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Cornelia Krause:
Sterbehilfe als ethisches Problem am Beispiel der niederländischen Gesetzgebung vom 1. April 2002 unter besonderer Berücksichtigung neuerer Stimmen aus Kirche und Theologie in Deutschland und den Niederlanden, Diplomarbeit Theologische Fakultät Universität Leipzig WS 2002/2003

 

Kontakt mit der Autorin über corneliasorger@web.de

 

Inhalt

 

Einleitung

Begriffliche Klärungen

 

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I. Das neue niederländische Sterbehilfegesetz im Kontext der Debatte um

    die aktive freiwillige Sterbehilfe

 

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I.1. Inhalt, wichtigste Neuerungen und Ziele des Gesetzes

I.2. Die Geschichte der niederländischen Sterbehilfepolitik

I.3. Zentrale ethische Denkfiguren in der Diskussion um die Tötung auf Verlangen

I.3.1. Prinzipielle Argumente

I.3.1.1. Das Autonomieprinzip

I.3.1.2. Das ärztliche Berufsethos

I.3.1.3. Das Recht auf einen würdigen Tod und der Wert des menschlichen

            Lebens

I.3.2. Praxisorientierte Argumente

I.3.2.1. Das Problem der Grenzfälle: Regelung der Ausnahmen?

I.3.2.2. Empirische Dammbruchargumente

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II. Die Diskussion um die aktive freiwillige Sterbehilfe in theologischer Perspektive

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II.1. Kirchliche Stellungnahmen

II.1.1. Niederlande

II.1.1.1. Stellungnahmen der Samen-op-Weg-Kirchen

II.1.1.2. Stellungnahmen der römisch-katholischen Bischofskonferenz

II.1.2. Deutschland

II.1.3. Auswertung und Vergleich

II.2. Theologische Argumente für die Tötung auf Verlangen

II.2.1. Harry Kuitert: Der gewünschte Tod

II.2.2. Hans Küng: Menschenwürdig Sterben

II.2.3. Kritische Würdigung

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Inhalt

 

 

 

III. Die aktive freiwillige Sterbehilfe als ethisches Problem – eine

        abschließende theologische Betrachtung

III.1. Der Beitrag der Theologie zur aktuellen Sterbehilfedebatte

III.2. Praktische Konsequenzen

III.2.1. Vermeidung von Grenzsituationen

III.2.2. Zum rechtlichen Umgang mit Tötungshandlungen in Grenzsituationen

 

Schlusswort

 

Literaturverzeichnis

Kirchliche Stellungnahmen – Niederlande

Kirchliche Stellungnahmen – Deutschland

Anhang: Gesetz über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe

               bei der Selbsttötung

 

 

 

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Einleitung

 

Am 1.April dieses Jahres trat in den Niederlanden das Gesetz über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei der Selbsttötung in Kraft.[1] Die Niederlande waren damit das erste europäische Land, das die aktive ärztliche Sterbehilfe unter bestimmten Voraussetzungen legalisiert hat.[2] Inzwischen ist Belgien diesem Beispiel gefolgt. Bereits die Verabschiedung des genannten Gesetzes am 10.April 2001 hatte auch in der deutschen Presse z.T. heftige Reaktionen hervorgerufen und die Debatte um Sterbehilfe und Sterbebegleitung für kurze Zeit neu aufflammen lassen. Erstaunlich ist dieser Sachverhalt insofern, als die neue gesetzliche Regelung weniger die ärztliche Praxis in den Niederlanden als deren rechtlichen Status zu betreffen scheint, wurde doch schon vor der Gesetzesnovelle unter bestimmten Voraussetzungen davon abgesehen, Ärzte, die aktive Sterbehilfe geleistet hatten, strafrechtlich zu verfolgen.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich ausgehend von den jüngsten Entwicklungen in den Niederlanden mit dem ethischen Problem der aktiven Sterbehilfe: Gibt es Fälle, in denen die intendierte Tötung eines Menschen durch den Arzt als moralisch gerechtfertigt betrachtet werden kann? Ist ärztliche Hilfe zur Selbsttötung angesichts unerträglichen Leidens ein Gebot der Menschlichkeit und beinhaltet die Autonomie des Menschen als integraler Bestandteil seiner Würde nicht ein Recht, über den Zeitpunkt des eigenen Todes zu bestimmen? Oder gelangt das menschliche Selbstbestimmungsrecht im Sterben an eine Grenze, an der die Unverfügbarkeit und Heiligkeit des Lebens gewahrt und im Zweifelsfalle eben auch erlitten werden müssen? Muss die teilweise Rechtfertigung der aktiven Sterbehilfe nicht einem ärztlichen, familiären und gesellschaftlichen Missbrauch Tor und Tür öffnen? Diese und andere Fragen sollen im Folgenden näher beleuchtet werden.

Der erste Teil der Arbeit stellt das neue niederländische Gesetz in den Vordergrund und skizziert sowohl seine Geschichte als auch die Hauptlinien der Debatte, die diese begleitet hat und die mit dem Inkrafttreten des Gesetzes keineswegs beendet ist.[3] Explizit theologische Argumente werden dabei bewusst außen vor gelassen. Ihnen ist der zweite Teil der Arbeit gewidmet, der sich zunächst mit den offiziellen Stellungnahmen der großen Kirchen in Deutschland und den Niederlanden zur Sterbehilfe beschäftigt. Anschließend kommen zwei Theologen zu Wort, die das Recht auf einen selbstbestimmten Tod in den letzten Jahren aus-drücklich befürwortet haben. In Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen theologischen Positionen wird besonders darauf zu achten sein, welchen spezifischen Beitrag die Theologie über die auch anderswo anzutreffenden Argumente hinaus für die Diskussion um die aktive Sterbehilfe leisten kann.

Begriffliche Klärungen

 

Das ethische Problem der Sterbehilfe umfasst weit mehr als die Tötung auf Verlangen und Beihilfe zur Selbsttötung, wie sie in der niederländischen Gesetzesnovelle geregelt sind. Um Missverständnissen vorzubeugen sollen hier die wichtigsten Differenzierungen in der international z.T. unterschiedlich verwendeten Terminologie noch einmal kurz erläutert und eine Sprachregelung für diese Arbeit festgelegt werden.

 

Grundsätzlich unterscheidet man die Hilfe zum Sterben und die Hilfe im Sterben. Letztere wird auch als Sterbebeistand bzw. Sterbebegleitung bezeichnet. Unter Sterbebegleitung versteht man alle Formen der therapeutischen, pflegerischen, seelsorgerlichen und mitmenschlichen Zuwendung zum Sterbenden, die nicht in unmittelbarem ursächlichen Zusammenhang mit dessen Tod stehen.[4]

 

Sterbehilfe oder Euthanasie ist der Oberbegriff für verschiedene Formen der Hilfe zum Sterben und bezeichnet einen „Akt des Tötens bzw. Sterbenlassens eines schwer Leidenden oder Sterbenden durch einen anderen Menschen [...], der stets das Wohl des Sterbenden bezwecken muss.”[5] Dieser Begriff ist hinsichtlich der Art der Handlung, der Intention des Handelnden sowie der Zustimmung des Betroffenen durch entsprechende Adjektive zu präzisieren.

 

Die wichtigste und zugleich umstrittenste Differenzierung des Sterbehilfebegriffs bildet die Aktiv-passiv-Unterscheidung. Als aktive Sterbehilfe gilt demnach die „gezielte Lebensverkürzung durch Tötung des Sterbenden”[6], wohingegen unter passiver Sterbehilfe der „Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen beim Todkranken”[7] verstanden wird. Vor allem Befürworter der aktiven Sterbehilfe stellen diese Unterscheidung z.T. in Frage, indem sie auf das Mitleid mit dem Schwerkranken als übereinstimmendes Motiv, die Erlösung von unerträglichem Leid als übereinstimmende Intention und den Tod des Patienten als übereinstimmendes Resultat von aktiver und passiver Sterbehilfe verweisen. Eine bewusst gewählte Unterlassung zähle als negative Bedingung zu den Ursachen des Todes und sei moralisch genauso zu bewerten wie eine Handlung.[8]

Dieser Kritik ist insofern Recht zu geben, als die gebräuchliche Nomenklatur zur Bezeichnung des jeweils Gemeinten in der Tat ungeeignet erscheint. So kann die sogenannte passive Sterbehilfe keineswegs mit Handlungsabstinenz gleichgesetzt werden. Die Aktiv-passiv-Unterscheidung darf außerdem nicht dazu führen, dass die Verantwortung für einen Behandlungsverzicht oder -abbruch bagatellisiert wird.

Dennoch gibt es Gründe, die – jedenfalls hinsichtlich der bezeichneten Sachverhalte – für die Beibehaltung einer solchen Differenzierung sprechen. Im Falle einer Tötung ist das ärztliche Handeln in ausschließlicherer Weise als Todesursache zu betrachten als dies bei einem Behandlungsabbruch der Fall ist. Zudem wird die passive Sterbehilfe dem prämoralischen Sachverhalt gerecht, dass Menschen den Tod in der Regel als Geschick erfahren und wahrnehmen, nicht aber als Tat.[9] Vielleicht ist das der Grund dafür, dass die meisten Menschen intuitiv sehr wohl zwischen Töten und Sterbenlassen unterscheiden. Da die gesetzliche Neuregelung in den Niederlanden in ihrer Beschränkung auf die aktive Sterbehilfe die Aktiv-passiv-Unterscheidung implizit voraussetzt, empfiehlt sich deren Beibehaltung in dieser Arbeit auch aus praktischen Gründen.

 

Die Direkt-indirekt-Unterscheidung bezieht sich auf die Intention, die dem lebensverkürzenden Handeln zugrunde liegt. Wird die Verkürzung des Lebens als Nebenwirkung einer Behandlung lediglich in Kauf genommen, nicht aber bezweckt, wie beispielsweise bei einer schmerzlindernden Morphiumtherapie, so spricht man von indirekter Sterbehilfe.[10] Auch diese Unterscheidung ist keineswegs unumstritten. Kritiker weisen vor allem darauf hin, dass sich Intentionen jeglicher objektiven Kontrolle entziehen, und daher jedenfalls als rechtliches Kriterium ungeeignet sind. Damit ist jedoch ihre moralische Relevanz keineswegs widerlegt. Zudem spielt die Handlungsintention in der Rechtsprechung durchaus eine Rolle.

 

Im Hinblick auf den Willen des bzw. der Sterbenden müssen freiwillige, nicht-freiwillige und unfreiwillige Sterbehilfe unterschieden werden. Von nicht-freiwilliger Sterbehilfe ist dann die Rede, wenn der oder die Betroffene dauerhaft nicht bzw. nicht mehr in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen wie es zum Beispiel bei schwerstgeschädigten Neugeborenen oder Komapatienten der Fall ist. Unfreiwillige Sterbehilfe bezeichnet die Tötung eines entscheidungsfähigen Menschen ohne oder gar gegen dessen ausdrücklichen Wunsch.[11]

 

Eine weitere Form der Sterbehilfe stellt die Beihilfe zum Suizid dar. Sie unterscheidet sich von aktiver und passiver Sterbehilfe dadurch, dass die „Tatherrschaft” beim Betroffenen selbst liegt, während ein anderer lediglich die Mittel zur Selbsttötung bereitstellt.[12]

 

Zuletzt sei noch auf eine Besonderheit in der niederländischen Sprachregelung hingewiesen. Der Begriff der Euthanasie ist dort für ein absichtlich lebensbeendendes Handeln durch eine andere als die betroffene Person auf deren ausdrückliche Bitte hin reserviert und bezieht sich damit nach der oben vorgestellten Nomenklatur ausschließlich auf die aktive freiwillige Sterbehilfe, die auch als Tötung auf Verlangen bezeichnet wird.[13]

 

In Anbetracht der Fülle der unter den Begriff Sterbehilfe fallenden Phänomene und der mit ihnen verbundenen ethischen Fragen muss in der vorliegenden Arbeit eine Beschränkung vorgenommen werden. Anknüpfend an das neue niederländische Sterbehilfegesetz werde ich mich im Folgenden auf Probleme der aktiven freiwilligen Sterbehilfe und der Beihilfe zum Suizid konzentrieren und beide zusammen als ärztlich unterstütztes Sterben bezeichnen.[14] Wenn die Auseinandersetzung mit der  Tötung auf Verlangen dabei im Vordergrund steht, so deshalb, weil sie das komplexere ethische Problem darstellt.[15]

 

 




I. Das neue niederländische Sterbehilfegesetz im Kontext der Debatte um die aktive freiwillige Sterbehilfe

 

I.1. Inhalt, wichtigste Neuerungen und Ziele des Gesetzes

 

Das Gesetz über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei der Selbsttötung regelt einen Ausnahmefall im Strafgesetzbuch, indem es lebensbeendendes Handeln und Beihilfe zum Suizid durch den Arzt unter bestimmten Bedingungen für straffrei erklärt. Tötung auf Verlangen und Hilfe zur Selbsttötung werden demnach nicht gerichtlich geahndet, wenn der Arzt sich an die im Artikel 2 des Gesetzes genannten Sorgfaltskriterien hält und dem örtlichen Leichenbeschauer gemäß Artikel 7 Absatz 2 des Gesetzes über das Leichen- und Bestattungswesen Meldung erstattet.[16] Darüber hinaus enthält das Gesetz Bestimmungen zu Zusammensetzung, Aufgaben und Arbeitsweise von fünf regionalen Kontrollkommissionen, die das ärztliche Handeln anhand der gesetzlich festgelegten Bedingungen prüfen sollen.[17]

Im Kontext der ethischen Debatte sind besonders die erwähnten Sorgfaltskriterien von Belang. Sie beziehen sich im Wesentlichen auf die Art der Bitte um Sterbehilfe, den Zustand des Patienten, die Beratungspflicht des Arztes mit mindestens einem Fachkollegen, sowie die medizinisch sorgfältige Ausführung der Tötung auf Verlangen bzw. der Beihilfe zum Suizid. Der Arzt ist demzufolge nur dann zur Sterbehilfe im Sinne des Gesetzes berechtigt, wenn er zu der Überzeugung gelangt ist, dass die Bitte des Patienten freiwillig und aufgrund reiflicher Überlegung sowie ausreichender Information über seinen Zustand und seine Behandlungs-möglichkeiten zustande gekommen ist. Darüber hinaus muss sich der Patient in einer aussichtslosen und unerträglichen gesundheitlichen Lage befinden.

Vorab verfasste schriftliche Patientenverfügungen werden durch die neuen Bestimmungen ausdrücklich anerkannt, wobei ihre Befolgung den gleichen Bedingungen unterliegt wie die aktuelle mündliche Bitte. Auf den Status einer Sterbehilfebitte von Minderjährigen im Alter von 12 bis 17 Jahren geht das Gesetz gesondert ein.[18]

Die hier in groben Zügen skizzierte gesetzliche Neuregelung ändert die bisher in den Niederlanden gebräuchliche Praxis kaum, stellt diese aber auf eine neue Grundlage. Durch die Ausnahmebestimmungen im Strafgesetzbuch werden diejenigen Fälle von aktiver Sterbehilfe und Beihilfe zum Suizid, in denen bereits vorher von Strafverfolgung abgesehen werden konnte, nun ausdrücklich legalisiert. Dadurch soll gewissenhaftes und medizinisch sorgfälti-ges Handeln im Zusammenhang der Sterbehilfe entkriminalisiert und den betreffenden Ärzten mehr Rechtssicherheit zugebilligt werden. Gleichzeitig soll die gesetzliche Verankerung der Sorgfaltskriterien die Patienten vor einem Missbrauch der ärztlichen Sterbehilfe schützen. Die seit 1998 arbeitenden regionalen Kontrollkommissionen erhalten durch ihre neue rechtliche Grundlage einen höheren Stellenwert.

Nach Aussage der betreffenden Ministerien zielt das Gesetz damit insgesamt auf größt-mögliche Offenheit und Kontrollierbarkeit und soll das sorgfältige Handeln der Ärzte fördern.[19]

 

 

I.2. Die Geschichte der niederländischen Sterbehilfepolitik[20]

 

Das Gesetz über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei der Selbsttötung ist das Ergebnis einer ca. 30jährigen Geschichte, in der das Thema Sterbehilfe in einem komplizierten Spannungsgefüge von Recht, Medizin und Politik diskutiert wurde. Damit ist die niederländische Auseinandersetzung mit der Euthanasieproblematik vergleichs-weise jung.[21] Zudem ist zu beachten, dass die Debatte –  anders als in Deutschland – nicht vor dem Hintergrund eines verbrecherischen Sterbehilfemissbrauches in der Vergangenheit stattfand, also geschichtlich weniger belastet war.[22]

 

Um 1970 erhielt die Diskussion einen theoretischen und einen praktischen Anstoß. 1969 erschien in den Niederlanden ein Buch mit dem Titel Medizinische Macht und medizinische Ethik, das heftige Reaktionen in der Öffentlichkeit auslöste.[23] Sein Autor Jan Hendrik van den Berg vertrat die Ansicht, dass sich die ärztliche Lebenserhaltungspflicht vor dem Hintergrund des medizinisch-technischen Fortschritts nicht mehr allein an den Möglichkeiten, sondern am Sinn weiterer Behandlung orientieren solle. Wenn medizinische Maßnahmen nicht länger sinnvoll erschienen, könne der Arzt das Leben des Patienten durch Behandlungsabbruch bzw. Tötung beenden.

Für weiteren Zündstoff sorgte vier Jahre später ein spektakulärer Prozess. Die Ärztin Postma wurde durch das Gericht von Leeuwarden zu einer Gefängnisstrafe von einer Wochen auf Bewährung verurteilt, nachdem sie ihre sterbenskranke Mutter auf deren ausdrückliche Bitte hin mit einer Überdosis Morphium getötet und anschließend darüber Meldung erstattet hatte. Im Laufe der Verhandlungen brachte ein als Zeuge beteiligter Gesundheitsinspektor erstmals bestimmte Bedingungen ins Spiel, unter denen aktive ärztliche Sterbehilfe zulässig sein sollte. Als solche nannte er das aussichtslose, unerträgliche Leiden der Verstorbenen, ihre ausdrückliche Bitte um Sterbehilfe und ihren ohnehin kurz bevorstehenden Tod. Indem sich das Gericht zur Begründung seines milden Urteils weitgehend auf diese Kriterien berief, schuf es einen für die folgende Entwicklung wichtigen Präzedenzfall.[24]

Im Zusammenhang des Postma-Falles hatten sich verschiedene Personen des öffentlichen Lebens zur ärztlichen Praxis der Tötung auf Verlangen bekannt. Die dadurch angestoßene Debatte, an der sich alle bedeutenden gesellschaftlichen Gruppierungen beteiligten, war durch eine wachsende Zustimmung zum ärztlich unterstützten Sterben gekennzeichnet.[25] Dabei verlief die Trennlinie zwischen Gegnern und Befürwortern quer durch alle sozialen Gruppen und Parteien mit Ausnahme der Christdemokraten, die eine konsequent ablehnende Haltung vertraten.

 

Seit 1974 bemühte sich die niederländische Ärztevereinigung[26] in Zusammenarbeit mit dem Justizministerium um eine verbindliche Formulierung der Bedingungen, unter denen Tötung auf Verlangen und Beihilfe zum Suizid durch einen Arzt nicht bestraft werden sollten. Zehn Jahre darauf veröffentlichte die niederländische Ärzteschaft eine erste Grundsatzerklärung mit den von ihr erarbeiteten Sorgfaltskriterien, die wiederum ein Jahr später vom Justiz-ministerium ausdrücklich anerkannt wurden.[27]

 

In den 80er Jahren begann man, über eine bedingte Legalisierung der aktiven ärztlichen Sterbehilfe zu diskutieren. Es war jedoch wiederum ein Aufsehen erregender Prozess, der den rechtlichen Umgang mit diesem Problem für lange Zeit bestimmen sollte. Im sogenannten Schoonheim-Fall berief sich der Oberste Gerichtshof zur Begründung eines Freispruchs auf den im niederländischen Strafgesetzbuch verankerten Notstand.[28] Die Anwendung des Notstandsparagraphen wurde damit begründet, dass der betreffende Arzt aus einem unlös-baren Pflichtenkonflikt heraus gehandelt habe, da sowohl Lebenserhaltung als auch Leidens-minderung zu seinen beruflichen Aufgaben gehörten. Die seit dem Postma-Urteil in der Rechtsprechung verwendeten Sorgfaltskriterien wurden damit nicht einfach gegenstandslos, sondern dienten nun dazu, das Vorliegen eines Notstandes glaubhaft zu machen. Die gerichtliche Entscheidung im Schoonheim-Fall hatte Modellcharakter und prägte den rechtlichen Umgang mit dem ärztlich unterstützten Sterben bis hin zur jüngsten gesetzlichen Neuregelung.

 

Mitte der 80er Jahre gab es erste konkrete Vorschläge, die bedingte Straffreiheit für Ärzte, die aktive Sterbehilfe geleistet hatten, gesetzlich zu verankern. Diese konnten sich jedoch nicht durchsetzen. Die 1989 neu gewählte Regierung beschloss, ihre weiteren Überlegungen zum Umgang mit der Sterbehilfe von empirischen Daten abhängig zu machen und gab 1990 eine entsprechende Studie in Auftrag. Gleichzeitig wurde eine spezielle Meldeprozedur eingeführt, um das Verfahren in Fällen aktiver Sterbehilfe zu vereinheitlichen.[29]

1991 veröffentlichte die nach ihrem Vorsitzenden benannte Remmelink-Kommission ihre Ergebnisse.[30] Diese zeigten unter anderem, dass die Bereitschaft, einer Sterbehilfebitte unter bestimmten Bedingungen Folge zu leisten, in der Ärzteschaft weit verbreitet war (88%). Mehr als die Hälfte der befragten Ärzte (54%) gab an, einer solchen Bitte schon einmal entsprochen zu haben. Gleichzeitig ergab die Studie, dass nur 18% der Fälle von Tötung auf Verlangen und medizinisch assistiertem Suizid gemeldet worden waren.

In Folge des Remmelink-Berichtes kam es 1994 zu einer ersten Gesetzesänderung. Die 1990 eingeführte Meldeprozedur wurde in Artikel 10 des Bestattungsgesetzes verankert. Am strafrechtlichen Status der Sterbehilfe änderte sich dadurch zwar nichts, dennoch bedeutete die gesetzliche Regelung des Verfahrens für einen de jure immer noch strafbaren Tatbestand de facto eine gewisse Entkriminalisierung. Auf diese Weise sollte die Meldebereitschaft der Ärzte und damit die Transparenz und Kontrollierbarkeit des ärztlich assistierten Sterbens erhöht werden, um so letztlich die Sorgfalt bei medizinischen Entscheidungen am Lebensende fördern.[31]

 

Eine wichtige Rolle für die Beurteilung psychischen Leidens im Kontext der Sterbehilfe spielte der Fall Chabot, der 1994 verhandelt wurde. Dabei erkannte das höchste Gericht unerträgliches Leiden ohne körperliche Ursachen als mögliche Motivation einer Sterbehilfe-bitte an. Es befand, dass der Sterbewunsch psychisch Kranker nicht automatisch selbst als krankhaft bewertet werden könne und daher auch nicht generell zurückzuweisen sei. Gleichzeitig forderte das Gericht aber besondere Sorgfalt bei der Entscheidung in solchen Fällen.

 

1995 gab die Regierung eine neue Studie in Auftrag, mit deren Hilfe die gesetzliche Neuregelung von 1994 evaluiert werden sollte. Sie erbrachte unter anderem die folgenden Ergebnisse:[32] Die Anzahl der Fälle, in denen eine Tötung auf Verlangen ausgeführt worden war, hatte sich von ca. 1,8% aller Sterbefälle 1990 auf ca. 2,4% 1995 erhöht. Die Häufigkeit des medizinisch assistierten Suizids war mit ca. 0,3% gleich geblieben. Insgesamt war der Anteil, in dem die Bitte um Sterbehilfe erfüllt wurde von ca. 30% auf ca. 37% gestiegen. Bei den Fällen einer Tötung ohne Bitte war ein leichter Rückgang um ca. 0,1% zu verzeichnen.[33] Die ärztliche Bereitschaft zur aktiven Sterbehilfe hatte sich offenbar kaum verändert. Dagegen war die Zahl der Meldungen um 23% auf 41% gestiegen. Als Grund dafür, einen Sterbehilfefall nicht zu melden, nannten die meisten Ärzte die drohenden Unannehmlich-keiten für sich und für die Angehörigen des bzw. der Verstorbenen.[34]

Diese Untersuchungsergebnisse wurden und werden von den Gegnern und Befürwortern des ärztlich unterstützten Sterbens unterschiedlich interpretiert. Im Hinblick auf die gesetzliche Neuregelung von 1994 war das Ergebnis der Studie ambivalent. Die Meldebereitschaft hatte sich zwar deutlich erhöht, und damit auch die Transparenz der gemeldeten Fälle, der größte zahlenmäßige Anstieg war dabei jedoch 1991/92 zu verzeichnen gewesen. Er konnte also nicht auf die gesetzliche Verankerung des Meldeverfahrens zurückgeführt werden. Zudem war die Mehrzahl der Fälle, vor allem diejenigen einer Tötung ohne Bitte, nach wie vor nicht gemeldet worden. Positiv konnte festgestellt werden, dass die Sorgfaltskriterien im Hinblick auf die Sterbehilfe unter den Ärzten nicht nur weitgehend bekannt waren, sondern auch genauer als vor der Einführung der Meldeprozedur eingehalten wurden. 

Als Reaktion auf diese Ergebnisse wurden in den folgenden Jahren verschiedene Schritte unternommen, um die Transparenz und die Qualität der medizinischen Entscheidungen am Lebensende weiter zu verbessern. Seit 1997 unterstützt die niederländische Regierung besondere Ausbildungsprogramme, in denen Ärzte als kompetente Berater für ihre Kollegen in Fragen der Sterbehilfe geschult werden. 1998 wurde ein neues Meldeverfahren eingeführt. Fünf regionale Kontrollkommissionen, in denen jeweils ein Jurist, ein Mediziner und ein Sachverständiger auf dem Gebiet der Ethik zusammenarbeiten, prüfen seitdem die Fälle ärztlich unterstützten Sterbens.[35] Die Kommissionen dienen einerseits als eine Art Puffer zwischen Arzt und Justiz und sollen die Meldebereitschaft der Ärzte fördern. Andererseits soll durch kompetente Rücksprache mit dem Arzt die Qualität der medizinischen Entscheidungen am Lebensende erhöht werden. Für Fälle aktiver Sterbehilfe ohne ausdrückliche Bitte des Patienten wurde ein gesondertes Meldeverfahren eingeführt.

Noch vor einer empirischen Auswertung der Konsequenzen dieser Neuregelungen wurde 1999 der Entwurf präsentiert, der dem Gesetz über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei der Selbsttötung im Wesentlichen zugrunde liegt. Das neue Gesetz fixiert eine rechtliche Praxis, die sich ausgehend von einigen wichtigen Präzedenz-fällen immer weiter etabliert hat und die von weiten Teilen der niederländischen Bevölkerung moralisch gutgeheißen wird.[36]

 

 

I.3. Zentrale ethische Denkfiguren in der Diskussion um die Tötung auf Verlangen

 

Die skizzierte Entwicklung des Umgangs mit der Sterbehilfe in den Niederlanden lässt sich in drei Phasen einteilen. [37] Auf eine Phase der Konfrontation zu Beginn der 70er Jahre, in der um die moralische Zulässigkeit des ärztlich unterstützten Sterbens gestritten wurde, folgte eine Phase der zunehmenden Akzeptanz. Die bedingte Legalisierung der Tötung auf Verlangen wurde zum Thema. Seit Beginn der 90er Jahre stehen praktische Probleme im Mittelpunkt. Die Hauptfrage scheint nicht mehr zu sein, ob aktive Sterbehilfe – unter bestimmten Bedingungen – überhaupt zulässig ist, sondern wie diese Bedingungen genau auszusehen haben und möglichst klar umrissen werden können. Man sucht nach geeigneten Wegen, einen Missbrauch zu verhindern und die Qualität des ärztlichen Handelns, sowohl hinsichtlich der Entscheidungsfindung als auch beim konkreten Vollzug der Sterbehilfe zu verbessern. Das ärztlich unterstütze Sterben befindet sich in einer Phase der Integration.[38]

Die verschiedenen Etappen der Diskussion haben ihren Niederschlag in den Sorgfaltskriterien gefunden, die im Artikel 2 des neuen Gesetzes festgelegt sind. In den ersten beiden der insgesamt sechs Kriterien, die sich mit der Bitte und dem Zustand des Patienten befassen, scheinen wichtige Argumente der Grundsatzdebatte um die Zulässigkeit der Sterbehilfe durch, während die letzten beiden Kriterien – zur Konsultation eines Fachkollegen und zur Durchführung der Sterbehilfe – eher verfahrenstechnischen Charakter tragen.[39]

 

Im Folgenden sollen nun diejenigen ethischen Denkfiguren, auf die im Zusammenhang der Tötung auf Verlangen am häufigsten Bezug genommen wird, vorgestellt und hinsichtlich ihrer Stärken und Schwächen näher beleuchtet werden.[40] Nach Markus Zimmerman-Acklin lassen sich drei Argumentationsebenen unterscheiden:[41]

·       Auf der prinzipiellen Ebene spielen die Autonomie des Patienten, das ärztliche Berufsethos und das Recht auf ein Sterben in Würde eine prominente Rolle. Die Praxis gerät dabei kaum in den Blick.

 

·       Die Argumente auf der Ebene der sozialen Prozesse orientieren sich dagegen stark an der empirischen Wirklichkeit. Gibt es ausweglose Situationen, in denen eine Tötung auf Verlangen als ein Akt des Mitleids zu rechtfertigen ist?

 

Sogenannte Dammbruchargumente, die auf die möglichen oder notwendigen verheerenden Folgen einer partiellen Akzeptanz der aktiven Sterbehilfe verweisen, haben sowohl auf der prinzipiellen als auch auf der praktischen Ebene der sozialen Prozesse ihren Platz.

Die prinzipielle und die praktische Ebene spiegeln das Verhältnis von normativer und angewandter Ethik wider. Während auf der prinzipiellen Ebene die Relevanz bestimmter ethischer Prinzipien im Hinblick auf die aktive freiwillige Sterbehilfe geprüft wird, geht es auf der praktischen Ebene um die verantwortliche Entscheidung in ganz konkreten Fällen.

 

·       Auf der Handlungsebene, die hinsichtlich ihres Praxisbezuges zwischen den beiden anderen Ebenen liegt, wird die moralische Relevanz der Aktiv-passiv- bzw. der Direkt-indirekt- Unterscheidung diskutiert. Die Befürworter der Tötung auf Verlangen bestreiten diese häufig mit dem Ziel, den Kreis der erlaubten Handlungen im Analogieverfahren auszuweiten.[42] Freilich könnte auf die gleiche Weise auch der Geltungsbereich der entsprechenden Verbote ausgedehnt werden. Auf der Handlungsebene geht es also weniger um die moralische Urteilsfindung in einem konkreten Fall als um die Reichweite moralischer Urteile.[43]

 

 

I.3.1. Prinzipielle Argumente

 

I.3.1.1. Das Autonomieprinzip

 

Befürworter der Tötung auf Verlangen berufen sich häufig auf das unbedingte Selbst-bestimmungsrecht eines jeden Menschen. Die Entscheidungen des Einzelnen seien nicht nur hinsichtlich seines Lebens, sondern auch in Bezug auf sein Sterben zu respektieren. Aus der Autonomie des Patienten ergeben sich damit zunächst bestimmte Freiheitsrechte. Kritiker machen nun aber darauf aufmerksam, dass ein so verstandenes Autonomieprinzip zwar die Akzeptanz des Todes- bzw. Tötungswunsches oder auch das Nicht-Eingreifen bei einem Selbstmord rechtfertigen kann. Da jedoch die Autonomie an der Freiheit anderer ihre Grenze habe, könne der Arzt auf der Grundlage dieses Prinzips nicht zur Erfüllung der Sterbehilfebitte verpflichtet werden. Das ist nach dem niederländischen Gesetz auch keineswegs der Fall. Die Frage ist, ob die Berufung auf die Bitte des Patienten für das ärztliche Handeln einen ausreichenden Rechtfertigungsgrund darstellt. Kann der Arzt als autonomes, moralisches Wesen sein Handeln ausschließlich von der Bitte des Patienten bestimmt sein lassen? Radikale Befürworter der Tötung auf Verlangen wie die Niederländische Gesellschaft für freiwillige Euthanasie bejahten zu Beginn der 90er Jahre diese Frage und sprachen sich für eine möglichst geringe Regulierung der Sterbehilfe aus.[44]

 

Dem ausschließlichen Geltungsanspruch des Autonomieprinzips als Grundlage der ethischen Entscheidung liegt ein stark rational und individualistisch geprägtes Menschenbild zugrunde. Die Frage ist, inwieweit ein solches Menschenbild der Wirklichkeit gerecht zu werden vermag, scheint es doch die Körperlichkeit und Sozialität des menschlichen Lebens völlig außer Acht zu lassen.[45] Wir treffen unsere Entscheidungen nicht im luftleeren Raum sondern immer in einem ganz bestimmten Kontext. Selbst wer dem Menschen Autonomie als anthropologische Grundkategorie generell zuschreiben will, muss zugeben, dass die Fähigkeit zu autonomen Entscheidungen faktisch in unterschiedlichen Graden vorkommen kann.[46] Unsere Entscheidungsfreiheit hängt zum Beispiel davon ab, über welche Informationen wir verfügen, welchen äußeren oder inneren Zwängen wir ausgesetzt sind und in welchem Maße wir zum fraglichen Zeitpunkt rational ansprechbar sind. So kann eine Bitte um Sterbehilfe dadurch begründet sein, dass der Betreffende mangelhaft über die bestehenden Möglichkeiten zur Schmerzlinderung aufgeklärt ist, dass er den Vorwurf seiner Umgebung spürt, wegen der Arbeit, die er anderen macht, oder dass er durch vorübergehende starke Schmerzen nicht in der Lage ist, seine Heilungsaussichten realistisch einzuschätzen. Eine Entscheidung, die nach außen autonom erscheint, kann außerdem von gesellschaftlichen Urteilen beeinflusst sein. Kritiker der Tötung auf Verlangen befürchten, dass eine einseitige Betonung der Autonomie gerade den Schwächeren in der Gesellschaft zum Verhängnis werden kann. Sie stellen dem Autonomieprinzip deshalb das Fürsorgeprinzip an die Seite.[47]

Grundsätzliche Fragen stellen sich auch hinsichtlich der Reichweite des menschlichen Selbstbestimmungsrechtes. Kann die Autonomie soweit gehen, dass sie sich gegen ihr eigenes Subjekt richtet? Wie kann eine Tötung auf Verlangen mit dem Respekt vor der Autonomie des Getöteten begründet werden, wenn sie gleichzeitig ihn selbst als den Träger der freien Selbstbestimmung vernichtet?[48]

 

 

I.3.1.2. Das ärztliche Berufsethos

 

Die Gegner der Tötung auf Verlangen, aber auch ihre meisten Befürworter sehen im Respekt vor der Autonomie des Patienten nicht den einzigen und ausreichenden Rechtfertigungsgrund für einen so gravierenden ärztlichen Eingriff. Der Arzt ist in seinem Handeln nicht nur dem Patientenwillen, sondern auch bestimmten professionellen Normen verpflichtet. Zwar darf –  in Achtung seiner Freiheitsrechte – kein Patient gegen seinen Willen behandelt werden. Zur Begründung eines Eingriffs reicht es jedoch nicht aus, auf den Wunsch des Patienten zu verweisen. Das ärztliche Handeln muss auf der Grundlage anerkannter medizinischer Standards verantwortet werden können.

Zu den Pflichten des Arztes gehört es nun einerseits, das krankheitsbedingte Leiden seiner Patienten zu bekämpfen. Zum anderen muss der Arzt Leben retten und erhalten.[49] In den meisten Fällen liegen diese beiden Aufgaben eng beieinander. Das Problem der Tötung auf Verlangen stellt sich immer dann, wenn die genannten ärztlichen Pflichten miteinander in Konflikt geraten. Sind alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft und befindet sich der Patient dennoch und ohne Aussicht auf Verbesserung in einem unerträglichen Zustand, dann – so meinen Befürworter der Tötung auf Verlangen – könne der Arzt nur noch einer seiner beiden Aufgaben nachkommen.[50] Lebenserhaltung bedeute in diesem Falle eine Verlängerung des Leidens, während die einzige Möglichkeit, dem Leiden beizukommen, darin bestehe, das Leben des Patienten zu beenden. Dazu sei der Arzt freilich nur dann berechtigt, wenn der Betroffene dies ausdrücklich wünsche. Die Zulässigkeit der – nicht die Verpflichtung zur Tötung auf Verlangen wird also vom ärztlichen Berufsethos her mit einem Pflichtenkonflikt begründet.[51]

Kritiker der aktiven freiwilligen Sterbehilfe weisen dagegen darauf hin, dass die beiden genannten ärztlichen Pflichten keineswegs als absolut zu verstehen sind. Sowohl die medizinischen Möglichkeiten zum Erhalt des Lebens als auch die zur Leidensminderung sind begrenzt. Der Tod lässt sich nicht vermeiden. Der Arzt soll die Schmerzen seiner Patienten zwar nach Kräften lindern, eine völlige Befreiung von Leiden ist mit menschlichen Mitteln jedoch schlechterdings nicht zu erreichen. Auch die Tötung auf Verlangen bietet hier keine überzeugende Lösung. Der Leidende wird durch sie ja nicht von seinem Leiden, sondern von sich selbst befreit. Wie aber ist eine Befreiung zu verstehen, für die es am Ende kein Subjekt mehr gibt?

Der Medizin sind also Grenzen gesetzt. Es würde eine Überforderung bedeuten, wollte man den Ärzten die Verantwortung für nicht zu linderndes Leid oder den unvermeidbaren Tod übertragen.[52] 

Angesichts des heutigen Entwicklungsstandes stellt sich nun jedoch die Frage, ob die medizinisch-technischen Möglichkeiten einen ethisch verantwortbaren Maßstab für die ärztliche Pflicht zur Lebenserhaltung bieten können. Diese scheint oft zur reinen Leidens-verlängerung zu werden, so dass gerade Kritiker der aktiven Sterbehilfe eine sinnvolle Begrenzung der lebenserhaltenden Maßnahmen – unter Berücksichtigung des (mutmaßlichen) Patientenwillens – fordern. Die Befürworter der Tötung auf Verlangen werfen ihren Gegnern an diesem Punkt Inkonsequenz vor. Wie ist es zu rechtfertigen, dass im Falle einer Sterbehilfebitte der Lebensschutz Vorrang vor der Leidensminderung zu haben scheint, während ein Behandlungsabbruch, der das Leben definitiv verkürzt, damit begründet wird, dass dadurch weiteres Leiden vermieden werden soll? Die Kohärenz einer solchen Position hängt davon ab, ob man die Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe für moralisch relevant hält oder nicht.

Die Befürworter dieser Unterscheidung weisen darauf hin, dass der Arzt nicht für das gesundheitliche Schicksal seiner Patienten verantwortlich gemacht werden könne. Er sei zwar dazu verpflichtet, Kranken zu helfen. Ein medizinischer Eingriff sei aber nur dann gerecht-fertigt, wenn er dem Patienten voraussichtlich mehr nutze als schade. Im Zweifelsfalle sei von einer Behandlung abzusehen.[53] Auf diese Weise würden die Grenzen der Medizin in angemessener Weise respektiert.

Im Falle der aktiven Sterbehilfe ist es die Tötung, die medizinisch verantwortet werden muss. Kritiker sehen in einem solchen Eingriff den verzweifelten Versuch, die Macht der Medizin angesichts unstillbaren Leidens zu behaupten. Die Grenzen ärztlichen Handelns werden damit gerade verkannt.[54]

 

Zusammenfassend lassen sich zwei Positionen unterscheiden:

Für die Gegner der aktiven freiwilligen Sterbehilfe stellt die Tötung auf Verlangen eine Grenzüberschreitung seitens der Medizin dar, die sich nicht durch die Berufung auf ärztliche Pflichten rechtfertigen lässt.[55] Eine partielle Zulässigkeit der Lebensbeendigung durch den Arzt werde sich in fataler Weise auf die Moral der Ärzteschaft auswirken, da eine Ethik der Lebenserhaltung und eine Ethik der Lebensbeendigung psychologisch nicht miteinander zu vereinbaren seien.[56] Zudem werde das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient erheblich belastet, wenn Schwerkranke wüssten, dass die behandelnden Ärzte einer Tötung auf Verlangen unter Umständen positiv gegenüber stehen.[57]

Befürworter begründen die Zulässigkeit der aktiven freiwilligen Sterbehilfe mit einem Notstand, der die Tötung auf Verlangen zwar nicht zur ärztlichen Pflicht, wohl aber zur Möglichkeit werden lasse.[58]

Diese Position kommt auch in den Sorgfaltskriterien des neuen niederländischen Gesetzes zum Ausdruck. Die ersten vier Kriterien spiegeln das Bemühen wider, sowohl der Autonomie des Patienten als auch der Verantwortung des Arztes gerecht zu werden. Der Arzt muss davon überzeugt sein, dass es sich bei der Bitte des Patienten um eine freiwillige, gut überlegte und informierte, also autonome Willensäußerung handelt. Der Zustand des Patienten muss aussichtslos und unerträglich sein, das heißt den oben beschriebenen Pflichtenkonflikt provozieren.

 

Die Kombination aus Selbstbestimmung und ärztlicher Fürsorge ist nach wie vor umstritten. Die Gegner des niederländischen Modells sind der Ansicht, dass der Vollzug der Sterbehilfe letztlich mehr von der Entscheidung des Arztes als vom Willen des Patienten abhängig sei. Sie befürchten eine Erosion des Autonomieprinzips zugunsten der Fremdbestimmung durch den Arzt. In der äußeren Beurteilung der Bitte und des Zustands des Patienten sehen sie einen gefährlichen Dammbruch vorgezeichnet.[59] Dieser Dammbruch ist jedoch logisch nicht zwingend. In den Sorgfaltskriterien stellen der ausdrückliche Wille des Betroffenen und das Urteil des Arztes keine Alternativen zur Begründung der aktiven Sterbehilfe dar, sondern sie bilden gleichermaßen notwendige Bedingungen für deren Straffreiheit. Die Tötung auf Verlangen muss also sowohl durch die autonome Entscheidung des Patienten als auch durch den Pflichtenkonflikt im ärztlichen Ethos gedeckt sein.[60]

 

I.3.1.3. Das Recht auf einen würdigen Tod und der Wert des menschlichen Lebens[61]

 

Der Rekurs auf die Menschenwürde spielt in der aktuellen Sterbehilfedebatte eine besondere Rolle. Bewegungen, die ein Recht auf aktive freiwillige Sterbehilfe fordern, begründen dies damit, dass die Würde eines jeden Menschen unbedingt zu achten sei. Das gleiche Argument wird von anderen ins Feld geführt, um die Tötung auf Verlangen strikt abzulehnen. Dieser scheinbare Widerspruch kann gelöst werden, wenn man die jeweiligen Begründungs-zusammenhänge etwas näher beleuchtet.

 

Nach Meinung der Befürworter des medizinisch unterstützten Sterbens sollte jeder Mensch das Recht haben, sein Leben zu beenden bzw. beenden zu lassen, wenn er es nicht mehr für lebenswert hält. Schwere Krankheit und Leiden können den Menschen seiner Würde berauben. Wenn jemand einen solchen Zustand nicht, oder nicht länger ertragen wolle, dann sei die Erfüllung seiner Sterbehilfebitte ein Gebot der Achtung seiner Würde.[62] Eine solche Argumentation setzt voraus, dass Würde und Lebenswert an ganz bestimmte verlierbare Eigenschaften des Menschen gebunden sind.[63]  Eine positivistisch-empiristische Strömung in der angelsächsischen Philosophie gibt diesem Würdebegriff sein Fundament.[64]

 

Ein anderes Konzept von Würde vertreten die Gegner der Tötung auf Verlangen. Der Wert eines Menschenlebens ist nach ihnen nicht an bestimmte Eigenschaften gebunden. Vielmehr eignet jedem Menschen als solchem eine unverlierbare Würde.[65] Die Forderung nach einem menschenwürdigen Sterben kann daher nicht bedeuten, dass ein vermeintlicher Würdeverlust durch  Krankheit und Leiden abgewendet oder zur Not durch Tötung verhindert wird. Ein solcher Würdeverlust ist nach diesem Konzept unmöglich. Die Achtung der Würde eines Menschen zeigt sich vielmehr im menschenwürdigen Umgang mit Kranken und Sterbenden.[66] Auf dem Hintergrund dieses Würdebegriffs sind negative Lebenswerturteile – sowohl aus der Binnenperspektive als auch von außen – grundsätzlich unzulässig. Insofern die Tötung auf Verlangen auf einem solchen negativen Lebenswerturteil basiert, stellt sie eine Leugnung der unverlierbaren Würde des Menschen dar.[67] Kritiker der aktiven freiwilligen Sterbehilfe sehen hier die Gefahr eines schwerwiegenden Dammbruchs. Auf welcher Grundlage lassen sich Lebenswerturteile durch Dritte verbieten, wenn die prinzipielle Möglichkeit, solche Urteile zu fällen, anerkannt wird? Durch die Infragestellung des universalen Würdebegriffs sei die menschliche Solidargemeinschaft ernsthaft gefährdet.[68]

 

Der beschriebene Widerspruch wurzelt also in zwei unterschiedlichen Würdekonzeptionen, die in der Diskussion relativ unvermittelt nebeneinander stehen bleiben. Gegner des universalen Menschenwürdebegriffs werfen seinen Vertretern vor, dass eine solche Position nicht rational begründbar sei. Sie beruhe auf einer überholten religiösen Weltanschauung, die ihre gesellschaftliche Bindungskraft längst verloren habe. Ohne die transzendente Begründung entpuppe sich die Behauptung einer unverlierbaren Menschenwürde, die dem Menschen allein aufgrund seines Menschseins zukomme, als purer Speziezismus.[69]

In der Tat erscheint das Postulat der unverlierbaren Würde des Menschen jenseits der Religion als bloße menschliche Setzung, die als solche grundsätzlich zur Disposition steht und durch überzeugendere Konzepte abgelöst werden kann. Darin unterscheidet sie sich jedoch nicht von alternativen Entwürfen. Es ist nämlich nicht ohne weiteres ersichtlich, inwiefern eine Zuschreibung von Würde aufgrund eines bestimmten Bewusstseinsgrades rational einsichtiger sein soll als ein an die menschliche Gattung gebundener Würdebegriff.[70] 

Die Werte, die wir unserem Handeln zugrunde legen, lassen sich scheinbar nicht rein rational begründen. Es ist eine Frage des Blickwinkels, ob die Setzung einer universalen Menschen-würde als überholte Konvention oder als Errungenschaft bewertet wird.[71] Ihre Aufhebung würde allerdings einer kulturellen Revolution gleichkommen. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde bildet den vielleicht wesentlichsten Grundsatz unserer gesamten Rechts-ordnung.[72] Trotz seines undemokratischen Charakters wurde dieser Grundsatz seit dem Bestehen unserer Verfassung nie ernsthaft in Frage gestellt. Ein vergleichbarer gesellschaftlicher Konsens dürfte so schnell nicht wieder zu erreichen sein.[73]

Man kann die rationale Begründbarkeit der universalen Menschenwürde in Frage stellen. Mit der Aufgabe dieses fundamentalen Prinzips ist jedoch noch nichts gewonnen. Es müssten andere, bessere Wertmaßstäbe gefunden werden und nichts scheint zu garantieren, dass der Kreis der ethischen Verantwortung in einem solchen Wertediskurs nicht enger statt weiter gezogen wird.[74] Ob diese Vermutung berechtigt ist, lässt sich im Vorhinein nicht beweisen. Hier kann nur darauf hingewiesen werden, dass zwischen der Haltung zur aktiven Sterbehilfe und dem Verständnis der menschlichen Würde ein Zusammenhang besteht. Die Anerkennung  negativer Lebenswerturteile, die der Tötung auf Verlangen nicht selten zugrunde liegt, lässt sich mit dem im Grundgesetz verankerten Prinzip einer universalen, unverlierbaren Menschenwürde nicht vereinbaren.[75]

 

 

I.3.2. Praxisorientierte Argumente

 

Der Streit um die moralische Zulässigkeit der aktiven freiwilligen Sterbehilfe lässt sich auf der prinzipiellen Ebene nicht entscheiden. Ob die Sterbehilfe als eine ethisch zu verantwor-tende bzw. zu befürwortende Möglichkeit bewertet wird, hängt unter anderem vom jeweiligen Verständnis der Begriffe Autonomie und Menschenwürde ab und berührt damit weltanschauliche Fragen. Nun berufen sich die Betroffenen selbst seltener, als man vermuten könnte, auf diese Prinzipien.[76] Im Falle einer aktuellen Sterbehilfebitte scheint der unerträgliche Zustand des Kranken eine weit größere Rolle zu spielen als die Verteidigung seiner Entscheidungsfreiheit oder der Rekurs auf die Menschenwürde. Auch die niederlän-dische Rechtspraxis ist nicht das Resultat einer rein theoretisch geführten normativen Debatte. Ihren Ausgangspunkt bildeten vielmehr konkrete Fälle, Grenzsituationen, in denen Ärzte Sterbehilfe geleistet hatten und die eine gerichtliche Beurteilung verlangten. Probleme in der Praxis gingen also der theoretischen Reflexion voraus.[77]

 

 

I.3.2.1. Das Problem der Grenzfälle: Regelung der Ausnahmen?

 

In der Debatte um die aktive Sterbehilfe wird immer wieder auf mögliche Alternativen hingewiesen. Ein Ausbau der palliativen Versorgung und eine optimale Hilfe im Sterben, wie sie z.B. in Hospizen geleistet wird, sollen die Hilfe zum Sterben obsolet machen. In der Tat bietet sich hier eine Möglichkeit des gemeinsamen Engagements der Gegner und Befürworter der Tötung auf Verlangen. Aber auch wenn die Zahl der Sterbehilfebitten auf diese Weise weit reduziert werden kann, bleiben immer noch Fälle denkbar, die eine solche Lösung nicht erreicht.[78]

Dass es solche Grenzfälle gibt, wird auch von denjenigen, die eine Legalisierung der aktiven freiwilligen Sterbehilfe ablehnen, mehrheitlich anerkannt. Angesichts des aussichtslosen, unerträglichen Leidens eines Patienten oder einer Patientin steht der Arzt vor einem unentrinnbaren Dilemma.[79] Nach Ansicht der Kritiker des ärztlich unterstützten Sterbens bedeutet dies nun aber keineswegs, dass die Tötung auf Verlangen in einer solchen Situation moralisch gerechtfertigt ist. Während einige die aktive Sterbehilfe in jedem Falle für verurteilungswürdig halten, sind andere der Meinung, dass sich die Lebensbeendigung in Grenzsituationen der moralischen Bewertung entzieht. Das heißt, die Tötung auf Verlangen kann dem Arzt unter bestimmten Umständen nicht zum Vorwurf gemacht werden.[80]

 

Erkennt man die Existenz von Grenzfällen an, so stellt sich die Frage nach einem angemessenen gesellschaftlichen und rechtlichen Umgang mit ihnen.

Die Geschichte der niederländischen Sterbehilfepolitik spiegelt den Versuch, genaue Bedingungen für die Nicht-Vorwerfbarkeit der ärztlichen Sterbehilfe festzulegen und die Straffreiheit der Ärzte in diesen Fällen auf eine verbindliche Grundlage zu stellen.  Gewissenhaft handelnde Ärzte, für die jede Bitte um aktive Sterbehilfe ohnehin eine große emotionale Belastung darstellt, erhalten durch die Legalisierung mehr Rechtssicherheit und werden vom zusätzlichen Druck einer drohenden strafrechtlichen Verfolgung befreit. Durch das Gesetz soll der ärztliche Umgang mit einem gesellschaftlich anerkannten Problem ans Licht der Öffentlichkeit gebracht werden. Neben einer größeren medizinischen Sorgfalt in Sachen aktive Sterbehilfe könnte der Vorteil einer Legalisierung also in einem Mehr an Transparenz und Kontrollierbarkeit der Fälle bestehen.

 

Kritiker einer Legalisierung ziehen die Eindeutigkeit und damit auch die Überprüfbarkeit der niederländischen Sorgfaltskriterien in Zweifel. Wie soll ein Arzt ausschließen, dass die Bitte des Patienten unter gesellschaftlichem oder familiärem Druck zustande gekommen ist? Wann kann man sagen, dass alle Alternativen zur Leidensminderung ausgeschöpft sind und wirklich keine Aussicht auf Besserung mehr besteht?[81] Dafür scheint es keine eindeutigen Kriterien zu geben. Zudem könne eine gesetzliche Regelung leicht als moralische Rechtfertigung verstanden werden und so zur Erosion wichtiger ethischer Prinzipien in der Gesellschaft führen. Die in den Niederlanden angestrebte gesellschaftliche Kontrolle werde nur hinsichtlich der unproblematischen Fälle erreicht, da sie auf eine Selbstanzeige der Ärzte angewiesen sei.[82]

 

Als Alternative zum niederländischen Modell schlagen seine Gegner eine Regelung über die Rechtsprechung vor. Von Fall zu Fall soll gerichtlich entschieden werden, ob die Tötung auf Verlangen dem betreffenden Arzt als Schuld vorzuwerfen ist. Eine verantwortliche ärztliche Entscheidung in Grenzsituationen setze die Bereitschaft voraus, das eigene Handeln öffentlich zu begründen.[83] Auf diese Weise könne das gesellschaftliche Problembewusstsein hinsichtlich der aktiven Sterbehilfe gewahrt werden.[84]

Aber auch dieser Vorschlag birgt Probleme. Ohne eine verbindliche gesetzliche Grundlage lässt sich die Einheitlichkeit gerichtlicher Urteile kaum gewährleisten. Die ärztliche Praxis dürfte nicht unerheblich davon abhängen, ob mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit Straffreiheit gerechnet werden kann. Ein uneingeschränktes Verbot der Tötung auf Verlangen könnte die Dunkelziffer und damit die Gefahr mangelnder Sorgfalt erhöhen.[85] Darüber hinaus werden Ärzte eine Sterbehilfebitte in Grenzsituationen öfter ablehnen, wenn anderenfalls ihre gesamte berufliche Zukunft auf dem Spiel steht.

 

Die Risiken einer Legalisierung der aktiven freiwilligen Sterbehilfe sind also gegen die einer fortbestehenden Kriminalisierung abzuwägen.[86] Im ersten Falle könnte mangelnde Abgrenz-barkeit zu einer unerwünschten Ausweitung der Tötung auf Verlangen führen. Der zweite Vorschlag droht, die aktive Sterbehilfe in einen verborgenen und damit unkontrollierbaren Bereich zu drängen und die Verantwortung der Ärzte in Grenzsituationen zu untergraben.

 


I.3.2.2. Empirische Dammbruchargumente

 

Empirische Dammbruchargumente beziehen sich auf unerwünschte Folgen einer Praxis, deren Eintreten zwar logisch nicht notwendig ist, faktisch aber als wahrscheinlich angesehen werden kann.[87] Eine solche Argumentation setzt voraus, dass die prognostizierten Konsequenzen von allen Gesprächsteilnehmern einhellig abgelehnt werden. Darüber hinaus muss der Zusammenhang zwischen dem aktuell diskutierten Problem und den künftig erwarteten Schwierigkeiten plausibel sein. Hier liegt die Schwäche empirischer Dammbruch-argumente. Bei den gegen die Einführung einer neuen Praxis ins Feld geführten negativen Konsequenzen, handelt es sich um potentielle Möglichkeiten, deren Eintreten lediglich mehr oder weniger wahrscheinlich gemacht werden kann. Dazu beruft man sich auf aktuelle und geschichtliche Beispiele, die die drohende Gefahr im Analogieverfahren verdeutlichen sollen. Wegen ihres mittelbaren Charakters[88] und ihrer allen Neuerungen gegenüber kritischen Stoß-richtung gelten empirische Dammbruchargumente als konservativ und werden z.T. ganz abgelehnt. Historisch oder geographisch voneinander getrennte gesellschaftliche Entwick-lungen sind nur begrenzt miteinander vergleichbar. Allerdings scheint es fragwürdig, Erfahrungswerte grundsätzlich aus der Diskussion zu verbannen. Markus Zimmermann-Acklin schlägt deshalb vor, empirische Dammbruchargumente als „Elemente politisch-gesellschaftlicher Klugheit [anzuerkennen.] Je überzeugender sie begründet werden, desto eher sollten sie ernst genommen werden und können die Beweislast der Unbedenklichkeit einer einzuführenden Praxis auf die Seite der Befürworter abwälzen.” [89]

 

Im Kontext der aktuellen Sterbehilfedebatte werden vor allem zwei Bedenken geäußert. Zum einen befürchtet man einen schleichenden Übergang von der Praxis der freiwilligen zur nicht- oder gar unfreiwilligen aktiven Sterbehilfe. Zum anderen könne die prinzipielle Möglichkeit der Tötung auf Verlangen dazu führen, dass die gesellschaftliche Solidarität mit Kranken und Sterbenden bzw. mit denen, die sie pflegen, abnimmt.

 

Nach der derzeitigen gesetzlichen Regelung in den Niederlanden gelten der aussichtslose, unerträgliche Zustand des Patienten und die ausdrückliche Bitte um Sterbehilfe gleicher-maßen als notwendige Bedingungen für die Tötung auf Verlangen. Allerdings stellt sich die Frage, wie in Fällen verfahren werden soll, in denen sich der Patient nicht oder nicht mehr äußern kann und keine relevante schriftliche Verfügung vorliegt. Kritiker befürchten, dass in solchen Situationen das Urteil des Arztes bzw. der Angehörigen zum einzig ausschlag-gebenden Kriterium für eine aktive Sterbehilfe werden könnte.[90]

 

In diesem Zusammenhang wird häufig an die Euthanasiepraxis der Nationalsozialisten erinnert. Genau wie damals könnten auch heute wieder Menschen getötet werden, weil andere ihren Lebenswert als zu gering erachten. Eine solche Argumentation ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Der Vergleich mit den nationalsozialistischen Massenmorden brandmarkt die Befürworter der Tötung auf Verlangen als Verbrecher und macht jedes weitere Gespräch unmöglich. Ein wesentlicher Unterschied zwischen der aktuellen Sterbehilfedebatte und den Auseinandersetzungen mit diesem Thema im Vorfeld und während der Zeit des Dritten Reiches besteht ja gerade darin, dass damals das „Wohl des Volkes” im Mittelpunkt stand, während heute der Wille des Einzelnen als ausschlaggebend gilt. Die nationalsozialistische Praxis ist also aus genau dem Grund abzulehnen, der heute als Hauptargument für die Tötung auf Verlangen angeführt wird: der Respekt vor der Autonomie eines jeden Menschen. Eine wichtige Lehre aus der nationalsozialistischen Vergangenheit könnte allerdings darin bestehen, dass sie vor einem übersteigerten Vertrauen in die moralische Kraft der Gesellschaft sowie der Ärzteschaft warnt und eine besondere Wachsamkeit im Umgang mit fremdem Leben fordert.[91]

 

Als weiteren empirischen Beweis für ihre Befürchtungen führen Kritiker der niederländischen Sterbehilfepolitik die Entwicklungen in eben diesem Land an, wobei sie sich auf die 1990 und 1995 von der Regierung in Auftrag gegebenen Studien berufen. Die in diesem Zeitraum kaum veränderte Zahl von ca. 1000 Fällen einer Tötung ohne Bitte sei nicht nur besorgniserregend, sondern viel zu niedrig veranschlagt. Andere Fälle der absichtlichen Lebensbeendigung, in denen ebenfalls kein Wunsch des Patienten vorgelegen habe, seien unter den Kategorien der passiven und der indirekten Sterbehilfe erfasst und würden auf diese Weise in ihrer Fragwürdigkeit verschleiert. Des Weiteren wurde das mangelnde Problembewusstsein der Remmelink-Kommission beklagt, nachdem diese die Tötung Äußerungsunfähiger durch den Arzt nach „beginnendem Versagen der Vitalfunktionen [als] unbestreitbar eine normale ärztliche Handlung”[92] bezeichnet hatte. Diese Einschätzung sei durch milde Gerichtsurteile bestätigt worden. Die Mehrheit der niederländischen Bevölkerung halte die Tötung ohne Bitte unter bestimmten Umständen für zulässig und auch die Haltung des Parlaments offenbare eine erschreckende Gleichgültigkeit.[93]

Befürworter der aktiven freiwilligen Sterbehilfe erkennen diese Einwände teilweise an, sehen aber keinen Hinweis auf einen Dammbruch. Auch bei einer Berücksichtigung aller von den Kritikern als solche aufgeführten Fälle einer Sterbehilfe ohne ausdrückliche Bitte des Patienten lasse sich zwischen 1990 und 1995 kein Anstieg erkennen. Die einzige Ausnahme bilde die Sterbehilfe durch Behandlungsabbruch, die ja gerade von den Gegnern der Tötung auf Verlangen befürwortet wird. Die Zunahme der Fälle in diesem Bereich sei allerdings eher auf den auch in anderen Ländern anzutreffenden medizinisch-technischen Fortschritt zurück-zuführen, als auf eine typisch niederländische Sterbehilfepolitik. Da es international keine vergleichbaren Studien gebe, könnten die niederländischen Zahlen nicht als besonders besorgniserregend eingestuft werden.[94] Auch über die Auswirkungen der fortschreitenden Entkriminalisierung der Tötung auf Verlangen auf andere Formen der Sterbehilfe ließen sich ohne internationales Vergleichsmaterial keine Aussagen treffen.[95]

 

Ein weiteres Problem besteht darin, dass die von den Kritikern als Dammbruch deklarierten Sterbehilfefälle keineswegs allgemein als verwerflich gelten. Meist wird eine differenzierte Sicht vertreten. Aktive Sterbehilfe an einem entscheidungsfähigen Menschen ohne dessen ausdrücklichen Wunsch steht im Widerspruch zu den Sorgfaltskriterien und ist somit als verwerfliche Handlung zu bewerten. Diejenigen Fälle, in denen eine Bitte nicht bzw. nicht mehr möglich ist, haben die Kriterien jedoch nicht im Blick. Dennoch sind auch hier moralische Grenzfälle denkbar. Die Frage, ob und – wenn ja – in welchen Fällen die aktive Sterbehilfe an äußerungsunfähigen Patienten nicht vorwerfbar ist, verlangt nach einer ge-sonderten Reflexion. Nur so kann Klarheit geschaffen werden, was – neben der unfreiwilligen Sterbehilfe – als eine abzulehnende Praxis und damit als Dammbruch zu gelten hat.[96]

 

Mit den bisher verfügbaren Daten lässt sich der befürchtete Dammbruch nicht beweisen. Inwiefern sie jedoch Anlass zur Entwarnung geben, bleibt fraglich. Falls die entscheidenden Weichenstellungen in der gesellschaftlichen und politischen Einstellung zur Sterbehilfe in den Niederlanden schon vor 1990 stattgefunden haben, so lässt sich dies empirisch nicht mehr nachprüfen. Zudem erscheint ein Zeitraum von fünf Jahren kaum ausreichend, um als Indikator für einen gesellschaftlichen Wandel zu dienen. Es werden daher weitere Studien nötig sein, um die Folgen der Legalisierung der Tötung auf Verlangen realistischer einschätzen zu können.[97]

Manche Beobachtungen mahnen jedoch vorläufig zur Skepsis. Von den 1995 befragten Ärzten gaben zum Beispiel nur 30% den mutmaßlichen Willen des Patienten als einen der Gründe für eine Tötung ohne Bitte an. Die Notlage des Arztes und der Angehörigen des Kranken spielten dagegen eine wesentlich größere Rolle. Geringe Lebensqualität wurde in 36% der Fälle als Grund genannt.[98]

Die Befürchtung, dass sich im Falle der Entscheidungsunfähigkeit die Lebenswerturteile Dritter verselbständigen und zum ausschlaggebenden Kriterium für die Sterbehilfe werden, lässt sich nicht völlig von der Hand weisen. Solange der mutmaßliche Patientenwille und fremde Interessen nicht eindeutig voneinander abgegrenzt werden können, ist hinsichtlich der Tötung ohne Bitte größte Vorsicht geboten.[99]

 

Das zweite, oben bereits kurz erwähnte Dammbruchargument beschreibt die Gefahr der Entsolidarisierung. Die Möglichkeit der Tötung auf Verlangen nimmt Krankheit und Sterben ihren schicksalhaften Charakter und macht sie zu etwas Gewähltem. Dadurch wird es nicht nur für die Betroffenen selbst schwerer, ihr Leiden anzunehmen. Gleichzeitig steht zu befürchten, dass das Verständnis und die – letztlich auch finanzielle – Hilfsbereitschaft gegenüber Kranken und Sterbenden abnehmen, wenn sie selbst für ihre Situation als mit verantwortlich erachtet werden können. Hierbei handelt es sich freilich um reine Vermutungen, die durch empirische Daten zu erhärten bzw. zu widerlegen wären. Wenn Sozialität als Charakteristikum des Menschseins ernst genommen werden soll, darf sich die Gesellschaft der Verantwortung für ihre schwächsten Glieder nicht entledigen.[100]

 


II. Die Diskussion um die aktive freiwillige Sterbehilfe in theologischer Perspektive

 

II.1. Kirchliche Stellungnahmen

 

Die Diskussion um die aktive Sterbehilfe ist in Kirche und Theologie nicht unbeantwortet geblieben. Von Anfang an haben sich die großen Kirchen in den Niederlanden in die Debatte eingebracht. Aber auch die Evangelische Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz haben mehrfach zum Problem der Sterbehilfe Stellung genommen. Im Folgenden sollen zentrale kirchliche Stellungnahmen aus beiden Ländern vorgestellt werden. Dabei wird besonders nach ihrem spezifisch theologischen Gehalt zu fragen sein.

 

 

II.1.1. Niederlande

 

Am 13. März 2001 sprachen sich mehr als 50 gesellschaftliche Gruppierungen, darunter die großen Kirchen, in einer Petition an die Mitglieder der Ersten Kammer des niederländischen Parlaments gegen die bevorstehende Annahme des Gesetzes über die Kontrolle der Leben-sbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei der Selbsttötung aus.[101] Als Grund für ihren Protest beriefen sich die Unterzeichner auf die Schützenswürdigkeit des menschlichen Lebens und wiesen auf mögliche unerwünschte Folgen für die gesellschaftliche Wahrnehmung des Sterbehilfeproblems hin. Ihr Einspruch blieb jedoch ohne Erfolg. Das Gesetz wurde am 10. April verabschiedet. Hinter der gemeinsamen Opposition verbergen sich verschiedene Stand-punkte zur aktiven Sterbehilfe. So lehnt die römisch-katholische Kirche die Tötung auf Verlangen kategorisch ab, während die evangelischen Kirchen sie in Grenzsituationen für verantwortbar halten.

 

 

II.1.1.1. Stellungnahmen der Samen-op-Weg-Kirchen[102]

 

In einem Begleitschreiben zu der genannten Petition erläutern die SoW-Kirchen ihren Protest und mahnen zur Besonnenheit.[103] Die evangelischen Kirchen lehnen die Tötung auf Verlangen nicht in jedem Falle ab und bekennen sich ausdrücklich zu ihrer seelsorgerlichen Verantwortung für diejenigen, die aus Gewissensgründen aktive Sterbehilfe leisten. Vor dem Hintergrund des Bekenntnisses, dass Gott uns als Schöpfer das Leben gegeben hat und das Leben von ihm her seinen Wert erhält, sei die aktive freiwillige Sterbehilfe jedoch nicht als Recht, sondern allenfalls als Notlösung zu betrachten und stelle eine Grenzüberschreitung dar. Gegen den zur Abstimmung vorliegenden Gesetzesentwurf  werden vor allem zwei Bedenken vorgebracht: Zum einen könne das Gesetz den Schutz des menschlichen Lebens nicht ausreichend gewährleisten. – In diesem Zusammenhang werden die von der Staatsanwaltschaft unabhängige Überprüfung lebensbeendenden ärztlichen Handelns durch Kontrollkommissionen und der weitgehend subjektive Charakter der Sorgfaltskriterien kritisiert. – Zum anderen befürchten die evangelischen Kirchen einen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel im Hinblick auf den Wert des Lebens und die Anerkennung hilfsbedürftiger Menschen. Das Gesetz könne die Bitte um Sterbehilfe stimulieren und drohe die Grenze zwischen medizinischem Handeln und Lebensbeendigung zu verwischen.[104] Am Ende des Begleitschreibens sprechen sich die Kirchen für ein verstärktes politisches und gesellschaftliches Engagement zur Verbesserung der palliativen Versorgung aus.

 

Der Tenor des Schreibens ist auffallend allgemein gehalten. Im Mittelpunkt stehen die Schützenswürdigkeit des menschlichen Lebens als fundamentaler Wert und die Gefahr eines gesellschaftlichen Bewusstseinswandels. Die wenigen theologischen Bezüge bleiben relativ isoliert am Anfang stehen. Das Bekenntnis zu Gott als Schöpfer des Lebens wird argumentativ nicht entfaltet.

 

Eine ausführlichere Darstellung des theologischen Hintergrundes ihrer Position zur Tötung auf Verlangen haben die reformierten Kirchen Mitte der 80er Jahre in ihrer seelsorgerlichen Handreichung Euthanasie en Pastoraat formuliert.[105] Das Selbstbestimmungsrecht des Menschen wird dort im Sinne von Haushalterschaft und Verantwortlichkeit verstanden: „Der Mensch erhält den Raum, seinem eigenen Leben Gestalt zu geben im Gegenüber Gottes und seiner Mitmenschen. Die Selbständigkeit des Menschen ist relativ, weil er Gott und seinen Mitmenschen Verantwortung schuldet […] vor dem Hintergrund von Gottes Verheißungen und Geboten.“[106]

Lebensbeendendes Handeln wird nun zunächst als eine Überschreitung der Grenzen menschlicher Verantwortung interpretiert: Das Leben ist eine Gabe und Aufgabe Gottes und empfängt von ihm her seinen Wert und Sinn. Gott ist der Herr des Lebens. Als seine Haushalter dürfen wir uns nicht für Herren halten. Aber trotz des Glaubens, dass jeder Mensch auch noch im Leiden in Gottes Hand ist, können dem Einzelnen angesichts großer persönlicher Not der Geschenkcharakter und der Sinn seines Lebens absurd erscheinen, so dass er sich den Tod wünscht.

Im Folgenden werden daher Argumente für die Verantwortbarkeit der Tötung auf Verlangen aus christlicher Perspektive angeführt: Unter Berufung auf Jesu Umgang mit dem Sabbatgebot wird das Tötungsverbot in seiner Geltung relativiert.[107] Die christliche Freiheit wird vom Liebesgebot her neu gefüllt.[108] Die Bibel verheiße nicht nur Gottes tröstende Anwesenheit in unserer Not, sondern die Überwindung von Leid und Tod durch Gott. Durch das Evangelium der Auferstehung werde der Tod relativiert. „Dass es Menschen gibt, die wirklich sterben wollen, […] kann auch ein Zeichen sein, dass jemand bewusst und freiwillig Abschied vom Leben genommen hat und es voll Vertrauen in Gottes Hand gibt.“[109]

Die theologischen Überlegungen führen zu dem Ergebnis, „dass einer Bitte um Euthanasie oder Hilfe zur Selbsttötung auch innerhalb der Gemeinde Christi nicht von Vornherein ablehnend oder missbilligend entgegen getreten werden muss.“[110]

 

Die in Euthanasie en Pastoraat vorgetragene Argumentation wirft Fragen auf. Zum einen wird die Tötung auf Verlangen als Grenzüberschreitung bewertet. Zum anderen soll sie als Akt der Liebe und in der Hoffnung auf Gott, der das Leid nicht will und den Tod überwindet, unter bestimmten Umständen verantwortbar sein. Wie soll aber der Mensch etwas verantworten können, das per definitionem außerhalb der Grenzen seines Verantwortungs-bereiches liegt? Darüber hinaus scheint es zweifelhaft, in der Bitte um aktive Sterbehilfe vor allem einen Ausdruck von Gottvertrauen zu sehen. Sind die Situationen, in denen Menschen um Sterbehilfe bitten, nicht meistens gerade von Verzweiflung und dem Gefühl der Gottverlassenheit geprägt? Kann der selbstgewählte Tod dann nicht auch ein Versuch sein, das Leiden selbst zu überwinden, weil man von Gott – jedenfalls in diesem Leben – keine  Rettung mehr erwartet?

In seiner seelsorgerlichen Ausrichtung zeigt Euthanasie en Pastoraat Verständnis für die Erfahrung von Absurdität und Sinnlosigkeit am Ende des Lebens. Der Versuch, die Tötung auf Verlangen vor dem Hintergrund des christlichen Glaubens zu rechtfertigen bleibt jedoch ein spannungsreiches Unterfangen.

 

 

II.1.1.2. Stellungnahmen der römisch-katholischen Bischofskonferenz

 

Auch die römisch-katholische Kirche hat sich immer wieder ablehnend gegenüber dem neuen Sterbehilfegesetz geäußert. Die ausführlichste Stellungnahme bildet in diesem Zusammen-hang die Reaktion auf den Gesetzesentwurf von 1999.[111] Die Bischöfe verzichten darin ausdrücklich auf spezifisch christliche oder theologische Argumente. Genau wie in dem entsprechenden protestantischen Papier steht auch hier die Schützenswürdigkeit des menschlichen Lebens als gesellschaftlich bewährtes Prinzip und Grundlage des Zusammen-lebens im Vordergrund. Die geplante Ausnahmeregelung stelle einen unannehmbaren Bruch mit der bisherigen Praxis dar. Bislang sei das prinzipielle Verbot der Tötung auf Verlangen und der Beihilfe zum Selbstmord stets aufrechterhalten worden. Durch das vorgeschlagene Gesetz werde das ärztlich unterstützte Sterben aber in gewissem Sinne legalisiert. Dadurch gerate der Gesetzgeber hinsichtlich des prinzipiellen Lebensschutzes in Widerspruch zu sich selbst. Ebenso wie die evangelischen Kirchen warnt die katholische Kirche vor unerwünschten gesellschaftlichen Folgen und weist dabei auf die moralische Ausstrahlungs-kraft von Gesetzen hin. Als Alternative zur gesetzlichen Regelung der Tötung auf Verlangen wird ein verstärktes staatliches Engagement im Bereich der palliativen Versorgung und der Hospizarbeit gefordert.

 

In ihrer gesamtgesellschaftlichen Ausrichtung verrät die Stellungnahme nichts über den theologischen Hintergrund der katholischen Position. Um diesen näher zu beleuchten muss wiederum auf ein älteres Dokument zurückgegriffen werden.

 

Eine nach eigenen Aussagen zentrale Stellungnahme zur aktiven freiwilligen Sterbehilfe ist der Hirtenbrief über das Leiden und Sterben Kranker von 1985.[112] Das Problem der Tötung auf Verlangen wird dort folgendermaßen formuliert: „Einerseits erfordert die Achtung vor dem Menschen, dass eine gut überlegte Gewissensentscheidung respektiert wird. Andererseits erfordert die Ehrfurcht vor dem Leben, dass dieses nicht nach eigenem Dafürhalten beendet werden darf.“[113] Die Bischöfe sind der Meinung, „dass es nicht zulässig ist, den Tod auf eine solche Weise zu suchen oder einen Sterbenden auf seine Bitte hin aus Mitleid zu töten. Ehrfurcht vor dem Leben […] ist ja ein grundlegendes Element der menschlichen und christlichen Zivilisation.“ Theologische Überlegungen finden sich vor allem im letzten Teil des Briefes. Dort heißt es:  „Das Leben ist durch Gott geschaffen und wir sind darüber nicht Herr und Meister.“ Darum dürfen „Menschen nicht so eingreifend und so endgültig […] über Leben und Sterben eines Menschen verfügen.“

Zur Erläuterung ihres Standpunktes führen die Bischöfe anthropologische Betrachtungen ins Feld. Menschliches Leben wird dabei in zweifacher Hinsicht als Leben in Beziehung charak-terisiert: Der Mensch lebt im Gegenüber Gottes, der ihn in seiner Liebe ins Dasein gerufen hat. Gottes andauernde Zuwendung und Anrede macht uns zu Personen. Der Mensch darf den Bund mit Gott nicht einseitig brechen, indem er sich das Leben nimmt oder nehmen lässt. Dabei weisen die Bischöfe ausdrücklich darauf hin, dass die tiefe persönliche Verbundenheit mit Gott nicht nur im Dank, sondern auch in Klage und Protest zum Ausdruck kommen kann.

Gleichzeitig leben Menschen aber auch im Gegenüber ihrer Mitmenschen. „[Menschen] sind wesentlich aufeinander bezogen. Der Mensch ist Person in Gemeinschaft. […] Menschen haben einander nötig, um Mensch zu werden.“ Da Tötung auf Verlangen und Selbsttötungen den Abbruch zwischenmenschlicher Beziehungen zur Folge haben, stehen sie im Widerspruch zu dem beschriebenen relationalen Menschenbild.

Trotz ihrer grundsätzlich ablehnenden Haltung gegenüber der Tötung auf Verlangen räumen die Bischöfe ein, dass der Tötungswunsch unter bestimmten Umständen nach bestem Wissen und Gewissen gefasst werden kann. Sie halten aber daran fest, dass das Gewissen in so einem Falle irrt. Als Gewissensentscheidung sei die Bitte um Sterbehilfe zwar zu respektieren, der Arzt dürfe ihr jedoch nicht zustimmen. In diesem Zusammenhang zitiert der Hirtenbrief ein Schreiben der römischen Glaubenskongregation aus dem Jahre 1980: „Es kann vorkommen, dass aufgrund langanhaltender und beinahe unerträglicher Schmerzen aus psychologischen oder sonstigen Gründen manche Menschen zu der Überzeugung kommen, dass sie rechtmäßig den Tod für sich selbst erbitten oder anderen beibringen können. Obschon in diesen Fällen die Schuld eines Menschen verkleinert oder sogar ganz weggenommen werden kann, bleibt es nichtsdestoweniger ein unrechtes Urteil, zu dem das Gewissen, vielleicht guten Glaubens, gelangt, das die Art dieser tödlichen Handlung, welche an sich immer zu verwerfen ist, nicht verändert.“

Am Schluss des Hirtenbriefes wird die schwierige Frage nach dem Ursprung des Leidens aufgegriffen. Anstelle einer Antwort werden Möglichkeiten des Umgangs mit eigenem und fremdem Leid aufgezeigt. Dabei spielt der Gedanke der Nachfolge eine zentrale Rolle. Den Horizont für einen angemessenen christlichen Umgang mit Krankheit und Tod bildet „das Mysterium von Gottes Barmherzigkeit […] In Jesus Christus hat Er gezeigt, wie sehr Er mitleidet mit dem Leidenden und hat das Leiden überwunden, indem Er es zu einem Weg zu neuem Leben gemacht hat.“

 

Die katholische Position erscheint auf den ersten Blick stringenter als die der evangelischen Kirchen. Das Selbstbestimmungsrecht des Menschen über Leben und Tod wird unter Verweis auf Gott als Schöpfer des Lebens und die relationale Verfasstheit menschlichen Seins klar verneint. Statt die Entscheidung zur Tötung auf Verlangen aus einer Notsituation heraus zu rechtfertigen, wird sie konsequent als Irrtum bezeichnet, der allerdings unter bestimmten Umständen teilweise oder ganz entschuldbar ist.

Bei näherem Hinsehen gibt jedoch auch dieser Standpunkt Fragen auf. So scheint die Gegen-überstellung unveränderlicher theologischer Wahrheiten einerseits und einer nach bestem Wissen und Gewissen gefällten, möglicherweise aber dennoch falschen Entscheidung des Einzelnen andererseits dem Charakter von Grenzsituationen wenig angemessen. Sind diese nicht gerade dadurch gekennzeichnet, dass bewährte moralische Prinzipien versagen oder in Konflikt zueinander geraten? Können die zitierten theologischen Wahrheiten den von einer Sterbehilfesituation Betroffenen nicht durchaus bewusst sein, und besteht das Dilemma in solchen Situationen nicht eben darin, dass man – wie immer man handelt – nur gegen bestimmte eigene Überzeugungen und Glaubensinhalte verstoßen kann? Gerade eine gewissenhafte Entscheidung zur Tötung auf Verlangen dürfte mit einer erheblichen emotionalen Belastung verbunden sein. Brauchen Ärzte und Angehörige in einer solchen Situation daher nicht vielmehr seelsorgerlichen Beistand als eine distanzierte, kritische Respektsbekundung?

 

Insgesamt scheint die seelsorgerliche Handreichung der reformierten Kirchen eher die konkrete Situation im Blick zu haben, während es den katholischen Bischöfen um eine grundsätzliche theologische Wahrheit geht. In ihrer praktischen Ausrichtung geraten die SoW-Kirchen auf der prinzipiellen Ebene in Widersprüche, wohingegen die klare Position der Bischofskonferenz die mehrdimensionale Realität von Grenzsituationen aus dem Auge zu verlieren droht.

 

 

II.1.2. Deutschland

 

Am 11. April 2001, einen Tag nach der Verabschiedung des neuen Sterbehilfegesetzes durch die Erste Kammer des niederländischen Parlaments, sprachen sich die Vorsitzenden der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz Kock und Lehmann jeweils in einer Pressemitteilung deutlich gegen die gesetzliche Neuregelung aus.[114] Das Gesetz stehe im Widerspruch zu der christlichen Überzeugung, dass das Leben ein Geschenk Gottes und daher für Menschen unverfügbar ist. Beide sprechen von einem Dammbruch und plädieren nachdrücklich für die Hilfe im Sterben.

 

In den vergangenen Jahren haben die katholische und die evangelische Kirche Deutschlands immer wieder gemeinsam zum Problem der Sterbehilfe Stellung genommen.[115] Maßnahmen aktiver Lebensbeendigung wurden von den deutschen Kirchen stets abgelehnt. Dabei waren vor allem die folgenden Überlegungen von Belang:

Das zentrale Argument gegen die aktive Sterbehilfe bildet die Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens. Der christliche Glaube „achtet das Leben und die einzigartige Würde des Menschen als Gottes unantastbare Gabe, die auch im Sterben zu respektieren ist.“[116] An anderer Stelle heißt es: „Im Blick auf jeden Menschen gilt: ‚Ich glaube, dass Gott mich und mein Leben will’“[117] Niemand hat daher das „Recht, über den Wert oder Unwert eines menschlichen Lebens zu befinden. Jeder Mensch hat seine Würde, seinen Wert und sein Lebensrecht von Gott her.“[118] Das gilt ausdrücklich auch für das eigene Leben.[119] Die grundsätzliche Annahme durch den Schöpfer verleiht dem Menschen ein unbedingtes Lebensrecht, über das andere nicht verfügen dürfen.[120] „Weil Gott allein Herr über Leben und Tod ist, sind Leben und Menschenwürde geschützt.“[121] Der Schutz des Lebens findet seinen Ausdruck unter anderem in dem Gebot ‚Du sollst nicht töten’.

In diesem Zusammenhang wird nachdrücklich vor einem Dammbruch gewarnt. Das Zugeständnis, in bestimmten Situationen doch über Leben und Tod entscheiden zu dürfen, setze nicht nur das Vertrauen zwischen Arzt und Patient aufs Spiel. „Ohne […] prinzipielle Grenze für alle Eingriffe wäre die Würde des Menschen preisgegeben.“[122]

 

Christliche Sterbehilfe kann daher immer nur Hilfe im Sterben sein. Sie steht im Horizont des Bekenntnisses, dass Gott sich im Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu von Nazareth offenbart hat: „In Jesus Christus […] ist Gottes neue Welt unter den Menschen angebrochen […]. Die Zuversicht auf die Gegenwart Christi gibt Menschen den Mut, auch in schwierigsten Situationen des Lebens Zeichen des kommenden Reiches Gottes aufzurichten.“[123]

Auch im Sterben bleibt das Leben ein Geschenk, das wir „ – trotz Leid und Tod – annehmen und gestalten können. Gott […] befähigt uns dazu“.[124] Eine Sterbehilfe, die die unverlierbare Würde und das Lebensrecht des Einzelnen bis zuletzt achtet, versucht das Leiden durch medizinische, pflegerische, menschliche und seelsorgerliche Zuwendung so weit wie möglich zu lindern und dem Sterbenden zu helfen, seinen Tod anzunehmen. „Christliches Sterben ist gewiss kein angstloses, aber ein angst-bestehendes, angst-überwindendes Sterben, ein Sterben im Frieden, in dem der Sterbende mit seiner Lebensgeschichte und mit seinen Angehörigen ins Reine kommt. [Als solches ist es] Gnade und eigenes Werk zugleich.“[125]

 

Die kirchlichen Stellungnahmen sehen nun aber nicht daran vorbei, dass der Mensch im Sterben und bei der Begleitung Sterbender immer wieder mit den Grenzen seiner Belastbarkeit konfrontiert wird. In solchen Grenzsituationen muss er Wege finden, sich zu verhalten. Dabei kann die Erfahrung, dass früher überwundene Schwierigkeiten ein inneres Wachstum bedeutet haben, ermutigend sein. Das Handeln in schweren Lebenssituationen steht unter der Verheißung des göttlichen Beistandes.[126]

Dafür, was der einzelne aushalten und ertragen kann, gibt es keine allgemeinen Maßstäbe. Die Grenzen des Zumutbaren müssen in jeder einzelnen Situation ausgelotet und so weit wie möglich hinausgeschoben werden. „Der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit […] kann [jedoch] niemals Argument oder Legitimation dafür sein, Würde und Lebensrecht eines anderen nicht länger zu respektieren.“[127]

Das schier unerträgliche Leiden mancher Sterbender wirft die dringliche Frage nach Gottes Güte und Barmherzigkeit auf. In solchen Situationen bleibt Christen „nur noch das stille oder betende Dasein als letzter Beistand“[128], getragen von dem Glauben, dass Gottes Liebe stärker ist als der Tod. Die Möglichkeit, einen Menschen aus Liebe oder Mitleid zu töten, wird von den Kirchen ausdrücklich verneint, denn eine solche Tat „vernichtet die Basis der Liebe und des Vertrauens.“[129] Die Bitte um aktive Sterbehilfe müsse „– schonend, aber klar –“[130] zurückgewiesen werden. Gleichzeitig brauche ein am Leben Verzweifelter jedoch „intensive Zuwendung, um die Wahrheit zu erfahren, dass auch sein Leben nicht sinnlos ist.“[131]

 

Trotz dieser eindeutigen Ablehnung lebensbeendender Maßnahmen, die auch in Grenz-situationen als eine nicht zu billigende Verletzung der Würde und des Lebenswertes eines anderen Menschen betrachtet werden, plädieren die Kirchen für einen verständnisvollen und barmherzigen Umgang mit Menschen, die in einer ausweglosen Lage zu solchen Handlungen getrieben wurden.[132] In ähnlicher Weise äußern sie sich zum Thema Suizid: Da die Selbsttötung eine Verneinung des eigenen Lebenswertes voraussetze, sei sie vor dem Hintergrund des christlichen Glaubens letztlich nicht zu verstehen. Eine solche Tat entziehe sich jedoch jedem äußeren Urteil und sei – obwohl man sie nicht gutheißen könne – zu respektieren.[133] 

 

Die Position, die die deutschen Kirchen zum Problem der aktiven freiwilligen Sterbehilfe vertreten, lässt sich mit dem Standpunkt der katholischen Kirche in den Niederlanden vergleichen. Lebensbeendendes Handeln wird  prinzipiell, also auch in Grenzsituationen abgelehnt. Gleichzeitig zeigt man jedoch Verständnis, wenn extreme Umstände zu einer solchen (Fehl-)Entscheidung geführt haben. Im Vordergrund steht dabei das Bemühen, die Unantastbarkeit der Würde, die dem Menschen von Gott her zukommt, und das damit verbundene unverlierbare Lebensrecht zu verteidigen.

Es stellt sich nun aber die Frage, ob die Verteidigung dieser zweifelsohne wichtigen Prinzipien der Wirklichkeit von Grenzfällen gerecht zu werden vermag: Muss die Rede vom unverlierbaren Wert des Lebens angesichts unerträglichen Leidens nicht zynisch wirken? Wird hier aus dem verteidigten Lebensrecht nicht eine despotisch auferlegte Lebenspflicht, die Gott um seiner unhinterfragbaren Herrschaft willen vom Menschen fordert? Wo in den kirchlichen Stellungnahmen von den Grenzen des individuell Erträglichen gesprochen wird, werden diese kaum als solche ernst genommen. Stattdessen geht man nahtlos zu den Möglichkeiten ihrer Überwindung über. Auf diese Weise wird ein problematisches Ideal vom christlichen Sterben errichtet, dass an der bedrückenden Realität menschlichen Leidens und Sterbens vorbeizugehen droht.

 

 

II.1.3.  Auswertung und Vergleich

 

In ihrer Ablehnung des neuen niederländischen Sterbehilfegesetzes sind sich die evangelischen und katholischen Kirchen in Deutschland und den Niederlanden einig. Alle Stellungnahmen verteidigen die unverlierbare Würde des Menschen und die grundsätzliche Unverfügbarkeit menschlichen Lebens. Die Tötung auf Verlangen stellt für sie eine Grenz-überschreitung dar. Unterschiede bestehen in der Bewertung lebensbeendenden Handelns in Extremsituationen. Während die deutschen Kirchen und die katholische Kirche in den Niederlanden aktive Sterbehilfe auch dann noch grundsätzlich ablehnen, wenn menschliches Leiden unerträglich scheint, halten die SoW-Kirchen sie in manchen Fällen für verant-wortbar. Dabei berufen sie sich auf die christliche Freiheit und das Liebesgebot. Die Möglichkeit, einen Menschen aus Liebe zu töten, wird dagegen von den deutschen Kirchen als Selbstwiderspruch verneint.

Auch wenn die evangelischen Kirchen in den Niederlanden die Tötung auf Verlangen unter bestimmten Umständen für zulässig halten, bleibt ihnen die Problematik lebensbeendenden Handelns durchaus im Bewusstsein. Neben den klar ablehnenden oder doch sehr vorsichtig argumentierenden kirchlichen Stimmen gibt es jedoch auch Theologen, die die Selbst-bestimmung des Menschen hinsichtlich seines Todes mit Nachdruck befürworten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

II.2. Theologische Argumente für die Tötung auf Verlangen

 

Ein Recht auf einen selbstbestimmten Tod, das die Möglichkeit der Tötung ausdrücklich mit einschließt, wird bislang sowohl unter niederländischen als auch unter deutschen Theologen eher selten vertreten. Auf niederländischer Seite repräsentiert besonders der evangelische Theologe Harry Kuitert diese Position, während sie in Deutschland in Hans Küng ihren prominentesten Vertreter findet.[134]

 

 

II.2.1. Harry Kuitert: Der gewünschte Tod

 

In seinem Buch Der gewünschte Tod bezeichnet Harry Kuitert das Recht auf Leben und das Recht auf Sterben als Kern der Selbstbestimmung eines jeden Menschen. In der Verfügungs-gewalt über das eigene Leben sieht Kuitert keinen Akt der Auflehnung gegen Gott, sondern die einzige Alternative, wenn nicht andere Menschen über das Leben und Sterben eines Kranken bestimmen sollen.[135]

Das christliche Bekenntnis, dass das Leben eine Gabe Gottes des Schöpfers ist, beruht auf der Erfahrung, dass es gut ist, auf der Welt zu sein. Diese Erfahrung ist aber keineswegs immer gegeben. „Gott verliert immer wieder sein Gesicht.“[136]

Kuitert weist darauf hin, dass der natürliche Verlauf des Sterbens nicht einfach als Indikator des Gotteswillens betrachtet werden kann.[137] Indem der Mensch einen gegebenen Zustand als gottgewollt deklariere, entziehe er sich einer Verantwortung, die er selbst zu tragen habe. Es gibt Fälle, in denen noch größeres Unheil nur durch Töten verhindert werden kann. Kuitert nennt hier das Beispiel einer terroristischen Flugzeugentführung, bei der die einzige Möglichkeit, die Passagiere zu retten, darin besteht, den Flugzeugentführer zu erschießen. Wenn es also gute Gründe geben kann, über das Leben anderer zu verfügen, so kann dies im Hinblick auf das eigene Leben nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Dass uns das Leben von Gott gegeben ist, bedeutet demnach nicht, „dass wir nicht über Leben und Tod verfügen dürfen und müssen.“[138] Wir dürfen allerdings nicht willkürlich und leichtfertig damit umgehen.[139]

Es muss also kein Affront gegen den Schöpfer sein, wenn man „Gott ehrfürchtig am Ende seines Lebens selbst die Eintrittskarte zurückgibt, [weil das] Leben keine Freude mehr [ist], der Körper kein Geschenk [und] Gott nicht mehr zur Ehre gereichen [kann].“[140]

 

 

II.2.2. Hans Küng: Menschenwürdig Sterben

 

Ähnlich wie Harry Kuitert, auf den er sich verschiedentlich beruft, äußert sich Hans Küng zum Problem der Tötung auf Verlangen. Auch er postuliert ein Selbstbestimmungsrecht über Leben und Tod, das er als Teil der dem Menschen von Gott gegebenen Freiheit versteht. „Das Leben ist nach Gottes Willen zugleich auch des Menschen Aufgabe und so in unsere eigene (nicht fremde!) verantwortliche Verfügung gestellt: eine Autonomie die in Theonomie gründet.“[141] Eine solche Autonomie bedeutet nicht, dass der Mensch willkürlich über sein Leben verfügen darf und soll. Das Recht zur Selbstbestimmung muss vielmehr in Verantwortung vor Gott und Menschen nach bestem Wissen und Gewissen wahrgenommen werden.[142] In der Nachfolge Jesu können sich Christen dabei nicht allein an Verboten und Sanktionen orientieren, sondern müssen ihr Leben vom Anfang bis zum Ende verantwortungsvoll gestalten.[143] Gott dürfe nicht verantwortlich gemacht werden, wo Menschen selbst Verantwortung übernehmen können und sollen.[144]

Ebenso wie Kuitert wehrt sich Küng dagegen, den sogenannten natürlichen Tod als gott-gewollt anzusehen. Menschen greifen immer wieder in den natürlichen Prozess des Lebens und Sterbens ein, ohne darin eine Verletzung der exklusiven Rechte des Schöpfers zu sehen.[145] Qualvolles, langes Sterben ist nicht selten die Folge nahezu prometheischer Anstrengungen des Menschen auf dem Gebiet der Medizin.

Angesichts unerträglichen Leidens erscheint der Hinweis auf die „Oberherrschaft Gottes und seine […] liebende Vorsehung“[146] fragwürdig. Eine solche Argumentation beruht auf einem einseitig herrscherlich orientierten Gottesbild, das die Züge des fürsorgenden Vaters vernachlässigt. In der Nachfolge Jesu habe die Theologie die Aufgabe, Leiden so weit wie möglich zu reduzieren und zu bekämpfen, nicht aber es zu spiritualisieren und mystifizieren. In der Bibel finde sich nirgendwo ein ausdrückliches Argument gegen den Suizid. Es wäre eine Anmaßung, wollte man aus dem Lebensrecht einen Zwang zum Leben machen, der dem Leidenden von außen auferlegt werden kann.[147]

Für Küng bildet die Selbstbestimmung einen integralen Bestandteil menschenwürdigen Sterbens. Darin komme „nicht […] Misstrauen oder Überheblichkeit gegenüber Gott“[148] zum Ausdruck, sondern  vielmehr ein „unerschütterliche[s] Vertrauen in Gott, […] dessen Gnade ewig währt.“[149] Vor dem Hintergrund des (christlichen) Glaubens lasse sich eine veränderte, menschenwürdigere Einstellung zum Sterben gewinnen.[150] Für den glaubenden Menschen sei der Tod nicht das Ende, sondern die Vollendung, bei der der Mensch in eine unfassbare letzte und erste Wirklichkeit aufgenommen wird und ewige Geborgenheit in Gott findet. Dadurch verliere der Tod seinen feindlichen Charakter. Für den Glaubenden ist das Sterben  „ein Abschied vielleicht nicht ohne Schmerz und Angst, aber doch in Gefasstheit und Ergebenheit, jedenfalls ohne Gejammer und Wehklage, auch ohne Bitterkeit und Verzweiflung, vielmehr in hoffender Erwartung, stiller Gewissheit und […] beschämter Dankbarkeit […] Ein solches Sterben [nennt Küng] ein wahrhaft menschen-würdiges Sterben.“[151]

Küng plädiert nachdrücklich für eine gesetzliche Festschreibung des Selbstbestimmungs-rechtes über den eigenen Tod. Dabei müsse nach Regelungen gesucht werden, die eventuellen Missbräuchen einen Riegel vorschieben. Die Schutzinteressen der Allgemeinheit sollten wirksam mit der Sterbensnot des Einzelnen ausgeglichen werden. Letztlich könne es nur darum gehen, einen verantwortlichen Weg der Mitte zwischen einem moralischen Rigorismus ohne Mitleid und einem amoralischen Liberalismus ohne Verantwortung zu finden.[152]

 

 

II.2.3. Kritische Würdigung

 

Harry Kuitert und Hans Küng beschäftigen sich vor allem mit der Frage nach der Reichweite der menschlichen Autonomie. Hat der Mensch das Recht, so umfassend über sein Leben zu bestimmen, dass er es beenden bzw. beenden lassen darf? Die Perspektive und der Rechtfertigungsgrund Dritter, auf deren Hilfe der Sterbende unter Umständen bei der Lebensbeendigung angewiesen ist, geraten dagegen kaum in den Blick.[153]

 

Bei ihrer Argumentation für die moralische Zulässigkeit der Tötung auf Verlangen berufen sich die beiden Autoren auf das von Gott gegebene Selbstbestimmungsrecht des Menschen. Sie betonen, dass dieses keine Willkürfreiheit, sondern ein verantwortliches Handeln gegenüber Gott und den Menschen impliziere. Im weiteren Verlauf ihrer Argumentation bleibt das Moment der Theonomie jedoch weitgehend unberücksichtigt. Küng weist in diesem Zusammenhang lediglich darauf hin, dass Ethik in der Nachfolge Jesu keine reine Verbots- und Sanktionsethik sei. Beide Autoren betonen zu Recht, dass ein gegebener Zustand nicht ohne weiteres mit dem Willen Gottes identifiziert werden dürfe. Wo aber ist der Wille Gottes als Maßstab menschlicher Verantwortung dann zu finden? Christlicher Glaube bekennt, dass Gott im Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu von Nazareth sich selbst und damit auch seinen Willen in entscheidender Weise offenbart hat. Im Licht dieser Selbstoffenbarung Gottes wäre also nach der Verantwortung des Menschen angesichts eines unter Umständen qualvollen Sterbens zu fragen.

 

In Jesus Christus offenbart sich Gott als ein Gott des Lebens. Wenn Jesus Kranke heilt, sich einsamen und Not leidenden Menschen zuwendet, überwindet er ihre Isolation und holt sie so in den Kreis der Lebenden zurück. Das Neue Testament deutet dieses Handeln als Zeichen des nahen Gottesreiches.[154] Damit wird jedoch das Leid dieser Welt nicht einfach geleugnet. Derselbe Jesus stirbt am Kreuz einen einsamen Tod. Was könnte die qualvolle Realität menschlichen Leidens besser zum Ausdruck bringen als der Psalmvers, den das Markus- und das Matthäusevangelium dem sterbenden Jesus in den Mund legen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“[155] Die unglaubliche Botschaft des Neuen Testamentes besteht nun aber darin, dass Leid und Tod nicht das letzte Wort behalten. In der Auferweckung Jesu nimmt Gott dem Tod die letzte schreckliche Macht über den Menschen. In Jesus Christus hat Gott Teil am Leiden dieser Welt und überwindet so die Gott-verlassenheit des Todes. Diese Erfahrung, dieser Osterglaube vermag die Frage nach Leid und Tod nicht zu lösen. Er kann aber eine Hilfe sein, die Frage auszuhalten, in der Hoffnung, dass Gott auch in Leid und Tod nicht fern ist und beides letztlich überwinden will. Die Situation der Agonie, in der der Mensch laut Kuitert und Küng in theonomer Autonomie entscheiden soll, ist die Situation des Kreuzes, die gerade dadurch gekennzeichnet ist, dass der Mensch Gott nicht mehr verstehen kann und damit den Maßstab für seine Verantwortung verloren zu haben scheint, ratlos ist. Ihm bleibt nur noch die Frage ‚Warum?’, die – wider allen Augenschein – von Ostern her unter der Verheißung des göttlichen Erbarmens steht.

 

Wenn Hans Küng den Tod als Vollendung bezeichnet, dann nimmt er die Realität des Kreuzes nicht ernst. Die christliche Hoffnung richtet sich nicht auf den Tod, sondern auf Gottes Mitsein im Tode und die Überwindung des Todes. Auch für den Glaubenden verliert der Tod nicht seinen Feindcharakter. Er bedeutet immer noch den schmerzlichen Abbruch von Beziehungen, die dem Lebenden lieb geworden sind. Wenn sich ein Mensch angesichts unerträglichen Leidens Erlösung durch den Tod wünscht, dann deshalb, weil der Todesschrecken bereits tief in das Leben hineinragt, weil nichts schlimmer zu sein scheint als die Zukunft, die ihn als Lebenden erwartet. Ohne zu wissen, was Gott, ob Gott noch etwas mit diesem seinen qualvoll gewordenen Leben vorhat, wagt er den Sprung, vielleicht in der Hoffnung, dass Gott, nicht der Tod, ihn auffängt – trotz allem.

 

Küng weist – meines Erachtens zu Recht – darauf hin, dass es zynisch ist, aus dem Lebensrecht eines schwer leidenden Menschen einen von Gott auferlegten, unhinterfragbaren Lebenszwang zu machen. Gleichzeitig scheinen jedoch sowohl Küng als auch sein nieder-ländischer Kollege zu übersehen, dass das von ihnen postulierte Selbstbestimmungsrecht zu einer nicht minder makaberen Pflicht zu werden droht. Dem Menschen die Verantwortung für sein Sterben zu übertragen, bedeutet gleichzeitig, ihn für sein unter Umständen äußerst leidvolles Weiterleben verantwortlich zu machen, falls er den Tod nicht wählt. Beide Autoren sind ja der Meinung, Gott solle nicht für etwas verantwortlich gemacht werden, wofür der Mensch selbst die Verantwortung übernehmen könne. Aber kann der Mensch sein Dasein vor Gott und Mitmenschen verantworten? Im Zentrum des reformatorischen Glaubens steht die Erkenntnis, dass der Mensch allein aus der bedingungslosen Annahme Gottes, des Schöpfers und Vaters Jesu Christi leben kann. Unsere Verantwortung kann demnach immer nur Antwort auf die Zuwendung Gottes und die Anerkennung durch unsere Mitmenschen sein, nicht aber deren Bedingung. Genau wie im Leben ist der Mensch auch im Tod auf die bedingungslose Annahme Gottes angewiesen. Ein menschenwürdiges Sterben ist daher nicht – wie Küng behauptet – durch ein bestimmtes Maß an Autonomie gekennzeichnet, und auch nicht – wie Kuitert zu meinen scheint – durch ein bestimmtes Maß an körperlicher Integrität.[156] Ob jemand menschenwürdig sterben kann, hängt vielmehr davon ab, ob er auch noch im Sterben eine menschliche Zuwendung und Anerkennung erfährt, die seiner von Gott verbürgten, unverlierbaren Würde gerecht wird. Der Mensch kann und muss nicht selbst über seinen Wert entscheiden, sondern er erhält ihn von Gott her, dem Gott, der dem ausgeliefert und nach menschlichen Maßstäben unwürdig am Kreuz Gestorbenen die Treue gehalten hat.

 

Das von Kuitert und Küng vertretene Postulat der Verantwortung für das eigene Sterben hat noch eine weitere Konsequenz: Der Mensch, der sein Dasein selbst verantworten muss, kann Gott sein Leid nicht klagen. Die Klage hat denn auch in Küngs Bild eines „wahrhaft menschen-würdigen Sterbens“[157] keinen Platz.

Tatsächlich gibt es auch in der Bibel Beispiele dafür, wie Menschen das über sie hereingebrochene Leid mit ruhiger Gefasstheit tragen. „Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?“ – so antwortet Hiob seiner Frau, die ihn angesichts seines erbärmlichen Zustandes dazu auffordert, Gott abzusagen und zu sterben.[158] Nach dem Lukasevangelium stirbt Jesus mit den Worten „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände.“[159] Aber die hier geschilderte Gefasstheit ist nicht das Ergebnis einer Selbst-bestimmung zum Leiden. In ihr spiegelt sich vielmehr das Vertrauen, auch in der größten Not nicht tiefer als in Gottes Hand zu fallen.

Über einen menschenwürdigen Umgang mit dem Leiden ist damit jedoch noch nicht alles gesagt. Immer wieder begegnet in der Bibel auch die Klage, gerade im Munde des Frommen.[160] Der Mensch, der mit seinem Dasein Gott antwortet, der alles von Gott erwartet, kann ihm manchmal nur noch sein ‚Warum?’ entgegenschreien, ein Warum der Verzweiflung, weil Gott – um es mit Kuitert zu sagen – immer wieder sein Gesicht verliert und das von ihm empfangene Leben zur Last werden kann. Aber in der Klage des Verzweifelten lebt der Funke einer Hoffnung, dass das zerstörte Leben nicht Gottes letztes Wort ist.[161] Wenn Küng die Klage aus seinem Bild eines menschenwürdigen Sterbens verbannt, dann verkennt er ihre konstruktive Bedeutung in der Beziehung zwischen Gott und Mensch.

 


III. Die aktive freiwillige Sterbehilfe als ethisches Problem – eine abschließende theologische Betrachtung

 

III.1. Der Beitrag der Theologie zur aktuellen Sterbehilfedebatte

 

Die vorangegangenen Betrachtungen und insbesondere die Auseinandersetzung mit den Positionen von Harry Kuitert und Hans Küng haben gezeigt, dass die zwei wesentlichsten Argumente, die zur Rechtfertigung der Tötung auf Verlangen ins Feld geführt werden, die Berufung auf die Würde und auf das Selbstbestimmungsrecht des Menschen, vom christlichen Menschenbild her kritisiert werden müssen. Beide Argumente werden vor dem Hintergrund des christlichen Glaubens nicht einfach gegenstandslos, erhalten aber ein spezifisches Fundament, das ihre Stoßrichtung in der Sterbehilfedebatte grundlegend verändert.

 

Wenn der Wert eines Menschenlebens sich nicht an bestimmten körperlichen oder geistigen Fähigkeiten bemisst, sondern allein in der Zuwendung Gottes zu jedem einzelnen begründet und damit unverlierbar ist, dann darf die Angst vor Würdeverlust bei fortschreitender Krankheit nicht dadurch bestätigt werden, dass man sie als Grund für eine Sterbehilfebitte akzeptiert. Stattdessen muss ihr mit einem Handeln begegnet werden, dass der Würde des Menschen auch in Krankheit und Sterben Geltung verschafft.

 

Auch die Freiheit des Menschen, sein Leben zu gestalten, wird vom christlichen Glauben nicht geleugnet, aber sie wird in ganz spezifischer Weise verstanden.[162] Die Bibel kennzeichnet den Menschen als einen, der ganz in der Sorge um das eigene Leben gefangen und dadurch gerade nicht frei ist. Durch die bedingungslose Zuwendung Gottes wird der Mensch von der Unmöglichkeit befreit, sich selbst Sinn zu schaffen. Als Antwort auf den Zuspruch Gottes ist die Freiheit des Menschen nicht mit Willkür zu verwechseln. Von Freiheit kann im christlichen Sinne nur so gesprochen werden, dass gleichzeitig von der Gottesbeziehung des Menschen die Rede ist. Der Mensch entspricht nur dann wirklich sich selbst, wenn er seinem Schöpfer entspricht. Autonomie und Theonomie sind also keine Gegensätze, sondern müssen zusammengedacht werden. Im Hinblick auf die Problematik der aktiven Sterbehilfe reicht es demnach nicht, auf das Selbstbestimmungsrecht des Menschen zu verweisen. Die menschliche Autonomie erhält im Glauben Orientierung. In der neutestamentlichen Überlieferung vom Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu Christi zeigt sich Gott mit den Leidenden solidarisch und überwindet Leid und Tod. Gott ist ein Gott des Lebens, nicht des Todes. Im Wirken Jesu von Nazareth sind die Überwindung von Krankheit und Leid und der Dienst am Leben untrennbar miteinander verbunden. Eine Ethik in der Nachfolge Jesu steht daher ganz im Zeichen der Lebensförderung und kann sich auf kein Gebot berufen, das die Tötung eines Menschen rechtfertigt.[163]

 

Wenn nun Tötung auf Verlangen und Beihilfe zum Suizid vor dem Hintergrund des christlichen Glaubens nicht legitimiert werden können, so darf daraus nicht geschlussfolgert werden, dass sie in jedem Falle zu verurteilen sind. Zwar muss die Theologie jeder theoretischen Rechtfertigung der aktiven Sterbehilfe entschieden entgegentreten. In der Praxis spielen jedoch die von ihr kritisierten prinzipiellen Argumente oft – wenn überhaupt – eine untergeordnete Rolle.[164] Ausschlaggebend für die Tötungsbitte ist meist, dass der Betroffene glaubt, seinen Zustand nicht länger ertragen zu können. Er fühlt sich am Ende seiner Kraft. Der barmherzige Gott, der das Leben will, und der eigene erbärmliche Zustand können nicht miteinander in Einklang gebracht werden. Es ist die Situation des Kreuzes, in der sich die Theodizeefrage in existentieller Weise stellt. Die Theologie hat hier keine Antwort zu bieten. Akzeptiert sie diese Grenze nicht, so verstrickt sie sich unweigerlich in Zynismen.[165] Der Glaube, dass Gott auch und gerade im Leiden nicht fern ist, ist keine abstrakte Wahrheit, die es allen gegensätzlichen Erfahrungen zum Trotz zu verteidigen gilt, sondern eine Hoffnung, die sich im konkret helfenden, betenden, klagenden oder auch stummen Beistand für den Leidenden bewähren muss.[166] Genauso wenig wie die Theologie eine Antwort auf die Theodizeefrage geben kann, steht es ihr zu, darüber zu urteilen, wenn ein Mensch an seinem Leiden zerbricht und sich das Leben nimmt. Dass es immer wieder zerstörerisches Leiden gibt, dem gegenüber Menschen machtlos sind, ist ja gerade der Kern des Theodizeeproblems. Der selbst gewählte Tod eines Menschen bildet hier keine Lösung, sondern führt mitten in das Problem hinein und stellt uns vor die Frage, ob wir wirklich alles getan haben, um dem Leidenden den unverlierbaren Wert seines Lebens erfahrbar zu machen.

 

Im Falle der Tötung auf Verlangen liegen die Dinge nun aber noch komplizierter. Denn hier ist es ja nicht der Leidende selbst, der seinem unerträglich gewordenen Leben ein Ende setzt, sondern er nimmt dazu die Hilfe anderer in Anspruch. Auch diejenigen, die einer Bitte um aktive Sterbehilfe nachkommen, beziehen sich seltener auf eine vermeintliche moralische Pflicht als auf die Unerträglichkeit der Situation als Grund für ihr Handeln.[167] Eine solche Begründung birgt die Gefahr, dass die Gefühle und Interessen der Pflegenden die des Kranken überlagern. So ist die „’Tötung aus Mitleid’ […] immer verdächtig, Tötung aus verweigertem Mit-Leiden zu sein“[168] Oder anders ausgedrückt: „Es ist eines, ob die Leidensfähigkeit des Leidenden zum Ausgangspunkt genommen wird oder aber die Geduld und Bereitschaft derer, die Leidende begleiten.“[169] In der Praxis lassen sich das Mit-Leiden mit einem anderen Menschen und das eigene Leiden an dessen Situation kaum auseinander-halten. Es kann nun aber nicht einfach unterstellt werden, dass bei der Erfüllung einer Sterbehilfebitte immer die Interessen Dritter das letztlich ausschlaggebende Moment bilden. Wer „einem schwer leidenden Menschen in Liebe verbunden ist, ihn in seiner Biographie, seinen Lebensanschauungen genau kennt und seinen Lebens- und Leidensweg über längere Zeit intensiv persönlich begleitet hat“[170], kann sich unter Umständen so in ihn hineinversetzen, dass er nicht einfach seine eigenen Gefühle in ihn hineinprojiziert.[171] Wer auf diese Weise das Leiden, die Verzweiflung und das Ende der Kräfte eines Kranken miterlebt und -erleidet, kann sich dazu genötigt sehen, dessen Bitte um Sterbehilfe zu erfüllen. Eine solche Entscheidung ist mit einer enormen emotionalen Belastung verbunden. Die Tötung eines vertrauten Menschen dürfte gerade von demjenigen, der sie vollzieht, nicht als die beste Lösung, sondern als bleibendes, schmerzliches Problem empfunden werden. „Wenn aus [der] Ohnmacht heraus, […] helfen zu wollen und zu sollen, aber doch mit keinem Mittel wirklich helfen zu können, zum Mittel der Tötung gegriffen wird, so entzieht sich ein solcher Schritt jeglicher allgemeiner normativer ethischer Be- und Verurteilbarkeit […] Es gibt tragische Lebenssituationen, die sich der normativ ethischen Erfassung und Beurteilung entziehen, in denen der Täter allein mit seinem Gewissen vor Gott steht und in denen er schuldig wird, wie immer er handelt …“[172]

 

Ausgehend von all diesen Überlegungen sollte ein theologischer Beitrag zur ethischen Debatte um die aktive freiwillige Sterbehilfe die folgenden Punkte berücksichtigen:

 

·       Aus der Sicht des christlichen Glaubens ist jeder Art von negativen Lebenswerturteilen klar entgegenzutreten. Weil Gott ein Gott des Lebens ist, hat der Mensch die Aufgabe, Leben zu fördern und zu schützen. Dabei sind ihm jedoch immer wieder Grenzen gesetzt.

 

·       Die Begegnung mit diesen Grenzen provoziert die Frage nach dem Warum des Leidens. Auf diese Frage weiß die Theologie keine Antwort. Von Ostern her lebt christlicher Glaube aber in der Hoffnung, dass Gott auch in Leid und Tod nicht fern ist und beide schließlich überwinden will. Diese Hoffnung kann eine Hilfe sein, das unerklärliche Leiden auszuhalten und Leidenden beizustehen.

 

·       Dennoch kann und darf christliche Theologie ihre Augen nicht davor verschließen, dass immer wieder Menschen am eigenen Leiden oder dem Leiden anderer verzweifeln. Der Tod kann dann als letzter Ausweg erscheinen, dem zur Qual gewordenen Leben zu entkommen. Wer wollte ausschließen, dass der verzweifelte Abbruch eines Lebens von der  Hoffnung getragen sein kann, dass der Sterbende im Tod bei Gott geborgen ist? Es mag vielleicht paradox erscheinen, die Verzweiflung am Leiden und die Hoffnung, dass Gott den Tod überwindet, zusammenzudenken. Aber kennzeichnet eine solche Spannung nicht auch die Klage, die aus dem Gefühl der Gottverlassenheit heraus an Gott gerichtet wird?

 

·       Dass es Situationen gibt, in denen Menschen dem Leiden in einer Weise ausgeliefert sind, die sie in den Tod treibt, kann aus der Sicht des christlichen Glaubens nicht einfach hingenommen werden. Es ist vielmehr alles zu tun, um schwer leidenden Menschen ihr Leben erträglich zu machen. Wo aber sämtliche Möglichkeiten der menschlichen und medizinischen Begleitung Sterbender erschöpft sind, da entzieht sich die Tötung auf Verlangen genauso wie die Selbsttötung jeglicher moralischen Beurteilung. Der Versuch, lebensbeendigendes Handeln – unter welchen Umständen auch immer – zu rechtfertigen, also für richtig zu erklären oder gar als Recht zu fordern, führt dazu, dass Gottes unbedingtes Ja zum Leben in Frage gestellt wird.[173] Wer andererseits die Lebens-beendigung in extremen Grenzsituationen mit dem Hinweis auf Gott als alleinigen Herrn über Leben und Tod verurteilt, läuft Gefahr, die Herrschaft Gottes gegen seine Barmherzigkeit auszuspielen.[174]

 

Damit bewegt sich die theologische Ethik auf einem schmalen Grat. Sie muss unterscheiden, wann aktive Sterbehilfe vor dem Horizont des christlichen Glaubens mit aller Deutlichkeit abzulehnen ist und welches die Grenzfälle sind, in denen sich die Theologie entschieden eines moralischen Urteils enthalten muss. Nur auf diese Weise kann das Problembewusstsein in Sachen Sterbehilfe jenseits einer rigoristischen Moral gewahrt werden.[175] Wo Menschen am Leiden zerbrechen, sind jegliche Schuldzuweisungen unangebracht. Stattdessen könnte die Aufgabe der Theologie darin bestehen, die Hoffnung auf die unverbrüchliche Barmherzigkeit Gottes wach zu halten.[176] Diese Barmherzigkeit gilt auch denjenigen, die an der Grenze ihrer Leidensfähigkeit im Tod Zuflucht zu Gott suchen und denen, die ihnen – ebenfalls am Leiden verzweifelt – dabei helfen.

 

 

III.2. Praktische Konsequenzen

 

III.2.1. Vermeidung von Grenzsituationen

 

Die Beendigung eines Menschenlebens kann aus der Sicht des christlichen Glaubens niemals als Lösung eines Problems betrachtet werden. Es muss vielmehr alles getan werden, um zu verhindern, dass Menschen in eine Lage geraten, in der ihnen der Tod als einziger Ausweg erscheint. Dem Plädoyer der Kirchen für eine verbesserte palliative Pflege ist daher uneingeschränkt zuzustimmen. Dabei ist keineswegs nur die Medizin gefordert. Eine optimale Schmerzbekämpfung ist nur dann möglich, wenn die Behandlung mit Medikamenten von einer intensiven menschlichen Zuwendung begleitet wird. Der Zusammenhang von seeli-schem und körperlichem Leiden ist heute weitgehend anerkannt. Laut Ulrich Eibach, der unter anderem als Krankenhausseelsorger tätig ist, sind es in erster Linie seelische Leiden, die zu einer Bitte um aktive Sterbehilfe führen.[177]

Der Mensch ist ein soziales Wesen. Wie Kranke ihren Zustand empfinden, hängt auch davon ab, welche Ideale des Menschseins in ihrer Umgebung dominieren. Ein individualistisches Menschenbild, in dem Autonomie, Leistungsfähigkeit und gesellschaftlicher Nutzen eine zentrale Rolle spielen, erschwert Kranken den Umgang mit ihrer eigenen Abhängigkeit. In der Sicht des christlichen Glaubens gehört das Angewiesensein auf andere und insbesondere die Angewiesenheit auf Gott wesentlich zum Menschsein dazu. Ein solches Menschenbild, in dem Hilfsbedürftigkeit keinen Makel darstellt, gilt es im Interesse der Kranken zur Geltung zu bringen. Dabei sind nun aber weniger theoretische Stellungnahmen als konkretes praktisches Handeln gefragt. Das Menschenbild einer Gesellschaft wird nicht am ‚grünen Tisch’ entworfen, sondern durch das Verhalten eines jeden Einzelnen mitgeprägt. Die Überzeugung, dass jeder Mensch einen unverlierbaren Wert hat, muss in der Zuwendung zu denjenigen, die auf Hilfe angewiesen sind, gelebt werden.

 

 

III.2.2. Zum rechtlichen Umgang mit Tötungshandlungen in Grenzsituationen

 

Vor dem Hintergrund der theologisch-ethischen Überlegungen soll nun noch einmal nach einer geeigneten rechtlichen Regelung gefragt werden. Dem Verzicht auf ein moralisches Urteil in Grenzsituationen ist es angemessen, in solchen Fällen von Bestrafung abzusehen. Gleichzeitig muss jedoch einem möglichen Missbrauch des Grenzfallargumentes ein Riegel vorgeschoben werden. Der rechtliche Umgang mit der Tötung auf Verlangen darf zudem nicht deren moralische Rechtfertigung suggerieren. Lebensbeendendes Handeln sollte vielmehr auch in ethisch unlösbaren Situationen als gesellschaftliches Problem wahr-genommen werden.

Eine beträchtliche Schwierigkeit für eine wie auch immer geartete rechtliche Regelung besteht darin, dass sich weder die Freiwilligkeit der Sterbehilfebitte, noch die Ausweg-losigkeit und Unerträglichkeit des Zustandes eines Leidenden genau messen lassen. Es mag zwar medizinische Richtlinien dafür geben, wann therapeutische und palliative Behandlungs-möglichkeiten erschöpft sind. Krankheit und Schmerzen werden aber individuell ganz unterschiedlich erlebt. Das Maß des Leidens ist keineswegs nur von physischen, sondern auch von sozialen und psychischen Faktoren abhängig. Ob es sich bei einem konkreten Fall um einen Grenzfall handelt, der das Absehen von Strafe rechtfertigt, lässt sich daher nicht eindeutig beweisen, sondern kann jeweils nur mehr oder weniger plausibel gemacht werden.

 

Das neue niederländische Sterbehilfegesetz spiegelt den Versuch, der beschriebenen Situation gerecht zu werden. Der vielfach kritisierte subjektive Charakter der Sorgfaltskriterien entspricht dem individuellen Erleben des Leidens. Die nachträgliche Überprüfung der einzelnen Fälle soll Missbräuchen entgegenwirken. Nun wurde bereits gesagt, dass die wirklich problematischen Fälle auch in den Niederlanden nicht gemeldet werden. Darüber hinaus scheint es fraglich, ob das Ausfüllen eines Meldeformulars und ein daran anschlie-ßendes standardisiertes und vor allem auf medizinische Aspekte konzentriertes Kontroll-verfahren dem Maß an Verantwortung gerecht wird, das jemand übernimmt, wenn er einen anderen Menschen auf dessen Bitte hin tötet.

Zudem sollte die normative Ausstrahlungskraft von Gesetzen nicht unterschätzt werden. Was ausdrücklich als straffrei erklärt wird, gilt als erlaubt und damit als moralisch unbedenklich. Die Tatsache, dass in den Kontrollkommissionen Ethikfachleute mitwirken, kann ein solches Missverständnis fördern.[178] Es ist meines Erachtens daher weniger wahrscheinlich, dass die niederländische Regelung einem willentlichen Missbrauch Vorschub leistet. Das neue Gesetz kann aber leicht als Lösung für ein eigentlich weder moralisch noch rechtlich sauber zu lösendes Problem erscheinen und  birgt damit die Gefahr einer unbewussten Ausweitung der Sterbehilfefälle.[179]

 

Als letzte Bastion gegen unerlaubte Übergriffe auf das Leben anderer ist das „Strafrecht […] ein ‚misstrauisches’ Recht.“[180] Der gesetzliche Lebensschutz kann daher nur suspendiert werden, wenn sich die Ausnahmen in überzeugender Weise einschränken lassen. Eine klare Abgrenzung scheint jedoch im Falle der aktiven Sterbehilfe nicht möglich zu sein.[181]

 

Die Geschichte der niederländischen Sterbehilfepolitik zeigt, dass auch ohne eine gesetzliche Regelung in bestimmten Fällen von Bestrafung abgesehen werden kann, nämlich dann, wenn das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass eine absichtlich begangene, strafbare Tat, dem oder der Betroffenen aufgrund bestimmter Begleitumstände nicht vorzuwerfen ist. Vielleicht kann gerade auf diese Weise das Problembewusstsein in Sachen Sterbehilfe gewahrt werden, ohne dabei zu verkennen, dass sich bestimmte Fälle dem moralischen Urteil entziehen.[182] Eine solche Regelung über die Rechtsprechung beinhaltet aber auch, dass die aktive freiwillige Sterbehilfe vor Gericht verantwortet werden muss. Besonders für diejenigen, die aufgrund ihres Berufes häufiger mit schwerstem Leiden und der Bitte um Sterbehilfe konfrontiert sind, stellt dies eine zusätzliche Belastung dar. Einer unangemessenen Kriminalisierung lebensbeendenden Handelns in Grenzsituationen muss daher durch eine öffentliche und standesethische Debatte entgegengewirkt werden, die den unlösbaren ethischen Konflikt, vor dem die Betroffenen in einer solchen Situation stehen, bewusst macht.

 

 

Schlusswort

 

Die Begegnung mit ausweglosem unerträglichen Leiden stellt uns vor letztlich unlösbare ethische und rechtliche Probleme. In der konkreten Wirklichkeit spielen diese theoretischen Aporien jedoch eine untergeordnete Rolle. Krankheit, schweres Leiden und Sterben betreffen Menschen auf einer existentiellen Ebene. Christen bilden hier keine Ausnahme. Der Glaube, dass Gott auch in Leid und Tod nicht fern ist und beide letztlich überwinden will, kann eine Hilfe sein, das Leiden auszuhalten und bis zuletzt zu ertragen. Gleichzeitig wird die christliche Hoffnung in Grenzsituationen aber selbst massiv in Frage gestellt und kann nur  wider den Augenschein festgehalten werden. Gebet und Klage sind dafür oft der einzige Weg. Eine solche Hoffnung allen Widerwärtigkeiten zum Trotz spiegelt sich in den Worten Dietrich Bonhoeffers, wenn er schreibt: „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein…“[183]

Der Glaube an die Barmherzigkeit Gottes darf nun aber nicht da enden, wo Menschen ihn am nötigsten brauchen: wenn sie an ihrem eigenen Leiden oder dem Leiden, das sie anderen tragen helfen, zerbrechen und dem Leben ein Ende machen.

 

An den Grenzen dessen, was Menschen tun können, aber auch an den Grenzen dessen, was sie ertragen können, bleibt uns nichts, als auf Gottes Barmherzigkeit zu hoffen und zu vertrauen.


Literturverzeichnis

 

1.     Ach, Johann S./ Gaidt, Andreas: Wehret den Anfängen?: Anmerkungen zum Argument der „schiefen Ebene” in der gegenwärtigen Euthanasie-Debatte. In: Frewer, Andreas/ Eickhoff, Clemens (Hrsg.): „Euthanasie” und die aktuelle Sterbehilfe-Debatte. Frankfurt a.M./ New York 2000, S.424-447

2.     Bonhoeffer, Dietrich: Die Psalmen: Das Gebetbuch der Bibel: Eine Einführung. Bad Salzuflen/ Gießen/ Basel 141995

3.     Bonhoeffer, Dietrich: Widerstand und Ergebung: Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. / herausgegeben von Eberhard Bethge. Berlin 1957

4.     Bonhoeffer, Dietrich: Ethik. / zusammengestellt und herausgegeben von Eberhard Bethge. München 71966

5.     Bottke, Wilfried: Selbsttötung und Sterbehilfe als gemeinsame Grenzprobleme von Recht, Strafrecht und Moral. ZEE 28 (1984), S.321-339

6.     Eibach, Ulrich: Sterbehilfe – Tötung aus Mitleid?: eine theologisch-ethische Stellung-nahme zur Euthanasie. Wuppertal 21998

7.     Eibach, Ulrich: Gesundheit ist nicht das höchste Gut. In: Dt Ärzteblatt 2001; 98:A899-900 (Heft14)

8.     Eibach, Ulrich: Art. Suizid. In: Evangelisches Soziallexikon: Neuausgabe. / hrsg. von Martin Honecker u.a. Stuttgart/ Berlin/ Köln 2001, Sp. 1574-1577

9.     Eser, Albin: Möglichkeiten und Grenzen der Sterbehilfe aus der Sicht eines Juristen. In: Jens, Walter/ Küng, Hans: Menschenwürdig sterben: Ein Plädoyer für Selbstverant-wortung. München 1995, S.149-183.

10.  Eser, Albin: Art. Sterbehilfe: 2. Rechtlich. In: Lexikon der Bioethik. 3.Bd. / hrsg. im Auftrag der Görres-Gesellschaft von Willhelm Korff u.a. Gütersloh 1998, S.448-451

11.  Eser, Albin: Art. Suizid: 2. Rechtlich. In: Lexikon der Bioethik. 3.Bd. / hrsg. im Auftrag der Görres-Gesellschaft von Willhelm Korff u.a. Gütersloh 1998, S.493-496

12.  Euthanasie: De nieuwe regels in Nederland. / Ministerie van Volksgezondheit, Welzijn en Sport. http://www.minvws.nl/documents/IBE/Folder/broch-euthanasie-nl.pdf (19.08.2002)

13.  FAQ Sterbehilfe: Fragen und Antworten zum niederländischen Gesetz über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei der Selbsttötung. / hrsg. von der Abteilung Auslandsinformation des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten           in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Gesundheit, Gemeinwohl und Sport und  dem Ministerium der Justiz. http://www.minbuza.nl/OriginalDocuments/c_57811.pdf (15.08.2002)

14.  Fasselt, Gerd: Art. Sterbehilfe/ Sterbebegleitung. In: Lexikon der Bioethik. 3.Bd. / hrsg. im Auftrag der Görres-Gesellschaft von Willhelm Korff u.a. Gütersloh 1998, S.440-444

15.  Fischer, Johannes: Aktive und passive Sterbehilfe. In: ZEE 40 (1996), S.110-127

16.  Gesetz über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei der Selbsttötung. / Erste Kammer, Sitzungsjahr 2000-2001, 26 691 Nr. 137. http://www. minbuza.nl/OriginalDocuments/c_55113.pdf (15.08.2002)

17.  Gordijn, Bert: Euthanasie in den Niederlanden – eine kritische Betrachtung. Dortmund 1997 (Berliner Medizinische Schriften, 19)

18.  Gordijn, Bert/ Janssenes, M.J.P.A./ Schade, Eduard/ Wanrooij, Bernadina: The Netherlands. In: Sohn, Wolfgang/ Zenz, Michael (Hrsg.): Euthanasia in Europe: national laws, medical guidelines, ethical aspects. Stuttgart/ New York 2001, S.135-160

19.  Griffiths, John: The Slippery Slope: Are The Dutch Sliding Down or Are They Clambering Up? In: Thomasma, David C. u.a. (Hrsg.): Asking to Die: Inside the Dutch Debate about Euthanasia. Dordrecht/ Boston/ London 1998, S.93-104

20.  de Haan, Juriaan: The Ethics of Euthanasia: Advocates‘ Perspectives. In: Bioethics 16/2 (2002), S.154-172

21.  ten Have, Henk/ Welie, Jos: Euthanasie – eine gängige medizinische Praxis? Zur Situation in den Niederlanden. In: Zeitschrift für medizinische Ethik 39 (1993), S.63-72

22.  ten Have, Henk: Euthanasia and the Power of Medicine. In: Thomasma, David C. u.a. (Hrsg.): Asking to Die: Inside the Dutch Debate about Euthanasia. Dordrecht/ Boston/ London 1998, S.205-220

23.  Holderegger, Adrian: Art. Suizid: 3.Ethisch. In: Lexikon der Bioethik. 3.Bd. / hrsg. im Auftrag der Görres-Gesellschaft von Willhelm Korff u.a. Gütersloh 1998, S.496-499

24.  Jochemsen, Henk: The Range of Objections to Euthanasia. In: Thomasma, David C. u.a. (Hrsg.): Asking to Die: Inside the Dutch Debate about Euthanasia. Dordrecht/ Boston/ London 1998, S.227-240

25.  Joest, Wilfried: Dogmatik Bd.2: Der Weg Gottes mit dem Menschen. Göttingen 41996 (UTB 1413)

26.  Jüngel, Eberhard: Tod. Gütersloh 51993 (Gütersloher Taschenbücher 1295)

27.  Kimsma, Gerrit K./ van Leeuwen, Evert: Euthanasia and Assisted Suicide in the Netherlands and the USA: Comparing Practices, Justifications and Key Concepts in Bioethics and Law. In: Thomasma, David C. u.a. (Hrsg.): Asking to Die: Inside the Dutch Debate about Euthanasia. Dordrecht/ Boston/ London 1998, S.35-70

28.  Kimsma, Gerrit K./ van Leeuwen, Evert: Euthanasie in den Niederlanden: Historische Entwicklung, Argumente und heutige Lage. In: Frewer, Andreas/ Eickhoff, Clemens (Hrsg.): „Euthanasie” und die aktuelle Sterbehilfe-Debatte. Frankfurt a.M./ New York 2000, S.276-312

29.  Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. / Bearb. von Elmar Seebold. Berlin/ New York 231995

30.  Körtner, Ulrich H.J.: Bedenken, dass wir sterben müssen: Sterben und Tod in Theologie und medizinischer Ethik. München 1996 (Beck’sche Reihe 1147)

31.  Körtner, Ulrich H.J.: Evangelische Sozialethik: Grundlagen und Themenfelder. Göttingen 1999 (UTB 2107)

32.  Körtner, Ulrich H.J.: Unverfügbarkeit des Lebens?: Grundfragen der Bioethik und der medizinischen Ethik. Neukirchen-Vluyn 2001

33.  Kuitert, Harry M.: Der gewünschte Tod: Euthanasie und humanes Sterben. Gütersloh 1991

34.  Küng, Hans: Menschenwürdig Sterben. In: Jens, Walter/ Küng, Hans: Menschenwürdig sterben: Ein Plädoyer für Selbstverantwortung. München 1995, S.13-85.

35.  Legemaate, Johan: Twenty-Five Years of Dutch Experience and Policy on Euthanasia and Assisted Suicide: an Overview. In: Thomasma, David C. u.a. (Hrsg.): Asking to Die: Inside the Dutch Debate about Euthanasia. Dordrecht/ Boston/ London 1998, S.19-34

36.  von Lutterotti, Markus/ Eser, Albin: Art. Sterbehilfe. In: Lexikon Medizin, Ethik, Recht. / hrsg. von Albin Eser u.a. Freiburg/ Basel/ Wien 1989, Sp.1086-1101

37.  Mettner, Matthias: Zur Einführung: Wie menschenwürdig Sterben. In: Ders. (Hrsg.): Wie menschenwürdig sterben?: Zur Debatte um die Sterbehilfe und zur Praxis der Sterbebegleitung. Zürich 22001, S.7-16

38.  Pieper, Annemarie: Art. Autonomie. In: Lexikon der Bioethik. 1.Bd. / hrsg. im Auftrag der Görres-Gesellschaft von Willhelm Korff u.a. Gütersloh 1998, S.289-293

39.  Preuß, Horst-Dietrich/ Berger, Klaus: Bibelkunde des Alten und Neuen Testaments. Teil 1. Altes Testament. Heidelberg/ Wiesbaden 51993 (UTB 887)

40.  Rest, Franco: Sterbebegleitung statt Sterbehilfe: Damit das Leben auch im Sterben lebenswert bleibt. Freiburg i.Br. 1997

41.  Reuter, Birgit: Die gesetzliche Regelung der aktiven ärztlichen Sterbehilfe des Königreichs der Niederlande – ein Modell für die Bundesrepublik Deutschland? Frankfurt a.M. u.a. 22002

42.  Schara, Joachim/ Beck, Lutwin: Art. Sterbehilfe: 1. Zum Problemstand. In: Lexikon der Bioethik. 3.Bd. / hrsg. im Auftrag der Görres-Gesellschaft von Willhelm Korff u.a. Gütersloh 1998, S.445-448

43.  Schneider-Flume, Gunda: Was heißt: Menschenwürdig sterben? In: Götzelmann, Arnd u.a. (Hrsg.): Diakonie der Versöhnung: Ethische Reflexion und soziale Arbeit in ökume-nischer Verantwortung. Gütersloh/ Stuttgart 1998, S. 365-374

44.  Schneider-Flume, Gunda: Leben ist kostbar. Wider die Tyrannei des gelingenden Lebens. Göttingen 2002 (Transparent, 66)

45.  Schwartländer, Johannes: Art. Menschenwürde/ Personwürde. In: Lexikon der Bioethik. 2.Bd. / hrsg. im Auftrag der Görres-Gesellschaft von Willhelm Korff u.a. Gütersloh 1998, S.683-688.

46.  Schuster, Josef: Art. Sterbehilfe: 3. Ethisch. In: Lexikon der Bioethik. 3.Bd. / hrsg. im Auftrag der Görres-Gesellschaft von Willhelm Korff u.a. Gütersloh 1998, S.451-454

47.  Sohn, Wolfgang/ Csef, Herbert: Germany. In: Sohn, Wolfgang/ Zenz, Michael (Hrsg.): Euthanasia in Europe: national laws, medical guidelines, ethical aspects. Stuttgart/ New York 2001, S.67-80

48.  Spaemann, Robert/ Fuchs, Thomas: Töten oder sterben lassen?: Worum es in der Euthanasiedebatte geht. Freiburg/ Basel/ Wien 21997

49.  Splett, J.: Auf ein Wort: Recht auf Tod? In: Zeitschrift für medizinische Ethik 42 (1996), S.57-61

50.  Strohm, Theodor: Sanctity or Quality of Life? Zum Stand der wissenschaftlichen Debatte um Peter Singers Ansatz. In: Ders.: Diakonie und Sozialethik: Beiträge zur sozialen Verantwortung der Kirche / hrsg. von Gerhard K. Schäfer und Klaus Müller. Heidelberg 1993, S.171-182

51.  Thomasma, David C. u.a. (Hrsg.): Asking to Die: Inside the Dutch Debate about Euthanasia. Dordrecht/ Boston/ London 1998

52.  van der Wal, Gerrit/ van der Maas, P.J.: Euthanasie en andere medische beslissingen rond het levenseinde: De praktijk en de meldingsprocedure. Den Haag 1996

53.  van der Wal, Gerrit/ van der Maas, P.J.: Empirical Research on Euthanasia and Other Medical End-of-Life Decisions and the Euthanasia Notification Procedure. In: Thomasma, David C. u.a. (Hrsg.): Asking to Die: Inside the Dutch Debate about Euthanasia. Dordrecht/ Boston/ London 1998, S.149-183

54.  Welie, Jos V.M.: Why Physicians? Reflections on The Netherlands’ New Euthanasia Law. In: Hastings Center Report 32/1 (2002) S.42-44

55.  Wiesing, Urban: Art. Euthanasie. In: Lexikon der Bioethik. 1.Bd. / hrsg. im Auftrag der Görres-Gesellschaft von Willhelm Korff u.a. Gütersloh 1998, S.704-706

56.  van Willigenburg u.a.: Ethiek in praktijk. Assen 21998

57.  Zimmermann-Acklin, Markus: Euthanasie: Eine theologisch-ethische Untersuchung, Freiburg, Schweiz/ Freiburg, Breisgau/ Wien 1997 (Studien zur theologischen Ethik, 79)

58.  Zimmermann-Acklin, Markus: Töten oder Sterbenlassen? In: Mettner, Matthias (Hrsg.): Wie menschenwürdig sterben?: Zur Debatte um die Sterbehilfe und zur Praxis der Sterbebegleitung. Zürich 22001, S.51-70

 


Kirchliche Stellungnahmen – Niederlande

 

1.     Petitie (13.März 2001). http://www.sowkerken.nl/documenten/petitie.htm (14.9.2002); http://www.sowkerken.nl/documenten/ondertekenaarspetitieeuth.html (14.9.2002)

 

SoW-Kirchen

 

1.     Euthanasie en Pastoraat (1985). In: Euthanasie en Pastoraat. s’Gravenhage 1988, S.5-45.

2.     Euthanasie en Patoraat, vervolgrapport (1987). In: Euthanasie en Pastoraat. s’Graven-hage 1988, S.47-107

3.     Verklaring Samen op weg-kerken (November 1999). In: de Lange, Frits/ Jans, Jan: De dood in het geding: Euthanasiewetgeving en de kerken. Kampen 2000, 18-22

4.     Toelichting Samen op Weg-kerken op petitie over euthanasie (13.März 2001). http://sowkerken.nl/documenten/toelichtingeuthanasiedebat.html (14.9.2002)

 

Römisch-katholische Kirche

 

1.     Herderlijk schrijven over lijden en sterven van zieken (5.3.1985). http://www.katholiek nederland.nl/nieuws/euthanasie/index_11587.html (14.9.2002)

2.     Reactie vaan de Nederlandse R.-K. Bisschoppenconferentie op het wetsontwerp toetsing van levensbeëindiging op verzoek en hulp bij zelfdoding en tot wijziging van het Wetboek van Strafrecht en van het Wet op de lijkbezorging – Wet toetsing levensbeëindiging op verzoek en hulp bij zelfdoding (Oktober 1999). In: de Lange, Frits/ Jans, Jan: De dood in het geding: Euthanasiewetgeving en de kerken. Kampen 2000, S.11-16

3.     Zorg in lijden en sterven (7.4.2000). http://www.katholieknederland.nl/nieuws/euthanasie/ index_11564.html (14.9.2002)

4.     Euthanasie en menselijke waardigheid: Een verzameling van bijdragen van de Nederlandse Rooms-Katholieke Bisschoppenconferentie aan het proces van de ontwikkeling van wetgeving 1983-2001. http://www.katholieknederland.nl/nieuws/ euthanasie/index_11589.html (14.9.2002)

 


Kirchliche Stellungnahmen - Deutschland

 

1.     Gott ist ein Freund des Lebens: Herausforderungen und Aufgaben beim Schutz des Lebens: Gemeinsame Erklärung der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz (1989). / hrsg. vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland und vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz u.a. Gütersloh 51991

2.     Im Sterben: Umfangen vom Leben: Gemeinsames Wort zur Woche für das Leben 1996. / hrsg. vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland und vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. (Gemeinsame Texte 6)

3.     Christliche Patientenverfügung (1999). / hrsg. vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland und vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz u.a. 4. Nachdruck. 2000 (Gemeinsame Texte 15)

4.     Stellungnahme des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, zur Legalisierung der aktiven Sterbehilfe in den Niederlanden (11.4.2001). http://dbk.de/presse/pm2001/pm2001041101.html

5.     Stellungnahme zur gesetzlichen Freigabe aktiver Sterbehilfe in den Niederlanden. / EKD-Ratsvorsitzender, Präses Manfred Kock (11.4.2001). http://www.ekd.de/presse/ 397_3501.html


Anhang

 

Gesetz über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen

und der Hilfe bei der Selbsttötung [i]

 

Wir, Beatrix, von Gottes Gnaden Königin der Niederlande, Prinzessin

von Oranien-Nassau usw. –

allen, die dies lesen oder hören, Unseren Gruß! – lassen wissen:

dass Wir, in der Erwägung, dass es wünschenswert ist, in das

Strafgesetzbuch einen Strafausschließungsgrund für den Arzt

aufzunehmen, der unter Berücksichtigung der gesetzlich zu

verankernden Sorgfaltskriterien Lebensbeendigung auf Verlangen

vornimmt oder Hilfe bei der Selbsttötung leistet, und dazu gesetzliche

Vorschriften für ein Melde- und Kontrollverfahren zu erlassen,

nach Anhörung des Staatsrats und im Einvernehmen mit den

Generalstaaten folgendes Gesetz gutheißen und billigen:

 

 

KAPITEL I. BEGRIFFSBESTIMMUNGEN

 

Artikel 1

Im Sinne dieses Gesetzes sind:

a) Unsere Minister: der Minister der Justiz und der Minister für

Gesundheit, Gemeinwohl und Sport;

b) Hilfe bei der Selbsttötung: die vorsätzliche Unterstützung eines

anderen bei der Selbsttötung oder die Verschaffung der dazu

erforderlichen Mittel im Sinne des Artikels 294 Absatz 2 Satz 2

Strafgesetzbuch;

c) der Arzt: der Arzt, der gemäß der Meldung Lebensbeendigung auf

Verlangen vorgenommen oder Hilfe bei der Selbsttötung geleistet hat;

d) der beratende Arzt: der Arzt, der in Bezug auf das Vorhaben eines

Arztes, Lebensbeendigung auf Verlangen vorzunehmen oder Hilfe bei

der Selbsttötung zu leisten, zu Rate gezogen wurde;

e) die Behandelnden: Behandelnde im Sinne des Artikels 446 Absatz

1 von Buch 7 des Bürgerlichen Gesetzbuchs;

f) die Kommission: eine regionale Kontrollkommission im Sinne des

Artikels 3;

g) Regionalinspekteur: ein Regionalinspekteur der Staatlichen

Aufsichtsbehörde für das Gesundheitswesen.

 

 

KAPITEL II. SORGFALTSKRITERIEN

 

Artikel 2

1. Die in Artikel 293 Absatz 2 Strafgesetzbuch genannten

Sorgfaltskriterien beinhalten, dass der Arzt

a) zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Patient seine Bitte

freiwillig und nach reiflicher Überlegung gestellt hat,

b) zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Zustand des Patienten

aussichtslos und sein Leiden unerträglich ist,

c) den Patienten über dessen Situation und über dessen Aussichten

aufgeklärt hat,

d) gemeinsam mit dem Patienten zu der Überzeugung gelangt ist,

dass es für dessen Situation keine andere annehmbare Lösung gibt,

e) mindestens einen anderen, unabhängigen Arzt zu Rate gezogen

hat, der den Patienten untersucht und schriftlich zu den unter den

Buchstaben a bis d genannten Sorgfaltskriterien Stellung genommen

hat, und

f) bei der Lebensbeendigung oder bei der Hilfe bei der Selbsttötung mit

medizinischer Sorgfalt vorgegangen ist.

2. Wenn ein Patient, der das sechzehnte Lebensjahr vollendet hat,

nicht in der Lage ist, seinen Willen zu äußern, jedoch vor Eintritt dieses

Zustands als zur vernünftigen Beurteilung seiner Interessen fähig

angesehen werden konnte und eine schriftliche Erklärung abgegeben

hat, die eine Bitte um Lebensbeendigung beinhaltet, kann der Arzt

dieser Bitte entsprechen. Die in Absatz 1 genannten Sorgfaltskriterien

finden sinngemäß Anwendung.

3. Wenn ein minderjähriger Patient sechzehn oder siebzehn Jahre alt

ist und als zur vernünftigen Beurteilung seiner Interessen fähig

angesehen werden kann, kann der Arzt einer Bitte des Patienten um

Lebensbeendigung oder Hilfe bei der Selbsttötung entsprechen,

nachdem der Elternteil oder die Eltern, der oder die die Gewalt über ihn

ausübt oder ausüben, beziehungsweise sein Vormund in die

Beschlussfassung einbezogen worden sind.

4. Wenn ein minderjähriger Patient zwischen zwölf und fünfzehn Jahre

alt ist und als zur vernünftigen Beurteilung seiner Interessen fähig

angesehen werden kann, kann der Arzt, wenn der Elternteil oder die

Eltern, der oder die die Gewalt über ihn ausübt oder ausüben,

beziehungsweise sein Vormund mit der Lebensbeendigung oder der

Hilfe bei der Selbsttötung einverstanden sind, der Bitte des Patienten

entsprechen. Absatz 2 findet sinngemäß Anwendung.

 

 

KAPITEL III. REGIONALE KONTROLLKOMMISSIONEN FÜR DIE

LEBENSBEENDIGUNG AUF VERLANGEN UND DIE HILFE BEI DER

SELBSTTÖTUNG

 

Abschnitt 1: Einsetzung, Zusammensetzung und Ernennung

 

Artikel 3

1. Es gibt regionale Kommissionen für die Kontrolle der Meldungen

von Fällen von Lebensbeendigung auf Verlangen und Hilfe bei der

Selbsttötung im Sinne des Artikels 293 Absatz 2 beziehungsweise des

Artikels 294 Absatz 2 Satz 2 Strafgesetzbuch.

2. Eine Kommission besteht aus einer ungeraden Zahl von Mitgliedern,

darunter in jedem Fall ein Jurist, der zugleich Vorsitzender ist, ein Arzt

und ein Sachkundiger in Ethik- oder Sinnfragen. Zu einer Kommission

gehören auch stellvertretende Mitglieder jeder der in Satz 1 genannten

Kategorien.

 

 

 

 

Artikel 4

1. Der Vorsitzende und die Mitglieder sowie die stellvertretenden

Mitglieder werden von Unseren Ministern für die Dauer von sechs Jahren

ernannt. Eine Wiederernennung kann einmalig für die Dauer von sechs

Jahren erfolgen.

2. Eine Kommission verfügt über einen Sekretär und einen oder

mehrere stellvertretende Sekretäre, die alle Juristen sein müssen und

von Unseren Ministern ernannt werden. Der Sekretär hat bei den

Sitzungen der Kommission eine beratende Stimme.

3. Der Sekretär ist ausschließlich der Kommission Rechenschaft über

seine Tätigkeiten schuldig.

 

Abschnitt 2: Entlassung

 

Artikel 5

Der Vorsitzende und die Mitglieder sowie die stellvertretenden

Mitglieder können jederzeit auf eigenes Ersuchen von Unseren Ministern

entlassen werden.

 

Artikel 6

Der Vorsitzende und die Mitglieder sowie die stellvertretenden

Mitglieder können von Unseren Ministern wegen mangelnder Eignung

oder mangelnder Sachkenntnis oder aus anderen schwerwiegenden

Gründen entlassen werden.

 

Abschnitt 3: Besoldung

 

Artikel 7

Der Vorsitzende und die Mitglieder sowie die stellvertretenden

Mitglieder erhalten Sitzungsgeld sowie eine Reisekostenvergütung

gemäß den bestehenden staatlichen Regelungen, soweit nicht aus

anderen Gründen eine Vergütung für diese Kosten aus öffentlichen

Kassen geleistet wird.

 

Abschnitt 4: Aufgaben und Befugnisse

 

Artikel 8

1. Die Kommission beurteilt aufgrund der Meldung im Sinne des

Artikels 7 Absatz 2 des Gesetzes über das Leichen- und

Bestattungswesen, ob der Arzt, der die Lebensbeendigung auf

Verlangen vorgenommen oder Hilfe bei der Selbsttötung geleistet hat,

die in Artikel 2 genannten Sorgfaltskriterien eingehalten hat.

2. Die Kommission kann den Arzt ersuchen, seine Meldung schriftlich

oder mündlich zu ergänzen, wenn dies für eine angemessene

Beurteilung seines Handelns erforderlich ist.

3. Die Kommission kann beim Leichenbeschauer der Gemeinde, beim

beratenden Arzt oder bei den beteiligten Behandelnden Auskünfte

einholen, wenn dies für eine angemessene Beurteilung des Handelns

des Arztes erforderlich ist.

 

 

Artikel 9

1. Die Kommission setzt den Arzt innerhalb von sechs Wochen nach

Erhalt der in Artikel 8 Absatz 1 genannten Meldung schriftlich unter

Angabe der Gründe von ihrer Beurteilung in Kenntnis.

2. Die Kommission setzt das Kollegium der Generalstaatsanwälte und

die regionale Gesundheitsinspektion von ihrer Beurteilung in Kenntnis,

a) wenn der Arzt nach Auffassung der Kommission nicht die in Artikel

2 genannten Sorgfaltskriterien eingehalten hat oder

b) wenn eine Situation im Sinne des Artikels 12 letzter Satz des

Gesetzes über das Leichen- und Bestattungswesen gegeben ist.

Die Kommission setzt den Arzt hiervon in Kenntnis.

3. Die in Absatz 1 genannte Frist kann einmalig um höchstens sechs

Wochen verlängert werden. Die Kommission setzt den Arzt hiervon in

Kenntnis.

4. Die Kommission ist befugt, die von ihr abgegebene Beurteilung dem

Arzt gegenüber mündlich zu erläutern. Diese mündliche Erläuterung

kann auf Ersuchen der Kommission oder auf Ersuchen des Arztes

stattfinden.

 

Artikel 10

Die Kommission ist verpflichtet, dem Staatsanwalt auf dessen

Ersuchen hin alle Informationen zu erteilen, die dieser benötigt

1° für die Beurteilung des Handelns des Arztes in Fällen des Artikels 9

Absatz 2 oder

2° für ein Ermittlungsverfahren.

Die Kommission setzt den Arzt von der Erteilung von Informationen an

den Staatsanwalt in Kenntnis.

 

Abschnitt 6: Arbeitsweise

 

Artikel 11

Die Kommission sorgt für die Registrierung der zur Beurteilung

gemeldeten Fälle von Lebensbeendigung auf Verlangen oder Hilfe bei

der Selbsttötung. Durch Verordnung Unserer Minister können hierzu

nähere Vorschriften erlassen werden.

 

Artikel 12

1. Eine Beurteilung wird durch einfache Mehrheit der Stimmen

festgestellt.

2. Eine Beurteilung kann von der Kommission nur dann festgestellt

werden, wenn alle Mitglieder der Kommission an der Abstimmung

teilgenommen haben.

 

Artikel 13

Die Vorsitzenden der regionalen Kontrollkommissionen beraten

mindestens zweimal im Jahr miteinander über die Arbeitsweise und das

Funktionieren der Kommissionen. Zu den Beratungen werden ein

Vertreter des Kollegiums der Generalstaatsanwälte und ein Vertreter der

Staatlichen Aufsichtsbehörde für das Gesundheitswesen eingeladen.

 

 

Abschnitt 7: Geheimhaltung und Ablehnung von Mitgliedern

 

Artikel 14

Die Mitglieder und die stellvertretenden Mitglieder der Kommission

sind zur Geheimhaltung der Informationen, von denen sie bei ihren

Tätigkeiten Kenntnis erlangen, verpflichtet, es sei denn, dass eine

gesetzliche Vorschrift sie zur Mitteilung verpflichtet oder dass sich die

Notwendigkeit zur Mitteilung aus ihrer Aufgabe ergibt.

 

Artikel 15

Ein Mitglied der Kommission, das bei der Behandlung eines Falls Sitz

in der Kommission hat, lehnt sich selbst ab und kann abgelehnt

werden, wenn es Tatsachen oder Umstände gibt, die die

Unparteilichkeit seines Urteils beeinträchtigen könnten.

 

Artikel 16

Ein Mitglied, ein stellvertretendes Mitglied und der Sekretär der

Kommission enthalten sich der Abgabe eines Urteils über das Vorhaben

eines Arztes, Lebensbeendigung auf Verlangen vorzunehmen oder Hilfe

bei der Selbsttötung zu leisten.

 

Abschnitt 8: Berichterstattung

 

Artikel 17

1. Die Kommissionen legen Unseren Ministern jährlich vor dem 1. April

einen gemeinsamen Tätigkeitsbericht über das vergangene Kalenderjahr

vor. Unsere Minister setzen hierfür durch Verordnung ein Muster fest.

2. Der Tätigkeitsbericht nach Absatz 1 enthält in jedem Fall:

a) die Zahl der gemeldeten Fälle von Lebensbeendigung auf Verlangen

oder Hilfe bei der Selbsttötung, zu denen die Kommission eine

Beurteilung abgegeben hat;

b) die Art dieser Fälle;

c) die Beurteilungen und die zugrunde liegenden Erwägungen.

 

Artikel 18

Unsere Minister erstatten jährlich anlässlich der Einreichung des

Haushalts den Generalstaaten Bericht über das Funktionieren der

Kommissionen auf der Grundlage des Tätigkeitsberichts nach Artikel 17

Absatz 1.

 

Artikel 19

1. Auf Vorschlag Unserer Minister werden durch Rechtsverordnung in

Bezug auf die Kommissionen Vorschriften erlassen über

a) ihre Zahl und ihre örtliche Zuständigkeit;

b) ihren Sitz.

2. Durch oder kraft Rechtsverordnung können Unsere Minister in

Bezug auf die Kommissionen nähere Vorschriften erlassen über

a) ihren Umfang und ihre Zusammensetzung;

b) ihre Arbeitsweise und ihre Berichterstattung.

 

KAPITEL IV. ÄNDERUNG ANDERER GESETZE

 

Artikel 20

Das Strafgesetzbuch wird wie folgt geändert.

 

A

Artikel 293 erhält folgende Fassung:

 

Artikel 293

1. Wer vorsätzlich das Leben eines anderen auf dessen

ausdrückliches und ernstliches Verlangen hin beendet, wird mit

Gefängnisstrafe bis zu zwölf Jahren oder mit einer Geldstrafe der fünften

Kategorie bestraft.

2. Die in Absatz 1 genannte Handlung ist nicht strafbar, wenn sie von

einem Arzt begangen wurde, der dabei die in Artikel 2 des Gesetzes

über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei

der Selbsttötung genannten Sorgfaltskriterien eingehalten und dem

Leichenbeschauer der Gemeinde gemäß Artikel 7 Absatz 2 des

Gesetzes über das Leichen- und Bestattungswesen Meldung erstattet

hat.

 

B

Artikel 294 erhält folgende Fassung:

 

Artikel 294

1. Wer einen anderen vorsätzlich zur Selbsttötung anstiftet, wird, wenn

die Selbsttötung vollzogen wird, mit Gefängnisstrafe bis zu drei Jahren

oder mit einer Geldstrafe der vierten Kategorie bestraft.

2. Wer einem anderen vorsätzlich bei der Selbsttötung behilflich ist

oder ihm die dazu erforderlichen Mittel verschafft, wird, wenn die

Selbsttötung vollzogen wird, mit Gefängnisstrafe bis zu drei Jahren oder

mit einer Geldstrafe der vierten Kategorie bestraft. Artikel 293 Absatz 2

gilt entsprechend.

 

C

In Artikel 295 wird nach „293“ hinzugefügt: „Absatz 1“.

 

D

In Artikel 422 wird nach „293“ hinzugefügt: „Absatz 1“.

 

Artikel 21

Das Gesetz über das Leichen- und Bestattungswesen wird wie folgt

geändert.

 

A

Artikel 7 erhält folgende Fassung:

 

Artikel 7

1. Wer die Leichenschau verrichtet hat, stellt einen Totenschein aus,

wenn er davon überzeugt ist, dass der Tod infolge einer natürlichen

Ursache eingetreten ist.

2. Wenn der Tod die Folge von Lebensbeendigung auf Verlangen

oder Hilfe bei der Selbsttötung im Sinne des Artikels 293 Absatz 2

beziehungsweise des Artikels 294 Absatz 2 Satz 2 Strafgesetzbuch

war, stellt der behandelnde Arzt keinen Totenschein aus und teilt die

Ursache des Todes mittels eines Formulars unverzüglich dem

Leichenbeschauer der Gemeinde oder einem der Leichenbeschauer

der Gemeinde mit. Dieser Mitteilung fügt der Arzt einen begründeten

Bericht über die Einhaltung der in Artikel 2 des Gesetzes über die

Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei der

Selbsttötung genannten Sorgfaltskriterien hinzu.

3. Wenn der behandelnde Arzt in anderen als den in Absatz 2

genannten Fällen der Auffassung ist, keinen Totenschein ausstellen

zu können, teilt er dies mittels eines Formulars unverzüglich dem

Leichenbeschauer der Gemeinde oder einem der Leichenbeschauer

der Gemeinde mit.

 

B

Artikel 9 erhält folgende Fassung:

 

Artikel 9

1. Die Form und der Aufbau der Muster für den vom behandelnden

Arzt und vom Leichenbeschauer der Gemeinde auszustellenden

Totenschein werden durch Rechtsverordnung geregelt.

2. Die Form und der Aufbau der Muster für die Mitteilung und den

Bericht nach Artikel 7 Absatz 2, für die Mitteilung nach Artikel 7

Absatz 3 und für die Formulare nach Artikel 10 Absätze 1 und 2

werden auf Vorschlag Unseres Ministers der Justiz und Unseres

Ministers für Gesundheit, Gemeinwohl und Sport durch

Rechtsverordnung geregelt.

 

C

Artikel 10 erhält folgende Fassung:

 

Artikel 10

1. Wenn der Leichenbeschauer der Gemeinde der Auffassung ist,

keinen Totenschein ausstellen zu können, meldet er dies mittels eines

Formulars unverzüglich dem Staatsanwalt und setzt hiervon

unverzüglich den Standesbeamten in Kenntnis.

2. Unbeschadet des Absatzes 1 informiert der Leichenbeschauer der

Gemeinde, wenn eine Mitteilung nach Artikel 7 Absatz 2 vorliegt,

mittels eines Formulars unverzüglich die in Artikel 3 des Gesetzes

über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe

bei der Selbsttötung genannte regionale Kontrollkommission. Dabei

übersendet er auch den begründeten Bericht nach Artikel 7 Absatz 2.

 

D

Dem Artikel 12 wird folgender Satz angefügt:

Wenn der Staatsanwalt in den in Artikel 7 Absatz 2 genannten

Fällen der Auffassung ist, keine Unbedenklichkeitsbescheinigung für

ein Begräbnis oder eine Feuerbestattung ausstellen zu können, setzt

er unverzüglich den Leichenbeschauer der Gemeinde und die in Artikel

3 des Gesetzes über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf

Verlangen und der Hilfe bei der Selbsttötung genannte regionale

Kontrollkommission hiervon in Kenntnis.

 

E

In Artikel 81 Ziffer 1 wird „7 Absatz 1“ ersetzt durch „7 Absätze 1 und 2“.

 

Artikel 22

Das Allgemeine Gesetz über das Verwaltungsrecht wird wie folgt

geändert.

In Artikel 1:6 wird am Ende von Buchstabe d der Punkt durch ein

Semikolon ersetzt und wird folgender Buchstabe angefügt:

e) Beschlüsse und Handlungen zur Durchführung des Gesetzes über

die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei

der Selbsttötung.

 

 

KAPITEL V. SCHLUSSBESTIMMUNGEN

 

Artikel 23

Dieses Gesetz tritt zu einem durch Königlichen Erlass

festzulegenden Zeitpunkt in Kraft.

 

Artikel 24

Dieses Gesetz wird zitiert als: Gesetz zur Kontrolle der

Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei der Selbsttötung.

Wir ordnen an, dass dieses Gesetz im Staatsblatt veröffentlicht wird

und dass alle zuständigen Ministerien, Behörden, Gremien und

Beamten für eine ordnungsgemäße Durchführung sorgen.

Der Minister der Justiz

Die Ministerin für Gesundheit, Gemeinwohl und Sport

 

 

 

 

 


 

 

 

 

 

 



[1] Das Gesetz findet sich in deutscher Fassung im Anhang dieser Arbeit.

[2] Im Staat Northern Territory in Australien wurde 1995 auf ähnliche Weise die aktive Sterbehilfe legalisiert, das Gesetz wurde jedoch 1997 wieder zurückgenommen, vgl. dazu Zimmermann-Acklin, Euthanasie, 1997, S.130-134; Eser, Art. Sterbehilfe, 2. Rechtlich, 1998, S.450.

[3] An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass sich viele der neueren und neusten Publikationen noch auf die Zeit vor der gesetzlichen Neuregelung beziehen.

[4] Vgl. Fasselt, Art. Sterbebeistand/ Sterbebegleitung, 1998, S.440-444.

[5] Zimmermann-Acklin, Euthanasie, 1997, S.157; Im internationalen Sprachgebrauch ist der aus dem Griechischen stammende Euthanasiebegriff weit verbreitet, während im deutschsprachigen Raum aufgrund der missbräuchlichen Euthanasiepraxis in der NS-Diktatur der Begriff der Sterbehilfe bevorzugt wird.

[6] Schara/ Beck, Art. Sterbehilfe, 1. Zum Problemstand, 1998, S.445; Es ist zu beachten, dass nach dieser im deutschen Sprachraum gebräuchliche Definition nur dann von aktiver Sterbehilfe gesprochen wird, wenn sie die Tötung des Patienten zum Ziel hat. Die Aktiv-passiv-Unterscheidung wird also teilweise mit der Direkt-indirekt-Unterscheidung vermischt.

[7] Ebd.

[8] Fischer, Sterbehilfe, 1996, S.110f, nennt als beispielhafte Vertreter dieser Position H.M.Kuitert, H.Kuhse und P.Singer; zur Aktiv-passiv-Unterscheidung vgl. ebd., S.110-115; Schuster, Art. Sterbehilfe, 3. Ethisch, 1998, S.451f.; Zimmermann-Acklin, Euthanasie, 1997, S.277-281.

[9] Vgl. Fischer, Sterbehilfe, 1996, S.111-114; Diese Wahrnehmung kann nicht ohne weiteres als bloße Konvention bezeichnet werden, da Menschen zwar im Zweifelsfalle den Zeitpunkt ihres Todes wählen können, aber nicht darüber verfügen können, zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht zu sterben.

[10] Vgl. Eser: Art. Sterbehilfe, 2. Rechtlich, 1998, S.449.

[11] Vgl. Ach/ Gaidt, Wehret den Anfängen?, 2000, 426f.

[12] Vgl. Mettner, Einführung, 2001, S.13f.

[13] Vgl. Gordijn, Euthanasie, 1997, S.4f. Übersetzungen ins Deutsche geben den niederländischen Euthanasiebegriff z.T. mit „Sterbehilfe” wieder, was zu zusätzlicher Verwirrung führen kann. Zusammenfassend werden die verschiedenen Formen der Sterbehilfe in den Niederlanden meist als „medizinische Entscheidungen am Lebensende” bezeichnet.

[14] Ich nehme damit den Begriff des „physician-assisted death” auf, den Gordijn/ Janssenes/ Schade/ Wanrooij, Netherlands, 2001, S.136 verwenden.

[15] Zum moralischen Unterschied, aber auch zu den fließenden Grenzen zwischen aktiver freiwilliger Sterbehilfe und Beihilfe zum Selbstmord vgl. Spaemann/ Fuchs, Töten oder Sterben lassen, 1997, S.85-87.

[16] Vgl. Art.20f. des neuen niederländischen Sterbehilfegesetzes.

[17] Vgl. ebd. Art. 3-19.

[18] Vgl. ebd. Art.2, Abs. 2-4.

[19] Vgl. dazu die in Zusammenarbeit des niederländischen Außenministeriums mit den Ministerien für Justiz und für Gesundheit, Gemeinwohl und Sport herausgegebene Informationsbrochure FAQ Sterbehilfe, S.4f.

[20] Zum folgenden Abschnitt vgl. Kimsma/ van Leeuwen, Euthanasie in den Niederlanden, 2000; Gordijn, Euthanasie, 1997; Gordijn/ Janssenes/ Schade/ Wanrooij, Netherlands, 2001; Legemaate, Dutch Experience, 1998.

[21] In Großbritannien und den USA wurden z.B. schon viel früher Euthanasiegesellschaften gegründet, vgl. Gordijn, Euthanasie, 1997, S.4.

[22] Vgl. dazu ausführlich Kimsma/ van Leeuwen, Euthanasie in den Niederlanden, 2000, S.277f.

[23] Vgl. van den Berg, Jan Hendrik: Medische macht en medische ethiek, Nierkerk 1969.

[24] Hier liegen die Anfänge der später sog. Sorgfaltskriterien.

[25] 1975 befürworteten 52,6% der Niederländer diese Praxis, vgl. Kimsma/ van Leeuwen, Euthanasie in den Niederlanden, 2000, S.286.

[26] Koninklijke Nederlandsche Maatschappij tot bevordering der Geneeskunst (KNMG)

[27] Die Sorgfaltskriterien wurden in diesem Zusammenhang v.a. hinsichtlich der Freiwilligkeit der Sterbehilfe präzisiert. Sie legten fest, dass eine beständige Bitte des Patienten vorliegen müsse, die ohne äußeren Zwang und aufgrund ausreichender Information zustande gekommen sei. Darüber hinaus wurde die Konsultation eines Fachkollegen vor dem Vollzug der Sterbehilfe unter die vom Arzt zu erfüllenden Bedingungen aufgenommen, vgl. Gordijn/ Janssenes/ Schade/ Wanrooij, Netherlands, 2001, S.139.

[28] Vgl. Art.40 des niederländischen StGB: „Wer unter einem nicht zu widerstehenden Druck zu einem Verbrechen gezwungen wird, ist nicht zu bestrafen.”, zitiert nach Gordijn, Euthanasie, 1997, S.11, Anm. 22.

[29] Da ärztlich assistiertes Sterben keine natürliche Todesursache darstellt, kann weder der behandelnde Arzt noch der örtliche Leichenbeschauer den für die standesamtliche Bestattungserlaubnis erforderlichen Totenschein ausstellen. In solchen Fällen muss die zuständige Staatsanwaltschaft informiert werden. Bis 1990 geschah dies auf sehr unterschiedliche Art und Weise. 1990 wurde folgendes Verfahren eingeführt: der Arzt informiert  mit Hilfe eines umfassenden Formulars den örtlichen Leichenbeschauer ausführlich über jeden Fall von aktiver Sterbehilfe und Beihilfe zum Suizid, woraufhin dieser die Staatsanwaltschaft einschaltet. Der Staatsanwalt prüft den Bericht des Arztes anhand der Sorgfaltskriterien und entscheidet dann, ob gegen den betreffenden Arzt ein Verfahren eingeleitet werden muss, vgl. Gordijn, Euthanasie, 1997, S.10.

[30] Vgl. J.P. van der Maas u.a., Medische beslissingen rond het levenseinde: Commissie onderzoek medische praktijk inzake euthanasie, Den Haag 1991. Die im Folgenden zitierten Zahlen entstammen einer weiteren empirischen Untersuchung von 1995/96, vgl. van der Wal/ van der Maas, Euthanasie en andere medische beslissingen, 1996, S.51; 110. Die Ergebnisse von 1990/91 werden dort vergleichend mitgeführt.

[31] Auf den kulturgeschichtlichen Hintergrund dieser spezifisch niederländischen Duldungspolitik, die ein grundsätzliches Verbot mit einem Höchstmaß an Kontrolle für die dennoch stattfindenden Fälle zu verbinden sucht, kann hier nicht näher eingegangen werden, vgl. dazu Gordijn, Euthanasie, 1997, S.14-17.

[32] Vgl.  van der Wal/ van der Maas, Euthanasie en andere medische beslissingen, 1996, S.90; 5; 110.

[33] Da es sich bei den ermittelten Zahlen um extrapolierte Schätzwerte handelt, ist dieser minimale Rückgang jedoch mit Vorsicht zu bewerten, vgl. Gordijn, Euthanasie, 1997, S.20, Anm.46.

[34] Die Furcht vor einer Strafverfolgung, die 36% der Ärzte als Grund angaben, war dabei eine, keineswegs aber die alleinige Ursache. Auch der Gedanke an bloße gerichtliche Nachforschungen bildete eine Hemmschwelle, vgl. van der Wal/ van der Maas, Euthanasie en andere medische beslissingen, 1996, S.119.

[35] Bis zum 1.4.2002 mussten diese Komissionen ihr Ergebnis grundsätzlich dem zuständigen Staatsanwalt vorlegen, der dann über die Strafvervolgung des betreffenden Arztes entschied. Nach der neuen Regelung muss die Staatsanwaltschaft nur noch im Verdachtsfalle eingeschaltet werden.

[36] Vgl. Gordijn/ Janssenes/ Schade/ Wanrooij, Netherlands, 2001, S.145f.

[37] Vgl. Kimsma/ van Leeuwen, Euthanasie in den Niederlanden, 2000, S.276; Gordijn, Euthanasie 1997, S.3.

[38] Die Einteilung der niederländischen Sterbehilfedebatte in drei Perioden ist allerdings nicht im Sinne einer scharfen Trennung zu verstehen, sondern als eine allmähliche Schwerpunktverlagerung in der Diskussion.

[39] Vgl. Kimsma/ van Leeuwen, Euthanasia, 1998, S.47.

[40] Die Beschränkung auf die Niederlande wird dabei aufgegeben.

[41] Vgl. Zimmermann-Acklin, Töten oder Sterbenlassen, 2001, S.55-65. Ich übernehme von Zimmermann-Acklin v.a. die Einteilung in die drei Ebenen.

[42] So lassen z.B. die meisten niederländischen Autoren weder die Aktiv-passiv- noch die Direkt-indirekt-Unterscheidung in moralischer Hinsicht gelten, vgl. z.B. Kimsma/ van Leeuwen, Euthanasia, 1998, S.44; dazu kritisch ten Have, Power of Medicine, 1998, S.215f.

[43] S.o.S.4f; Im Sinne der Beschränkung dieser Arbeit auf die ethischen Probleme des ärztlich unterstützten Sterbens kann auf Fragen der Handlungstheorie nicht näher eingegangen werden.

[44] Vgl. Kimsma/ van Leeuwen, Euthanasie in den Niederlanden, 2000, S.299; vgl. dagegen Eibach, Sterbehilfe, 1998, S.210f; Spaemann/ Fuchs, Töten oder sterben lassen?, 1997, S.79.

[45] Fuchs bezeichnet die Tötung auf Verlangen als „äußerste[n] Ausdruck eines im Grunde cartesianischen Dualismus: im Dienst eines rationalen Subjekts dessen Körper zu töten, oder die Seele von ihrem Leib zu befreien.”, Spaemann/ Fuchs, Töten oder Sterben lassen?, 1997, S.79f.

[46] Vgl. Pieper, Art. Autonomie, 1998, S.291; van Willigenburg u.a., Ethiek, 1998, S.41-44.

[47] Eibach, Sterbehilfe, 1998, S.204, zitiert verschiedene Umfragen, denen zufolge sich v.a. junge Menschen unter 30 Jahren und mehr Menschen aus gebildeten Kreisen – d.h. „sehr auf ihre ‚geistige Autonomie’ und ihre ‚Selbstbestimmung’ bedachte Menschen” - für die aktive Sterbehilfe aussprechen,  während „alte und todkranke Menschen, also die Betroffenen, überwiegend alle Formen der ‚Euthanasie’ ablehnen”; vgl. auch ebd. S.222; Zimmermann-Acklin, Töten oder Sterbenlassen?, 2001, S.56f;

Pieper, Art. Autonomie, 1998, S.291f. weist auf die komplizierte Gratwanderung zwischen Fürsorge und bevormundendem Paternalismus im Arzt-Patienten-Verhältnis hin.

[48] Immanuel Kant, der das ethische Verständnis des Autonomiebegriffs maßgeblich geprägt hat, sah im Selbstmord gerade eine „Absage an Autonomie und Freiheit des Menschen”, vgl. Spaemann/ Fuchs, Töten oder sterben lassen?, 1997, S.19; In ähnlicher Weise äußert sich Gordijn, Euthanasie, 1997, S.31;

Nach Thomas Fuchs sichern „Freiheitsrechte [...] die Rahmenbedingungen für die autonome Entfaltung der Person. Eben deshalb fand das Prinzip der Selbstbestimmung gerade in den liberalen Gesellschaften dort seine Grenze, wo die Person selbst ihre Freiheit oder leibliche Unversehrtheit anderen übereignen will..”, Spaemann/ Fuchs, Töten oder sterben lassen?, 1998, S.65.

[49] Die ärztlichen Pflichten werden z.T. unter dem Prinzip der Wohltätigkeit (beneficence) subsumiert, vgl. z.B. Griffiths, Slippery Slope, 1998, S.94; de Haan, Ethics of Euthanasia, 2002, S.154f.

[50] Die Unerträglichkeit eines Zustandes ist eine in hohem Maße subjektive Angelegenheit. Hier wird der Arzt das Urteil des Patienten in den Grenzen dessen, was weiter oben über die Autonomie gesagt wurde, akzeptieren müssen.

[51] Vgl. dazu die Entscheidung im Schoonheim-Fall, Kimsma/ van Leeuwen, Euthanasie in den Niederlanden, 2000, S.286f; de Haan, Ethics of Euthanasia, 2002, S.155.

[52] Vgl. ten Have, Power of Medicine, 1998, S.215f.

[53] Vgl. Spaemann/ Fuchs, Töten oder sterben lassen?, 1997, S.72f. Fuchs zitiert hier  die „alte ärztliche Grundregel” des Primum nil nocere – zuallererst nicht schaden.

[54] Dieser Vorwurf betrifft sowohl die Ärzte als auch die um aktive Sterbehilfe bittenden Patienten, vgl. dazu ten Have, Power of Medicine, 1998, S.205f; Zum Zusammenhang von Lebensverlängerung um jeden Preis und aktiver Sterbehilfe als Formen der medizinischen Naturbeherrschung vgl. auch Spaemann/ Fuchs, Töten oder sterben lassen?, 1997, S.31f.

[55] Vgl. Welie, Why Physicians?, 2002, S.42f.

[56] Vgl. ten Have, Power of Medicine, 1998, S.216f.

[57] Vgl. Kimsma/ van Leeuwen, Euthanasie in den Niederlanden, 2000, S.281.

[58] Dieser Standpunkt wird z.B. von der Ärztevereinigung KNMG vertreten, der die überwiegende Mehrzahl der niederländischen Ärzte angehört, vgl. Kimsma/ van Leeuwen, Euthanasia, 1998, S.64.

[59] Vgl. z.B. Eibach, Sterbehilfe, 1998, S.211f; Spaemann/ Fuchs, Töten oder sterben lassen?, 1997, S.59f; ten Have, Power of Medicine, 1998, S.214.

[60] Vgl. dazu Griffiths, Slippery Slope, 1998, S.94f.

[61] Die Würde des Menschen und der Wert seines Lebens werden im folgenden Abschnitt gemeinsam betrachtet. Eine solche Zusammenschau legt sich durch die enge Verwandtschaft beider Begriffe nahe. Der Begriff der Würde ist etymologisch nicht von dem des Wertes zu trennen, vgl. Kluge, Etymologisches Wörterbuch, 1995, S.898. Das Leben eines Menschen charakterisiert sein Sein als Ganzes, so dass es kaum möglich sein dürfte zwischen dem Menschen und seinem Leben einen Unterschied zu machen.  

[62] Nach der niederländischen Studie von 1995/96 gaben die befragten Ärzte für 56% der Sterbehilfebitten u.a. die Angst vor einem drohenden Würdeverlust als Grund an. Diese Angst war damit – nach aussichtslosem, unerträglichem Leiden (74%) – die am zweithäufigsten genannte Ursache der Tötungswünsche, vgl. van der Wal/ van der Maas, Euthanasie, 1996, S.57.

[63] Meist werden in diesem Zusammenhang Kapazitäten des Bewusstseins genannt, die zur Ausbildung einer Persönlichkeit notwendig sind, vgl. Eibach, Sterbehilfe 1998, S.60; Strohm, Sanctity or Quality, 1993, S.172.

[64] Vgl. Eibach, Gesundheit, 2001, A900; vgl. Ders. Sterbehilfe, 1998, S.60-64;  266, Anm. 9.

[65] Im Hintergrund stehen hier die jüdisch-christliche Tradition und die Philosophie I. Kants, der die Würde des Menschen von seiner Freiheit und Moralfähigkeit her begründet, sie dann aber allen Menschen unabhängig von ihren konkreten Fähigkeiten zuschreibt, vgl. Schwartländer, Art. Menschenwürde, 1998, S.685f; Pieper, Art. Autonomie, 1998, S.289f; Eibach, Sterbehilfe, 1998, S.61f.

[66] Eibach, Sterbehilfe, 1998, S.103, weist auf die grundsätzliche Problematik der Rede vom menschenwürdigen Sterben hin. Dadurch könne ein fragwürdiges Ideal vom würdigen Tod befördert werden, dass bei Sterbenden und Pflegenden einen gewissen Leistungsdruck und schließlich Resignation erzeugt. Menschenwürdig bzw.        -unwürdig sind nicht Krankheit, Leid und Tod sondern der äußere Umgang mit Kranken und Sterbenden.

[67] Vgl. dazu Eibach, Sterbehilfe, 1998, S.196f; Eine Unterscheidung zwischen zulässigen Lebensqualitäts-urteilen und unzulässigen Lebenswerturteilen, wie sie de Haan, Ethics of Euthanasia, 2002, S.161, vorschlägt, hilft hier nicht weiter, da eine Tötung in jedem Fall letzteres vorauszusetzen scheint.

[68] Vgl. Eibach, Sterbehilfe, 1998, S.206f;  213; 219-223; Spaemann/ Fuchs, Töten oder sterben lassen?, 1997 S.21; ten Have, Power of Medicine, 1998, S.210f.

[69] So z.B. Peter Singer, vgl. Eibach, Sterbehilfe, 1998, S.60.

[70] Verbirgt sich hier nicht ein ähnlicher Speziezismus? Die Kategorie des (selbst-)bewussten Lebens scheint doch deutlich am Menschen gewonnen zu sein.

[71] Die Bewertung hängt zum Beispiel davon ab, ob die unverlierbare Menschenwürde als unberechtigte Benachteiligung der Tiere oder als Solidaritätserklärung mit versehrtem menschlichem Leben betrachtet wird.

[72] Vgl. Art. 1 des Grundgesetzes.

[73] Vgl. Schwartländer, Art. Menschenwürde, 1998, S.686f; Man kann daher fragen, ob es sinnvoll ist, einen bewährten Grundsatz zugunsten eines nicht besser begründbaren aber wesentlich instabileren Prinzips aufzugeben.

[74] An Stelle eines größeren Verantwortungsbewusstseins für tierisches Leben kann ein pathozentrischer Ansatz der Ethik auch eine einseitige Entsolidarisierung mit bestimmten Menschen nach sich ziehen. Es ist daher zu fragen, ob sich ein verantwortungsvoller Umgang mit Tieren nicht auch ohne die Aufgabe der universalen Menschenwürde begründen ließe.

[75] Vgl. Spaemann/ Fuchs, Töten oder sterben lassen?, 1997, S.80.

[76] Vgl. Eibach, Sterbehilfe, 1998, S.199.

[77] Vgl. Kimsma/ van Leeuwen, Euthanasia, 1998, S.51; 64.

[78] Vgl. Eibach, Sterbehilfe, 1998, S.199-202. Laut Eibach ist in den Sterbehilfebitten „fast immer [...] ein Schrei nach Zuwendung und Liebe, ein Ruf nach Hilfe im Sterben” zu sehen, ebd. S. 201; vgl. außerdem Gordijn, Euthanasie, 1997, S.32-34; 42; Sohn/ Csef, Germany, 2001, S.78; zu den Grenzen palliativer Behandlungs-möglichkeiten vgl. ebd. S.67f.

[79] Auch wenn der Arzt nicht für das Leiden als solches verantwortlich gemacht werden kann, scheint es problematisch, den Sterbenden mit einem Hinweis auf den „Lauf der Natur” seiner Agonie zu überlassen, vgl. dazu Eibach, Sterbehilfe, 1998, S.216.

[80] Vgl. ebd., S.208-210; 214f.

[81] Das Urteil des Arztes dürfte in den meisten Fällen vor allem von den medizinischen Möglichkeiten zur Schmerzbekämpfung bestimmt sein. Es besteht daher die Gefahr, dass die psycho-soziale Seite des Leidens vernachlässigt wird.

[82] Vgl. Eibach, Sterbehilfe, 1998, S.204; 210-213; 216; Spaemann/ Fuchs, Töten oder sterben lassen?, 1997, S.38; 56-59; Gordijn, Euthanasie, 1997, S.32; 40;

Ten Have, Power of Medicine, 1998, S.211-214, macht deutlich, dass das niederländische Modell auf einem großen Vertrauen in die moralische Integrität der Ärzteschaft basiert. Er fragt, ob hier nicht etwas mehr Skepsis angebracht wäre; vgl. auch Jochemsen, Objections, 1998, S.232.

[83] Die Ärzteschaft ist hinsichtlich einer Legalisierung der aktiven Sterbehilfe im Übrigen recht unterschiedlich eingestellt, vgl. Thomasma u.a., Asking to Die, 1998, S.498; Ist die Legalisierung vielleicht eher ein Anliegen der Juristen, die in einer Regelung über die Rechtsprechung den weniger eleganten Weg sehen und einer Vermischung von gesetzgebender und rechtsprechender Gewalt vorbeugen wollen?

[84] Vgl. Eibach, Sterbehilfe, 1998, S.215f; ten Have, Power of Medicine, 1998, S.217-220, weist auf die Bedeutung kultureller Unterschiede für den jeweiligen rechtlichen Umgang mit der aktiven Sterbehilfe hin. Den Versuch, ethische Theorie und Praxis zur Deckung zu bringen, betrachtet er als typisch niederländisch. Der daraus resultierenden Duldungspolitik steht eine normative Politik gegenüber, die ihre Ideale nicht als erreichbare Ziele, sondern als eine Art Richtungsvorgabe versteht.

[85] Es ist z.B. unwahrscheinlich, dass ein Arzt vor der Durchführung einer kriminellen Handlung einen Kollegen zu Rate zieht; vgl. auch Sohn/ Csef, Germany, 2001, S.69f.

[86] Vgl. dazu auch Eibach, Sterbehilfe, 1998, S.217f.

[87] Griffiths, Slippery Slope, 1998, S.94f. unterscheidet begrifflich-logische (conceptual) und empirische (empirical) Dammbruchargumente. Auf erstere wurde im Zusammenhang der prinzipiellen Argumente bereits verschiedentlich hingewiesen, s.o.S.18; 20.

[88] Die Auseinandersetzung wird vom eigentlichen Problem weg auf seine zukünftigen Folgen gelenkt.

[89] Zimmermann-Acklin, Töten oder Sterbenlassen?, 2001, S.64; vgl. außerdem Ach/ Gaidt, Wehret den Anfängen?, 2000, S.427-429; 433f; Griffiths, Slippery Slope, 1998, S.93-95.

[90] Vgl. dazu Eibach, Sterbehilfe, 1998, S.207; 211f; 221f; Spaemann/ Fuchs, Töten oder sterben lassen?, 1997, S.23f.

[91]Zur NS-Euthanasie sowie den Parallelen und Unterschieden zur heutigen Sterbehilfedebatte vgl. ausführlich Ach/ Gaidt, Wehret den Anfängen, 2000, S.434-437; vgl. außerdem  Sohn/ Csef, Germany, 2001,  S.71-74, bes. S.74; Spaemann/ Fuchs, Töten oder sterben lassen?, 1997, S.21f; 63.

[92] Zitiert nach ten Have/ Welie, Euthanasie, 1993, S.66.

[93] Vgl. ten Have/ Welie, Euthanasie, 1993, S.65-71; Jochemsen, Objections, 1998, S.228-230; Griffiths, Slippery Slope, 1998, S.96; 101; Kimsma/ van Leeuwen, Euthanasia, 1998, S.35-38.

[94] Genauso wenig lässt sich allerdings eine Entwarnung daraus ableiten.

[95] Vgl. Griffiths, Slippery Slope, 1998, S.96-100, Bei einem Vergleich mit einigen australischen und us-amerikanischen Daten kommt Griffiths zu dem Ergebnis, dass die niederländischen Zahlen keinen Anlass zur Besorgnis geben, ja z.T. sogar niedriger als die der beiden anderen Länder sind; Ganz anders liest sich dagegen der vorsichtige internationale Vergleich, den van der Wal und van der Maas, Empirical Research, 1998, S.165f, präsentieren.

[96] Vgl. Kimsma/ van Leeuwen, Euthanasia, 1998, S.50; Griffiths, Slippery Slope, 1998, S.93; 101f.

[97] Nach Angabe der Informationsbroschüre FAQ Sterbehilfe des niederländischen Außenministeriums ist eine neue Studie bereits in Arbeit, vgl. ebd. S.22.

[98] Vgl. van der Wal/ van der Maas,  Euthanasie en andere medische beslissingen, 1996, S.72

[99] Vgl. Ach/ Gaidt, Wehret den Anfängen, 2000, S.442; Eibach, Sterbehilfe, 1998, S.222.

[100] Vgl. Spaemann/ Fuchs, Töten oder sterben lassen?, 1997, S.19; 25-27; 89f; Eibach, Sterbehilfe, 1998, S.219-222; Kimsma/ van Leeuwen, Euthanasia, 1998, S.61;

Ach/ Gaidt, Wehret den Anfängen?, 2000, S.437f. weisen auf die Gefahr einer „Verinnerlichung eugenischer Normen” hin; vgl. dazu auch Körtner, Evangelische Sozialethik, 1999, S.221, der ähnliche Probleme im Zusammenhang der pränatalen Diagnostik anspricht.

[101] Vgl. Petitie (13. März 2001).

[102] Zu den Samen-op-Weg-Kirchen  (SoW) zählen die Nederlandse Hervormde Kerk, die Gereformeerde Kerken in Nederland und die Evangelisch-Lutherse Kerk in het Koninkrijk der Nederlanden.

[103] Vgl. Toelichting Samen op Weg-kerken (13. März 2001). Der Text nimmt zu großen Teilen die Reaktion der SoW-Kirchen auf den 1999 eingebrachten Gesetzesentwurf auf, vgl. hierzu Verklaring Samen op Weg-kerken (November 1999).

[104] Im Hintergrund steht hier also die Überzeugung, dass die Tötung auf Verlangen nicht zu den beruflichen Aufgaben des  Arztes zählt.

[105] Euthanasie en Pastoraat thematisiert die Möglichkeiten zur seelsorgerlichen Begleitung im Zusammenhang der Tötung auf Verlangen.  Die Handreichung wurde 1985 an alle gereformeerden und hervormden Gemeinden geschickt und nach deren Reaktionen 1987 um einen Folgebericht ergänzt. Zu den im Kontext dieser Arbeit besonders wichtigen theologischen Überlegungen, vgl. Euthanasie en Pastoraat, 1988, S.17-27; 74-83.

[106] Ebd. S.18, Übersetzung der Verfasserin. Als biblischer Beleg dient in diesem Zusammenhang Mt 25,14-30.

[107] Vgl. ebd. S.21f. mit Verweis auf Mk 2,23-28, bes. V.27f: „Der Sabbat ist um des Menschen  willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen. So ist der Menschensohn ein Herr auch über den Sabbat.“

[108] Vgl. ebd. S.24f; 83 unter Verweis auf Gal 5.

[109] Ebd. S.23, Übersetzung der Verfasserin.

[110] Ebd. S.26, Übersetzung der Verfasserin.

[111] Vgl. Reactie van de Nederlandse R.-K. Bisschoppenconferentie (Oktober 1999).

[112] Vgl. Herderlijk schrijven over lijden en sterven van zieken (5.März 1985); In der Reaktion auf den Gesetzesentwurf von 1999 wird ausdrücklich auf dieses Schreiben zurückverwiesen. In einem Geleitwort zu der 2002 erschienenen Sammelpublikation sämtlicher Stellungnahmen der niederländischen Bischofskonferenz zur aktiven Sterbehilfe wird der Hirtenbrief neben der Broschüre  Zorg in lijden en sterven vom April 2002, die sich v.a. mit der palliativen Pflege beschäftigt, als für den katholischen Standpunkt zentrales Dokument genannt, vgl. Euthanasie en menselijke waardigheid. 

[113] Dieses und die folgenden Zitate entstammen dem Herderlijk schrijven over lijden en sterven van zieken (5.März 1985), Übersetzung der Verfasserin; Die verwendete Internetquelle enthielt keine Seitenzahlen. Genauere Angaben sind daher nicht möglich.

[114] Vgl. Stellungnahme des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz (11.4.2001);  Stellungnahme zur gesetzlichen Freigabe aktiver Sterbehilfe in den Niederlanden (11.4.2001).

[115] Vgl. Gott ist ein Freund des Lebens (1989); Im Sterben: Umfangen vom Leben (1996); Christliche Patienten-verfügung (1999).

[116] Christliche Patientenverfügung, 2000, S.9.

[117] Gott ist ein Freund des Lebens, 1991, S.40.

[118] Christliche Patientenverfügung, 2000,  S.11; vgl. dazu auch Gott ist ein Freund des Lebens, 1991, S.41.

[119] Vgl. Gott ist ein Freund des Lebens, 1991, S.107.

[120] Vgl. Ebd. S.23; 106.

[121] Christliche Patientenverfügung, 2000, S.11.

[122] Gott ist ein Freund des Lebens, 1991, S.106.

[123] Im Sterben: Umfangen vom Leben, 1996, S.10.

[124] Christliche Patientenverfügung, 2000, S.10.

[125] Gott ist ein Freund des Lebens, 1991, S.105.

[126] Vgl. Gott ist ein Freund des Lebens, 1991, S.50. In diesem Zusammenhang wird der 68. Psalm zitiert: „Gott legt uns eine Last auf, aber er hilft uns auch.“ (Ps 68,20)

[127] Ebd. S.51.

[128] Im Sterben: Umfangen vom Leben, 1996, S.13; vgl. auch ebd. S.11.

[129] Christliche Patientenverfügung, 2000, S.11.

[130] Gott ist ein Freund des Lebens, 1991, S.109.

[131] Ebd.

[132] Ebd. S.51.

[133] Vgl. ebd. S.107.

[134] Wenn der Auseinandersetzung mit den Positionen Kuiterts und Küngs hier relativ viel Platz eingeräumt wird, so geschieht dies mit dem Ziel, das theologische Meinungsspektrum nach allen Seiten auszuleuchten. Argumente, die aus theologischer Sicht gegen die aktive freiwillige Sterbehilfe sprechen, wurden ja bereits mit den kirchlichen Stellungnahmen thematisiert.

[135] Vgl. Kuitert, Der gewünschte Tod, 1991, S.67-69.

[136] Ebd. S.85; vgl. auch S.84.

[137] Vgl. ebd. S.94f; Kuitert führt hier die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus gegen eine natürliche Theologie ins Feld, um seinen Opponenten Eberhard Jüngel mit dessen eigenen Waffen zu schlagen.

[138] Ebd. S.87.

[139] Vgl. ebd. S.86-88.

[140] Ebd. S.88f.

[141] Küng, Menschenwürdig sterben, 1995, S.53; vgl. auch S.71f.

[142] Vgl. ebd. S.60.

[143] Vgl. ebd. S.57. 

[144] Vgl. ebd. S.60; Küng verweist in diesem Zusammenhang mehrfach auf Parallelen der aktuellen Sterbehilfedebatte zur früheren Diskussion um die Empfängnisverhütung, vgl. ebd. S. 59; 67. 

[145] Vgl. ebd. S.46.

[146] Ebd. S.54.

[147] Vgl. ebd. S.62-64.

[148] Ebd. S.74.

[149] Ebd.

[150] Vgl. ebd S.16-18, Küng spricht hier von einer Spiritualität des memento mori, die es schon während des Lebens einzuüben gelte; vgl. außerdem S.34-38.

[151] Ebd. S.75.

[152] Vgl. ebd. S.48; 65-67; 71.

[153] Zur Beteiligung Dritter bei der Lebensbeendigung vgl. Kuitert,  Der gewünschte Tod, 1991, S.73; Küng, Menschenwürdig Sterben, 1995, S.60; 62.

[154] Vgl. z.B. Lk 11,20.

[155] Vgl. Mk 15,34; Mt 27,46.

[156] Oder wie soll man Kuitert sonst verstehen, wenn er meint, der Körper des Kranken könne „Gott nicht mehr zur Ehre gereichen“?, s.o.S.37.

[157]  S.o.S.38.

[158] Vgl. Hiob 2,9f. Die Worte der Frau Hiobs könnten immerhin als Aufforderung zur Selbsttötung verstanden werden. Mit seiner fragenden Antwort schließt Hiob diese Möglichkeit für sich aus.

[159] Vgl. Lk 23,46.

[160] Neben dem bereits erwähnten Verzweiflungsschrei des Gekreuzigten, der aus dem 22. Psalm stammt, sei hier an die Klage und den Protest Hiobs und an die zahlreichen Klagepsalmen erinnert, die im Buch des Psalters die am häufigsten vorkommende Gattung darstellen, vgl. z.B. Ps 88.

[161] In den Klagepsalmen sind häufig das Bekenntnis der Zuversicht auf Gottes Beistand und die Bitte um Antwort mit enthalten, vgl.  z.B. Ps 38.

[162] Die Frage nach der Freiheit des Menschen führt in das Feld von Sünde und Rechtfertigung und damit ins Zentrum christlicher Anthropologie. Eine nähere Entfaltung dieser Themen würde den Rahmen dieser Arbeit weit überschreiten. Im Folgenden seien nur einige zentrale Punkte genannt.

[163] Vgl. Eibach, Sterbehilfe, 1998, S.209.

[164] Vgl. ebd. S.199.

[165] Erinnert sei hier an die Antwortversuche der Freunde Hiobs, die am Ende des Hiobbuches ausdrücklich zurückgewiesen werden, vgl. Hiob 42,7f.

[166] Vgl. Körtner, Bedenken, dass wir sterben müssen, 1996, S.58-60.

[167] Vgl. Fischer, Sterbehilfe, 1996, S.119.

[168] Leitsätze des Arbeitskreises „Arzt und Seelsorger“ der Evangelischen Akademie Iserlohn, zitiert nach Körtner, Bedenken, dass wir sterben müssen, 1996, S.64.

[169] Schneider-Flume, Menschenwürdig sterben, 1998, S.367.

[170] Eibach, Sterbehilfe, 1998, S.208.

[171] Dieses Argument dürfte allerdings in besonderer Weise für die Angehörigen des Kranken und erst in zweiter Linie für den Arzt gelten.

[172] Eibach, Sterbehilfe, 1998, S.208f.

[173] Kuiterts und Küngs Plädoyer für ein selbstverantwortliches Sterben sind hierfür ein Beispiel.

[174] Die Stellungnahmen der deutschen Kirchen sowie der katholischen Kirche in den Niederlanden tendieren wenigstens teilweise in diese Richtung.

[175] Mit ihrer spannungsreichen Argumentation kommen die SoW-Kirchen diesem Anliegen vielleicht am nächsten, wobei sie letztlich doch der Versuchung erliegen, die aktive Sterbehilfe rechtfertigen zu wollen.

[176] Vgl. Fischer, Sterbehilfe, 1996, S.125.

[177] Vgl. Eibach, Sterbehilfe, 1998, S.200-203.

[178] Vgl. Gordijn, Euthanasie, 1997, S.40.

[179] An dieser Stelle sei auf die o.g. Dammbruchargumente zurückverwiesen, vgl. S.17; 19; 23-26.

[180] Eser, Möglichkeiten und Grenzen, 1995, S.151.

[181] Vgl. Eibach, Sterbehilfe, 1998, S.216.

[182] Vgl. dazu auch Eser, Möglichkeiten und Grenzen, 1995, S.176

[183] Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, 1957, S.19f.



[i] Die hier abgedruckte Übersetzung wurde vom niederländischen Außenministerium herausgegeben, vgl. http://www.minbuza.nl/OriginalDocuments/c_55113.pdf (15.08.2002).