Ist wirklich „in der Schweiz bei der
Organspende (Organentnahme) eine (Voll-)Narkose verbindlich / gesetzlich
vorgeschrieben“, wie das in vielen Publikationen und im Internet zu lesen ist?
Kurze und deutliche Antwort: NEIN!
In der Schweiz gibt es kein Gesetz, das eine Vollnarkose bei der
Organentnahme vorschreibt. Und wenn eine Allgemeinanästhesie bei verstorbenen
(hirntoten) Personeneingesetzt wird, dann nicht mit dem Ziel der
Schmerzausschaltung, sondern allein um „zu verhindern, dass während der
Organentnahme Reflexe aus dem Rückenmark (spinale Reflexe) zu Spontanbewegungen
und zum Anstieg von Blutdruck und Herzfrequenz führen“.
Ich hatte folgende Anfrage an das Schweizer
Bundesamt für Gesundheit BAG geschickt:
Sehr geehrte Damen und Herren,
in den meisten Veröffentlichungen, die ich als (Fach-)Publikationen oder aus
dem Internet kenne, wird sinngemäß mitgeteilt, dass "in der Schweiz bei
der Organentnahme eine (Voll-)Narkose verbindlich - per Gesetz -
vorgeschrieben" sei, mit der Begründung, mögliche Schmerzempfindungen
auszuschließen. Auf der Internetseite des BAG lese ich das anders: "keine
Narkose".
Wie sieht die Praxis im Operationssaal in der Schweiz tatsächlich aus?
Gibt es zur Narkose bei Organentnahme eine gesetzliche Regelung?
Und wenn Narkose häufig oder immer eingesetzt werden sollte, mit welcher medizinisch-fachlichen Begründung geschieht dies?
Ich würde gern mit "echten Schweizer Argumenten" argumentieren können!
Mit freundlichen Grüßen
Joachim Krause
Das Schweizer BAG hat mir nach intensiven
Recherchen am 17.1.2014 folgende Antwort zukommen
lassen
Sehr geehrter Herr Krause
Besten Dank für Ihre Anfrage, die wir Folgendermaßen beantworten:
In der Schweiz schafft das Transplantationsgesetz die rechtliche Grundlage für
die Transplantationsmedizin (hier ein link aus unserem Portal zu den
rechtlichen Grundlagen der Transplantationsmedizin http://www.bag.admin.ch/transplantation/00694/index.html?lang=de
).
Die Aussage, dass in der Schweiz bei einer Organentnahme eine (Voll)Narkose
gesetzlich verbindlich ist, ist nicht korrekt. Die Frage der Narkose bei einer
Organentnahme ist im Transplantationsgesetz nicht geregelt.
Ziel einer (Voll)Narkose (=Allgemeinanästhesie) bei lebenden Personen ist die
Schmerzausschaltung, die Aufhebung des Bewusstseins, die Dämpfung vegetativer
Funktionen bzw. Reaktionen (Bsp. Blutdruckanstieg) und eine Muskelrelaxation
während eines chirurgischen Eingriffs. Diese Ziele können durch die kombinierte
Applikation verschiedener Medikamente erreicht werden. Zur Einleitung oder
Aufrechterhaltung einer Allgemeinanästhesie können Inhalationsanästhetika
eingesetzt werden. Zudem werden bei einer Allgemeinanästhesie präoperativ zur Sedation einleitend auch Beruhigungsmittel verabreicht.
Bei einer Organentnahme ist die Person verstorben und daher funktionieren die
zu blockierenden Rezeptoren im Gehirn nicht mehr. Deswegen kann eine
Allgemeinanästhesie nicht im klassischen Sinne wirken. Sie kann bei
verstorbenen Personen aber verhindern, dass während der Organentnahme Reflexe
aus dem Rückenmark (spinale Reflexe) zu Spontanbewegungen und zum Anstieg von
Blutdruck und Herzfrequenz führen.
Zur Vermeidung spinaler Reflexe empfiehlt in der Schweiz die Schweizerische
Akademie der Medizinischen Wissenschaften in ihrer medizinisch-ethischen
Richtlinien "Feststellung des Todes mit Bezug auf Organtransplantationen
(2011)" bei der Organentnahme die Verabreichung von Inhalationsanästhetika
(http://www.samw.ch/de/Ethik/Richtlinien/Aktuell-gueltige-Richtlinien.html).
Für Informationen zum Vorgehen in der Praxis, können Sie sich an die
Transplantationszentren in der Schweiz wenden (http://www.bag.admin.ch/transplantation/00696/02573/02958/index.html?lang=de).
Freundliche Grüße
Elvira Del Prete
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Dr. Elvira Del Prete
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Eidgenössisches Departement des Innern EDI
Bundesamt für Gesundheit BAG
Direktionsbereich Öffentliche Gesundheit
Seilerstrasse 8, CH-3003 Bern
Tel. +41 31 324 78 88
Fax +41 31 322 62 33
mailto:elvira.delprete@bag.admin.ch
http://www.bag.admin.ch/
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Das Schweizer BAG
teilt zusätzlich auf seiner Internetseite mit
http://www.bag.admin.ch/transplantation/faq/index.html?lang=de#faq_anker_251
:
(Katalog von Fragen und Antworten zur Organspende)
Weshalb werden
verstorbenen Spenderinnen oder Spendern vor oder während der Entnahme von
Organen Medikamente verabreicht?
Eine verstorbene Person braucht
keine Narkose, damit Organe entnommen werden können. Der Nachweis des Hirntodes
ist erfolgt und die Person ist somit tot. Das Gehirn und die beteiligten
zentralen Rezeptoren sind nachgewiesenermaßen irreversibel ausgefallen und
damit auch das Bewusstsein und die Schmerzreaktion.
Periphere Rezeptoren im Rückenmark sind hingegen in ihrer
Funktion nicht beeinträchtigt und können zu so genannten spinalen Reflexen und
damit zu Spontanbewegungen und zum Anstieg von Blutdruck und Herzfrequenz
führen. Deshalb wird der Organspender oder die Organspenderin zur Optimierung
der chirurgischen Tätigkeit sowie zur Vermeidung dieser spinalen Reflexe relaxiert und ein Blutdruck- und Herzfrequenzanstieg mit
entsprechenden Medikamenten (z.B. Opiaten) behandelt.