INFO-Blatt
Ist die Welt ein Würfelspiel ?
Entdeckungen der Chaos-Forschung
© Joachim Krause 2003
1. Unser vertrautes, naturwissenschaftlich begründetes
Weltbild -
die Arbeitsweise der klassischen
Naturwissenschaft
+
Auswahl eines interessierenden einzelnen Aspekts aus der großen Wirklichkeit
+ Beobachtung von Vorgängen in der Natur, die sich regelmäßig
wiederholen (z.B.
Planetenbahnen)
oder:
Gestaltung von Labor-Experimenten als wiederholbare Abläufe
+ Erwartung: gleiche Ausgangsbedingungen à gleicher Ablauf à gleiches
Ergebnis
(sogar Gültigkeit des Kausalitäts-Prinzips in seiner „starken“
Form: „ähnliche Ursachen rufen ähnliche Wirkungen hervor“)
+ wir entdecken „Spielregeln“ = Naturgesetze
+ die Wirklichkeit wird in die Sprache der Mathematik gefasst, in
Formeln
+ Erwartung: wenn wir die Ausgangsbedingungen exakt erfassen, ergibt sich
in Berechnungen das zukünftige Verhalten
+ Gewissheit: es ist grundsätzlich möglich,
- die Welt in jedem Detail naturwissenschaftlich zu
beschreiben und zu erklären
- die Dynamik von Systemen, ihre zukünftige Entwicklung
exakt vorherzuberechnen
- in den Ablauf von Naturvorgängen einzugreifen und sie
zielgerichtet zu verändern
+ die klassische Physik versteht die Welt im Bild eines Uhrwerks;
(„Laplace´scher Dämon“): alles läuft mechanisch nach
Naturgesetzen ab, ist in seinem Ablauf vorherbestimmt (determiniert)
2. die Naturwissenschaft entdeckt das CHAOS
+
Überraschungen:
- Mathematiker Henri Poincare 1885: „Wie stabil ist unser
Planetensystem?“; manchmal ist schon die exakte Berechnung der Bahnen von
drei
Himmelskörpern nicht eindeutig möglich: „Es kann der
Fall eintreten, dass kleine Unterschiede in den Anfangsbedingungen große
Unterschiede in den späteren Erscheinungen
bedingen, eine Vorhersage wird unmöglich, und wir haben eine zufällige
Erscheinung.“
- Wetterforscher Edward Lorenz 1963: einfaches
mathematisches Modell für eine mehrwöchige Wetterprognose einer größeren
Region;
durch minimale Veränderungen in den
Startwerten der Rechnung ergibt sich ein völlig anderer „Wetter-„ Ablauf (wo es
im ersten
Rechengang geregnet hatte, scheint nun
die Sonne...); Bild vom „Schmetterlings-Effekt“: grundsätzlich kann eine
minimale Änderung
der Ausgangssituation den Anstoß geben zu
einem Wetterumschwung im Großen (der Flügelschlag des Schmetterlings ist nicht
die
Ursache - die liegt in der
instabilen Wetterlage -, sondern nur der zufällige Auslöser...);
Wetter ist ein so komplexer Gegenstand,
dass langfristige Prognosen (oft) nicht sicher möglich sein werden (die
Unsicherheit ist
mit genaueren Daten nicht zu beheben)
+ In der Natur gibt es eine Vielzahl von Systemen, die sich unter
Energieverbrauch aufbauen, bewegen, ausdehnen, fortpflanzen,
aufeinander Jagd machen. Solches Verhalten zeigen
z.B. Galaxien, Ameisenvölker, Industriegesellschaften, Zellkulturen, Embryos,
nukleares Feuer bei einer Atomexplosion.
Solche Systeme zeigen, wenn sie in
mathematischen Formeln gefasst werden, oft eine „nichtlineare Dynamik“:
Wirkungen hängen
nicht geradlinig von den Ursachen ab
(mathematische Beschreibung: z.B. Potenzfunktionen) und beeinflussen sogar
rückkoppelnd
die Ursachen (mathematisch: Ergebnis eines
Rechenschrittes geht als Ausgangsgröße in den nächsten Schritt der Rechnung
ein).
Bereits kleinste Variationen des
Anfangszustandes können zu völlig unterschiedlichen Endergebnissen (= mehreren
“Zukünften“?!) führen. Dieses (empfindliche)
mathematische Verhalten wird „chaotisch“ genannt: ein eindeutiges Ergebnis („die
Zukunft“)
ist grundsätzlich (und nicht etwa wegen
fehlender Daten- oder Rechengenauigkeit!) nicht zu erzielen.
3. einige Einsichten aus der Chaos-Forschung
+
Die Naturwissenschaft erkennt: die Weltsicht der klassischen Naturwissenschaft
ist nicht falsch, aber ergänzungsbedürftig.
Die Naturgesetze bleiben in Geltung, aber manchmal kann die
N. nur noch die Grenzen ausloten: wo berechenbare Ordnung herrscht
und wo uns CHAOS begegnet.
+ Das „deterministische Chaos“ geht aus Ordnung hervor und mündet in
neue Ordnung.
+ Manchmal (für komplexe Systeme, in empfindlichen Grenz-Zuständen, bei
Entwicklungen über längere Zeiträume) ist die Zukunft
nicht
eindeutig berechenbar.
+ Der Glaube an eine umfassend mögliche Natur-Erkenntnis und an die
Beherrschung und zielgerichtete Steuerung der Natur (durch
Technik) steht vor dem Bankrott (wir Menschen können vieles
nicht berechnen, nicht eindeutig und richtig vorhersagen, und wir
können manches auch nicht sicher „in den Griff kriegen“).
Physikbuch Oberstufe: „Trotz aller Berechenbarkeit bleibt
immer ein Rest Offenheit, Freiheit, aber auch Unsicherheit und Unwissenheit.“
+ Die Welt erscheint als ein Prozess in Bewegung, sie ist nicht
endgültig festgelegt, sondern ein für die Zukunft offenes System.
Phänomene wie Kreativität, Wachstum, Lebendigkeit kommen in
den Blick.
4. Warnung vor Chaos-Kult
+
Gefahr der Ideologisierung:
Bieten Chaostheorien nun das neue, endgültige,
allein-erklärende Welt-Deutungs-Muster?
(naturwissenschaftliche Erkenntnis ist immer
vorläufig und verbesserungsbedürftig!)
Lassen sich Erkenntnisse aus Mathematik, Kristallphysik
oder biochemischen Modellsystemen übertragen auf die Erklärung
der Dynamik von Märkten, Revolutionen, Kultur?
+ Computer-Chaos?
Computer sind zwar unerlässlich als Hilfsmittel, um
chaotische Entwicklungen deutlich werden zu lassen, aber es gibt auch CHAOS,
das in Computer-Berechnungen entsteht und mit der
Wirklichkeit nichts zu tun haben muß.
+ Die schönen Bilder vom Chaos („fraktale Geometrie) haben nur sehr am
Rande etwas mit Chaos-Forschung zu tun.
Joachim Krause, Hauptstr.46,
08393 Schönberg, Tel + Fax 03764/3140, Mai 1998