FAKTEN – QUELLEN – ZUSAMMENHÄNGE
Hirnforschung, Verhalten,
Bewusstsein
zusammenstellung: joachim krause, hauptstr. 46, 08393 schönberg, tel. 03764-3140
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: Anfang
2005
abgeschlossen Januar 2018
HIER Link
zu einer zweiten, früher angelegten Faktensammlung zur Hirnforschung:
http://www.krause-schoenberg.de/hirnforschung_zitatensammlung_6-06.htm
Die beiden Faktensammlungen zur Hirnforschung sind hier
mit Stand Januar 2018 auch als PDF verfügbar
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Konrad Lorenz bemerkt, dass der liebe
Gott den Menschen auf zwei Beine stellte und nun die Hand von ihm genommen hat,
um zu sehen, ob er steht.
automatisches Reagieren auf Reize (in Erbanlagen programmiert), bei zunehmender
Fülle von Reizen Überforderung, im Zweifelsfall Verlassen auf eigene
Erfahrungen;
ein Zentralproblem, das uns unser Bewusstsein eingetragen hat, ist das
widerstrebende Erleben unserer Ratlosigkeit an den Rändern des Begreiflichen;
es ist nicht nur absurd zu meinen, dass ein Evolutionsprodukt, das bis dato
gerade überlebt hat, dazu gemacht wäre, den Kosmos zu erfassen; es ist unsinnig
zu glauben, dass es das, was wir nicht denken, nicht geben könne; und es ist
nicht nur überheblich, es ist gefährlich, weil es dazu verleitet, fortgesetzt
auch dort in die Welt einzugreifen, wo man sie sicher noch gar nicht versteht;
Beschränkungen: wir sind nicht in der Lage, auch nur zwei Zahlenreihen
gedanklich zu verfolgen, zum Beispiel links die Passanten und rechts
vorbeiziehende Autos zu zählen; unsere Lösungsstrategien suchen stets nach
regelhaft deterministischen und hinweisabhängigen Zusammenhängen von positiv
linearer Funktionalität; alle nicht regelhaft probabilistischen
und hinweisunabhängigen Zusammenhänge negativer und rekursiver
Wechselbeziehungen fallen zunächst durch den Rost;
die älteren Geschwister des Bewusstseins: Gefühle, Emotionen, Glaubenssätze;
die Zahl der Personen, mit welchen wir intim verkehren, Biografien, Sorgen und
Wünsche teilen, ist sehr beschränkt, im Mittel sieben, aus solchen
Siebener-Gruppen setzen sich nun unsere Gesellschaften zusammen
(Rupert Riedl: Zufall, Chaos, Sinn; Kreuz Stuttgart 2000, S.71,89ff,101,104,132)
·
Leib-Seele-Problem: Zusammenhang -
ohne Zweifel kann eben schon ein Gläschen Rebensaft die Seele verwandeln, wie
deren Bedürfnisse den Leib zu jenem Gläschen führen können;
Dualismus: wir erleben ihn als Leib und Seele, als Form und Funktion, als Welle
und Korpuskel, als Struktur und Information; das aber ist ein „kognitiver
Dualismus“, also einer unseres Auffassens, nichts deutet darauf hin, dass diese
Welt zweigeteilt sein könnte
(Rupert Riedl: Zufall, Chaos, Sinn; Kreuz Stuttgart 2000)
·
(188) Schon bei Platon, dem Lehrer des
Aristoteles, und von ihm her auch bei Augustinus und vor allem bei Descartes
findet sich ... ein zugespitzter DUALISMUS: Der Mensch wird verstanden als eine
antagonistische Einheit von Geist (res cogitans) und Körper (res extensa), von Freiheit und Gesetzmäßigkeit, was eine
physisch-psychische Verknüpfung schwierig macht. Andererseits stellt auch der
pantheistische MONISMUS eines Spinoza, der nur eine einzige, göttliche Substanz
mit zwei Attributen, Ausdehnung und Denken, annehmen will, keine Lösung dar.;
(189) Die psychische Entwicklung kann heute aufgrund der Integration
genetischer, psychologischer und ethnologischer Theorien erklärt werden. Aus
diesem Grund wird der Ausdruck „Seele“ – verstanden als Träger (Substrat)
psychischer Vorgänge und Erscheinungen oder auch als aristotelische „Form“
(Entelechie) des Leibes – als naturwissenschaftlicher Begriff kaum noch
verwendet. Statt dessen spricht man von „Psyche“ und diese meint kein vom Leib
unterschiedenes Lebensprinzip, sondern allgemein die Gesamtheit bewusster und
unbewusster emotionaler („seelischer“) Vorgänge und geistiger (intellektueller)
Fähigkeiten.;
(190) Pannenberg: „Es gibt keine dem Leibe gegenüber selbständige Wirklichkeit
„Seele“ im Menschen, ebenso wenig aber auch einen bloß mechanischen oder
bewusstlos bewegten Körper. Beides sind Abstraktionen. Wirklich ist nur die
Einheit des sich bewegenden, sich zur Welt verhaltenden Lebewesens Mensch.“;
Es ist weder die Seele noch nur das Gehirn, sondern der eine ganze Mensch, der
atmet, erlebt, empfindet, denkt, will, leidet, handelt: das „Ich“ , eine
„Person“.
Leib und Psyche, Gehirn und Geist sind also immer gleichzeitig gegeben und
bilden ... eine psychosomatische Einheit.;
Körperliches und Psychisches sind demnach nie – nicht einmal im Traum –
isoliert zu haben.;
Viele körperliche und psychische Eigenschaften (oder zumindest Dispositionen)
werden, an die elterlichen Chromosomen gebunden, jedem Individuum schon in die
Wiege mitgegeben.;
Jedem Bewusstseinszustand liegt von daher ein psycho-physischer Prozess
zugrunde: keine geistige Tätigkeit ohne ein neuronales Substrat.;
(192) Einerseits: Der Mensch ist umweltgesteuert, geprägt durch äußere
Einflüsse, abhängig von Bedingungen, ist vielfältig konditioniert und somit in
seinem Verhalten weithin voraussagbar. ...
Aber ... Zweifellos formt die Umwelt den Menschen und seinen Willen. Aber
zugleich formen der Mensch und sein Wille auch die
Umwelt, insofern er der Umwelt als autonomes System gegenübertritt.
Andererseits: Als stammesgeschichtlich gewordenes Gebilde ist der Mensch
genetisch vor-programmiert. Er ist .... in seinen
Verhaltensformen, Handlungsweisen, Reaktionen von ererbten Programmen
angetrieben und gesteuert. Die Erbanlagen sind für das Individual- und
Sozialverhalten von grundlegender Bedeutung.
Aber ... Das Angeborene wirkt nicht als ein völlig bestimmender Faktor, als
unabwendbares Geschick ...;
(193) aus der stammesgeschichtlichen Forschung ergibt sich, dass der
menschliche Geist nicht vom Himmel fiel, sondern ein Evolutionsprodukt
darstellt. Wir stellten fest: Das menschliche Gehirn ist nicht einzigartig;
manche geistigen Fähigkeiten des Menschen haben Vorstufen bei den
Menschenaffen. Setzen wir also voraus: Ohne Gehirn gibt es keinen Geist und
ohne die Aktivität bestimmter Hirnzentren keine geistige Leistung.;
(194) Die Hirnvorgänge sind Resultat sowohl genetischer Anlage wie auch
sozialen Lernens
(Hans Küng: Der Anfang aller Dinge, Naturwissenschaft und Religion, München
2005)
·
(24) Uns Menschen ist – in einem
abgemessenen Rahmen – die Freiheit zur Selbstbestimmung gegeben, und mit ihrer
Hilfe und in diesen Grenzen verwandeln wir die Natur.
(179) Zahl der Sinne des Menschen
Alltagsverständnis 5: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen;
dazu: Wärme empfinden; Gefühl für die eigene Körperlage; wir können
Gleichgewicht halten;; wir merken, ob wir beschleunigt oder gebremst werden;
wir registrieren Drehungen (bei geschlossenen Augen); wir sind
schmerzempfindlich; (135) Zahlensinn;
SEHEN ausführlich ab (121)
HÖREN ausführlich ab (186);
(198) Mir scheint ..., dass wir die Welt im Kopf nicht konstruieren, sondern
rekonstruieren.
(280) Portmann: „Umweltgebunden und instinktgesichert
– so können wir in vereinfachender Kürze das Verhalten des Tieres bezeichnen.
Das des Menschen mag demgegenüber weltoffen und entscheidungsfrei genannt
werden.“
(286f) Alternative „Angeboren oder erfahren?“;
Einsicht, dass wir nur mit den Sinnen und anderen Organen auf die Umwelt
reagieren können, die uns dank der Hilfe von Genen geliefert worden sind. Und
diese Gene sind im Laufe der Evolution entstanden und dabei natürlich durch die
Umwelt beeinflusst worden, in der sich unser Leben abgespielt hat. Die
Alternative „Gene oder Umwelt“ ist also praktisch wie prinzipiell sinnlos .... wie die berühmte Frage, wer zuerst da war, das
Ei oder die Henne
(294) Neuronen gefunden, die für das Imitieren zuständig sein könnten ...
heißen Spiegelneuronen, ... sind nicht nur aktiv, wenn wir etwas tun – etwa
einen Ball werfen -, sondern auch wenn wir sehen, wie andere dies tun. Die
Spiegelneuronen scheinen darüber hinaus sogar Impulse zu feuern, wenn wir uns
nur vorstellen, die Handlung zu vollziehen, also den Ball zu werfen.
Spiegelneuronen spielen sicher beim menschlichen Spracherwerb eine Rolle. Sie
finden sich aber auch im Gehirn von Schimpansen ....
auch ein Affe kann wissen, was ein anderer, von ihm beobachteter Affe empfindet
...
Die beste Erziehung kommt dadurch zustande, dass Eltern als Vorbilder dienen.;
(302) Sehen als Deutungsvorgang (was für eine Bedeutung hat das für mich,
nicht: wie sieht es exakt aus);
(359) wenn man normal ausgestattete Mäuse in den ersten drei Wochen ihres
Lebens ohne Licht aufwachsen ließ, blieben sie für den Rest ihres Lebens
praktisch blind. Ihr visuelles System braucht Erfahrungen, um reifen zu können.
Gehirne benötigen sowohl Gene als auch Umwelt ...;
(363) Augustinus (354-430): Man ist nicht, sondern wird und bildet sich. „Ich
bin in meinem Erinnern“;
(373) Für Aristoteles diente unser höchstgelegenes Organ (Gehirn JK) eher zur
Kühlung des Körpers, und das Denken wollte er lieber dem Herzen überlassen.;
(389) Im Computer ist der Speicherplatz für das Wort „Gott“ viel kleiner als
der für das Wort „Staubkorn“ ...
dass die Gehirne weniger mit Informationen und mehr mit Bedeutungen arbeiten;
Eine Zahlenkolonne wie 1801194726101946 zu behalten, wird vielen Menschen
vermutlich einige Mühe bereiten. Für den Autor des Buches überhaupt nicht (sein
Geburtstag und der seiner Frau);
(391) Das Gedächtnis verschafft mir in der Gegenwart Zugang zum Vergangenen.;
(391) Versuch: Aktivierung von bestimmten Bereichen im Nervengewebe mit
winzigen Stromimpulsen; Patient sah sich in vergangene Zeiten zurückversetzt,
Hütte, die er vor Jahren bewohnt hatte, Freund tritt ein, noch mit Schnee
bedeckt, eisiger Wind, ....;
Augustinus: drei Zeiterfahrungen ... „Gegenwart von Vergangenem, nämlich
Erinnerung; Gegenwart von Gegenwärtigem, nämlich Augenschein; Gegenwart von
Künftigem, nämlich Erwartung.“;
die als gegenwärtig erlebte Zeitspanne dauert 3 Sekunden (Länge gereimter
Verse, Dauer musikalischer Phrasen);
(394f) Arten von Gedächtnis
+ deklaratives Gedächtnis (Gedicht aufsagen, gelerntes Wissen)
+ prozedurales Gedächtnis (Fahrrad fahren, automatisierter Bewegungsablauf)
+ implizites Gedächtnis (unbewusst vorhanden, Grundkenntnisse aus der
sinnlichen Erfahrung „Meerwasser ist salzig“, Eis ist kalt)
+ episodisches Gedächtnis (wichtige Ereignisse aus dem eigenen Leben)
+ erleichtertes Erinnern („priming“; mit schon
ähnlich erlebten Erfahrungen zurecht kommen);
(420) Bewusstsein spielt sich zwar im Gehirn ab, ist aber nur einem
Subjekt zugänglich, mir; mein Erleben von Freude, von Schmerz können nicht
Gegenstand einer Wissenschaft sein, die sich dadurch definiert, dass sie nur
erkundet, was wiederholbar (reproduzierbar) ist, so genau sie dies auch
unternimmt ... Meine Freude oder mein Leiden sind einmalig, und so entzieht
sich das Bewusstsein den Biowissenschaften wenigstens teilweise;
(424ff) Es gibt Neurobiologen oder Neurophilosophen, die reklamieren, dass
Bewusstsein durch ein Gehirn generiert wird (und somit durch Emergenz zustanden
kommt). Die anderen meinen, es sei eine Qualität, (die objektiv und außerhalb
von uns existiert und JK) die Gehirne so wahrnehmen wie Augen das Licht
(Verwandlung von Transzendenz in Immanenz) ...Manche denken, hier handle es
sich nur um eine Illusion, die allerdings den Vorteil hat, auf neurobiologische
Fakten zurückgeführt werden zu können.;
(428) „Bewusstsein“ damit meinen wir die Art und Weise, in der Menschen und die
höheren Lebewesen die wesentlichen Tätigkeiten ihres Lebens verrichten (JK:
gerade nicht, die fürs Überleben wichtigen elementaren Lebensvorgänge laufen
automatisch ab und bleiben unbewusst!);
(428ff) zum LIBET-Versuch
die Genauigkeit der Zeitangaben auf der „Lichtpunktuhr“ bei LIBET lag bei 0,2
Sekunden;
Wann wird eine innere Bereitschaft bewusst? Wann wird ein äußerer Reiz bewusst
erlebt? Experimentelle Messungen zeigen, dass nach Reizungen der Haut zunächst
so genannte evozierte Potentiale in der Hirnrinde entstehen. Wenn man diese
Potentiale nicht durch Reiz auf der Haut, sondern durch elektrische Impulse in
den Gehirnzellen selbst auslöst, spüren die Betroffenen erst dann etwas, wenn
diese Stimulierung länger als eine halbe Sekunde dauert. (Die Haut braucht
nicht solange gereizt zu werden, bis wir etwas fühlen.) Offenbar haben wir ein
bewusstes Erlebnis erst dann, wenn die Hirnrinde eine halbe Sekunde lang
stimuliert worden ist. Das Verrückte ist nun, dass das bewusste Erleben so in
die Vergangenheit zurückprojiziert wird, wie die Stimulation der Hirnrinde
selbst in den Körper projiziert wird.
Der Versuch: Bei Probanden wurde eine Hand direkt und
die andere indirekt (über die Hirnrinde) gereizt. Gefragt wurde, wo die
Personen zuerst etwas spürten. Rechts? Links? Oder in beiden Händen
gleichzeitig?
Das Ergebnis: Selbst wenn die Stimulation der Haut an der linken Hand zum
Beispiel erst 0,4 Sekunden nach einer Stimulation der Hirnrinde einsetzte, die
einer Reizung der rechten Hand äquivalent war, sagte der Proband: „Links zuerst“.
Es dauert 0,5 Sekunden, bis die Hirnreizung bewusst erlebt wird, Der Empfindung
des Hautreizes gelingt es, sich innerhalb von nur einer Zehntelsekunde vor die
der Hirnstimulation zu setzen.
Das subjektive (bewusste) Erleben wird zeitlich so zurückdatiert, als sei das
Bewusstsein zu dem Zeitpunkt eingetreten, zu dem das evozierte Potential
angezeigt wird. Dies tritt ungefähr 0,02 Sekunden nach der Reizung der Haut
ein, während es 0,5 Sekunden dauert, bis sich das Bewusstsein für den Reiz (im
Gehirn ausgelöst? JK) einstellt. Bewusstsein braucht eine halbe Sekunde
elektrische Aktivität.;
Das Bewusstsein – ICH – kann eine Handlung nicht beginnen, etwas in mir – ES –
kann aber beschließen, dass sie nicht durchgeführt wird. Der freie Wille
entwirft sich nicht selbst aus einem zu füllenden Nichts, er wählt vielmehr aus
einer angebotenen Fülle aus und operiert insofern näher am evolutionären
Prinzip der natürlichen Selektion, die auch noch in eine andere Richtung
benutzt werden kann.;
Torwart, Tennisspieler agieren schon längst, bevor sie wissen, was sie tun;
Grundgesetz der BRD beginnt mit einem Veto: Die Würde des Menschen ist
unantastbar.;
wenn wir sprechen: Die Wirklichkeit geht den nicht unbedeutenden Bruchteil
einer Sekunde unserer bewussten und aufmerksamen Wahrnehmung von ihr voraus ...
ES spricht aus uns heraus, und wir haben alle Mühe, um nur das herauszulassen,
was passend ist.;
Die synchronen Muster (in Neuronenverbänden JK)
werden nicht von uns, sondern für uns gebildet ... macht uns bereit und erlaubt
uns, unser Vetorecht auszuüben ...
(Ernst Peter Fischer: Die Bildung des Menschen - was die Naturwissenschaften über uns wissen; Ullstein Berlin 2006)
·
(48) der Physiker Pascal Jordan leitet
die menschliche Freiheit aus der quantenphysikalischen Unbestimmtheit her. ... erreicht aber allenfalls einen Begriff
der Freiheit VON, nicht aber den Begriff der Freiheit FÜR;
(209) Oliver: Beobachtung greift in das Geschehen ein. Dieser
quantentheoretische Grundsatz gilt ebenso unerbittlich für das Gehirn ... dass
schließlich eine hochkünstliche Situation gemessen wird ... Die Experimente
zielen auf zu einfache Situationen, und dafür sollen sie zu komplizierte
Sachverhalte klären ... Alle Experimente, auch das über die Willensfreiheit,
betreffen Kurzvorgänge ... Aber fast alle psychischen Prozesse sind langzeitig.
Ein Entschluss kann Jahre brauchen zu seiner Entwicklung. ... Nicht nur
Entscheidungen, auch Einsichten sind gehirnintern formuliert, bevor sie
abgelesen werden können ...;
(211) Wolf Singer: Wenn eingeräumt wird, dass das bewusste Verhandeln von
Argumenten auf neuronalen Prozessen beruht, dann muss es neuronalem
Determinismus in gleicher Weise unterliegen wie das unbewusste Entscheiden, für
das wir dies zugestehen.;
genetische Gründe oder Gründe der Erziehung, die gleich mächtig in die
Programmierung von Hirnfunktionen eingehen ...
(213f) Gerhard Roth: Ergebnisse des LIBET-Versuchs; erhebliche Zweifel an der
Existenz eines freien Willens als eines mentalen Verursachers, der selbst nicht
materiell verursacht ist;
vom Gehirn zu behaupten, es treffe Entscheidungen (vielleicht wäre es
unverfänglicher zu sagen: „es determiniert die Entscheidungen“ oder „es nimmt
die subjektiv empfundene Entscheidung vorweg“);
(215) Wingert: Gründe sind mitlaufende Kommentare eines
naturhaft-deterministischen Handlungsgeschehens;
(216f) (Gehört das Gehirn – oder bestimmte Teile wie das limbische System -
nicht zum ICH? JK)
Buchheim: Dadurch, dass ich mit dem Gehirn denke, denkt aber doch nicht das
Gehirn statt meiner.;
dass die freien Tätigkeiten nicht nur bewusst (wie Singer meint), sondern bei
Bewusstsein auch bejaht (zustimmend beurteilt), also absichtlich oder gewollt
seien, während die anderen, wie z.B. das Träumen, zwar bewusst, aber nicht
bejaht, oder aber, wie das Schwitzen, nicht einmal bewusst sind;
(217) Höffe: Die für Kant entscheidende
Willensfreiheit, die vielzitierte Autonomie des Willens ... Frei ist der Wille,
sofern er sich das Gesetz (nomos) selber gibt. Da
„selbst“ auf griechisch „autos“
heißt, spricht Kant von Auto-nomie ... Die Frage der
Willensfreiheit entscheidet sich jedenfalls nicht an einer atomaren Handlung,
sondern an der Art des zugrundeliegenden Gesetzes ... (da sich LIBET damit
nicht beschäftigt, befasst er sich auch nicht mit Willensfreiheit JK); Roth
sagt gegen Kant: „Autonomie ist mit Willenfreiheit
unverträglich.“;
(219f) Habermas: Das biologisch so kostspielige Geistige als ein bloßes mit dem
Überleben nicht befasstes Epiphänomen ansehen zu sollen, erscheint ihm aber
angesichts der ... kostenbewussten evolutionären Buchführung höchst
unwahrscheinlich;
Die Komplexität des menschlichen Gehirns erlaubt so etwas wie eine
wechselseitige Perspektivenübernahme, ein Sich-in-den-anderen-Hineinversetzen
und die wechselseitige Teilhabe am Symbolsystem des Anderen. Diese Leistung
wird aber wie andere optische, akustische oder haptische Perzeptionen in
materialen Strukturen hirnphysiologisch niedergelegt.;
(221) Herbert Helmrich:
Ladendieb entwendet Gegenstand aus Regal, hört hinter sich Geräusch, liest
„interessiert“ das Kleingedruckte und legt den Gegenstand zurück --- zwei
Bereitschaftspotentiale für gegenteilige Handlungen? Korrektur der
Aktionspotentiale? „dass der Aufbau der Bereitschaftspotentiale, der sich in
gut einer halben Sekunde vollzieht ... den schnellen freien Umentscheidungen
jeweils folgen kann“ ;
der Mensch, der sich zur Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung entschlossen
hat, hat voraktivierte Bereitschaftspotentiale, der Wille, eine falsche
Erklärung abzugeben, überdauert ... verbindet alles zu einem Gesamtverhalten;
der potentielle Steuersünder kann sich jederzeit frei umentscheiden,
eine ehrlich Erklärung abzugeben; die Existenz von unbewussten
Bereitschaftspotentialen macht ihn nicht unfrei;
(226) Kröber: Du glaubst nur, du selber hättest die Entscheidung getroffen. In
Wahrheit hat dein limbisches System die Entscheidung getroffen. Warum nicht,
fragt man zurück? Weil die Entscheidung schon fiel, als sie dir noch nicht
bewusst war. Aha, und diese geheimen Werkstätten, in denen die Entscheidung
geschmiedet wurde, sind nicht ich? Und wenn tatsächlich eine Entscheidung
stärker in meinen emotionalen Vorerfahrungen begründet sein sollte als in
rationalen Erwägungen – was besagt dies für die Willensfreiheit? Gar nichts.;
(227) völlig ungleiche, nämlich sowohl bewusste als auch unbewusste
Entscheidungen ... warum dann nicht auch freie und unfreie Entscheidungen?;
(229) Nach Singer ist es ... möglich, dass kulturelle und soziale Einflüsse
determinierend auf das neuronale Substrat wirken. Dann aber ist mit Geyer zu
fragen:
Wenn sie als Kultur und Soziales aber gleichwohl – wie Singer nicht bestreitet
- in der Lage sind, auf die rein materiell aufgefasste neuronale Verschaltung
zu wirken, dann hat sich die These von der energetischen Impotenz des Geistigen
auf verblüffende Weise selbst erledigt.;
(229) (wenn Motive und Gründe nur nachgereicht werden, wer ordnet sie jeweils
einander zu? nachträgliche Entschuldigungen, aber wofür? JK)
(251) Dualistenfraktion ... „Geist und Materie wie
Pianist und Klavier“ (Popper, Eccles, von Ditfurth); Gretchenfrage ist die nach
dem Wie und Wo der behaupteten Interaktion zwischen
Geist und Materie ... müssten plausibel machen, dass bei ihrem sich auf
quantenmechanischer Ebene vollziehenden
Geist-Gehirn-Interaktionismus der Energieerhaltungssatz nicht tangiert
... wird;
(257) die verstärkte Durchblutung einer bestimmten Gehirnregion, die sich in
erhöhter Radioaktivität an diesem Ort niederschlägt (sichtbar gemacht in
bildgebenden Verfahren JK), wird dabei zum Indiz für eine erhöhte Aktivität
eben dieser Hirnregion. Leider ist es so, dass Synapsen ... erregend oder
hemmend wirken können. In beiden Fällen .... verstärkte Stoffwechselaktivität,
... aber unklar, ob hier Vorgänge initiiert oder blockiert werden;
(260) (viele der Neurotheologen wie) Ramachandran, Persinger ... rücken die religiösen Erfahrungen in einen
pathologischen Kontext, in den z.B. die American Psychiatric
Association bis 1994 ohnehin und offiziell einen
starken religiösen Glauben einsortierte;
(260f) Soziobiologie: Universalien (Grundmodule) in allen Religionen:
a) Mystik, die eine eigene innere Erfahrung mit Gott bezeichnet
b) Ethik bzw. Moral, die ausgehend von einem bestimmten Menschen- und
Weltverständnis auf eine bestimmte soziale Praxis und eine bestimmte
Nutzen-Kosten-Repräsentation der Sozialbeziehungen abzielt
c) Mythen, die z.B. als Ursprungs- oder anthropologische Mythen vorkommen und
eine Welterklärungs- und Legitimationsfunktion für die konkrete Religion haben
d) Rituale, die als symbolische Aufladungen von Handlungen oder Gegenständen zu
verstehen sind. Sie sollen das Böse abweisen (apotropäische Riten) das Volk
reinigen (kathartische Riten) oder Lebensphasen interpretierend begleiten
(Passage-Riten);
es wird angenommen, dass diese Universalien sich im Laufe der Evolution
herausgebildet haben und durch eine natürliche Selektion geformt, optimiert und
genetisch fixiert wurden. Sie sollen einen evolutiven Mehrwert im Sinne einer
Fitnessmaximierung für eine konkrete Gruppe bewirken Religiosität als biologisch
funktionales Phänomen; Neurobiologie müsste nun die neurobiologischen Korrelate
der behaupteten Module usw. dingfest machen;
(im weiteren detaillierte und kritische Darlegungen zu den einzelnen
Universalien JK);
(275) Die Symphonie des Denkens wird von einem hirnphysiologischen Orchester
aufgeführt, das mit nicht weniger als zehn Milliarden, vielleicht sogar
einhundert Milliarden Musikern (sprich Neuronen) bestückt ist, von denen jeder
mit cirka zehntausend Orchesterkollegen (im Klartext
über Synapsenschaltungen) kommunizieren, musizieren,
interagieren kann. ... das Vorhandensein eines Dirigenten, also einer alles
bestimmenden Kommandozentrale, wird beim gegenwärtigen Kenntnisstand von nahezu
allen Neurowissenschaftlern bestritten ... vielleicht liefert der mediale
präfrontale Cortex für das Selbstkonzept so etwas wie das Minimaldirigat. ;
(280) evolutionäre Erkenntnistheorie: „überlebensadäquat“ (-tauglich JK) ist
nicht „wahrheitsadäquat“;
(290) Anselm von Canterbury: Credo ut intelligam (ich glaube, damit ich verstehe); der Mensch
ist, gerade in der Verfolgung seiner intelligiblen Interessen ... auf
irgendeine Form theistischer, atheistischer oder agnostischer, jedenfalls also
„gläubiger“ Selbst- und Weltinterpretation verwiesen;
(296) Ich glaube ... an die grundsätzliche Erkennbarkeit der Welt ....
Ich glaube ... an einen Sinn der Weltgeschichte im Ganzen und meiner selbst im
Einzelnen
Ich glaube ... an Menschlichkeit und Güte
(Ulrich Lüke: Das Säugetier von Gottes Gnaden, Evolution-Bewusstsein-Freiheit,
Herder Freiburg 2006)
·
US-Genetiker Dean Hamer
hat aus mehr als 2000 DNA-Proben jenes Gen isoliert, das seine Träger religiös
ansprechbarer macht als andere Menschen (Buch: Das Gottes-Gen)
(Der Sonntag 12.11.06)
·
Herzspezialist Krucoff
(USA) will beweisen, dass Fürbitten positiven Effekt auf die Heilung haben;
Studie mit 750 Patienten an 9 Kliniken; Ergebnis: den Patienten, für die
intensiv gebetet wurde, ging es besser als solchen, für die nur wenig oder gar
nicht gebetet wurde; Michael von Brück (München): bezieht sich auf die
Hirnforschung, geistige und körperliche Ebene sind zwei Aspekte derselben
Wirklichkeit
(Der Sonntag 21.5.06)
·
Veröffentlichung USA 2001: Studie mit
sensationellem Ergebnis, Frauen würden nach einer künstlichen Befruchtung
häufiger schwanger, wenn für sie gebetet würde, Schwangerschaftsrate verdoppelt
sich;
Recherche ergab: der Leiter der Studie hatte sie gar nicht gemacht, erst 1 Jahr
danach davon erfahren und sie redaktionell betreut; seit 2005 distanziert sich
die Columbia-Universität von der Studie und dem zweiten Autor
(bdw 2/2006 S.110)
·
Gerhard Vollmer:
(19ff) Dualismus oder Monismus?
Wechselwirkungen zwischen Geist und Materie, wie kommen sie zustande?
Obwohl viele Dualisten sich zum Interaktionismus bekennen,
sind hierzu überhaupt noch keine ernsthaften, d.h. hinreichend präzisen oder
gar empirisch prüfbaren, Vorschläge gemacht worden;
den Monisten beschäftigen vor allem die Verschiedenheiten der beiden Aspekte
als erklärungsbedürftig. Am weitesten verbreitet ist heute ein gemäßigter
Materialismus unter der Bezeichnung „Identitätstheorie“. Hier werden Geist,
Seele, Bewusstsein, als Funktionen des Zentralnervensystems, insbesondere des
Gehirns aufgefasst ... man kann das Leib-Seele-Problem im Dualismus wie im
Monismus als „Geist-Gehirn-Problem“ präzisieren. Das Hauptproblem einer solchen
Identitätstheorie ist die Frage:
Was ist die strukturelle Besonderheit jener neuronalen Prozesse, die mit
psychischen Erlebnissen verbunden sind (gegenüber solchen, die nicht von
psychischen Erlebnissen begleitet sind?);
Interaktionismus: Descartes, Popper, Eccles, von Ditfurth;
(26) evolutionistischer Identismus: Geist als
Gehirnfunktion ist eine neu auftretende Systemeigenschaft, zu der es keine
Vorstufen zu geben braucht (u.a. Lorenz, Riedl); Ein System kann Eigenschaften
aufweisen, die keines seiner Untersysteme – auch nicht in Vorstufen – aufweist;
(27) zahllose Experimente bestätigen .... die identische Vermutung, dass jedem
geistigen Zustand oder Vorgang ein materieller entsprechen müsse, da er ja
letztlich mit einem solchen identisch sei.;
(29) dass der Dualismus eine wissenschaftliche Anomalie darstellt; denn
nirgendwo – außer in der dualistischen Psychologie – wird in dieser Weise
zwischen einem System und seinen Eigenschaften und Funktionen getrennt. In
allen Wissenschaften wird eine Eigenschaft, ein Zustand, ein Vorgang einem
realen Gegenstand zugeordnet als eine Eigenschaft von etwas, ein Zustand von
etwas, ein Vorgang an etwas. Bewegung ist Bewegung eines Körpers, Energie ist
Energie eines Systems ... niemand käme auf die Idee, Bewegung, Energie ... als
eigenständige Wesenheiten anzusehen. Wie verdinglichen niemals Eigenschaften,
Zustände, Prozesse von .... Systemen – nur der Dualist tut das mit den Eigenschaften ... des
Zentralnervensystems ...
irreführender Ausdruck „Leib-Seele-Problem“, sprechen wir doch auch nicht von
einem „Körper-Bewegungs-Problem“ ...;
Wird der Geist als nicht-materielle Wesenheit oder Substanz aufgefasst, so
bedeutet jeder Interaktionismus eine Verletzung des Satzes von der Erhaltung
der Energie! Denn jede Wechselwirkung muss zumindest für den materiellen
Partner (Neuronen; Gehirn) mit einem Energieübertrag verknüpft sein.;
(31) subjektive und objektive, innere und äußere, psychische und physische,
geistige und materielle Zustände und Prozesse seien völlig verschieden,
unvergleichbar ...
wir können diese Verschiedenheit projektiv deuten, dann sind subjektive und
objektive Zustände und Prozesse nur verschiedene Aspekte ein und desselben objektiven
Vorgangs;
Die Unvereinbarkeit der Aspekte besteht nur auf der Ebene der Erscheinungen;
sie allein rechtfertigt noch nicht die Behauptung, dass das Urbild nicht ein
einziges, einheitliches und widerspruchsfreies sein könne;
(33) einen APFEL kann man sehen und fühlen (und riechen und schmecken); der
optische und der haptische Eindruck des Apfels sind auch inkommensurabel; Farbe
und Form sind ja ganz verschiedene Qualitäten, trotzdem schreiben wir diese
verschiedenen Eigenschaften ein und demselben Objekt zu und deuten sie als
Projektionen auf unsere verschiedenen Erlebnis-„Ebenen“;
Eine Wolke kann man von innen und von außen erleben;
Elektronen zeigen Teilchen- und Wellencharakter;
scheinbar inkommensurable Eigenschaften projektiv gedeutet und auf „höherer“
Ebene aufgelöst;
(34) Die Identitätstheorie fordert gar keine neue Substanz, ist bekannt
(Neuronen, Moleküle, Atome, Elementarteilchen, allg. Materie im physikalischen
Sinne);
neu und unbekannt ist dagegen die Struktur, die Vernetzung, die Verschaltung
dieser Elemente (Struktur hier: Gesamtheit aller Wechselwirkungen, Beziehungen,
Relationen der Bauelemente zueinander);
(35) Substanz und Struktur – keine dieser beiden Komponenten ist der anderen
irgendwie übergeordnet, beide sind für das System kennzeichnend, für seine
Eigenschaften konstitutiv, für seine Funktion wesentlich; Kenntnis des einen
ersetzt niemals Kenntnis des anderen;
zum Verständnis dieses Systems müssten wir seine Struktur durchschauen;
(37) Identitätstheorie: Bewusstseinsvorgänge sind nicht Epiphänomene
physikalischer Vorgänge; vielmehr unterscheiden sich physikalische Vorgänge mit
Innenaspekt auch physikalisch von solchen ohne Innenaspekt;
es war offenbar in der Evolution von Vorteil, solche neuronalen Strukturen
auszubilden, die gleichzeitig mentale Prozesse ermöglichen. Der mentale
Charakter dieser Strukturen ist nicht ein zufälliges Nebenprodukt, sondern
gerade eine typische, eine wesentliche Eigenschaft dieser Strukturen;
(Herrenalber Texte 23: Wie entsteht der Geist?,
Karlsruhe 1980)
·
Benedikt Grothe, Prof. für
Neurobiologie LMU München:
Publikationen über eine neue Art des Lügendetektors (USA): mit Hilfe von
bildgebenden Verfahren zur Messung neuronaler Aktivität Falschaussagen
nachweisen (90%ige Sicherheit);
fMRI (functional magnetic resonance imaging);
die sehr einfache Prämisse: Mehr (erhöhte Aktivität an einem Ort im Gehirn,
Durchblutung, Stoffwechsel) ist besser, mehr ist entscheidend;
tatsächlich aber gehen heute einige Kollegen davon aus, dass in den so
genannten „höheren Zentren“ unseres Gehirns spezifische Verarbeitungsprozesse
sogar eine Verminderung der Gesamtaktivität bewirken; dann würde gelten:
weniger ist mehr;
eine euphorisch geführte Kampagne einiger Vertreter der Neurowissenschaften
(Betonung auf „einige“), letztlich nicht seriös; sie basiert auf mangelhafter
Darstellung der Grenzen der modernen neurowissenschaftlichen Methoden, dem
weiten Interpretationsspielraum, den die durch sie gewonnen Ergebnisse
erlauben, ...
Die modernen Messmethoden ermöglichen uns faszinierende Einblicke in die
Aktivität unseres Gehirns. Derzeit sind die nicht invasiven Methoden nur
geeignet, Korrelate neuronaler Aktivität zu messen (z.B. fMRI),
oder sehr spezifische und in ihrer Bedeutung nicht wirklich verstandene
Phänomene, wie beispielsweise Synchronizität
neuronaler Entladungen (z.B. EEG). Was die gemessenen Aktivitäten aber
letztlich bedeuten, wie sie mit den Gedanken und Intentionen des Probanden in
Verbindung stehen, das bleibt ungewiss.;
wir sind Beobachter, die vieles in Beziehung setzen, aber wenig verstehen
können;
(Das Parlament 2./8.1.2007 S.9)
·
US-Neurologen haben ein
Gehirnimplantat entwickelt, mit dem vollständig Gelähmte einen Cursor auf dem
Bildschirm oder eine Armprothese bewegen können; 4 Millimeter kleiner
Hirnsensor mit Druckluftpistole bei geöffnetem Schädel wenige Millimeter unter
die Hirnoberfläche geschossen; durch Loch in der Schädeldecke überträgt der
Chip per Kabel Befehle aus dem Gehirn an einen Computer, der die Signale
verarbeitet und übersetzt; bisher stimmen nur etwa 80% der Bewegungen mit den
Wünschen des Patienten überein
(bdw 12/06 S.13)
·
Persinger
setzte Versuchspersonen Helm auf und konnte mit Hilfe von Magnetfeldern
mystische Erfahrungen hervorrufen; schwedische Forscher wiederholten den
Versuch – auch ohne Magnetfeld berichteten die meisten Teilnehmer von
spirituellen Erfahrungen (Gotteserfahrung also wohl mehr ein Ergebnis des
Glaubens);
dass bis zum heutigen Tag keine Forschung mit funktionellen bildgebenden
Verfahren Ergebnisse gebracht hat, mit denen sich zwischen konkurrierenden
psychologischen Theorien eine Entscheidung treffen lässt;
bildgebende Verfahren, verraten sie, was wir gerade denken? Auf jeden Fall –
wenn es sich um einfache Dinge handelt; dass man aus dem Gehirn-Scan
herauslesen kann, ob eine Versuchsperson ein Gesicht oder ein Haus anschaut, ob
der Proband zwei Zahlen addieren oder subtrahieren will, ob er die linke oder
die rechte Taste drücken will,;
Probleme:
viele neuronale Prozesse spielen sich auf so kleinem Raum ab, dass man sie mit
konventionellem MRT nicht direkt nachweisen kann;
extreme Verteilung der Gedankenprozesse auf verschiedene Hirnbereiche;
keine direkten Rückschlüsse auf die neuronale Aktivität; gemessen wird nämlich
nicht das Neuronenfeuer selbst, sondern so genannte
BOLD-Signale (blood oxygen level dependent) ...
wie aber sind Blutfluss, Sauerstoffverbrauch und neuronale Aktivität
verkoppelt?
(bdw 1/2007 S18ff „Die 7 Rätsel der Hirnforschung“)
·
mystische Erfahrungen lassen sich
nicht auf eine Hirnregion eingrenzen; also kein „Gottes-Modul“?;
bei 15 Nonnen zeigte sich im Kernspintomographen mindestens ein Dutzend
verschiedener Hirnareale aktiv (Aufgabe: Erinnern an das stärkste spirituelle
Erlebnis)
(ZEIT 7.9.06 S.45)
·
wichtiger Teil der Gedächtnisbildung
in Tiefschlafphasen; was das Gehirn am Tag aufgenommen hat, wird zunächst im
Hippocampus zwischengespeichert, im Schlaf verlagert das Hirn die
Gedächtnisinhalte in feste Erinnerungsspeicher im Neokortex
(ZEIT 9.11.06 S.40)
·
Nobelpreisträger Kandel:
Gehirn und Körper sprechen immer miteinander, rund um die Uhr.
wenn wir miteinander sprechen, ändern sich unsere Gehirne
(Taz 1.7.06)
·
(Buch: Eugen Drewermann: Atem des
Lebens 1: Die moderne Neurologie und die Frage nach Gott; Gehirnforschung und
Gottesglaube; 44 Euro)
·
Spiegelneuronen
werden immer dann aktiv, wenn wir Handlungen und Empfindungen von anderen
Menschen beobachten; sie schwingen sozusagen mit und sorgen für eine innere
Simulation des beobachteten Vorgangs, das ähnelt der Resonanz von
Gitarrensaiten;
das heißt, Neuronen feuern nicht nur, wenn ich mich schneide, sondern auch,
wenn ich sehe, wie sich ein anderer schneidet;
menschenfreundliches Prinzip: Resonanz und Kooperation; gegenseitige
Anerkennung, emotionale Resonanz, Schaffung gemeinschaftlicher Projekte;
der innerste Antrieb der Biologie ist nicht der Kampf, sondern die Kooperation,
die Beziehungsaufnahme
(taz 28.10.06)
·
Jede Begegnung (zwischen Menschen)
löst eine Art neuronales Duett der Gehirne aus. Besonders wichtig sind dabei
die so genannten Spiegelneuronen. Sie feuern, wenn wir jemand anderes
beobachten, wie er sich am Kopf kratzt oder eine Träne aus dem Gesicht wischt.
Das neuronale Aktivitätsmuster imitiert dabei das, was wir sehen, als wären wir
selbst die Handelnden. Auf diese Weise können wir uns mit dem inneren Zustand
des anderen identifizieren.;
die Evolution hat zumindest alle Säugetiere mit diesem Mechanismus
ausgestattet; je komplizierter die Gruppenstruktur, desto entwickelter sind die
Schaltkreise im Gehirn, in denen sich soziale Intelligenz abspielt. Ohne sie
hätten wir vermutlich nicht die Fähigkeit, uns differenziert in Gruppen zu
bewegen und zu kooperieren.
ist unser soziales Talent also genetisch bedingt? Nicht nur. Soziale
Intelligenz kann man üben, es scheint, dass diese Schaltkreise im Gehirn ständig
dazu lernen wollen;
(Spiegel 36/2006 S.146ff)
·
während Sie die Finger ausstrecken und
nach meiner Tasse greifen, feuern in Ihrem Gehirn bestimmte Nervenzellen; in
meinem Gehirn feuern nun die gleichen Nervenzellen wie bei Ihnen – als ob ich zugriffe;
die Spiegelneuronen erklären unser soziales Miteinander; wir brauchen sie, um
uns in andere Menschen einzufühlen, ihre Absichten zu erkennen;
von den Kommando-Nervenzellen im Vorderhirn scheinen 30% Spiegelneuronen zu
sein;
bezogen auf alle Hirnzellen machen sie nur wenige Prozent aus;
einige der Neuronen feuern auch, wenn eine andere Person mit einer Nadel
gepikst wird, echte Empathiezellen;
so gesehen sind Spiegelneuronen unsere Grundlage für Moral und Ethik;
Fähigkeit zur Imitation;
(Spiegel 10/2006 S.138ff)
·
Einnahme LSD-ähnlicher Pilzwirkstoff
Psilocybin; vollständige mystische Erfahrung: entgrenzt,
Zeit und Raum versanken, Gefühle von tiefer Ehrfurcht, Freude und Liebe
überwältige; viele berichten von einer direkten, persönlichen Erfahrung mit der
jenseitigen Welt; für jeden dritten Teilnehmer war der Versuch das aufwühlendste spirituelle Abenteuer seines bisherigen
Lebens;
so vielleicht auch die neurobiologischen Grundlagen von spirituellen
Erfahrungen und religiöser Ekstase besser zu verstehen
(Spiegel 33/2006 S.133)
·
pro Sekunde prasseln 11 Millionen
Sinneseindrücke auf uns ein, die von ebenso vielen Sinneszellen im Körper ins
Gehirn geschickt werden (Druck des Sessels im Rücken, Ticken der Uhr,
Nachgeschmack des Brötchens ...);unser Bewusstsein schafft es gerade einmal, 40
Sinneseindrücke gleichzeitig zu verwalten, der Rest muss dem Autopiloten im
Kopf überlassen werden;
im ventromedialen präfrontalen Kortex werden die
Gefühle, die im limbischen System entstehen, mit den rationalen Erwägungen der
Großhirnrinde verknüpft; ohne diese Verknüpfung (so Damasio)
ist der Mensch wie gelähmt, jede Entscheidung brauche einen emotionalen Anstoß,
aus puren Verstand heraus könne der Mensch nicht handeln
(Spiegel 15/2006 S.158ff)
·
wenn Sie etwas von diesem Artikel im
Gedächtnis behalten, dann hat dieser Artikel die Anatomie ihres Gehirns
verändert;
es gibt im Gehirn keine steuernde Zentrale; eher Verarbeitung der Informationen
in einem dezentralen Netzwerk; aber wie wird aus den spärlichen neuronalen
Signalen das Muster, das sich zu einem bedeutungsvollen Bild zusammenfügt?;
selbst, wenn biochemische Vorgänge das begründen, was wir Subjektivität nennen,
so bleibt letztere doch Subjektivität;
(taz 20.5.06)
·
geistige Aktivität, soziale Kontakte,
körperliche Bewegung lassen neue Nervenzellen sprießen;
neue Nervenzellen ersetzen nicht einfach die alten; sie haben eine eigene
Aufgabe, z.B. das Lernen neuer Gerüche;
Neurogenese: Neubildung von Nervenzellen erfolgt bis ins hohe Alter;
zu funktionstüchtigen Neuronen wachsen sie aber nur heran, wenn man ihnen was
bietet: Lernreize, geistige Herausforderung, körperliche Betätigung; sonst
gehen sie schnell wieder zugrunde;
neben der Produktion neuer Nervenzellen wichtig für das Bewältigen neuer
Herausforderungen:
Verstärkung alter Synapsen (Sekunden), Ausbildung neuer
Synapsen(-Verknüpfungen) (Stunden),;
(Spiegel 20/2006 S.164ff)
·
(105) Sinne des Menschen: neben Sehen,
Tasten, Schmecken, Riechen, Hören – Fähigkeit, feine Temperaturunterschiede zu
erfühlen, Gleichgewichtssinn, die kinetischen Sinne, die den Schlagarm des
Tennisspielers feinsteuern und anderes mehr;
manche Tiere haben elektrische Sinne, Magnetsinn (Magnetitkristalle
bei Tauben, Bienen und Forellen gefunden)
(Ludwig Schultz, Hermann-Friedrich Wagner (Hrsg.): Die Welt hinter den Dingen,
WILEY-VCH Weinheim, 2006)
·
Wenn Sie einem Neurobiologen begegnen,
der allen Ernstes behauptet, es gebe keinen freien Willen, dann erzählen Sie
ihm doch folgende Geschichte:
Ein Mann geht in ein Restaurant. Der Kellner bringt ihm die Karte und nach
einem Meinungsaustausch über das Wetter fragt der Kellner: „Wünschen Sie
Kalbfleisch oder Schweinefleisch?“. „Wissen Sie“, sagt der Gast, „ich bin
Neurobiologe. Ich glaube nicht an den freien Willen. Ich werde einfach warten
und sehen, was ich bestelle.“
Die Geschichte macht auf ironische Weise darauf aufmerksam, dass auch
derjenige, der die Möglichkeit des freien Willens in Abrede stellt, indem er
sich weigert, eine Entscheidung zu treffen, seinen freien Willen ausübt – ob er
will oder nicht.;
Die Erbitterung und das Feuer, mit dem die Debatte um den freien Willen geführt
wird, gehen über den normalen Wissenschaftsdisput weit hinaus. Denn beim freien
Willen handelt es sich nicht um eine Marginalie, sondern um den harten Kern
menschlichen Selbstverständnisses. Der freie Wille ist die Grundlage der
Aufklärung und Voraussetzung jeder Ethik. Ohne die Verantwortung des Einzelnen
für seine Handlungen gäbe es weder Gut noch Böse, weder Schuld noch Einsicht.;
Im Überschwang ihrer neu gewonnenen Bedeutung und im Aufmerksamkeitssog der
Medien verlor die Neurobiologie die Bodenhaftung. Sie wollte zur
Leitwissenschaft für die gesamte Gesellschaft aufsteigen; ja, sie wollte die
wahre Geistes-Wissenschaft werden und in der Nachfolge von Kopernikus, Darwin
und Freud das alte Welt- und Menschenbild umstürzen und auf eine neue Grundlage
stellen.;
Es fällt auf, dass sich der Streit immer wieder auf die Interpretation eines
einzigen Experiments bezieht, das vor mehr als 25 Jahren von dem amerikanischen
Neurophysiologen Benjamin Libet gemacht worden ist.
...
Libet legt Wert darauf, als „experimenteller“
Neurophysiologe bezeichnet zu werden ... entstammt der empirischen Schule Karl
Poppers und John Eccles, in der gilt, dass nur ein sauber durchgeführtes und
von jedermann nachprüfbares Experiment einen exakten Wissenschaftler
auszeichnet. Nichts verachtet Libet mehr als
Kollegen, die sich nicht der Mühe des Experiments unterziehen, sondern wild
drauflos spekulieren und sich mit unbewiesenen Annahmen zu großen
Wissenschaftlern aufplustern ...
seine Messergebnisse waren verblüffend. Die Hirnströme verstärkten sich jeweils
350 bis 400 Millisekunden, bevor einer Versuchsperson der Wille, die Hand heben
zu wollen, bewusst wurde. Diesen elektrischen Ausschlag im Messprotokoll
bezeichnet Libet ... als Bereitschaftspotenzial (BP).
Er zog daraus die Schlussfolgerung: „Das Gehirn leitet zuerst den
Willensprozess ein.“ Erst danach wird die Versuchsperson sich ihres
Handlungsdranges bewusst. Libets Ergebnisse wurden
von anderen Wissenschaftlern in den 1990er Jahren experimentell überprüft und
bestätigt ...
Festzuhalten ist: Die verstärkte neuronale Aktivität im Gehirn, die mit den
Elektroden gemessen wird, bezeichnet Libet neutral
als „Aktion des Gehirns.“ Er überfrachtet seine Beobachtung nicht semantisch,
wie dies manche seiner Interpreten tun, wenn sie behaupten, das im Gehirn
aufgebaute BP sei identisch mit der folgenden Handlungsentscheidung. Libet sagt nur: Es gibt eine Zunahme neuronaler Aktivität.
Wofür diese steht – für einen aus dem Körper „aufsprudelnden“ Impulswunsch oder
eine autonome Vor-Entscheidung des Gehirns -, ist aus dem BP nicht zu ersehen.
... aus dem Experiment abzuleiten, dass der freie Wille eine Illusion sei, ist
nur richtig, wenn man den zweiten Teil des Libetschen
Experiments unter den Teppich kehrt oder als vernachlässigbar abqualifiziert.
Genau das haben die deutschen Neurobiologen Gerhard Roth und Wolf Singer getan,
die Benjamin Libet sonst gern als Kronzeugen für ihre
Thesen aufrufen ... Libet stellte fest, dass der
bewusste Wille etwa 150 Millisekunden vor der motorischen Handlung auftaucht.
Genügend Zeit also, das Gesamtergebnis des Willensprozesses zu beeinflussen.
... Genau hier tritt das Libetsche „Veto“ auf den
Plan. Die Versuchspersonen sind in der Lage, die Ausführung des zunächst
unbewusst eingeleiteten und dann ins Bewusstsein gekommenen Willens zu stoppen,
„wenn die geplante Handlung als sozial inakzeptabel angesehen wird oder nicht
im Einklang mit der eigenen Gesamtpersönlichkeit oder mit den eigenen Werten
steht.“ Anders ausgedrückt: Ein Wunsch steigt auf, tritt ins Bewusstsein und
wird abgewehrt, Diese Abwehrleistung, das Veto, ist nach Libet
der Beweis für den freien Willen. Er initiiert keinen Willensprozess; er kann
jedoch das Resultat steuern, indem er den Willensprozess aktiv unterdrückt und
die Handlung selbst abbricht oder indem er die Handlung ermöglicht (oder
auslöst)“.
(GeoWissen Heft 35, 2005; „Sünde und Moral“, Beitrag
von Wolfgang Michal: „Wir sind so frei“ - S.36ff)
·
„Die Gedanken sind frei, wer kann sie
erraten“ (Volkslied 13. Jahrhundert);
(Süddeutsche Zeitung 25.7.07 S.16)
·
keine Freiheit ohne Verantwortung;
aber auch keine Freiheit ohne Notwendigkeit
(taz 27.8.07; Leserbrief)
·
Roman Walker Percy 1971: Klinik in den
USA: soll der Mensch die Möglichkeit haben, einen Knopf zu drücken, der zu
einem Gefühl von gelöster Zufriedenheit führt?
(Zeit 30.8.07 S.34)
·
Interview mit Hirnforscher Gerhard
Roth;
Vermutlich habe ich ein starkes Geltungsbedürfnis ...;
der Spielraum, in dem ein Mensch überhaupt empfinden, sich verhalten, sich
verändern kann, ist bei der Geburt bereits in beträchtlichem Maße umrissen;
das Automatisierungsstreben unseres Gehirns ist zugleich eine der besten und
schlechtesten Erfindungen der Evolution – Routinevorgänge ohne nachdenken zu
müssen, aber wir kommen so von unseren schlechten Gewohnheiten nicht mehr weg;
Wie das ICH entsteht (Stufen der Persönlichkeitsentwicklung):
+ Genetische Disposition (20 bis 50 %
Erbanlagen)
+ vorgeburtliche Prägungen (ab der 6.
Schwangerschaftswoche)
+ frühkindliche Prägungen (bis zum 4.
Lebensjahr)
+ bewusste soziale Prägungen (Erziehung;
etwa bis zum 20. Lebensjahr)
+ sekundäre Charakterzüge (Ausprägung
von Verhaltensmustern durch positive Gefühle)
+ rationales Wissen (ein Leben lang)
(Spiegel 35/2007 S.124)
·
Hirnforscher Markowitsch:
Ich bin das Produkt meiner Vergangenheit; der freie Wille ist eine Illusion;
Philipp Reemtsma:
Der höchste Ausdruck von Freiheit drückt sich in dem Luther-Satz aus: Hier
stehe ich, ich kann nicht anders(, Gott helfe mir, Amen)
(Spiegel 31/2007 S.117)
·
Editoral:
Auch von der Illusion, Herrscher über unser Denken zu sein, müssen wir uns
vermutlich verabschieden. Viele Entscheidungen hat unser Gehirn längst
getroffen, Urteile gefällt, ehe wir uns dessen bewusst werden. Dabei gaukelt
uns unser Denkorgan geschickt vor, das habe schon alles seine Richtigkeit. Das
menschliche Gehirn ist ein Meister darin, seine Vorurteile nachträglich
moralisch zu untermauern.
Beitrag von Wolf Singer:
10 hoch 11 Nervenzellen;
können nahezu alle Erkenntnisse, die an den Nervensystemen von Tieren gewonnen
werden, auf das menschliche Gehirn übertragen werden;
Die Hirnforschung überspannt von den Human- und Sozialwissenschaften über die
Physiologie und Psychologie bis hin zur Physik und Informatik ein gewaltiges Disziplinenspektrum;
da die Funktionen des Gehirns nicht nur von den genetisch vorgegebenen
Verschaltungsstrukturen bestimmt, sondern diese Architektur von der Umwelt
entscheidend beeinflusst wird ..;
das menschliche Gehirn entwickelt sich bis etwa zum 20. Lebensjahr. Während
dieser Zeit werden neuronale Verschaltungen durch Ausbildung neuer Verbindungen
und die Vernichtung bereits angelegter Nervenbahnen ständig verändert. Diese
Auf-, Ab- und Umbauprozesse werden nicht mehr nur von den Genen, sondern von
der Aktivität der Neuronen selbst gesteuert.;
Die Grundannahme der Hirnforschung ist, dass sich die Funktionen des Gehirns
naturwissenschaftlich beschreiben und erklären lassen müssen, da neuronale
Prozesse den Naturgesetzen unterworfen sind;
dies legt wiederum nahe, dass mentale Prozesse wie das Bewerten von Situationen
und das Planen des je nächsten Handlungsschrittes auf neuronalen
Wechselwirkungen beruhen, die ihrer Natur nach bestimmten Gesetzen folgen, in
der Sprache der Wissenschaft also „deterministisch“ sind: Der jeweils nächste
Zustand ist die notwendige Folge des jeweils unmittelbar vorausgegangenen.
Sollte sich das Gesamtsystem in einem Zustand befinden, für den es gleich
mögliche Folgezustände gibt, deren Eintreten ähnlich wahrscheinlich ist, so
können minimale Schwankungen der Systemdynamik den einen oder anderen Schritt
favorisieren. Es kann also wegen der unübersehbaren Zahl der Einflussfaktoren
nicht vorausgesagt werden, für welchen Schritt sich das System „entscheiden“
wird. Es kann völlig neue, bislang noch nie aufgesuchte Orte in einem
Zustandsraum mit unzähligen Dimensionen besetzen – was dann als kreativer Akt
in Erscheinung tritt. Jeder der kleinen Schritte, die aneinandergefügt die
Entwicklungsbahnen des Gesamtsystems ausmachen, beruht auf neuronalen
Wechselwirkungen, die im Prinzip festen Naturgesetzen folgen.;
Hirnforschung ... Anstoß für eine überfällige Rezeption naturwissenschaftlicher
Erkenntnisse durch die Humanwissenschaften;
(ZEIT, Beilage September 2007, zur ZEIT-Wissenedition)
·
(189) Zusammenfassung:
Wenn wir nämlich glauben, dass es wahr ist, dass Gott alles vorherweiß und
vorausordnet, dann kann er in seinem Vorherwissen und Vorherbestimmen weder
getäuscht noch behindert werden; ferner kann nichts geschehen, wenn er selbst
es nicht will .... zugleich kann es nach dem Zeugnis
der gleichen Vernunft keinen „freien“ Willen im Menschen oder in einem Engel
oder in irgendeinem Geschöpf geben ...;
(45) dass der Glaube auf die unsichtbaren Dinge gerichtet ist ... muss alles,
was geglaubt wird, verborgen werden;
so verbirgt Gott seine ewige Gnade und sein Erbarmen unter ewigem Zorn,
Gerechtigkeit unter Ungerechtigkeit ...;
(49f) der menschliche Wille ... wie ein Reittier, wenn Gott es bestiegen hat,
will und geht es, wohin Gott will ... wenn der Teufel aufgestiegen ist, will
und geht es, wohin der Teufel will, und es liegt nicht in seinem Willen, zu
welchem Reiter es läuft, sondern die Reiter selbst kämpfen darum ...;
(55) der Mensch hat nach seinen Möglichkeiten und seinem Eigentum das Recht,
sie nach freiem Willen zu benutzen, zu tun und zu lassen; obwohl auch dies
allein durch Gottes freien Willen gelenkt wird, wohin es ihm gefällt;
in bezug auf Gott oder in Dingen, die sich auf
Erlösung oder Verdammnis beziehen, keinen freien Willen, sondern er ist
Gefangener, Unterworfener und Sklave entweder des Gotteswillens oder des
Teufelswillens;
(77) Erasmus von Rotterdam, Definition: „Nun aber verstehen wir ... unter dem
Willen die Kraft des menschlichen Willens, durch die sich der Mensch an das
anpassen kann, was zum ewigen Heil führt, oder auch davon sich abwenden kann“
(137) Wenn Gott also alles bewegt und lenkt, bewegt und handelt er
notwendigerweise auch im Satan und Gottlosen ... dass Gott nicht schlecht
handeln kann, wenn er auch durch die Bösen Böses bewirkt ... er benutzt die
Bösen als Werkzeuge, die der Gewalt und Wirkung seiner Macht nicht entgehen
können;
(143) wenn er auch in seiner Weisheit dieses Böse zu seinem Ruhme und unserem
Heile gut benutzt;
(173) dass es zwei Reiche in der Welt gibt, die sich gegenseitig heftigst bekämpfen; in dem einen herrscht Satan ... (Fürst
dieser Welt) ... im anderen Reich herrscht Christus ... in dieses werden wir
nicht versetzt durch unsere Kraft, sondern durch die Gnade Gottes
(Quellen, Ausgewählte Texte aus der Geschichte der christlichen Kirche; Martin
Luther (Vom verknechteten Willen), EVA Berlin 1964)
·
(positive) Emotionen sind wichtig fürs
Lernen;
Begriffe, die mit positivem Bild-Hintergrund gelernt wurden, waren später
besser abrufbar;
Gerhard Roth wird nicht müde, den Zusammenhang zwischen „Fühlen, Denken,
Handeln“ (so ein Buchtitel) zu erklären;
Roth: etwa 0,1 % dessen, was unser Gehirn aktuell tut, wird uns bewusst
(bdw 10/2007 S.21, 32)
·
vor gut 10 Jahren sensationelle Entdeckung:
Hirnzellen, die Bewegungen steuern, reagieren auch auf deren puren Anblick;
elektrische Signale einzelner Zellen im Großhirn von Rhesusaffen wurden
abgeleitet: im prämotorischen Kortex gab es Zellen, die nicht nur feuerten,
wenn der Affe seine Arme selbst bewegte, sondern auch, wenn er eine Person oder
Artgenossen bei genau dieser Bewegung beobachtete; dieser „Echoeffekt“ trat nur
auf, wenn der Affe eine zielgerichtete Bewegung (z.B. Griff nach einer Banane)
sah; es lag auf der Hand, diese Neuronen als „Spiegelneuronen“ zu bezeichnen,
da sie die Handlungen und Intentionen des anderen anscheinend wiederspiegeln.
ABER:
einzelne Spiegelzellen wurden bisher nur bei Affen dingfest gemacht;
die meisten Studien zum Spiegelneuronensystem des
Menschen verwenden bildgebende Verfahren wie Kernspintomographie; hier nur
Auflösung im Millimeter- bis Zentimeterbereich (gemittelte Aktivität von
Hunderttausenden von Neuronen);
1999 ein einzelner Versuch an einer Patientin; Mikroelektroden eingepflanzt; im
„Schmerzzentrum“ des Großhirns feuerten Neuronen nicht nur, wenn die Patientin
in den Finger gestochen wurde, sondern auch, wenn sie zusah, wie sich der Arzt
in den Finger stach - vermutlich das erste und bisher einzige wissenschaftlich
identifizierte menschliche Spiegelneuron!; wenn die „angezapften“ Zellen mit
elektrischen Strömen stimuliert wurden, spürte die Patientin nichts (Funktion
ist wohl nur in einem Getriebe aus großen Zellverbänden gegeben);
Und diese Zellen sollen auch noch für Nachahmung, Sprache, und Kultur
verantwortlich sein? die Rhesusaffen haben diese Fähigkeiten nicht;
(bdw 11/2007 S.30ff)
·
Klonforscher gefragt: Wie weit prägen Gene ein
Wesen? Darüber haben wir ziemlich genaue Vorstellungen. Zu 30 bis 35 % sind die
Gene dafür verantwortlich, was wir sind und was wir tun. Der Rest ist durch die
Umwelt geprägt.
(Die Zeit 15.2.07 S.56)
·
Es
gibt doch Spiegelneuronen beim Menschen! 34 einzelne Neuronen mit Elektroden
aufgespürt, waren für bestimmte motorische Handlungen zuständig, reagierten
aber auch, wenn solche Handlungen auf Videos gezeigt wurden; wurden beim
Zusehen entweder erregt oder gehemmt
(bdw 1-2008 S.10)
·
Rechte
oder linke Taste drücken?
Wenn unser Bewusstsein scheinbar autonom eine Entscheidung fällt, sind die
Würfel oft längst gefallen – im Unterbewusstsein. Der Zeitvorsprung des
Unterbewussten beträgt dabei selbst bei einfachen, reflexhaft anmutenden
Entscheidungen häufig nicht Millisekunden, wie bislang angenommen, sondern
teils mehrere Sekunden … (Arbeitsgruppe um den Hirnforscher John-Dylan Haynes
von der Berliner Charité) …Um die Zeitverzögerung zu messen, hatten die
Forscher Probanden gebeten, entweder mit der rechten oder mit der linken Hand
einen Schalter zu betätigen; derweil durchleuchtete ein Magnetresonanztomograf
das Gehirn. … konnte Haynes anhand typischer Durchblutungsmuster hinter der
Stirn teilweise schon sieben Sekunden zuvor erkennen, ob der Proband rechts
oder links wählen wird.
(Spiegel 16-2008 S.141)
·
37-jähriger
Forscher John-Dylan Haynes;
anhand der Aktivität zweier Hirnregionen kann er voraussagen, ob
Versuchspersonen einen Knopf mit der rechten oder mit der linken Hand drücken
werden. Und diese Aktivität beginnt, zehn Sekunden bevor die Probanden sich
bewusst entscheiden!
Gibt es also tatsächlich keinen freien Willen? Entscheidet unser Gehirn quasi
an unserem Bewusstsein vorbei? So einfach macht es sich Haynes nicht. Der
Slogan „Freiheit oder Gehirn“ ist ihm viel zu plump. Denn ersten sei das Gehirn
ja Teil unserer Person; und zweitens müssten die Hirnprozesse konsistent sein
mit all unseren Überzeugungen und Werten …
Haynes hat mit modernen Methoden das berühmte Experiment von Benjamin Libet fortgeführt, das seit über 20 Jahren die Debatte um
den freien Willen prägt …
Versuch: Während seine Probanden in einem Kernspintomografen lagen, sollten sie
sich entscheiden, entweder mit der rechten oder mit der linken Hand einen Knopf
zu drücken. Damit sie sich den Zeitpunkt dieser Entscheidung merken konnten,
zeigte ihnen Haynes keine Uhr, sondern schnell wechselnde Bilder mit verschiedenen
Buchstaben, Probanden mussten sich den Buchstaben merken, der zum Zeitpunkt der
Entscheidung gerade eingeblendet war …
neuronale Aktivitätsmuster erfasst, die mit der Entscheidung in Verbindung
standen; kann für individuelle Versuchsperson geeicht werden;
Mustererkennung förderte zwei Hirnbereiche zutage, in denen die Entscheidung
vorbereitet wurde (das Brodmann-Areal 10 im frontopolaren Kortex und eine Region im parietalen Kortex);
aus den Aktivitätsmustern dieser Areale ließ sich mit einer 60-prozentigen
Wahrscheinlichkeit ableiten, welchen der beiden Knöpfe eine Versuchsperson
später drücken wird – und zwar bereits 7 Sekunden bevor die Versuchsperson die
bewusste Entscheidung traf!;
Hinkt das Bewusstsein also um 7 Sekunden hinterher? Nein, um noch viel mehr.
Der Kernspintomograf zeigt die Hirnaktivitäten mit einer Verzögerung von 3 bis
4 Sekunden, tatsächlich also sind diese Areale bereits etwa 10 Sekunden aktiv,
bevor die Entscheidung als bewusst erlebt wird.
60% liegt nur knapp über einem Zufallstreffer von 50% …? Das ist ein Wert, den
wir über alle 14 Probanden gemittelt haben, wenn wir uns auf den Einzelfall
konzentrieren, können wir eine viel höhere Wahrscheinlichkeit erreichen;
Der Befund von Libet ist nicht nur bestätigt, sondern
mächtig verschärft;
Haynes:
“Ich interpretiere unsere Studie so: Eine Kaskade von unbewussten Prozessen
fängt an, eine Entscheidung vorzubereiten, lange bevor diese ins Bewusstsein
dringt.“
Doch wer entscheidet denn da nun? Der Mensch denkt, das Gehirn lenkt? …
“Mein Gehirn, das bin ja ich …“ Unsere Gedankentätigkeit sei mit einem Eisberg
vergleichbar. „Was uns bewusst ist, ist nur dessen Spitze. 90% liegen unter
Wasser – das sind die unbewussten Prozesse in unserem Gehirn. Aber die Spitze
gehört ja zum Eisberg dazu, beide bilden eine Einheit.“ Es sei ein
Missverständnis, zu meinen, nur weil etwas unbewusst ablaufe, sei es zufällig
und nicht begründbar. „Alle unsere Handlungen sind die Überlagerungen von
Tausenden kleinen Ursachen – Erfahrungen
in Kindheit und Beruf, unsere Kultur, die Menschen, mit denen wir uns umgeben,
die Medien, die wir zu Rate ziehen,… auch unbewusste Prozesse folgen einer
Logik. Doch diese können wir bei uns selber nicht beobachten. Und die bewussten
Gründe, die wir dafür angeben, stimmen oft nicht.“;
Haynes will seinen Versuch ergänzen: wenn sein Programm ihm anzeigt, dass der
Proband sich unbewusst für die rechte Hand entschieden hat, will er ihn
auffordern, die linke zu nehmen;
Benjamin Libet 1983: „Offenbar „beschließt“ das
Gehirn, die Handlung zu initiieren, bevor ein mitteilbares subjektives
Bewusstsein vorliegt, dass ein solcher Beschluss gefasst worden ist. … Ich sage
nur, dass der freie Wille nicht den freiwilligen Akt initiiert. Die Handlung
beginnt unbewusst – aber immerhin werden wir uns dessen bewusst, bevor wir sie
tatsächlich ausführen. Uns bleibt immer noch Zeit, um die geplante Bewegung vor
der tatsächlichen Ausführung zu stoppen.“
(DIE ZEIT 17.4.08 S.37)
·
Anderer
Versuch von Haynes und Kollegen:
legten gesunde Probanden in einen Kernspintomografen und wiesen diese an, sich
zu entscheiden, ob sie zwei Zahlen, die ihnen gleich gezeigt würden, lieber
addieren oder subtrahieren wollten. Ergebnis: In 71% der Fälle konnten die
Forscher die Absicht der Testpersonen erkennen, noch bevor diese die Zahlen
überhaupt zu sehen bekamen … die geheimen Absichten des Gehirns waren sichtbar
gemacht;
Langleben (Philadelphia):
Studenten sollten einmal die Wahrheit sagen, ein andermal sollten sie lügen;
im Kernspintomografen: beim Lügen waren sämtliche Areale, die bei wahren
Aussagen aktiviert wurden, ebenfalls aktiv, zusätzlich noch weitere Areale; die
Lügensignale als Zeichen eines Kampfes gedeutet, der im Kopf der Probanden
stattfindet; das Gehirn kann sich nur für die Lüge entscheiden, wenn es die
Wahrheit aktiv unterdrückt
(Spiegel 14-2008 S.132ff.)
·
Nervenzellen,
die Handlungen einleiten, aber auch auf die Handlungen und Absichten eines
anderen Individuums reagieren, heißen Spiegelneuronen; 2007 Studie präsentiert:
es gibt sie auch beim Menschen; 34 einzelne Spiegelneuronen in den Gehirnen
mehrerer Epilepsie-Patienten mit Elektroden dingfest gemacht; einige reagierten
mit Steigerung der Nervenaktivität, andere schraubten sie herunter; eine dritte
Gruppe reagierte komplex: beim Handeln wurden Zellen erregt, beim Beobachten
gehemmt
(bdw 1-2008 S.10)
·
Erbgut in Auflösung
Das Genom galt als unveränderlicher Bauplan des Mensche,
der zu Beginn des Lebens festgelegt wird. … In Wirklichkeit sind unsere
Erbanlagen in ständigem Wandel begriffen;
das Erbgut eines jeden ist in beständigem Umbau begriffen. Die Folge: Jeder
Organismus, jeder Mensch, selbst jede Körperzelle ist ein genetisches Universum
für sich;
das Genom ist kein stabiler Text;
die jüngsten Erkenntnisse zeigen mehr denn je, dass der Mensch ein Produkt
genetischer Prozesse ist. Aber auch, dass diese Prozesse mit vielen
Freiheitsgraden ausgestattet sind. Sie bilden ein offenes System, in dem
keineswegs alles vorbestimmt ist;
genaue Analysen zeigen nun: keine Zelle gleicht der nächsten;
Umweltbedingungen können sich im Erbgut niederschlagen, und auch eineiige
Zwillinge sind nicht, wie bisher angenommen, identische Kopien voneinander;
Unzutreffend ist auch die bisherige Überzeugung, jedes Gen existiere in der
Regel nur zweimal im Erbgut (einmal im väterlich, einmal im mütterlich ererbten
Satz der Chromosomen). In Wahrheit unterliegen zahlreiche Erbinformationen
einem Vervielfältigungsprozess und existieren in bis zu 16 Kopien in einem
Zellkern. Bei mindestens 1500 menschlichen Genen wurden bisher solche Kopievarianten (CNVs = copy number variants) entdeckt; jeder
Mensch weist sein eigenes CNV-Profil auf; CNV-Muster unterscheidet sich selbst
in den Körperzellen eines bestimmten Menschen von dem anderer Zellen;
vervielfältigen sich so etwa Gene für die Produktion von Signalstoffen oder für
deren Empfängermoleküle, verändern sich die Kommunikationssysteme des
Organismus; CNVs beeinflussen die Genaktivität;
das Wechselspiel im Menschengenom vermag nicht nur die individuellen
Eigenheiten des Einzelnen zu erklären, es produziert auch das genetische
Sortiment, aus dem die Evolution den Menschen weiter formt. Das macht einen
weiteren verstörenden Befund verständlich: Die Spezies homo sapiens unterliegt
offenbar einer Turboevolution. Hunderte Bereiche im Erbgut haben sich weit
schneller gewandelt als bei anderen Primaten. … dass die Zivilisation seit
Beginn der Jungsteinzeit die menschliche Evolution um das 100-fache
beschleunigt haben muss;
noch bevor die Frage beantwortet werden konnte, was in unserer DNA uns menschlich
mache (im Unterschied etwa zur DNA von Schimpansen), stand die nächste Frage im
Raum: Was in meiner DNA macht mich zu mir?; alles deutet auf eine bestürzende
Antwort hin: Ich bin viele;
zumindest physisch erscheint der Mensch nicht länger als Individuum, sondern
als Verband egoistischer Zellkolonien. Bei bis zu 10 % aller Erbanlagen – und
vielleicht weit mehr – ist entweder nur die mütterliche oder nur die väterliche
Variante aktiv („autosomale monoallelische
Expression“); davon sind besonders häufig Gene betroffen, die im Verlauf der
Menschwerdung einer beschleunigten Evolution unterlagen, und solche mit
wichtiger Funktion im zentralen Nervensystem;
selbst die biologische Identität des Individuums steht wohl zur Disposition;
„Ich mag die Idee, dass wir Mosaiken sind“;
Auch soziale und materielle Außenfaktoren können
einen Menschen auf dem Umweg über die Biologie prägen – indem sie seine
Genfunktionen verändern. Durch sogenannte epigenetische Prozesse können
offenbar Stress oder Folter, Ernährungsmangel oder Liebesentzug bis in den
Zellkern hinein wirken;
auch die Biowissenschaftler rätseln nun über the dark matter of the genome, die dunkle Materie
des Erbguts. Finden könnten sie das dunkle Geheimnis in jenem Teil des Erbguts,
den sie bisher als Müll abgetan haben, als „Junk-DNA“. Relevant waren für sie
nur jene wenigen Prozent des Genoms, die als Gene herkömmlicher Definition die
nötigen Informationen für den Aufbau der Eiweiße in den Zellen enthalten. Der
Rest galt als evolutionärer Schrott; inzwischen hat sich herausgestellt, dass
diese vermeintliche Müllhalde des Genoms wichtige biologische Funktionen
erfüllt. In ihr verbirgt sich offenbar der gesamte hochkomplexe
Steuerungsapparat, der die Aktivität der Gene reguliert und koordiniert;
vor allem sogenannte microRNAs, eine bis vor kurzem
unbekannte Klasse von Erbinformationen, regeln eine Vielzahl von Entwicklungs-
und Krankheitsprozessen
(DIE ZEIT 12.6.08 S.33f.)
·
Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen
Bundestag hat einen Bericht zum Stand der Neurologie
erstellt hat (16/7821), in dem es um die Bewertung der Thesen zur
„Determination geistiger Vorgänge durch neuronales Geschehen im Gehirn und zum
illusionären Charakter der Willensfreiheit“ geht;
Bis auf weiteres hat die Hirnforschung nicht genug Beweise, um die bisher
gültige Auffassung eines „freien Willens“ zu revidieren; nicht ausreichend
durch empirische Daten gestützt;
(Das Parlament 19.5.08 S.16)
·
Lernen bei Kindern; frühes Lernen besonders
bedeutsam; Lerngeschwindigkeit nimmt mit zunehmendem Alter ab; Hirnareale, die
nicht schon früh gefordert werden, degenerieren und sind später nur schwer
aktivierbar; beim Lernen organisiert die Gehirnrinde regelhfte
Erfahrungen landkartenförmig; ähnliche Erfahrungen = nahe beieinander liegende
Nervenzellen, Häufiges = durch mehr Nervenzellen repräsentiert; Lernen =
Ausbildung stabiler Verbindungen zwischen den Nervenzellen;
fürein sich entwickelndes Gehirn sind Bildschirme
sehr wenig hilfreich; führen zu einer Verarmung von wichtigen Erfahrungen;
Kinder brauchen beim Lernen alle Sinne, nicht nur Denken und Gedächtnis müssen
angesprochen werden, sondern auch Anfassen, Riechen, Schmecken;
Gefühle spielen beim Lernen eine extrem wichtige Rolle
(taz 27.6.08)
·
Aristoteles … aus der Sektion geschlachteter Tiere
schließt der Philosoph, das Gehirn sei der „blutloseste“ und „kälteste“ Körperteil und diene vor allem der Kühlung,
das Denken und die Seele dagegen verortet er im Herzen (wir nehmen uns noch
heute die Dinge „zu Herzen“);
Benjamin Libet (zum Ergebnis seines Versuchs – Gehirn
wird schon 0,3 Sekunden vor einem
bewussten Entschluss aktiv): „Die Handlung beginnt zwar unbewusst – aber uns
bleibt immer noch Zeit, sie vor der Ausführung zu stoppen.“
(ZEIT 3.4.08 S.38)
·
1 Billion Links verweisen im Internet
nach groben Schätzungen von einer Webseite auf eine andere – im menschlichen
Gehirn gibt es etwa tausendmal so viele Verbindungen
(ZEIT 17.1.08 S.34)
·
(6f.)
Die bisherigen Grenzen für das Verständnis der biologischen Grundlagen mentaler
Leistungen und Vorgänge und damit die wesentlichen Herausforderungen für die
Forschung liegen auf der sogenannten mittleren Ebene der Neuronenverbände.
Hier werden die durch die Sinnesorgane in das Gehirn geleiteten Reize in
Information und sinnhafte mentale Inhalte (Emotionen, Begriffe, Gedanken)
übersetzt. Die Zusammenarbeit der neuronalen Netze bildet die Ebene, auf der
sich letztlich Bewusstsein konstituiert. Trotz der Fortschritte bei der
Charakterisierung verschiedener Neuronenverbände oder
auch einer verbesserten Beschreibung ihres Zusammenwirkens (z.B. bei bestimmten
Wahrnehmungsvorgängen) ist man von einem tatsächlichen Verständnis, wie Neurone
Bewusstsein realisieren, noch weit entfernt. Neben dem Verständnis der
Kooperation von Neuronen in neuronalen Netzwerken bilden die Hirnplastizität,
d.h. die Veränderung von Hirnstrukturen über die Zeit (wie sie etwa für
Lernprozesse charakteristisch ist), und die interindividuelle Varianz des
Hirnaufbaus die zentralen Fragen der gegenwärtigen Hirnforschung. …
Neben dem wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt an sich sowie den bisherigen
und möglichen zukünftigen Interventionsmöglichkeiten in das menschliche Gehirn
haben vor allem weitreichende erkenntnistheoretische und philosophische Thesen
führender Neurowissenschaftler zu den Möglichkeiten einer
naturwissenschaftlichen Erklärung geistiger Prozesse in den vergangenen Jahren
für öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt. Diesen Thesen zufolge würden die
Erkenntnisse der modernen Neurowissenschaften zu einer Umwälzung des
menschlichen Selbstverständnisses, d.h. unserer Vorstellungen von Subjektivität
und personaler Identität, von Selbstbewusstsein, Willen und Handlungssteuerung
führen.
Der im vorliegenden Bericht unternommene Durchgang durch die Diskussion
zwischen Neurowissenschaften, Philosophie und Kulturwissenschaften zeigt
allerdings, dass weitreichende Thesen zur Determination geistiger Vorgänge
durch neuronales Geschehen im Gehirn und zum illusionären Charakter der
Willensfreiheit bisher empirisch nicht hinreichend gestützt sind. …
… ist vorläufig kein Anlass für eine grundsätzliche
Revision unserer Alltagsauffassung von Schuld und Verantwortung, freiem Willen
sowie des strafrechtlichen Schuldbegriffs gegeben.
(22ff.)
das menschliche Gehirn besteht aus etwa 1010 Neuronen oder Nervenzellen…
Die Nervenzellen bestehen aus dem Zellkörper und aus Zellfortsätzen, die
zusammen mit der Zellmembran der Erregungsbildung und Erregungsausbreitung
dienen. Das Axon mit seinen Verzweigungen leitet als der „efferente“ Fortsatz
einer Nervenzelle die Informationen zu anderen Zellen weiter, während die
restlichen „afferenten“ Fortsätze der Zelle, die Dendriten, zusammen mit der
Membran des Zellkörpers überwiegend der Informationsaufnahme (von anderen
Neuronen) dienen. Das Axon trägt an seinen Enden besonders ausgebildete
Strukturen, die Synapsen, über die die einzelnen Zellen miteinander in
Verbindung stehen. Synapsen enthalten Transmittersubstanzen, die bei einer
elektrischen Erregung freigesetzt werden, den interzellulären Spalt zwischen
dem Ende einer „sendenden“ Zelle und dem Dendriten der Empfängerzelle
überbrücken und die Informationen weiterleiten können. Unterschiedliche
Transmittersubstanzen haben entweder eine hemmende oder aktivierende, d.h.
diese zur Weiterleitung eines Erregungszustandes veranlassende, Wirkung auf die
Zielzelle. Bei der Erregungsbildung und Erregungsfortleitung handelt es sich um
einen kombinierten elektrischen und chemischen Übertragungsprozess. Die neuere
Hirnforschung konnte auch zeigen, dass die Gliazellen, die annähernd 90% der im
Gehirn vorhandenen Zellen ausmachen, nicht nur – wie früher angenommen – eine
Stützfunktion für die Neuronen haben. Vielmehr bilden Gliazellen und die
eigentlichen Nervenzellen eine enge funktionelle Einheit, ohne die die
neuronale Reizleitung und damit die Funktion des Nervensystems nicht aufrecht
erhalten werden könnte…
die einzelnen Nervenzellen können nicht nur von einigen wenigen Zellen erreicht
werden, sondern eine Zelle wird von etwa 104 bis 105
Synapsen verschiedener anderer Zellen erreicht, sodass sich die geschätzte
Gesamtzahl der synaptischen Verbindungen auf etwa 1014 Kontakte
beläuft …
Zu den als Neurotransmitter identifizierten Substanzen gehören z.B. Glutamat –
als wichtigster erregender Neurotransmitter im Organismus von Wirbeltieren –
sowie Gamma-Aminobuttersäure und Glycin als
wichtigste hemmende Botenstoffe. Andere bekannte Neurotransmitter sind
Noradrenalin oder Acetylcholin, Dopamin, Serotonin u.a. …
das Absterben dopaminproduzierender Neuronen in der
sogenannten Substantia nigra
ist z.B. verantwortlich für die Parkinsonsche
Erkrankung, während eine Überproduktion von Neurotransmittern in derselben
Hirnregion zum Krankheitsbild der Chorea Huntington führt …
Neben den Neurotransmittern wurden sogenannte Neuromodulatoren als wichtige Bestandteile
des Nervensystems identifiziert, die im Gegensatz zu den kurzfristig wirkenden
Neurotransmittern längere Zeit wirksam sind und die Ausschüttung bzw. Rezeption
von Neurotransmittern über einen längeren Zeitraum beeinflussen (modulieren). …
(83)
Das Myelin ist eine lipidreiche Hülle, welche die
Axone der meisten Neuronen umgibt und elektrisch isoliert.
(25)
Die Tatsache, dass ein einzelnes Gen verschiedene kognitive Leistungen
beeinflussen kann und das Individuum über 105 Gene, 1010
Nervenzellen und ca. 1014 Verknüpfungen zwischen Nervenzellen
verfügt, macht es allerdings unplausibel, dass die
Komplexität des Nervensystems und seiner Leistungen allein genetisch bestimmt
ist.
Auf der Ebene der neuronalen Netze findet die Koordination von verschiedenen
Hirnfunktionen und die Organisation des Gehirns in Neuronenverbänden
statt, was in Analogie zur Computerwissenschaft als neuronale Codierung
bezeichnet werden kann. Hier werden die durch die Sinnesorgane in das Gehirn
gelangenden Reize in Informationen, in mit Bedeutung geladene Daten, d.h. in
sinnhafte mentale Inhalte (Emotionen, Begriffe, Gedanken) übersetzt. In der
„Kommunikation“ der Neurone miteinander werden sinnhafte Gedächtnisinhalte
ausgewählt und prozessiert sowie Intentionen (Ziele, Wünsche, Präferenzen)
ausgebildet und Handlungspläne konstruiert. Die Ebene der neuronalen Netze
bildet somit – so steht zu vermuten – die eigentliche Schnittstelle zwischen
materiellen Vorgängen und symbolischer Bedeutung und ist damit die Ebene, auf
der materielle Reize mit Sinn besetzt werden, sich also letztlich
(phänomenales) Bewusstsein konstituiert. …
(26)
Durch neue Möglichkeiten der Forschung ließ sich die Hypothese bestätigen, dass
die Großhirnrinde modular aufgebaut ist und die aus Neuronenverbänden
aufgebauten Module als „Bausteine unserer Wahrnehmung und Gedankeninhalte
fungieren. …
Die Module sind durch eine unterschiedliche Anzahl von Afferenzen (Zuleitungen)
mit der Hirnperipherie verbunden. Im sensorischen System integrieren einzelne
Module Tausende von Afferenzen aus den Sinnesorganen.
Zwischen den einzelnen Modulen bestehen Verbindungen, sodass sie sich zu
größeren funktionalen Verbänden zusammenschließen und damit hierarchisch und
parallel zusammenwirken können. Die Module können sich dabei vielfach
überlappen, und einzelne Neurone sind nicht notwendigerweise nur einem Modul
zuzuordnen. Die jeweilige zelluläre (neuronale) Zusammensetzung einzelner
Module kann sich langfristig ändern. …
(28)
dass Synchronisationsprozesse im Gehirn konstituierend für einen Großteil
seiner Funktionen sind …
(29)
konnte (durch bildgebende Verfahren) gezeigt werden, wie in der Regel mehrere
(topographisch und entwicklungsgeschichtlich) in verschiedenen Hirnanteilen
lokalisierte Hirnareale gleichzeitig an bestimmten Hirnleistungen beteiligt
sind.
(31)
man geht davon aus, dass das limbische System im Sinne einer „affektiven
Tönung“ an den meisten „geistigen Phänomenen“ beteiligt ist
(32f.)
Vieles spricht dafür, eine Unterscheidung höherer Hirnfunktionen von vergleichsweise
niedrigeren aufzugeben und stattdessen von einem stufenlosen Kontinuum von
unbewusst-reflektorischen zu bewusst-reflektierenden Vorgängen auszugehen
Vorgänge im Gehirn bzw. mit diesen verkoppelte Verhaltensweisen können
(sozusagen zusätzlich zu ihrem schieren Vorhandensein oder Ablaufen) als
bewusste Vorgänge subjektiv erlebt werden. Es wird deshalb davon ausgegangen,
dass Bewusstsein kein separater Hirnvorgang ist, sondern eine Qualität, die
verschiedenen kognitiven Vorgängen „anheften“ kann (aber nicht notwendigerweise
muss) …
Der Ausfall bestimmter Hirnrindenareale führt dazu, dass eine bewusste
Wahrnehmung von Sinnesreizen nicht mehr erfolgt, obwohl Reflexe erhalten
bleiben …
Als „Tor zum Bewusstsein“ fungiert der Thalamus, durch den, abgesehen vom
Geruchssinn, alle sensorischen Informationen (Wahrnehmungen) Eingang in die
Hirnrindenareale finden. …
Bewusstsein lässt sich zum einen als Bewusstsein von einem kognitiven Vorgang
(Wahrnehmung, Handlung, Denken) auffassen. Daneben ist Bewusstsein aber immer
auch mit der Selbsterfahrung eines wahrnehmenden, handelnden „Ichs“ verbunden.
Dieses „Ich“ – oder die Selbstrepräsentation des Wahrnehmenden – kann keiner
spezifischen Hirnregion zugeordnet werden …
Ich-Bewusstsein schlägt sich erstens in der Selbsterfahrung als Verursacher von
Handlungen nieder. Zweitens ist die Zentrierung der Wahrnehmung und Aktivitäten
um den eigenen Körper ein zentrales Element von Ich-Bewusstsein. Drittens
gründet das Ich-Bewusstsein in der über einen langen Zeitraum erfahrenen und
autobiographisch ausgebildeten Einheit und Konstanz von Wahrnehmungen,
Überzeugungen und Handlungen.
(34ff.)
bildgebende Verfahren, die es ermöglichen –wie es häufig übertrieben formuliert
wird – „dem Gehirn beim Denken zuzuschauen“ …
“neuroimaging“ …
EEG: relativ geringe räumliche Auflösung, exakt im Zeitverlauf, keine
Einwirkung auf das Gehirn von außen …
MEG: (Magnetenzephalogramm) erlaubt Aussagen über die Tiefe, in der die
gemessene Aktivität stattfindet …
PET: räumliche Auflösung gering (einige Millimeter), zeitliche Auflösung ca. 1
Minute …
MRT: Resonanz von Wasserstoffatomen (in starkem Magnetfeld: 50.000 fach Erdmagnetfeld) …
fMRT: Reaktion des Hämoglobins (nicht der
Wasserstoffmoleküle) auf das Magnetfeld; Unterschiede zwischen sauerstoffbeladenem
und sauerstoffarmem Hämoglobin; räumliche Auflösung 1 Millimeter, zeitlich: 1
Sekunde …
oft wird lediglich angezeigt, dass eine Hirnregion parallel zu einer bestimmten
mentalen Aktivität aktiv war …
(45)
Neuronenpopulationen …
(46)
Insgesamt erscheint die Hirnaktivität als „eine Art schwankendes oder
oszillierendes Gleichgewicht aus den aktuell aktivierten Neuronenverbänden
und den potenziell aktivierbaren“
(47)
langfristige Plastizität von Hirnstrukturen, die sich durch Lernprozesse
verändern (Strukturen und Funktionen); die Außenwelt bildet so das Gehirn
lebenslang mit …
Es gibt keine Einzelzustände des Gehirns, sondern einen ununterbrochenen Fluss
von Hirnaktivität, in dessen Verlauf sich das Hirn selbst umbildet …
(50)
2004 … als sich eine Gruppe deutscher Neurowissenschaftler (darunter Gerhard
Roth und Wolf Singer) in einem „Manifest“ direkt und mit appellativem
Gestus an die Öffentlichkeit wandte …
Trotz einiger eher zurückhaltender Einschätzungen
hinsichtlich des Standes der neurowissenschaftlichen Erklärung mentaler
Phänomene ist auch hier die zentrale Botschaft, dass lebensweltliche
Vorstellungen von freiem Willen, vom Ich als steuerndem Zentrum geistiger
Prozesse und intentionalen Handelns letztlich nichts weiter als Epiphänomene
oder illusionäre Begleiterscheinungen physiologischer, naturwissenschaftlich
erklärbarer Prozesse seien und deswegen einer grundlegenden Revision unterzogen
werden müssten. Die Autoren räumen zwar ein, dass die Forschung heute noch weit
davon entfernt ist, die Frage nach der Entstehung von Bewusstsein oder nach dem
Status unserer Vorstellungen von freiem Willen letztgültig beantworten zu
können. Langfristig werde die Forschung aber zu einer vollständigen
biologischen Erklärung des Geistes führen, d.h. alle geistigen Prozesse wären
(dann) auf materielle Vorgänge im Gehirn rückführbar.
Solche Thesen werden bei Weitem nicht von allen Neurowissenschaftlern
mitgetragen. …
(50f.)
Wolf Singer kann als entschiedener Vertreter eines neurobiologischen
Determinismus angesehen werden. Aus seiner Sicht ist die Unterscheidung
zwischen der psychischen Sphäre der Gefühle und Wertungen, die nur in der
Ersten-Person-Perspektive wahrgenommen werden kann, und den Erscheinungen der
dinglichen Welt, die allein der beobachtenden, objektivierenden
Dritten-Person-Perspektive naturwissenschaftlicher Untersuchung zugänglich ist,
unhaltbar. Aus der Perspektive der Hirnforschung sei davon auszugehen, dass
auch menschliches Verhalten wie jeder Vorgang in der Natur determiniert, d.h.
kausal bedingt ist. Durch die in einer Situation gegebene Reizkonstellation und
den bestehenden Gehirnzustand ist das jeweilige Verhalten vollkommen bestimmt.
Der jeweilige Gehirnzustand wiederum ist durch die Lerngeschichte des
Organismus und die Evolutionsgeschichte des Nervensystems determiniert. …
Damit ist die Erfahrung, frei zu sein, d.h. sein Handeln durch willentliche
Entscheidungen zu steuern, eine Illusion. Es gilt, dass „der jeweils nächste
Zustand (des Gehirns) die notwendige Folge des unmittelbar vorausgegangenen
Zustandes ist“: Wegen der Komplexität und Dynamik der Gehirnstruktur ist der Zusatnd aber im Einzelfall nicht zu prognostizieren. Auch
Kreativität ist ein Effekt der Dynamik des komplexen neuronalen Systems, das
hinsichtlich der Zukunft offen ist und immer neue, bisher nicht eingenommene
Zustände annehmen kann. Mentale Prozesse wie Überlegen oder das Abwägen von
Gründen sind sozusagen illusionäre Erscheinungsformen der neuronalen Dynamik.
„Es muss also davon ausgegangen werden, dass jemand tat, was er tat, weil just
in diesem Augenblick sein Gehirn zu keiner anderen Entscheidung kommen konnte.“
…Damit ist die Zuweisung von Verantwortung für Handlungen oder Schuld und
Fehlverhalten im eigentlichen Sinne unberechtigt. Strafe wird damit laut Singer
aber nicht obsolet. Strafen und Belohnung dienen der Prägung der
Hirnarchitektur, um sicherzustellen, dass spätere Entscheidungen mit sozialen
Normen konform sind. …
(52ff.)
Gerhard Roth …
erkenntnistheoretische Position des „Radikalen Konstruktivismus …
dass die Wirklichkeit eine Konstruktion des Gehirns ist …
Das „Ich“ ist wie die phänomenale Welt, in der es agiert, ein Konstrukt des
Gehirns (und damit ohne kausale Wirksamkeit, d.h. ohne freien Willen). ...
Die Annahme einer weitgehend unbewussten Steuerung von Handlungen (und mithin
der Unfreiheit des Willens) stütz sich auf die Beteiligung des für die
Konstituierung von Emotionen zuständigen „limbischen Systems“ an der
Handlungsentstehung. Wird in den Arealen des präfrontalen und parietalen Kortex
eine Handlung geplant, und werden die entsprechenden Signale an die für die
Steuerung der Motorik zuständigen Areale des Kortex geleitet, dann führt das
noch nicht zur Handlung. Um diese zu ermöglichen, werden entsprechende Impulse
zu den Basalganglien gesendet, die durch die Ausschüttung von Dopamin die
Bewegung freigeben. Ob die geplante Bewegung freigeschaltet wird, hängt
wiederum von einer Bewertung durch die emotionalen Strukturen des limbischen
Systems ab. Hier erfolgt aufgrund bereits gespeicherter und emotional
kategorisierter Gedächtnisinhalte eine Einschätzung der Folgen der geplanten
Handlung nach dem Prinzip von gut und schlecht. Da das limbische System
vollkommen unbewusst arbeitet und dem bewussten Zugriff auch nicht zugänglich
ist, kann der vom limbischen System abhängige Wille nicht frei sein. Damit wird
zwar nicht bestritten, dass der Mensch einen Willen hat, dessen Freiheit sei
jedoch eine Illusion, und das Gefühl des freien Entscheidens beruhe auf einer
Täuschung. …
(57f.)
Gegen … reduktionistische Modelle generell richtet sich der Hinweis auf den
subjektiven Erlebnisaspekt mentaler Zustände. … Bewusste mentale Zustände sind
durch das „Erleben“ bestimmt, „wie es ist, etwas Rotes, Schmerz, Lust etc.
wahrzunehmen oder einen Gedanken zu denken.“ Die Erlebnisgehalte, die
sogenannten „Qualia“, machen den mentalen Zustand
aus. Diese sind in der subjektiven Perspektive erfahrbar, aber nicht
naturwissenschaftlich (in der Perspektive des Beobachters) beschreib- oder
erklärbar. … Es bleibt eine „Erklärungslücke“. Die Qualia
sind als durch physikalische Prozesse realisiert vorzustellen, sie gehen aber
nicht in diesen auf. Die Reichweite neurowissenschaftlicher
Erklärungsmöglichkeiten ist demnach prinzipiell begrenzt: Man erhält selbst
über die vollständige Beschreibung des mit dem mentalen Zustand korrelierten
Nervenzustands keine Erkenntnis über den Erlebniszustand, sei es eines anderen
Menschen oder eines Tieres. …
Ein Gedanke ist ein Gebilde mit semantischen Eigenschaften. Das heißt, ein
Gedanke kann wahr oder falsch sei, richtig oder sinnlos. Hirnzustände können
das nicht. Hieran schließt das Argument an, dass Bedeutung ein kulturelles
Konstrukt ist, ein Ergebnis von Kommunikation und Übereinkunft zwischen
Subjekten, das kulturell tradiert wird, sodass mentale Zustände nicht als rein
innere oder individuelle Zustände aufgefasst werden können …
(58f.)
Supervenienztheorie …
Die supervenienten mentalen Prozesse sind … abhängig
von der physikalischen Basis. Jede Veränderung des Mentalen ist daher von einer
Veränderung neuronaler Prozesse getragen. Umgekehrt ist es aber vorstellbar,
dass unterschiedliche neuronale Zustände mit einem (gleichen) mentalen Zustand
einhergehen. (JKrause:
Wenn ich mich wiederholt zu unterschiedliche Zeiten in exakt dem gleichen
Denkprozess oder der gleichen Stimmung befinde, ist
der Zustand meines Gehirns sicher nicht 1:1 der gleiche).
Damit wird die als zu einfach empfundene Vorstellung der Identität von Geist
und Gehirn aufgegeben. Das Mentale wird als eigener Phänomenbereich
gedeutet. Von einem physikalischen Zustand kann nicht unmittelbar auf einen
mentalen Zustand geschlossen werden …
Mentale Zustände sind kausal wirksam, weil sie mit physikalischen Zuständen
identisch sind …
(60ff.)
Allgemein berufen sich Neurowissenschaftler in ihrer Kritik an der
Willensfreiheit auf die … Probleme, die Vorstellung mentaler Verursachung mit
dem naturwissenschaftlichen Bild einer kausal geschlossenen materiellen Welt in
Einklang zu bringen. Zudem ist neurowissenschaftlich kein Ich-Zentrum nachweisbar,
das als Instanz und Träger der Willens- und Entscheidungsfreiheit fungieren
könnte, und schließlich steht die Tatsache, dass der größte Teil der
Hirnprozesse unbewusst verläuft, der Annahme einer bewussten Steuerung
entgegen.
Das theoretische Konzept einer vorbewussten (limbischen) Handlungssteuerung
stützt sich auf Experimente, die angeblich zeigen, dass Entscheidungen auf
neuronaler Ebene unbewusst bereits „getroffen“ sind, bevor sie bewusst als
Wille erfahren werden …
(Experimente von Libet 1980er Jahre)
Der empfundene Zeitpunkt der bewussten Entscheidung lag ca. 350 Millisekunden
nach der Einleitung der Bewegung (Bereitschaftspotential im Gehirn ist um so
viel früher messbar) …
An der Interpretation dieser Ergebnisse als Beweis für die Nichtexistenz eines
freien Willens hat es erheblich Kritik gegeben. Zunächst hat Libet selbst einer solchen Interpretation nur mit
Einschränkungen zugestimmt, indem er auf die durch sein Experiment ebenfalls
plausibel gemachte Möglichkeit der willentlichen Unterbindung der Handlung (im
Sinne einer Veto-Funktion) nach Bewusstwerden der Intention hingewiesen hat.
Dieser (Veto-)Wille wird von Libet als frei
aufgefasst. …
(62)
deterministische These … dass der gesamte Zustand der Welt zu jedem Zeitpunkt
festgelegt ist und sich jeder Zustand aus dem vorherigen ergibt. …
Daneben sind Ansätze zu nennen, die die sogenannte „So What?“-Position
vertreten („Na und? Was ändert sich denn
dadurch?“ JKrause) und bestreiten, dass selbst
dann, wenn der Determinismus wahr wäre, dies irgendeine Konsequenz für unser
lebensweltliches Verständnis von Handlung und Verantwortung hätte …
(63f.)
Semikompatibilistische Ansätze gestehen den
neurobiologischen Determinismus zu und machen die Autorschaft des Handelnden an
der Authentizität der Entscheidung fest. Als authentisch kann eine Handlung
dann angesehen werden, wenn die Handlungsgründe mit dem lebensgeschichtlichen
Hintergrund der Person und ihren Präferenzen übereinstimmen oder wenn eine
Person sich selbst die Handlung zuschreiben kann. …
Die Argumentation scheint auch kompatibel mit Immanuel Kants Freiheitsbegriff
der Bindung an selbstgesetzte oder anerkannte Gesetze. …
“schwacher Begriff von Willensfreiheit“ … Auch Gerhard Roth verweist darauf,
dass unsere Entscheidungen in dem Maße autonom sind, wie sie auf unseren
Lebenserfahrungen oder unserem Charakter beruhen. Er sieht aber Charakter und
Lebenserfahrung als neuronal „manifestiert“ und damit die Handlung als neuronal
determiniert an.
(65)
Freiheitsbegriff bei Kant …
Dieser stimmt der Annahme, dass jedes Ereignis verursacht ist, zu, leitet
daraus aber nicht die Unmöglichkeit von Freiheit ab. Dem Menschen steht die
Möglichkeit offen, sein Handeln an (technischen, pragmatischen und moralischen)
Gesetzen auszurichten. Von Willensfreiheit spricht Kant insofern, als der
Handelnde sich diese Gesetze selbst gibt bzw. sich entschließt, diese zur
Maxime seines Handelns zu machen, z.B. nicht zu lügen, auch wenn er sich selbst
damit schaden könnte. Entscheidend für das Vorliegen von Freiheit ist dabei nicht,
ob der Handelnde diesem moralischen Gesetz tatsächlich folgt (oder nicht doch
um eines Vorteils willen dem gesetz zuwider handelt).
Entscheidend ist das Wissen darum, dass es ihm prinzipiell möglich ist, dem moralischen Gesetz entsprechend zu handeln. …
(66ff.)
Habermas …
stellt dem naturwissenschaftlichen Modell der Kausalität als „Raum der
Ursachen“ den „Raum der Gründe“ gegenüber: Menschen handeln auf der Grundlage
von Überlegungen, indem sie Gründe erwägen und sich selbst an das Ergebnis
ihrer Überlegungen binden. …
Diese Freiheit ist keine unbedingte, sondern bedingt (oder bestimmt) durch den
dem Handelnden zur Verfügung stehenden Möglichkeitsraum, der durch
„Fähigkeiten, Charakter und Umstände begrenzt“ ist. Diese Bedingungen seines
Handelns reflektiert der Handelnde als Gründe und motiviert so seine
Entscheidung. In diesem Sinne ist Bedingtheit des Handelns (durch als Gründe
erwogene Aspekte der Handlungssituation) geradezu eine Voraussetzung freien
Handelns.
Gründe binden den Handelnden durch Überzeugung. …
Habermas sieht hier zwei miteinander unvereinbare Perspektiven auf die Realität
am Werk: Die Perspektive des Teilnehmers, in der man sich über die Gründe und
Motive des Handelns verständigen kann und damit nachvollzieht, warum der
Handelnde so und nicht anders entschieden hat, und die naturwissenschaftliche
Beobachterperspektive, die Vorgänge in der Welt nach dem Prinzip von Ursache
und Wirkung erklärt, dabei aber „Gründe“ nicht in den Blick nehmen kann, weil
diese sozusagen in der naturwissenschaftlichen Sprache nicht abbildbar sind.
Habermas geht von einem methodischen
Dualismus dieser beiden nicht aufeinander reduzierbaren Perspektiven aus,
nicht von einem Dualismus zweier Substanzen Geist und Materie ...
Zwischen Bedingung und Folge tritt gewissermaßen der Autor der Handlung, der
seine Handlung durch Gründe motiviert und der auch wider besseres Wissen
handeln kann: „Er muss davon überzeugt sein, das Richtige zu tun, und er muss
es auch selber tun“. …
… neurowissenschaftliche Konzepte des Mentalen. Laut Habermas besteht deren
Fehler unabhängig von der jeweiligen spezifischen Konzeption schon darin, den
Geist immer nur als individuelles Ereignis aufzufassen. Jedes mentale Ereignis
… ist aber nur im Kontext soziokulturell ausgebildeter Symbolsysteme und
semantischer Bedeutungen zu verstehen. Es ist dieser
den Individuen vorgegebene und in historischen Lernprozessen ausgebildete
„objektive Geist“, d.h. symbolisch gespeichertes objektives Wissen, in dessen
Kontext überhaupt Sinn und Bedeutung zustande kommen. Die Auseinandersetzung
des Menschen mit der Physischen Umgebung findet im Medium der nicht
individuell, sondern im kognitiven Umgang miteinander ausgebildeten
Wahrnehmungsweisen, Deutungsmuster und Werte statt.
(JKrause:
manche Entscheidungen werden im Gespräch mit einem anderen, von draußen
hinzutretenden, ICH vorgedacht, abgewogen – wie ist es hier mit den lückenlosen
Kausalketten?)
… Vorstellung von einer „kulturellen Programmierung individueller Gehirne“
entscheidend …
(70)
(im strengen deterministischen
Verständnis) müsste der Begriff des Entscheidens gleichgesetzt werden mit
einer chemisch-physikalischen Reaktion – so als habe sich Eisen beim Vorliegen
bestimmter Bedingungen (Vorhandensein von Sauerstoff und Feuchtigkeit)
„entschlossen“ zu rosten
(180)
Fazit und Ausblick …
bleiben Thesen etwa zum illusionären Charakter lebensweltlicher Vorstellungen
von Willensfreiheit … bisher empirisch und theoretisch unzureichend fundiert.
Darüber, ob und wie sich mentale Prozesse kausal neurowissenschaftlich erklären
lassen und sich Kultur sozusagen auf Natur zurückführen lässt, kann bis heute
nur spekuliert werden. Wissenschaftlich unbestritten ist, dass der Geist im
Gehirn durch neuronale Prozesse realisiert wird und dass es keine davon
unterschiedene geistige Substanz gibt.
(Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag; Hennen, Grünwald, Revermann und Sauter: „Hirnforschung“, Endbericht zum
TA-Projekt, Arbeitsbericht Nr. 117, April 2007, A4 - 204 Seiten;
Bestelladresse: TAB, Neue Schönhauser Straße 10, 10178 Berlin, buero@tab.fzk.de)
·
Gehirn und Nerven sind im Alter von 39 Jahren am
reaktionsschnellsten; Schuld am Abbau ist der schrittweise Verlust der Ummantelung
der Nervenfasern, der so genannten Myelinscheiden. Diese Hülle dient als
Isolierung bei der Signalweiterleitung. Die Myelinschicht
wird bis zum Alter von 39 Jahren immer dichter und die Weiterleitung schneller
(Der Spiegel 45/2008 S.145)
·
US-Forscher; Probanden verschiedener Religionen
sollten im Kernspintomografen über religiöse Probleme sinnieren; erhöhte
Aktivität in (verschiedenen) Hirnarealen, die gemeinhin genutzt werden, um sich
in andere hineinzuversetzen; es gibt keinen bestimmten Platz für Gott im
Gehirn; das Gehirn sei zwanghaft darin, für alles eine Erklärung zu suchen
(Der Spiegel 12-2009 S.120)
·
Ich glaube nicht an die Freiheit des
Willens. Schopenhauers Wort „Der Mensch kann wohl tun, was er will, aber er
kann nicht wollen, was er will“, begleitet mich in allen Lebenslagen und
versöhnt mich mit den Handlungen der Menschen, auch wenn sie mir recht
schmerzlich sind. Diese Erkenntnis von der Unfreiheit des Willens schützt mich
davor, mich selbst und die Mitmenschen als handelnde und urteilende Individuen
allzu ernst zu nehmen und den guten Humor zu verlieren.
(Albert Einstein, in „Mein Glaubensbekenntnis“)
Der freie Wille: Vor der Vernunft ist er nicht zu
erweisen, aber doch muss man ihn fordern, sonst hört alle Selbstverantwortung
auf.
(Wilhelm Busch, in „Spruchweisheiten und Gedichte“)
Wir klagen die Natur nicht als unmoralisch an, wenn sie
uns ein Donnerwetter schickt und uns nass macht: Warum nennen wir einen
Menschen unmoralisch? Weil wir hier einen willkürlich waltenden, freien Willen,
dort Notwendigkeit annehmen. Aber diese Unterscheidung ist ein Irrtum.
(Friedrich Nietzsche, in „Menschliches, Allzumenschliches“)
Wäre der Wille eines jeden Menschen frei, das heißt,
könnte jeder Mensch so handeln, wie er gerade will, dann würde die Geschichte
aus einer Reihe von zusammenhanglosen Zufälligkeiten bestehen.
(Leo Tolstoi, in „Krieg und Frieden)
Hören wir auf, von Freiheit zu reden. Reden wir von Motiven.
(Klaus Jürgen Grün)
(Freie Presse Chemnitz, 2.1.2009 S.B2)
·
Vater unser im Himmel
Geheiligt
werde dein Name.
Dein
Reich komme.
Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf
Erden.
Unser
tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib
uns unsere Schuld,
wie
auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe
uns nicht in Versuchung,
sondern
erlöse uns von dem Bösen.
Denn
dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit
in
Ewigkeit.
Amen.
·
Um die Grenzen bildgebender Verfahren
in der Medizin aufzuzeigen, hat Craig Bennet von der University of California einen toten Lachs in einen Tomografen gesteckt. um mittels fMRT
dessen Hirnaktivitäten zu messen. Streng nach den Regeln des Verfahrens zeigte
er dem toten Fisch in der Röhre Fotos unterschiedlicher Menschen und befragte
ihn zu seinen Gefühlen. Die Scans des Fischhirns hätte man tatsächlich als emotionale
Reaktion des – toten – Fischs interpretieren können. Der Autor warnt vor falsch
positiven Ergebnissen der Hirnscans.
(Die Zeit, 24.9.09 S.46)
·
das menschliche Gehirn besteht aus 100 Milliarden
Nervenzellen mit 100 Billionen Synapsen;
Nervenzellen in der Großhirnrinde besonders intensiv verdrahtet: jede Zelle
verfügt dort über etwa 20.000 Synapsen;
Nervenzellen verbrauchen extrem viel Energie; Zentralnervensystem des Menschen
macht nur 2% seiner Körpermasse aus, verbraucht aber
18% des Sauerstoffs im Blut;
die Behauptung, wir würden nur 10% unseres Gehirns nutzen, ist Unsinn. Es gibt
nicht den geringsten Beleg, dass an diesem Gerücht etwas wahr sein könnte
(bild der wissenschaft
10-2009 S.22ff)
·
Gliazellen
sind mindestens zehnmal so häufig wie Nervenzellen, galten lange als unwichtig
(glia = Leim, Nervenkitt, der die Neuronen
zusammenhält und sie mit Nährstoffen versorgt);
inzwischen gibt es kaum noch Zweifel, dass die Glia-Zellen
am Informationsaustausch nicht nur beteiligt sind, sondern sogar die Rolle des
Dirigenten im Nervenzell-Orchester übernehmen, auch bei so wichtigen
Hirnfunktionen wie Lernen und Erinnern. Die neuronenfixierten
Modellvorstellungen zur Funktionsweise des Gehirns lassen sich nicht mehr
aufrechterhalten;
drei Arten von Gliazellen:
a) Mikrogliazellen, mit Immunzellen verwandt, greifen als „aktive Wächter“ ein,
um kleine Blutungen zu stillen, abgestorbenes Zellmaterial abzutransportieren;
b) Oligodendrozyten, bilden das Myelin,
das wie eine Kabelhülle die Nervenfasern isoliert;
Astrozyten (Name vom sternförmigen Äußeren
abgeleitet) sind mit einem Anteil von 80% die häufigste Gliazellklasse;
sie steuern den Informationsaustausch am synaptischen Spalt zwischen zwei
Neuronen, schütten Botenstoffe aus (D-Serin und Glutamat); eine einzige dieser
Zellen kann bis zu 140.000 Synapsen beeinflussen; manche A. können sich sogar
zu Nervenzellen umwandeln
(bild der wissenschaft
9-2008 S.20ff)
·
das menschliche Gehirn besteht aus 100 Milliarden
Nervenzellen mit 100 Billionen Synapsen;
in der Großhirnrinde verfügt jede Zelle sogar über 20.000 Synapsen, durch die
sie mit anderen Neuronen verknüpft ist;
obwohl das Gehirn bei einem erwachsenen Menschen nur 2% der Körpermasse
ausmacht, verbraucht es 18% des im Blut transportierten Sauerstoffs;
Die Behauptung, wir nützten nur 10% unseres Gehirns, ist Unsinn, es gibt nicht
den geringsten Beleg dafür
(bild der wissenschaft
10/2009 S.22)
·
Evangelisches Gesangbuch Lied Nr. 341, Vers 3 (Text:
Martin Luther 1523):
“Mein guten Werk, die galten nicht,
es war mit ihn´ verdorben;
der frei Will hasste Gotts Gericht,
er war zum Gutn erstorben;
die Angst mich zu verzweifeln trieb,
dass nichts denn Sterben bei mir blieb,
zur Höllen musst ich sinken.“
·
S.12 zu Gen.1,27 (Gott
schuf den Menschen):
ein chassidischer Weiser lehrt, dass wir nach der Erschaffung des Menschen
nicht die Worte „und Gott sah, dass es gut war“, wie bei der Schöpfung der
anderen Lebewesen finden.
Dem Menschen ist die Willensfreiheit verliehen, er ist der Selbstentfaltung
fähig, daher musste Gott erst sehen, wie sich der Mensch entwickeln würde, ehe
er gut genannt werden konnte;
S.21f. zu Gen2,17 (Du sollst du nicht essen vom Baum der Erkenntnis …):
das heiligste Privileg des Menschen ist die Willensfreiheit, die Fähigkeit, vor
seinem Schöpfer gehorsam oder ungehorsam zu sein;
(Pentateuch und Haftaroth, Hebräischer Text und
deutsche Übersetzung mit Kommentar von Dr. Joseph Herman Hertz; 1. Band:
Genesis; Verlag Morascha Basel/Zürich 1995)
·
(103) Der freie Wille
Das Kapitel enthält einen Vers (Dtn.5,29), der im
Laufe der Zeit ein Beleg für die Lehre vom freien Willen des Menschen wurde.
(Gott sagt: „Wenn dieser Sinn nur bei ihnen beständig bliebe, mich zu fürchten
und alle meine Gebote jederzeit zu halten, damit es ihnen und ihren Nachkommen
beständig wohl ergehen möge.“). Mosche verkündigt einen Gott, der darauf hofft,
dass Israel ihn stets achten und seinen Geboten folgen würde. Dies setzt
offensichtlich voraus, dass Gott nicht weiß, ob Israel seinen Willen tun
wird oder nicht, denn Israel ist – wie die gesamte Menschheit – darin frei, zu
gehorchen oder nicht. … Gott kann Israel nicht zwingen, den richtigen Weg zu
gehen … Er mag in allen anderen Dingen allwissend sein, aber er kann nicht
bestimmen, welche Entscheidungen die Menschen treffen werden
(165) Dtn.11,26: Ich lege euch vor Segen oder Fluch (Bestätigung der
Wahlfreiheit)
(Die Tora in jüdischer Auslegung, herausgegeben von
W. Gunther Plaut, Band 5)
·
Christian
Keysers, Netherland Institute for
Neuroscience , Amsterdam:
“ICH ist der Teil, den ich über meine Sinne spüre und den ich kontrollieren
kann.“
Uwe Herwig, Chefarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich:
“Als ICH kann der Teil meines Selbst bezeichnet werden, der dem Bewusstsein
zugänglich ist. Das ICH denkt bewusst, drückt sich verbal aus und hilft mir bei
einer gezielten Darstellung nach außen.“ …
Sigmund Freud: Er verglich das ES mit einem Pferd und das Bewusstsein (ICH) mit
dessen Reiter, der die Kraft des Pferdes zügelt. Anders ausgedrückt: Das ES
liefert unbewusste Motivationen, welche das ICH kanalisiert.
Stefan Schimmel, FHS Münster:
“Heute nehmen Hirnforscher an, dass der Reiter sich lediglich die Intention des
Tieres zu eigen macht. Der Reiter glaubt, dass er bestimmt, wohin das Pferd
läuft. In Wirklichkeit gibt jedoch das Tier die Richtung vor.“ Dem Unbewussten
wird somit im heutigen Verständnis eine größere Rolle zugesprochen als bei
Freud.
(bild der wissenschaft
12-2010 S.72f.)
·
(25)
Ich bin weder total von meiner Erbmasse oder meinem Unbewussten vorprogrammiert
noch total von meiner Umwelt konditioniert. Ich bin, in Grenzen, frei. Allen
überzogenen Argumenten von Hirnphysiologen zum Trotz: Ich bin weder ein Tier
noch ein Roboter. In den Grenzen des Angeborenen und des Umweltbestimmten bin
ich frei im Sinne von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung. Zugegeben: ich
kann diese Wahl- und Entscheidungsfreiheit nicht theoretisch beweisen. Aber ich
kann sie jederzeit praktisch unmittelbar erfahren, wann immer ich will: Ich
kann jetzt schweigen – nein, ich will reden – oder soll ich doch lieber
schweigen? Ich könnte also auch anders. Ich mache es jetzt anders. Eine
Erfahrung nicht nur des Tuns, sondern auch des Lassens.
(Hans Küng: Was ich glaube, Piper, München, 2009)
·
(S.516) Alles fließt
Steve
Grand: „Denken Sie an ein Kindheitserlebnis. An etwas, woran Sie sich deutlich
erinnern können, das Sie sehen, spüren, vielleicht sogar riechen können, als
wären Sie wirklich dort. Schließlich waren Sie doch damals wirklich dabei,
oder? Wie sollten Sie sich sonst daran erinnern? Aber jetzt kommt´s: Sie waren
NICHT dabei. Kein einziges Atom, das jetzt zu Ihrem Körper gehört, war schon
dabei, als das Ereignis stattfand. … Die Materie fliegt von Ort zu Ort und
findet sich vorübergehend zusammen – das sind dann SIE. Was Sie also auch sind,
Sie sind nicht die Materie, aus der Sie bestehen. Wenn Ihnen das nicht die
Haare zu Berge stehen lässt, dann lesen Sie den Passus noch einmal, so lange,
bis die Haare zu Berge stehen, denn es ist wichtig.“
(im Laufe eines Jahres werden etwa 90% der Zellen
des menschlichen Körpers ausgetauscht; nur Nervenzellen existieren praktisch
lebenslang JK)
(Richard Dawkins: Der Gotteswahn, Ullstein
Taschenbuch, Berlin 2008)
·
HIRNSCANS
UNTER BESCHUSS
Von den bunten Bildern haben sich viele Forscher grundlegend neue Einsichten in
den menschlichen Geist versprochen. Doch jetzt macht sich Ernüchterung breit.;
Allerdings geht im Kopf, der Dunkelkammer des Geistes, nicht wirklich ein Licht
auf. Und die Hirnscans messen auch nicht die Hirnaktivität direkt, sondern
vielmehr die Durchblutung – genauer: das BOLD-Signal (blood
oxygen level dependent). Es beruht darauf, dass sauerstoffreiches
Hämoglobin etwas andere magnetische Eigenschaften hat als sauerstoffarmes. Da
aktive Hirnbereiche stärker durchblutet sind, fällt dort das BOLD-Signal
deutlicher aus.;
Trotzdem ist die Methode weit davon entfernt, ein präzises Abbild der
Aktivitäten des Gehirns zu geben – geschweige denn des Geistes. Denn sowohl die
räumliche als auch die zeitliche Auflösung ist auf ein paar Millimeter und
Sekunden begrenzt.;
Bei den fMRT-Messungen wird das Gehirn in mehr als
100 000 winzige Würfel von jeweils wenigen Millimetern Kantenlänge unterteilt.
Jedem dieser „Voxel“ (dreidimensionalen Pixel) kommt
ein Messwert zu. Ein typisches Voxel von 55
Kubikmillimeter Volumen enthält rund 5,5 Millionen Nervenzellen mit mehr als
100 Kilometern Nervenfasern, die über einige Milliarden Synapsen
(Kontaktstellen) miteinander verbunden sind.
Zwar hat sich die Genauigkeit in den letzten 20 Jahren von vier bis fünf
Millimeter Voxel-Kantenlänge auf inzwischen teils
unter einen Millimeter verbessert (bei den neuen Hochfeldscannern mit besonders
starken Magnetfeldern). Trotzdem ist, aus zellbiologischer Perspektive, die
Auflösung schlechter als das, was ein kurzsichtiger Mensch von den
Häuserfassaden erkennen kann, wenn er ohne Brille eine Sightseeing-Fahrt durch
die Grachten Amsterdams macht.;
Und die Scan-Methode hat noch mehr Restriktionen:
+ Der Blutfluss korreliert nicht mit den elektrischen Signalen in Nervenzellen,
sondern mit der Freisetzung von Botenstoffen, denn diese synaptische Aktivität
benötigt viel mehr Energie. Und die Botenstoffe erregen nicht immer die
„nachgeschalteten“ Zellen, sondern hemmen sie auch manchmal.
+ Es ist keine absolute Quantifizierung oder Eichung der BOLD-Signale möglich.
Letztlich wird nur der Unterschied zwischen einer bestimmten Tätigkeit einer
Person und einer Kontrollbedingung gemessen. Das macht den Vergleich
verschiedener Menschen schwierig.
+ Der störende Einfluss externer Faktoren ist ebenfalls schwer abzuschätzen –
von einer Tasse Kaffee vor dem Experiment bis hin zu dem hämmernden Lärm und
der klaustrophoben Enge in der Röhre des Scanners.;
Und es geht mal wieder ums Geld: „Die Kosten eines Scans einer einzigen Person
entsprechen oft denen einer kompletten verhaltenspsychologischen Studie – und
dabei sind Gerät und Personal noch nicht gerechnet. Daraus lässt sich leicht
abschätzen, wie viele Verhaltensstudien uns der Hang zur
neurowissenschaftlichen Instrumentierung Jahr für Jahr kostet“, ärgert sich
Hommel.
(bild der wissenschaft
5-2012 S.90ff)
·
(55)
Willensfreiheit. …
Der gewaltige Kampf zwischen Deterministen und Indeterministen,
zwischen den Gegnern und den Anhängern der Willensfreiheit, ist heute, nach
mehr als zwei Jahrtausenden, endgültig zugunsten der ersteren entschieden. Der
menschliche Wille ist ebensowenig frei als derjenige
der höheren Tiere, von welchem er sich nur dem Grade, nicht der Art nach
unterscheidet. Während noch im achtzehnten Jahrhundert das alte Dogma von der
Willensfreiheit wesentlich mit allgemeinen, philosophischen und kosmologischen
Gründen bestritten wurde, hat uns dagegen das neunzehnte Jahrhundert ganz
andere Waffen zu dessen definitiver Widerlegung geschenkt, die gewaltigen
Waffen, welche wir dem Arsenal der vergleichenden Physiologie und
Entwicklungsgeschichte verdanken. Wir wissen jetzt, daß
jeder Willensakt ebenso durch die Organisation des wollenden Individuums
bestimmt und ebenso von den jeweiligen Bedingungen der umgebenden Außenwelt
abhängig ist wie jede andere Seelentätigkeit. Der Charakter des Strebens ist
von vornherein durch die Vererbung von Eltern und Voreltern bedingt; der Entschluß zum jedesmaligen Handeln wird durch die Anpassung
an die momentanen Umstände gegeben, wobei das stärkste Motiv den Ausschlag
gibt, entsprechend den Gesetzen, welche die Statistik der Gemütsbewegungen
bestimmen.
(Ernst Haeckel: Die Welträthsel, Volksausgabe, Alfred
Kröner Verlag Stuttgart, 1899-1903)
·
»Das
Ich ist ein Sammelsurium«, doziert unser Chauffeur. »Es entsteht aus all den
Erfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens machen, wird also im wahrsten
Sinne des Wortes gebildet.« Während wir noch über
diese treffende Diagnose staunen, schiebt der Mann gelassen nach: »Und das Ich
drückt sich durch sein Interesse aus. Wissen Sie, ich erlebe in meinem Wagen ja
die unterschiedlichsten Typen – vom Professor bis zum Zuhälter. Aber eines
haben alle gemeinsam: Jeder hat mindestens ein Interesse.«;
Als Arzt am Universitätsklinikum Genf hat er immer wieder mit Patienten zu tun,
die infolge eines Hirnschadens plötzlich ein drastisch verändertes Körpergefühl
haben: Manche klagen etwa darüber, dass ihr linker Arm nicht mehr zu ihnen
gehöre und ihnen fremd sei. Andere fühlen sich gänzlich im falschen Körper
verortet und räumlich desorientiert. Und dann war da noch jene
Epilepsie-Patientin, bei der Blanke vor einigen Jahren mit feinen Elektroden
verschiedene Hirnareale stimulierte – und dadurch eine unerwartete Körpererfahrung
auslöste: Plötzlich hatte die Frau das Gefühl, ihren Körper zu verlassen. »Ich
fühle mich leicht und schwebe in etwa zwei Meter Höhe«, berichtete die
43-jährige Patientin. »Unten sehe ich meinen Körper auf dem Bett liegen.« Als Blanke die Elektrode deaktivierte, hörte das Phänomen
schlagartig auf; als er den Stromfluss wieder einschaltete, meinte die Frau
prompt wieder abzuheben. Ohne es zu wollen, hatte der Neurologe eine Out-of-Body-Erfahrung ausgelöst.
Jahrhundertelang galten solche »außerkörperlichen« Erlebnisse als Hinweis auf
die Existenz einer Seele. Zugleich schienen sie ein schlagender Beweis für den
sogenannten Dualismus zu sein, dem zufolge Körper und Geist getrennten Sphären
angehören. Am deutlichsten hat diese These im 17. Jahrhundert der Philosoph
René Descartes formuliert: Für ihn war die res extensa, die »ausgedehnte Körpersubstanz«, streng
verschieden von der res cogitans,
der »ausdehnungslosen denkenden Substanz« – eine Theorie, die ihn zu seinem
berühmten Diktum »cogito, ergo sum«
(Ich denke, also bin ich) führte.
steht in seinem Labor ein ganzes Arsenal teils bizarr anmutender Gerätschaften:
Gummihände, um Handillusionen zu produzieren; Kameras und Projektoren zur
Erzeugung virtueller Realitäten; ein Drehstuhl, wie er im Astronautentraining
genutzt wird. Auf Letzterem kann man erfahren, wie ungenau der
Gleichgewichtssinn arbeitet. Wird man in einer Dunkelkammer mit konstanter
Geschwindigkeit gedreht, hat man bald das Gefühl, stillzustehen. Denn das
Gleichgewichtsorgan kann offenbar nur Beschleunigungen erkennen, jedoch keine
konstanten Drehbewegungen. Wird man nach einiger Zeit abgebremst, hat man sogar
das Gefühl, sich in die Gegenrichtung zu drehen. Und wenn nach dem Stillstand
das Licht angeht, erzeugt das Gehirn die Illusion, die Wände drehten sich. Auch
hier versucht unser Denkorgan, alle Sinnesinformationen zu einem stimmigen Bild
zusammenzufügen – auch wenn es dabei offensichtlichen Unsinn produziert.
(ZEIT Wissen 2-2012 S.14ff)
·
Hirnforscher
wollen den Schaltplan aller 100 Milliarden Nervenzellen kartieren. Kann das
gelingen? Es lockt ein großer Preis: das Verständnis des Bewusstseins, die
Enträtselung seelischer Krankheit - und womöglich die Unsterblichkeit.;
Das Universum im Kopf: 100 Milliarden Nervenzellen, Zahl der Nervenverbindungen
liegt nochmals 1000fach höher; aneinandergereiht ergäben sie ein Kabel von 5
Millionen Kilometer Länge;
Zwar boomen die Neurowissenschaften wie kaum eine andere Disziplin. Die Bilanz
aber fällt in zweierlei Hinsicht ernüchternd aus: Zum einen bleibt die
philosophische Frage, die aller Hirnforschung zugrunde liegt, weiterhin
ungelöst. Spätestens seit René Descartes seinen berühmten Lehrsatz "Ich
denke, also bin ich" formulierte, arbeiten sich Forscher daran ab, das
Verhältnis von Geist und Körper zu verstehen. Und doch vermag bis heute niemand
zu erklären, wieso einem Klumpen aus anderthalb Kilogramm Eiweiß und Fett ein
immaterielles Fluidum entströmen kann: die Gedanken. Anders ausgedrückt: Unklar
bleibt, wie aus Materie Geist entsteht.;
"Eine einzelne Zelle wird niemals fähig zu verständigem Handeln
sein", erklärt er. Erst indem sie miteinander verschaltet werden, gehe aus
bloßen elektrischen Impulsen ein Geist, eine Persönlichkeit, ein denkendes,
empfindendes Ich hervor.
"Connectome" lautet das Schlagwort. Es
bezeichnet die Gesamtheit aller Verdrahtungen im Gehirn. "Die gilt es zu
kartieren", erklärt der Heidelberger Forscher Winfried Denk, der seinen
Kollegen Helmstädter in der Kunst der Hirnvermessung ausgebildet hat.
Denk skizziert damit ein Vorhaben abenteuerlicher Dimension: Bisher haben die
Forscher erst das Connectome eines einzigen
Organismus vollständig erfasst: von Caenorhabditis elegans, einem etwa einen Millimeter langen Fadenwurm.
Zelle für Zelle hat das Team um den britischen Nobelpreisträger Sydney Brenner
alle 302 Neuronen dieses Tiers vermessen. Zwölf Jahre dauerte die Tüftelei.
Um wie viel schwieriger wird es erst sein, dieselbe Aufgabe im Fall des Homo
sapiens zu bewältigen! Gut fünf Millionen Kilometer misst die Gesamtlänge aller
Nervenärmchen unter der menschlichen Schädeldecke. Wie soll es da gelingen,
jedes einzelne von ihnen durch das neuronale Labyrinth zu verfolgen?
Auf zwei verschiedenen Wegen packen die Forscher jetzt dieses ehrgeizige Ziel
an. Zum einen hat die US-Regierung vor zwei Jahren 40 Millionen Dollar für das
"Human Connectome Project" bereitgestellt.
Ziel ist es, mit Hilfe moderner Tomografen einen
Atlas des zentralen Nervensystems zu erstellen, eine Art groben Schaltplan des
menschlichen Denkorgans.;
Gerade erst hat die Auswertung begonnen, Wedeen
jedoch ist viel zu ungeduldig, als dass er nicht schon seine Deutungen parat
hätte. Vor allem die regelmäßige Gitterstruktur begeistert ihn: "Da
dachten die Leute immer, die Nervenbahnen seien verknäult wie gekochte Spaghetti.
Und stattdessen jetzt das hier!", sagt er und zoomt in einen Knotenpunkt
des Neuronetzes hinein: "Alles brav in rechten Winkeln angeordnet."
Eigentlich sei das auch gar nicht so erstaunlich, meint Wedeen.
"Stellen Sie sich vor: Rund 100 Milliarden Nervenzellen sind in unserem
Kopf verschaltet, und jede davon bildet 1000 Synapsen. Wie soll das gehen,
gesteuert von nur ein paar tausend Genen?" Das könne doch nur klappen,
wenn alles nach einfachen Regeln vor sich geht.;
Über all diese Fragen hat Sebastian Seung ein Buch
geschrieben, eine Art Manifest seiner noch jungen Fachdisziplin(*). Seine
zentrale These: In der Gesamtheit aller neuronalen Verknüpfungen ist das
Geheimnis der menschlichen Individualität verborgen. Alle Erinnerungen und
Empfindungen, alle Ängste, Sehnsüchte und Eigenheiten eines Menschen sind hier
versteckt. "Du bist dein Connectome": So
lautet die kurze Formel, auf die Seung sein Credo
bringt.
(*) Sebastian Seung: "Connectome".
Houghton Mifflin, Boston; 384 Seiten; 26,99 Euro.
(Der Spiegel 50-2012 S.122ff. - http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-90049001.html
)
·
Was
wurde aus den Verheißungen der Hirnforschung? Wissenschaftler ziehen Bilanz.
Sie fällt dürftig aus;
wo steht die Neurowissenschaft heute, zehn Jahre nach jenem berühmten
"Manifest" der Hirnforscher, das 2004 für Aufsehen sorgte? Damals
skizzierten elf führende Vertreter – darunter Gerhard Roth, Wolf Singer und
Christian Elger – den Stand und die Aussichten ihrer
Disziplin; der Ton oszillierte dabei zwischen Demut und Großspurigkeit.;
Zehn Jahre später ist klar: Von all dem ist nichts eingetreten. Von einem
echten Verständnis der Ursachen der Alzheimer-Demenz sind wir so weit entfernt
wie 2004, Therapien zur Verhinderung oder Heilung der Krankheit sind bis heute
nicht verfügbar; auch die behauptete Revolution in der Therapie psychischer
Störungen blieb bislang aus, neue "hocheffektive und
nebenwirkungsarme" Medikamente waren pures Wunschdenken.
Zum zehnten Jahrestag des Manifests hat daher eine Gruppe von Neurobiologen,
Psychiatern, Psychologen und Philosophen eine Art Gegenmanifest verfasst, ein
Memorandum "Reflexive Neurowissenschaft", das scharf mit dem
damaligen Papier ins Gericht geht. Die Bilanz falle enttäuschend aus,
"eine Annäherung an gesetzte Ziele ist nicht in Sicht", schreiben die
Forscher um den Psychiater und Neurologen Felix Tretter, Chefarzt am
Isar-Amper-Klinikum München-Ost.;
Genau das aber hatten die Hirnforscher 2004 in Aussicht gestellt. In den
nächsten 20 bis 30 Jahren werde man "widerspruchsfrei Geist, Bewusstsein,
Gefühle, Willensakte und Handlungsfreiheit als natürliche Vorgänge ansehen,
denn sie beruhen auf biologischen Prozessen". Dieser Satz klang so, als
wüssten die Neurowissenschaftler bereits, wie man Geist, Bewusstsein et cetera alleine aus biologischen Vorgängen heraus erklären
kann. Davon kann jedoch bis heute keine Rede sein.
Inzwischen muss man diesen Satz wohl so lesen, dass Gedanken und Gefühle auch
auf biologischen Prozessen beruhen – was allerdings eine ziemlich banale
Erkenntnis ist. Denn "in einem sehr trivialen Sinne", schreiben die
Kritiker um Tretter, würden ja "alle menschlichen Leistungen ›auf
biologischen Prozessen beruhen‹, denn man muss zum Beispiel atmen, um etwas zu leisten,
woraus jedoch nicht folgt, dass alle menschlichen Leistungen als Atmung
›angesehen‹ werden können". Die Autoren des Manifests hätten hier
notwendige und hinreichende Bedingungen vermischt.
Die Gegenposition formuliert am provokativsten der Psychiater Thomas Fuchs aus
Heidelberg: "Das Gehirn allein denkt gar nicht", sagt Fuchs. Es sei
"immer die ganze Person, die etwas wahrnimmt, überlegt, entscheidet, sich
erinnert und so weiter, und nicht ein Neuron oder ein Cluster von Molekülen".
Deshalb lasse sich menschliches Denken und Verhalten nur erklären, wenn man den
ganzen Organismus und dessen Umwelt betrachte – womit auch kulturelle, soziale
und moralische Dimensionen mit ins Spiel kommen.;
(Die Zeit 20.2.14 S.38 - http://www.zeit.de/2014/09/hirnforschung-memorandum-reflexible-neurowissenschaft
)
·
Ein
Freiburger Forscherteam hat Libets Experiment
wiederholt. Es deutet das Ergebnis anders. Was Libet
im Gehirn maß, war nicht der Entschluss selbst, sondern lediglich ein
„Bereitschaftspotenzial“, das einen Entschluss wahrscheinlich macht. Einer der
Versuchspersonen im Freiburger Experiment, einem Meditationsmeister, gelang es,
die Messgeräte auszutricksen. Er konnte das Nervensignal in seinem Kopf
identifizieren und die im Experiment geforderte Handbewegung dann machen, wenn
das Gehirnsignal nicht messbar war.
(Chrismon 9-2016 S.31 http://chrismon.evangelisch.de/artikel/2016/32609/hat-der-mensch-einen-freien-willen
)
·
Keinen
Kobold im Kopf
Mit seinen historischen Experimenten schaffte der Neurologe Lüder Deecke scheinbar den freien Willen ab. Er selbst hält dies
für ein zynisches Missverständnis.
… Experimente in Freiburg 1964 …
„Bereitschaftspotenzial“ … 1,2 Sekunden vor der Fingerkrümmung … Libet hatte eigenartige Vorstellungen von dem Begriff … Am
Ende bin ich es noch immer selbst, der eine Handlung plant ausführt …
(Der Spiegel 34-2016 S.104 https://magazin.spiegel.de/SP/2016/34/146389769/index.html
)
·
HIRNFORSCHUNG
Der freie Un-Wille
Seit Langem gilt der freie Wille vielen Gelehrten nur noch als Illusion. Nun
aber zeigen Experimente Berliner Neurowissenschaftler: Das Bewusstsein ist
imstande, unbewusst eingeleitete Handlungen zu stoppen. …
… was John Dylan Haynes, Leiter am Bernstein Center for for Computational
Neuroscience, mithilfe der zwölf Testpersonen dabei
herausgefunden hat, ist höchst erstaunlich.
Der Versuch läuft ab wie bei einem Computerspiel. Der Proband sitzt vor einem
Bildschirm, auf dem ein grünes Licht leuchtet. Die Ampel signalisiert: freie
Fahrt. Auf dem Boden vor ihm steht ein Fußschalter, ziemlich genau dort, wo
sich im Auto das Gaspedal befindet.
Mithilfe einer Elektrodenkappe, welche die Testperson auf dem Kopf trägt,
werden ihre Hirnströme gemessen. Dadurch erkennt der Computer sofort, wenn der
Proband sich aufs Gasgeben vorbereitet. Denn in
diesem Fall entsteht in seinem Kopf ein verräterisches elektrisches Muster, wie
Hirnforscher bereits vor einigen Jahren herausgefunden haben. Die
Wissenschaftler sprechen von einem sogenannten Bereitschaftspotenzial.
Sobald die Elektroden ein solches Hirnmuster messen, schaltet die
Bildschirmampel augenblicklich auf Rot. Gibt die Testperson trotzdem Gas,
verliert sie diese Spielrunde. Am Anfang sind die Probanden deshalb arg
frustriert. Ihre Gegner sind sie selbst, und Runde um Runde verlieren sie den
Wettkampf gegen sich selbst.
Doch nach und nach lernen die Probanden, den eigenen Hirnströmen ein
Schnippchen zu schlagen. Sobald sie den Drang verspüren, Gas zu geben, stoppen
sie diesen Impuls mit einer bewussten Willensentscheidung….
„Frühere Studien haben gezeigt, dass jeder bewussten Handlung ein unbewusstes
Hirnsignal vorausgeht - was viele Experten voreilig so interpretierten, dass
der freie Wille eine Illusion sei“, sagt Haynes, ein freundlicher Herr von
Mitte vierzig, der sich sein Labor mit Psychiatern teilt. „Wir konnten jetzt
zeigen, dass es möglich ist, eine unbewusst angebahnte Handlung durch ein
bewusstes Veto willentlich zu stoppen.“ …
Gemeinsam mit seinem Doktoranden Matthias Schultze-Kraft hat Haynes die
Ergebnisse jetzt in dem Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlicht. Die
spannenden Befunde könnte der Debatte um den freien Willen eine neue Wendung
geben. …
Dank neuer bildgebender Verfahren gelangen Haynes im Jahr 2008 noch
erstaunlichere Resultate als Libet. Der Berliner
Forscher schob Versuchspersonen in die tonnenschwere Röhre eines Magnetresonanztomografen (MRT). Dann ließ er sie frei
entscheiden, ob sie mit dem rechten oder dem linken Zeigefinger einen Knopf
drücken wollten. Bis zu sieben Sekunden bevor sie ihre Entscheidung trafen,
konnte Haynes bereits anhand der Durchblutungsmuster im MRT Vorhersagen,
welchen Knopf sie drücken würden.
„Lange bevor unser Bewusstsein anspringt, werden unsere Entscheidungen schon
unterbewusst vorentschieden“, erklärte Haynes seinerzeit. „Es scheint so zu
sein, dass das Gehirn eine Entscheidung trifft vor der Person selbst.“ …
Zeit seines Lebens missfiel es Libet selbst, dass
seine Experimente so interpretiert wurden, als ob er den freien Willen widerlegt
hätte. Schon früh ersann er daher eine Art Hintertürchen für das freie Denken:
Wenn wir schon keine volle Kontrolle über unsere Impulse haben, so
argumentierte er, könnten wir sie doch zumindest stoppen oder umlenken.
Die Veto-Freiheit - auch das ist ein
Ergebnis der Haynes-Experimente - endet rund eine Fünftelsekunde
vor der jeweiligen Handlung, danach lässt sie sich nicht mehr stoppen …
(Der Spiegel 15-2016 S.95 https://magazin.spiegel.de/SP/2016/15/144021694/index.html
)
·
Das
eingebildete Leben
Erstaunlich leicht gelingt es, Menschen falsche Erinnerungen einzupflanzen –
sogar an Straftaten, die sie nie begangen haben. Experimente zeigen: Erinnern
ist ein sozialer Prozess. Fast jedes Gespräch über die Vergangenheit verändert
das Gedächtnis. …
Die junge Frau ist auf ein Experiment hereingefallen. Die Londoner Psychologin
Julia Shaw hat ihr eine falsche Erinnerung eingepflanzt. Shaw wollte
herausfinden, ob unbescholtene Leute sich einreden lassen, sie hätten in ihrer
frühen Jugend eine Straftat begangen.
Der denkwürdige Versuch ereignete sich an der kanadischen University of British Columbia. Vom wahren Zweck ahnten die Teilnehmer
– Durchschnittsalter: 20 Jahre – nichts. Sie glaubten, sie sollten versuchen,
verschüttete Erinnerungen auszugraben. Alle hatten, wie die Eltern
versicherten, noch nie mit der Polizei zu tun gehabt.
Am Ende legten 21 von 30 Probanden Geständnisse ab. Der Reihe nach bekannten
sie sich zu Diebstählen oder tätlichen Angriffen mit und ohne Waffengewalt.
"Es war erstaunlich", sagt Shaw, "wie leicht das ging."
Auch in anderen Experimenten haben Gedächtnisforscher vorgeführt, wie anfällig
Menschen für falsche Erinnerungen sind. Probanden ließen sich zum Beispiel bereitwillig
weismachen, sie seien als Kind
mal in einem Heißluftballon geflogen. Man musste den Leuten nur gefälschte
Fotos von dem Abenteuer vorlegen, und so mancher fing dann bald an zu erzählen,
was er damals erlebt hat.
Aber Shaws Experiment treibt das Spiel mit den Fiktionen auf die Spitze: Noch
niemand vor ihr hat es vermocht, dass 70 Prozent der Teilnehmer sich selbst
einer Straftat bezichtigen.
Zuerst leugneten natürlich alle Beschuldigten. Die Forscherin aber, stets
freundlich, belehrte ihre Probanden, sie verfüge über beste Quellen: vor allem
einen Fragebogen, ausgefüllt von den Eltern. Da sei von einem Vorfall im Alter
zwischen 11 und 14 die Rede, die Polizei habe eingreifen müssen. Mehr könne sie
nicht sagen. …
Erinnerungen, so zeigt sich, unterliegen einem steten Wandel; und die
Mitmenschen haben darauf großen Einfluss: Fast jedes Gespräch über die
Vergangenheit verändert den Gedächtnisinhalt der Beteiligten. Und wir reden
andauernd über Selbsterlebtes, anderswo Gehörtes und die alten Zeiten. Erinnerungen
sind zum Teilen da – soziale Netzwerke wie Facebook ziehen ihr enormes Wachstum
daraus.
Erstaunlich leicht schleichen sich dabei mit der Zeit auch Fehler ein: Wir
beschönigen, wir verdrängen, wir denken uns was aus und glauben bald selbst
daran. …
Was ist meine Vergangenheit, was deine? Die Grenze zwischen Ich und Du ist
längst nicht mehr eindeutig. Erstaunlich leicht wandern Erlebnisse anderer
Leute in meinen Gedächtnisspeicher ein. …
Manchmal genügt die bloße Aufforderung, sich etwas vorzustellen ("Weißt du
noch, wie wir damals ...?") – und im Gehirn des Angesprochenen
bildet sich schon wie von selbst die entsprechende Erinnerung aus. …
Am weitesten reichen die Folgen bei Polizei und Justiz. Dass 21 von 30
Unbescholtenen im Experiment eine Straftat gestehen, ist eine beunruhigende
Nachricht für das Rechtswesen. …
Der Laie stellt sich das Gedächtnis wie eine Art Film vor: schlimmstenfalls
zerkratzt und verblichen, aber im Prinzip abspielbereit. Das Gehirn arbeitet
nicht wie eine Kamera, die eine Szene vollständig und innerlich unbeteiligt
aufnimmt. Es speichert nur die einprägsamsten Fragmente: das Krachen zum
Beispiel, als zwei Autos kollidierten; den Geruch nach verbranntem Reifengummi;
den auffallenden Aufkleber an dem einen Sportwagen; das Bild eines Vogels, der
gerade noch am Zwitschern war und nun erschreckt davonstob.
Alle diese Eindrücke bleiben in verschiedenen Regionen des Gehirns haften. Und
sie verbinden sich dort mit dem Wissen, das schon da ist: wie Singvögel
aussehen, wie ein typischer Auffahrunfall abläuft (beginnend mit dem Quietschen
der Bremsen). …
"Wenn wir uns erinnern, bauen wir jedes Mal eine neue Geschichte
auf", sagt die Psychologin Shaw. "Und dabei kommt es leicht zu
Fehlern." …
Menschen erinnern sich oft an Dinge, wie sie typischerweise ablaufen. Es muss
nicht so gewesen sein, aber es ist leichter zu merken. …
Das Gedächtnis muss nicht genau sein, sondern flexibel. Es ist ein Werkzeug des
Lernens und der Alltagsbewältigung, kein vollgestopftes Museum.
Ebendeshalb verändern Erinnerungen sich auch mit der Zeit: Nach jedem Abruf
werden sie erneut gespeichert. Der neue Inhalt tritt an die Stelle des alten.
Oft geraten dabei – meist unbemerkt – nachträglich auch neue Informationen
hinzu. …
Aber auch Erwachsene sind vor Suggestionen nicht gefeit. Die Leute wissen nur
allzu gut, wie leicht ihr Gedächtnis sie im Stich lässt – das macht sie
anfällig. Auch im Alltag müssen Mitmenschen oft die Lücken füllen: Was der eine
nicht mehr weiß, fällt dem anderen noch ein; der Dritte korrigiert es.
"Erinnern ist ein sozialer Vorgang", sagt Shaw.
Wenn es um die Kindheit geht, sind die Eltern die erste Autorität. Sie
überliefern die Geschichten, die wir längst vergessen haben. Habe ich wirklich
im Kindergarten immer Mariechens Pausenäpfel vertilgt? Ich muss es, wie vieles
andere, einfach glauben – und in der Regel glaube ich es dann auch.
So schreibt die Mitwelt mit an unserer Autobiografie. Was wir erlebt haben,
wird gemeinsam gepflegt: in Gesprächen, beim Blättern im Familienalbum – und
heute zunehmend auf Twitter und Facebook. …
Auch der Wegfall unpassender Inhalte zeigt, wie plastisch das Gedächtnis ist.
Der amerikanische Psychologe Daniel Kahneman konnte
nachweisen, wie stark wir Erlebtes im Rückblick raffen, verdichten und schönen
– stets im Dienste eines erfreulichen, erzähltauglichen Gesamtbildes. …
(Der Spiegel 1-2016 S.14 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-140750217.html
)
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Die
Lehren der Hirnsuppe
Evolution
Eine brasilianische Neurobiologin hat die Nervenzellen von Mensch, Affe und
Elefant gezählt - und glaubt, so das Erfolgsrezept des Homo sapiens gefunden zu
haben. …
Herculano-Houzel entschied sich deshalb für ein
radikal anderes Verfahren: Sie löst das Gewebe des Gehirns auf, sodass eine
Suppe entsteht, in der die Zellkerne frei umherschwimmen. Diese markiert sie
mit Farbstoff. Im Mikroskop erscheinen sie dann als leuchtend rote Punkte, die
sich auszählen lassen. Wenn die Forscherin ihre Suppe
so lange umrührt, bis die Kerne gleichmäßig verteilt sind, liefert das
Hochrechnen auf die gesamte Hirnmasse sehr zuverlässige Werte.
Das Ergebnis bestätigte ihren Verdacht, dass der Mensch Rekordhalter bei der Neuronenzahl ist. In seinem Großhirn sind 16 Milliarden
Nervenzellen miteinander verdrahtet - rund dreimal so viele wie beim Elefanten.
Nicht im bloßen Hirnvolumen, sondern in der Zahl der grauen Zellen schien also
das Geheimnis menschlicher Intelligenz zu liegen. Dicht an dicht drängeln sie
sich offenbar in seiner Großhirnrinde. Dann aber machte Herculano-Houzel
noch eine zweite, nicht weniger bedeutsame Beobachtung: Der Mensch ist
keineswegs das einzige Wesen, das sich durch eine so hohe Neuronendichte
auszeichnet. Diese ist vielmehr eine Eigenheit der Primaten. Egal ob Nachtaffe,
Makak oder Pavian: Bei ihnen allen findet sich extrem dicht vernetztes
Nervenzellgewebe unter der Schädeldecke. Dieser Befund lässt die Evolution des
Menschen in einem neuen Licht erscheinen: Die Weiche, die Grundlage seines
Siegeszugs werden sollte, wurde demnach schon vor mehr als 60 Millionen Jahren
gestellt. Damals wurde das Geschlecht der Primaten geboren - und mit ihnen eine
neue Art, Gehirne zu bauen. Weil die Dichte der Nervenzellen im Denkorgan der
Primaten wesentlich höher ist als bei anderen Säugetieren gleichen Gewichts,
explodiert die Zahl der Neuronen besonders bei großen Primaten geradezu. In
ihrem Erbgut scheint eine Art Formel verankert zu sein, die die Größe des Hirns
und die Anzahl der Neuronen darin vorgibt. Ein Primat von 70 Kilogramm
Körpergewicht beherbergt demnach die hohe Zahl von nahezu 20 Milliarden
Nervenzellen in seinem Großhirn. Der Sonderweg des Menschen war also
vorgezeichnet.
(Der Spiegel 23/2016 S.120)
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Wer ist Herr im Hirn?
Über Gene, Freiheit und Verantwortung: Ein Disput zwischen Hirnforschern,
Philosophen und Theologen
… Die Frage nach dem freien Willen markiert einen neuen Höhepunkt in der
zwischen Natur- und Geisteswissenschaften ausgefochtenen Debatte um ein
angemessenes Welt- und Menschenbild. Nach ebenso erbitterten wie erfolglosen
Kämpfen gegen Galilei, Kopernikus, Darwin, Freud und Co. haben die
Kirchengelernt, dass es ihnen nicht gut bekommt, wenn sie die Erkenntnisse der
Naturwissenschaften unter Berufung auf die Bibel einfach ablehnen. Andererseits
dürfen sie auch nicht so tun, als sei es für den Glauben völlig egal, was die Naturwissenschaften über den
Menschen zu sagen haben, weil es sich bei Glauben und Wissen um zwei getrennte
Reiche handele, die gut nebeneinander existieren könnten. Leider trifft man diese
Haltung innerhalb der Theologie viel zu oft an. …
Wie kommt Geist in Materie? Die Existenz eines freien Willen bestritt auch der
Hamburger Rechtsphilosoph Reinhard Merkel mit seinen Überlegungen zu Geist und
Materie: »Was immer Wille und Entscheidung genau bedeuten mag – das damit
Bezeichnete gehört zur Sphäre des Geistigen (Mentalen).«
Alle »geistigen Phänomene beruhen jedoch auf Aktivitäten des Gehirns«. Es
bestehe also ein asymmetrischer Zusammenhang: »Indem neuronale Aktivität
stattfindet, kommt es überhaupt erst zu geistigen Prozessen, nicht umgekehrt.« Weil das Gehirn jedoch ein »physikalisches System« sei,
folge es den Gesetzen der Natur, die nicht beeinflussbar sind und auch nicht
umgangen werden können. Gäbe es einen freien Willen, dann müsste er sich, so
Merkel, von den naturalistischen, physikalischen Vorgaben des Gehirns
emanzipieren können. Doch dies könne er nicht erkennen. »Wir müssen den freien
Willen in Einklang bringen mit der Tatsache, dass er aus dem Gehirn stammt.« Bei der Frage, wie Geist in Materie kommt, dürfe man es
sich philosophisch nicht zu einfach machen. …
Die lebhaften Debatten zeigten, dass die Frage nach dem freien Willen und dem
dahinterliegenden Menschenbild gerade kein Streit um des Kaisers Bart ist, der
von weltfremden Stubengelehrten ausgetragen wird. Es macht einen Unterschied,
ob sich der Mensch als frei Handelnder im Zentrum der Welt verortet oder sich
als unfreie Existenz, als Fußnote der biologischen Evolution sieht. Ersteres
geht mit einer Verantwortung einher, die geradezu erdrückend sein kann.
Letzteres kann eine existenzielle Leichtigkeit des Seins rechtfertigen, die in
gedankenlosem Konsumismus, ja Apathie enden kann. …
Wer ist Herr im Hirn? Diese Frage konnte auch die hochkarätig besetzte Tagung
nicht einvernehmlich lösen. Aber sie zeigte die entscheidenden Fragen auf, die
es zu vertiefen gilt: Wie kommt Geist in Materie? Wie verhalten sich Glauben
und Wissen zueinander? Worin besteht menschliche Verantwortung Und wozu sind
wir auf der Welt?
(Publik Forum 4-2017 S.26)
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