zum buch: „am abend mancher tage“
zu texten
von joachim krause für
LIFT, Puhdys, Panta Rhei u.a.
„Im Weinberg des
Herrn“ (Sendung Musikpassagen bei SWR2 am 17.03.2022 - Bernd Gürtler im
Gespräch mit Frieder Burkhardt und Joachim Krause zu WEINBERG und LIFT und
Rockmusiktexten)
Gerhard Zachar
Die frühen Jahre
Notizen von Joachim
Krause©
Vielen ist
Gerhard Zachar bekannt und wichtig als Musiker. Sein
Name ist verbunden mit der Entwicklung der Rockmusik-Szene in der DDR, mit
Formationen wie dem „Dresden-Sextett“ und vor allem „Lift“, in denen er als
Instrumentalist und Sänger mitwirkte und denen er als musikalischer Leiter ein
ganz eigenes Profil aufprägte.
Den meisten
dürfte aber nur wenig bekannt sein aus den ersten zwanzig Lebens-jahren dieses
Künstlers. Dazu soll hier einiges Wissenswerte nachgetragen werden.
Gerhard Zachar wurde am 8. Oktober des Jahres 1945 geboren – genau
5 Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
Er kam in der
Stadt Glauchau in Südwestsachsen zu Welt.
Sein Vater Hans Zachar war Kaufmann und betrieb einen
privaten Feinkostladen in der Dr.-Friedrichs-Straße 63, gegenüber von der Post.
Mutter Marianne Zachar kümmerte sich um die
Geschäftsführung und den Haushalt.
Gerhard hatte
einen sechs Jahre älteren Bruder, Hans-Jörg. Dieser verzog – wohl auch eine
Reaktion der verzweifelten Eltern auf die schwierigen wirtschaftlichen
Verhältnisse in den Nachkriegsjahren - 1951 auf dem Umweg über Westberlin zu
Gerhards Patentante nach Johannesburg in Südafrika. Die Brüder sind sich danach
nie mehr begegnet.
Gerhard Zachar besuchte zunächst 8 Jahre lang die Grundschule
(Lehngrund-Oberschule Glauchau). Bereits in der vierten Klasse begann er eine
musikalische Ausbildung an der „Volksmusikschule Aue-Sachsen“ in der
Außenstelle Glauchau. Die Beurteilung seiner Leistungen nach dem ersten Jahr klang
verheißungsvoll:
„Gerhard ist sehr musikalisch, rhythmisch empfindend, dazu
fleißig, gewissenhaft und musizierfreudig.“
Neben dem
Hauptinstrument Klavier traktierte der aufstrebende junge Künstler auch … die
Violine!
Ab 1960
besuchte Gerhard die Georg-Agricola-Oberschule (Erweiterte Oberschule) in Glauchau.
Im zehnten Schuljahr entpuppte er sich als Mathe-Genie: Er wurde „Sieger der
Mathematikolympiade der 10. Klassen 1962“.
Noch weitere Talente zeigten sich in diesen Jahren: Gerhard war als
Übungsleiter tätig, nicht etwa im musikalischen Bereich …
sondern im DTSB! (Deutscher Turn- und Sportbund der DDR). Vielleicht ist das
folgende Foto ein Beleg dafür, dass er sich auch später für Ordnung und
Disziplin in „seinen“ Bands verantwortlich fühlte …
Gerhard sang im
Chor der Schule
(Bild: vorn
2.v.li.).
Seine
musikalischen Neigungen gingen jedoch inzwischen auch in eine ganz andere
Richtung, zur Tanzmusik.
Und so wurde er
Mitglied einer Schülerband in Glauchau, bei den „OHIOS“. Man entdeckt ihn, der
sich sein ganzes Musikerleben lang immer auch autodidaktisch neuen Instrumenten
annäherte, auf einem Foto aus jenen Tagen als … Saxophonisten
(Bild: Mitte).
Die Realität
der DDR-Schulbildung stellte Gerhard aber noch vor ganz andere
Herausforderungen. Während seiner Oberschulzeit verbrachte er einen ganzen Tag
lang in jeder Woche im VEB Spinnstoffwerk „Otto Buchwitz“ in Glauchau (ein
wegen seiner typischen „Gerüche“ weit über die Region hinaus bekannter und
berüchtigter Chemiebetrieb). Dort absolvierte er eine „berufliche
Grundausbildung als Chemiefaserfacharbeiter“.
Im Sommer 1964
hielt er nach bestandenen Prüfungen sein Abiturzeugnis in der Hand. Interessant
ist vielleicht die Erwähnung der zwei „Einser“, die auf dem Zeugnis „glänzen“:
Eine „Eins“ gab es – wie zu erwarten – in Musik. Die zweite ist im Fach
Astronomie eingetragen. Griff damals schon ein aufstrebender junger Musikus
nach den Sternen? Überhaupt liegen zur Abiturzeit seine besten Leistungen in
den naturwissenschaftlichen Fächern.
Schon im
letzten Schuljahr hatte sich Gerhard für ein Studium an der
Martin-Luther-Universität in Halle beworben. An der Philosophischen Fakultät
wollte er Pädagogik studieren. Sein Ziel war es, Lehrer für die Fächer Musik
und Geschichte in den Klassen 5 bis 10 zu werden.
Er wurde zum
Studium zugelassen. Das geschah trotz seiner Herkunft aus einem – nach
DDR-Kriterien – verdächtigen sozialen Umfeld. In seinem Antrag hatte Gerhard
nicht nur seine „Westverwandtschaft“ und Kontakte dorthin auflisten müssen. Da
stand auch, dass sein Vater „selbständiger Kaufmann“ war. Ein gleichzeitig
gestellter Antrag auf Gewährung eines Stipendiums wurde von der Uni mit
folgenden Worten abgelehnt:
„… Bei der Bearbeitung des von Ihnen eingereichten Stipendienantrages
stellten wir fest, dass Ihr Herr Vater als selbständiger Gewerbetreibender
tätig ist. Das Stipendiengesetz vom 17.12.62 sieht für Kinder dieses
Personenkreises kein Stipendium vor.“
Gerhard Zachar zog 1964 nach Halle ins Studentenwohnheim (402
Halle, Weinbergsweg 5/4) und stürzte sich in die neuen Aufgaben.
Er erwarb einen Seminarschein als Beleg dafür, dass er sich erfolgreich mit der
„Entwicklung der
Elektroindustrie im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts“
auseinandergesetzt
hatte,
absolvierte –
„mit befriedigendem Erfolg“ – ein
„Pionierleiter-Praktikum“
oder nahm an
einem mehrwöchigen
„Ausbildungslehrgang zur
Bedienung von Schmalfilmgeräten und Stehbildwerfern“
teil.
Wenn auch Politische
Ökonomie und Materialistische Geschichtswissenschaft ihn sehr in Anspruch
nahmen, wird aus den Eintragungen in seinem Studienbuch dennoch klar, dass
Gerhard eine gediegene musikalische Ausbildung erfuhr. Er belegte die Fächer
„Chor“ und „Chorleitung“ – vielleicht wurden hier die fachlichen Grundlagen für
den prägnanten Satzgesang in Gerhard Zachars späteren
Bands gelegt. Gerhard erhielt Instrumental-Unterricht in den Fächern „Klavier“
und „Klarinette“. Das Fach „Gitarre“ ist auch im Studienbuch eingetragen, wurde
aber wieder gestrichen (?).
In Halle traf Gerhard auf Martin Schoppe, der sein Musikdozent war, den
späteren Leiter des „Robert-Schumann-Hauses“ in Zwickau. Beide verband auch in
den folgenden Jahren eine tiefe Freundschaft.
Zu Hause, in
seiner Heimatstadt Glauchau und deren Umgebung – ging Gerhards zweites,
vielleicht sein eigentliches, Leben weiter. In seinem Jugendzimmer stolperten
Besucher über ganze Stapel von Micky-Maus-Heften, staunten über Dutzende von
Karl-May-Bänden im Regal, und da waren das Klavier und vielerlei andere
musikalische Gerätschaften, zwischen denen er ständig hin- und her sprang.
Seit 1965
spielte Gerhard Zachar in der Band „Meridas“ aus der
Nachbarstadt Meerane, hervorgegangen aus einer Schülerband. Diese Formation
trat, einheitlich und dezent gekleidet mit gebügelter Pepita-Hose und dunklem
Jäckchen, zu Tanzveranstaltungen auf, die in der Regel am Wochenende
stattfanden und von 19 bis 24 Uhr dauerten. Eine Sängerin setzte schlagerhafte
Akzente, zum Repertoire gehörten aber auch Stücke aus der damals schon
vergangen geglaubten Rock´n´Roll-Ära und – meist instrumental vorgetragene -
Titel aus dem Bereich, der uns seit Anfang der 1960er Jahre als „BEAT“
elektrisierte.
(„Meridas“ mit G. Zachar (2.v.re.), ca. 1966)
Gerhard stand
an der (Melodie-)Gitarre, manchmal hängte er sich auch den Bass um, blies zudem
Saxophon und Okarina, und er sang „zweite Stimme“. Ganz wichtig für die Band:
Er brachte auch eigene Verstärkertechnik mit. Neben dem „Elektro-Artisten“ (15
Watt) und dem „Regent“-Verstärker aus DDR-Produktion (30 Watt!) stand wenig
später ein viel bestaunter „Bass-King“ von Dynacord
(aus dem Westen!).
Im Frühjahr
1965 bin ich Gerhard Zachar das erste Mal begegnet:
Es gab einen legendären Rundfunkmoderator in der DDR, der
immer im Lande unterwegs war auf der Suche nach „Jungen Talenten“. Irgendwann
verirrte er sich auch in unsere Kleinstadt (Meerane).
Jeder, der was Unterhaltsames bieten konnte, war aufgefordert, sich zu melden.
Ich hatte meine Holzgitarre, kannte ein paar Lieder, fasste Mut und meldete
mich an. Zur Generalprobe stand ich allein mit meiner Klampfe vor einem Mikro
und sang in den leeren großen Saal hinein. Der Text meines Beitrags war englisch:
„The House of the Rising Sun“ – ich hatte den Text mühsam im Radio abgehört.
Irgendwie passte mein Stück künstlerisch oder ideologisch aber dann doch nicht
ins Programm und so konnte ich die Abendveranstaltung nur als Zuschauer aus
den Falten des Vorhangs beobachten. Aber das Unternehmen hatte doch Folgen für
mein weiteres „Musiker-Leben“. Auf der Bühne stand eine Band namens „Meridas“,
und mit deren musikalischem Leiter (es
war G.Z. !) hatte ich bei den Proben mancherlei
musikalische Gemeinsamkeiten feststellen können. Merida ist übrigens ein
Städtchen in Mittelamerika, von dem wir nichts wussten und wo auch nie einer
gewesen war. Aber es war „draußen“ und „drüben“ und war damit etwas Exotisches,
eignete sich als Symbol für Verlockendes und Verbotenes. Und so hieß also die
Band, die an unserer Schule gegründet worden war, MERIDAS. Die Band spielte –
sittsam in Pepita-Jacken gekleidet – die Musik, die wir alle hören wollten,
schnell und laut und rockig und englisch und westlich.
Ich hatte 1965 mit einigen Freunden eine eigene Band
gegründet, die „Pacemakers“. Wir knieten uns zu fünft in die Proben und
hatten, in der Zeitung als offizielle Band des „Jugendklubhauses“ angepriesen,
sogar einen Auftritt. Es blieb unser einziger. Der selbstgebaute Verstärker
- es war einer für die ganze Gruppe! -, brannte beim Auftritt spektakulär ab.
Wenige Wochen später stieg ich bei den „Meridas“ ein. Etwas
überraschend für mich kam die Mitteilung, dass ich fortan Bassgitarre spielen
sollte. Ich hatte solch ein Gerät noch nie in der Hand gehabt, aber das Instrument
war schon gekauft – wodurch ich gleich mit 500 Mark Schulden startete. Immer
freitags war Probe, am Wochenende dann und zur Faschingszeit und in ähnlichen
Festzeiten auch noch öfter gab es einen oder auch zwei Auftritte („Muggen“) von
jeweils fünf Stunden Dauer - und dafür 25 Mark auf die Hand. Die
Veranstaltungsorte lagen im Umkreis von 30, 40 Kilometern. Ich „reiste“ immer
- zusammen mit der Technik und den Instrumenten - hinten auf der Ladefläche
eines kleinen, offenen LKW unter der flatternden Plane. Bei unseren Auftritten
war noch alles „echt“, es gab keine Tricks, etwa ein „Hallgerät“ für mich als
Sänger bei schwächelnder Stimme. Wir spielten zum Teil einen erdverbundenen
Rock, getragen von zwei röhrenden Saxophonen, machten auch hin und wieder ein
Zugeständnis mit Schnulzigem zur „Damenwahl“, aber Profil erlangten wir
schnell, indem wir „unsere“ Musik spielten, Titel von den BEATLES. Wir hatten
sogar einen richtigen Fanclub, der zu jeder Veranstaltung anreiste - am
Stammtisch mit Wimpel.
Die Band bekam einigen Ärger mit mir als ihrem Sänger und Gitarristen. Ich
hatte nämlich keine ordentliche Musikschulausbildung mit Abschluss zu bieten,
was für eine „Spielerlaubnis“ - die behördlich notwendige Zulassung zum
Auftritt auf öffentlichen sozialistischen Bühnen - und für die „Einstufung“
(wichtig für die Stunden-Vergütung) eigentlich unerlässlich war. Aber extra wegen
mir wurde das Reglement geändert, eine „Gruppeneinstufung“ durchgeführt
(Live-Auftritt und Bewertung nach Gehör), und wir durften loslegen. Ein reichliches
Jahr meines Lebens habe ich jedes Wochenende auf der Bühne gestanden, während
der Woche meine Stimme kuriert und die Texte neuer Lieder abgehört. Bald war
ich Besitzer von drei Gitarren. Zu Hause hing eine Holztafel an der Wand, auf
der ein Gewirr von Drähten angepinnt war – Dutzende von Gitarrensaiten, die
meine heftigen Attacken beim Anschlagen nicht „überlebt“ hatten und gerissen
waren. Es war eine intensive Zeit, aber da ich „nebenbei“ auch studierte, war
irgendwann zu klären, was nun Vorrang haben sollte, und da fiel die
Entscheidung: Der Hauptberuf sollte Chemiker sein.
(Aus dem Buch: Joachim Krause „Am Abend
mancher Tage“, Wartburg-Verlag, 2008)
Gerhards
Entscheidung fiel anders aus. Sein Lehrerstudium hätte eigentlich bis 1968
dauern sollen. Sein amtliches Hallenser Studienbuch enthält jedoch nach den
ersten beiden Jahren keine Eintragungen mehr. Die Interessen hatten sich
deutlich verlagert. Seine resolute Mutter reagierte sehr pragmatisch. Sie
veranlasste, dass im Sozialversicherungsausweis von Gerhard ab 1965 in der
Rubrik „Genaue Bezeichnung der Tätigkeit“ statt wie bisher „Student“ nun
eingetragen wurde: „Musiker“.
Gerhard wurde
in den „Meridas“-Jahren von allen nur „GOF“ genannt (unter diesem Code ist
seine Hallenser Anschrift auch in meinem Notizbuch aus dieser Zeit
eingetragen). Der Name leitete sich von der Disney-Figur Goofy ab, die Gerhard
gern schauspielerisch und akustisch imitierte. Spaßmacher, Komiker – auch das
wäre eine mögliche Laufbahn für ihn gewesen.
Seit er und ich
zu den „Meridas“ gehörten, wandelte sich schnell das Profil der Band. Unsere
Favoriten und Vorbilder waren allein die „Beatles“. Von verrauschten Tonbandaufnahmen
ihrer Titel (Radio Luxemburg, Mittelwelle!) hörten wir die Melodien und Texte
ab, und dann sangen wir unsere Cover-Versionen auf der Bühne.
Schon in der Band „Meridas“ hatten wir - Gerhard Zachar, der spätere Leiter der DDR-weit bekannten Gruppe
LIFT, und ich - hin und wieder mit eigenen Kompositionen experimentiert. Und
wir probierten dabei manchmal auch selbstgemachte, deutsche Lied-Texte aus.
Die Verwendung deutscher Worte wäre wohl im „Westen“ in den 1960er Jahren in
der Beat-Szene undenkbar gewesen. Nun gab es damals in der DDR offiziell (noch)
keine Beat- oder Rockmusik. Aber es gab den „Schlagerwettbewerb“. Wir wollten
versuchen, dort mit unseren Ideen unterzukommen und reichten im Jahr 1967
zwei Titel ein, unter den Codenamen „Gurkenwurm“ und „Rhabarberschnecke“. Es
geschah Erfreuliches: Einer der Titel kam auf Anhieb in den Endausscheid – das
„Herbstlied“. Wir hatten nur Text und Klavierbegleitung geliefert. Ich hatte
mich bei diesem Stück zum ersten Mal als „Texter“ versucht, und von Stund an trug ich das Etikett, ein „Textdichter“ zu sein.
Nun hatten wir keinen Einfluss darauf, wie „unser“ Stück arrangiert wurde und
wer es singen würde – das Ergebnis war dann eine doch ziemlich schlagermäßige
Inszenierung. Aber es war unser Einstieg in eine neue Welt, die uns neue
Möglichkeiten eröffnete. Ich zog meinen schwarzen Konfirmationsanzug an, reiste
nach Magdeburg ins Interhotel. Wir wurden in die riesige Veranstaltungs-Halle
kutschiert, schwitzten uns durch die Generalprobe mit Scheinwerfern und Fernsehkameras.
Und dann war es so weit: Premiere für UNSER Lied! Frank Schöbel, Chris Doerk
und andere DDR-Stars waren unsere Sitznachbarn. Später standen wir schüchtern
beim Empfang am kalten Büffet. Und die ganze Zeit über hielten wir eine
Schallplatte in der Hand, auf der unser Lied drauf war, unsere Namen standen!
...
Leute vom Rundfunk sprachen uns an, ob wir nicht weitere
Stücke hätten, die wir mal vorstellen könnten. Wir hatten Glück, dass die
DDR-Kulturpolitik gerade auf der Suche nach neuen Ansätzen, nach neuen Leuten
war. Wir nutzten die Chance, schrieben neue Texte und Melodien, und bald erschien
öfter etwas von uns auf Schallplatten oder wurde im Rundfunk produziert.
Letzteres war damals die Regel, Plattenproduktionen die Ausnahme. Am Anfang
liefen unsere Titel noch in der Rubrik „gehobener Schlager“ und wir hatten auch
keinen Einfluss auf die Auswahl der Interpreten, aber Anfang der 1970er Jahre
gab es eine Öffnung hin zu DDR-eigener Beatmusik, und da wurde es auch
möglich, die eigenen Titel mit der eigenen Band zu produzieren und rockiger zu
machen. Ich stand da aber längst nicht mehr mit auf der Bühne, sondern schrieb
nur noch Texte, für LIFT und KARAT und HORST KRÜGER und THEO SCHUMANN ...
(aus dem Buch: Joachim
Krause „Am Abend mancher Tage“, Wartburg-Verlag 2008)
Das
„Herbstlied“ war unser erstes Werk, das in die Öffentlichkeit kam. Erst spät
habe ich erfahren, dass Gerhard – heimlich – auch einen eigenen Text für dieses
Lied geschrieben hatte; da hätte meine Karriere als Texter auch schon zu Ende
sein können …
Für Gerhard
stand jetzt wohl endgültig fest, wohin ihn sein Weg führen würde, hin zur Unterhaltungsmusik,
hauptberuflich, in einer eigenen Band eigene Vorstellungen verwirklichen …
Das
Lehrerstudium in Halle verlief sich irgendwie.
Gerhard ging
1967 oder 1968 nach Dresden. Er bewarb sich – zum zweiten Mal, und diesmal
erfolgreich – an der Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber“ in Dresden. Er
studierte im Abendstudium von 1969 bis 1972 im Fachbereich Tanzmusik/Klavier.
1968 stieg er
in die „Axel-Lorenz-Combo“ ein – als Gitarrist.
(Axel-Lorenz-Combo, links
G. Zachar, 1968)
Wenige Monate
später stand er mit dem „Dresden-Sextett“ (gegründet am 1.1.1969) auf der
Bühne.
(Dresden-Sextett;
Ur-Besetzung 1969)
Bald darauf war
er musikalischer Leiter dieser Band.
(Dresden-Sextett, mit
Gerhard Zachar als Leiter, 1970)
Die Sängerin
Dina Straat, eine Mitstudentin, stieß zur Gruppe.
Damit bahnte sich auch privates Glück an: Ein Titel aus dieser Zeit, den
Gerhard für Dina komponierte, trug den prophetischen Titel „Da war schon die
Liebe dabei“ …
(Dresden-Sextett mit Dina Straat, G. Zachar 2.v.re.; 1970;
man beachte die Designer-Hemden!)
Das
„Dresden-Sextett“ bekam bald wegen seiner Titelauswahl Probleme und erhielt
1971 ein Auftrittsverbot:
Auftritts-Verbot
„… teile ich Ihnen heute meine endgültige Entscheidung mit.
Ich beziehe mich dabei auf die „Anordnung über die Neufassung von Regelungen
über Rechtsmittel gegen Entscheidungen staatlicher Organe auf dem Gebiet der
Kultur vom 28.1.1971.“ …
Es bleibt … bei dem für den Landkreis Leipzig
ausgesprochenen unbefristeten Auftrittsverbot für die Kapelle
„Dresden-Sextett“. …
Das Repertoire enthielt in der Veranstaltung am 15.10.1971
mindestens 7 Titel, die in unserer Republik nicht gestattet sind. Dazu gehören:
1. Beginnings (
Auch die an die AWA eingereichte Titelliste weist im
Gegensatz zu den staatlichen Bestimmungen ein Verhältnis von 48% zu 52% auf,
anstatt dem Verhältnis von mindestens 60% zu 40%. …“
(Brief des Vorsitzenden des Rates des Kreises Leipzig,
15.12.1971)
(Rechtschreibung wie im Originalbrief –
JK)
Ende der
Karriere? „Denkste!“ - So hieß ein Titel, den das
„Dresden-Sextett“ produziert hatte …
Ein Weg, den viele Gruppen in den 1970er Jahren gingen, wenn sie verboten
wurden: Neuer Name, und dann: Neustart!
Beim „Dresden-Sextett“ war ohnehin Dina als siebente dabei, weitere Kollegen
mit Blechblasinstrumenten standen auf der Bühne.
Man tauschte also das „X“ im Sextett gegen ein „P“ aus. Das „Dresden-Septett“
war geboren und konnte natürlich auch im Leipziger Land wieder unbelastet und
unbehelligt spielen.
(Dresden-Septett 1971 mit
Franz Bartzsch am Bass, o.li., und Gerhard Zachar am
Keyboard, o.re.)
Im Januar des
Jahres 1973 erfolgte dann im Dresdner Hygienemuseum die amtliche Umbenennung
in „Lift“, und Gerhard war es wichtig, dass damit auch eine inhaltliche
Neuprofilierung verbunden war: „Lift“ war nun eine „Rockformation“!
(Gruppe LIFT,
Erstbesetzung, gegründet am 28.1.1973)
(Gruppe LIFT, Besetzung
1974)
(Gruppe LIFT,
letzte Besetzung mit Gerhard Zachar (vorn 2.v.re.)
und Henry Pacholski (hinten links),
1978)
Gerhard Zachar war seit 1972 mit der Sängerin Dina Straat verheiratet.
Im Jahre 1973
kam seine Tochter Nadja zur Welt.
Im Jahre 1978
erfolgte der Umzug der Familie in ein eigenes Haus nach Berlin.
(das letzte Passfoto von
Gerhard Zachar, 1978)
Gerhard Zachar verunglückte am 15. November 1978 tödlich,
zusammen mit Henry Pacholski.
Er wurde 33
Jahre alt.
einige Nachträge:
Zensierte Regentropfen
Es war ein trüber Tag. Nicht nur, weil es regnete, auch in
meinem Inneren sah es grau aus. Ich hatte das Fenster geöffnet, starrte hinaus
in das Geniesel. Wie immer lag mein Notizbuch in
Reichweite, in dem ich alle Bilder und Wortspiele aufschrieb, aus denen
vielleicht mal ein Text für ein Lied werden könnte. Satzfetzen kamen geflogen,
und bald stand eine Text-Skizze im Heft. Ich hatte versucht, meine momentane
Befindlichkeit in Naturbilder zu fassen. Gerhard Zachar
gefielen die Zeilen, er machte eine Melodie dazu, und nun hätte das Lied
eigentlich im Tonstudio produziert werden können. Aber da gab es noch das
„Lektorat“. In Berlin saß eine verkappte Zensurbehörde. Die Leute dort wollten
alle neuen Rocktitel erst einmal begutachten und dann - vielleicht - freigeben.
Da bekamen wir manchmal zwar auch ganz hilfreiche handwerkliche Hinweise. Aber
als Gerhard Zachar unseren „Regentag“ vorstellte,
entdeckte die Zensur schlimme Dinge in meinem Text. Da stand z.B. der deutbare
Satz: „Weit drüben sind Gesichter – grau hinter grauem Glas“ (das hatte ich
einfach so im Haus gegenüber gesehen). Aber „drüben“ war eben in der DDR eine
politische Metapher für den bösen Westen, konnte also in einem sozialistischen
Text nicht stehen bleiben! Und dann entdeckte das Kontrollorgan gar noch die
Worte „Durch Mauern aus Gedanken kommt Licht von irgendwo …“. Bei „Mauer“ war
natürlich nur an die Mauer in Berlin
zu denken, und von daher sollte gar noch Licht kommen? Das ging gar nicht!
Text abgelehnt.
Gerhard Zachar berichtete mir zerknirscht von der
zweistündigen Diskussion um meinen harmlosen Text. Und weil ich mir diesmal
wirklich nichts Hintergründiges dabei gedacht hatte, erfolgten zwei sprachliche
Korrekturen, und nun durfte das Lied auf Schallplatte produziert werden.
Regentag
Ein Meer aus grauen
Strahlen
stürzt auf den Tag herab.
Ich sehe Perlen fallen
aus Bäumen zum Asphalt.
Ein Blatt weht durch die
Straßen
bis es in Tränen stirbt.
Ich ahne nur Gesichter
grau hinter grauem Glas.
Im Wind zerfließen Haare
zu einem Regentraum.
Ich höre Worte schweben
durch seidenes Papier.
Durch Nebel aus Gedanken
kommt Licht von irgendwo:
Unendlich weit die Sonne!
(Komp.: Gerhard Zachar,
Text: Joachim Krause
Produktion: LIFT mit Christiane Ufholz 1973)
Ein paar Jahre später schrieb der neue Sänger der Gruppe
Lift, Henry Pacholski, den Text für das Lied „Nach
Süden“. Vordergründig ging es darin um die alte kindliche Sehnsucht, fliegen zu
können und so manchen Problemen zu entkommen. Ich meine aber, dass jeder Hörer
in der DDR die verschlüsselte Sprache in Pacholskis
Text verstand. Wie bei jedem Zugvogel im Herbst richtete sich die Sehnsucht
„nach Süden“ – aber um 90 Grad weiter an der Windrose gedreht war damit „nach
Westen“ angesagt, und dorthin wollten schon in den 1970er Jahren viele Junge
Leute „fliegen“. Wenn man das „g“ gegen ein „h“ austauscht, wird der Bezug noch
deutlicher. Und wenn einem dann „hinter dem Hügel“ – also außer Sichtweite
neugieriger „Staats-Organe“ – Flügel wachsen, um „vor dem Winter abzuhau´n“, das heißt der Kälte des erstarrten DDR-Systems
zu entkommen, und „abhauen“ war eine gängige Vokabel für „Republikflucht“. Ich
finde diesen Text genial in seiner Unangreifbarkeit – die Zensurbehörde war
völlig machtlos – sie konnte gegen Kinder-Träume vom Fliegen und gegen die
Himmelsrichtung Süden offenbar argumentativ nichts einwenden!
Ref.:
„Nach Süden, nach Süden
wollte ich fliegen,
das war mein
allerschönster Traum.
Hinter dem Hügel
wuchsen mir Flügel,
um vor dem Winter abzuhau´n,
abzuhau´n!“
(Komp.. Wolfgang Scheffler, Text: Henry Pacholski)
Mach mal was Passendes
Es war einer jener Augenblicke im Leben, die nie mehr aus
dem Gedächtnis verschwinden. Der DDR-Rundfunk hatte es in den Nachrichten
ausführlich gemeldet: Gerhard Zachar und Henry Pacholski waren auf einer Straße in Polen tödlich
verunglückt. Nüchtern. Amtlich. Ein plötzlicher, schriller und schmerzlicher
Akkord. Die Ära Lift –auch ein wichtiger Abschnitt in meinem Leben – war von
diesem Tag an Vergangenheit. …
Monate später kam ein Anruf. Werther Lohse: Wir wollen weitermachen mit Lift,
ich steige wieder ein. Und: Wir brauchen Texte, kannst du? Wenig später
brachte mir Wolfgang Scheffler ein Demo-Band mit schon ziemlich fertigen
Musikstücken vorbei: Mach da mal was Passendes dazu! Mir war es eigentlich
immer lieber gewesen, wenn Musikanten zu ihren musikalischen Ideen auch ein
paar inhaltliche Vorstellungen dazu packten, worum es in dem Text etwa gehen
könnte. Diesmal nur: Mach mal …
Die Melodie zehnmal, zwanzigmal hören, Welche Worte, welche Geschichten könnten
dazu passen? Wo sollte ich anknüpfen? Erinnerungen stiegen hoch, wie war das
damals gewesen? „Am Abend mancher Tage, da stimmt die Welt nicht mehr.“ Es
wurde ein Text von Bruchstellen im Leben, die weh tun, und von dem Mut,
trotzdem wieder aufzustehen.
Ich nahm den Textentwurf mit zur Probe von Lift ins
Kulturhaus von Heidenau. Wolfgang war sich unsicher, ob das Lied nicht
insgesamt (Musik und Textidee) zu schmalzig und
gefühlig sei. Ich habe daraufhin noch zwei weitere Textentwürfe mit ganz
anderen Inhalten abgeliefert. Dann die Entscheidung der Band: Wir machen das
Lied, und es bleibt bei dem ersten Text.
Bald erschien die Schallplatte, der Titel fand erstaunlich gute Resonanz in den
Hitparaden, wurde am Jahresende sogar DDR-Hit des Jahres.
Ich habe danach nie wieder einen Rockmusik-Text geschrieben.
(Joachim Krause, in:
Jürgen Balitzki, electra lift stern-combo-meissen,
Geschichten vom Sachsendreier, Schwarzkopf & Schwarzkopf Berlin, 2001,
S.310)
Am Abend
mancher Tage
1.
Am Abend mancher Tage -
da stimmt die Welt nicht mehr:
Irgend etwas ist zerbrochen, wiegt so schwer.
Und man kann das nicht begreifen,
will nichts mehr seh´n -
und doch muss man weitergeh´n
2.
Am Abend mancher Tage -
da wirft man alles hin.
Nun scheint alles, was gewesen, ohne Sinn.
Und man lässt sich einfach treiben,
starrt an die Wand.
Nirgendwo ist festes Land.
Ref. Gib nicht auf,
denn das kriegst du wieder
hin!
Eine Tür schlug zu,
doch schon morgen wirst du
weiter seh´n...
3. Manchmal ist eine Liebe erfroren über Nacht.
Manchmal will man hin zur Sonne -
und stürzt ab.
Manchmal steht man ganz allein da,
ringsum ist Eis,
alles dreht sich nur im Kreis.
Ref. Gib
nicht auf...
4. Am Abend mancher
Tage - da stimmt die Welt nicht mehr:
Irgend etwas ist zerbrochen, wiegt so schwer.
Und man kann das nicht begreifen,
will nichts mehr seh´n -
und doch muss man weitergeh´n
...und man lässt sich einfach treiben,
will nichts mehr seh´n,
und doch wird man weitergeh´n...
(Komp.
Wolfgang Scheffler, Text: Joachim Krause,
Rock-Gruppe
LIFT, 1979)
Alle Rechte für den Text dieser
Broschüre (Nachdruck, Vervielfältigung, Rundfunk, Tonträger) bei:
Joachim Krause, Hauptstr. 46, 08393 Schönberg, Tel. 03764-3140,
Mailto: krause.schoenberg@t-online.de, www.krause-schoenberg.de
Ein herzlicher Dank geht an Dina Zachar, die mich ihr Archiv auswerten ließ und die meisten
Bilder zur Verfügung gestellt hat.
im Oktober
2010