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Tödliche
Dosis in Extremfällen legal
Schwer kranke Menschen dürfen künftig ein Mittel zur
Selbsttötung mit Zustimmung des Staates erwerben.
VON CHRISTINA STICHT
LEIPZIG- Schwer kranken, sterbewilligen Patienten darf der Staat in extremen
Ausnahmefällen den Zugang zu einer tödlichen Dosis Betäubungsmittel für einen
Suizid nicht verwehren. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gestern
entschieden. Das Persönlichkeitsrecht umfasse unter bestimmten Voraussetzungen
auch das Recht zu entscheiden, wie und wann er aus dem Leben scheiden wolle.
Zugrunde lag der Fall einer Frau, die nach einem Unfall hochgradig querschnittsgelähmt
und pflegebedürftig war. Sie wollte ihrem als unwürdig empfundenen Leben
ein Ende setzen und beantragte beim Bundesinstitut für Arzneimittel urıd
Medizinprodukte (BfArM) die Erlaubnis, 15 Gramm Natrium-Pentobarbital zu
erwerben. Das Institut lehnte ab, weil dies durch das Betäubungsmittelgesetz
ausgeschlossen sei. Die Frau nahm sich 2005 in der Schweiz mit Hilfe eines
Vereins das Leben. Ihr Ehemann hat sich seither durch die Instanzen geklagt. Er
wollte festgestellt wissen, dass der Bescheid des BfArM rechtswidrig war. Das
hat das Bundesverwaltungsgericht nun so entschieden - und damit für ähnliche
extreme Fälle einen bisher versperrten Weg eröffnet. Die Leipziger Richter
argumentierten mit dem Grundgesetz: „Aus Sicht des Senats ist die entscheidende
Frage, wie es verfassungsrechtlich zu sehen ist“, sagte die Vorsitzende Richterin
Renate Philipp. Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen aus Artikel 1 und 2
des Grundgesetzes schütze auch das Recht des Einzelnen, seinem Leben ein
selbstbestimmtes Ende zu setzen. Grundsätzlich sei es nach den Vorschriften des
Betäubungsmittelgesetzes nicht möglich, den Erwerb einer tödlichen Dosis zum Zweck
des Suizids zu erlauben. Es sei aber „eine Ausnahme für schwer und unheilbar kranke
Patienten zu machen, wenn sie wegen ihrer unerträglichen Leidenssituation frei
entschieden haben, ihr Leben beenden zu wollen, und ihnen keine zumutbare Alternative
- etwa durch einen palliativ-medizinisch begleiteten Behandlungsabbruch - zur
Verfügung steht“. Der Anwalt des 74 Jahre alten Klägers sagte, die Entscheidung
habe eine große Signalwirkung für
ähnlich gelagerte Fälle. Allerdings ließen die Leipziger Richter
offen, ob die Frau des Klägers tatsächlich ein extremer Einzelfall gewesen
wäre. Das BfArM hätte das damals prüfen müssen. „Diese Prüfung lässt sich nicht
mehr nachholen“, teilte das Gericht mit. Kritik an dem Urteil kam von der
Deutschen Stiftung Patientenschutz. Die Entscheidung sei praxisfern. „Denn was
eine unerträgliche Leidenssituation ist, bleibt offen“, erklärte Vorstand Eugen
Brysch. „Leiden ist weder objektiv messbar noch juristisch allgemeingültig zu
definieren. Auch ist das ein Schlag ins Gesicht der Suizidprävention in Deutschland.“
(dpa)
(Quelle: Freie Presse Chemnitz 3.3.2017 S.8)