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sterben und sterbehilfe
Entscheidungen am Lebensende in sechs europäischen Ländern
“End-of-life
decision-making in six European countries: descriptive study”
(The Lancet online 17.6.03)
Untersuchung der Häufigkeit und der Charakteristika von (ärztlichen) Entscheidungen am Lebensende in sechs Ländern: Belgien (BE), Dänemark (DK), Italien (IT), Niederlande (NL), Schweden (SE) und Schweiz (CH).
Die Studie wurde analog zu früheren Untersuchungen in den Niederlanden durchgeführt (Auswertung von Totenscheinen und evtl. Befragung der beteiligten Ärzte).
20480 Sterbefälle wurden insgesamt erfasst, die sich zwischen Juni 2001 und Februar 2002 ereignet hatten.
Mögliche Maßnahmen in der Sterbephase werden unterschieden nach:
a) Vorenthalten oder Absetzen von medizinischen Behandlungsmaßnahmen, in der Absicht oder mit dem Wissen um eine mögliche Todesbeschleunigung
b) Intensivierung von Maßnahmen zur Linderung von Schmerzen oder Beschwerden mit einem in Kauf genommenen möglichen schnelleren Eintritt des Todes
c) verordnete, verabreichte oder verschriebene Medikamente
mit dem ausdrücklichen Ziel der Lebensverkürzung
hierzu noch Unterscheidung nach
c1) Euthanasie = Verabreichung von Medikamenten mit dem ausdrücklichen Ziel der
Lebensbeendigung; wenn ein anderer als der Patient das tödlich wirkende Mittel
verabreicht, die Tötung aber auf sein Verlangen (auch schriftlich) hin erfolgt
c2) ärztlich-assistierte Selbsttötung (Verschreibung oder
Bereitstellung von Medikamenten mit dem ausdrücklichen Ziel, dem Patienten die
Selbsttötung zu ermöglichen), wobei der Patient selbst handelt
c3) alle anderen Fälle wurden klassifiziert als Tötung ohne Zustimmung des
Patienten
Wenn mehrere Möglichkeiten angekreuzt wurden, galt jeweils die „höhere“, also c statt b oder b statt a.
Schlüsselfragen (zu a) bis c)):
A) Haben Sie medizinische Behandlungsmaßnahmen abgesetzt oder nicht eingesetzt,
+ während Sie die Möglichkeit oder Gewissheit
einbezogen haben,
dass dies den Tod des Patienten
beschleunigen könnte oder
+ mit dem ausdrücklichen Ziel, den
Tod des Patienten zu beschleunigen ?
B) Haben Sie Maßnahmen zur Linderung von Schmerzen und
Beschwerden intensiviert,
+ wobei Sie die Gewissheit oder Möglichkeit in Kauf genommen
haben,
dass dies den Tod des Patienten
beschleunigen könnte oder
+ teilweise mit der Absicht, den
Tod des Patienten zu beschleunigen?
C) War der Tod das Ergebnis einer Verabreichung, Gabe oder
Verschreibung
von Medikamenten mit dem
ausdrücklichen Ziel,
den Tod des Patienten zu
beschleunigen?
Ein Drittel der Todesfälle traten plötzlich und unerwartet auf, sodass sich alle durchgeführten Maßnahmen am Lebensende auf die übrigen zwei Drittel beschränken.
Tatbestand |
BE |
DK |
IT |
NL |
SE |
CH |
Beteiligung von Ärzten / Rücklauf Fragebögen |
59% |
62% |
44% |
75% |
61% |
67% |
Entscheidungen über Maßnahmen am Lebensende in Prozent aller Todesfälle |
38 |
41 |
23 |
44 |
36 |
51 |
ärztlich unterstütztes Sterben (in Prozent aller
Todesfälle) + ärztlich unterstützter Suizid +
Lebensbeendigung ohne ausdrückliches |
1,82 0,30 0,01 1,50 |
0,79 0,06 0,06 0,67 |
0,10 0,04 0,00 0,06 |
3,40 2,59 0,21 0,60 |
0,23 0 0 0,23 |
1,04 0,27 0,36 0,42 |
Linderung von Schmerzen und Beschwerden mit möglicher
Lebensverkürzung |
22 |
26 |
19 |
20 |
21 |
22 |
Nicht-Durchführung oder Abbruch einer möglichen Behandlung |
15 |
14 |
4 |
20 |
14 |
28 |
der Patient war entscheidungsfähig bei Entscheidung + die Entscheidung wurde mit ihm besprochen + die Entscheidung wurde weder mit dem Patienten noch |
23 67 20 |
22 58 34 |
9 42 52 |
35 92 5 |
15 38 53 |
32 78 13 |
der Patient war nicht entscheidungsfähig + Entscheidung wurde mit dem Patienten besprochen (Prozent der Betroffenen) + Entscheidung wurde mit Angehörigen besprochen (Prozent der Betroffenen) + kein Gespräch, aber Patient hatte früher einen |
66 15 77 13 |
58 8 52 16 |
59 6 39 7 |
48 19 85 15 |
64 6 39 8 |
58 16 69 18 |
Ort, an dem die Patienten gestorben sind: Krankenhaus |
49 51 |
39 59 |
50 49 |
33 67 |
43 55 |
37 63 |
Grobübersetzung und Zusammenstellung: Joachim Krause, Hauptstr. 46, 08393 Schönberg
Universität
Zürich
unicommunication
Medieninformation
Zürich, den 17.6.2003
Sterbehilfe in der Schweiz
Forscherinnen und Forscher der Universität Zürich können
erstmals Fakten zur Sterbehilfe in der Deutschschweiz und im internationalen
Vergleich liefern. Sie wollen damit eine bislang überwiegend emotionale
Diskussion zum Thema versachlichen. Die ersten Ergebnisse der Studie wurde in
der renommierten medizinischen Fachzeitschrift «The Lancet» in einer
vor-zeitigen Online-Publikation (17. Juni 2003) veröffentlicht
(www.thelancet.com).
Zum ersten Mal hat eine internationalen Studie, die in
der Schweiz an der Universität Zürich vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin
zusammen mit dem Institut für Rechtsmedizin durchge-führt wurde, die Häufigkeit
verschiedener Formen von Sterbehilfe in der Schweiz und weiteren fünf
europäischen Ländern untersucht. Ausgehend von einer repräsentativen Stichprobe
von 5‘000 Todesfällen in der Deutschschweiz wurden die den Totenschein
unterzeichnenden Ärztinnen und Ärzte in strikt anonymisierter Form schriftlich
zum Todesfall befragt. Das Interesse an der Unter-suchung war in der Schweiz
mit einer Antwortquote von 67% (3'355 untersuchte Todesfälle) sehr gross. Die
Ergebnisse zeigen, dass in allen untersuchten Ländern – Belgien, Dänemark,
Holland, Italien, Schweden und der Schweiz – jeder dritte Todesfall gemäss
Angaben der Ärztinnen und Ärzte un-erwartet war. Der Prozentsatz der Todesfälle,
denen eine Sterbehilfe-Entscheidung voranging, va-riierte zwischen 23%
(Italien) und 51% (Schweiz). Unterschiede gab es in den sechs Ländern auch
innerhalb der verschiedenen Formen von Sterbehilfe: Im internationalen
Vergleich wurde die pas-sive Sterbehilfe in der Schweiz am häufigsten (28%
aller Todesfälle) und in Italien am seltensten (4%) praktiziert. Der
Prozentsatz der indirekt aktiven Sterbehilfe war in Dänemark am höchsten (26%)
und in Italien am tiefsten (19%); in der Schweiz lag er bei 22%. Suizidbeihilfe
war mit 0.4% in der Schweiz besonders verbreitet. In Italien und Schweden wurde
hingegen kein einziger Fall dokumentiert. Und keines der anderen fünf Länder
scheint zudem einen Einbezug von Sterbehilfeorganisationen in der Form zu kennen,
wie er sich in der Schweiz herausgebildet hat.
Aktive Sterbehilfe wurde auf Verlangen am häufigsten
in Holland geleistet (2.6%), ohne ausdrück liches Verlangen am häufigsten in
Belgien (1.5%). Die Schweiz lag hier mit 0.3% (auf Verlangen) bzw. 0.4% (ohne
ausdrückliches Verlangen) im mittleren Bereich. Grosse Unterschiede gab es auch
beim Einbezug der Betroffenen in den Entscheidungsprozess.
Auffällig ist, dass in Ländern, in denen Sterbehilfe
besonders häufig vorkam (Schweiz, Holland, Dänemark und Belgien), das Vorgehen
mit den Betroffenen auch öfters besprochen wurde: In der Schweiz war dies bei
80% aller entscheidungsfähigen Patientinnen und Patienten der Fall; bei
inkompetenten Personen wurde die Entscheidung in 70% der Fälle entweder zu
einem früheren Zeitpunkt mit diesen selber oder aber mit deren Angehörigen
besprochen. In Italien und Schweden wurden sowohl bei entscheidungsfähigen als
auch inkompetenten Personen die Sterbehilfe-Entscheidungen nur in etwa 40% der
Fälle diskutiert.
Die Studie, die am 17. Juni 2003 in der Zeitschrift
«The Lancet» online publiziert wird (1), stellt erstmals Daten zur Häufigkeit
von Sterbehilfe-Entscheidungen in der Schweiz zur Verfügung und kann damit zur
aktuellen gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung im Umgang mit
Sterben und Tod beitragen. Weitere Einsichten in medizinische Entscheidungen am
Lebensende werden die Ergebnisse einer zweiten Befragung von Ärztinnen und
Ärzten zu deren Einstellungen und Verhaltensabsichten bei
Sterbehilfe-Entscheidungen liefern, die voraussichtlich Ende diesen Jahres
veröffentlicht werden.
Auskunft über:
Sekretariat Institut für Sozial- und Präventivmedizin
der Universität Zürich, Sumatrastrasse 30, 8006 Zürich, Fon: 01 634 46 12 /
Fax: 01 634 49 62 / karin@ifspm.unizh.ch
(1) A. van der Heide, L. Deliens, K. Faisst, T.
Nilstun, M. Norup, E. Paci, G. van der Wal, PJ van der Maas on behalf of the
EURELD Consortium. End-of-life decision-making in 6 European coun-tries.
Lancet 2003: