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Nationaler Ethikrat:

Stellungnahme 13.Juli 2005:
“Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende“

Auszug (gesamter Text HIER)

 

(Bestimmung wichtiger Begriffe: Euthanasie, Sterbehilfe, Sedierung ...)

 

 

4. Zur Terminologie

 

4.1. Probleme mit dem gängigen Sprachgebrauch

Eine ethische und rechtliche Auseinandersetzung über Entscheidungen und Handlungen, die sich mittelbar oder unmittelbar auf den Prozess des Sterbens und den Eintritt des Todes auswirken, beschränkt sich nicht auf die Frage, was erlaubt ist und was zugelassen werden kann. Sie schließt die Frage ein, mit welchen Begriffen man die Sachverhalte benennen soll. An sich scheint die Wahl von Worten kein großes Problem zu sein, weil man sich darüber verständigen kann, was man meint und was nicht. Aber Worte haben Eigensinn. Sie vermitteln Bedeutungen, Assoziationen und auch Wertungen, die den Gegenstand in ein Licht rücken, das man für nicht angemessen oder nicht wünschenswert halten kann.

Aus diesem Grunde hat man sich in Deutschland nach 1945 gescheut, im Zusammenhang mit Entscheidungen und Handlungen, die das Lebensende betreffen, den im Ausland gängigen Ausdruck „Euthanasie“ zu verwenden. In Deutschland ist das Wort untrennbar mit der Ermordung kranker und behinderter Menschen während des NS-Regimes verknüpft (s. oben 2.6.). Es ist mit Assoziationen verbunden, die weder der Struktur der Handlungen, die in dieser Stellungnahme Gegenstand sind, noch den Intentionen der Handelnden gerecht werden. In dem öffentlichen

Streit darüber, welche Entscheidungen und Handlungen am Lebensende erlaubt sein sollen, steht das Recht auf Leben nicht zur Disposition.

Schwächen der überkommenen Begrifflichkeit zeigen sich aber auch im Hinblick auf das Wort „Sterbehilfe“, das im deutschen Sprachgebrauch weitgehend an die Stelle des Wortes „Euthanasie“ getreten ist. Das Wort „Hilfe“ ist positiv besetzt; es signalisiert etwas, was legitim und begrüßenswert ist. „Hilfe“ kann man sich in jeder Phase seines Sterbens eigentlich nur wünschen. Diese positive Färbung wird jedoch problematisch beim Begriff der „aktiven Sterbehilfe“. (52) Hier geht es um Handlungen, die den Tod eines Menschen gezielt herbeiführen sollen – mit dessen ausdrücklicher oder mutmaßlicher Einwilligung. Ob es Fälle gibt, in denen solche Tötung auf Verlangen zu Recht als „Hilfe“ apostrophiert werden kann, sei hier dahingestellt. Nachvollziehbar ist jedoch, dass die Verwendung des Wortes „Sterbehilfe“ und auch die Rede von der „Hilfe zum Sterben“ als unangemessen und irreführend, ja geradezu als beschönigend und den wahren Tatbestand verschleiernd empfunden werden.

Bedenken werden auch gegen den Terminus „passive Sterbehilfe“ erhoben. Damit beschreibt man Fälle, in denen bei einer absehbar tödlich verlaufenden Erkrankung von einer noch möglichen Behandlung abgesehen wird, also potentiell lebensverlängernde Maßnahmen entweder nicht eingeleitet oder beendet werden. Man lässt den Kranken sterben. Im Gegensatz zu dem, was der Wortsinn nahe legt, wird solches Sterbenlassen jedoch nicht notwendigerweise passiv, also durch bloßes Nichtstun verwirklicht. Es kann durchaus aktives Eingreifen des behandelnden Arztes voraussetzen, so etwa, wenn eine Magensonde entfernt werden muss, um die schon eingeleitete künstliche Ernährung des Patienten nicht weiter fortzuführen, oder wenn das Beatmungsgerät abgestellt werden muss, um die künstliche Beatmung zu beenden. Die Rede von der „passiven Sterbehilfe“ stiftet in diesem Zusammenhang Verwirrung: Sie erzeugt Unsicherheit darüber, ob die unverkennbar aktive Beendigung von schon eingeleiteten lebensverlängernden Maßnahmen darunter fällt. Auch von Ärzten und Pflegepersonal werden derartige Maßnahmen häufig in die Nähe der „aktiven Sterbehilfe“ gerückt, mithin der Tötung auf Verlangen gleichgestellt. Eine solche Einordnung wird jedoch den Besonderheiten der unterschiedlichen Handlungsweisen und den Intentionen der Handelnden nicht gerecht. Ob man bei künstlicher Ernährung eine schon gelegte Magensonde wieder entfernt oder von vornherein davon absieht, sie überhaupt zu legen, macht nach ganz überwiegendem Dafürhalten für die Bewertung des Geschehens keinen entscheidenden Unterschied. In beiden Fällen geht es darum, eine nicht gewollte oder medizinisch nicht indizierte Behandlung zu unterlassen. Und in beiden Fällen ermöglicht das Unterlassen den ungehinderten Fortgang der Krankheit und damit auch den Eintritt des Todes zu einem früheren Zeitpunkt als bei Durchführung der betreffenden Maßnahme. Psychologisch mag es verständlich sein, wenn die handelnden Personen (Ärzte und Pfleger) vor aktivem Eingreifen, also dem Entfernen einer Sonde oder dem Abstellen eines Beatmungsgerätes, stärker zurückschrecken als vor bloßem Nichtstun. Der Sache nach ist jedoch dieser Unterschied nicht gerechtfertigt. Das aktive Eingreifen dient ebenso wie das Nichtstun lediglich dazu, die Unterlassung medizinischer Behandlung zu realisieren. Als Folge der Unterlassung nimmt die bestehende Erkrankung ihren natürlichen Verlauf bis zum Tod. Dieses Geschehen sollte mit Begriffen beschrieben werden, die keine Übergänge zur „Tötung auf Verlangen“ nahe legen. Das gelingt eher, wenn man statt von „passiver Sterbehilfe“ von „Sterbenlassen“ (53) spricht.

Am Begriff der „indirekten Sterbehilfe“ wird kritisiert, dass er das Ziel der damit gemeinten Handlungen verfehlt. Es geht nicht um Hilfe zum Sterben, sondern um Therapien in der Sterbephase.

Im Vordergrund stehen Schmerzbehandlung und Sedierung, bei denen das Risiko in Kauf genommen wird, dass als eine mögliche Nebenwirkung der Eintritt des Todes beschleunigt wird, etwa weil das verabreichte schmerzlindernde Medikament eine Atemdepression auslösen kann.

Allerdings ermöglichen die Fortschritte der modernen Palliativmedizin heute in den meisten Fällen eine wirksame Therapie auch extremer Schmerzen, ohne den vorzeitigen Tod des Patienten herbeizuführen. Es erscheint nicht angemessen, eine Medikamentengabe, die zur Schmerzbehandlung bei schwer erkrankten Menschen medizinisch indiziert ist, als „indirekte Sterbehilfe“ zu bezeichnen, weil sie als eine nicht intendierte Nebenfolge das Sterben des Betroffenen möglicherweise beschleunigt. Überdies würde eine solche Kennzeichnung dann auch für andere Fälle gelten, bei denen es medizinisch gerechtfertigt ist, Medikamente einzusetzen, zu deren Nebenwirkungsspektrum lebensgefährliche Komplikationen gehören. (54) Zugleich wäre es eine unzulässige Verharmlosung, wenn man Schmerzbehandlung, die übermäßig dosiert oder sonst medizinisch unsachgemäß ist und die deshalb zum Tode des Patienten führt, als „indirekte Sterbehilfe“ abtut.

In solchen Fällen handelt es sich vielmehr um die (fahrlässige oder vorsätzliche) Tötung des Betroffenen.

Schließlich ist auch der Begriff „terminale Sedierung“ problematisch. Er wird uneinheitlich verwendet und fasst Maßnahmen zusammen, die mit Blick auf die betroffenen Patienten und ihren Willen, das Behandlungsziel und die klinischen Anwendungsbedingungen unterschieden werden müssen. Das Sprechen von terminaler Sedierung erweckt den Eindruck, der Tod des Betroffenen sei das Ziel, das durch die Sedierung selbst erreicht werden soll. Das aber wäre eine Tötung, die nicht als Sedierung verharmlost werden sollte. Auch dann, wenn eine Sedierung vorgenommen wird, um den Verzicht auf Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr bei nicht schwer kranken Menschen, die den Wunsch haben zu sterben, überhaupt erst zu ermöglichen, handelt es sich um eine Tötung auf Verlangen. Bei einer anderen Gruppe von Patienten wird von „terminaler Sedierung“ gesprochen, wenn im Rahmen einer palliativmedizinischen Behandlung Symptome wie Schmerzen, Panikzustände oder extreme Unruhe nicht anders zu beherrschen sind als durch eine Sedierung, die in vielen Fällen nur vorübergehend erfolgt. Hier sollte man von einer „palliativen Sedierung“ sprechen, die Bestandteil einer angemessenen Therapie am Lebensende ist. Eine weitere Form von palliativer Sedierung erfolgt bei Patienten, bei denen der Verzicht oder der Abbruch einer Behandlung entweder medizinisch indiziert ist oder gemäß dem Willen des Betroffenen erfolgt. Eine Sedierung kann in diesen Fällen zur Erleichterung belastender Symptome begleitend erfolgen.

 

4.2. Vorschläge zur Terminologie

 

Der Nationale Ethikrat schlägt vor, die eingeführte, aber missverständliche und teilweise irreführende Terminologie von aktiver, passiver und indirekter Sterbehilfe aufzugeben. Entscheidungen und Handlungen am Lebensende, die sich mittelbar oder unmittelbar auf den Prozess des Sterbens und den Eintritt des Todes auswirken, können angemessen beschrieben und unterschieden werden, wenn man sich terminologisch an folgenden Begriffen orientiert: Sterbebegleitung, Therapie am Lebensende, Sterbenlassen, Beihilfe zur Selbsttötung, Tötung auf Verlangen.

 

4.2.1. Sterbebegleitung

 

Mit dem Begriff der Sterbebegleitung sollen Maßnahmen zur Pflege und Betreuung von Todkranken und Sterbenden bezeichnet werden. Dazu gehören körperliche Pflege, das Löschen von Hunger- und Durstgefühlen, das Mindern von Übelkeit, Angst, Atemnot, aber auch menschliche Zuwendung und seelsorgerlicher Beistand, die dem Sterbenden und seinen Angehörigen gewährt werden.

Ihr Ziel muss es sein, die Fähigkeit des Patienten, den eigenen Willen auch in der Sterbephase zur Geltung zu bringen, so lange zu erhalten, wie es medizinisch möglich, für den Betroffenen erträglich und von ihm gewollt ist.

 

4.2.2. Therapien am Lebensende

 

Zu den Therapien am Lebensende zählen alle medizinischen Maßnahmen, einschließlich palliativmedizinischer Maßnahmen, die in der letzten Phase des Lebens erfolgen mit dem Ziel, Leben zu verlängern und jedenfalls Leiden zu mildern. Dazu gehören auch Maßnahmen, bei denen die Möglichkeit besteht, dass der natürliche Prozess des Sterbens verkürzt wird, sei es durch eine hochdosierte Schmerzmedikation oder eine starke Sedierung, ohne die eine Beherrschung belastender Symptome nicht möglich ist. Auf den bisher in diesem Zusammenhang verwendeten Begriff der „indirekten Sterbehilfe“ sollte verzichtet werden, weil der Tod des Patienten weder direkt noch indirekt das Ziel des Handelns ist. Wird dagegen eine medizinisch nicht gerechtfertigte Überdosis der entsprechenden Medikamente gegeben, um den Tod des Patienten gezielt herbeizuführen, ist der Begriff der indirekten Sterbehilfe ohnehin unangebracht, weil es sich um die Tötung des Patienten handelt.

 

4.2.3. Sterbenlassen

 

Von Sterbenlassen statt von „passiver Sterbehilfe“ wird in dieser Stellungnahme gesprochen, wenn eine lebensverlängernde medizinische Behandlung unterlassen wird und dadurch der durch den Verlauf der Krankheit bedingte Tod früher eintritt, als dies mit der Behandlung aller Voraussicht nach der Fall wäre. Das Unterlassen kann darin bestehen, dass eine lebensverlängernde Maßnahme erst gar nicht eingeleitet wird; es kann auch darin bestehen, dass eine bereits begonnene Maßnahme nicht fortgeführt oder durch aktives Eingreifen beendet wird. In manchen Fällen kann es sinnvoll sein, dies durch eine unterschiedlich tiefe palliative Sedierung zu begleiten.

 

4.2.4. Beihilfe zur Selbsttötung

 

Verschaffen Ärzte oder andere Personen jemandem ein todbringendes Mittel oder unterstützen sie ihn auf andere Weise bei der Vorbereitung oder Durchführung einer eigenverantwortlichen Selbsttötung liegt Beihilfe zur Selbsttötung (assistierter Suizid) vor.

 

4.2.5. Tötung auf Verlangen

 

Wenn man jemandem auf dessen ernsthaften Wunsch hin eine tödliche Spritze gibt oder ihm eine Überdosis an Medikamenten verabreicht oder sonst auf medizinisch nicht angezeigte Weise eingreift, um seinen Tod herbeizuführen, der krankheitsbedingt noch nicht eintreten würde, handelt es sich um Tötung auf Verlangen. Im Unterschied zur Beihilfe zur Selbsttötung führt hier nicht der Betroffene selbst, sondern ein anderer die tödliche Handlung aus.

 

4.3. Bleibende Schwierigkeiten der Terminologie

 

Der Nationale Ethikrat ist sich darüber im Klaren, dass die von ihm favorisierte Terminologie die Schwierigkeiten, die es bereitet, medizinische Maßnahmen und Entscheidungen am Lebensende angemessen zu beschreiben, nicht restlos beseitigt. Auch die Unterscheidung von „Tötung auf Verlangen“ und „Sterbenlassen“ kann Wertungen von „unerlaubt“ und „erlaubt“ transportieren, die vorschnell und unbegründet sein können. Der Begriff der Tötung auf Verlangen verliert an negativer Einfärbung, wenn man ihn auf die Tötung von unheilbar kranken Menschen bezieht, die zu sterben wünschen, um ihr als untragbar empfundenes Leiden zu beenden, aber nicht in der Lage sind, ihren eigenen Tod ohne Hilfe herbeizuführen. Umgekehrt ist Sterbenlassen weit weniger harmlos, als das Wort nahe legt. Wenn ein Arzt einem Patienten eine lebenserhaltende Maßnahme vorenthält, sie entweder nicht einleitet oder wieder abbricht, lässt er ihn am natürlichen Verlauf der Krankheit sterben. Gleichwohl ist die Handlung zweifelsfrei eine Tötung, wenn die Maßnahme medizinisch indiziert war und gegen den Willen des Betroffenen unterbleibt. Man muss also hinzudenken, dass es nicht einfach um Sterbenlassen geht, sondern um Sterbenlassen auf Verlangen oder um Sterbenlassen in aussichtsloser Situation, wenn medizinische Maßnahmen ungeeignet sind, das Leben des Betroffenen weiter zu erhalten.

Trotz dieser Einschränkung ist der Nationale Ethikrat der Meinung, dass die von ihm favorisierte Terminologie den Merkmalen der Handlungen und den Intentionen der Handelnden, um die es bei medizinischen Maßnahmen und Entscheidungen am Lebensende geht, besser gerecht wird als die überkommene Begrifflichkeit der Sterbehilfe. Die für die Bewertung notwendigen Differenzierungen sind bei der Diskussion der einzelnen Tatbestände anzubringen.

 

Quellen:

(52) Die ursprüngliche Wortbedeutung des griechischen Wortes „euthanasía“ – „guter Tod“ – enthält eine ähnlich positive Einfärbung,

ungeachtet der Tatsache, dass sich der Gebrauch des Wortes in unterschiedlichen kulturellen Kontexten stark verändert

hat.

(53) Diese alternative Terminologie ist nicht neu, sondern wird seit langem von zahlreichen Autoren favorisiert: Beispielhaft: Beauchamp/

Childress 2001; Steinbock 1994; Spaemann/Fuchs 1997; siehe auch die ausführliche Terminologiediskussion in President's

Commission 1978: 60ff.

(54) Allerdings trifft nur für palliative Leidminderung zu, dass im Extremfall sogar einen sichere Todesbeschleunigung in Kauf

genommen werden dürfte. Bei allen anderen Behandlungsmaßnahmen würde man dies als eine eindeutige Kontraindikation

auffassen.