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INFO-Blatt
ORGANSPENDE

© Joachim Krause 2003

 

1. Geschichte der Organtransplantation
+ 1954: erste erfolgreiche Nierentransplantation USA;
+ 1967: Christiaan Barnard verpflanzt in Südafrika erstmals Menschenherz

2. wichtige Voraussetzungen für die erfolgreiche Entwicklung
+ Intensiv-Medizin: Wiederbelebungstechniken, Techniken zur Überbrückung
    lebensbedrohlicher Zustände (künstl. Langzeit-Beatmung, kreislaufstabilisierende
    Maßnahmen, Dialyse)
+ Entdeckung von Medikamenten, die die Bildung von Antikörpern unterdrücken bzw.
    das Immunsystem unterstützen, brachten den Durchbruch (vorher oft Abstoßung
    "fremder" Organe)
+ Konservierung entnommener Organe: Nieren bis 1,5 Tage, Leber 20 Std., Herz 5 Std.

3. zum aktuellen Stand der Organtransplantation
BRD 1968: 32 Transplantationen; 2004: 4187
 

Organ
 

Transplantationen
2001

Transpl.
2002

Transpl.
2003

2005

jährlicher
Bedarf

Bauchspeicheldrüse

212

163

191

165

600

Lunge

139

198

212

262

200

Herz

409

395

393

395

1000

Leber

662

667

847
(davon 74
Lebendspenden)

952 (davon 64 L.)

1000

Niere

1964

1882

2516
(davon 405
Lebendspenden)

2679
(davon 489 L.)

4000

+ weitere Organe: verpflanzt werden auch Darm, Knochenmark, Gehörknöchelchen,
    Augen-Hornhaut, Gehirngewebe von Föten (bei Parkinson'scher Krankheit);
+ Lebendspende:
    Blut-Spende; Knochenmark; außerdem derzeit in Deutschland nur unter Verwandten
    und sehr nahestehende Personen zulässig: paarige Organe (z.B. Niere: 1993 weniger als 3%
    aller verpflanzten Nieren; Augenhornhaut), Organteile (Leber, Bauchspeicheldrüse)
+ Überlebensrate: nach zwei Jahren leben noch etwa 80% (größere Transplantate);
    bei Herz bis 22, bei Nieren bis 31 Jahre erreicht
+ Spender: z.B. Hirnblutungen, oft Unfall (Trauma - rückläufig);
    Spenderalter spielt geringere Rolle (28% älter als 55 Jahre
+ Kosten (werden von Krankenkassen übernommen):
     AOK 1993:   1 Nierentranspl.    80000 DM
                         1 Lebertranspl.bis 250000 DM
                         gesamt 1993 etwa 500 Mill.DM
    zum Vergleich: Kosten für Dauer-Dialyse (65000 DM pro Jahr) sind viel höher als die
    für eine Nierentranspl.
+ Organisation:
   - Stiftung EUROTRANSPLANT (Leiden/ Holland) organisiert Organvermittlung für
     Deutschland, Österreich, Benelux, Slowenien);
   - mehr als 100 Transplantationszentren; Deutschland 49, in Sachsen: Leipzig, Dresden
   - Kriterien bei der Verpflanzung:
     * Passung des Organs (hoher Grad der Übereinstimmung von Blutgruppe,
        Gewebemerkmalen (bes. wichtig bei Niere) und  Größe des Organs bei Spender
        und  Empfänger)
     * Lebensgefährdung und gesundheitliche Chancen des Empfängers
     * bereits abgelaufene Wartezeit des Empfängers
+ Stimmungswandel:
     * Angehörige, die Organspende ablehnen: 1990: 10%; 1991: 19%; 1994: 31% 1995: 32%
                                                                                      1999: 36,3%, 2004: 40%
+ nur etwa 3% (1997) der Erwachsenen haben für sich selbst eine ausdrückliche Entscheidung
       für Org.-Spende getroffen

4. Regelung zur Entnahme von Organen durch ein Transplantationsgesetz

4.1. Modelle für Transplantationsgesetz
+ wichtige Fragen:
   Unter welchen Bedingungen ist Organentnahme zulässig?
   Wann ist ein Mensch tot (Hirntod)?
   Wer muss einer Organ-Entnahme zustimmen?)
* (enge) Zustimmungslösung
   Die Organentnahme ist grundsätzlich unzulässig, es sei denn, der potentielle Organspender
    hat zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt. Seine fehlende Einwilligung ist später durch
    keinen Vertreter ersetzbar (diese strenge Regelung gibt es derzeit in keinem Land der Welt).
* (erweiterte) Zustimmungslösung
   Die Organentnahme ist grundsätzlich unzulässig, wenn der potentielle Organspender zu Lebzeiten
    nicht eingewilligt hat. Die Einwilligung kann jedoch nach seinem Tod ersatzweise von den
    Angehörigen abgegeben werden. Diese Lösung wird derzeit in der BRD, Großbritannien, Holland,
    Dänemark und Schweden praktiziert.
* Widerspruchslösung
   Die Organentnahme ist grundsätzlich zulässig, es sei denn, der potentielle Organspender hat
    zu Lebzeiten ausdrücklich (schriftlich) widersprochen (evtl. auch seine Angehörigen).
    Diese Lösung gilt in Frankreich, Belgien, Österreich und Italien
   (galt seit 1975 auch in der DDR; Fortgeltung als Landesrecht in den neuen Bundesländern bis 1997?).

4.2. Transplantationsgesetz Deutschland (seit Dezember 1997 in Geltung)
- Aufklärung der Bevölkerung
- Organentnahme nur erlaubt bei vorliegender Zustimmung des Spenders
- wenn keine Erklärung vorliegt, Entscheidung über Organentnahme durch nächste Angehörige
    (Rangfolge: Ehegatten, volljährige Kinder, Eltern, volljährige Geschwister, Großeltern)
    oder vom Spender benannte Vertrauensperson;
    Bedingung: persönlicher Kontakt  in den letzten zwei Jahren
- Voraussetzung für Organentnahme: Feststellung des Hirntodes durch zwei unabhängige Ärzte
- Verteilung der Organe über zentrale und neutrale Vermittlungsstelle
- Organhandel verboten

Möglichkeiten der Willenserklärung zur Organspende:
- formlose Erklärung für oder gegen Organspende
- Organspende-Ausweis mit genereller Bereitschaft zur Organspende
- Formular "Erklärung zur Organspende" -ankreuzen:
  a) generelle Zustimmung (ab 16 Jahre)
  b) Zustimmung nur zur Entnahme bestimmter Organe
  c) Entscheidung soll nach dem Tod durch eine konkret benannte Vertrauens-Person
        getroffen werden (ab 16 Jahre)
  d) Widerspruch gegen Entnahme (ab 14 Jahre)
- Entscheidung muss jederzeit änderbar sein

5. Wann ist der Mensch tot?
-  das Hirntod-Problem
- "klinischer Tod", "Herztod":
   Atemstillstand, Herz schlägt nicht mehr; seit Verfügbarkeit von Wiederbelebungstechniken,
    künstl. Langzeitbeatmung, kreislaufstabilisierenden Maßnahmen nicht mehr eindeutig
- "Hirntod" als zusätzliches Todeskriterium für den Bereich der Intensiv-Medizin eingeführt;
   Körper noch warm, Organe durchblutet und mit Nährstoffen versorgt;
    ohne künstlich aufrechterhaltene Atmung usw. stirbt Hirntoter mit Sicherheit

5.1. Definition des "Hirntodes":
- erstmals erfolgt 1968 an der Harvard Medical School USA
- Kriterien des Hirntodes, Bundesärztekammer 1997:
  "Zustand der irreversibel erloschenen Gesamt-funktion des Groáhirns, des Kleinhirns und des
    Hirnstamms. Dabei wird durch kontrollierte Beatmung die Herz- und Kreislauffunktion
    noch künstlich aufrechterhalten... Festgestellt wird nicht der Zeitpunkt  des eintretenden,
    sondern der Zustand des bereits eingetretenen Todes".

5.2. Diagnose Hirntod:
(Kriterien des Hirntodes als detaillierte Empfehlungen festgelegt von der Bundesärztekammer erstmals 1982; derzeit gilt Fassung von 1997)
a) eindeutige Diagnose der Ursachen (keine Unterkühlung, Vergiftung usw.)
b) klinische Symptome (neurologische Befunde zur Prüfung der Hirnstamm-Reflexe)
- tiefes Koma
- Fehlen des Pupillenreflexes (weit, reagiert nicht auf Belichtung)
- erloschenes "Puppenkopfphänomen" (Augen machen Bewegung des Kopfes mit)
- Fehlen des Korneal-Reflexes (bei Hornhautreizung Lid-Zucken)
- Fehlen der Trigeminus-Schmerz-Reaktion (z.B. Zahnstocher an Nasenscheidewand)
- Ausfall des Würge- und Husten-Reflexes (mit Sonde Gaumensegel und Luftröhre reizen)
- Ausfall der Spontanatmung (Patienten kurzzeitig vom Beatmungsgerät trennen)
- Reaktionen auf akustische Reize?
- Spontan-Bewegungen?
c) ergänzende Untersuchungen
- isoelektrisches EEG (Hirnstromkurvenbild) - über 30 Minuten Null-Linie
- Doppler-Sonographie (Ultraschall-Nachweis für Blutzirkulation im Gehirn)
- Angiographie (Nachweis der Blutzirkulation im Gehirn mit Kontrastmitteln)
d) Grundregel zur Feststellung des Hirntodes:
  Erstellen der Hirntod-Diagnose muss durch zwei Ärzte unabhängig voneinander erfolgen.
    Keiner von ihnen darf an einer späteren Organentnahme oder -übertragung beteiligt sein.
   Die Untersuchungen sind nach 12 Stunden zu wiederholen (Kinder: 24 Stunden;
    Neugeborene: 3 Tage).

5.3. Anerkennung/Probleme:
- Das Kriterium des "Hirntodes" wird in den meisten Industriestaaten in Rechtssprechung
    und Medizin anerkannt,
    in Japan, Nordkorea, Israel und Indien jedoch aus religiösen und  weltanschaulichen
    Gründen abgelehnt.
- doch noch "Lebenszeichen"? (Reaktionen bei Organentnahme: Blutdrucksteigerung,
  Pulsfrequenz-Erhöhung; spontane Bewegungen; Fieber; Schwitzen; Mutter des "Erlanger
  Babys" war hirntot; hirntote Männer sind noch fortpflanzungsfähig...)
- Teil-Tod? (Trennung Leib-Seele)
- Eingriff in das Sterbegeschehen? (Sterben als Prozess; Sterbe-Begleitung)
- Hirntod als Entnahme-Kriterium, als Konvention über Zeitpunkt der Zulässigkeit einer
    Organentnahme, nicht als Definition des Todes?

6. mögliche Probleme bei den Organ-Empfängern
- biologische Abstoßung des Fremd-Gewebes
- dauerhafte Abhängigkeit von Medikamenten (Immunsystem unterstützen, Antikörperbildung
    unterdrücken);
    dauerhafte medizinische Betreuung
- ständige Ansteckungsgefahr (oft kein normales Leben möglich, z.B. kein Besuch von Konzerten,
    Kaufhäusern)
- Leberschäden (durch Medikamente)
- psychische Probleme beim Leben mit einem "fremden" Organ
- Schuldgefühle (damit ich leben kann, muss ein anderer Mensch sterben...)

7. Organ-Handel?
- schwarzer Markt existiert (3.Welt: z.B. Nieren, Augen)
- in Deutschland: Kauf und Verkauf von Organen strafbar
- bedenklich: Pharmakonzern, der mit Transplantations-Medikamenten 1,5 Mrd. DM/Jahr
    umsetzt, schult medizinisches Personal für Akzeptanzgespräche zur Organentnahme
    (TV Bay3, 7.9.95)

8. Alternativen zur Transplantation von Organen
- elektromechanische Teiltransplantate (z.B. Herzpumpen - Juli`96 Funktionsfähigkeit von
    2 Jahren erreicht; "künstl. Herz" ferne Utopie)
- (xenogener) Zelltransfer (Transplantation von gesundem Zellgewebe in die kranken Organe)
- Xeno-Transplantation (z.B. Organe von speziell gezüchteten Schweinen,
    gentechnische Unterdrückung der Immunabwehr)

9. Stellungnahmen aus christlichen Kirchen und anderen Religionen
- "Grundsätzlich anzuerkennen ist die Absicht, durch Organspende und Organverpflanzung
    leidenden oder lebensbedrohten Mitmenschen zu helfen. Deshalb haben bereits bisher kirchliche
    Äußerungen zur Organspende nach dem eigenen Ableben ermuntert. Die Kirchen wollen
    auch weiterhin die Bereitschaft zur Organspende wecken und stärken. Die Organspende
    kann  eine Tat der Nächstenliebe über den Tod hinaus sein... "
   ("Gott ist ein Freund des Lebens", gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelischen
   Kirche in Deutschland und der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, 1989, S.103)
- "Der Hirntod bedeutet ebenso wie der Herztod den Tod des Menschen...Aus christlicher Sicht
    ist die Bereitschaft zur Organspende nach dem Tod ein Zeichen der Nächstenliebe..."
   ("Organtransplantationen" - gemeinsame Erklärung der Dtsch. Bischofskonf. u. d. Rates der
    EKD 1990, S. 15/23)
- "...Aufgabe der Kirche...Sensibilität und Problembewußtsein für Fragen der Organspende
    zu wecken und die Bereitschaft zur Organspende zu stärken..." (Synode der EKD Nov. 1993)
- Bischof Engelhardt 1994: Organspende ist nicht "Christenpflicht"
- „Organweitergabe ist eine menschliche Pflicht und kein Akt der  Nächstenliebe... Der Mensch steht
  in einer Bringeschuld gegenüber seinen Mitmenschen... Organweitergabe ist Weiterreichung des
  Segens, um damit unverdient Empfangenes selbstverständlich weiterzugeben.
  (Pfarrer Prof. Dr. Werner Stroh, Krankenhausseelsorger, Klinikum
  Gießen, Vortrag Ev. Akademie Loccum 2.11.94)
- „...Transplantation von lebenswichtigen Organen ist gemäß der jüdischen Vorschrift nur dann
  möglich, wenn die Funktion dieser Organe beim Spender wie beim Empfänger nicht mehr gegeben ist.
  Jede Transplantation dieser Organe, solange das Herz funktioniert, bedeutet nach jüdischer Auffassung
  einen doppelten Mord: Mord des Spenders – denn gemäß unserer Definition lebt er noch – sowie des
  Empfängers (Entfernung funktionstüchtiger Organe)...“
  (Landesrabbiner Joel Berger, Zentralrat der Juden, Stellungnahme vor dem Gesundheitsausschuss
  des Bundestages 25.9.96;
  Quelle: Siegmund-Schultze: Organtransplantation, Rowohlt Hamburg 1999, S.248)
- Stellungnahme der EKD zur Anhörung beim Bundestag für ein Transplantationsgesetz (1995):
   Organtransplantation ist grundsätzlich ethisch zulässig; das Kriterium des "Hirntodes" ist keine
    Definition für den Tod des Menschen; Gesellschaft und Mitmenschen haben keinerlei Anspruch
    auf den Körper eines Menschen; ausdrückliche Zustimmung des Spenders selbst oder seiner
    nächsten Angehörigen zur Organentnahme erforderlich; breite öffentliche Diskussion notwendig
 

Evangelisch-Lutherisches Landeskirchenamt Sachsens, Landesbeauftragter für Glaube und Naturwissenschaft, Joachim Krause, Hauptstr.46, 08393 Schönberg,