menschlichem
Handeln durch die blinde Mechanik der Natur treffen ...
(40) widerlegt sich die ... Logik der Bibel
mit ihrem ... Schema von Lohn und Strafe aus den Händen eines gerechten,
rächenden Gottes nicht wie von selbst? ...
selbst wenn ... Seuchen wie Pest und Cholera für den Erhalt der Harmonie der
Welt notwendig gewesen wären ... Gott hätte sie einfach deswegen zulassen
müssen, um die Zahl der Menschen auf Erden „kurz“ zu halten ... was für eine
„Harmonie“ wäre das dann, die zu ihrer Herstellung sich derart unmenschlicher
Mittel bediente? ...
(41)
Medizinstudent: „ein Gott ... der sich’s anschaut, und er täte rein gar nichts
- diesen Gott wegen unterlassener
Hilfeleistung verklagen“
(42)
Marie Noel: „primitive Religionen ... klagen den Menschen an, um das Geschick
zu entschuldigen. Um Gott zu rechtfertigen. ... nehmen Adam und Pandora das
Böse der Welt auf ihre Rechnung und rufen: ... Das ist meine Schuld ... Wenn
aber der Mensch die Ursache des Bösen ist, ist dann nicht die Erbsünde
schöpferisch, genauso wie der Schöpfer selbst?“
Mythos Persiens: es sei da ein guter Gott, Ahura Mazda, dessen Werke nur leider
durch das Wirken eines bösen Geistes, Ahriman, der sich des Menschen
bemächtigte, in Unordnung geraten seien ...
Marie Noel: „Tbc-Bazillus ... ebenso Geschöpf Gottes wie der Mensch und die
Engel ... frisst in der Brust einer jungen Mutter ... sagt „Gott ist gut“ ...
spricht ... sein Tischgebet. – Dasselbe Tischgebet, das wir am Ende unserer
Mahlzeit sprechen, nachdem wir das Huhn oder das Lamm gegessen haben.“
(43)
Wozu beten, wenn die „Erhörung“ des einen Gebetes identisch ist mit der Nichterhörung
eines anderen ebenso wohlbegründeten Flehens? ...
ständiges Plus und Minus zwischen Gebären und Töten, zwischen Fressen und
Gefressenwerden, zwischen Hervorbringen und Zurücknehmen ...
(44)
Die klassische „christliche“ Antwort auf Erschütterungen dieser Art besteht in
dem Hinweis auf das Zitat aus dem Römerbrief ... „die ganze Schöpfung“ seufze
„bis zu diesem Augenblick mit uns“ und ängstige sich und warte darauf, „dass
die Kinder Gottes offenbar werden“ (Röm. 8, 19.22). Da soll das Leid der Welt
„erklärt“ werden mit dem Mythos vom „Sündenfall“ Adams, so als sei es immer noch
möglich, den Menschen in den Mittelpunkt der Schicksalsbestimmung des
Universums zu stellen, so als sei es immer noch möglich, die Gesetze der Natur
als ein Malheur der „Willensfreiheit“ des Menschen zu betrachten, so als sei
es immer noch möglich, die ganze Natur, gleich, ob schuldig, ob unschuldig, um
den „Abfall“ und „Aufstieg“ des Menschen herumkreisen zu lassen ...
(47)
Reinhold Schneider: „Der schönste Vogel hascht im Flug den schönsten Schmetterling
... auch ist zur Zerstörung der Rose, wie es scheint, eigens ein grüngoldschimmernder
Käfer erschaffen worden ...“
(49)
F.Stier: „Verlautet nicht aus allem, was da leibt und lebt, frisst und
gefressen wird, eine Kunde von Gott, der mir, wenn er die Liebe ist, als amor
terribilis (schreckliche Liebe ED), und wenn er der Vater ist, als pater
tremendus (furchtbarer Vater ED) begegnet.?“
(51)
F. Stier: „Ist der Mensch ... vielleicht nur eines der Experimente auf dem als
„Evolution“ gedachten Wege zu einer höheren Stufe ... ein noch nicht
ausgereiftes ... Modell einer Art, die nur um einer Endgestalt willen, auf die
hin sie ausgelegt ist, nicht um ihrer selbst willen, besteht? Wäre also - vom
Sechstagewerk aus gesehen – Adam nicht der „nach seinem Bilde“ (schon)
Erschaffene, das „lasst uns machen ...!“ nicht als Akt, sondern als actio, als
facere (tun ED), nicht als fecisse (getan haben ED), als faciendum (noch zu
Schaffendes ED), nicht als factum (schon Geschaffenes ED) zu verstehen?“
[„Wir wollen Menschen machen“ als Fernziel, „er schuf Menschen“ als 1. Schritt
JK]
(55)
solange wir uns für den Weg der Menschwerdung theologisch nicht
interessieren, solange werden wir die Wege Gottes mit „seiner“ „Schöpfung“
„natürlich“ nicht begreifen!
(56)
Päpstliche Bibelkommission 1948: Historizität der ersten 11 Kapitel der Genesis
– wer sage, sie seien „nicht historisch“, lege das Verständnis nahe, sie seien
ohne historische Bedeutung, „wo sie doch in einfachen und bildhaften Worten,
die der Fassungskraft weniger gebildeter Menschen entsprechen, die
fundamentalen Heilswahrheiten wiedergeben und auch in volkstümlicher Weise
den Ursprung des Menschen und des auserwählten Volkes beschreiben.“
(57)
Papst Johannes Paul II. erklärte im Weltkatechismus von 1992 (Nr.390): dass die
Geschichte vom „Sündenfall“ (Gen. 3,1-7) zwar eine bildhafte Sprache verwende,
„aber ein ursprüngliches Ereignis bestätigt, eine Tatsache, die am Beginn der
Menschheitsgeschichte stattgefunden hat.“
(58)
„Bildhafte Geschichten“ können sehr tiefsinnig sein, doch nur, wenn man sie
nicht dazu benutzt, die ganze Menschheit auf dem Niveau von „Wenigergebildeten“
zu halten!
(59)
schon rein zeitlich konzipiert die Bibel die Welt allein auf den Menschen hin;
für sie ist die ganze Erde nichts als die Bühne seines Auftritts, und selbst
von der menschlichen Geschichte interessiert sie sich einzig für den Mythos der
besonderen Erwählung eines einzigen, des eigenen Volkes. ... kann die Welt in
Raum und Zeit in der Tat wohl nicht allzu große Maße aufweisen
...
(60)
Akzeptiert man die evolutive Sicht der Welt, so kann der Mensch nicht länger
mehr als das Zentrum und das Ziel aller kosmischen Veranstaltungen betrachtet
werden; so kann es nicht die „Sünde“ „Adams“ gewesen sein, die uns die „Übel“
der Welt beschert hat; so kann mithin auch von einer „Erlösung“ der „Welt“
durch Jesus „Christus“ ehrlicherweise keine Rede mehr sein; so muss man
vielmehr alle Aussagen über die „Welt“ prinzipiell und strikt zurückbeziehen
allein auf die Menschenwelt – man muss sie lösen von allen
naturphilosophischen und metaphysischen Spekulationen ...
(62)
Wenn der Mensch den Dimensionen von Raum und Zeit entsprechend ganz offensichtlich
nicht dazu eingesetzt wurde, über die Welt und den Kosmos zu „herrschen“,
sondern wenn er, wie die Bibel doch auch sagt, lieber die Erde, der er entstammt,
„bedienen und bewahren“ sollte (Gen. 2, 15), dann ist die Welt wohl zu groß, um
anthropozentrisch erklärt werden zu können; dann aber ist das ganze Schema von
„Sündenfall“ und „Erlösung“ nichts weiter als eine symbolisch-mythische
Anthropologie; dann erhält es durchaus keine „objektive“ Information zu Fragen
der Kosmologie; dann besitzt auch die Kirche (und auch das Volk Israel)
keinerlei irgendwie ausgezeichnete Stellung im Welten„plan“, und ihre
„Bedeutung“ beschränkt sich einzig darauf, das menschliche Dasein zu deuten
und nach Möglichkeit „menschlicher“ zu gestalten als bisher.
(83)
dogmatische Manie der Kirche Roms, bildhafte Aussagen über das „Wesen“ bzw.
über die „Bestimmung“ des Menschen in einen „historischen“ Anfang zu
projizieren, der alle weitere Geschichte für Jahrmillionen unter einen göttlichen
Fluch gestellt habe (einem indischen Theologen wurde (1997?) ein vatikanisches
Glaubensbekenntnis ultimativ zur Unterschrift vorgelegt: durch die von Adam
begangene Erbsünde ... ist die menschliche Natur eine gefallene Natur, beraubt
der Gnade, die sie ursprünglich bekleidete ... „Ich glaube ... dass die
Erbsünde nicht durch Nachahmung, sondern durch Fortpflanzung auf die
menschliche Natur übertragen wird ...“)
(120)
indem sie antike Mythen, die, bildlich genommen, als Aussagen über die
menschliche Existenz wohl Sinn machen mögen, als konkrete Informationen über
die menschliche Geschichte missdeuten
(121)
wenn der Gedanke einer „Schöpfung“ des Menschen durch Gott zur Deutung der historischen
Anfänge des menschlichen Daseins Sinn machen soll ... dass Gott selbst ... die „Schuld“ daran trägt, dass der Mensch so
ist, wie er ist ...
Wunder nimmt es, dass der Mensch ... eine gewisse Ahnung doch bereits in sich
trägt, was ein „Gott“ für ihn selbst und er selber für sich als ein „Mensch“
überhaupt sein könnte.
(122)
Es ist die Natur selber, die wir in gewissem Sinne überwinden müssen, um
„Menschen“ zu werden. Sind wir es denn, können wir es denn schon
sein, nach diesem Weg der Herkunft? Und können wir, dürfen wir wirklich
diesen Weg schon als Wirken und Wirklichkeit Gottes bezeichnen?
(199)
dass wir von drei Gedanken, die dem biblischen Schöpfungsglauben zentral sind,
ein für allemal werden Abschied nehmen müssen, und zwar:
a) von der Idee eines „planend“ „handelnden“ Gottes, der als allgütig,
allmächtig und allweise die Welt dazu bestimmt habe uns Menschen
hervorzubringen;
b) von der Idee einer „teuflischen“ oder menschlichen „Sünde“ am Anfang der
Schöpfung, die den Weltzustand als ganzen „verschlechtert“ habe, und
c) von der Idee einer einmaligen und endgültigen Offenbarung Gottes in einem
Menschen, der so ist wie wir, in Jesus von Nazareth als einem Mitglied
der Spezies homo sapiens sapiens.
Alle drei Vorstellungen besitzen ... einen bestimmten symbolischen Sinn,
den wir indessen erst erfahren werden, wenn wir die „wörtliche“, dogmatisch
formulierte Bedeutung dieser Chiffren aufsprengen. ...
unhaltbar gewordene Vorstellung, die Geschichte der Erde, ja, des gesamten
Kosmos, sei wesentlich zu dem Zweck konzipiert, dass Gott selber in dem
Menschen Jesus von Nazareth habe „inkarnieren“ und sich als Mensch, als
menschgewordener Gott seiner Schöpfung habe mitteilen wollen.
(201)
es ist gewiss möglich, den Menschen als den vorläufigen „Endpunkt“ an einem
bestimmten „Ast“ am Stammbaum der Evolution der Arten zu betrachten, doch
bilden in gewissem Sinne alle heute lebenden Arten einen solchen
„Endpunkt“, stellen auch sie auf ihre Weise eine „Krönung“ in der Geschichte
des Lebens dar.
(202)
Der Mensch entwirft sich ein menschliches Bild von der Gottheit, um alsdann zu
verkünden, dass er als einziger auf Erden diesem Bild ähnlich sehe; um aber die
„Gottähnlichkeit“ des Menschen, das heißt die „Repräsentanz“ der Gottheit in
der Gestalt des Menschen zu „begründen“, führt er das Dogma an, dass ein
Mensch, Jesus Christus, selber Gott (gewesen) sei.
(207)
Kant: „Wenn man ... für die Naturwissenschaft und in ihren Kontext den Begriff
von Gott hineinbringt, um sich die Zweckmäßigkeit der Natur erklärlich zu
machen, und hernach diese Zweckmäßigkeit wiederum braucht, um zu beweisen,
dass ein Gott sei, so ist in keiner von beiden Wissenschaften innerer Bestand.“
(208)
„christologisches“ Dogma von der „Menschwerdung“ Gottes“: läuft darauf hinaus,
den jetzt lebenden Menschen, uns selbst, als die lebenden Exemplare des homo
sapiens sapiens zum Endergebnis und damit zum Endzweck der Evolution zu erheben
... biologisch gesehen war Jesus ein Vertreter der Spezies homo sapiens
sapiens. Nicht der Mensch als solcher, die Gattung homo, einzig der homo
sapiens sapiens soll nach theologischem Urteil die „Krone“ der „Schöpfung“
darstellen ... nicht der homo erectus, nicht der Neanderthaler ...
(209)
es ist im Gefüge der Natur unmöglich, einen bestimmten Ist-Zustand als Endzustand
zu betrachten. Alles in der Natur ist im Fluss, alles geht immer weiter,
solange es lebt ... auch über den homo sapiens sapiens wird die Entwicklung
hinausgehen ... schon in weit weniger als 35.000 Jahren werden unsere
Nachkommen von uns weiter entfernt sein als wir Heutige vom Neanderthaler.
Alles, was irgend wir heute als „Religion“
bezeichnen, ist beschränkt auf die Vorstellungswelt unserer Spezies ... es
könnte sein, dass, in geologischen Maßstäben bald schon, die Geschichte der
Menschheit zu Ende geht ... die Geschichte des Lebens auf diesem Planeten aber
würde damit durchaus nicht zu Ende sein. ... selbst nach dem Ende des
Experiments Mensch könnte (die Natur) durchaus noch einmal oder gar mehrfach
den Versuch starten, intelligente Lebensformen auf der Erde hervorzubringen.
Die Vertreter einer solchen ganz anderen „Menschheit“ würden durchaus nichts
mehr wissen von der Existenz eines Jesus von Nazareth ...
(212)
Die Anthropozentrik des Alten Testaments wird zur Christozentrik des Neuen
Testaments, und diese wiederum gerät in der abendländischen Theologie zu einer
puren Eurozentrik.
(214)
„Adam“ brachte durch seinen „Ungehorsam“, seine „Sünde“ Unheil über sich
selbst, über die ganze Erde, über den ganzen Kosmos ... seither, so will es das
römische Dogma, ist die Natur „verderbt“, ihre Ordnung „gestört“, die Welt
„erlösungsbedürftig“ ... das kann man nach Theologenmeinung ganz einfach schon
daran erkennen, dass seither Krankheit und Tod das menschliche Dasein
heimsuchen, dass die Frauen nur noch mit Schmerzen Kinder gebären, dass sich
die Menschen ihrer Nacktheit, verstanden als sexuelle Ungeschütztheit, schämen
(müssen).
Das Missliche an Vorstellungen dieser Art ist nicht allein die falsche
„Wörtlichnahme“ der Symbolsprache mythischer Texte in wichtigen Teilen der
Bibel, auch nicht allein die kindliche Phantasterei von einer Welt, in der es
„am Anfang“ Alter, Krankheit und Tod als kreatürliche Mitgift der Lebewesen
schlechterdings nicht gegeben hätte, das wirklich Schlimme an derartigen
Anschauungen besteht in der konsequenten Moralisierung aller natürlichen
Lebenszusammenhänge.
(215)
unannehmbar ist das Kirchendogma, ... man habe die Hypothek der Endlichkeit des
irdischen Daseins: den Tod, und seine Vorboten: Alter und Krankheit, für eine
Strafe Gottes zu halten, die seit „Adams“ „Sünde“ „gerechterweise“ über der
Menschheit lasteten und erst durch den „Sühnetod“ Jesu als des „Sohnes Gottes“
hätten „hinweggenommen“ werden können. Denn mit einem solchen Verständnis der
Welt wird nicht nur die Ordnung der Natur für eine „teuflische“ Verwirrtheit
erklärt, es werden zudem die Gesetze der Physik, Chemie und Biologie als die
Erscheinungen einer „tieferen“ moralischen Gesetzmäßigkeit von Lohn und Strafe
in den Händen des göttlichen Weltenlenkers gedeutet.. Gott selber, so soll da
geglaubt werden, bediene sich zu seinem kosmischen Regiment der Boshaftigkeit
und Böswilligkeit seines teuflischen Widersachers, dessen Herr und Meister er
zwar immerhin bleibe, doch den zu überwinden ihm erst durch die
„Menschwerdung“ seines „Sohnes“ und dessen Hinrichtung am Kreuz möglich
geworden sei. ...
Ein Gott, der um seine Macht kämpfen muss, kann nicht allmächtig sein. ...
Zweifel an der Allgüte: ein Gott, der zum Zeugen des unsäglichen Leidens der
Welt wird und der durch sein „Eingreifen“ aller Qual auf Erden ein baldiges
Ende bereiten könnte ... schaut lange zu, opfert dann zur Erlösung der Menschheit
und aller Welt sich selber in seinem Sohne ... und danach bleibt die Geschichte
der Menschheit, bleibt die Welt ganz wie sie ist (war JK). Nicht eine
Krankheit, nicht irgendein Leid, nicht einmal die Geißeln von Krieg und Gewalt
sind seither von der Erde verschwunden; das Verhalten der Menschen gegenüber
den Tieren und der Tiere untereinander hat sich nicht im Sinne des
„Paradiesfriedens“ (Jes.11) geändert ...
(223)
Frage nach der „Rechtfertigung Gottes“ angesichts seiner Schöpfung (Theodizeeproblem)
erweist sich als eine perspektivische Verzerrung ... der Glaube erscheint als
eine Folge der anthropozentrischen Anmaßung, die Gottheit müsste verpflichtet
sein, alle Gesetze der Natur just so zu gestalten, dass sie einzig und
wesentlich der Förderung und dem Wohlergehen des Menschen auf dem Planeten Erde
am Rande eines mittleren Spiralarms einer mittelgroßen Galaxis ... im Kosmos
dienlich sei.
(225)
KANT: Hört der Mensch auf die Stimme seiner Vernunft, so redet nach Meinung
Kants die Gottheit selber in ihm, so „offenbart“ sie sich in ihm selber als
eine vernünftige, so sagt sie ihm alles, was er zu wissen nötig hat, um sich
auf Erden zurechtzufinden. Indem Gott den Menschen als einen vernünftigen
„schuf“, offenbarte er sich mithin von Anfang an in der einzigen Sphäre, die
des Göttlichen würdig ist: in der Sphäre von Geist, Vernünftigkeit und Freiheit ...
(227)
zur Vermenschlichung der menschlichen Religion bedarf es ... einer menschlichen
Person, die in ihrer Menschlichkeit die Verheißungen lebt, die in den
religiösen Bildern aufscheinen ... als eine solche Person erscheint in der
Bibel Jesus von Nazareth ... seine wesentliche Bedeutung liegt ... ganz und
gar in der Art und Weise, mit der er in seiner Person das Vertrauen zu einem
„väterlichen“ Gott lebte ...
(228)
Jesus vertraute auf Gott. Er machte ihn nicht im griechischen Sinne zum obersten
Prinzip der Welterklärung. ... auf Gott hin zu leben war sein Bemühen, aber
nicht, von Gott her die Welt zu befragen ...
(229)
Die Frage lautet fortan nicht länger: Wie „gerecht“ oder wie „gütig“ erscheint
der Schöpfer seiner Schöpfung, sondern: Wie bewahrt und bewährt der Mensch
seine Menschlichkeit und seine Güte angesichts einer Welt, die menschlich,
gütig nicht sein kann? ... eine mündige Menschlichkeit, welche es wagt, die
Last der Verantwortung für das eigene Tun selber zu übernehmen
...
(233)
SPINOZA: Gott und Welt werden ununterscheidbar identisch; Gott selber ist nicht
vor seinen Beschlüssen gewesen noch kann er ohne sie sein,
(241)
Spinoza: Identitätslehre, deus sive natura (Gott gleich Natur)
(236)
KANT: nicht als Ursprung der Welt, nur als Grundlage der Moral wird Gott noch
benötigt ... Wir bedürfen subjektiv notwendig der Idee eines Gottes, um überhaupt
den Begriff der Gerechtigkeit, der aller empirischen Ordnung widerstreitet, gegen
die Natur aufrechtzuerhalten ...
was von der Religion bleibt, ist nicht länger mehr eine Hilfe zur Erkenntnis
der Natur, sondern allein zur Ermöglichung der Moralität ... Religion erklärt
uns nicht länger mehr, wie beschaffen die Welt ist ... bezeichnet lediglich
eine Bedingung, derer wir Menschen subjektiv bedürfen, um Menschen zu werden
oder zu bleiben.
(238)
Kant-Laplace´sches Weltbild: Gott „tut“ in dieser Welt nichts, er „greift nicht
ein“, es genügt, dass er vorweg getan hat, was die Physiker ihm nachzumachen
versuchen: er hat „richtig“ gerechnet. ... Vorstellung von der „Vorsehung“
Gottes verwandelt sich in die nüchterne Form der Berechenbarkeit der
Naturgesetze
(243)
Moltmann: Gott schuf die Welt, indem er auf seine Allmacht freiwillig verzichtete.
... Selbstbeschränkung Gottes ... auch in der Entscheidung für eine von vielen
(theoretisch möglichen) Welten
(245)
Moltmann: das Böse ist möglich, weil Gott ihm Raum gegeben hat, geben musste,
um die Schöpfung zu ermöglichen
(247f)
Die „Gott-leidet-mit“-Theorie
(250)
Bultmann: dass das Wort „Welt“ im Neuen Testament „nicht ein kosmologischer,
sondern ein geschichtlicher Begriff ... im Sinne von „Menschenwelt“,
„Menschheit“ sei; „Welt“ im Sprachgebrauch der Bibel heiße nicht „der kosmische
Raum“, sondern die Sphäre der menschlichen Beziehungen.“ Dementsprechend müssen
natürlich auch alle Aussagen der Bibel von der „Schöpfung“ und „Erlösung“ der
Welt eben nicht als Aussage über den „Kosmos“ an sich verstanden werden, sie
müssen vielmehr als mythische Bilder ... zurückgeholt und als symbolische
Chiffren zum Verständnis des menschlichen Daseins ausgelegt werden.
(255)
Das Ergebnis einer Entwicklung muss das Ziel der Entwicklung sein? Genau das
gilt für die Heraufkunft des Menschen nicht.
(257f)
Allweisheit – Allmacht – Allgüte als Beziehungsdreieck;
als Erklärungshintergrund der Welt, die wir vor uns sehen und in der wir leben,
sind ihre Widersprüche unüberwindlich: Es ist möglich, in der Schöpfung eine
unendlich überlegene Macht und Weisheit anzuerkennen, doch mutet ihre mathematische
Strenge alles andere als menschlich und gütig an ... ein Gott, der so gut
ist, unendlich mit seinen leidenden Kreaturen zu leiden, erscheint weder weise
noch mächtig, eher als unvermögend und unbesonnen
(258ff)
Die „Gott-befreit-uns-von-der-Natur“-Theorie
Theissen: Die christliche Botschaft besteht in der Überwindung eben der
Mechanismen, die in der biologischen Evolution gültig sind. ... Kultur hat
einen selektionsmindernden Effekt (z.B. Verringerung der Kindersterblichkeit);
Religion ist ein Aufstand gegen das Selektionsprinzip (jeder Mensch hat
unendlichen Wert und ist absolut gleich);
(268)
Die Frage kann nicht länger lauten, was Gott sich gedacht hat, als er dies und
das „machte“; es kommt vielmehr darauf an (zu fragen JK): Was macht es mit uns,
wenn wir sagen, Gott habe dies und das gemacht? Was sagt es über uns selber
aus, wenn wir und wie wir von „Gott“ sprechen?
(271)
Nicht Gott braucht Religion; es sind wir Menschen, die (vielleicht!) der
Religion bedürfen. Alle Aussagen der Religion von Gott dienen als erstes der
Selbstbegründung des Menschen inmitten einer Welt, die sich nicht länger mit
dem Willen Gottes erklären lässt.
(282)
Das Problem des Marcion bzw. das Problem der modernen Naturwissenschaften löst
sich erst, wenn wir die Sphäre des Göttlichen ganz und gar aus dem Bereich des
Verstandes heraushalten. ...
Nicht die Gottheit hat sich vor dem Menschen zu rechtfertigen angesichts dieser
Welt, es ist der Mensch, der sich fragen muss, wie er seine Menschlichkeit
durchhält trotz und inmitten dieser Welt, der er selber entstammt.
(283)
Von Gott zu sprechen heißt nicht, die Welt zu erklären (oder zu verklären), es
heißt, dem Menschen einen Grund zu geben, dieser Welt standzuhalten und ihr
gegenüber seine Menschlichkeit zu erhalten. ...
Gott als „Grund“ der menschlichen Existenz – nicht Tat vor einigen Millionen
Jahren, sondern ein Grund dafür, menschlich zu sein und zu bleiben ...
Nicht um die physische Existenz des Menschen zu begründen, bedarf es der
Vorstellung eines Gottes – allenfalls um die Menschlichkeit seiner Existenz zu
begründen, braucht ein Mensch Gott.
(287)
Nicht um die Ordnung der Welt zu erklären, sondern um die Unordnung des
menschlichen Herzens zu heilen, sprach Jesus von Gott.
... die vom Chaos bedrohte Welt des Menschen in Gott festzumachen
...
(289)
Nicht die Welt als (griechischer) Kosmos, sondern die „Welt“ als Existenzial
des Menschen wird in dem Glauben Jesu (neu) „geschaffen“ (Vertrauen statt
Angst, Güte statt Gewalt, Liebe statt Hass) – [der andere Weg: die Welt von der
Natur her verstehen: Sozialdarwinismus, Selektionismus, Recht des Stärkeren JK]
(290)
Gott ist der Ermöglichungsgrund unserer Menschlichkeit.
(291)
dass „Gott“ ein Begriff ist, der uns hilft, das menschliche Dasein zu deuten
und seine Menschlichkeit im Gegenüber der Welt zu begründen, der aber nicht
dazu taugt, die Welt zu erklären.
(294f)
Selektion der Gottesidee – Religion bildete Überlebensvorteil
(297)
gerade das unerlässliche Scheitern des Verstandes ... ist ... die erste und
unbedingte Voraussetzung einer wahren Form des Religiösen
(310)
Nicht um durch seinen Tod die Menschheit zu „erlösen“, ging Jesus ans Kreuz,
umgekehrt: Für das, was er als Freiheit vor sich sah, ging er aufs Äußerste!
(311)
Meister Eckhart: Gott muss schlechthin ich werden und ich
schlechthin Gott.
Die LEERE, die LIEBE und der AUGENBLICK
(331)
die jüdische Mystik ... setzt die Urgottheit mit „Jahwe“, dem „Sein“ selber, der
persönlichen Gottheit gleich, während „Gott“ (elohim) für sie eher der
unpersönlichen Gottesvorstellung des SPINOZA entspricht.
(336) dass wir zu Gott (oder richtiger jetzt: zur „Gottheit“) nur kommen
können, wenn wir von der Welt absehen (LEERE)
(337)
im Sinne Jesu glauben: im eigenen Inneren eine Entdeckung zu machen, die uns
hilft, Menschen zu bleiben in dieser Welt und entgegen dieser
Welt
(347)
LIEBE als äußerster Widerspruch zu sich selbst
(349)
Die erste Frage der Menschen gilt nicht dem Grund des Seienden, sondern dem
Sinn von Sein überhaupt.
(350)
Nur wenn es gut ist und war, dass es ihn (einen Menschen JK) gibt, wird
er die Güte der Welt zu glauben vermögen; nur wenn sein Leben eine
eigene Bedeutung besitzt, wird er einer religiösen Deutung der Welt als einer
göttlichen „Schöpfung“ zustimmen können.
(351)
Nur die Liebe ist es deshalb, die einen anderen als etwas Göttliches wahrnimmt
und es ihm damit ermöglicht, an einen Gott zu glauben, der selber die Liebe
ist.
(358)
Nur als Duwelt wird der Kosmos uns Menschen zur Heimat, und nur in einer
heimisch gewordenen Welt vermag uns Gott als „Person“ zu erscheinen.
(359)
Wenn wir sagen, Gott habe uns geschaffen nach seinem Bildnis, so meinen
wir damit ganz sicher als erstes, wir sollten und wollten uns selber betrachten
als „Menschen“ im Licht reiner Menschlichkeit; sie allein sei der Grund
unserer wahren und wirklichen Existenz. Nur der Mensch konnte die
Menschlichkeit und mit ihr das, was wir Liebe heißen, hervorbringen, und er hat
mit seiner Liebe und Menschlichkeit zugleich auch Gott als die Liebe selber
hervorgebracht.
(360)
wenn die Liebe Gott ist bzw. Gott die Liebe, so hört der Mensch endgültig auf,
ein bloßer Teil der Natur, ein bloßes Ensemble der Es-Welt zu sein. Alles in der
Natur belehrt uns, wie vergänglich wir sind, wie wenig wir in dieser Welt
„beabsichtigt“ oder „gemeint“ sind – ermöglicht und geduldet ist viel! Was
immer wir aber als „Menschlichkeit“ und „Liebe“ bezeichnen, besteht gerade
darin, etwas einzelnes: diesen Kiesel am Bach, diese
Muschel am Strand, dieses Blatt an der Hecke als etwas Besonderes für sich
selbst zu entdecken.
(361)
der Geliebte ... er selber in der Nähe des Liebenden beginnt, sich die
Geschichte seines Lebens zu erzählen .... der in sich eine Art „Kunstwerk“
darstellt
(366)
Menschlichkeit ist nicht, wenn sie nicht ausnahmslos allen gilt; eine
Humanität, die dazu zwingt, Menschen auszuschließen, weil sie nicht des
gleichen Glaubens, der gleichen Rasse, desselben Volkes usw. sind, ist nichts weiter
als die ideologische Verbrämung bestimmter Partikularinteressen
(367f)
Wo irgend wir können, werden wir unsere allmählich wachsende Kenntnis der
Naturzusammenhänge dazu verwenden, die Ergebnisse dieser Gesetze zu unserem
Vorteil zu manipulieren; Schritt für Schritt werden wir somit die Kluft
zwischen Mensch und Welt im Namen der Menschlichkeit vertiefen. Statt
uns noch länger mit Bitten und Klagen an einen unbegreiflicherweise untätigen
Gott zu wenden, werden wir die Sache der Menschlichkeit selbst in die Hand
nehmen, schon weil wir wissen: die Natur hat weder die Möglichkeit noch die
Notwendigkeit, menschlich zu sein; was es an Menschlichkeit geben kann,
vermögen nur wir selber als Menschen in diese Welt hineinzutragen ... Statt
einen Gott der Liebe als „Schöpfer“ vorauszusetzen, um die Welt zu erklären,
müssen wir vielmehr die Liebe als göttlich voraussetzen, um uns als Menschen
zu finden und uns gegen den Einspruch der Welt in unserer Menschlichkeit bewahren
zu können ... nur in dieser Revolte gegen die „Ordnung“, die uns umgibt,
ist Menschlichkeit möglich ...
Idee eines Gottes der Liebe ... Wir haben diese Idee in der Geschichte der
Religionen hervorgebracht, um im Lichte dieser „Offenbarung“ uns selber auf
einer höheren Stufe des Menschseins hervorzubringen. Wir können auch sagen: in
dieser Idee haben wir unser eigenes Wesen gefunden; es ist in uns in
Erscheinung getreten als etwas, das all die Zeiten zuvor als eine uns selber
ermöglichende Tendenz in uns schlummerte und das wir in gewissem Sinne der
Natur selber verdanken; je deutlicher aber wir uns selber von der Natur
unterscheiden, desto deutlicher unterscheidet sich auch der Gedanke an einen
Gott der Liebe von der Wirklichkeit dieser Welt; und trotzdem, ja, gerade
deshalb glauben wir an diesen „unseren“ Gott, um mehr und mehr werden zu
können, was wir immerhin wie von ferne schon ahnen: wirkliche Menschen. ...
in gewissem Sinne die Umkehrung der Theodizeeproblematik: nicht mehr um die
Rechtfertigung Gottes im Angesicht der Welt geht es jetzt, sondern ... um die
Rechtfertigung der Menschlichkeit im Angesicht einer notwendigerweise nicht
menschlichen Naturordnung.
(369)
All die Menschlichkeit, die wir für uns gegenüber der Natur erhalten möchten,
gründet darin, aus dem Denken in Nutzen und Zwecken herauszutreten; dann
aber kann es nicht richtig sein, weiterhin Menschsein als Herrsein zu definieren
... auf uns selbst zu besinnen und die Natur sein zu lassen, wie sie ist
(370)
dass wir Menschen Frieden finden in uns selber und dann die Natur tunlichst in
Frieden lassen
(371)
Jesus als der „Sohn Gottes“ ... dass er „von Gott her“ auf die Menschen zuging
... von dem Hintergrund Gott her gewann er die Freiheit, in die jeweilige
Situation hineinzugehen und sie überraschend anders, als es sonst denkbar
gewesen wäre, auf eine neue Möglichkeit hin zu gestalten ...
Gleichnis vom verlorenen Schaf (Lukas 15, 1-7): Jesus will sagen: jeder
von den Hörern würde sich in ähnlicher Lage so verhalten [wie es Gott tut]
(372)
für Jesus ist Gott die subjektivste aller möglichen Erfahrungen, das Gegenüber
einer Begegnung, die das gesamte Leben verändert, doch eben: diese neue Form
des Daseins kann sich nicht auf lehrbare, „objektive“ Inhalte beziehen ... lebt
man sie, gewinnt das menschliche Dasein sich ganz ...
was der Gott Jesu redete, das sagte er jedem einzelnen unmittelbar in der
menschlich einzig gültigen Sprache des Mitleids, so wie er in dem Samariter
redete (Lukas 10,25-37) ...
Jesus gewann die Idee seines Gottes nicht durch die „Betrachtung“ der „Welt“,
auch nicht durch die Lektüre der „Heiligen“ Schrift oder aus dem Studium der
Geschichte seines eigenen Volkes (Gewalt, Hass, Sadismus, Rache, Nationalismus,
Fanatismus, bornierter Traditionalismus ...)
(373)
Nicht aus der Welt, nicht aus der Geschichte, sondern gegen
alle Welt, entgegen aller Geschichte lernte Jesus „seinen“ Gott kennen.
Er fand ihn so, wie ein Arzt bei der Erforschung bestimmter Erkrankungen ein
Medikament findet – als einen Wirkstoff, der all dem „widerspricht“, was den
Menschen leiden macht. ... Jesus lehnt die „Ordnung“ der „Welt“ zutiefst ab
... „Systemveränderung“ total
(374)
menschliche Liebe unvollkommen und ungeschützt ... Notwendig ist deshalb dem
Menschen ein Gegenüber, das, unendlich liebevoller, als je ein Kind seine
Mutter ... ihm entgegentritt und ihn bei der Hand nimmt ... um all die(se)
Angst zu heilen ... fand oder erfand Jesus einen durch und durch „väterlichen“
(„mütterlichen“) Gott, und er selber redete zu ihm wie ein kleines Kind ...
Abba, lieber Vater ...
Gott ist nur gut, und der Mensch ist einzig dazu bestimmt, so gütig und weit zu
werden wie Gott selber ... nicht ein schöpfungstheologisches Theorem bedeutete
für Jesus die „Gottesebenbildlichkeit“ des Menschen in Gen. 1,26-27; er nahm
diese Abbildlichkeit Gottes im Menschen zur Grundlage einer neuen Existenzform
(376)
Was also hat Jesus mit seinem Glauben an einen „väterlichen“ Gott den Menschen,
der Menschheit geschenkt? Die Antwort kann nur lauten: Er verdichtete in seiner
Person das Vertrauen seines eigenen Volkes so weit, dass es sich freisetzte für
alle und dadurch „allgemeingültig“ wurde. ...
Wort eines chassidischen Rabbi, Schlomo von Karlin: „Was ist die schlimmste Tat
eines bösen Triebs? – Wenn der Mensch vergisst, dass er ein Königssohn ist.“
In der Tat gibt es für einen Menschen keine größere Gefahr, als sich seine
eigene Würdelosigkeit zu glauben ...
(378)
Jesus ... „bewies“ nicht die Existenz
Gottes als des „Vaters“, aber er bewies durch sein Leben, dass es möglich ist,
mit dem Glauben an einen „väterlichen“ Gott die Existenz des Menschen zu
vermenschlichen. Indem er in Gott an die Liebe glaubte, lebte er die Liebe
(379)
Es „gibt“ keinen Gott, „den es gibt“ – diese Kritik D. Bonhoeffers bleibt in
Gültigkeit; doch was es „gibt“, ist unsere Menschlichkeit, und zu ihr gehört,
dass wir an die Liebe glauben. ...
In streng Kantianischem Sinne ist Gott demnach nicht
mehr und nicht weniger als die Bedingung der Möglichkeit unserer
Vermenschlichung. In theoretischer Absicht ist und bleibt es für alle
Zeiten unbeweisbar, dass „es Gott gibt“; aber wir selber, um an die Liebe zu
glauben, müssen in praktischer Absicht einen „väterlichen“ Gott als
existierend voraussetzen.
Die ganze Vorstellung dieses Gottes ist ... durch und durch subjektiv. Da „ist“
keine allmächtige, allweise, und allgütige „Person“, die im „Himmel“ säße und
durch unser Treiben auf Erden vor das Problem gestellt würde, wie sie durch ihr
„Eingreifen“ in den Weltenlauf für ein bisschen mehr „Gerechtigkeit“, „Güte“
und „Wahrheit“ auf Erden sorgen könnte; da ist einzig eine sehr menschliche, allzu
menschliche Vorstellung, die wir als Menschen uns bilden, um nicht an der
Möglichkeit unserer Menschwerdung zu verzweifeln – eine „Projektion“, die uns
hilft, bei uns selber anzukommen ... und die ihre Wahrheit eben darin beweist,
dass an ihr der entscheidende Unterschied sichtbar wird, der uns zu Menschen
oder Unmenschen macht ...
Wir können uns daher ... sehr wohl einen Gott denken, den „es nicht gibt“, aber
wir können die Liebe nicht denken, ohne dass da eine „Person“ „ist“, die
„liebt“, und wir müssen, um absolut an die Liebe zu glauben, die Liebe selbst
absolut setzen. Nicht das „Sein“ Gottes, sondern das „Personsein“ Gottes ist
es deshalb, was wir als Menschen um der Menschlichkeit willen nicht als nicht-existent
denken können.
(380)
Wir (heutigen) Menschen sind nur ein Übergang (in der Evolution) ... alle
Menschheit, die nach uns kommen wird, steht genetisch wie kulturell in unserer
Nachfolge -, was die menschliche Spezies angeht, kann es nur noch mit uns
weitergehen oder, eines Tages, mit uns zu Ende gehen; deutlich aber ist
doch bereits die Kurzlebigkeit all dessen, was wir heute an
religiösen Aussagen treffen können ...
(381)
Alles jedenfalls, was wir heute religiös zu sagen vermögen, dient unserer Vermenschlichung
heute, ... eine Religion ... besitzt ... keinen Anspruch auf
Unsterblichkeit ...
Liebe ... ein Gottesbild, das sich auf solche Gefühle gründet, kann nie etwas
anderes sein als der Versuch, die Bedingungen zu beschreiben, die es uns ermöglichen,
zu denjenigen Menschen zu werden, die wir im gegenwärtigen Moment der
Geschichte „im Grunde“ sein möchten ...
(391)
Allein aus der Liebe lebt der Mensch, und alle Sakramente und Gebete, alle Riten
und Formeln der Kirche hatten und haben nur den Sinn, dich des Vertrauens zu
versichern, dass diese Liebe dich niemals verlassen werde. Diese Liebe bestraft
niemals, noch richtet sie, sie lenkt nicht, noch greift sie ein, sie ist
einfach da, wie die Sonne, welche mit ihren Strahlen die Blumen des Feldes
wärmt und ernährt. – Die einzelne Blume mag welken, doch die Sonne hört nie auf
zu scheinen, und auch die Blume hört niemals auf, eine Tochter des Lichtes zu
sein. ...
Eltern lehren schon lange ihre Kinder keine Gebete zum Einschlafen mehr ...
sitzen des Abends an ihrem Bett, erzählen ihnen noch eine kleine Geschichte,
streicheln ihnen über den Kopf und flüstern ihnen ins Ohr: „Hab keine Angst,
ich bin bei dir.“ Sie denken nicht daran, dieses Streicheln wie ein
verstohlenes Segnen und ihre Gute-Nacht-Geschichte wie ein Gebet und ihre Worte
zum Abschied wie ein Bekenntnis zu Gott zu verstehen; und doch handelt es sich
genau darum.
(401)
Entweder ist der Mensch frei, dann kann Gott nicht allwissend sein, oder Gott
ist allwissend, dann ist die Freiheit des Menschen eine Illusion.
(402f)
Auch Gott, so lehren inzwischen gerade die besten unter den Theologen, kann
nicht die Zukunft der Welt vorhersagen; denn gerade indem er diese Welt
absichtlich als ein Gemenge von Zufällen und Unwägbarkeiten erschuf, riskierte
er sich selbst in der eigenen Schöpfung. ... Es ist, um der Freiheit des
Menschen willen, nicht vollkommen unmöglich, dass ein vernunftbegabtes Wesen
wie der Mensch eines Tages die Lust daran verliert, die trübsinnigen Spiele der
Evolution weiterzuspielen ... an seiner Vernunft verrückt wird und einfach den
Willen zum Leben verliert. Was aber machte dann Gott? Das Ziel, auf das hin er
nach Theologenmeinung den ganzen Kosmos ausgerichtet hat, würde verfehlt! ...
Gott, so verkünden mittlerweile zahlreiche Theologen ... habe eine offene
Welt gewollt, innerhalb deren auch er selbst immer wieder neugierig
sein müsse, wie es nun weitergehe. ... Bild jenes alles wagenden Gottes
...
wenn Gott auf jeglichen Plan Verzicht getan hätte, eben weil er die Freiheit
seiner Geschöpfe und seiner Schöpfung gewollt hätte ... lebte in ständiger
Spannung, wie seine Geschöpfe entscheiden würden ... Der „zuschauende“ Gott
wohnte einer stets dramatischen Aufführung bei
... hätte sich in einen göttlichen „Mitspieler“ verwandelt; die Bibel
„bewiese“ jetzt zwar nicht länger, dass „alles sehr gut war, was Gott gemacht
hatte“ (Gen. 1,31), doch „bewiese“ sie nunmehr, wie „ganz menschlich“ der Gott
ist, der sie schuf ...
(404)
Jesus hoffte auf die baldige „Ankunft“ der „Gottesherrschaft“; er scheiterte
mit dieser Hoffnung, weil die Strukturen der Angst sich als stärker erwiesen - .... nur in Bezug darauf konnte Jesus uns „erlösen“: indem
er trotz der Nähe des Todes sich von seiner Wahrheit nicht abbringen ließ ...
zeigte ... in der Haltung seines Vertrauens, ... dass es keinen „Ort“ geben
muss, an dem Gott uns nicht nahe wäre ...
dass die Umformung des alles wissenden in den alles wagenden Gott das alte Übel
der „Christologie“ nur verlängert: Nach wie vor wird hier von Gott her die
Welt konzipiert ...
(405)
„Gott nimmt den Menschen als sein Geschöpf und die ganze Welt als seine
Schöpfung in ihrer Eigenart und Freiheit derartig ernst, dass er sie in ihrer
Eigengesetzlichkeit und Selbstbestimmung respektiert“, so lautet heute die
Gemeinschaftserklärung aufgeklärter Theologie ...
ABER damit sind alle im Dogma aufrechterhaltenen Aussagen außer Kraft gesetzt
(Menschwerdung seines Sohnes, Offenbarungen an Abraham, Isaak, Jakob, Moses,
Elias, Jesaja, usw. - Eingreifen in die menschliche Geschichte seit 3800
Jahren; den Gang der Dinge nicht respektvoll sich selbst überlassen ...) ...
Gottheit wird im Grunde lächerlich gemacht, indem hier ein sehr sinnvolles Bild
zur Deutung des menschlichen Daseins in die Behauptung einer an und für sich
bestehenden Tatsache verwandelt wird ...
(411)
Das Geld selber, indem es die Form von Edelmetall, von Silber und Gold, annahm,
verheißt, als toter Stoff, inzwischen unsterbliches Leben, während die Menschen
sich in das vergängliche Material der Planungen der Geldbesitzer und „Unternehmer“
verwandelt haben.
(414)
Kierkegaard: was er „Glauben“ nannte, war nicht mehr der Kirchenglaube
.... es war für ihn der Gegenbegriff zur Verzweiflung; „Glauben“
bedeutete für ihn die alles verändernde Haltung eines angstüberwindenden
Vertrauens ... er meinte, Vertrauen „wählen“ zu können ... Vertrauen ist aber
... niemals das Ergebnis einer „Entscheidung“, es ist ... das Ergebnis der
Erfahrung einer Liebe, die tragend genug ist, den Abgrund der Freiheit
erträglich zu finden.
(416)
Dasein im Augenblick. Einmal die „Hände“ zu spüren, die uns umfangen, wenn wir
uns wie Versinkende fühlen, einmal den Worten der Liebe lauschen, die uns für
immer sagen, wer wir sind und wofür wir in unserer Freiheit uns einsetzen
sollten, das bedeutet es, dass der Himmel die Erde berührt, das erschafft das Wunder
des Augenblicks.
(419)
Jesus ... nur drei Jahre lang in der Öffentlichkeit sich mitzuteilen – so sehr
stand, was er sagte und tat, all dem entgegen, was in der menschlichen Geschichte
Ansehen und Anerkennung genießt ...
die Wahrheit des Religiösen wird allein erreicht im Übersprung über die
Geschichte – durch die existenzielle Gleichzeitigkeit zwischen dem
„Lehrer“ (Jesus) und dem „Schüler“ (dem Menschen, der ein Christ werden möchte)
(420)
Kierkegaard: „das geistlich entwickelte Individuum nimmt im Tode seine Entwicklung
mit sich; soll ein späteres Individuum sie erlangen, so muss dies durch seine
Selbstwirksamkeit geschehen.“ Die geistige „Selbstwirksamkeit“ besteht darin,
nicht ein fremdes Vorbild nachzubeten oder anzubeten, sondern aus dem gleichen
Impuls heraus zu leben wie dieses
(421)
Geschichte Jesu: nicht Entscheidung der Menge ... er war allein
gegenüber der Menge ... Geschichte wird stets von ihrem bekannten Ausgang her
erzählt ... verhindert, dass diese Geschichte jemals in Wirklichkeit [neu]
anfängt: denn eben: anzufangen – das bedeutet gerade nicht zu
wissen, wie die Sache ausgehen wird ...
dass es nur eine Dimension der Zeit geben kann, die religiös relevant
ist: das ist der Augenblick
(425)
Ein Ereignis gilt mithin dann für „göttlich“ bzw. für eine „Offenbarung“
Gottes, wenn sich auf der Erlebnisseite des Menschen eine geschichtlich
bedingte Situation mit einem archetypisch vorgeprägten Deutungsmuster verbindet
... dass die „Samenkörner“ der religiösen Erfahrung längst ausgesät in der
Seele des Menschen schlummerten, ehe sie nun, zur rechten Zeit des beginnenden
Frühlings, sich aus der Erde hervortrauen ... dass „Gottes“ „Offenbarung“ nicht
etwas ist, das reinweg von außen, ohne jegliche Vorbereitung noch
Voraussetzung, an den Menschen herantritt, sondern ein Geschehen darstellt, bei
dem bestimmte Fähigkeiten und Möglichkeiten freigesetzt werden, die zutiefst in
der Seele des Menschen angelegt sind
(426)
welche Kräfte sich im Menschen zu regen beginnen, sobald er die Liebe zu
glauben beginnt. Endlich werden seine geheimen Sehnsüchte und Träume buchstäblich
„wahr“ ... durch das, was theologisch „Offenbarung“ genannt wird, werden nicht
fremde, an und für sich unerkennbare, weil unerhörte Tatsachen geschaffen oder
Tatsachenbehauptungen über gewisse Ereignisse in Raum und Zeit an den
Menschen herangetragen, die er fortan für „wahr“ „glauben“ müsste, vielmehr
tritt das menschliche Dasein selber endlich in seine Wahrheit und wird sich
durchsichtig bis auf den Grund, die Liebe
(427)
Jesus nimmt den kühnsten Traum der Propheten, ein „Reich Gottes“ sei möglich,
nicht länger für eine ferne Vision ... er verkündet: „Das Himmelreich hat sich genaht“
(= es ist da!) (Mk 1,15) ... nicht länger warten, „heute“, jetzt, „sogleich“
... im Augenblick jetzt das „Reich Gottes“, die Wirklichkeit der Liebe, zu
erleben ... Noch sein Bäumchen zu pflanzen
(428)
Frage, wie es möglich sei, die Menschlichkeit des Gottesbildes mit der Unmenschlichkeit
der „Schöpfung“ zu vereinbaren ... unbeantwortbar, solange wir das Urteil des
Verstandes in Geltung lassen; - der Verstand ist es, der vor allem in Gestalt
der modernen Naturwissenschaften ein Bild der Weltwirklichkeit zeichnet, der
sich mit den religiösen Erwartungen von einem „mitfühlenden“, „gütigen“ Gott
durchaus nicht vereinbaren lässt. ... Folgerung, ... die Wurzeln der Religion
nicht länger in der Logik des Verstandes zu suchen, sondern in dem, was KANT
als „Vernunft“ bezeichnete; und so kamen wir zu der Leere als dem
Ausblenden der Welt des Verstandes, zu der Liebe als einer Haltung der
Selbstbegründung der Menschlichkeit aus dem Absoluten, und eben jetzt: zu dem Dasein
im Augenblick als der Abwesenheit des Zwangs der Vergangenheit und des
Schauderns vor der Zukunft ...
für Theologie außerordentlich schwierig ... auf den Verstand zu verzichten ...
ein Problem lösen, das „christliche“ Theologie als „Wissenschaft“ sich selber
geschaffen hat. Lässt man den Verstand an die Bibel heran, beginnt er sogleich
die Vergangenheit „historisch-kritisch“ zu erforschen
...
(430)
Leere, Liebe, Augenblick ... wovon wir sprechen, sind lediglich Erfahrungsweisen
des Göttlichen, „Orte“ der Existenz, die das „Dasein“ von Göttlichem als „gegeben“
erscheinen lassen. All diese Erfahrungen sind so sehr mit dem menschlichen Bewusstsein
verknüpft, dass sie nur Sinn machen innerhalb der evolutiv vorgegebenen
Strukturbedingungen dieses Bewusstseins auf gerade dem Niveau, bis zu dem die
Evolution mit uns Menschen gegenwärtig gelangt ist ... nicht „ewig“ und
„endgültig“
(453)
Das Göttliche lässt sich nicht begrifflich definieren, sagt die „Leere“; es
lässt sich nur erfahren in der Irrationalität der Menschlichkeit, sagt die
„Liebe“; es wird nur zugänglich in der Unplanbarkeit der Zeit, sagt der
„Augenblick“. Das „Was“, das „Wie“ und das „Wann“ des Göttlichen beschreiben
diese Aspekte am besten, einfach indem man die Fragen des Verstandes nach dem
„Warum“ und „Wozu“ hinter sich lässt.
(433)
nicht etwas als „gegeben“ zu „erkennen“, sondern Erfahrungen im Raum einer
reifenden Menschlichkeit zu ermöglichen, ist der Sinn und das Anliegen der
Religion
(439)
Gott als ein Antrieb in der Seele des Menschen, Gott als ein Grund, mehr
zu wollen und zu ersehnen, als in den unmittelbaren Zielsetzungen der Biologie
vorgesehen ist, - eine solche Auffassung allein besitzt im Gespräch mit den
Naturwissenschaften eine gewisse Plausibilität und Berechtigung.
(443)
Biologe E.O. WILSON: fest steht für ihn, dass die „Prädisposition zu religiösem
Glauben ... die komplexeste und mächtigste Kraft des menschlichen Geistes“
darstellt
(446)
Religion hält das Instrument der symbolischen Verwandtschaft bereit (Vater –
Kinder)
(447ff)
Religion allem Anschein nach tief in der Evolution verankert ... Religiosität
somit Anpassung an eine (nicht existierende???) Realität ? ...
wirksame Faktoren zur Herausbildung des menschlichen Geistes lagen wesentlich
in der innerartlichen Kommunikation und Kooperation (Familie, Arbeitsteilung,
Fühlen, Denken, Sprache) ... Überzeugung des „Im-ganzen-gut“ (positives
Denken) als subjektiver Überlebensvorteil
(454)
Die Gottheit zeigt sich uns so, wie wir sie jeweils zu sehen vermögen ... Die
Wirklichkeit des Lichtes ist, wie sie ist; wir Menschen aber nähern uns ihr im
Erbe der Evolution des Wirbeltierauges mit Hilfe von drei sich überlagernden
Grundfarben.
(462)
Die Erfahrung der Einheit von allem ... die Verschmelzung des Bewusstseins mit
einer Unendlichkeit, die schlechterdings „fraglos“ ist, indem sie „Fragen“
weder zulässt noch beantwortet – das bildet eine religiöse Haltung, mit der die
meisten Naturwissenschaftler heute, wenn irgend sie überhaupt für religiöse
Fragen sich aufgeschlossen erklären, wohl ihr Auskommen und Einverständnis
finden können. Jeder Blick durch Fernrohr, Mikroskop, auf die Struktur ihrer
Formeln ...
(464)
niemals dürfe ein Mensch mit einem Menschen so verfahren, wie die Natur es
täglich tue ... schon das Reden von „dürfen“ verrät ein neues „Prinzip“, das im
Verlauf der menschlichen Evolution aus der Natur herausgewachsen sei, das aber
nun in Gestalt des Menschen etwas Neues, Andersartiges, geradezu Gefährliches
begründe: das Vermögen, ja, den Anspruch, das einzelne Leben zu schützen, das
Schwache zu schonen, das Hilflose zu unterstützen – und ins Grenzenlose zu
lieben.
(467)
dass es erst die Vorstellung der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Schönheit und
der Liebe ist, die den Menschen als Menschen hervorbringt, sodass der Mensch an
unendlich viel mehr glauben muss, als er selbst ist, um er selber zu sein.
(477f)
Gott wird (in der Sicht des Menschen) zu einem „Vater“ in der Nähe eines
Menschen, der vertrauensvoll und gütig genug lebt, um uns mit uns selbst und
dem Ursprung des Daseins als einem gütigen zu versöhnen. ...
Jemand, der sich auf die Haltung vertrauender Liebe in der Person und Botschaft
Jesu einlässt, wird als Grund dieser Haltung und als Hintergrund seiner „Welt“
etwas finden, das dieses Vertrauen ermöglicht und dieses Vertrauens wert ist
... Gottheit erlangt väterliche mütterliche Züge ... Da ist es nicht der
„Vater“, der den „Sohn“ „zeugt“, sondern es ist das „Zeugnis“ ... das die
Gottheit „väterlich“ erscheinen lässt ... In der „Trinitätslehre“ beschreiben
wir demnach nicht die Geheimnisse des Göttlichen, wie es an und für sich
besteht, wir bezeichnen lediglich die „Orte“ grundlegender Erfahrungen, die
Menschen mit dem Geheimnis des Göttlichen machen können.
(480)
Nicht an Jesus als den Christus (den „König“) zu glauben war das, was
der Mann aus Nazareth die Menschen lehren wollte, sondern mit ihm, wie er, Gott als die einzige bestimmende Macht im
Leben (als den „König“) gelten zu lassen ...
“Ich bin der Weg“ (Joh 14,6) – nicht „Ich bin das Ziel“
(481)
Die Wahrnehmung des Weltenhintergrundes als „väterlich“ ... „geht aus“ von der
Person des Mannes aus Nazareth, der dadurch selber als das „Wort Gottes“ empfunden
wird ...
nicht theologisch Beginn mit der „Schöpfung“, danach „Menschwerdung“ ... umgekehrt:
erst in der Erfahrung einer Liebe, wie Jesus sie lebte, wird der Gedanke einer
„Schöpfung“ durch eine gütige Macht überhaupt erst möglich ...
“Die Lilien des Feldes“ (Mt 6,28-29) – erst jemand, der sie durch seine
Zuwendung in ein Gleichnis für die Schönheit und Kostbarkeit des eigenen
Daseins verwandelt, macht uns glauben, der Weltengrund selber sei gütig und
schön.
(483f)
Da gibt es endlich im Geiste Jesu eine Erlaubnis zum Sein, die nicht
länger „verdient“ werden will ... Geist: die äußere Loslösung von der Person
des historischen Jesus und die innere Verschmelzung mit ihm
(492)
Alles Sprechen von Gott oder Gottheit bedeutet den Eintrag menschlicher Erfahrungen
in die Wahrnehmung einer Wirklichkeit, die wir erfahren, aber nicht denken
können
(493)
Die Religion ist nicht „objektiv“ ... es sind einzig wir Menschen, die
„Religion“ haben, gar brauchen.
Eugen Drewermann: Schöpfungstheologie – Teil 2
(Drewermann,
Eugen: Glauben in Freiheit,
Bd. 3. Religion und Naturwissenschaft,
Teil 2. Biologie und Theologie;
„...
und es geschah so: Die moderne Biologie und die Frage nach Gott“,
Walter-Verlag Zürich u. Düsseldorf, 1999, 969 Seiten)
(Seite
5)
„Was wär´ ein Gott, der nur von außen stieße,
Im Kreis das All am Finger laufen ließe!
Ihm ziemt´s, die Welt im Innern zu bewegen,
Natur in Sich, Sich in Natur zu hegen,
So dass, was in Ihm lebt und webt und ist,
Nie Seine Kraft, nie Seinen Geist vermisst.“
(J.W. von Goethe)
(13)
Wir (Menschen) haben aufgehört, im Mittelpunkt der Welt zu stehen, und die
Religion hat nicht mehr die Aufgabe, uns mit Hilfe des Glaubens die Welt zu
erklären; es genügte, hülfe sie uns, ein Stück Menschlichkeit in dieser Welt zu
bewahren.
(14)
Theologen begreifen für gewöhnlich sofort, dass man drei tote Sprachen erlernen
muss: Lateinisch, Griechisch und Hebräisch, um Gott zu „verstehen“, weil Gott
ja sich selbst vor ein paar tausend Jahren in einer bestimmten Kultur
vermeintlich „ein für allemal“ „geoffenbart“ hat; wenn aber Gott, selbst nach
Theologenmeinung, sich auch und gerade in der Natur „(ge)offenbart (hat)“,
sollten wir dann nicht zumindest mit vergleichbarem Fleiß die Milliarden von
Jahren alte Sprache des Lebens erlernen?
(29)
kirchliche Apologetik nur noch zwei Zonen, in denen sie nach wie vor in altbewährter
Weise die Lücken gegenwärtiger Naturerkenntnis als „Beweis“ für die Notwendigkeit
eines Schöpfers zu interpretieren sucht: das ist die Frage nach der Entstehung
des Lebens auf dieser Erde sowie die Frage nach der Entstehung des Kosmos
selber.
[wenn mir jemand die Existenz Gottes bewiese – was würde das an meinem
Verhalten ändern?]
(30)
Wie ist es möglich, inmitten einer radikal gleichgültigen Welt nicht
gleichgültig zu bleiben; wie ist es möglich, angesichts der völligen Beliebigkeit
aller Dinge zur Liebe zu finden; wie ist es möglich, in Anbetracht der
Unmenschlichkeit des blinden Spiels von Zwängen und Zufällen, in das wir
geworfen sind, Menschlichkeit, Freiheit und Sinn zu begründen?
Wie ist es möglich, ein Mensch zu sein unter einem so offensichtlich
unmenschlichen Himmel?
(43)
bei allen Lebensvorgängen kommt auf die Länge der Zeit etwas „Vernünftiges“
heraus, nur ist das, was da als Resultat entsteht, eben nicht ein
beabsichtigtes Ziel, sondern ein bloßes Ergebnis
(45)
Dawkins: Hätte die Evolution sich auf die Ein-Schritt-Selektion verlassen müssen,
wäre sie niemals irgendwohin gelangt. Wenn es jedoch irgendwie möglich war,
dass die blinden Kräfte der Natur die erforderlichen Voraussetzungen für eine kumulative
Selektion geschaffen haben, so könnten die Folgen seltsam und großartig sein.
... Die Evolution hat kein Langzeitziel ... In der Realität ist das Kriterium
der Auslese immer kurzfristig, entweder einfaches Überleben oder, häufiger,
Fortpflanzungserfolg.
(62)
Rupert Riedl: „synthetische Theorie“ der Evolution, in der die „Mechanismen der
Selektion (Darwinismus), Mutation (Neo-Darwinismus) und Populationsdynamik“
„einen fundamentalen Erklärungswert“ besitzen
(113)
Dawkins: Von der natürlichen Auslese werden die Gene immer wegen ihrer Fähigkeit
ausgelesen, in ihrer Umgebung zu gedeihen. Wir denken uns diese Umwelt häufig
als die Außenwelt, die Welt von Räubern und Klima. Aber vom Standpunkt jedes
einzelnen Gens aus gesehen, besteht der vielleicht wichtigste Teil seiner Umgebung
aus all den anderen Genen, auf die es trifft ... Jedes Gen wird wegen seiner
Fähigkeit ausgelesen, erfolgreich mit der Population anderer Gene
zusammenzuarbeiten. ...
dass der Genpool mit einem ungeheuren Archiv-Material von Genen gefüllt ist,
die akut nicht mehr gebraucht werden, jedoch bei entsprechender Konstellation
aktiviert werden können. In der „Gen-Bibliothek“ sind ... viele Hinweise auf
vorhandene Informationen ... in der Kartei der Verleihstelle ... gelöscht
worden, sodass sie nicht „ausgeliehen“ und gelesen werden können; sie lagern
aber nach wie vor in den „Regalen“ und besitzen an sich jederzeit die
Möglichkeit zu neuen vielfältigen Verknüpfungen.
(123)
Die Evolution wird vorangetrieben durch zufällige richtungslose Mutationen.
(128)
jede Ordnung ... wirkt auf ihre eigenen Entstehungsbedingungen zurück ...
Riedl: „Die Harmonie der Schöpfung folgt einem Naturgesetz; nur sind dessen
Konsequenzen nicht vorgegeben ... sondern mit ihr entstanden. Die Ordnung der
Evolution ist eine Konsequenz nicht prä-, sondern poststabilisierter Harmonie.“
(130)
Schöpfer gepriesen ob der Größe, Fülle, Schönheit und Weisheit seiner Werke ...
der Teufel – den Gott gewähren lässt – bringt Leid, Schmerz und Tod,
Verwirrung, Unordnung, Bosheit und Destruktion in die Welt (???)
(131)
Was wir zu sehen bekommen, ist eine Kumulation zufälliger, richtungsloser
Mutationen, aus deren Angebot sich nach und nach „Ordnung“ gestaltet. Das
„Chaos“ ist anscheinend nicht das Vermeidbare, das Nicht-Sein-Sollende, das
„Teuflische“ – es ist die Palette der Farben, mit denen zu malen ist!
(132)
in der Evolution entstehen Gebilde, die so lange existieren wollen oder müssen,
wie es ihre Konsistenz, ihre Reproduktionsrate und ihre Umgebung gestatten
(135)
Mitleid? Sorgfalt? Gerechtigkeit? Planung? Das alles sind Vorstellungen, die in
die Natur nicht hineingehören!
(136)
Das „Geistige“ ist nicht das einem toten Stoff von einem Schöpfer „Eingehauchte“,
es ist die sich entwickelnde Struktur immer höherer Komplexitätsgrade ... ist
das Ende jeder Art von metaphysischem Dualismus
(137)
Deismus (Ditfurth): Wenn überhaupt Gott und das Universum nicht im „pantheistischen“
Sinne ein und dasselbe sein sollen, so ist zu denken, dass Gott als der
Schöpfer seine Welt von Anfang an mit all den Möglichkeiten ausgestattet hat,
die im Verlaufe der Zeit dann nach und nach sich realisieren werden ...
(140)
Was tun, wenn es „Subjekte“ gibt, deren Leben nicht länger mehr in den „objektiven“
Zielsetzungen der Natur sich erfüllen kann
(144)
Ich glaube an Gott, um den Glauben an die Liebe nicht zu verlieren.
(152)
All die grausamen und grässlichen Erscheinungen des Lebens wären überflüssig
und vermeidbar, herrschte auf dieser Erde nicht ein chronischer Energiemangel.
Nicht das Wirken eines „Teufels“ hat dazu geführt, dass ein Tier das andere
frisst und dass alle Tiere mittelbar oder unmittelbar von Pflanzen leben, die
ihrerseits wieder sich untereinander den Platz an der Sonne streitig machen
... alles was lebt, braucht Energie ... und vermag sich im Falle des Mangels
diese Energie nur im Wettkampf mit anderen Lebewesen zu beschaffen
(240)
In der Natur sind Lebewesen immer wieder überzählig, überflüssig, schädlich ...
Natur verleiht einer solchen Feststellung den nötigen Nachdruck ... Die Natur
„darf“ das, schon weil sie gar nicht anders zu handeln vermag. Sie hat keinen
Willen; sie ist, wie sie ist. ... Jemand indessen, der, sei er ein Mensch, sei
er ein Gott, über einen wirklichen Willen, das heißt
über das Vermögen der Entscheidung zwischen alternativen Möglichkeiten
verfügt, „darf“ so nicht tun. Ihm obliegt es unter allen Umständen, die
Vergleichgültigung des Leids unzähliger Individuen zu bloßen Recheneinheiten
zu verhindern.
(258)
die Welt nicht im Bild eines harmonischen Symphoniekonzerts ... eher als Jazzkonzert
(Vorgabe von Themen, auf die Antworten gesucht werden, die anregen zur
Weiterführung, zur Improvisation)
(320f)
Neukombination von 23 mütterlichen und 23 väterlichen Chromosomen beim
Menschen: 2n 223=8,4 Mill. Kombinationen, zusätzlich
legen sich Chromosomen aneinander und tauschen Stücke aus (2-3 je
Chromosomenpaar)
(345)
Ei- und Samenzellen keine Lebewesen? haploide Einzeller
(398)
Bei Vögeln, bei Schmetterlingen, aber auch bei einigen Amphibien, Reptilien und
etlichen Fischen erfolgt die Geschlechtsfestlegung gerade umgekehrt: der Genotyp
des Männchen ist bei ihnen XX, der des Weibchens XY.
(416f)
Paradoxie ... dass wir existenzphilosophisch eben den Glauben voraussetzen
(„Postulieren“), den wir ... in naturphilosophischer Absicht als unhaltbar
erkannt haben ...
Den Widerspruch zwischen dem Gott der „Schöpfung“ und dem Gott der „Erlösung“
... deuten wir als Chiffre für den Gegensatz von Natur und Mensch. ...
Als Naturwissenschaftler wollen wir kausal begründend erklären, was ist; als
Menschen wollen und müssen wir existenziell fragend den Sinn dessen, was uns
erscheint, soweit zu enträtseln versuchen, dass wir auf die Infragestellung
unseres Daseins eine Antwort erhalten, mit der wir leben können.
(418)
Was wir als Individuen sind, ist unendlich viel mehr als das Programm unserer
Gene; es ist die Geschichte unseres Bewusstseins, es ist die Sammlung all der
Kompositionen, die jemals auf dem „Klavier“ der „Neuronenmaschine“ unseres
Gehirns gespielt und aufgeführt wurden.
(419)
Religion ... ist mithin ein Sieg des Heute über das Gestern, ein Überhang der
Zukunft über die Vergangenheit, ein Triumph der Planung über die Notwendigkeit,
eine schrittweise Ersetzung des Zwangs durch die Freiheit, eine allmähliche
Überwindung blinder Grausamkeit durch eine erkennende Liebe und durch eine
liebevolle Erkenntnis. ...
Alles, was das Individuum ausmacht, lässt sich als eine geistige, personale
Größe nicht auf biologischem Wege weitergeben.
(514)
von Gott sprechen ... zu dem Zweck, um einen Grund dafür zu finden, dass wir
als Menschen uns lebenden Wesen gegenüber anders verhalten, als die
Natur es mit uns tut
(563)
Gott ... ist nicht im Hintergrund dieser Welt. Er kommt allererst
mit uns Menschen zur Welt. Wir Menschen sind es, die Sinn und Willen und
Mitleid voraussetzen müssen, um Menschen zu sein oder, besser wohl, um
allmählich Menschen zu werden
(585)
Vögel konnten sich auf der Erde erst ausbreiten, als Blütenpflanzen sich entwickelt
hatten und davon Insekten sich ernähren konnten (Koevolution)
(612)
[Meteoriten-Einschläge, Vulkanausbrüche, Klimawechsel, Supernova-Explosionen
ermöglichen Leben, eröffnen neue Chancen, aber bedrohen Leben auch grundlegend;
Mutationen als Chance und „Krankheit“ - nicht nur Verdun, Auschwitz, Hiroshima
stellen Fragen]
(630)
Naturwissenschaften haben einen Mittelweg gefunden zwischen den Alternativen
Materialismus und Idealismus, Mechanismus und Vitalismus, Determinismus und
Chaos, Theismus und Atheismus – „Selbstorganisation“ (Autopoiese) ... das Leben
entwickelte sich nicht nach Plan, es ergab sich aus Prozessen, die sich die
Voraussetzungen zu seiner Entstehung und Weiterentwicklung „schufen“. Das
„sich“ ist dabei wesentlich; denn die Art dieser Prozesse besteht in ihrer
„Selbstbezüglichkeit“ ... in dem Aufbau von Strukturen, die den Wert von Informationen
besitzen
(654)
Der Mensch hat in seinem Zentralnervensystem mehr Nervenzellen als Informationssymbole
in seinem Genom. Das bedeutet, dass die Kontakte, die Milliarden von Zellen
miteinander verbinden, nicht im einzelnen
vorprogrammiert sein können
(714)
genetischer Code nicht universell: AAA codiert in den Mitochondrien von
Plattwürmern und Stachelhäutern nicht wie üblich die Aminosäure Lysin, sondern
Asparagin
(720)
Wächtershäuser: „Ur-Pizza“ - Entstehung des Lebens auf Pyrit
(769)
Naturwissenschaftler können .. in etwa erklären, wie
und warum das Leben entstand ... auch der Mensch ... Was aber soll aus uns werden?
Das sagen die Naturwissenschaftler uns nicht und können es uns auch nicht sagen.
(770)
verlangt wird eine Antwort, die aus der Sicht des fühlenden, leidenden,
hoffenden, denkenden Subjekts Orientierung und Halt bietet
(771)
Kiergegaard erst hat diesen radikal subjektiven, das heißt personalen, existentiellen
Charakter des Religiösen wiederentdeckt ...
Was ... geschieht eigentlich, wenn Menschen sagen, sie glaubten (an) Gott? ...
sie legen mit einem solchen Bekenntnis nahe, das Insgesamt möglicher
Welterkenntnis auf eine bestimmte Weise zu deuten. ... Gott zu glauben
hat damit zu tun, eben die Worte zum Sein zu vernehmen, die einem
Menschen die Natur nicht zu sagen vermag.
(772)
in der Geschichte der Religionen hat es niemals das Wort „Gott“ als „Symbol an
sich“ gegeben ... immer durch personhafte Symbole verdichtet und damit dem
menschlichen Fühlen und Vorstellen näher gebracht
(811)
Gott mit dem Insgesamt der Evolutionsdynamik gleichsetzen = Spinozistischer
Gott („Gott oder die Natur“ = deus sive natura), das komplexe Zusammenspiel der
Naturkräfte und Naturgesetze wird mit Gott identifiziert ...
Gott mit dem Prozess der Selbstorganisation gleichsetzen, = Prozesstheologie
(Paul Davies) ...
(813)
was sich hinter dem Marcionitischen Problem verbirgt, ist in Wirklichkeit der
Unterschied zwischen der Welt, wie sie uns „objektiv“ erscheint, das heißt, wie
wir sie mit den Kategorien des Verstandes, naturwissenschaftlich, zu erfassen
versuchen, und einer Betrachtungsweise,, die vom „subjektiven“ Erleben her
geprägt wird und seiner Erfassung dient.
(814)
Mit dem Bewusstsein ist etwas in die Welt getreten, das den Zusammenhang der
Welt durchbricht: es wird nicht mehr durch Kausalität gesetzt, es ist selbst
das Vermögen, Kausalität durch eigene Entscheidung setzen zu können. ... in
die Sphäre der Notwendigkeit ist Neues ... ein Moment der Freiheit
getreten
(817)
So ist es an sich – so bist du für mich
(822)
die Richtigkeiten naturwissenschaftlicher Erkenntnisse ... erklären stets nur
bis zur Erklärung hin: sie sagen im besten Falle, wie und warum etwas
notwendigerweise so wurde, wie es ist, und sie sagen, was (wahrscheinlich) werden
wird, wenn alles so ist, wie es ist; sie sagen gerade nicht, was im Raum
des Möglichen wählbar sein könnte, und noch weniger sagen sie, welch eine Wahl
unter dem Wählbaren wirklich zu treffen wäre
(827)
Wer mich sieht, sieht den Vater (Joh. 14,9) ... versteht man den Satz existentiell,
so bietet er die klarste und beste, ja, die einzig mögliche Auflösung des
Problems der Gottesfrage: der Glaube an einen persönlichen Gott lässt sich ... nicht
gewinnen aus der Betrachtung der durch und durch unpersönlichen Natur, er
findet seinen Grund letztlich in nichts anderem als in der Evidenz der
Menschlichkeit einer Person, die bis ins Innerste von ihrem Glauben an die
Personalität Gottes selbst durchdrungen und geformt ist ...
christlicher Glaube als Ermutigung, anders zu existieren, ... als es die
„Strategien der Genesis“ vorsehen
(831)
Bibel-Religion ist die erste in der Geschichte der Menschheit, die Gott als
eine Person jenseits der Naturmächte vorstellt ... Gott kann eben deswegen
nicht die „Mutter Natur“ sein
(854,
852) Gott als „Vater“, Weltentwurf der Güte, Geborgenheit vom „Ursprung“ her,
der Mensch ist gemeint, gewollt, berechtigt, geliebt
(836,
839) Gott als „Hirte“, begleitender Schutz, Geführtwerden, ... dass (auch) wir
als Menschen mit uns selbst und mit den Lebewesen an unserer Seite behutsam
umgehen
(841,
845, 852) Gott als „Richter“, unsere Freiheit verantworten, Begreifen der
Motive des eigenen Handelns, keine „Hinrichtung“, eher „Aufrichtung“,
„Ausrichtung“, „richtige“ Richtung, Absichten, Lernen aus Fehlern,
väterlicher, behütender, aufrichtender Gott
(848)
einer Religion als einer Form des Glaubens an einen persönlichen Gott bedürftig
ist einzig der Mensch; und so beschreibt denn der „Schöpfungsglaube“ im Grunde
nichts weiter als die Ausdehnung des Vertrauens, das ein Mensch zum
Leben braucht, auf die Welt, in der erlebt ... „Ich glaube an Gott den
Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde“ bedeutet in diesem
Zusammenhang so viel wie: „Ich entwerfe eine „Welt“, die nicht getragen ist von
Angst und Aggression, von Kampf und Konkurrenz, von Regeneration und
Degeneration, sondern die bestimmt ist von Vertrauen und Versöhnung, von
Mitleid mit Leid und von der Wertsetzung und Wertschätzung der Persönlichkeit
eines jeden einzelnen ...“
(854)
Feuerbach: „Der Wunsch ist der Ursprung, ist das Wesen selbst der Religion.“
entscheidende Frage, ob nicht zum Menschen eine ganze Reihe von „Wünschen“,
also von geistigen und emotionalen Bedürfnissen, ebenso gehören
wie die Vielzahl seiner leiblichen und sinnlichen Bedürfnisse.
(856)
dass Gott unserem Erkennen nicht als ein Erkenntnis“gegenstand“ zur besseren
Erklärung der Welt gegenüberstehe, sondern sich gewissermaßen in unserem „Rücken“
befinde, sodass wir „von ihm her“ in diese Welt hineingingen
(863)
Was uns im Gespräch mit den modernen Naturwissenschaften verbleibt, ist ein
sehr behutsames Künden davon, trotz allem „vielleicht behütet“ zu sein.
Eugen Drewermann: Schöpfungstheologie – Teil 3
(Drewermann,
Eugen: Glauben in Freiheit,
Bd. 3. Religion und Naturwissenschaft,
Teil 3. Kosmologie und Theologie;
„Im
Anfang ...: die moderne Kosmologie und die Frage nach Gott“,
Walter-Verlag Zürich u. Düsseldorf, 2002, 1287 Seiten)
(Seite
52f) der Mond übt wegen der Gezeitenbewegung eine Bremswirkung auf die Erde aus
– 0,00164 Sekunden werden die Tage in 100 Jahren länger – vor 400 Millionen
Jahren, im Devon, 1 Jahr = 405 Tage zu je 21,5 Stunden – Korallen bilden ihren
Panzer im Rhythmus von Tagen und Jahren aus, bei 370 Millionen Jahren alten
Korallen 395 Tage (in einem Jahr JK)
(64)
Aufheizung der jungen Erde: Meteoriteneinschläge, Wirkung des Eigengewichts
(Kompression) und Radioaktivität
(75)
Mond 30.000 Meteoritenkrater >1km
(649)
Aristoteles und Ptolemäus: Erde als Kugel im Zentrum von konzentrisch angeordneten
kristallinen Sphären, die Sonne, Mond und Planeten tragen und führen, äußerste
Grenze: Fixsterne jenseits der äußersten Sphäre begann für die Theologen das
Empyreum, der höchste Himmel, in dem Gott wohnt ...
Das „Reich Gottes“, das in der Botschaft Jesu eine zeitliche Größe darstellt,
deren „Kommen“ er ansagt (Mk 1,15), ist in der mittelalterlichen Theologie zu
einer räumlichen Sphäre geworden, zu der die Seligen nach ihrem Tode gelangen
... das Empyreum besteht nicht aus den 4 Elementen Feuer, Wasser, Luft und
Erde, sondern aus der Quinta essentia, die man sich als reines Licht vorstellte
(675)
es muss den „Himmel“ geben, wenn die Erde keine „Hölle“ werden soll
(680)
Mensch hineingeworfen in eine „Welt“, die ihm „Heimat“ nie sein kann...“Himmel“
als Bild, worin Heimatlosigkeit, Ungeborgenheit aufgefangen werden
(686)
Räumlichkeit des Innerweltlichen – und eine ganz andere Sphäre [res cogitans
und res extensa]
(688)
die religiöse Chiffre vom Himmel leistet bei uns Menschen gerade das, was im
Erleben wandernder Tiere die Flugunruhe ... in Gang setzt: da ist ein Land jenseits
gefrorener Tundren (von Gebirgsketten, von Meeren, von Wüsten ...)
(715)
die Hoffnung auf ein „ewiges“ Leben ... schenkt ... die Kraft, das Leben auf Erden
„richtig“ anzugehen
(718)
Der Himmel ... ist die Sammlung all der Augenblicke, in denen wir so waren, wie
wir hätten sein sollen, verbunden mit dem Wunsch und der Gewissheit, nur noch
so sein und bleiben zu dürfen
(723)
Deismus: ein Gott, der nach der Fertigstellung „seiner“ „Schöpfung“ niemals
mehr in irgend einen natürlichen Ablauf „eingreifen“
muss ... Schöpfer einer vollkommenen Welt ... Gott des 17. Jh.
(726,
725, 728) Einstein 1927: „Ich glaube an Spinozas Gott, der sich in der gesetzlichen
Harmonie des Seienden offenbart, nicht an einen Gott, der sich mit den Schicksalen
und dem Handeln der Menschen abgibt.“
“kosmische Religiosität“
“... dass der Weg zu wahrer Religiosität nicht über Daseinsfurcht, Todesfurcht
und blinden Glauben, sondern über das Streben nach vernünftiger Erkenntnis
führt“
(735)
„Gott ist die Liebe“ (1. Johannesbrief 4,8) ...
eine ethische Überzeugung ... gegen die Natur zu stellen
(736)
Beides ist nötig: den Zusammenhang aller Dinge zu denken und mit dem
Leiden jedes Lebewesens zu fühlen, um wahrhaft Mensch zu sein – um
wahrhaft religiös zu sein.
(738)
Das Individuum ... stellt die wirkliche Herausforderung für Philosophie, Religion
und Wissenschaft dar. ...
Wie ist es möglich, ein Leben sinnvoll zu finden, dessen Beginn absolut nicht
notwendig, dessen Dauer jederzeit bedroht und dessen Ende ebenso zufällig wie
unabänderlich ist?
(739)
Gerade die Unvollendbarkeit des irdischen Daseins stellt ... ein
gewichtiges Argument zugunsten des religiösen Glaubens an ein ewiges
Leben dar.
(886)
Theismus: Glauben an einen Gott, der persönlich in die Naturordnung, die er in
der „Schöpfung“ etabliert hat, „eingreift“ und sich darin als „Person“ zu
erkennen gibt;
Deismus: Glauben an einen Gott, der eine vollendete, nach Gesetzen geordnete
Welt geschaffen hat, die in allem einem „Plan“ folgt, der ihren kausal
bedingten, im Prinzip vollständig erkennbaren Abläufen zugrunde liegt; (Gott
greift nie ein)
Pantheismus: Glaube, dass „Gott“ mit der Naturordnung identisch ist
(887)
Einstein/Infeld: „Die Quantenphysik bringt Gesetze, die für Kollektive und
nicht mehr für Individuen gelten.“
(898)
Zeilinger: das wirklich Neue an der Quantenphysik ist die Tatsache, dass erstmals
„der objektive und reine Zufall“ auftritt, „bei dem für den Ausgang eines
Einzelereignisses nicht einmal eine verborgene Ursache gefunden werden kann.
Im Gegensatz dazu ist der Zufall der klassischen Physik subjektiv ... das
heißt, lediglich ein Ausdruck der Unwissenheit.“
(891)
keineswegs ist Freiheit identisch mit Indeterminiertheit, sie basiert vielmehr
umgekehrt auf der Determiniertheit jener kausalen Zusammenhänge, als
deren Anfang in die Ablaufreihe sie sich selber setzt. Hegel: man kann in den
Kausalzusammenhang der Naturabläufe nur „eingreifen“, wenn ihr Mechanismus
bekannt ist.
(892)
Es ist nicht ... das Spiel des Zufalls, die Indeterminiertheit, die Freiheit
ermöglichte; gerade umgekehrt: Freiheit kommt nur zustande als ein Bewusstseinsvorgang,
der in der Erkenntnis der kausalen Zusammenhänge gründet; Freiheit ist
gebunden an ein erkennendes Subjekt, das einer Welt, die nach objektiven
Gesetzen geordnet ist, gegenübersteht. ...
Die Eigentümlichkeit der Quantenphysik liegt gerade darin, dass sie auf der
Basis von Wahrscheinlichkeitsaussagen im Mikroskopischen exakte Aussagen im
Makroskopischen erstellt.
(893)
Chaosphänomene ... weil wir bereits die Anfangsbedingungen nicht genau genug
anzugeben wissen. Die Quantenphysik hat ... lediglich die Gewissheit hinzugefügt,
dass die Ungenauigkeit in der Bestimmung der Ausgangsbedingungen (nach der
Heisenbergschen Unschärferelation) nicht nur etwa auf einem technischen Mangel
unserer Messgeräte beruht, sondern ... „naturgegeben“, also prinzipieller Art
ist. So betrachtet, existiert eine erkennbare Kausalität überhaupt nur in
einem charakteristischen Zwischenbereich der Wirklichkeit. Sie existiert
„objektiv“ nicht in der Quantenwelt; darüber aber lagert sich die
makroskopische Welt, in der die statistischen Gesetze des Mikrokosmos zu
formulierbaren Gesetzen im Sinne der klassischen Mechanik gerinnen;
(895)
Heisenberg 1927: „Wenn schließlich vom Eingreifen Gottes die Rede ist, so wird
offenbar nicht von der naturwissenschaftlichen Bedingtheit des Ereignisses gesprochen,
sondern von dem Sinnzusammenhang, der das Ereignis mit anderen oder mit dem
Denken der Menschen verbindet.“ ...
damit Religion als Hermeneutik (= Auslegung) des Daseins
(915)
Heisenberg: „An der scharfen Formulierung des Kausalitätsgesetzes
, „wenn wir die Gegenwart genau kennen, können wir die Zukunft
berechnen“, ist nicht der Nachsatz, sondern die Voraussetzung falsch.“
(942)
Jedes naturwissenschaftlich entworfene Weltbild ist und bleibt ein menschlich
entworfenes Bild von der Welt und ist niemals eine Offenbarung der Wirklichkeit
an sich.
(1035)
Vatikan ... ein jesuitischer Astronom an der römischen Gregoriana 2000: „In
einer typischen Galaxie mit mindestens einer Milliarde Sternen könnten Mengen
von Planeten ähnlich unserer Erde mit Lebewesen existieren. Ich glaube, dass
die Außerirdischen unsere Brüder ... sind.“
(1067)
für einen Physiker, der seine Arbeit ernst nimmt, ist es nicht erlaubt,
eine Frage nach einer Ursache von etwas oder von allem mit „Gott“ beantworten
zu wollen. ...
ein religiöser Glaube, der sich in Alternative oder Konkurrenz zu den
Naturwissenschaften formuliert, missversteht sich selber; er bringt einerseits
die ständige Gefahr der Ideologisierung naturwissenschaftlicher Methoden und
Einsichten mit sich; andererseits macht er sich selbst stets abhängig von dem
jeweils neuesten Stand von Forschung und Wissen, so als stehe oder falle der
Gottesglaube mit dem Erfolg oder Misserfolg der jeweils neuesten Modelle in der
Elementarteilchenphysik oder der Astrophysik.
(1084)
Der Unterschied von Erklären und Verstehen, von naturwissenschaftlichem
Begreifen und geisteswissenschaftlichem Deuten der Welt
(1086)
Wenn wir tatsächlich am Anfang der Welt eine unendliche Intelligenz voraussetzen
müssten, um die Feinjustierung der Parameter der Teilchenphysik zu erklären,
so sollten wir eine vergleichbare Sorge und Sorgfalt auch bei allem weiteren
Fortgang der Welt gewärtigen dürfen ...
(1094)
an jeder Stelle muss die Physik von den Fragen abstrahieren, die zum Verständnis
der menschlichen Existenz von Belang sind
(1101)
dass Gott nirgendwo in „seiner“ „Schöpfung“ ... „eingreifen“ wird noch „eingegriffen“
hat; es gibt ganz einfach kein Ereignis in Raum und Zeit, das ein solches
„Eingreifen“ demonstrieren würde; es gibt im Gegenteil so viele Geschehnisse,
die ein göttliches „Eingreifen“ als ratsam oder notwendig sollten erscheinen
lassen, dass schon ihr Stattfinden das Nicht-Eingreifen Gottes eklatant
macht. ... die „Sprache „ eines sich
„offenbarenden“ Gottes in der Welt nicht vernehmbar ist ...
(1108)
kardinaler Fehler der tradierten Theologie darin, dass sie den Glauben partout
als eine andere Seite des Wissens im Gegenüber zum Sein verstehen mochte,
statt in Glauben und Wissen zwei unterschiedliche Weisen des Daseins
(der menschlichen Existenz ) zu erblicken.
Kierkegaard: der Konflikt zwischen Theologie und Naturwissenschaft ist
unvermeidbar, weil und solange die Theologie selber als „Wissenschaft“, das
heißt als ein System von objektiv gültigen, mit Vernunftgründen zu beweisendes
Aussagen über Gott auftreten will; daraus ergeben sich naturphilosophische
Behauptungen über die Natur und Streit mit der Naturwissenschaft ...
nur ein Mittel, durch das Gott mit dem Menschen in Verbindung treten könne: das
Einzige, worüber er mit dem Menschen sprechen will, ist das Ethische.
(1114)
„Schöpfungstheologie“ erweist sich als Daseinshermeneutik ...
“Schöpfung“ ist kein Begriff des Verstandes ... ist ein Ausdruck reinen
„Glaubens“, eine poetische Darstellung der menschlichen Existenz im Vertrauen
zu Gott
(1125)
Wenn die ganze Welt das Werk eines Gottes ist, der den Menschen in Ähnlichkeit
zu sich selbst „gemacht“ hat, so muss man den Menschen sehen, um Gott
zu schauen, und es lässt sich die Welt begreifen als die „gnädige Gabe“
eines dem Menschen „gütigen“, ja, ihm verwandten Gottes.
(1130)
Was kein Stern, kein Mond, keine Sonne einem Menschen zu sagen vermag, kann
einzig ein Mensch einem anderen Menschen vermitteln und schenken: sein Sein als
Person.
(1138)
Für einen Menschen, der an der Seite Jesu Gott als den „Vater“ „erkannt“ hat
(Joh 5,19-24; 14,9-11) und der darin zu sich selbst zurückgefunden hat, taucht
in gewisser Weise die Welt als möglicher Erfahrungsraum Gottes überhaupt erst
auf.
(1139)
sich dem Kampf ums Dasein verweigern, und seine Menschlichkeit zu leben, die
nicht länger das „Schwache“ selektiert, sondern schützt, die das „Geknickte“
nicht „bricht“, sondern aufrichtet (Jes 42,3), und die das „Verlorene“ nicht
als „Verlust“ „abbucht“, sondern sucht und zurückholt (Lk 15,4) ...
erst von diesem Moment an vermag auch die Natur als ein stummes Liebesgedicht
vernehmbar zu werden ...
(1144)
den naturwissenschaftlichen Zugang zur Wirklichkeit als ergänzungsbedürftig
betrachten und neben ihm komplementär einen anderen, in gewissem Sinne entgegengesetzten
Zugangsweg postulieren, der vom Subjekt des Menschen seinen Ausgang nimmt und
der die Bedürfnisse und Erfordernisse der Subjektivität der menschlichen
Existenz als eine eigene Wirklichkeit jenseits der „Natur“ berücksichtigt
(1145)
Esoterik: Beschreibung psychischer Sachverhalte durch den (fälschlichen)
Gebrauch naturwissenschaftlicher Begriffe (wie Energie, Feld, Strahlung usw.)
(1149)
der Mensch verhält sich entweder objektiv-erkennend oder subjektiv-sinnsuchend
zur Wirklichkeit
(1156)
Medizin : Erklären und Verstehen,
Naturwissenschaft und Daseinsauslegung (Hermeneutik), objektive Betrachtung
und subjektive Einfühlung müssen zusammenkommen, um der Not eines
Menschen gerecht zu werden
(1174)
So wie Jesus die Liebe zu den Menschen an die Liebe zu Gott knüpfte, so ist es
möglich, von Gott her die Liebe zur Welt (zurück) zu gewinnen
(1175)
gar nicht möglich ist, irgendeinen Teil der „Welt“ liebzugewinnen, ohne dass
sich diese Liebe ausdehnt auf immer weitere Zonen der Wirklichkeit, von den
Menschen zu den Sternen, von den Schneekristallen zu den Blumen, von den
Steinen zu den Tieren
(1184)
wir müssen an die Liebe glauben, um sie in die Welt zu bringen, und wir
müssen auf die Menschlichkeit hoffen, um sie zu leben ...
Beispiel Jesu zeigt, dass es möglich ist, im äußeren (politischen, kirchlichen,
wirtschaftlichen, biologischen ...) Sinne vollkommen zu scheitern, weil
man alles richtig macht – „richtig“ im Sinne gelebter Menschlichkeit ...
Indem wir aber Gott die Liebe selber nennen, erweist er sich als allmächtig
nicht in der freien Verfügbarkeit der Welt, wohl aber indem er zu der einzigen
Macht wird, die unser ganzes Leben zu durchwalten vermag und für die
einzig sich zu leben lohnt; da erweist er sich als gütig, nicht in einer
erkennbaren Fürsorge gegenüber den leidenden Kreaturen, wohl aber indem er
unser eigenes Herz, allen Anfeindungen der Welt gegenüber, trotz allem zu
Verstehen, Mitleid und Schonung bestimmt; da erweist er sich als weise,
nicht in einer erkennbaren Planung und Vorsehung des Naturgeschehens, wohl
aber indem wir es lernen, der leisen Stimme der Vernunft folgsamer uns zu fügen
als dem lauten Diktat des pragmatischen Augenblicksangebots.