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Auszüge aus dem Buch

Kurt Flasch: „Warum ich kein Christ bin“;
C.H.Beck, München 2013

 

(S.23) Meine Position ist konsequent agnostisch, nicht atheistisch. Denn ein Atheist traut sich zu, er könne beweisen, dass kein Gott sei. So zuversichtlich bin ich nicht. … Nein, ich brauche keinen Ersatz. Ich lasse die Stelle leer. Ich leide nicht an Phantomschmerz. Ich habe kalt und ersatzlos abgeschlossen. Die Geschichte des Christentums, seine Kunst und Literatur interessieren mich wie zuvor, aber alles Dogmatische geht mich nur historisch etwas an. …

(26) Ich gehe von den geschichtliche4n Quellen des Christentums aus. Das erzeugt vermutlich den Eindruck, was ich ablehnte, sei nur ein veraltetes, ein heute kaum noch vertretenes Christentum. Das muss so aussehen bei Christen, die nur noch ein abgespecktes Christentum, eine „Orthodoxie light“  kennen. Ich behaupte, es sei die Altertümlichkeit des unverkürzten Christentums selbst. …

(41) Viel musste seit dem 18. Jahrhundert passieren, bis die christliche Vorstellung von Erlösung nicht nur unplausibel, sondern als eines guten Gottes unwürdig erschien: Wie konnte der Ungehorsam des ersten Menschen Gott so sehr beleidigen, dass allein das blutige Opfer seines geliebten Sohnes ihn mit der Menschheit versöhnte. …

(50) Die historisch-kritische Untersuchung hat als einzige theologische Disziplin unbestreitbare Ergebnisse gebracht, und darunter verstehe ich Ergebnisse, die nur zusammen mit dem Beweisweg vorgetragen werden, der zu ihnen geführt hat, so dass sie widerlegbar sind. Weil sie prinzipiell widerlegbar sind, sind sie überwiegend sicher. Es ist Mode geworden, die Ungewissheiten der Vernunft in den Kulturwissenschaften zu betonen. Aber mit Redensarten ist hier nichts gewonnen. Wenn die historisch-kritische Bibelforschung z.B. feststellt, Paulus nenne niemals Jesus „Gott“, dann ist leicht mit völliger Gewissheit zu ermitteln, ob dieser Satz wahr ist oder falsch. Wenn er richtig ist, sagen die vermutlich ältesten Texte der Christenheit noch nichts von der Gottheit Christi. Wenner wahr ist, verlangt er als unbestreitbares Faktum eine historische Erklärung, von der nur ablenkt, wer vorbringt, historisches Wissen sei keine strenge Wissenschaft. …

(57) Markus berichtet im achten Kapitel, Jesus habe die Jünger einmal gefragt, was die Leute so über ihn sagten. Sie antworteten, die einen hielten ihn für den zurückgekehrten Johannes den Täufer, andere für Elias oder einen anderen der Propheten. Die leibhaftige Rückkehr von Toten war ihnen ein vertrauter Vorgang. Die Apostelgeschichte erzählt, Petrus und Paulus hätten Tote erweckt. (Apostelgeschichte 9,36 und 20,9. Markus 6,7 und Matthäus 10,8 berichten, Jesus habe die Apostel ausgesandt, um Kranke zu heilen, Tote zu erwecken und Dämonen auszutreiben) …

(61) Bekanntlich hat der Apostel Judas, wie Matthäus 27 berichtet, den Erlöser zum Preis von 30 Silberlingen  verraten. Matthäus sah darin eine Weissagung erfüllt, … und zitiert dafür den Propheten Jeremia „Sie nahmen die 30 Silberlinge …“ (Matth. 27,9). Nun findet sich aber dieser Text mit den 30 Silberlingen nicht im Text des Jeremia, wohl aber beim Propheten Sacharja, 11,12-13. Der Evangelist, würden wir folgern, habe die beiden Namen verwechselt. …

(76) Wenn der Christ sagt, sein Leben habe Sinn, dann macht er diese Aussage mit jeder beliebigen Tatsachenfeststellung über sein Leben kompatibel. Wenn ihn ein Auto überfährt oder wenn er Lungenkrebs bekommt, sagt er auch, sein Leben sei sinnvoll. Oder ist sein Leben nur sinnvoll, weil ihn sein Glaube für das jenseitige Leben disponiert? Dann wäre das irdische Leben in sich sinnlos, eine Attrappe als Rampe fürs Jenseits. …

(79) Die Abscheu vor Glaubensbegründungen kennt verschiedene Formen und verbirgt sich unter verbalen Nebeln. Oft hat sie nur den Charakter einer Atmosphäre, sei es der Feierlichkeit, sei es der Traditionspflege, sei es der inszenierten Ästhetisierung. Diese ist eine elegante Art, sich der Rechenschaft über seinen Glauben zu entziehen, zu der die frühe Christenheit sich verpflichtet sah. Die christliche Religion, sagt man in unbestimmten Wendungen, sei eine Form hohen Stils in einer Zeit der Formlosigkeit; sie biete gestaltete Kontinuität in sich überstürzenden Prozessen und trage so ihre Rechtfertigung in sich. Sie sei schön, und was schön sei, bedürfe keiner begrifflichen oder historischen Rechtfertigung; man muss es nur sehen und erleben. …

(81) Meine Kritik betrifft die christlichen Lehren, nicht die kirchlichen Zustände; und ich spreche nicht aus dem Ressentiment des Kirchengeschädigten. …

 

(84) Kirche … gestattet, den faktischen Charakter der biblischen Berichte verschieden zu interpretieren, aber wer ihn bestreitet, verliert das Lehramt. Die Kunst mancher Theologen besteht darin, Formulierungen zu erfinden, denen man nicht leicht anmerkt, dass Eva nicht aus der Rippe gebildet und dass das Grab (Jesu) nicht leer war. Es genügt, dass der Theologe in irgendeiner unbestimmten Form an der Erbsündenlehre festhält, denn ohne sie funktioniert weder die lutherische noch die römische Erlösungstheorie. …

(107) Kaum etwas ist weniger überprüfbar als die Behauptung, eine Jungfrau habe ein Kind geboren. Als Joseph Ratzinger in seiner „Einführung in das Christentum“ (ich zitiere die Erstausgabe von 1968) darüber sprach, gestand er zunächst einmal zu, diese Idee sei von heidnischen Vorstellungen „wohl nicht völlig unberührt geblieben“ (S.227), aber nach diesem halbherzigen Zugeständnis an die Religionsgeschichte erklärte er sie dann doch aus seiner Theologie des alttestamentlichen Gottes: Die Jungfrauengeburt bedeute, dass der Mensch Jesus sich nicht der Menschheit verdanke, sondern ganz, auch dem Leib nach, das Werk Gotte sei (228). Ratzinger schließt seine Erklärung der Jungfrauengeburt, indem er darauf besteht, sie sei ein tatsächliches Ereignis gewesen. Achten wir auf jedes seiner Worte, wie er das sagt. Er schreibt:
„Es sollte eigentlich keiner eigenen Erwähnung bedürfen, dass all diese Aussagen (über den Sinn der Jungfrauengeburt – Zusatz von K.F.) Bedeutung haben nur unter der Voraussetzung, dass das Geschehen sich wirklich zugetragen hat, dessen Sinn ans Licht zu heben sie sich mühen. Sie sind Deutung eines Ereignisses; nimmt man dies weg, so werden sie zum leerem Gerede. das man dann nicht nur als unernst, sondern als unehrlich bezeichnen müsste“ (S.228).
Dies steht am Ende des Abschnitts über die Jungfrauengeburt. Der Autor besteht abschließend darauf, sie sei ein wirkliches „Geschehnis“. Wer dies offenlasse, rede unernst und gar unehrlich. Aber wenn dies so ist, wäre doch vor der Erörterung über den Sinn des Vorgangs sein faktischer Charakter zu sichern gewesen … Er möchte sogar „eigentlich“ über die Tatsächlichkeit nicht sprechen; er nimmt sie als selbstverständlich in Anspruch. Aber wieso sollte sie „eigentlich keiner eigenen Erwähnung bedürfen“, wenn ohne Faktizität alle Aussagen über sie keine Bedeutung haben …

(111) Im ersten Kapitel des Evangeliums nach Matthäus tritt der Engel des Herrn auf und erklärt Joseph, wieso seine Maria ein Kind erwartet, das nicht von ihm ist:
„Sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden.
Das ist aber alles geschehen, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat:
»Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben«, das heißt übersetzt: Gott mit uns.
Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte …“
Also nicht nur der Verfasser des Evangeliums, sondern der Engel des Herrn selbst sah die Jungfrauengeburt als vom Propheten Jesaja 7,14 vorausgesagt. Der Evangelist fand sich dabei in sicherer Gesellschaft; Jesus selbst hatte gesagt, die Propheten hätten von ihm gesprochen, Matthäus 11,4-6. Im Weihnachtsevangelium dient das Argument aus der Erfüllung der Vorhersage der Bestätigung der Worte des Engels; seine Botschaft ist von Gott selbst besiegelt; er kann Joseph beruhigen.
Die Bibelstelle, die der Engel des Herrn zitiert, steht im 7. Kapitel des Propheten Jesaja. Dort wird in den Versen 1-9 berichtet: Gott schickt den Propheten Jesaja zum König Ahas. Dieser ist erschrocken, weil er gehört hat, zwei feindliche Könige hätten sich gegen ihn verbündet und seien im Anmarsch. Der Prophet trifft den König bei Arbeiten, die der Wassersicherung im Fall der Belagerung deinen. Der Prophet beruhigt den König: Gott wird den Sieg der beiden Könige verhindern. ‚
Die Verse 10-17 desselben Kapitels erzählen weiter, Gott habe dem König Ahas ein Zeichen angeboten, damit der König dem beruhigenden Prophetenwort glauben kann. Ahas lehnt es ab, um ein Zeichen zu bitten. Er wolle Gott nicht in Versuchung führen‘. Darauf bietet Gott ihm von sich aus ein Zeichen an. Er verspricht ihm – ab Vers 14, jetzt in der Übersetzung der bischöflichen Einheitsübersetzung:
„Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären, und sie wird ihm den Namen Immanuel geben. …
Bevor das Kind Gut und Böse unterscheiden kann, wird das Land verödet sein, vor dessen Königen dir jetzt graut.“
In Vers 14 gibt es ein Problem der Übersetzung: Wo von der zukünftigen Mutter die Rede ist, steht (im hebräischen Urtext – JK) „alma“, was nicht „Jungfrau“ bedeutet, sondern: die unverheiratete Tochter, das Mädchen, aber auch: die junge, verheiratete Frau. Joseph Ratzinger fand sich zu dem Zugeständnis bereit, aus dem Wortlaut gehe „nicht ohne weiteres hervor“, dass „dabei an eine Jungfrau im strengen Sinne gedacht sei“ („Einführung in das Christentum“, S.224). Mit vielem „Weiteren“ machten Theologen aus der nicht-strengen Jungfrau dann doch eine „Jungfrau im strengen Sinne“. Die alte griechische Übersetzung, die Septuaginta, war dazu behilflich, denn sie schrieb für das hebräische Wort („alma“) parthenos ‚Jungfrau‘ . Die lateinische Übersetzung, die Vulgata, lieferte: Ecce virgo concipiet, und die westlichen christlichen Ausleger folgten ihr: So kam die Weissagung der Jungfrauengeburt zustande. Aber nur, wenn man diesen Satz aus dem Zusammenhang riss. Dieser war: Ahas sollte Hoffnung schöpfen, weil er erfährt, die Koalition der Feinde werde zerbrechen, ehe das Kind groß ist, das die junge Frau jetzt erwartet. Gott spendet Trost in drohender Kriegsgefahr. Da hätte es keinen Sinn, dass der Prophet ein Hoffnungszeichen verspräche, das in vielen hundert Jahren als wunderbare Jungfrauengeburt eintreten wird. Der Prophet will den König jetzt beruhigen; die Geburt Jesu wird er nicht erleben. Ein Ausblick auf Christi Geburt nutzt ihm nichts in seiner Situation des drohenden Kriegsausbruchs mit zwei übermächtigen Gegnern. …

(118) Ich benutze das Wort „Mythen“, wenn es um Erzählungen geht, meist Göttergeschichten, bei denen die „realistische“ Rückfrage nach „Tatsachen“ nicht angebracht ist. …
Noch ein Wort zum Verhältnis von Wundern und Realität: Es gibt Zufälliges und Unerklärliches beim augenblicklichen, wohl aber bei jedem Stand des Wissens. Ich kenne keinen „Rationalisten“, der die völlige Durchsichtigkeit der Welt behauptet hätte. …

(119) Augustinus schrieb, wenn Gott in der Natur ein Wunder wirke, geschehe das nicht gegen die Natur (De civitate Dei 21,8,2). Dabei setzte Augustin die Allmacht des Erschaffers voraus, der jedem Ding die Natur zuteilen kann, die er für es will. Was Gott bewirkt, ist allemal die Natur des Dings. Er braucht nicht die einmal von ihm gesetzten Naturen zu respektieren. ER bestimmt souverän, was die Natur sein soll. Thomas von Aquin … bestätigte: Gott ist der Herr der Natur; sie ist sein Instrument, und was er für sie festsetzt, auch über den normalen Naturprozess hinaus, das ist ihre wahre Natur. …

(120) Die Auferstehung Jesu nach seinem Kreuzestod, sagt man mir, sei das zentrale Ereignis des christlichen Glaubens. Den Christen beweise sie die Gottheit Christi. Und wenn Christus nicht auferstanden ist, schreibt Paulus, dann ist unser Glaube leer. Dann werden auch die Christen nicht auferstehen, 1. Korinther 15,14. Damit hat er zweifellos recht. So betrifft das Nachdenken über Jesu Auferstehung Vergangenheit und mögliche Zukunft, es ist die zentrale Frage an jemanden, der von sich sagt, er sei kein Christ mehr. …

(121) Die ältesten Berichte sagen, Gott habe Jesus aus dem Tod „erweckt“. Nicht, er sei aus eigener Kraft auferstanden, sondern Gott habe ihn aus dem Todesschlaf gerufen. Christus geht nicht als Gott in eigener Vollmacht aus dem Grab hervor. Paulus hat ihn niemals „Gott“ genannt. …

(126) Nach Matthäus 28,16-20 trifft Jesus die elf Jünger in Galiläa: Er gibt ihnen den Befehl, in alle Welt, also zu den Heiden zu gehen und sie zu taufen „im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“
Das ist die einzige Stelle im Neuen Testament, die von der Trinität redet. Auch der Taufbefehl kommt nur hier vor. Der antike Kirchenhistoriker Eusebius zitiert die Stelle ohne den Taufbefehl und ohne Trinität. Sie fehlte wohl in einigen alten Handschriften.
So viel wir von der Urgemeinde wissen, kannte sie diesen Befehl nicht. Ihre überwiegende Ansicht war, für die kurze Zeit bis zum Weltende solle die Mission nur für Israel gelten. So ausdrücklich nach Matthäus 10,5. („5 Diese Zwölf sandte Jesus aus und gebot ihnen: Geht nicht zu den Heiden und betretet keine Stadt der Samariter, 6 sondern geht zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel. 7 Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe.“). Paulus setzte nur mit Mühe die Heidenmission durch. …


(130) … Vorwurf, die heiligen Schriftsteller hätten gelogen und betrogen. Das behauptet kein besonnener Mensch. Sie haben nur erzählt.
… ist von einem auffälligen „Fortschritt“ der theologischen Wissenschaft zu berichten: Im Lexikon für Theologie und Kirche Band 1, Freiburg 1993, Spalte 1185 steht das Eingeständnis: „Die Auferstehung ist keine beweisbare Tatsache.“ Nicht die Auferstehung, nur die Auferstehungserzählungen seien Gegenstand historischen Wissens. …


(132) „Die Auferstehung Christi ist ausschließlich Glaubenszeugnis“, sagt das maßgebliche evangelische Konkurrenzlexikon (Religion in Geschichte und Gegenwart, Band 1, Tübingen 1998, Sp. 922). Ich wüsste gern, was hier das Wort „ausschließlich“ bedeutet. …

(142) Gott hat eine Geschichte. Auch seine Ewigkeit ist nicht von ewig. Er hat sie mit der Zeit bekommen. Der Gott der Bibel ist entstanden und hat sich verändert. Er war nicht immer das reine Gute; er hatte anfangs dämonische Züge. Zuweilen war er schwer vom Satan zu unterscheiden. Er sandte Donner und Blitz; er trank Hekatomben von Blut. In seinem Tempel floss ständig das Blut der Opfertiere. Der Patriarch Jakob kämpfte mit ihm wie mit einem Feind (Genesis 32,23-33). Gott tötete. In seiner Wut fiel er über seinen auserwählten Moses her, der dem Mordversuch nur knapp entging (Exodus 4,24-26 – „24 Unterwegs am Rastplatz trat der Herr dem Mose entgegen und wollte ihn töten. 25 Zippora ergriff einen Feuerstein und schnitt ihrem Sohn die Vorhaut ab. Damit berührte sie die Beine des Mose und sagte: Ein Blutbräutigam bist du mir. 26 Da ließ der Herr von ihm ab. «Blutbräutigam», sagte sie damals wegen der Beschneidung.“). Einmal sagt Gott sogar von sich, er habe Israel Gesetze gegeben, die nicht gut sind (Ezechiel 10,25 – „Auch gab ich ihnen Gesetze, die nicht gut waren, und Rechtsvorschriften, die es ihnen unmöglich machten, am Leben zu bleiben.“).
Es kommt darauf an, wie man das Wort „Gott“ definiert. Der Einwand, das Unendliche sei nicht definierbar, klingt tiefer als er ist, denn es geht hier nur darum, die Bedeutung einer Vokabel anzugeben. Gehört reines Gutsein wesentlich zu ihm? Dieser Begriff von „Reinheit“ also von Unvermischtsein mit Bösem,. ist platonisch, nicht biblisch. Gehört das Verlangen nach Opfern zum Begriff „Gott“? Will er Menschenblut sehen? Fordert er Tieropfer? Oder will er Gehorsam statt blutiger Opfer? Ist er der wahre „König“? Dominiert er das Gemeinwesen? Er sagt von sich, er sei „heilig“. Aber „heilig“ hieß bei ihm lange Zeit soviel wie „abgegrenzt, erschreckend und unnahbar“. Es bedeutete Todesdrohung für den, der sich ihm nahte. Er übte amoralische Magie: Er tötete einen Mann, der zufällig und ungewollt die ins Rutschen geladene Bundeslade berührte (2. Samuel 6,6-7). Er nannte sich „Vater“, aber auch „Herr der Heerscharen“. Sein Konzept der Vaterschaft war einseitig hart. Es besagte nicht „Liebe“ in unserem Wortsinn. Er war nicht der Vater aller Menschen, sondern der Besitzer eines besonderen Volkes. Nicht selten wurde er zornig. …
Historisch gesehen ist Gott ein werdendes, ein vergängliches Wesen. Was wir von ihm haben, was wir von ihm wissen, steht in Texten, die seine Wandlungen belegen. Früher war er eifersüchtig bis zur wilden Wut auf Menschen, die einen anderen Gott verehrten. Er forderte Intoleranz, die Zerstörung fremder Kultstätten, die Zerschlagung von Götterbildern und das Umbringen der Götzendiener. Sollte er das heute nicht mehr wollen, war das ein unvorhersehbarer Wandel. …

(157) „Mose sagte zu ihnen: Warum habt ihr alle Frauen am Leben gelassen? … Nun bringt alle männlichen Kinder um und ebenso alle Frauen, die schon einen Mann erkannt und mit einem Mann geschlafen haben. 18 Aber alle weiblichen Kinder und die Frauen, die noch nicht mit einem Mann geschlafen haben, lasst für euch am Leben!“ (4. Buch Mose 31,15-17

(159) Ich bestehe auf meinem Widerwillen gegen verbrämende Abschwächungen, die so tun, als sei der Gott der Bibel immer nur „lieb“. Könnte heute jemand wachen Sinns Christ werden, der einmal das ganze Alte Testament gelesen hat? …

(164) Noch schwieriger ist es, dem Buch Exodus historisch Verlässliches über Moses und den Auszug aus Ägypten zu entnehmen. Schon Goethe hatte seine Zweifel, wieso die große Heeresmasse – 600000 Soldaten mit Kind und Kegel (Exodus 12,37) – 40 Jahre gebraucht habe für eine Strecke, die in zwei Jahren zu bewältigen gewesen wäre. …

(172) Zwar ist die Welt uns in Teilen begreiflich. Die Natur zeigt Gesetze, die, selbst wenn sie nicht lückenlos gelten, doch den alltäglichen Umgang mit ihr relativ sichern. …
Sehen wir einmal von den Verbrechen der Menschheit ab, vor allem von ihren Kriegen – nicht um sie zu bagatellisieren, sondern nur, um für den Augenblick die Argumentation zu vereinfachen –, so zeigt doch die außermenschliche Natur unübersehbar Grausamkeit, Krankheiten und Tod. Erdbeben, Tsunami und Überschwemmungen bedrohen das Leben von Tieren und Menschen. Meteoriten verwüsteten die Erde, längst bevor es Menschen gab. Viele Tiere waren von Anfang an darauf angewiesen, Mittiere zu töten und aufzufressen. …
Das Leben auf der Erde hat begonnen, und es wird vermutlich auf ihr ein Ende finden. Sieht das nach einem guten, weisen und allmächtigen Schöpfer aus? Wäre Gott zwar gut und weise, aber nicht allmächtig, dann könnte ihm niemand das Unglück vieler seiner Kinder vorwerfen. Angesichts des ungeheuren Elends des 20. Jahrhunderts haben nachdenkliche Christen vorgeschlagen, auf Gottes Prädikat „Allmacht“ zu verzichten. Aber dann verzichte ich lieber ganz auf affirmative Sätze über das Satzsubjekt „Gott“. …

(174) Theologen sagten lange zur Entschuldigung Gottes, er habe das Schlechte zwar zugelassen, aber nicht gewollt und bewirkt. Diese Aussage verschlimmert die Lage nur, denn dann wäre Gott nicht wirklich der Herr der Welt. Er bewirkt doch die Zulassung; er weiß doch, was er macht. …

(177) Augustin führte es auf die Erbsünde zurück, dass die Arbeit des Landmanns schwer und die Geburt für die Mutter schmerzhaft ist. Sein bischöflicher Kollege Julian, von höherer philosophischer Qualifikation, fragte zurück, warum denn dann die Säugetiere unter Qualen gebären: Haben etwa auch sie vom falschen Futter gefressen? Augustin ließ die ganze Natur durch die Erbsünde verdorben sein. …

(178) Neuere Theologen bringen vor, das Problem der Leiden in der Welt werde dadurch gelöst, dass Gott selbst mit uns leide. Dieses Argument ist untauglich aus mehreren Gründen.
Zunächst wird unser Leiden nicht dadurch erträglicher, dass ein anderen Mensch mit uns leidet wie Jesus am Kreuz….
Auch wenn Gläubige sich gestärkt fühlen, wenn sie einen göttlichen Leidensgenossen sehen, bleibt die Frage, ob man es der Welt ansieht, dass ein guter und allmächtiger Gott sie weise erschaffen hat. Danach sieht sie aber nicht aus; geschichtliche Berichte über das Leiden eines Gerechten taugen nicht zur Rechtfertigung Gottes. …

(197) Wo immer die christliche Botschaft genau genommen und korrekt gepredigt wird, liegt ihr bis heute Augustins Gnadenlehre der Jahre nach 397 mit einigen Abweichungen zugrunde. Zum fortwirkenden Grundbestand gehören insbesondere folgende Vorstellungen: …
+ Adams Sünde ist die weltgeschichtliche Urkatastrophe; durch sie erst sind Krankheit, Tod und Konkupiszenz (Neigung zur Sünde – JK) in die Welt gekommen;
+ was allen geschieht, die nicht von einer Jungfrau geboren sind, lautet in kraftvoll lutherischen Wendungen so: Sie werden „in Sünden empfangen und geboren, das ist, dass sie alle von Mutter Leibe an voll böser Lust und Neigung sind, keine wahre Gottesfurcht, keinen wahren Glauben an Gott von Natur haben können … dass sie untüchtig sind zu allen Gottes Sachen“;
+ Gott liebt die Menschen, besteht aber auf Genugtuung; er fordert ein Sühneopfer wegen der unendlichen Beleidigung durch den Apfelbiss;
+ der erzürnte Gott kann allein besänftigt werden durch die Tötung des Gottessohns am Kreuz. …

(199) Als die Erlösungsidee noch in ihrem ambivalent-schillernden Glanz stand, enthielt sie bei Protestanten und Katholiken archaisch-befremdliche Nuancen, dunkle Schatten und urtümliche Reste, die oft übersehen, vertuscht oder abgeschwächt werden, als sei „Erlösung“ nichts anderes als der Erweis der Liebe Gottes zu den Menschen. Aber die Quellen sprechen eine ganz andere Sprache: Sie reden von Sühneopfer und von Besänftigung des Zornes Gottes, von „Loskauf“ und Lösegeld. Da wird ein „Schuldschein“ zerrissen. Es heißt, der Tod am Kreuz schaffe „Genugtuung“, Gottvater verlange von seinem geliebten Sohn Blut und Tod als Sühneopfer. Dem Sohn widerstrebt das, aber er gehorcht. Der Sündenlose bringt sich stellvertretend für die Sünder am Kreuz dar. Gottvater verlange es von ihm, weil er die Menschen liebe. Die Liebe geht aber nicht so weit, auf Kompensation zu verzichten. Gottes Liebe zeige sich bei der Erlösung daran, sagen Theologen, dass er das Tier oder den Menschen gibt, die als Opfertier ihr Blut geben. Seine Liebe ist dadurch … man könnte sagen, … begrenzt oder sogar: durchkreuzt, dass er im Bewusstsein seiner hohen Würde Schadenersatz verlangt für die Beleidigung durch den Ungehorsam Adams, der für die gesamte Menschheit sprach. Die Verletzung sei auf Seiten Gottes unendlich groß gewesen, deswegen bestehe er auf Wiedergutmachung. Die könne aber nur ein Mensch leisten, der ohne Zutun eines Mannes von einer Jungfrau geboren wurde. Denn die Libido bei der normalen Erzeugung eines Menschen übertrage die Schuld Adams auf alle anderen. Gott gewährt der Menschheit Verzeihung, aber nicht formlos, nicht ohne blutige Vermittlung. …

(200) Es war im August 1942; es regnete zum ersten Mal Bomben auf meine Heimatstadt … der Kaplan überlegte in der Religionsstunde laut: Wenn Gott uns nicht erlöst vom Krieg, nicht von unserem Hunger und unserer Todesangst, müssen wir ihm dann nicht sagen, er könne auch den Rest für sich behalten? …

(201) Gottes Zorn wurde gestillt, indem wir seinen eigenen Sohn töteten. Irgendwie muss das Gott gefallen haben. Er hat es jedenfalls so gewollt und hat dazu seinen Sohn auf die Erde geschickt. …

(203) Es gibt noch andere Bedenken: Christus soll doch Gott sein. Wenn er aber Gott war, dann versöhnte er sich durch seinen Kreuzestod mit sich selbst. Die zweite Person der Trinität mit der ersten? …

(206) Will Gott, dass alle Menschen erlöst werden? Das Heil, das er Israel versprach, sollte exklusiv diesem Volk gelten. Es war nicht primär individuell konzipiert als Ziel eines individuellen Weges, und schon gar nicht für Individuen der anderen Völker. …
Nur wer sich bekehrte, konnte erlöst werden. Dazu musste die christliche Predigt ihn erreicht haben. Das war aber nicht überall der Fall, weder im Jahre 400 noch später. Die überwiegende Mehrheit der Menschen war noch immer ungetauft … Trotzdem galt theoretisch lange der universale Heilswille Gottes.
Aber gehört er nicht zum Wesen des Christentums? Ist der Gott des Neuen Bundes nicht die Liebe? … Weder der Jesus der Evangelien noch Paulus haben gesagt, dass Gott die Liebe sei. Der Satz kommt zweimal in der Bibel vor, und zwar im 1. Johannnesbrief 4,8 und 4,16. …
Der 1. Brief sagt unmissverständlich, dass Gott seine Kinder liebt. Seine Kinder sind aber allein die, die Jesus von der Sünde befreit hat und die deshalb im kommenden Zorngericht bestehen werden. Alle anderen Menschen stammen vom Teufel: ihnen gilt Gottes Liebe nicht: 1 Johannesbrief 3,1-10. Es gibt Kinder des Teufels, und es gibt Kinder Gottes. „Wir“ sind die Kinder Gottes. „Wir“ sollen uns lieben … Die Liebe des Christengilt hier schon nicht mehr dem „Nächsten“, sondern nur dem miterlösten Glaubensbruder. Wer seinen Bruder liebt, bleibt im Licht. … Jeder, der nicht erklärt, Jesus sei der Retter, stammt vom Antichrist. … Dieses exklusive Gruppenbewusstsein schränkt die Liebe Gottes auf die Gläubigen ein. …

(208) (Johannesevangelium) Jesus wirft „den Juden“ vor, sie glaubten nicht an ihn, weil sie nicht aus Gott sind: „Ihr habt den Teufel zum Vater“ (Joh. 8,31;44). … Nur wer wiedergeboren wurde „aus dem Wasser und dem Geist“ (Joh.3,3-7), gehört zu den Söhnen. Man muss getauft sein, um von Gott geliebt zu werden. Die Liebe Gottes zur Welt besteht darin, dass er seinen Sohn dahingab, damit jeder, der glaubt, das ewige Leben habe (Joh.3,16). Nur wer an den Sohn glaubt, wird vom Vater geliebt. … Der Jesus des Johannesevangeliums lehnt es ausdrücklich ab, für alle zu beten. Er betet nur für die, die aus Gott sind (Joh.17,9-19). …

(217) (Matthäusevangelium) … sind es die „geringsten Brüder“, denen wir Hilfe schulden, keineswegs alle Armen dieser Erde. Juden und Heiden zu helfen, das wird nicht verboten, aber der primäre „Nächste“ ist das Gemeindemitglied. …

(218) (10 Gebote) Ich beginne mit den sozialethischen Verboten (5. Buch Mose 17-21). Zuerst kommt das Verbot, Stammesgenossen zu töten. Wer übersetzt: Du sollst nicht morden!, hat insofern recht, als das Töten im Krieg erlaubt war. Auch Hinrichtungen galten als rechtlich. Vom Töten der Tiere ist ohnehin nicht die Rede; Schlachtopfre forderten Gott und seine Priester.
Es folgt das heutige sechste Gebot: Du sollst nicht ehebrechen! (Vers 18). Es führt nicht die Monogamie ein. Es verbietet nicht den sexuellen Verkehr des Sklavenbesitzers mit seinen Sklavinnen. Vom Geschlechtsleben Unverheirateter ist nicht die Rede. Geschützt wird die Ehe als Institution. …
Niemand, auch kein Gott, könnte im Orient das Lügen verbieten. Homer hat es bewundert. Daher verbietet Vers 20 nur das falsche Zeugnis vor Gericht. …

(221) Israel soll … diesem Gott anhangen:
„Höre Israel! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig. Darum sollst Du den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft.“ (5. Buch Mose 6,4).
Sofort wird dieses Liebesgebot erklärt: Israel soll sich exklusiv verstehen und aggressiv gegen die Ureinwohner vorgehen: „Ihr sollt ihre Altäre niederreißen, ihre Steinmale zerschlagen, ihre Kultpfähle umhauen und ihre Götterbilder im Feuer verbrennen“ (5. Buch Mose 7,5).

(227) (Bergpredigt) Vom Ganzen der Synoptiker her gelesen, stehen alle ethischen Aussagen unter der Bedingung des nahenden Weltendes. Man hat daher von „Interimsethik“ gesprochen. Jedenfalls erklärt dies den radikalen Verzicht auf Daseinsfürsorge, auch die Feindesliebe. Es beschränkt die Geltung dieser Imperative. Die Welt ist nicht untergegangen. Jesus hat sich über das nahe Ende getäuscht. Wir stehen ethisch unter veränderten Bedingungen. Die Bergpredigt kann heute nicht ohne neue Prüfung der ethischen Orientierung dienen. Kleien radikale Gruppen mögen sich eine Weile an ihr orientieren; Familienväter, Republiken und Großkirchen können das nicht. …
die jesuanische Zuspitzung beruht auf dem Irrtum, das Ende sei nahe. Wer davon absieht, erzeugt nur Radikalrhetorik. An kohärente Weltgestaltung ist in der Bergpredigt nicht gedacht. …

(253) Ja, ich bin kein Christ, wenn man unter einem Christen jemanden versteht, der an Gott, an ein Leben nach dem Tod und an die Gottheit Christi glaubt. Bist du also Atheist? Nein. Die Argumente für die Existenz Gottes überzeugen mich zwar nicht, aber auch die Nicht-Existenz Gottes kann ich nicht beweisen. Zwar höre ich Theisten jubeln, wenn der Atheismus unbewiesen dasteht, aber dazu haben sie keinen Grund, denn außer ihrer Position bleiben dann unendlich viele andere offen. Sie sind beweispflichtig. …

(254ff.) Wie fühlt es sich an, wenn man kein Christ mehrt ist? Jedenfalls anders, als Prediger behaupten. Sie sagen gern, ein Leben ohne Gott und ohne Glauben sei sinnlos. Sie malen sich den Ungläubigen aus, als sehne er sich nach seinem Kinderglauben zurück, als fehle ihm etwas Wesentliches. Beklagt er nicht wenigstens die Abwesenheit Gottes? Sollte er nicht Zeugnis ablegen von der entstandenen Leere? Sucht er nicht Geborgenheit, Zuversicht? Braucht er nicht Lebensmut aus Lebenssinn? Wohlwollende Christen blicken ihn mit mitleidigem Auge an …
Mein Fall ist ein anderer: Ich habe Gott gesucht und habe ihn nicht gefunden. …

Ich streiche Jesus nicht aus meiner Vorstellungswelt. … Ich weiß sehr wenig von ihm, Aber sicher ist, dass er in den Evangelien nicht sagt:
Ich bin wahrer Gott, und zwar die zweite Person der Trinität, außerdem bin ich vollständiger Mensch und lasse mich für euch kreuzigen, damit ihr von der Erbsünde befreit werdet und Gott euch wieder gnädig ist. …
Im Übrigen schildern ihn die Evangelien so sanft nicht, wie heute oft die Pastoren: Er hat Ungläubigen ewige Höllenstrafen angedroht. Er hat sich und andere über das nahe Weltende getäuscht (Belege: Markus 9,1; Matthäus 10,23; 16,28; 24,34; 26,64; Paulus 1. Thess. 4,15-17). Er hat es abgelehnt, „Gott“ gleich gesetzt zu werden (Markus 10,18). Am Kreuz sah er sich von Gott verlassen (Markus 15,34). Er hat auch Bizarres getan: Er hat böse Geister ausgetrieben und in eine Herde von zweitausend Schweinen verbannt, die sich dann in einen Fluss gestürzt hat (Markus 5,11-14). Er hat einen Feigenbaum zum Verdorren verdammt, nur weil er außerhalb der Erntezeit für ihn keine Früchte trug (Markus 11,10-14). …


(257) Der alttestamentliche Gott – religions- und ideengeschichtlich von großem Interesse – ist archaisch-grausam. … Die geschichtlichen Berichte zeigen ihn nicht als Weisen; er fürchtet Konkurrenz; er bereut und vernichtet die Menschheit bis auf einen Liebling (Noah – JK) … Gott verhängte die Todesstrafe für unverschuldetes Berühren der Bundeslade (2. Samuel 6,6-7). Der christliche Glaube hat Menschen in lebenswichtigen Dingen irregeführt, indem er z.B. versicherte, es gebe Hexen (2. Buch Mose 22,17). Agnostiker schmunzeln, wenn es Gott gut tut, dass Salomo ihm 22000 Rinder und 120000 Schafe opfert (2. Chronik 7,5). Sie vermuten aber, es sei erzählerische Großmäuligkeit im Spiel.

(261) Der Herr sprach zu Moses, wen er als Priester nicht will:
„Denn keiner mit einem Gebrechen darf herantreten: kein Blinder oder Lahmer, kein im Gesicht oder am Körper Entstellter, kein Mann, der einen gebrochenen Fuß oder eine gebrochene Hand hat, keiner mit Buckel, Muskelschwund, Augenstar, Krätze, Flechte oder Hodenquetschung. Keiner der Nachkommen Aarons, des Priesters, darf herantreten, um die Feueropfer des Herrn darzubringen, wenn er ein Gebrechen hat.“ (3. Buch Mose 21,18-22).

(262f.) … jüdisch-christliche Tradition. Sie ist auch ein Bildersaal produktiver religiöser Erfindungen: Ein Gott, der im Stall in der Krippe liegt. Ein Gott, der die Menschen vom Himmel besuchen kommt und den sie töten. Der Geist, der in Fischer fährt und sie in allen Zungen reden macht. Ein Weltenrichter, der die zur Hölle schickt, die korrekt immer „Herr, Herr!“ gesagt haben, und der nur die aufnimmt, die Hungernden zu essen gaben. Das sind Bildideen, die dem Nachdenken bleiben. …
Wer religiöse Reden poetisch nimmt, hat kein Toleranzproblem …
Wer kein Christ mehr ist, verliert nicht den Zusammenhang mit der christlichen Kultur. Er achtet ihren Bildervorrat, hört Monteverdis Marienvesper und besucht den frommen Bildersaal der Kunstgeschichte. Er betritt offen – so distanziert wie beeindruckt – die Kathedrale von Chartes, auch wenn er nicht kommt, um zu beten. Er freut sich an der Legendenwahrheit, dass Franziskus den Vögeln predigte. …
… das Poetische der Religion, bei dem kein denkender Mensch fragt, ob es „wirklich“ passiert sei. Ich kann an dieses Wunder „glauben“ und gleichzeitig sagen, es sei Legende: ich zähle den Vorgang nicht zur Welt der Fakten. …

(265) Ich war ein langsamer Nestflüchter. Am Ende stand das ruhig gewonnene Resultat: Ich war kein Christ mehr.