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FAKTEN – QUELLEN – ZUSAMMENHÄNGE – MEINUNGEN
Sterben
Sterbebegleitung
Sterbehilfe
Patientenverfügung
zusammenstellung:
joachim krause, hauptstr. 46, 08393 schönberg, tel. 03764-3140
(Die folgende Materialsammlung können Sie hier auch als
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fortlaufend aktualisiert bis Januar 2018
neueste Eintragungen jeweils am Ende
der einzelnen Themenbereiche farbig gekennzeichnet
begonnen:
2004
abgeschlossen
mit Stand vom 9.1.2018
Einzelbereiche hier direkt anklicken:
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Sterben
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Sterbebegleitung, Sterbehilfe
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hier LINK zu einer früheren Sammlung
von Materialien und Quellen zu Sterbebegleitung und Sterbehilfe:
http://www.krause-schoenberg.de/sterben_faktensammlung_230503.html
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(Lexikon)
"Euthanasie"
Sehnsucht nach dem schönen, leichten Tod
Tötung auf Verlangen, Hilfe beim Sterben-Lassen, Tötung "unwerten"
Lebens
·
(taz
5.12.95)
Titel "Das Recht auf die tödliche Spritze"
·
(TV-Sendung
13.2.97 ARD-ZDF?, Prod. Bayerischer Rundfunk)
in der Schweiz wurden im letzten Jahr ärztliche Richtlinien beschlossen, wonach
der behandelnde Arzt eines Koma-Patienten völlig allein das Todesurteil fällen
und vollziehen kann, ohne daß er vorher mit den Angehörigen reden muß
·
(Deutsches
Ärzteblatt 22.9.95 S.A-2450)
Schweizer Richtlinie zur Sterbehilfe
"aktive Maßnahmen zum Zwecke der Lebensbeendigung verboten";
Richtlinien beziehen sich ausdrücklich nicht nur auf Sterbende, sondern auch
auf zerebral schwerst Geschädigte mit irreversiblen, fokalen oder diffusen
Hirnschädigungen.. Ein solcher chronisch-vegetativer Zustand bestehe, im (nach
mehrmonatiger Beobachtungszeit wiederholt bestätigten) irreversiblen und
definitiven Verlust der kognitiven Fähigkeiten, der Willensäußerungen und der
Kommunikation. Er könne nach Schädeltrauma oder Hirnblutung, bei Gefäßleiden,
entzündlicher oder degenerativer Hirnkrankheit, infolge eines Tumors oder einer
Anoxie auftreten. Ein verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen ist also nicht
nur bei Sterbenden, sondern auch bei Menschen im irreversiblen Koma erlaubt.
Als lebenserhaltende Maßnahmen gelten künstliche Wasser- und Nahrungszufuhr,
Sauerstoffzufuhr, künstliche Beatmung, Medikation, Bluttransfusion und Dialyse.
Bei urteilsunfähigen Patienten müsse der Arzt primär entsprechend der Diagnose
und der mutmaßlichen Prognose handeln... Lediglich bei unbestimmter Prognose
solle sich der Arzt am mutmaßlichen Willen des Patienten orientieren.
Patientenverfügungen sind zu respektieren, die letztendliche Entscheidung
trifft allerdings häufig der Arzt.
·
(taz
25.11.96)
Beispiel Schweiz: Dort hat die Akademie der Medizinischen Wissenschaften 1995
eine Ethik-Richtlinie beschlossen, die das Lebensrecht von PatientInnen in
Frage stellt, die in Folge eines Schlaganfalls, Tumors oder Unfalls ins Koma
gefallen sind. Wem ÄrztInnen nach mehrmonatiger Beobachtung bescheinigen, seine
Bewußtlosigkeit sei unwiderruflich, den dürfen richtlinientreue MedizinerInnen
töten; durch Entzug der Zufuhr von Beatmung und Medikation, Verzicht auf
Bluttransfusion und Dialyse.... In der Alpenrepublik bestehen "Ausnahmen
von der ärztlichen Verpflichtung zur Lebenserhaltung", sofern eine
Krankheit oder irreversible Schädigung "trotz Behandlung in absehbarer
Zeit zum Tode führt"...
·
(taz
24.4.97)
in der Schweiz ist ein Behandlungsabbruch auch bei Patienten zulässig, bei
denen der Sterbevorgang überhaupt noch nicht eingesetzt hat
·
(FR
27.2.96)
Der Druck wächst. In Australien, den Niederlanden und in Japan ist aktive
Sterbehilfe bereits möglich....
Vor wenigen Monaten haben die Mediziner in der Schweiz eine neue Richtlinie zur
Sterbehilfe beschlossen. Sie erlaubt ausschließlich die passive Sterbehilfe.
Doch diese kann jetzt nicht nur bei Sterbenden Anwendung finden, sondern auch
schon bei Schwerstkranken, die sich noch nicht im Sterbeprozeß befinden...Die
Schweizer haben auch festgeschrieben, daß der Nahrungsentzug (also die
Entscheidung, Menschen verhungern oder verdursten zu lassen, JK) ein Akt
passiver Sterbehilfe sei.
·
(TV-Sendung
13.2.97 ARD-ZDF?, Prod. Bayerischer Rundfunk)
am Europäischen Patentamt in München wurde im April 1996 ein Patent erteilt:
damit wird der amerikanischen Michigan-State-University ein Euthanasie-Serum
patentiert, das (ZITAT:) "zur ästhetischen Tötung von Säugetieren"
benutzt werden kann; das eigentlich Brisante dabei: die Anwendung am Menschen
ließ man sich gleich mit schützen, falls die Euthanasie legalisiert wird...
Begriffe - Nebel und verräterisch
"Patienten abspritzen"
"ein Kind auf NULL-DIÄT setzen"
"Dehydratisierung" (Reichen von Flüssigkeit verweigern)
·
(FR
15.4.96)
USA; Jack Kevorkian; in vergangenen 5 Jahren an mehr als zwei Dutzend
Selbsttötungen mitgewirkt; Anfang März 1996 von der Anklage auf verbotene
Sterbehilfe freigesprochen
·
(Das
Sonntagsblatt 5.7.96)
Weltpremiere für einen Tabu-Bruch:
in der australischen Nordprovinz trat jetzt ein Gesetz in Kraft, mit dem 1995
von Parlament in Darwin die Rechtsgrundlage für aktive Sterbehilfe geschaffen
worden war
Bedingung: Untersuchung des Sterbewilligen durch drei unabhängige Gutachter;
zwei Bedenkfristen einzuhalten, dann Todesspritze nicht durch Arzt, sondern
durch Patienten selbst mit Hilfe eines eigens dafür installierten Computers
·
(Das
Sonntagsblatt 2.6.95)
am 25. Mai 1995 stimmte in der australischen Provinzhauptstadt Darwin das
Parlament des Nordterritoriums dafür, daß sich Kranke unter bestimmten
Bedingungen von Ärzten töten lassen können
·
(FR
16.12.96)
im Herbst 1996 setzt der unheilbar an Krebs erkrankte 66 Jahre alte Bob Dent im
Beisein seines Arztes den Todes-Computer in Gang und drückt den Befehl zur
Injektion einer tödlichen Dosis von Chemikalien
Gesetz über die Zulassung der "freiwilligen Euthanasie", das erste
Gesetz dieser Art auf der Welt, war schon im Mai 1995 verabschiedet worden und
seit 1.Juli 1996 in Kraft
Bedingungen:
- unheilbare tödliche Erkrankung
- über 18 Jahre alt und im Vollbesitz seiner geistigen
Kräfte
- schriftlicher Antrag auf Sterbehilfe
- zwei Ärzte müssen nachweisen, daß schmerzlindernde Mittel
den Verlauf der Krankheit nicht
aufhalten können und das
Weiterleben eine Qual sei
- Fristen:
a) Antragstellung erst eine Woche nach
erster Mitteilung
des Todeswunsches gegenüber den
Ärzten
b) nach Antragstellung mind. 48 Std.
Bedenkfrist
- 3. Arzt, Psychiater, muß Schwachsinn, Depressionen usw,
ausschließen
·
(Der
Spiegel 9/97 S.196)
inzwischen haben drei Australier von der Möglichkeit des Gnadentodes Gebrauch
gemacht
·
(?
taz, Die Welt)
„Ein Laptop beendete sein Leben"
·
(taz/Freie
Presse 26.3.97)
beide Kammern des australischen Parlaments haben für Abschaffung des
umstrittenen Euthanasie-Gesetzes gestimmt
·
(taz
5.12.95)
seit in den Nachbarländern, in den Niederlanden, der Schweiz, Belgien, die
Sterbehilfe Schritt für Schritt weiter legalisiert wird...
Niederlande: dort ist die ärztliche Sterbehilfe zwar nicht erlaubt, aber ein
Arzt, der auf das ausdrückliche und wiederholte Verlangen eines todkranken
Patienten diesem die Spritze gibt, bleibt straffrei. Übersehen wird dabei
allzugern, daß viele Ärzte in der täglichen Praxis noch viel weiter gehen.
Euthanasie wird auch bei nicht einwilligungsfähigen, komatösen oder
altersdementen Patienten und mit schweren Behinderungen zur Welt gekommenen
Neugeborenen angewandt. Mehrere hundert Menschen, die nicht ihre Zustimmung zur
Euthanasie haben geben können, werden nach Schätzungen jedes Jahr in den
Niederlanden getötet. Der Gesetzgeber denkt jetzt über eine gesetztliche
Freigabe auch für diese Fälle nach.
·
(Deutsches
Ärzteblatt 8.8.94 S.A-2098)
Fall Oberster Gerichtshof Niederlande:
Psychiater stellt Patientin mit "unerträglichen seelischen Qualen"
tödliche Giftdosis zur Verfügung (1991);
Gericht: befand Psychiater zwar schuldig, sah aber von Strafverfolgung ab;
auch wenn ein Patient nicht körperlich leide und sich nicht in der
Sterbensphase befinde, könne der Arzt sich unter Umständen auf eine
Notsituation berufen
·
(Deutsches
Ärzteblatt 13.12.96 S.A-3334)
Niederlande:
im Auftrag des Justiz- und Gesundheitsministeriums durchgeführte Befragung;
Ministerium beziffert nicht gemeldete Euthanasie-Fälle mit 60% - damit umgehen
offenbar die meisten Ärzte eine Bedingung der nach 1994 in Kraft getretenen
Euthanasie-Gesetzgebung;
Bedingungen:
- Arzt muß nach geleisteter Sterbehilfe Berichtsbogen
ausfüllen
- Gemeindearzt muß Leichenbeschau vornehmen und
Staatsanwalt informieren
- ausdrücklicher und wiederholter Wunsch des
einwilligungsfähigen Patienten
- Leiden "unannehmbar"
- Beratung des Arztes mit einem Kollegen
·
(Der
Spiegel 9/97 S.196)
Seit Anfang der achtziger Jahre wird in den Niederlanden aktive Sterbehilfe in
großem Stil praktiziert. Jeder zweite Arzt hat in der Zwischenzeit wenigstens
einmal den Todeswunsch eines Patienten erfüllt.
längst nicht mehr nur unheilbar Kranke: HIV-Infizierte ohne Aids-Symptome, alte
Menschen ohne Einwilligung
·
(Deutsches
Ärzteblatt 31.1.97 S.B-186)
Niederlande:
Euthanasie: etwa 2% der jährlichen Todesfälle
bei zusätzlich 1000 Patienten Tötung ohne ausdrückliche oder auch nur
mutmaßliche Zustimmung vorgenommen.
Der Damm zur ärztlich verordneten Euthanasie ist also längst gebrochen.
·
(FAZ
3.7.96)
in Japan beschäftigt ein umstrittener "Gnadentod" die Öffentlichkeit
In Australien ist erstmals ein Gesetz zur Legalisierung der Euthanasie
verabschiedet worden...
das neue australische Beispiel zeigt, daß der Dammbruch in Sachen Euthanasie
gar nicht beim Umgang mit Behinderten erfolgt... es ist vielmehr der sonst so
geschätzte liberale Individualismus, das Ideal totaler Selbstbestimmung, das
bei der Euthanasie bis zum Umschlag in die Selbstvernichtung getrieben wird.
·
(taz
21.4.97)
Bundesärztekammer: Entwurf für geplante neue
"Richtlinien zur ärztlichen Sterbebegleitung und zur
Behandlungsbegrenzung"
erstmals ermächtigt der geplante Verhaltenskodex MedizinerInnen,
"lebenserhaltende Maßnahmen" auch bei Menschen abzubrechen, die sich
überhaupt nicht im Sterbeprozeß befinden, namentlich bei PatientInnen im
apallischen Syndrom (Wachkoma). Die todbringende Unterlassung ist..."nur
dann zulässig, wenn dies dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Patienten
entspricht".
·
(Der
Sonntag 25.5.97)
Richtlinienentwurf der BÄK: "Bewußtlose oder sonst einwilligungsunfähige
Patienten" werden nicht klinisch beatmet oder ernährt, bekommen keine
lebenswichtigen Medikamente, keine Bluttransfusion oder Dialyse, "wenn
dies dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht."
·
(Deutsches
Ärzteblatt 7.6.96 S. A-1508)
Singer sagt:
1993 habe das niederländische Parlament ein Gesetz verabschiedet, nach dem
holländische Ärzte jenen Patienten letale Injektionen geben dürfen, "die
unerträglichen Leiden ohne Aussicht auf Besserung ausgesetzt waren und um
Sterbehilfe ersuchten".
Im März 1996 habe ein Federal Appeal Court der USA das Verbot der Sterbehilfe
für verfassungswidrig erklärt.
·
(Fuldaer
Zeitung 26.9.96)
Sterbehelfer Jack Kevorkian USA in vergangenen 6 Jahren mindestens 40 Menschen
Sterbehilfe geleistet; zwei Bundesgerichte kassierten das Verbot der
Sterbehilfe in zwölf Staaten der USA
·
(Der
Spiegel 9/97 S.196)
Januar 1997 erkannte Gericht in West Palm Beach einem Aids-Kranken das Recht
zu, bei seinem geplanten Suizid ärztliche Unterstützung in Angriff zu nehmen.
Kevorkian 45 Patienten zum Tode gebracht
·
(Deutsches
Ärzteblatt 8.1.96 S.A-28)
Gericht in England entschied, daß einem Unfallopfer, das seit drei Jahren im
Wachkoma lag, die Nahrung entzogen werden darf.
·
(taz
22.5.97)
In Kolumbien hat das Verfassungsgericht die aktive Sterbehilfe in Einzelfällen
für rechtmäßig erklärt (Patient muß unheilbar krank sein und seine Zustimmung
erteilt haben).
·
(Das
Sonntagsblatt 24.11.95)
Umfragebogen des Bonner Instituts für Wissenschaft und Ethik an 1200 Ärzte
verschickt; ankreuzen, ob sie es jemals für angemessen halten, einem
Wach-Koma-Patienten die künstliche Ernährung zu entziehen, und welcher
Zeitpunkt dafür gegebenenfalls angemessen wäre, und ob eine solche Entscheidung
als Privatsache zwischen Ärzten und Angehörigen zu finden ist oder rechtlich in
Gesetzesform zu gießen wäre...
·
Günter
Altner: Leben in der Hand des Menschen, Darmstadt 1998
S. 135: zunehmende Bejahung der Euthanasie in den westl. Demokratien:
- Hochschätzung des Individuums
- Wegfall des Gottesbezuges in der säkularen Welt
Dimension des Aufgehobenseins über den
Tod hinaus fällt aus;
galten Ängste und Hoffnungen früher vor
allem dem, was nach dem Tod kommt, so muß das alles
heute „vor“ dem Tod bestanden werden
und drängt sich hier als Angst vor Leiden, Schmerzen,
Einsamkeit und Sterben zusammen
S. 140: Hospizbewegung, Sterbebegleitung
einerseits Frage sorgfältig
angewendeter Schmerztherapie;
Menschen ermutigen, dem Tod ins Auge zu
blicken
·
Friedrich-Ebert-Stiftung
1997: Sterben als Teil des Lebens
S.9 Umsorgung von Sterbenden
S.27 Großbritannien 1994: 21000 Patienten, die zu Hause starben, erhielten 1
Mill. Pflegestunden von Marie-Curie-Schwestern (= 50 Std. je Patient!)
S.42 Niederlande Studie 1991: 1,8% aller Patienten sterben durch freiwillige
Euthanasie, weitere 0,8% durch unfreiwillige Euthanasie; 38% der Fälle werden
von Ärzten nicht gemeldet
·
Ev.
Akademie Loccum: Dich leiden sehen und nicht helfen können, 1998
S.10: „high touch“ statt „high tech“
Hospitium als Gastfreundschaft, als Freundschaftsdienst für einen Weg, der mit
dem Tod noch nicht zu Ende ist
S.31 Wirkung von Morphinen
S.48 Holland 2-5% der Todesfälle aktive Euthanasie
S.77 seelische Schmerzen: Eingehen auf individuelle Religiosität; Lieder und
Gedanken werden durch Mitsingen oder Atmung begleitet
S.78: gegen Einsamkeit: gemeinsam essen, fernsehen, rauchen...
S.78f.: in Ruhe Abschied nehmen, Aussegnung im Zimmer, zum Gedenken als
Auferstehungshoffnung - eine Kerze; keine schnelle Entsorgung nach draußen
S.101ff. Leid - Überlegungen aus christlicher Sicht
S.123 Der Tod wird im wahrsten Sinne des Wortes tot-geschwiegen
S.125: Sterbende fragen nach Sinn des Lebens, nach dem WARUM, leiden in ihrem
Selbstwertgefühl;
der Sinn und Wert unseres Lebens liegt nicht in unseren Taten oder unserem
Wohlergehen, sondern darin, daß Gott uns liebt und nach seinem Ebenbild
geschaffen hat, diese Würde kann uns niemand nehmen, auch Leid, Schuld und Tod
können sie nicht zerstören
S.127:einen Sterbenden begleiten heißt nicht, seine Fragen zu beantworten,
sondern zusammen mit ihm seine Angst auszuhalten und nach tragenden
Hoffnungsbildern zu suchen; Schweigen, non-verbale Gesten, Streicheln, Stirn
abwischen...
·
(10) In Würde zu sterben heißt, als
Mensch in der von ihm gewünschten Umgebung, in seinem Dasein bis zuletzt
wahrgenommen und angenommen zu werden. Dies bedeutet, von menschlicher und
palliativmedizinischer Fürsorge, Kommunikation und Betreuung begleitet zu sein.
Entscheidend und bindend müssen die Wünsche und das Wohl des Patienten sein. Er
ist der Mittelpunkt.;
(Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin,
Zwischen bericht 13.9.04 „Patientenverfügungen“)
·
Statement dazu von Prof. Beleites:
Das heißt jedoch nicht, dass die Begleitung Sterbenswilliger oder auch die
Anwesenheit beim Suizid den Ärzten generell verboten ist.
(Bundesärztekammer 2004: „Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen
Sterbebegleitung“, Dtsch. Ärzteblatt 7.5.04)
·
Aufgabe des Arztes ist es, unter
Beachtung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten Leben zu erhalten,
Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen sowie Leiden zu lindern und
Sterbenden bis zum Tod beizustehen. ...
(Bundesärztekammer 2004: „Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen
Sterbebegleitung“, Dtsch. Ärzteblatt 7.5.04)
·
(38) Hippokrates:
“Der Arzt befasse sich mit der völligen Beseitigung der Leiden der Kranken und
mit dem Lindern der Heftigkeit der Leiden. Aber er wage sich nicht heran an
jene, die von der Krankheit schon überwältigt sind.“
(humanismus aktuell 8/2004)
·
„infaust“ heißt: ohne Aussicht auf
Heilung, das ist tatsächlich ein Todesurteil;
1953 starben in D. 37,4 % aller Menschen im Krankenhaus; 1980: 55,3 %; derzeit
etwa 48 %;
(ZEIT 7.4.04 S.62ff)
·
70% aller Menschen sterben im Krankenhaus
(taz 1.2.03)
·
(38ff) Obwohl der Wunsch verbreitet
ist, die letzte Lebensphase zu Hause zu verbringen, sterben tatsächlich rund
90% der Menschen in Krankenhäusern oder Pflegeheimen; auf dem Lande sterben
etwa 20% zu Hause; 47 % der Todesfälle im Krankenhaus
(Nationaler Ethikrat: Stellungnahme Juli 2006 „ Selbstbestimmung und Fürsorge
am Lebensende“ – im Internet unter http://www.nationalerethikrat.de/stellungnahmen/pdf/Stellungnahme_Sterbebegleitung.pdf)
·
Wann ist ein Mensch „tot“? Lange
galten der letzte Atemzug oder der letzte Herzschlag als Ende des Lebens. Der
Kreislauf steht still, die Pupillen weiten sich, Lippen und Haut färben sich
bläulich. Doch für einige Minuten besteht die Möglichkeit, den Herztod
rückgängig zu machen, den Menschen wiederzubeleben.
Ob jemand tatsächlich ins Leben zurückkehrt, hängt davon ab, wie lange sein
Atem aussetzt. Das Gehirn kann nur wenige Minuten ohne Sauerstoff auskommen.
Sterben zu viele Hirnzellen, stirbt schließlich das ganze Organ. Doch ist der
Mensch tot, wenn das Hirn tot ist? Der Brustkorb hebt und senkt sich ja noch,
wenn das Beatmungsgerät angeschlossen ist, das Herz schlägt, die Haut ist warm,
weil Medikamente den Kreislauf in Gang halten ...
Ist schon das Ende nicht immer so eindeutig, so sind die Zustände des
Bewusstseins, die zwischen Leben und Tod liegen, noch weitaus schwieriger zu
fassen: das Koma und besonders die verschiedenen Arten des Wachkomas.
Wer im Koma liegt, der gleicht äußerlich einem Hirntoten. Er ist bewusstlos,
doch sein Hirn arbeitet noch, etwa die Hälfte der normalen Aktivität ist
erhalten. Der Patient kann sich wieder vollständig erholen oder ins Wachkoma
hinübergleiten, oder aber sein Gehirn versagt nach ein bis zwei Wochen ganz
seinen Dienst. Das Koma ist damit meist eine Durchgangsstation zwischen Leben
und Tod, in der ein Patient verhältnismäßig kurz verweilt.
Ganz anders verhält es sich mit dem Wachkoma. Jahrelang verharren die Patienten
in ihrem Zustand, oft weiß keiner genau, ob es noch eine Hoffnung auf Besserung
gibt. Sind nur wenige Hirnregionen geschädigt, etwa infolge eines Unfalls,
kommt es vor, dass im Gehirn des Wachkomapatienten neue Nervenverbindungen
geknüpft werden. Solche Patienten können in seltenen Fällen wieder zu
Bewusstsein kommen.
Völlig anders lag der Fall der US-amerikanischen Komapatientin Theresa Schiavo,
deren künstliche Ernährung vor zwei Jahren auf richterlichen Beschluss hin
abgestellt wurde. 15 Jahre zuvor hatte ihr Gehirn während eines Herzstillstands
zu lange keinen Sauerstoff bekommen, ein großer Teil der Nervenzellen war
abgestorben, kaum eine Hirnregion war verschont worden. Dass jemand nach Jahren
aus solch einem Zustand wieder erwacht, gilt immer noch als ausgeschlossen. Nur
15 Prozent der Patienten, deren Hirn durch Sauerstoffmangel geschädigt wurde,
kommen innerhalb der ersten drei Monate wieder zu Bewusstsein, danach schaffen
dies nur sehr wenige und nach zwei Jahren schafft es keiner mehr, ergab eine
Studie unter 700
Betroffenen.
(ZEIT 29.3.07 S.4)
·
bei
jedem Suizid sind im Durchschnitt sieben andere Menschen massiv in
Mitleidenschaft gezogen;
Suizide in Deutschland 2005 (auf 100.000 Einwohner):
1. Sachsen 16,2
16. NRW 9,4
(bdw 7/2007 S.89)
·
Appell
an den Bundestag, das aus dem Jahre 1933 stammende „Gesetz zur Verhütung
erbkranken Nachwuchses“ umgehend zu ächten; das Gesetz wurde bis heute nicht
aufgehoben, sondern 1974 lediglich außer Kraft gesetzt;
auf seiner Grundlage wurden etwa 350.000 Menschen wegen körperlicher oder
geistiger Krankheiten zwangssterilisiert und rund 300.000 Menschen im
Euthanasie-Programm der Nazis ermordet
(Der Sonntag 11.3.07)
·
Ein
Gebet, das oft fälschlich Friedrich
Christoph Oetinger zugeschrieben wird,
aber von Reinhold Niebuhr stammt
(geschrieben im Sommer 1943;
Quelle: Elisabeth Sifton: Das Gelassenheitsgebet; Hanser Verlag 2001)
„Gott, gib uns die Gnade,
mit Gelassenheit Dinge hinzunehmen,
die sich nicht ändern lassen,
den Mut, Dinge zu ändern,
die geändert werden sollten,
und die
Weisheit,
das eine vom anderen zu unterscheiden!“
(Reinhold Niebuhr)
·
Menschen haben sich sattgelebt –
lebenssatt wie Abraham (1.Mose 25,8), Isaak (1. Mose 35,29), Hiob (Hiob 42,17),
David (1.Chr. 23,1) und Jojoda (2.Chr. 24,15);
Leben zu verhindern, gilt als Verstoß gegen die Schöpfungsordnung. Steren
verhindern ist das Gleiche, mit einem Wort der Alten: Sünde.
(ZEIT 17.7.08 S.50 Leserbrief)
·
seit
April 2007 hat jeder Schwerstkranke in Deutschland den Anspruch, zu Hause
versorgt zu werden bis zum Tod; Theoretisch; die Krankenkassen, die das Gesetz
umsetzen müssen, drücken sich darum, die Kosten für diese hochspezialisierte
Medizin zu übernehmen
(Der Spiegel 8-2009 S.132)
·
von
den etwa 800.000 Toten im Jahr in Deutschland werden rund 45% eingeäschert, in
manchen Regionen im Osten Deutschlands sind es 90%
(taz 21./22.11.09 S.19)
·
in
Zwickau 97% Feuerbestattungen, 3% Erdbestattungen
(Freie Presse Chemnitz 20.11.09 S.11)
·
TOD.
Die Inuit unterschieden zwischen drei Todesarten. Erstens: dem Tod durch
Krankheit, verursacht von böswilligen Geistern. Zweitens: dem Tod auf der Jagd.
Ein Grund, in Liedern ehrenvoll erwähnt zu werden. Drittens: dem freiwilligen
Tod zur Erhaltung der Gemeinschaft. Dieser Tod wurde besonders verehrt - der
durch Erdrosseln oder Erfrieren Verstorbene wurde über Generationen in Liedern
und Legenden gepriesen.
(taz16.12.2010 S.13)
·
In
Sachsen werden fast alle Verstorbenen in Urnengräbern beigesetzt. „90 Prozent
der Bestattungen sind Feuerbestattungen“, sagte der Vorsitzende der
Landesinnung der Bestatter Sachsens;
Preisliste für Feuerbestattungen fängt bei rund 1350 Euro an, Erdbestattungen
kosteten mindestens 1500 Euro
(Freie Presse Chemnitz 28.1.2012 S.2)
·
„Zu
blau der Himmel“
Jeder wird sterben, die Frage ist nur: wie? Qualvoll im Krankenhaus? Dement im
Heim? Das Tabu um das Thema Tod bröckelt - und es gibt gute Ideen für ein
Sterben ohne Angst. Es ist Zeit, darüber zu reden.;
Sterben macht Höllenangst.
Auch deshalb reden die meisten Menschen nicht gern darüber. Aber sie sollten es
tun, dringend, das ist die neue Idee: Lasst uns übers Sterben sprechen. Und
zwar oft und ausführlich, so, wie man sich über Kindererziehung und Liebesdinge
unterhält. Mehr noch: Am besten plant jeder schon mal sein eigenes Sterben - so,
wie man sich auf Geburten vorbereitet. Mit allen Beteiligten reden, sich von
einer Fachkraft beraten lassen, und die Aufgaben für den Tag X verteilen.
Mit Sprechen und Planen kriegt man die Angst weg. Und vorbereitet und angstfrei
stirbt es sich besser. Wer darüber redet, beginnt, den Tod als Teil des Lebens
zu begreifen. Wer fragt und zuhört, erfährt, dass er entgegen aller Erwartung
vieles selbst bestimmen kann auf dem Weg zu seinem Ende.
Es gäbe dann auch mehr Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen, so dass
alle, die sich kümmern, besser wüssten, ob sie beispielsweise einer Beatmung
zustimmen sollen. Das heißt: Mehr Menschen würden ohne Qualen und in Würde
abtreten. Es gäbe eine neue Sterbekultur.;
… zwei Drittel der Deutschen glauben laut einer aktuellen TNS-Emnid-Umfrage,
die Gesellschaft verdränge das Thema Tod "eher" oder sogar
"sehr". Zu nah darf er jedenfalls nicht kommen, das bewiesen im
Februar einige Hausbesitzer im Hamburger Süden, die gegen ein Hospiz in ihrer
Nachbarschaft protestierten.
Wenige Leute haben einen Plan, wie mit ihnen verfahren werden soll, wenn ein
Herzinfarkt sie fällt. Und kaum jemand hat sich überlegt, was geschehen soll,
wenn er schwer erkrankt: Zwölf Prozent der Deutschen haben eine
Patientenverfügung verfasst, gerade einmal acht Prozent eine
Vorsorgevollmacht.;
So hofft laut einer SPIEGEL-Umfrage die große Mehrheit von 67 Prozent auf einen
schnellen Tod, beispielsweise durch Herzinfarkt (siehe Grafik Seite 114). Dabei
ist ein solcher Abgang nicht einmal 5 von 100 Menschen vergönnt.
Mehr als ein Viertel der Befragten bevorzugt einen nicht allzu langsamen Tod
durch Krankheit bei guter medizinischer Versorgung, so, dass sie noch ein
bisschen leben und dann Abschied von ihren Liebsten nehmen können. Tatsächlich
wird, schätzt Palliativmediziner Borasio, jeden Zweiten dieser Tod ereilen.
Es überrascht nicht, dass fast niemand verwirrt aus dieser Welt scheiden will.
Dabei trifft genau dieses Schicksal sehr, sehr viele Menschen: mehr als ein
Drittel, Tendenz steigend. In 20 Jahren werden knapp zwei Millionen
demenzkranke Deutsche ihrem Ende entgegendämmern. Die Wahrscheinlichkeit
dazuzugehören ist hoch.
Jedem zweiten Mann in Deutschland wird es so ergehen wie Michael Bacher, er
wird laut einer Statistik der Krankenkasse Barmer GEK an seinem Lebensende auf
Pflege angewiesen sein. Bei den Frauen sind es sogar drei von vier. 2,4
Millionen Menschen in Deutschland bedürfen der Pflege, davon 750 000 in Heimen.;
Der "Aufbahrungsraum" ist das Totenzimmer der Sonnweid, eines
Demenzheims in der Nähe von Zürich. Es riecht nach Maiglöckchen.
Die Sonnweid beherbergt 150 Menschen mit Demenz und ist selbst für großzügige
Schweizer Verhältnisse etwas Besonderes. Und das liegt nicht am Geld. Der
Pflegeschlüssel ist mit eins zu drei in der Schweiz normal. Die Art der
Betreuung ist außergewöhnlich. "Unsere Bewohner sind dement, aber nicht
bescheuert", lautet das Credo des Sonnweid-Chefs Michael Schmieder. Und
deshalb sieht das Heim anders aus als die meisten anderen Einrichtungen dieser
Art, die mit Mobiliar aus den Fünfzigern ihre Patienten in die Kindheit
zurückversetzen wollen. Die Sonnweid wirkt wie ein modernes Hotel, hell und
funktional.
Niemand kann die Menschen, die hier sind, heilen; ihr Weg ist ein langes
Driften ins Vergessen, am Ende kann das Hirn nicht einmal mehr die Motorik
steuern. Die Sonnweid setzt dagegen: maximale Lebensqualität. Jeder Bewohner
soll das bekommen, was ihm Freude macht, hier und jetzt. Es ist wichtig, dass
er die Lieder, die er liebt, mitsummen kann, dass er die Speisen, die ihm
schmecken, zu essen bekommt. Die Krankenakte jedes Patienten vermerkt die
Lieblingsdüfte, die Lieblingsmusik, die Lieblingsgerichte. Wenn ein Mensch nur
Süßes mag, dann kocht ihm die Küche eben nur Süßes.;
Frau Bee kaut jetzt, immer noch mit geschlossenen Lidern. Dann, plötzlich,
schlägt sie die großen grauen Augen auf. "Jetzt sind Sie wach, gell, Frau
Bee?", zwitschert die Pflegerin, "draußen regnet's, es ist Mai."
Florije Isufi weiß weder, ob Frau Bee sie versteht, noch ob sie den Regen registriert.
"Aber sie hört mich", sagt Isufi, die blonde Albanerin, auf
Schweizerdeutsch, das bei ihr immer so klingt, als lächle sie.
Fünfmal am Tag bekommen die Oasenbewohner Essen, eine stundenlange Prozedur.
Niemand wird per Magensonde ernährt. "Unsere Bewohner haben das Recht, die
Nahrungsaufnahme zu verweigern", sagt Isufi, für sie ist das ein
Menschenrecht.
Die Pflegerin ist überzeugt, dass Frau Bee noch Lebensfreude empfindet.
"Sie leidet nicht", sagt Isufi, "darauf achten wir sehr."
Frau Bee bekommt Morphiumtropfen gegen den Schmerz in den verkrampften Muskeln.
Neulich dachten sie schon, es wäre soweit. Frau Bee verweigerte das Essen.
"Aber wir kontrollierten erst mal, ob sie Schmerzen im Mund hat." Der
Zahnarzt kam und fand die Ursache der Appetitlosigkeit: einen faulenden Zahn.
Seitdem der gezogen wurde, isst Frau Bee wieder.;
Jedes Jahr legen Ärzte in Deutschland 140 000 PEG-Sonden, viele Demenzpatienten
werden auf diese Weise künstlich ernährt. Ebenso ist es gängige Praxis,
Sterbenden künstlich Flüssigkeit zuzuführen. "Beides ist in der Regel
nicht notwendig", erklärt Palliativmediziner Borasio, "und sogar
schädlich." Alle Studien dazu zeigten, dass es den Dementen dadurch nicht
bessergehe. Im Gegenteil: Die Sonde begünstigt Infektionen.
Keinen Hunger und keinen Durst mehr zu verspüren gehört dazu, wenn der Körper
sich nach und nach herunterfährt, wenn's aufs Ende zugeht. Nur der Mund muss
befeuchtet werden, dazu genügen ein Schwämmchen und ein paar Tropfen; ansonsten
geht es den Sterbenden sogar schlechter, wenn man ihnen Flüssiges in die Venen
schleust.
Es komme nicht selten vor, berichtet Borasio, dass Schwerkranke bewusst auf
Wasser und Nahrung verzichteten, wie Michael Bacher im Maria-Stadler-Haus, um
schneller zu sterben. Und es funktioniert: Die Mehrheit dieser Männer und
Frauen scheiden innerhalb von 15 Tagen dahin, sie sterben einen friedlichen
Tod.
Borasio möchte, dass mehr Ärzte und Pfleger solche Patientenentscheidungen
respektieren. Sein Konzept dafür heißt: "liebevolles Unterlassen".;
Palliativbehandlung, denken viele, sei bloß eine Methode, um Schmerzen zu
lindern. Doch Palliativversorgung kümmert sich nicht nur um die körperlichen
Beschwerden der Patienten, sondern um alles, was Wohlbefinden ausmacht, was es
braucht für ein friedliches Ende.;
Deswegen bedeutet Palliativversorgung auch das Ende der Allmacht des Arztes.
Und es schränkt die Herrschaft der Pharmakonzerne ein, die einen großen Teil
ihres Umsatzes mit Medikamenten für Patienten im letzten Lebensjahr machen.
Palliativmedizin ist eine Rebellion gegen das medizinische Establishment.;
dass es jetzt eine mobile Palliativversorgung in Deutschland gibt. Die
sogenannten SAPV-Teams können den sehnlichsten Wunsch vieler Schwerstkranker
erfüllen: in den eigenen vier Wänden zu sterben, die Krankenkasse zahlt.
Dafür organisieren sie Rollstühle, Liegehilfen, Krankenbetten oder Pflegerinnen
und Physiotherapeuten. Sie geizen nicht mit Morphin gegen Schmerzen oder
Atemnot, sie verabreichen Neuroleptika, wenn die Patienten delirieren.
Die Mitarbeiter der Mobilteams verfassen für ihre Patienten Briefe an
Krankenkassen oder besorgen noch einmal eine Karte für ein
Champions-League-Spiel des FC Bayern München. Was sonst Wochen dauert, geht
hier oft in Stunden. Alle wissen: Wer schwerstkrank ist, hat keine Zeit mehr.
In Deutschland arbeiten bereits mehr als 200 SAPV-Teams. Sie sind eine Art
Hospiz auf Rädern mit 24-Stunden-Rufbereitschaft. Notärzte ohne Blaulicht.;
Die Philosophie des Münchner Palliativteams heißt: "Talk about the
elephant in the room". Zu Deutsch: nicht drum herumreden. Dieser Mensch
stirbt, und zwar bald.;
Wenigstens soll die Zeit nun nicht ungenutzt verstreichen. Die Kranke redet
viel, vor allem mit den Mädchen, und sie freut sich über jede neue
Freundschaft, die sie schließt - auch dafür hatte sie früher kaum die Muße.
Ihre letzte Eroberung ist die Frau, die sie unter die Erde bringen wird.
"Ja, wirklich", sagt sie, halb verlegen, halb stolz, "ich habe
mich mit meiner Bestatterin angefreundet."
Es gab viel zu besprechen, die Grabstätte, den Blumenschmuck, das Zeremoniell.
Und unversehens kamen die beiden einander übers Geschäftliche näher.
Die Beerdigung ist Frau Heinrichs letztes großes Projekt. "Das wird meine
Feier", sagt sie. Die Todesanzeige ist geschrieben, die Musik ausgesucht,
etwas für Orgel und Sänger, und auch die Grabrednerin ist instruiert. Sie wird
ein Gedicht vortragen und dann einen Brief hervorziehen: Die Verstorbene wendet
sich noch einmal an ihren Mann und die beiden Töchter.
Anfangs wollte Karina Heinrich zu Hause bleiben bis zum Ende, aber das wäre
wohl, nach den langen Jahren der Krankheit, über die Kräfte ihrer Angehörigen
gegangen. "Ich habe gesehen, dass ich meine Familie schützen muss",
sagt sie. "Die Mädchen sagen, sie könnten nie wieder das Zimmer betreten,
in dem ich gestorben bin. Mein Mann würde wohl das ganze Haus verkaufen."
Zu Hause muss nicht immer der beste Ort sein, um gelassen den Tod zu erwarten.
Alles dort erinnere die Sterbenden an ihr vergangenes Leben, mit dem sie noch
vielfach verstrickt sind, sagt Hospizleiterin Seyfried. "Hinzu kommt, dass
oft ständig die Türen gehen: der Pflegedienst, die Familie, die Nachbarn, die
Freunde." Im Hospiz dagegen empfängt die
Übersiedler ein aufgeräumtes Zimmer und die fürsorgliche Neutralität einer
Herberge. "Viele kommen hier leichter zur Ruhe", glaubt Seyfried.
"Sie müssen sich ja lösen."
(Der Spiegel 22-2012 S.110ff. - http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-85913063.html
)
·
S.40ff.: Dominik Groß: Zum Wandel im Umgang
mit der menschlichen Leiche …
Lässt die Erdbestattung bereits eine zunehmende Zahl von Wahlmöglichkeiten zu,
so gilt dies für die Feuer- beziehungsweise Urnenbestattung in weit größerem
Maße. 1998 lag der Prozentsatz der Feuerbestattungen bei knapp 40 Prozent; in
östlichen und nördlichen Bundesländern beträgt er inzwischen über 50 Prozent.;
In jüngster Zeit werden im Rahmen von Naturbestattungen auch schnell abbaubare
Urnen eingesetzt; manchmal wird sogar ganz auf Urnen verzichtet. Findet die
Beisetzung im Wurzelbereich von Bäumen statt, spricht man von Baumbestattung.
Vor der amerikanischen Ostküste wird mittlerweile auch eine
Korallenriff-Bestattung angeboten. Bei der Almwiesenbestattung wird die Asche
des Verstorbenen an einer bestimmten Stelle auf einer Almwiese in der Schweiz
in die Erde eingebracht. Einer zunehmenden Beliebtheit unter den
Bestattungsformen erfreut sich die Naturverstreuung. So besteht beispielsweise
in der Schweiz die Möglichkeit, die Asche auf ausgewiesenen Aschestreuwiesen zu
verstreuen. Bei der Himmelsbestattung wird die Asche aus der Luft verstreut. Im
Rahmen einer Seebestattung wird die Asche des Verstorbenen in einer
wasserlöslichen Urne der See übergeben. Die Übergabe erfolgt in der Regel in
gesondert ausgewiesenen Gebieten in der Nord- oder Ostsee, auf speziellen
Wunsch aber auch in allen Meeren der Welt. Die Zahl der Seebestattungen lag in
Deutschland am Ende des 20. Jahrhunderts bei etwa 5000 jährlich.;
Eine größere quantitative Bedeutung kommt der Verwahrung der Asche im
Privatbereich zu. Zwar verbietet der Friedhofszwang in Deutschland die
Möglichkeit, die Asche eines Verstorbenen im Privatbereich aufzubewahren, doch
steigt die Zahl der Menschen, die diese Regelung umgehen. Die Einäscherung muss
hierbei entweder im Ausland vorgenommen werden, oder dem deutschen Krematorium
geht eine ausländische Urnenanforderung zu. Das Krematorium verschickt
daraufhin die Asche in der Regel ohne weitere Formalitäten per Post ins
Ausland. Wird von den lokalen Behörden zur Ausstellung der Bestattungserlaubnis
der Nachweis einer Grabstätte im Ausland gefordert, werden oftmals
kostengünstige ausländische Verstreuungsgrabstätten angegeben. Anschließend
holen Angehörige die Asche entweder selbst im Ausland ab oder sie wird ihnen vom
ausländischen Bestatter per Post zugeschickt. Aufgrund der beschriebenen Praxis
gewinnt die Verwahrung der Totenasche im Privatbereich zunehmend an Bedeutung –
auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Kosten für diese Art der
privaten „Bestattung“ vergleichsweise niedrig sind. Von der Verwahrung der
Asche in einer Schmuckurne im Wohnzimmer, über die Beisetzung im eigenen Garten
bis zur Aufbewahrung eines Teils der Asche in einem Amulett eröffnen sich hier
vielfältige Optionen.
(Bundeszentrale für politische Bildung; Aus Politik und Zeitgeschichte;
20-21/2011 16.5.2011: „Organspende und Selbstbestimmung“; http://www.bpb.de/files/4PRV56.pdf )
·
Verbrennen
liegt im Trend. Im vergangenen Jahr wurde jeder zweite der knapp 852.000
Verstorbenen in Deutschland in einem Krematorium verbrannt. Noch Mitte der
1990er Jahre war es erst jeder dritte. Den Trend erklärt Lichtner damit, dass
die klassische Erdbestattung im Sarg für viele zu teuer werde, schließlich müssten
die Angehörigen über Jahre hinweg für das Fleckchen Erde auf dem Friedhof
zahlen. Zudem gebe es für eine Urne mit Asche neben See- und Waldbestattung
viele weitere Varianten der Beisetzung. Bis hin zur letzten Reise in den
Weltraum seien der Fantasie keine Grenzen gesetzt.
Immer mehr Menschen wünschen sich auch eine umweltverträgliche Bestattung und
kaufen Särge aus Pappe, Bestattungswäsche aus Naturfaser oder Urnen aus
Kartoffelstärke. "Die Nachfrage nach Ökoprodukten steigt", bestätigt
Lichtner.
(taz 25./26.8.2012 S.07)
·
Sterben
und sterben lassen
Die Palliativmedizin kann das Ende des Lebens einfühlsamer gestalten als in
Kliniken üblich. Deutschland ist darin ein Entwicklungsland.;
Technisch gesehen, ist der "Sterbevorgang" durch unser
Gesundheitswesen perfekt durchorganisiert. Übersehen werden dabei jedoch die
urmenschlichen Bedürfnisse in einer ultimativen Situation: keine Angst haben
müssen, von Schmerzen und von Atemnot befreit werden, Nähe erleben, Zuwendung
bekommen, letzte Fragen klären können.
Die Palliativmedizin kennt die Antworten auf diese Fragen. Nach aufreibenden
Kämpfen ist sie seit 2010 endlich auch Teil der Medizinerausbildung, und immer
mehr Experten erkennen, wie wichtig es ist, die Erkenntnisse dieser
Spezialdisziplin in der Praxis umzusetzen. Doch während in Nachbarländern wie
Großbritannien Palliative care längst verbreitet und anerkannt ist, hinkt
Deutschland hinterher. Das ist offenbar jetzt auch im
Bundesgesundheitsministerium erkannt worden. Auf dessen Initiative traf sich
jetzt im Juli erstmals das Forum Palliativversorgung. "Wir wollen zur
weiteren Verbesserung der Palliativ- und Hospizversorgung beitragen",
erklärte Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz.
Es ist höchste Zeit. Bislang haben zahlreiche Einwände den Durchbruch verhindert
– juristische, medizinische und, ja, auch wirtschaftliche, die meist nur hinter
vorgehaltener Hand benannt werden. Jeder kennt die Panik älterer Menschen vor
der Klinik und deren Apparatemedizin. Wenn es zu Ende gehen muss, dann im
eigenen Bett, zu Hause. Tatsächlich schafft das nur etwa jeder vierte
Sterbende. Für die überwiegende Mehrzahl ist das Krankenhaus oder das Hospiz
die letzte Station.;
Schwer fällt es den meisten Ärzten hingegen, etwas nicht zu tun, also eine
Behandlung zu unterlassen, solange sie noch möglich ist. Der Chefarzt, der den
Angehörigen der Patientin M. die Magensonde empfiehlt, weiß sich auf der
sicheren Seite: Der Pflegeaufwand für diese Patientin wird geringer, und er
kann darauf verweisen, dass "sie nicht verhungert". Dass diese
Maßnahme den betreffenden Menschen aber – wenn auch in bester Absicht – am
friedlichen Sterben hindert, hat man inzwischen noch nicht überall eingesehen.;
Trotzdem bedeutet Palliativmedizin keineswegs nur Unterlassung, sondern unter
Umständen auch Hightech-Versorgung.
Angst vorm Sterben ist häufig verbunden mit der Vorstellung von schrecklichen
Schmerzen. Es kann keine Diskussion darüber geben, dass solche Schmerzen unter
allen Umständen unterbunden werden sollten. Das hat Priorität. Deutlich
häufiger als der Schmerz quält viele Sterbende allerdings eine schwere Atemnot.
"Es ist genau dieses Symptom, das schwerste existenzielle Ängste
auslöst", hat Borasio festgestellt. Das wirksamste Medikament dagegen ist
Morphin. Doch immer noch scheuen sich viele Ärzte, es einzusetzen – weil sie im
Umgang damit unerfahren sind.;
Wenn ein Mensch erfährt, dass es keine Heilung mehr für ihn gibt, wird er
überlegen, was zu tun bleibt – eine Reise, eine Versöhnung, die Klärung
finanzieller Angelegenheiten. Seit 2008 hat jeder unheilbar Erkrankte, dessen
Lebenszeit erkennbar begrenzt ist, Anspruch darauf, von einem SAPV-Team für
"Spezialisierte ambulante Palliativversorgung" betreut zu werden. Es
sind kompetente Mischtrupps, bestehend aus besonders qualifizierten Ärzten, Pflegern
und einer "Koordinationskraft", erfahren im Umgang mit den Patienten
wie mit ihren Familien. Ergänzend zum Pflegedienst sorgen diese Teams dafür,
dass zu Hause alles Notwendige für den Patienten getan wird – etwa auch dafür,
dass er nicht unnötig in ein Krankenhaus eingewiesen wird und seine Familie
sich betreut fühlt. Noch gibt es nicht einmal in allen deutschen Großstädten
solche Palliativteams – auch die Krankenkassen sind schuld daran, weil sie hohe
Hürden aufbauen, um diese Gruppen anzuerkennen und ihre Leistungen
abzurechnen.;
Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland verboten – darüber herrscht nach wie vor
Konsens. Erlaubt ist hingegen bei Zustimmung des Patienten oder seines
Betreuers, Medikamente zu geben, die Schmerzen lindern, als Nebenwirkung aber
unter Umständen sein Leben verkürzen können. Man nennt es auch "indirekte
Sterbehilfe". Des Weiteren kann der Kranke ausdrücklich darum bitten, dass
bestimmte Behandlungen beendet werden, wenn diese Maßnahmen den Eintritt des
Todes lediglich verzögern. So entschied der Bundesgerichtshof bereits im Jahr
2003: "Die Beibehaltung einer Magensonde und die mit ihrer Hilfe
ermöglichte künstliche Ernährung sind fortdauernde Eingriffe in die körperliche
Integrität des Patienten. Solche Eingriffe bedürfen grundsätzlich der
Einwilligung des Patienten." Und er formulierte eine unabweisbar gute
Begründung dafür. Die Pflicht, lebensverlängernde Maßnahmen zu unterlassen,
folge nämlich aus "der Würde des Menschen". Dessen
Selbstbestimmungsrecht ist auch dann noch oberstes Gebot, wenn er zu
eigenverantwortlichem Handeln nicht mehr in der Lage ist.;
gerade jetzt kümmert sich etwa eine Million Menschen hierzulande um sterbende
Angehörige. Nicht nur ein paar Tage lang, denn drei Viertel der Todesfälle in
Deutschland sind auf chronische Erkrankungen zurückzuführen:
Herz-Kreislauf-Leiden, Schlaganfall, Diabetes und Atemwegserkrankungen.
(Die Zeit 25.7.2013 S.50 http://www.zeit.de/2013/31/palliativmedizin-deutschland-tod)
·
aktive Sterbehilfe ist unzulässig und
mit Strafe bedroht ...
die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung widerspricht dem ärztlichen
Ethos und kann strafbar sein [Beihilfe zur Selbsttötung] ...
bei Maßnahmen zur Linderung des Leidens kann eine möglicherweise dadurch
bedingte unvermeidbare Lebensverkürzung hingenommen werden [indirekte
Sterbehilfe]...
[passive Sterbehilfe] â
Sterbenden (Kranken oder Verletzten mit irreversiblem Versagen einer oder
mehrerer vitaler Funktionen, bei denen der Eintritt des Todes in kurzer Zeit zu
erwarten ist) ist so zu helfen, dass sie unter menschenwürdigen Bedingungen
sterben können;
Maßnahmen zur Verlängerung des Lebens dürfen in Übereinstimmung mit dem Willen
des Patienten unterlassen oder nicht weitergeführt werden ...
Patienten mit infauster Prognose (die sich zwar noch nicht im Sterben befinden,
aber nach ärztlicher Erkenntnis in absehbarer Zeit sterben werden): Änderung
des Behandlungszieles zulässig, wenn das dem Willen des Patienten entspricht
(auch anwendbar auf:
+ Neugeborene mit schwersten
Beeinträchtigungen durch Fehlbildungen oder
Stoffwechselstörungen, bei denen
keine Aussicht auf Heilung oder Besserung besteht
+ extrem unreife Kinder und
Neugeborene mit schwersten Zerstörungen des Gehirns ...
Patienten mit schwersten zerebralen Schädigungen und anhaltender
Bewusstlosigkeit (apallisches Syndrom = Wachkoma) haben Recht auf Behandlung,
Pflege und Zuwendung (unter Beachtung ihres geäußerten oder mutmaßlichen
Willens); bei Eintritt in die Sterbephase oder infauster Prognose (s.o.) gelten
die dort dargelegten Grundsätze;
(Bundesärztekammer 2004: „Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen
Sterbebegleitung“, Dtsch. Ärzteblatt 7.5.04)
·
(31) palliative care = schmerzlinderne
Fürsorge;
(33) Umfrage bei 1200 ChefärztInnen an 122 neonatologischen Intensivstationen
in Europa;
beeindruckend ist die Tatsache, dass die aktive Sterbehilfe („Verabreichen von
Medikamenten mit dem Ziel der Lebensbeendigung“) auf Neugeborerenstationen
ausschließlich in den Niederlanden (47%) und in Frankreich (73%) in breitem
Umfang praktiziert wird, in IT, SP, D, GB, Schweden nur von 2-4%;
(37) in der Schweiz etwa 300 Fälle jährlich Beihilfe zur Selbsttötung;
(Aus Politik und Zeitgeschichte B23/24-2004 S.31)
·
(14) nach den Ergebnissen einer
repräsentativen Befragung deutscher Ärzte von 1996 wird die Frage, ob sie Fälle
aktiver Sterbehilfe während ihrer Berufsausübung erlebt hätten, von nur 6,4%
der Krankenhausärzte und von 10,5% der niedergelassenen Ärzte bejaht;
(16) nach ärztlichen Schätzungen sollen immerhin 5 % aller Krebsschmerzen im
Endstadium auch durch die beste Palliativbehandlung nicht kontrollierbar sein;
(17) wann eine Behandlung bei NICHT Urteilsfähigen abgebrochen wird, ist in
Deutschland nicht reguliert; liegt weitgehend in der Entscheidungshoheit des
Arztes;
(22ff) Sterbehilfe in den Niederlanden;
es ist nicht erforderlich, dass sich der Patient in der Sterbephase seiner
Krankheit befindet, nicht einmal, dass er eine infauste Prognose hat;
Bericht schätzt für 2001 den Prozentsatz der (amtlich) gemeldeten Fälle von
Sterbehilfe auf 54% (eine Erklärung: Grauzone zur terminalen Sedierung, Gabe
von Morphium und Dormicum);
(50) als alternative, durchaus auch „aktive“ Form der Sterbehilfe kommt
hingegen – sowohl in der Debatte wie auch in der Praxis z.B. der
Palliativmedizin – immer häufiger die so genannte terminale Sedierung vor. Mit
einer gesteigerten Dosis z.B. von Morphium in Kombination mit starken Sedativa
(Beruhigungs- bzw. Schlafmitteln) kann damit beim unheilbar schwerkranken
Patienten ein „friedvolles“ Hinüberdämmern“ bewirkt werden
(humanismus aktuell 8/2004)
·
In Belgien bisher 203 Fälle aktiver
Sterbehilfe registriert
(Sonntag 30.11.03)
·
Morphiumverbrauch in D. 20 x so hoch
wie 1985: heute 18 kg pro 1 Million Einwohner
(ZEIT 7.4.04 S.62ff)
·
(19) Palliativmedizin wurde in die
neue Approbationsordnung für Ärzte aufgenommen (gültig seit Oktober 2003); aber
noch ist sie nicht Pflichtlehr- und Prüfungsfach
(Woche für das Leben 2004: Materialheft „Die Würde des Menschen am Ende seines
Lebens“)
·
Ich will nicht ausschließen, dass es
Grenzfälle gibt, die auch heute noch nicht, trotz aller Palliativmedizin, so in
den Griff zu bekommen sind, dass die Menschen ein erträgliches Leben führen können .... Unser Gesetz kennt die Gerichtsfigur des
übergesetzlichen Notstandes und ich denke, wenn in solchen Grenzfällen jemand
aus Verantwortung vor seinem Gewissen und Verantwortung vor dem Menschen diesen
Schritt geht, wird auch heute in Deutschland kein Richter ein Verfahren
einleiten.
(Ulrich Eibach in: Evangelische Verantwortung 2/04 S.1ff)
·
anders als in Holland ist in
Deutschland die Beihilfe zur Selbsttötung nicht mit Strafe bedroht;
(taz 28.11.03)
·
Cicely Saunders: 95 % der Krebskranken
können bei hinreichender Morphiumgabe schmerzfrei bleiben; bei den restlichen 5
% würden Beruhigungsmittel helfen
(ZEIT 10.4.03 S.40)
·
Fall Terry Schiavo USA:
auch in Deutschland kann die Magensonde einer Wachkoma-Patientin entfernt
werden, wenn dies dem geäußerten oder mutmaßlichen Willen der Frau entspricht;
(taz 23.3.05)
·
zum Fall Terry Schiavo USA:
Grundsätze der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung fordern bei der
Durchführung lebensverlängernder Maßnahmen bei Patienten im Wachkoma die
„Beachtung ihres geäußerten Willens oder mutmaßlichen Willens“;
Ehemann von T.S. hatte drei Jahre nach dem Unfall die Diagnose PVS (Wachkoma)
akzeptiert; überzeugt davon, dass seine Frau nicht in einem solchen Zustand
hätte leben wollen, setzte er sich als ihr gesetzlicher Vertreter für die
Beendigung der Sondenernährung ein; alle Gerichte gaben ihm Recht; es ging nur
darum, den mutmaßlichen Willen von T.S. zu akzeptieren;
Umfrage in Deutschland unter Ärzten und Krankenschwestern und
Altenpflegerinnen:
54,88% für Veränderung der Gesetzeslage in Deutschland nach niederländischem
Vorbild = für Legalisierung der aktiven Sterbehilfe; 64,79% der Überzeugung,
dass es unter bestimmten Umständen gerechtfertigt ist, das Leben eines Menschen
im Wachkoma aktiv zu beenden (70,38% der Krankenpflegerinnen; 51,53% der
ÄrztInnen)
(Dtsch. Ärzteblatt 29.7.05 S. A2079ff)
·
Fall Terry Schiavo
+ Tod 31.3. 2005:
Patientin 41 Jahre alt,
seit 15 Jahren im Wachkoma;
damals nach einem Herzstillstand für
immer das Bewusstsein verloren;
jetzt Magensonde entfernt
+ Bischof Lehmann: „Menschen einfach verhungern zu lassen,
das ist ethisch nicht erlaubt“
Vatikan: MORD!
(künstliche Ernährung zählt aus
katholischer Sicht zu den „natürlichen
Mitteln der Lebenserhaltung“)
+ Bundesärztekammer (Richtlinien zur ärztlichen Sterbebegleitung):
Ernährung mittels Magensonde ist
medizinische Behandlung;
dagegen ist das „Stillen von Hunger
und Durst“ Basisbetreuung;
+ Obduktion ergibt: alle Gehirnregionen für Empfingen, auch Schmerz und
Hunger, längst unwiderruflich
abgestorben
+ in Deutschland jedes Jahr einige Dutzend solcher Fälle, in denen Sterben
von Wachkoma-Patienten auf genau
diese Weise zugelassen wird
(Spiegel 52/2005 S.134; 14/2005 S.152ff)
·
für die katholische Kirche gehört die
künstliche Ernährung – trotz des sprachlichen Widerspruchs – zu den
„natürlichen Mitteln der Lebenserhaltung“
(taz 2.4.05)
·
Studie in LANCET, dass in 6
europäischen Ländern zwischen 20 und 50% der unheilbar Kranken Sterbehilfe
beanspruchen
(Dtsch. Ärzteblatt 10.1.05 S.A28)
·
2005 sind in Großbritannien fast 3000
Menschen aufgrund ärztlicher Maßnahmen gestorben, in knapp tausend Fällen
handelte es sich um freiwillige Euthanasie, also Tötung auf Verlangen; in den
übrigen 2000 Fällen beendeten die Ärzte das Leben ohne den ausdrücklichen
Wunsch des Patienten; Tod durch Einstellung ärztlicher Behandlung in 180.000
Fällen (30% aller Todesfälle); ein Drittel aller verstorbenen Patienten (knapp
200.000) bis zu ihrem Tod mit Morphium behandelt
(taz 19.1.06)
·
Umfrage der Deutschen Gesellschaft für
Palliativmedizin (DGP)
unter deutschen Ärzten zu verschiedenen Formen der Sterbehilfe
Fragestellung |
Ärzte der DGP |
andere Ärzte |
gut vertraut mit den in der Sterbehilfedebatte
geläufigen Begriffen sind |
76 % |
49 % |
es sind vertraut mit b) den „Handreichungen der BÄK zum Umgang
mit Patientenverfügungen“ |
|
|
ist eine gesetzliche Regelung zur Zulassung
aktiver Sterbehilfe wünschenswert? |
(11,6 %) |
|
ist eine gesetzliche Regelung zur Zulassung
des ärztlich assistierten Suizids bei fortgeschrittener unheilbarer
Erkrankung wünschenswert? |
|
|
für Zulassung der „terminalen Sedierung“
bis zum Tod bei unerträglichem Leid |
> 90 % |
> 90 % |
ist eine gesetzliche Regelung wünschenswert
für Möglichkeit der Therapiebeendigung in aussichtslosen
Krankheitssituationen ohne ausdrückliche Willensbekundung des Betroffenen
bzw. der Angehörigen |
|
|
Maßnahmen aktiver Sterbehilfe bzw.
Unterstützung einer Selbsttötung haben selbst durchgeführt |
2,5 bzw. 1,1 % |
2,5 bzw. 1,1 % |
Therapieverzichtsmaßnahmen selbst durchgeführt,
ohne dass ausdrückliche Zustimmung des Betroffenen vorlag |
|
|
(Deutsches Ärzteblatt 2004; 101: A-1077-1078
(Heft 16); Langfassung: www.aerzteblatt.de/plus1604)
·
(96) Nationaler Ethikrat 2006:
Vorschläge zur Terminologie wichtiger Begriffe im Zusammenhang mit
Sterbebegleitung und Sterbehilfe
Der Nationale Ethikrat hält die Begriffe „aktive“,
„passive“ und „indirekte Sterbehilfe“ für missverständlich und irreführend.
Entscheidungen und Handlungen am Lebensende, die sich mittelbar oder
unmittelbar auf den Prozess des Sterbens und den Eintritt des Todes auswirken,
können angemessen beschrieben und unterschieden werden, wenn man sich
terminologisch an folgenden Begriffen orientiert:
Sterbebegleitung
Mit dem Begriff der Sterbebegleitung sollen Maßnahmen zur Pflege und
Betreuung von Todkranken und Sterbenden bezeichnet werden. Dazu gehören
körperliche Pflege, das Löschen von Hunger- und Durstgefühlen, das Mindern von
Übelkeit, Angst, Atemnot, aber auch menschliche Zuwendung und seelsorgerlicher
Beistand, die dem Sterbenden und seinen Angehörigen gewährt werden. Ihr Ziel
muss es sein, die Fähigkeit des Patienten, den eigenen Willen auch in der
Sterbephase zur Geltung zu bringen, so lange zu erhalten, wie es medizinisch
möglich, für den Betroffenen erträglich und von ihm gewollt ist.
Therapien am Lebensende
Zu den Therapien am Lebensende zählen alle medizinischen Maßnahmen,
einschließlich palliativmedizinischer Maßnahmen, die in der letzten Phase des
Lebens erfolgen mit dem Ziel, Leben zu verlängern und jedenfalls Leiden zu
mildern. Dazu gehören auch Maßnahmen, bei denen die Möglichkeit besteht, dass
der natürliche Prozess des Sterbens verkürzt wird, sei es durch eine
hochdosierte Schmerzmedikation oder eine starke Sedierung, ohne die eine
Beherrschung belastender Symptome nicht möglich ist. Auf den bisher in diesem
Zusammenhang verwendeten Begriff der „indirekten Sterbehilfe“ sollte verzichtet
werden, weil der Tod des Patienten weder direkt noch indirekt das Ziel des
Handelns ist. Wird dagegen eine medizinisch nicht gerechtfertigte Überdosis der
entsprechenden Medikamente gegeben, um den Tod des Patienten gezielt
herbeizuführen, ist der Begriff der indirekten Sterbehilfe ohnehin unangebracht,
weil es sich um die Tötung des Patienten handelt.
Sterbenlassen
Von Sterbenlassen statt von „passiver Sterbehilfe“ wird in dieser
Stellungnahme gesprochen, wenn eine lebensverlängernde medizinische Behandlung
unterlassen wird und dadurch der durch den Verlauf der Krankheit bedingte Tod
früher eintritt, als dies mit der Behandlung aller Voraussicht nach der Fall
wäre. Das Unterlassen kann darin bestehen, dass eine lebensverlängernde
Maßnahme erst gar nicht eingeleitet wird; es kann auch darin bestehen, dass
eine bereits begonnene Maßnahme nicht fortgeführt oder durch aktives Eingreifen
beendet wird. In manchen Fällen kann es sinnvoll sein, dies durch eine
unterschiedlich tiefe palliative Sedierung zu begleiten.
Beihilfe zur Selbsttötung
Verschaffen Ärzte oder andere Personen jemandem ein todbringendes Mittel
oder unterstützen sie ihn auf andere Weise bei der Vorbereitung oder
Durchführung einer eigenverantwortlichen Selbsttötung, liegt Beihilfe zur
Selbsttötung (assistierter Suizid) vor.
Tötung auf Verlangen
Wenn man jemandem auf dessen ernsthaften Wunsch hin eine tödliche Spritze
gibt oder ihm eine Überdosis an Medikamenten verabreicht oder sonst auf
medizinisch nicht angezeigte Weise eingreift, um seinen Tod herbeizuführen, der
krankheitsbedingt noch nicht eintreten würde, handelt es sich um Tötung auf
Verlangen. Im Unterschied zur Beihilfe zur Selbsttötung führt hier nicht der
Betroffene selbst, sondern ein anderer die tödliche Handlung aus.;
(23) Nach Umfragen finden drei Viertel
der Bevölkerung, dass man das Recht haben sollte, sich bei schwerer
aussichtsloser Krankheit auf Verlangen töten zu lassen oder ärztliche Hilfe bei
der Selbsttötung in Anspruch zu nehmen, wenn man dies will.;
(28) Fußnote: Umfrage unter Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin,
94,4 % akzeptieren eine so genannte „terminale Sedierung“ zur Behandlung von
anders nicht zu kontrollierendem Leiden am Lebensende; Untersuchung auf
Palliativstationen: 14,6 % waren in den letzten 48 Stunden vor ihrem Tod
sediert worden, nur in einem Drittel der Fälle erfolgte die Sedierung auf
ausdrückliches Verlangen der Patienten;
(35) In Deutschland können sich 30 % von 282 befragten Ärzten Situationen
vorstellen, in denen sie in Einzelfällen aus humanitären Gründen aktive
Sterbehilfe leisten (Umfrage 2004);
(91) Alle Mitglieder des Nationalen Ethikrates räumen ein, dass Patienten in
Situationen aussichtslosen, unbeherrschbaren Leidens geraten können, in denen
sie verzweifelt ihren Tod herbeisehnen und, wenn sie diesen nicht selbst herbeiführen
können, in der Tötung auf Verlangen den einzigen Ausweg und einen letzten Akt
mitmenschlicher Hilfe sehen.
(Nationaler Ethikrat: Stellungnahme Juli 2006 „ Selbstbestimmung und Fürsorge
am Lebensende“ – im Internet unter http://www.nationalerethikrat.de/stellungnahmen/pdf/Stellungnahme_Sterbebegleitung.pdf)
·
(5) „Palliativmedizin ist ein
Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien,
die mit den Problemen konfrontiert sind, die mit einer lebensbedrohlichen
Erkrankung einhergehen, und zwar durch Vorbeugen und Lindern von Leiden, durch
frühzeitiges Erkennen, Einschätzen und Behandeln von Schmerzen sowie anderen
belastenden Beschwerden körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art.“
(WHO 2002);
(6,23) bei über 90% der Patienten können selbst im weit fortgeschrittenen
Stadium der Erkrankung durch geeignete Maßnahmen beispielsweise die
Schmerzfreiheit oder eine zufrieden stellende Schmerzreduktion erreicht werden;
dies ist in der Praxis jedoch nicht der Fall, insbesondere im ambulanten
Bereich sind Patienten schmerztherapeutisch noch deutlich unterversorgt;
(15,26) 2003 in Deutschland: 206 stationäre Einrichtungen (93 Palliativstationen,
113 stationäre Hospize) mit insgesamt 1774 Betten; Summe: 21,5 Betten je 1
Million Einwohner;
Bedarf in Deutschland 28,7 bis 35,9 Betten je 1 Mill. Einwohner;
(29) 2004 bundesweit 1310 ambulante Hospizinitiativen; 45.000 ehrenamtliche
Hospizhelfer;
(43) Belgien: Palliativurlaub für Angehörige und Nahestehende eines
Palliativpatienten; Freistellung von der Arbeit max. für 1 Monat;
(44) Frankreich: jeder Arbeitnehmer hat Recht auf dreimonatigen unbezahlten
Urlaub zur Sterbebegleitung von Verwandten ersten Grades sowie jeder anderen in
seinem Haushalt lebenden Person; Kündigungsschutz;
(52) Niederlande: seit 1998 können Arbeitnehmer, die einen terminal kranken
Angehörigen pflegen möchten, bezahlten Pflegeurlaub nehmen, mind. 1 Monat, max.
6 Monate; Zustimmung des Arbeitgebers erforderlich, Staat zahlt monatlich
maximal 490,54 Euro brutto;
(59) Schweden: für bis zu 8 Wochen Möglichkeit, einen schwer krankes
Familienmitglied oder einen nahe stehenden, nicht verwandten Menschen zu
pflegen; Vergütung wie bei eigener Erkrankung;
(43) In Deutschland ist die Palliativmedizin schon relativ weit ausgebildet (in
Europa sind nur Großbritannien, die Schweiz und die Niederlande besser
ausgestattet);
(Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin,
Zwischenbericht 22.6.05: „Verbesserung der Versorgung Schwerstkranker und
Sterbender in Deutschland durch Palliativmedizin und Hospizarbeit“);
·
Arzt: Das neurologische Konzept des
Wachkomas ist ja: Ein Apalliker hat keinen Hunger, keinen Durst, keine
Schmerzen
(Spiegel 46/06 S.170ff)
·
Zwischen Leben und Tod
Stufen des Bewusstseins
Kriterium
bzw. Krankheits- |
Hirntod |
Koma |
vegetativer |
minimaler |
Locked-in- |
Schlafrhythmus |
- |
- |
+ |
+ |
+ |
Bewusstheit |
- |
- |
- |
geringfügig; |
+ |
motorische |
allenfalls |
keine |
keine |
minimale; |
Lähmung; |
Hirnaktivität |
- |
um 40-50 % |
um 50-60 % |
um 20-40 % |
normal oder |
Prognose |
- |
Erholung, |
nach 3 bis 12 Monaten dauerhaft |
unbekannt, besser als beim vegetativen
Zustand |
andauernde Lähmung |
(Spiegel 34/2006 S. 145)
·
für extreme Fälle, in denen trotz
aller Möglichkeiten der Schmerzbehandlung der Patient unerträglichem Leid
ausgesetzt ist: aktive Sterbehilfe tolerieren, von Strafe absehen
(Bioethik-Kommission Rheinland-Pfalz: Sterbehilfe und Sterbebegleitung, Bericht
23.4.04)
·
Bevölkerung:
Meinungsumfragen in D. zur Zulassung der
aktiven Sterbehilfe
- 70% der Bev. dafür, 48% der Ärzte (Dtsch. Ärzteblatt 3.9.04 S.A2362)
- 73% dafür (Spiegel 42/05 S.19
- Stern 2005: 74% dafür; Deutsche Hospiz Stiftung 2005: 35% dafür
(SZ 21.10.05)
·
Fall Dignitas (Schweiz)
Einrichtung eines Beratungsbüros in Hannover
Verein
Ludwig Minelli Generalsekretär;
nicht-kommerzielle Interessen (dann wäre es in der Schweiz verboten);
Zweck: Mitgliedern menschenwürdiges Leben wie Sterben zu sichern;
Patientenverfügungen wasserdicht machen und durchsetzen;
auch Freitodhilfe;
76 Euro Eintrittsgebühr; jährlich freiwilliger Mitgliedsbeitrag;
5000 Mitglieder
+ nicht Helfer sollen Sterbewillige töten, sondern: Beihilfe zur Selbsttötung
+ 1100 bis 3000 SF Einweg-Fahrt in die Schweiz
+ Gespräche: Urteilsfähigkeit prüfen; Druck anderer ausschließen;
+ Schlafmittel Natrium-Pentobarbital (15 Gramm; Schlaf, der schmerzlos in
den Tod übergeht); Patient führt
selbst den Becher zum Mund;
Vorgang wird gefilmt
+ seit 1996 haben 453 Personen das Angebot genutzt,
davon 253 aus Deutschland
+ 1108 Euro für Betreuung und Todesdosis
+ darf in Deutschland keine Giftcocktails verabreichen, allenfalls für den Tod
in
der Schweiz werben
+ auch psychisch Kranke werden nicht abgewiesen
(Spiegel 40/2005 S.42, Dignitas Internet; Bericht ZEIT 8.12.05 S.17ff; taz
8.10.05)
·
Uniklinik in Lausanne akzeptiert für
Patienten Freitodbegleitung durch Verein EXIT
(taz 19.12.05)
·
Das Schweizer Bundesgericht hat das
Recht auf begleitete Selbsttötung als Grundrecht anerkannt. Auch psychisch
Kranken steht dieses Recht zu, allerdings müssen sie urteilsfähig sein und die
Verabreichung des für den Suizid nötigen Medikaments darf nur mit äußerster
Zurückhaltung und nach eingehender Abklärung erfolgen. Das Urteil wurde gestern
von der Sterbehilfeorganisation Dignitas veröffentlicht.
(Freie Presse Chemnitz 3./4.2.07)
·
(50ff) Die Irrenhäuser nehmen alljährlich
an Zahl und Umfang zu; allenthalben entstehen Sanatorien, in denen der gehetzte
Kulturmensch Zuflucht und Heilung von seinen Übeln sucht. Viele von diesen
Übeln sind völlig unheilbar, und viele Kranke gehen dem sicheren Tode unter
namenlosen Qualen entgegen. Sehr viele von diesen armen Elenden warten mit
Sehnsucht auf ihre „Erlösung vom Übel“ und sehnen das Ende ihres qualvollen
Lebens herbei; da erhebt sich die wichtige Frage, ob wir als mitfühlende
Menschen berechtigt sind, ihren Wunsch zu erfüllen und ihre Leiden durch einen
schmerzlosen Tod abzukürzen ...
Ich gehe von meiner persönlichen Ansicht aus, dass das Mitleid (Sympathie)
nicht nur eine der edelsten und schönsten Gehirnfunktionen des Menschen,
sondern auch eine der ersten und wichtigsten sozialen Bedingungen für das
gesellige Leben der höheren Tiere ist. ...
man sollte das hehre Gebot der Nächstenliebe nicht auf den Menschen allein
beschränken, sonder auch auf seine „nächsten Verwandten“, die höheren
Wirbeltiere, ausdehnen, und überhaupt auf alle Tiere, bei denen wir auf Grund
ihrer Gehirnorganisation bewusste Empfindung, das Bewusstsein von Lust uns
Schmerz annehmen dürfen. ...
Treue Hunde und edle Pferde, mit denen wir jahrelang zusammen gelebt haben, und
die wir lieben, töten wir mit Recht, wenn sie in hohem Alter hoffnungslos
erkrankt sind und von schmerzlichen Leiden gepeinigt werden. Ebenso haben wir
das recht oder, wenn man will: die Pflicht, den schweren Leiden unserer
Mitmenschen ein Ende zu bereiten, wenn schwere Krankheit ohne Hoffung auf
Besserung ihnen die Existenz unerträglich macht, und wenn sie uns selbst um
„Erlösung vom Übel“ bitten. ...
Als ein traditionelles Dogma müssen wir auch die weitverbreitete Meinung
beurteilen, dass der Mensch unter allen Umständen verpflichtet sei, das Leben
zu erhalten und zu verlängern, auch wenn dasselbe gänzlich wertlos, ja für den
schwer Leidenden und hoffnungslos Kranken nur eine Quelle der Pein und der
Schmerzen, für seine Angehörigen ein Anlass ständiger Sorgen und Mitleiden ist.
Hunderttausende von unheilbar Kranken, namentlich Geisteskranke, Aussätzige,
Krebskranke usw., werden in unseren modernen Kulturstaaten künstlich am Leben
erhalten und ihre beständigen Qualen sorgfältig verlängert, ohne irgendeinen
Nutzen für die selbst oder für die Gesamtheit ...
(in Europa mehr als 200000 unheilbare Geisteskranke) ... Welche ungeheure Summe
von Schmerz und Leid bedeuten diese entsetzlichen Zahlen für die unglücklichen
Kranken selbst, welche namenlose Fülle von Trauer und Sorge für ihre Familien,
welche Verluste an Privatvermögen und Staatskosten für die Gesamtheit! Wie viel
von diesen Schmerzen und Verlusten könnte gespart werden, wenn man sich endlich
entschließen wollte, die ganz Unheilbaren durch eine Morphiumgabe von ihren
namenlosen Qualen zu befreien! Natürlich dürfte dieser Akt des Mitleids und der
Vernunft nicht dem Belieben eines einzelnen Arztes anheimgestellt werden,
sondern müsste auf Beschluss einer Kommission von zuverlässigen und
gewissenhaften Ärzten erfolgen. Ebenso müsste auch bei anderen unheilbaren und
schwer leidenden Kranken (z.B. Krebskranken) die „Erlösung vom Übel“ nur dann
durch eine Dosis schmerzlos und rasch wirkenden Giftes erfolgen, wenn sie
ausdrücklich auf deren eigenen, eventuell gerichtlich protokollierten Wunsch geschähe
und durch eine offizielle Kommission ausgeführt würde.
(Ernst Haeckel: Die Lebenswunder, Alfred Kröner Verlag Stuttgart 1906)
·
Ausstellung „Tödliche Medizin“ im
Deutschen Hygienemuseum in Dresden;
der Brite Francis Galton hatte 1883 den Begriff der Eugenik, der „guten Geburt“
geprägt;
in den Gaskammern der sechs Euthanasie-Zentren in Deutschland und Österreich
starben mehr als 70.000 Frauen und Männer;
am 3. August 1941 protestierte Clemes von Galen, der katholische Bischof von
Münster, in einer Predigt gegen die Mordaktion. Derart bedrängt, ließ Hitler
das Programm 1941 beenden. Ab sofort wurden die Patienten unauffälliger, in
unzähligen Pflegeanstalten des gesamten Reiches umgebracht ... bis 1945 starben
schätzungsweise 200.000 Menschen
(ZEIT 12.10.2006 S.45)
·
der vor 11 Jahren bei einem Anschlag
in Brandenburg schwer verletzte und querschnittsgelähmte Brite Noel Martin hat
die Vorbereitungen für seinen angekündigten Freitod abgeschlossen; an seinem
48. Geburtstag, am 23.Juli, will er mit einem Strohhalm einen Giftbecher leer
trinken
(taz 24.5.07)
·
in Frankreich bekennen sich gerade
2000 Ärzte und Pfleger öffentlich dazu, Patienten auf deren Wunsch hin getötet
zu haben;
(ZEIT 29.3.07 S.3)
·
Umfrage 100 Befragte für Spiegel:
“Sollten unheilbar Erkrankte mit begrenzter Lebenserwartung ihr Leben mit
ärztlicher Hilfe selbst beenden dürfen?“ JA
76%, NEIN 19 %
(Spiegel 15/2007 S. 153)
·
Berliner Urologe Uwe-Christian Arnold
sieht Sterbehilfe als einen Teil seines Berufes an; zweiter Vorsitzender des
Sterbehilfe-Vereins Dignitas in Deutschland; er gibt erstmals öffentlich zu,
bereits einer todkranken Frau „einen Tipp gegeben“ zu haben, wie sie sich töten
kann; sie hatte eine Morphiumpumpe, ich habe ihr einen Tipp gegeben, wie sie´s
schafft;
(taz 18.6.07)
·
Gestern ist Noel Martin 48 Jahre alt
geworden;
eigentlich wollte er zu seinem Geburtstag mit Hilfe der Schweizer
Sterbeorganisation Dignitas aus dem Leben scheiden; „Meine letzte Freiheit ist
mein Tod“;
(taz 24.7.07)
·
Schweizer Sterbehilfeorganisation
Dignitas will in Deutschland einen juristischen Präzedenzfall schaffen, um die
rechtliche Lage bei der Suizidbegleitung zu klären; wir sind auf der Suche nach
einem Sterbewilligen und Angehörigen, die bereit sind, das zu machen;
finanzielle Folgen einer Strafverfolgung will Dignitas tragen; ein Rechtsanwalt
müsste dem Sterbewilligen vor der Tat Urteilsfähigkeit attestieren, die
notwendigen Medikamente könnte ein Hausarzt nach und nach verschreiben; wichtig
sei, dass der Sterbewillige seinen Angehörigen schriftlich dazu auffordere,
keine Hilfe zu leisten
(taz 24.10.07)
·
Fallbeispiel zum Sterben eines Kindes,
das fast ein Jahr im Wachkoma gelegen hatte;
verunglückte Atemwegsuntersuchung; Atmung ausgefallen, Wiederbelebung;
Wachkoma; ohne Beruhigungsmittel Wimmern, Pulsrasen, Krampf; Klinik will Kind –
gegen den Willen der Eltern – nicht sterben lassen; Gericht entzieht Eltern das
Sorgerecht; Oberlandesgericht entscheidet im Sinne der Eltern;
Verfahrenspflegerin schaltet Bundesverfassungsgericht ein; dieses schickt Fax:
Sorgerecht für weiter 6 Monate entzogen; als das Fax kommt, ist das Kind schon
tot
(Spiegel 42/07 S.44)
·
2006 durch DIGNITAS 195 Fälle von
Beihilfe zur Selbsttötung realisiert; davon 57% Deutsche
(taz 19.11.07)
·
Klaus Kutzer, ehem. Richter am
Bundesgerichtshof; zu einem möglichen Präzedenzfall von Suizidbegleitung in
Deutschland (Dignitas/Schweiz):
Ich habe Verständnis.;
Die Rechtssprechung des BGH zum Selbstmord ist in einigen Fragen wirklich
korrekturbedürftig; erst voriges Jahr hat auch der Deutsche Juristentag
Korrekturen gefordert; deshalb stört es mich auch, wenn manche so tun, als
vertrete Dignitas völlig indiskutable Positionen;
Heute ist es in Deutschland nicht möglich, dass ein Arzt oder ein Angehöriger
einen frei verantwortlichen Selbstmord bis zum Tod begleitet. Hilfe zum
Selbstmord ist zwar straflos, aber sobald eine lebensmüde Person das
Bewusstsein verliert, muss ein Anwesender doch eingreifen. Ärzte, Ehegatten und
andere so genannte Garanten machen sich sonst wegen Tötung durch Unterlassen
strafbar. Sonstige Personen, etwa Freunde und Bekannte, können wegen
unterlassener Hilfeleistung bestraft werden. Das Selbstbestimmungsrecht des
Menschen muss aber auch dann beachtet werden, wenn er das Bewusstsein verloren
hat …;
(Fälle, in denen sich ein krebskranker Mann in Gesprächen mit seiner Frau zum
Selbstmord entschließt – ist keine Kurzschlussreaktion, oder ein Arzt einen
Patienten sterbend vorfindet mit einem eindeutigen Abschiedsbrief – dann sollte
er nicht gezwungen werden, ihn ins Krankenhaus zu bringen);
wenn ein Arzt ein todbringendes Medikament besorgt, der sterbewillige Patient
es selbst einnimmt und der Arzt dann bis zum Tod bei seinem Patienten bleibt –
das wäre ein ärztlich assistierter Suizid, bei dem sich der Arzt möglicherweise
auch wegen Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz, das Betäubungsmittelgesetz
und das ärztliche Berufsrecht strafbar macht;
(taz 24./25.11.07)
·
Zwei Fälle von Freitodbegleitung für
Deutsche durch Dignitas in der Schweiz, auf einem Parkplatz;
Minelli: es sei die Entscheidung der Deutschen gewesen, im Auto zu sterben,
auch die Angehörigen sollen einverstanden gewesen sein
(taz 24./25.11.07)
·
Erfurter Mediziner Arnold ist zweiter
Vorsitzender des deutschen Sterbehilfevereins Dignitate;
man kann beim Sterben viel falsch machen, wie es Geburtshelfer gibt, müsse es
auch Sterbehelfer geben;
Anpassung an die Realität;
der pensionierte Arzt für den Präzedenzfall in Deutschland ist längst gefunden
Umfrage SPIEGEL (November 2007): Sollte die aktive, von einem Arzt begleitete
Sterbehilfe in Deutschland erlaubt sein? JA 69%; NEIN 26%
(Spiegel 48/2007 S.48ff)
·
Der durchschnittliche niedergelassene
Allgemeinmediziner in Deutschland wird alle zwei Jahre von einem Patienten um
Sterbehilfe gebeten;
84-jähriger Arzt; als Hausarzt fünf oder sechs Menschen getötet,
Krebspatienten, die sich haben sehr quälen müssen, Überdosis Morphium
injiziert;
nach einer repräsentativen Umfrage aus den 1990er Jahren unter
Allgemeinmedizinern gab es hochgerechnet in Deutschland 5000 Mediziner, die
aktive Sterbehilfe praktiziert haben;
Notfallmedizin sei in der Praxis oft eine „Sterbehilfe mit Blaulicht“;
(taz 29.11.07)
·
Schweizer Sterbehilfeorganisation
DIGNITAS verwendet jetzt (das erstickend wirkende Edelgas) Helium bei der
Sterbehilfe;
Sterbewillige stülpen sich Plasikbeutel über den Kopf, Helium wird eingeleitet,
Bewusstlosigkeit, Ersticken;
bisher nahmen Sterbewillige eine Natrium-Pentobarbitallösung ein;
Bewusstlosigkeit, Atemlähmung;
bei Verwendung von Helium muss kein Arzt ein Rezept ausschreiben;
DIGNITAS: Behörden sind schuld, weil sie die Helium-Methode bekannt gemacht
haben;
2006 200 Sterbewillige bei DIGNITAS, davon 120 aus Deutschland
(taz22.3.08)
·
Luxemburgisches Parlament billigte
Gesetz, das aktive Sterbehilfe bei unheilbar Kranken erlaubt (30 gegen 26
Stimmen);
(Der Sonntag Sachsen 9.3.08)
·
In Belgien im Parlament Gesetze
gefordert, damit auch todkranke Kinder und Demenzpatienten freiwillig aus dem
Leben scheiden können; in Regierungskoalition umstritten
(taz 26.3.08)
·
Ehemaliger Justizsenator von Hamburg
Roger Kusch bekennt öffentlich, Beihilfe zur Selbsttötung geleistet zu haben;
wenige Tage zuvor alte Dame (79) in Würzburg in seinem Beisein freiwillig aus
dem Leben geschieden; keine lebensbedrohliche Erkrankung (eine einsame alte
Frau mit normalen Altersbeschwerden); ihr Leben sei eingeschränkt (Hilfe durch
einen Zivildienstleistenden), Angst, in ein Pflegeheim zu kommen; Medikamente
selbst besorgt, Rezept stand in einer Broschüre, sie hätte sie wohl auch selbst
anrühren und einnehmen können; Gespräche mit der Frau und Sterbeszene filmisch
dokumentiert;
Kusch hat eine Selbsttötungsmaschine konstruiert, aber nicht zum Einsatz
gekommen; Risiko, Kanülen falsch zu legen, sei ihm als zu groß erschienen
(taz 1.7.08; ZEIT 3.7.08)
·
Bundesärztekammer hatte bereits vor
einiger Zeit erklärt, dass es sich bei einem ärztlich assistierten Suizid aus
ihrer Sicht um Tötung auf Verlangen handele; diese wird laut Strafgesetzbuch
mit einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis 5 Jahren geahndet (§216 StGB)
(Freie Presse Chemnitz 2.7.08)
·
Übersichtsartikel
zu Ärzten und aktiver Sterbehilfe sowie Beihilfe zur Selbsttötung in
Deutschland;
Fallbeispiele zu aktiver Sterbehilfe und Suizidbegleitung durch deutsche Ärzte;
In der Schweiz, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Kolumbien, Finnland,
Ungarn, Frankreich, Japan und im US-Staat Oregon dürfen Ärzte mittlerweile -
teils in engem Rahmen - Hilfe zum Sterben leisten. Der US-Bundesstaat
Washington hat soeben eine entsprechende Regelung verabschiedet, Spanien steht
kurz davor.
Die umstrittenen Entscheidungen am Lebensende sind in einigen dieser Länder gut
dokumentiert. Forscher diskutieren über diese empirischen Daten in
Fachzeitschriften wie "Lancet" oder dem "New England Journal of
Medicine". In Deutschland hingegen kann schon öffentliches Nachdenken über
Sterbehilfe die Laufbahn eines Arztes beschädigen. Niederländische Mediziner
sind hier kaum noch zum Gedankenaustausch zu gewinnen; regelmäßig sehen sie
sich in die Nähe der Nazi-Euthanasie gerückt.
Die Standesorganisationen der Ärzte in Deutschland ächten ein Handeln wie das
von Jan K. als unethisch. "Wir brauchen diese Debatte nicht", sagt
der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe. "Der Wunsch wird
sehr selten an Ärzte herangetragen, weil die Menschen wissen, dass wir das
nicht dürfen. Es wäre auch schlimm, wenn wir das machen würden; das sagen Ärzte
in Deutschland einhellig und in riesiger Geschlossenheit."
Eine repräsentative, anonyme Umfrage des SPIEGEL unter 483 Ärzten, die als
Klinikfacharzt oder Hausarzt regelmäßig Schwerstkranke behandeln, ergibt jedoch
jetzt ein ganz anderes Bild: Danach würde ein Drittel eine Regelung für den
ärztlich assistierten Suizid begrüßen; immerhin jeder Sechste bejaht dies auch
für die aktive Sterbehilfe. Fast jeder Fünfte gab an, bereits ein- oder
mehrmals in seinem Umfeld von Suizidbeihilfe erfahren zu haben. Fast 40 Prozent
können sich vorstellen, diese selbst zu leisten. Bei 16 Prozent gilt das auch
für die aktive Sterbehilfe.
Über drei Prozent gaben an, bereits ein- oder mehrmals einem Patienten beim
Suizid geholfen zu haben. Hochgerechnet wären das - allein unter den
Internisten, Onkologen, Anästhesisten und Palliativmedizinern in Krankenhäusern
und den Hausärzten - um die 3000 Mediziner, die ihrem Standesrecht
zuwidergehandelt haben. Nicht mitgerechnet ist dabei das Dunkelfeld der aktiven
Sterbehilfe, auf dem sich Ärzte wie Jan K. bewegen.;
Ein ethischer Limes verläuft zwischen den Vertretern der
christlich-abendländisch geprägten Ethik und denen der Nützlichkeitsethik
angelsächsischen Ursprungs, zwischen medizinischem Paternalismus und
Patientenautonomie, zwischen dem Fürsorgeprinzip und dem der Selbstbestimmung.
Unterschiedliche ethische Maßstäbe gelten zu lassen gehört zu den größten
Vorzügen offener Gesellschaften. In der Frage der Sterbehilfe sehen große
Gruppen der Bevölkerung diesen Grundsatz verletzt. Nicht nur, dass sich in
Umfragen regelmäßig um die 70 Prozent der Bevölkerung für aktive Sterbehilfe
aussprechen; schon im Jahr 2006 plädierte der Nationale Ethikrat dafür, Angehörige
und Ärzte sollten nicht mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen müssen, wenn
sie beim Suizidversuch eines Todkranken nicht eingreifen.
Auch der Deutsche Juristentag forderte eine solche Klarstellung im Strafrecht -
und vertritt damit die Position von Dignitate, der deutschen Zweigstelle von
Dignitas. Deren Vorsitzender, der Urologe und Betriebsarzt Uwe-Christian
Arnold, hat sich mittlerweile zum Schmerztherapeuten weitergebildet. Bei ihm
melden sich wöchentlich Menschen, die aus dem Leben gehen wollen. Manchen
verhilft Arnold zu einer Reise in die Schweiz, andere berät er je nach
Sachlage: "Gute Frau", habe er neulich einer Anruferin gesagt, die
sofort habe sterben wollen, "ich bin doch nicht der Pizzadienst."
Besucht habe er sie trotzdem, und festgestellt, dass sie nach einer
Krebsbestrahlung im Krankenhaus mit Schmerzmitteln unterversorgt war.
"Eine Sauerei", findet Arnold, der daraufhin mit den Ärzten der Frau
Kontakt aufnahm. "Als das gelöst war, wollte die Dame auch nicht mehr
sterben."
Dabei ist der Spielraum für die ärztliche Beihilfe zum Freitod in Deutschland
schon heute groß. Wenn sicher ist, dass ein Mensch bei seinem Suizid
freiverantwortlich handelt, darf ihm jeder, auch ein Arzt, dabei helfen und ihn
bis zum Tod begleiten, ohne zur Rettung verpflichtet zu sein.
In einer Münchner Klinik etwa starb, ganz legal, eine Frau aus eigenem
Entschluss, die nach einem Behandlungsfehler seit Jahren im Rollstuhl gesessen
hatte, nicht mehr richtig sprechen konnte und unter unstillbaren Schmerzen
litt. Schriftlich hatte sie die Ärzte von ihrer Garantenpflicht entbunden.
Zuvor hatten zwei Psychiater unabhängig voneinander festgestellt, dass sie
geschäftsfähig und nicht depressiv war. Anschließend nahm sie,
palliativmedizinisch begleitet und umsorgt von ihrer Familie, keine Nahrung und
keine Flüssigkeit mehr zu sich - ein eher sanftes Sterben. Nach gut zwei Wochen
war sie tot.
Aus strafrechtlicher Sicht, erklärt die Münchner Patientenanwältin Beate
Steldinger, die den Fall begleitete, hätten die Ärzte ihr sogar ein tödliches
Mittel zur Verfügung stellen dürfen. Standesrechtlich gilt jedoch jegliche
Beihilfe zur Selbsttötung als unethisch. Wird bekannt, dass der Arzt bei der
Vorbereitung geholfen hat, kann die Ärztekammer ein berufsrechtliches Verfahren
gegen ihn in Gang bringen; am Ende könnte der Entzug der Approbation stehen -
theoretisch.
"Aus den 33 Jahren meiner Tätigkeit", sagt Bundesärztekammerpräsident
Jörg-Dietrich Hoppe, "kann ich mich nicht an einen einzigen solchen Fall
erinnern.";
"Man dosiert die entsprechenden Medikamente etwas höher", erklärt
Anästhesist Dr. H. aus Thüringen. "Das macht man, aber da redet man nicht
drüber."
"Manchmal habe ich der Absicht nichts entgegengesetzt oder sie
unterstützt", sagt Professor M., der 28 Jahre eine große onkologische
Abteilung leitete, ein Katholik. "Ich habe Patienten Rezepte in die Hand
gedrückt, die ich jahrelang begleitet hatte." Ein Schiffsbauer war dabei,
dem ein Geschwür das Gesicht weggefressen hatte. "Ich kannte die Familie.
Ich wusste, der ist nicht depressiv, er weiß um die
Behandlungsmöglichkeiten." Eine Handvoll seien es
gewesen in all den Jahren.
Seit seiner Pensionierung ist Schottky in der Hospizbewegung engagiert. Dort
heißt es immer, ein Patient, der angemessen palliativmedizinisch versorgt werde,
wünsche sich gar nicht mehr zu sterben.
"Da ist etwas Unehrliches dabei", findet Schottky, eine Art neue
Allmachtsphantasie vom guten Ende. "Wir sollten uns eingestehen, dass wir
manchmal hilflos sind und dass nicht alles machbar ist."
Bei fünf bis zehn Prozent aller Tumorpatienten beispielsweise kann die Medizin
am Ende Schmerzen oder andere Leiden nicht befriedigend lindern. Da kommt ein
Patient mit einem offenen Tumor im Bauchraum und unkontrollierbaren Schmerzen.
Oder einer verfault bei lebendigem Leib und stinkt so sehr, dass keiner mehr
ins Zimmer kommen will. Schottky: "Wie können Sie da in Würde
sterben?"
Die Palliativmedizin sieht für solch extreme Fälle als Ausweg die terminale
Sedierung vor: Der Patient erhält so viele dämpfende Mittel, dass er sein
Leiden nicht miterleben muss. Für manche ein erträglicher Ausweg. Andere
verbringen Wochen in diesem Zustand, wachen wieder auf, sind desorientiert und
verzweifelt. Das Ende komme dann meist in Form einer septischen
Lungenentzündung: "Da müssen Sie dann zusehen, wie einer schrecklich
langsam dahinstirbt.";
"Wenn man in einem sehr speziellen Einzelfall sieht, dass der Patient
wirklich in Not ist, dann sollte der Arzt helfen dürfen", fordert auch
Thomas Flöter, langjähriger Chef des Schmerz- und Palliativzentrums Frankfurt.
"Aus dem Fenster zu springen traut sich ja nicht jeder.";
Ärztliche Standesorganisationen, Kirchen und Hospizverbände warnen denn auch
vor den Gefahren: Mit der Freigabe des ärztlich assistierten Suizids begebe man
sich unweigerlich auf eine schiefe Ebene. Womöglich würden tötungsbereite
Mediziner bald nicht nur Todkranke, sondern auch Depressive und Behinderte
töten, vielleicht sogar gegen deren Willen; einsame, arme, alte Menschen würden
sich gezwungen sehen, die Gesellschaft oder ihre Kinder von der kostspieligen
Last ihres Daseins zu befreien.
Wer diese Bedrohung der Zivilgesellschaft erleben wolle, müsse nur in die
Niederlande gehen: …;
Belege für diese schweren Vorwürfe sind indes schwer beizubringen: In den
Niederlanden ging die Zahl der Euthanasiefälle von 2,8 Prozent aller
Sterbefälle in 2001 auf 1,8 Prozent in 2005 zurück; insgesamt sind es rund 2300
pro Jahr.
Um von seinem Arzt Euthanasie erbitten zu können, muss ein Patient urteilsfähig
sein und unerträglich und hoffnungslos leiden. Nur Ärzte, die den Patienten gut
kennen, dürfen diese Bitte erfüllen. Ein unabhängiger Kollege kontrolliert den,
der Sterbehilfe leistet.
Zwei Drittel aller Bitten um Sterbehilfe werden in den Niederlanden abgelehnt -
hauptsächlich, wenn Sterbewillige unter einer Depression leiden oder wenn sie
angeben, lebensmüde zu sein oder ihrer Familie nicht zur Last fallen zu wollen.
Jeder Fall von Sterbehilfe muss einer Kommission gemeldet werden. Immer mehr
Ärzte kommen dieser Pflicht auch nach, wie anonyme Befragungen zeigen, mit
denen die Holländer ihr Dunkelfeld erkunden. In Deutschland, konstatiert Rob
Jonquière, Sprecher der niederländischen Euthanasie-Bewegung, würden dagegen
100 Prozent aller Fälle nicht gemeldet.
Die Holländer haben es gleichzeitig geschafft, palliatives Wissen unter den
Allgemeinmedizinern zu verbreiten - ein Vorhaben, das in Deutschland seit
Jahren nicht vorankommt. Auch die Altenheime sind im Nachbarland besser
beleumundet: kleinere Einheiten, bessere Pflege, ein Heimarzt, der alle Bewohner
kennt. Der niederländische "Facharzt für Pflegeheimmedizin" - in
Deutschland ein Traum.
Aufschlussreiche Erkenntnisse liefert auch die Praxis im US-Staat Oregon: Vor
zehn Jahren trat dort nach einer Volksabstimmung die "Death With Dignity
Act" in Kraft. Danach dürfen Ärzte Patienten, deren Lebenserwartung ein
halbes Jahr nicht übersteigt, ein tödliches Gift verschreiben. Der Kranke muss
zurechnungsfähig sein, seinen Suizidwunsch mehrfach äußern, über mögliche
Alternativen aufgeklärt sein und die tödliche Dosis ohne Hilfe einnehmen
können.
Kritiker prophezeiten eine Suizidwelle, doch die blieb aus, bis heute. Nur die
Hälfte aller Patienten, die sich ein Medikament verschreiben lassen, benutzen
es auch tatsächlich. Und obwohl es in Oregon nicht schwierig ist, einen Arzt zu
finden, der das Rezept ausstellt, gehen von 35 000 Todesfällen dort jährlich
nur etwa 40 auf Suizidbeihilfe zurück.
Auch hier argumentierten Gegner, vor allem Benachteiligte würden unter Druck
geraten: Frauen, Schwarze, Arme ohne Krankenversicherung. Doch die
Dokumentation aller Fälle ergab: Für den ärztlich assistierten Tod entscheiden
sich zumeist gutgebildete Weiße mit Krankenversicherung und stabilem
wirtschaftlichem Hintergrund. Als Motiv stehen selten körperliche Leiden im Vordergrund,
sondern der Verlust von Lebensqualität, Würde und Autonomie. Oft sind es
Menschen mit einem starken Kontrollbedürfnis.
Auch die Befürchtung, das Hospizsystem werde leiden, erfüllte sich nicht. Im
Gegenteil: 85 Prozent derer, die von einer tödlichen Verschreibung Gebrauch
machten, waren zugleich in einem Hospizprogramm integriert. Oregon entwickelte
sich zum Vorreiter in Sachen Palliativmedizin und Hospizwesen in den USA.
Nirgendwo sterben mehr Menschen zu Hause.
SPIEGEL-Umfrage unter Ärzten
November 2008, 483 Befragte
Frage |
|
|
|
|
|
Anteil
der befragten Ärzte, die Patienten schon beim Suizid geholfen haben, in
Prozent |
einmal: |
mehrmals: |
|
|
|
„Ein
Patient mit fortgeschrittener, schwerer und unheilbarer Erkrankung bittezt
seinen Arzt, im ein Medikament zu injizieren, das
sein Leben beendet.“ |
stimme
zu: |
stimme
eher zu: |
stimme
eher nicht zu: |
lehne
dies ab: |
|
„Ein
Patient mit fortgeschrittener, schwerer und unheilbarer Erkrankung bittet
seinen Arzt, ihm beim Suizid zu helfen, zum Beispiel, indem er ihm ein
tödlich wirkendes Medikament bereitstellt, das der Patient selbst einnimmt.“ |
stimme
zu: |
stimme
eher zu: |
stimme
eher nicht zu: |
lehne
dies ab: |
|
Haben
Sie schon einmal von Fällen ärztlicher Beihilfe zum Suizid in ihrem Umfeld
erfahren? |
Ja,
Summe: |
Nein,
Summe: |
|
Ja, |
Ja,
mehrmals: |
(gleiche
Frage nach Fachrichtungen, Antwort JA) |
Inter-nisten: |
Onko-logen: |
Anästhe-sisten: |
Haus-ärzte: |
Palliativ-mediziner: |
Können
Sie sich vorstellen, selbst aus humanitären Gründen einem Patienten beim
Suizid zu helfen? |
Ja:
|
Nein: |
|
|
|
(gleiche
Frage nach Fachrichtungen, Antwort JA) |
Inter-nisten: |
Onko-logen: |
Anästhe-sisten: |
Haus-ärzte: |
Palliativ-mediziner: |
Können
Sie sich vorstellen, selbst aus humanitären Gründen einem Patienten auf seinen
Wunsch hin eine tödliche Medikamentendosis zu verabreichen? |
Ja: |
Nein: |
|
|
|
(Der Spiegel 48/2008
S.164ff. --- Artikel im Wortlaut unter http://wissen.spiegel.de/wissen/dokument/dokument.html?id=62236081&top=SPIEGEL
·
italienische Sterbehilfe-Gegner sind
beim Europäischen Menschenrechtgericht mit dem Versuch gescheitert, den Tod der
37 Jahre alten Komapatientin Eluana Englaro zu verhindern; wollten erreichen,
dass die seit 16 Jahren im Koma liegende Frau weiter künstlich ernährt wird;
das oberste Berufungsgericht Italiens bestätigte in der folgenden Woche die
richterliche Anordnung, die künstliche Ernährung abzubrechen; die katholische
Kirche und Regierungsvertreter warfen ihm vor, „staatlichen Mord im Namen des
italienischen Volkes“ zuzulassen
(Freie Presse Chemnitz 22./23.11.08, taz 15./16.11.08)
·
(Bericht über Palliativmedizin – Brückenteam)
Wer täglich mit dem Tod lebt, kann treffsicher mit Mythen aufräumen. Zum
Beispiel über aktive Sterbehilfe. Bei einer Befragung von 300 Patienten habe
nur ein Anteil von 4,8% den Wunsch geäußert, durch eine kompetente Person von
einem aussichtslosen Leiden befreit zu werden, berichtet die Ärztin Barbara
Schubert.
(Freie Presse Chemnitz 1.12.08)
·
S.32: Die Strafrechtssprechung hat in
schwerwiegenden Konfliktlagen, in denen es um die Beendigung schwerster, mit
medizinischen Mitteln nicht mehr behandelbarer körperlicher Leidenszustände
ging und der Arzt deshalb Hilfe beim freiverantwortlichen Suizid geleistet oder
keinen Versuch zur Abwendung des Todes gemacht hat, Starffreiheit zumindest
unter dem Gesichtspunkt des Notstandsrechts angenommen. Insoweit besteht
bereits ein Handlungsspielraum. Hier kommt es aber auf die konkrete
verantwortliche Abwägung und die besonderen Umstände in jedem Einzelfall an.
Der Arzt behält seine große Verantwortung und muss damit rechnen, sich dafür
unter Umständen rechtlich verantworten zu müssen.
(Wenn Menschen sterben wollen – eine Orientierungshilfe zum Problem der ärztlichen
Beihilfe zur Selbsttötung; EKD-Texte 97, 2008 --- Gesamttext unter http://www.ekd.de/EKD-Texte/ekdtext_97.html
·
Umfrage
des Instituts für Demoskopie in Allensbach;
für aktive Sterbehilfe auf Wunsch schwerkranker Menschen sind 58% der
Deutschen, 19% sprachen sich dagegen aus
(Der Sonntag Sachsen 10.8.08)
·
Laut
einer Umfrage des Hamburger Professors Wehkamp wird an jeden deutschen Arzt im
Schnitt alle zwei Jahre der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe von einem Patienten
herangetragen. Onkologen sehen sich mit dieser Bitte doppelt so oft
konfrontiert, jeder 13. niedergelassene Arzt gibt an, ihr schon mindestens
einmal Folge geleistet zu haben
(Spiegel 25/2008 S.43)
·
Sterbebegleitung und
Hospizkultur
(Beschreibung wesentlicher Merkmale der Hospizarbeit)
… Sedierung … ihre Extremform der terminalen Sedierung wird aus dem Bereich der
Sterbehilfe in den Kontext der Sterbebegleitung gesetzt. Sie stellt das letzte
Mittel dar, um bei unerträglichen Schmerzen oder Luftnot zu helfen, wobei sich
die nicht intendierte aber in Kauf genommene Lebensverkürzung durch die
Leidensfreiheit relativiert. …
Ganz wesentlich zur Zustimmung zum Hospiz ist schließlich die Ablehnung der
aktiven Sterbehilfe als ideologische Ausrichtung der gesamten Hospizbewegung,
womit sowohl die Ärzteschaft als auch Kirchen und Wohlfahrtsverbände als
Befürworter gewonnen werden konnten. Hospizpflege ist Beistand, Unterstützung
und Begleitung des Sterbenden in seiner letzten Lebensphase, aber nicht das
Herbeiführen des Lebensendes.
(Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zu „Das Parlament“, Nr.4/2008 21.1.08,
„Tod und Sterben“, S.16)
·
in
Italien liegt eine Frau, Eluana Englaro, seit über 16 Jahren irreversibel im
Koma, wird künstlich ernährt und muss weiter dahinvegetieren; ihr Vater bat die
Ärzte, die Behandlung einzustellen (wie sie selbst es sich gewünscht hätte);
die (katholische) Kirche spricht vom ersten Schritt zur Euthanasie; mit dem
gleichen Argument versagte sie einem anderen Patienten, mit Maschinen beatmet
und ernährt, die Stecker herauszuziehen
(Der Spiegel 1-2009 S.104)
·
zum
gleichen Fall
Kardinal: „Mord“;
in Deutschland gilt der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen, z.B.
künstliche Beatmung, künstliche Ernährung, als passive Sterbehilfe, ist
gesetzlich erlaubt;
(taz 10.2.09 S.2)
·
in
Belgien Diskussion um aktive Sterbehilfe für Kinder; Studie: in letzten zwei
Jahren mindestens 25 Minderjährige aktiv in den Tod begleitet worden trotz
gesetzlichen Verbots;
(Der Sonntag Sachsen, 5.4.09 S.12)
·
Luxemburg
hat jetzt als dritter Staat weltweit nach den Niederlanden und Belgien die
Euthanasie unter bestimmten Umständen legalisiert (aktive Sterbehilfe durch
Ärzte); Parlament hat Verfassung geändert, weil Großherzog sich geweigert
hatte, das schon vor 1 Jahr mit knapper Mehrheit beschlossene Gesetz zu
unterzeichnen
(Der Spiegel 14-2009 S.126)
·
(Rezension
des Buches: Wanzer/Glenmullen: Gut sterben, Verlag 2001, Frankfurt/Main, 2009)
Sterbehilfe: Zwei US-Ärzte plädieren für eine konsequente Palliativmedizin;
die Autoren befürworten nicht nur passive Sterbehilfe, sondern halten auch eine
Verkürzung des Lebens dann für vertretbar, wenn das Endstadium einer tödlichen
Krankheit diagnostiziert worden ist, keine Schmerztherapie anschlägt und sich
der Patient bei noch klarem Bewusstsein dafür ausgesprochen hat …
verweisen auf das im US-Staat Oregon 1997 in Kraft getretene Sterbehilfegesetz,
das dem Arzt erlaubt, einem unheilbar Kranken Medikamente zu verschreiben, mit
deren Hilfe der Patient sein Leben beenden kann … bisher in Oregon weder
Missbrauch noch Verstöße gegen das Gesetz, nur einer von 1000 Sterbefällen
durch dieses Gesetz ermöglicht;
eine Parallelität von rassistisch motivierten Morden und ärztlicher Sterbehilfe
auf Wunsch des Patienten ist für die Autoren rational … nicht nachvollziehbar.
weisen darauf hin, wie wichtig die Beachtung streng gefasster Regeln ist, dass
stets zwei voneinander unabhängige Ärzte herangezogen werden, dass der Patient
sich das Medikament selbst verabreicht, die Angehörigen informiert sind, das
Gesundheitsamt unterrichtet ist und die Einhaltung der gesetzlichen
Bestimmungen überprüfen kann
(Das Parlament 27.7.09 S.19)
·
Interview
mit Jochen Taupitz, Medizinrechtler; „Es gibt keinen Zwang zum Leben“;
Ich finde … dass es immer noch besser ist, selbstbestimmt zu früh in den Tod zu
gehen, als fremdbestimmt ewig zu leben;
ich denke, jeder Mensch darf sich selbst das Leben nehmen. Sich selbst, betone
ich. Es darf ihm sogar ein Freund dabei helfen – oder ein Arzt. Das entspricht
im Übrigen der aktuellen Rechtslage. Suizid und Beihilfe zum Suizid sind nicht
strafbar.;
im ärztlichen Standesrecht gibt es keine Regel, die dem Arzt Suizidbeihilfe
verbietet. Dort heißt es nur, dass die Hilfe zur Selbsttötung dem ärztlichen
Ethos widerspricht. Daran muss sich aber nicht jeder Arzt halten.
Frage: Wie würde denn so eine Hilfe konkret aussehen? Der Arzt verschreibt dem
Patienten die tödlichen Medikamente in seiner Sprechstunde? Antwort: Er darf
sie dem Patienten auch geben, aber keinesfalls verabreichen oder gar spritzen.
Dann wäre die Grenze zur aktiven Sterbehilfe überschritten, also zur Tötung auf
Verlangen, und die ist aus gutem Grunde strafbar ;
(am Tod anderer Menschen verdienen?) Das hat sicherlich ein Geschmäckle,
andererseits … An einer Abtreibung verdienen Ärzte doch auch …
Abgesehen von nahen Angehörigen sollten
nur Ärzte beim Suizid helfen dürfen – und sonst keiner (Arztvorbehalt);
(Zulassung aktiver Sterbehilfe bei Patienten, die nicht in der Lage sind, sich
selbst das Leben zu nehmen?) Es gibt sicherlich Grenzfälle, aber das
rechtfertigt noch lange nicht die pauschale Zulassung aktiver Sterbehilfe. Ich
berufe mich auf ein englisches Sprichwort, das heißt: „Hard cases make bad law“
– an extremen Grenzfällen kann man keine rechtliche Regel ausrichten;
ich kenne einen Mann, der sagt: Ich verzichte lieber auf eine Behandlung bis
zum Lebensende, wenn ich damit mein kleines Häuschen für die Kinder erhalten
kann. Ich halte das für legitim … Selbstbestimmung bedeutet, dass man auch
unvernünftige Entscheidungen treffen kann
(Spiegel 11-2009 S.58ff)
·
Niederländische
Bürger fordern, dass auch gesunde ältere Menschen ihr Leben mit Sterbehilfe
beenden dürfen;
Bürgerinitiative „Aus freiem Willen“ hat in kurzer Zeit 117.000 Unterschriften
gesammelt, 40.000 sind nötig, damit sich das Parlament damit beschäftigen muss;
“Niemand ist verpflichtet zu leben.“;
“Dem freien Menschen, der sein Leben als vollendet ansieht, steht zu, selbst zu
bestimmen, wie und wann er sterben will.“
Euthanasie und Hilfe bei Selbsttötung ist prinzipiell in den Niederlanden
strafbar. Doch gibt es Ausnahmen. Seit April 2002 gilt ein Gesetz, das Ärzte
bei aktiver Sterbehilfe von der Strafverfolgung freistellt, wenn bestimmte
Kriterien erfüllt sind und sie nachweislich sorgfältig handeln. Sterbehilfe ist
nur erlaubt auf die freiwillige, wiederholte und wohl überlegte Bitte eines
Patienten hin und nur, wenn dieser an einer klassifizierbaren Krankheit
"unerträglich und aussichtslos leidet". Ein zweiter Arzt ist
hinzuzuziehen, ein unnatürlicher Tod muss gemeldet werden. Eine Kommission
prüft dann den Fall. Vollendete Leben, im Prinzip also gesunde lebensmüde
Menschen, fallen nicht unter dieses Gesetz. Die Initiatoren der Kampagne
bezeichnen diese älteren Menschen als "vergessene Gruppe".;
Nach neuesten Zahlen der NVVE würden 51 Prozent der Niederländer gern über eine
"Letzte-Wille-Pille" verfügen. Übrigens hat das Gesetz von 2002 keine
Euthanasiewelle ausgelöst. Im Jahr 2003 wurden 1.835 Fälle gemeldet, 2.331
waren es 2008, das sind weniger als 2 Prozent der Todesfälle. Die Hauptgründe
für aktive Sterbehilfe sind Krebserkrankungen.
(taz 27.5.2010 S.4)
·
„Wer
helfen will, kann das tun“ Interview mit dem Präsidenten der Bundesärztekammer,
Jörg-Dietrich Hoppe;
SPIEGEL: Herr Hoppe, Sie haben immer behauptet, deutsche Ärzte wollten
weder Patienten beim Suizid helfen noch aktive Sterbehilfe leisten. Nun zeigt
eine Umfrage der Bundesärztekammer, dass sich 37 Prozent aller Mediziner sehr
wohl vorstellen können, Patienten beim Suizid zu assistieren. Für jeden vierten
Arzt käme sogar aktive Sterbehilfe in Frage. Hat ein Teil der Ärzteschaft dem
offiziellen Standesethos den Rücken gekehrt? Hoppe: Nein, das sehe ich
anders. Die Umfrage bestätigt, dass eine breite Mehrheit der Ärzte zwar
Suizidwünsche von schwerstkranken, leidenden Patienten nachvollziehen kann.
Aber die Bereitschaft, daran wirklich mitzuwirken, ist nicht sehr ausgeprägt.
Die klare Mehrheit lehnt diese Dinge immer noch ab.
SPIEGEL: In den Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung heißt es:
"Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung widerspricht dem
ärztlichen Ethos." Denkt jeder dritte Ihrer Kollegen unethisch?
Hoppe: Genau über diesen Satz diskutieren wir zurzeit sehr intensiv. Ich
nehme an, dass diejenigen, die wollen, dass Ärzte beim Suizid helfen können,
sich zu wenig Gedanken gemacht haben. Das kann nicht zu den Aufgaben des Arztes
gehören.
Hoppe: Wenn ein Arzt es ethisch mit sich vereinbaren kann, beim Suizid
zu helfen, dann kann er das auch unter heutigen Bedingungen schon tun. Ich
persönlich könnte das mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Aber ich habe
immer Verständnis für Einzelfälle. Ich weiß nicht, wie viele das tun. Aber inoffiziell
passiert manches, und der Staatsanwalt kümmert sich nicht darum. Wenn man das
jetzt in ein Gesetz gießt, fürchte ich, dass es das Arztbild beschädigt. Die
Leute können dann nicht mehr sicher sein, mit welcher Haltung ihr Arzt ihnen
gegenübertritt.
Hoppe: Nicht viel. Genauso steht es ja schon länger in unseren
Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung drin. Ich habe selbst einen solchen
Fall miterlebt: Ein Kollege von mir hatte Amyotrophe Lateralsklerose. Er konnte
nur noch die Augen und die Brauen bewegen. Er wollte noch möglichst lange seine
Kinder aufwachsen sehen, aber eines Tages hat er seine Hausärztin gebeten,
seine Beatmung einzustellen. Die rief mich an und fragte: Darf ich das? Ich
habe ihr gesagt: Wenn er nicht mehr will, müssen Sie das sogar. Die Kollegin
hatte furchtbare Gewissensbisse, weil sie meinte, sie hätte aktive Sterbehilfe
betrieben.
SPIEGEL: Auf die Frage, ob lebensverlängernde Maßnahmen auf Wunsch des
Patienten eingestellt werden sollten, antworteten aber in Ihrer Umfrage nur 74
Prozent aller Ärzte mit Ja. Das restliche Viertel tut sich schwer mit der
Patientenautonomie. Warum brauchen Ärzte eigentlich immer wieder Juristen, die
ihnen sagen, wie sie sich am Sterbebett verhalten sollen?
Allensbach-Umfrage
unter 527 Ärzten im Auftrag der Bundesärztekammer |
|||
Frage |
Antwort JA |
Antwort NEIN |
|
Könnten
Sie sich vorstellen, dass Sie selbst aktive Sterbehilfe leisten, z.B. einem
unheilbar Kranken ein tödliches Medikament verabreichen, wenn der Patient Sie
darum bittet |
Könnte ich mir
vorstellen 25 % |
Käme auf keinen
Fall in Frage |
|
Manche
fordfern ja, dass es eine gesetzliche Regelung geben sollte, die es dem Arzt
ermöglicht, aktive Sterbehilfe zu leisten, z.B. durch Injektion eines tödlichen
Medikaments |
Befürworte ich 17 % |
Lehne ich ab 78 % |
|
Wurden
Sie schon um Hilfe zum Suizid gebeten? |
Antwort JA Fachärzte 27 % |
|
|
Es
wird über eine Regelung diskutiert, die es einem Arzt erlaubt, einen
unheilbar Kranken beim Suizid zu unterstützen |
Befürworte ich |
Lehne ich ab |
|
Sollten
lebensverlängernde Maßnahmen auf Wunsch des Patienten eingestellt werden
dürfen |
Antwort JA |
|
|
|
|
|
|
(Spiegel
29-2010 S.104 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-71892526.html,
http://www.baek.de/downloads/Sterbehilfe1.pdf
)
·
Deutschland
hat für 2010 beim UN-Drogenkontrollrat einen Bedarf von 2 Tonnen Morphium und
46 Tonnen Codein angemeldet;
(bei 82 Millionen Einwohnern ergibt das: 24,4 kg je 1 Million Einwohner bzw.
561 kg je 1 Million Einwohner JK)
(taz 6.8.2010 S.18)
·
Freispruch
für Sterbehelfer;
Der Bundesgerichtshof hat die Zulässigkeit passiver Sterbehilfe bekräftigt.
Eine Heilbehandlung darf und muss abgebrochen werden, wenn dies dem Willen des
Patienten entspricht. Im Konfliktfall darf dabei sogar der Schlauch zur
Magensonde durchgeschnitten werden;
Im konkreten Fall hatte sich 2007 ein Pflegeheim geweigert, die künstliche
Ernährung einer 76-fjährigen Frau einzustellen, die schon seit 5 Jahren im
Wachkoma lag. Ihrer Tochter hatte die Rentnerin früher gesagt, dass sie nicht
künstlich ernährt werden wolle.; Der Hausarzt ordnete
dann zwar an, die Sondenernährung einzustellen. Doch das Heim weigerte sich
vehement.
Auf Anraten des Münchner Anwalts Wolfgang Putz durchtrennte die Tochter den
Schlauch der Magensonde mit einer Schere, um ihre Mutter sterben zu lassen.
Doch die Aktion wurde entdeckt, und die komatöse Frau erhielt sofort eine neue
Magensonde. Sie starb später aus anderen Gründen. Die Tochter und der Anwalt
wurden angeklagt, Während die Tochter einen Freispruch erhielt, wurde der
Anwalt zu einer neunmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt.
Der 2. Senat des BGH sprach den Anwalt nun frei. Er folgte damit den
übereinstimmenden Anträgen von Verteidigung und Bundesanwaltschaft.
Entscheidend war für die Richter, dass sich die Mutter in einer „mündlichen
Patientenverfügung“ gegen die künstliche Ernährung ausgesprochen hatte.
Die Wiederaufnahme der Sondenernährung durch das Heim sei deshalb ein
„rechtswidriger Angriff“ auf die komatöse Frau gewesen;
Die Fuldaer Richter in der ersten Instanz sahen im Durchtrennen des Schlauchs
verbotene aktive Sterbehilfe … Doch der BGH stellte nun unmissverständlich
klar: Immer wenn es um einen Behandlungsabbruch auf Wunsch des Patienten geht,
ist dies erlaubte passive Sterbehilfe. Es komme nicht darauf an, ob der
Behandlungsabbruch durch ein bloßes Unterlassen oder eine aktive Handlung
vorgenommen wird. … Das Durchtrennen des Sondenschlauchs habe nur dazu gedient,
dem „natürlichen Sterbeprozess seinen Lauf zu lassen“;
Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger zum Urteil des BGH:
“Der freiverantwortlich gefasste Wille des Menschen muss in allen Lebenslagen
beachtet werden. … Es gibt keine Zwangsbehandlung gegen den Willen des
Menschen.“
(taz 26.6.2010 S.2; Freie Presse Chemnitz 26.6.2010 S.4)
·
Beihilfe
zum Selbstmord:
Sich selbst zu töten ist in Deutschland nicht strafbar. Deshalb kann bei uns
auch die Beihilfe zum Selbstmord nicht bestraft werden. Wer einem Selbstmörder
einen Strick gibt, bleibt also straflos. Allerdings kann der Helfer den
Sterbenden nicht bis zum Tod begleiten. Denn wenn dieser das Bewustsein
verliert, geht die Tatherrschaft auf die Anwesenden über, die dann den Tod
verhindern müssen
(taz 26.6.2010 S.2)
·
Aktuelle
Dokumente der Bundesärztekammer zur
ärztlichen Sterbebegleitung und zu Patientenverfügungen mit weiteren LINKS:
http://www.baek.de/page.asp?his=0.6.5048
·
»Dammbruch
beim Lebensschutz«
Aktive und passive Sterbehilfe ist in manchen Ländern Europas legal.
Deutschland gehört nicht dazu
Die Haltung der Bundesärztekammer ist eindeutig: "Aktive Sterbehilfe ist
unzulässig und mit Strafe bedroht, auch dann, wenn sie auf Verlangen des
Patienten geschieht. Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung
widerspricht dem ärztlichen Ethos und kann strafbar sein." So steht es in
der Stellungnahme des Gremiums aus dem Jahr 2004 - und auch wenn es in einigen
europäischen Staaten Tendenzen hin zu einer Legalisierung der Sterbehilfe gibt,
wollen die deutschen Ärzte von ihrer Überzeugung nicht lassen.
Die meisten von ihnen sind davon überzeugt, dass es auch in ausweglosen
Situationen ihre Aufgabe ist, ihre Patienten zu behandeln - nicht mit dem Ziel
zu heilen, sondern um Leid zu lindern. Daher müsse mehr als bisher für den
Ausbau der Palliativmedizin getan werden, bei der es nicht um eine Verlängerung
des Überlebens um jeden Preis, sondern um eine größere Lebensqualität gehe.
Doch wie wird die Frage nach der Sterbehilfe in anderen europäischen Staaten
beantwortet?
Vorreiter Niederlande
Die aktive Sterbehilfe, also die gezielte Herbeiführung des Todes auf Wunsch
des Patienten, ist nur in Belgien, Luxemburg und den Niederlanden legal. Die
Niederlande waren das erste Land der Welt, in dem das Parlament 2001 ein Gesetz
zur Kontrolle der Tötung auf Verlangen verabschiedete. Belgien und Luxemburg
folgten mit ähnlichen Gesetzen 2002 und 2009. In allen drei Staaten ist auch die Beihilfe zum Selbstmord und die indirekte
Sterbehilfe legal.
Die passive Sterbehilfe, bei der der Tod durch den Verzicht oder die Beendigung
einer lebensverlängernden Behandlung herbeigeführt wird, ist in folgenden
Staaten legal: Belgien, Dänemark, Luxemburg, Niederlande, Schweden und Schweiz.
In Deutschland, Frankreich und Österreich ist sie legal, wenn es eine
Willensäußerung des Patienten oder eine gültige Patientenverfügung gibt.
Indirekte Sterbehilfe, die den Tod als Nebenwirkung etwa bei der Gabe von
Schmerzmitteln in Kauf nimmt, ist in Belgien, Finnland, Großbritannien,
Luxemburg, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz legal. Gleiches gilt
auch in Deutschland, Frankreich, Griechenland, Norwegen, Schweden und Ungarn,
wenn der Patient den entsprechenden Willen geäußert hat oder eine
Patientenverfügung vorliegt.
Obgleich Juristen wie der ehemalige Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang
Böckenförde warnen, eine Zulassung der aktiven Sterbehilfe in Deutschland würde
einen "Dammbruch beim Lebensschutz" bedeuten, und die Statuten der
Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin würden es verbieten, den
Sterbeprozess zu beschleunigen: Die Überzeugungen und Wünsche der Gesellschaft
spiegelt dies nur bedingt. So befürworten nach einer Umfrage des Instituts für
Demoskopie Allensbach von August 2008 58 Prozent der Bevölkerung die Forderung,
Schwerstkranke, die keine Aussicht auf Heilung haben, auf deren Wunsch hin
aktiv Sterbehilfe zu gewähren. Lediglich 19 Prozent seien gegen aktive
Sterbehilfe, heißt es in einer Mittelung des Instituts. Allerdings: 23 Prozent
wollten sich angesichts der "geradezu existentiellen Fragestellung"
für keine der beiden Antworten entscheiden.
(Das Parlament 8.11.2010 S.10; http://www.das-parlament.de/2010/45/Themenausgabe/32124149.html
)
·
Noch
1949 hatte das Hamburger Landgericht beschlossen, eine Hauptverhandlung gegen
mehrere der Kindermorde Beschuldigte nicht zu eröffnen. Sie kommen zu dem
Schluss, "daß die Frage der Verkürzung lebensunwerten Lebens zwar ein
höchst strittiges Problem ist, daß ihre Durchführung aber keinesfalls eine
Maßnahme genannt werden kann, welche dem allgemeinen Sittengesetz wiederstreitet".
Dem klassischen Altertum sei "die Beseitigung von lebensunwertem Leben
eine völlige Selbstverständlichkeit" gewesen. Man könne nicht sagen, dass
die Ethik Platons oder Senecas "sittlich tiefer steht als die des
Christentums"
(taz 24/26.12.2010 S.16f.; http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/?year=2010&month=12&day=24&quelle=TAZS&ressort=hi)
·
Europäischer
Gerichtshof für Menschenrechte hat überraschend eine Klage angenommen und eine
mündliche Verhandlung anberaumt;
Frau hatte sich bei Unfall 2002 Nacken gebrochen; konnte nur noch Kopf bewegen;
das Herz trieb ein Herzschrittmacher, Ernährung über Magensonde; künstliche
Beatmung, spürte am ganzen Körper Schmerzen;
stellte Antrag beim Bundesamt für Arzneimittel in Bonn auf Abgabe einer
tödlichen Dosis Natrium-Pentabarbital (führt nach Angeben von Experten zu einer
Art „natürlichem Einschlafen“); Amt lehnt ab; Frau begibt sich 2005 in die
Schweiz und begeht dort mit Hilfe der Organisation Dignitas Selbstmord;
Ihr Mann klagt weiter in ihrem Namen, um zu erreichen, dass das Recht auf
Privatleben auch das Recht auf einen menschenwürdigen Tod umfasse;
Der begleitete Suizid ist auch in Ländern wie den Niederlanden und Belgien
möglich, aber meist nicht für Ausländer
(taz 23.11.2010 S.06, Der Spiegel 47-2010 S.16f.)
·
(Neue)
Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung
Aufgabe des Arztes ist es, unter Achtung des Selbstbestimmungsrechtes des
Patienten Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen
sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tod beizustehen. Die ärztliche
Verpflichtung zur Lebenserhaltung besteht daher nicht unter allen Umständen.;
Art und Ausmaß einer Behandlung sind gemäß der medizinischen Indikation vom
Arzt zu verantworten. Er muss dabei den Willen des Patienten achten. Bei seiner
Entscheidungsfindung soll der Arzt mit ärztlichen und pflegenden Mitarbeitern
einen Konsens suchen.;
Ein offensichtlicher Sterbevorgang soll nicht durch lebenserhaltende Therapien
künstlich in die Länge gezogen werden. Darüber hinaus darf das Sterben durch
Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung
ermöglicht werden, wenn dies dem Willen des Patienten entspricht. Dies gilt
auch für die künstliche Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr.;
Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung ist keine ärztliche Aufgabe.;
Die Hilfe besteht in palliativmedizinischer Versorgung und damit auch in
Beistand und Sorge für die Basisbetreuung. Dazu gehören nicht immer Nahrungs-
und Flüssigkeitszufuhr, da sie für Sterbende eine schwere Belastung darstellen
können. Jedoch müssen Hunger und Durst als subjektive Empfindungen gestillt
werden.;
Die Unterrichtung des Sterbenden über seinen Zustand und mögliche Maßnahmen
muss wahrheitsgemäß sein, sie soll sich aber an der Situation des Sterbenden
orientieren und vorhandenen Ängsten Rechnung tragen. Der Arzt soll auch
Angehörige des Patienten und diesem nahestehende Personen informieren, soweit
dies nicht dem Willen des Patienten widerspricht.;
Bei einwilligungsfähigen Patienten hat der Arzt den aktuell geäußerten Willen
des angemessen aufgeklärten Patienten zu beachten, selbst wenn sich dieser
Wille nicht mit den aus ärztlicher Sicht gebotenen Diagnose- und
Therapiemaßnahmen deckt. Das gilt auch für die Beendigung schon eingeleiteter
lebenserhaltender Maßnahmen.;
Bei nichteinwilligungsfähigen Patienten ist die Erklärung ihres
Bevollmächtigten bzw. ihres Betreuers maßgeblich. Diese sind verpflichtet, den
Willen und die Wünsche des Patienten zu beachten. Falls diese nicht bekannt
sind, haben sie so zu entscheiden, wie es der Patient selbst getan hätte
(mutmaßlicher Wille). Sie sollen dabei Angehörige und sonstige
Vertrauenspersonen des Patienten einbeziehen, sofern dies ohne Verzögerung
möglich ist. Bestehen Anhaltspunkte für einen Missbrauch oder für eine
offensichtliche Fehlentscheidung, soll sich der Arzt an das Betreuungsgericht
wenden.;
Liegt eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 BGB vor (vgl. VI.2.),
hat der Arzt den Patientenwillen anhand der Patientenverfügung festzustellen.
Er soll dabei Angehörige und sonstige Vertrauenspersonen des Patienten
einbeziehen, sofern dies ohne Verzögerung möglich ist. Trifft die
Patientenverfügung auf die aktuelle Behandlungssituation zu, hat der Arzt den
Patienten entsprechend dessen Willen zu behandeln. Die Bestellung eines
Betreuers ist hierfür nicht erforderlich.;
Entscheidungen, die im Rahmen einer Notfallsituation getroffen wurden, müssen
daraufhin überprüft werden, ob sie weiterhin indiziert sind und vom
Patientenwillen getragen werden.;
Soweit der Minderjährige aufgrund seines Entwicklungsstandes selbst in der Lage
ist, Bedeutung und Tragweite der ärztlichen Maßnahme zu verstehen und zu
beurteilen, steht ihm ein Vetorecht gegen ihre Durchführung zu, selbst wenn die
Sorgeberechtigten einwilligen. Davon wird ab einem Alter von 16 Jahren
regelmäßig ausgegangen.;
Willensbekundungen, in denen sich Patienten vorsorglich für den Fall des
Verlustes der Einwilligungsfähigkeit zu der Person ihres Vertrauens und der
gewünschten Behandlung erklären, sind eine wesentliche Hilfe für ärztliche
Entscheidungen.;
Der Arzt und der Vertreter haben stets den Willen des Patienten zu achten. Der
aktuelle Wille des einwilligungsfähigen Patienten hat immer Vorrang; dies gilt
auch dann, wenn der Patient einen Vertreter (Bevollmächtigten oder Betreuer)
hat. Auf frühere Willensbekundungen kommt es deshalb nur an, wenn sich der Patient
nicht mehr äußern oder sich zwar äußern kann, aber nicht einwilligungsfähig
ist. Dann ist die frühere Willensbekundung ein Mittel, um den Willen des
Patienten festzustellen.
(Deutsches Ärzteblatt, Jg.108, Heft 7, 18.2.2011, S.A346ff. - http://baek.de/page.asp?his=0.6.5048.5049 )
·
Ärztetag:
Ärzte dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten
„Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter
Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patienten auf deren
Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“ Der
Deutsche Ärztetag in Kiel hat diese Neuformulierung der (Muster-)Berufsordnung
(MBO) beschlossen (§16), um Ärztinnen und Ärzten mehr Orientierung im Umgang
mit sterbenden Menschen zu geben.;
Der Ärztetag forderte den weiteren Ausbau von Lehrstühlen für Palliativmedizin
an den medizinischen Fakultäten. Bereits seit gut zwei Jahren ist die
Palliativmedizin als Pflichtlehr- und Prüfungsfach im Medizinstudium
vorgeschrieben. Demzufolge müssen die medizinischen Fakultäten die Bedingungen
dafür schaffen, dass Palliativmedizin kompetent im Rahmen des in der
Approbationsordnung seit Juli 2010 verankerten Querschnittsfaches 13 gelehrt
und geprüft werden kann: „Dazu gehören auch das Erlernen der erforderlichen
kommunikativen Kompetenz in der Begegnung mit den Patienten und deren
Angehörigen, die Auseinandersetzung mit ethischen Fragen sowie die Arbeit im
multiprofessionellen Team und in institutionellen Netzwerken“, bekräftigte
Palliativmediziner Nauck.
(PM zum 114. Ärztetag, 1.6.2011, http://baek.de/page.asp?his=0.2.7535.9293.9347
)
·
Das Buch von
Karl Binding und Alfred Hoche: „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten
Lebens – ihr Maß und ihre Form“
erscheint 1922 im Felix-Meiner-Verlag in Leipzig in der 2. Auflage;
In einer Rezension in der Zeitschrift der Zentralstelle für Volkswohlfahrt heißt
es: „Hoffentlich finden die von hohem sittlichen Geiste und
Verantwortungsgefühl getragenen Anregungen der beiden Gelehrten allenthalben
Beachtung und führen zur befreienden Tat.“
·
In
den Niederlanden sind im vergangenen Jahr 3136 Fälle von aktiver Sterbehilfe
registiert worden. Das waren fast ein Fünftel mehr als 2009 …
2910 Menschen starben durch die Hilfe eines Arztes, bei 182 ging es um Hilfe
bei der Selbsttötung, 44 Fälle betrafen eine Kombination von beidem …
in 9 Fällen hätten Ärzte nicht sorgfältig gehandelt (das bezieht sich wohl auf eine Nichteinhaltung der im Gesetz
vorgeschriebenen „Sorgfaltskriterien“ JK) … diese seien dem Staatsanwalt
und der Gesundheitsbehörde übergeben worden. Seit 5 Jahren nimmt die Zahl der
Fälle in jedem Jahr zu
(Der Sonntag, Sachsen, 11.9.2011, S.14)
·
(Interview
mit der Palliativmediziner G.D. Borasio)
Atemnot … löst schwerste existenzielle Ängste aus … das wirksamste Medikament
dagegen ist das Morphin … Angesichts der vorhandenen Daten stellt die
Nichtbehandlung einer terminalen (in der
Sterbephase auftretenden JK) Atemnot mit Morphin eindeutig einen
Kunstfehler dar … Die Sorge, dass die Gabe von Morphin oder verwandten
Medikamenten bei Schwerstkranken Sucht auslösen oder den Tod beschleunigen
könnte, ist längst von der Wissenschaft widerlegt.
(DIE ZEIT, 10.11.2011, S.43)
·
Bericht über eine
Frau in Belgien, die im Zusammenhang mit aktiver Sterbehilfe ihre Organe
spendet;
… der Fall von Carine liegt besonders. Sie will nicht nur sterben, sondern auch
ihre Organe spenden. Deshalb verbringt sie ihre letzten Stunden in der Klinik
statt in der eigenen Wohnung. Carine wird die tödliche Injektion im
Operationssaal erhalten.
Carines Fall ist eine Weltpremiere. Nie zuvor haben Ärzte einen Patienten aktiv
getötet und ihm sofort danach Organe entnommen.
Von dieser Premiere soll die Welt allerdings vorerst nichts wissen. Die
beteiligten Ärzte vereinbaren Stillschweigen, als sie Carine am 29. Januar 2005
gegen 13.30 Uhr töten und ihr dann die Nieren, die Leber und die
Bauchspeicheldrüse entnehmen. Erst 2009 erscheint die erste Publikation über
diesen Fall – und drei weitere – in der medizinischen Fachpresse;
In den USA haben Chirurgen todgeweihten Neugeborenen 75 Sekunden nach dem
Herzstillstand die Herzen entnommen, um sie anderen Säuglingen zu
transplantieren. In Spanien bringen Rettungsteams Menschen, deren Lage
aussichtslos ist, in Kliniken, in denen sie unablässig weiter reanimiert werden
– um die Organe zu retten. In den Niederlanden wird bewusstlosen
Schwerstkranken gemäß ihrem mutmaßlichen Willen das Atemgerät abgeschaltet,
sodass Chirurgen wenige Minuten nach dem Herzstillstand die Organe entnehmen
können.
Warum sollten belgische Euthanasiepatienten nicht ihre Organe spenden dürfen,
wenn sie es doch wünschen? Von Carines Tod, versichert Wyffels der ZEIT, hätten
fünf Kinder profitiert. Vier Organe wurden entnommen, die Leber wurde geteilt.;
(Patrick Cras) ist Vorsitzender jener Ethikkommission an der Universitätsklinik
Antwerpen, die entscheiden musste, ob die weltweit erste Organentnahme nach
aktiver Sterbehilfe zulässig sei. Patiententötungen sind für ihn nichts
Ungewöhnliches. Rund 50-mal war er nach eigener Schätzung daran beteiligt.
Dennoch versichert er: »Euthanasie fühlt sich nicht richtig an für einen Arzt,
sie hinterlässt immer eine Narbe.«;
Aber darf man einen Menschen töten, der an seiner Behinderung verzweifelt? Das
belgische Euthanasiegesetz schließt diese Möglichkeit nicht aus. 2002 erklärte
Belgien als zweiter Staat der Welt nach den Niederlanden die Tötung auf Verlangen
unter bestimmten Umständen für straffrei. Auch Patienten, deren Tod nicht
absehbar ist, können Euthanasie beantragen. So starb 2008 der international
angesehene Schriftsteller Hugo Claus durch eine tödliche Injektion, weil er das
Fortschreiten seiner Alzheimer-Erkrankung nicht erleben wollte. Das Töten ist
bei einem Patienten, der nicht im Sterben liegt, allerdings an besonders
strenge formale Vorgaben gebunden. Er muss entscheidungsfähig sein,
unerträglich leiden, ohne Aussicht auf Besserung, und seinen Sterbewunsch
wiederholt äußern. Und all das muss von drei Ärzten geprüft werden – bei
Sterbenskranken nur von zwei;
Eigentlich müsste es eine Kontrolle gegen Missbrauch geben. Jeder
Sterbehilfefall in Belgien muss einer Kommission aus Ärzten, Krankenschwestern,
Psychologen und Juristen gemeldet werden, damit diese überprüfen kann, ob die
gesetzlichen Vorgaben eingehalten wurden. Doch nur jeder zweite Fall von
geschätzt 1.040 Fällen im Jahr 2007 wird der Kommission überhaupt bekannt, so
eine Untersuchung im Landesteil Flandern, die im angesehenen British Medical
Journal veröffentlicht wurde. Und bei 17 Prozent der gemeldeten Tötungen fehlt
sogar die schriftliche Einverständniserklärung des Patienten. Die Kommission
könnte zweifelhafte Fälle zur Ermittlung an die Staatsanwaltschaft
weiterleiten. Sie hat es nach Auskunft ihres Vorsitzenden in neun Jahren nicht
ein einziges Mal getan;
Der Hausarzt malt das Szenario aus: »Diese extrem reichen Menschen, die eine
Bauchspeicheldrüse brauchen, und dann ist da jemand, der ein passendes Organ
hat und nicht sterbenskrank ist... Vielleicht würden sie mir zehn Millionen
Euro zahlen, um den Patienten zu überreden, seine Organe zu spenden.«;
In Belgien wurden bislang acht Patienten nach einer Tötung auf Verlangen zu
Organspendern. Cras versichert der ZEIT, die Frage nach der Spende müsse stets
von den Patienten gestellt werden, nicht von den Ärzten;
Die belgischen Ärzte schätzen das Potenzial zusätzlicher Organspenden hoch ein.
2008 wurden 705 belgische Patienten auf ihren Wunsch hin getötet. 141 davon,
also rund ein Fünftel, hatten neuromuskuläre Erkrankungen – solche Patienten
wären als Organspender infrage gekommen.
(DIE ZEIT 20.10.2011 S.17ff. - http://www.zeit.de/2011/43/DOS-Euthanasie )
·
„Tödlicher
Hausbesuch“
In den Niederlanden betätigen Ärzte sich neuerdings als ambulante Sterbehelfer.
Betrieben werden die Teams vom größten Euthanasie-Verein der Welt.
Als die Niederlande vor zehn Jahren das Töten auf Verlangen straffrei stellten,
war das auch ein Triumph ihres Vereins. De Jong ist Direktorin der nach eigenen
Angaben größten Euthanasie-Vereinigung der Welt, der "Niederländischen
Vereinigung für ein freiwilliges Lebensende" (NVVE). Ihre Mitglieder propagieren
einen selbstbestimmten Tod - und diesem Ziel sind sie jetzt wieder einen
Schritt näher gekommen.;
Anfang März hat die NVVE die erste Sterbehilfeklinik der Welt eröffnet;
"Levenseindekliniek" lautet der Name - ein Platz fürs Lebensende. Sie
dient als Anlaufstelle für all jene Niederländer, die sterben wollen, aber
keinen Hausarzt haben, der bereit ist, ihnen dabei zu helfen. Zur Klinik
gehören ambulante Euthanasie-Teams, jeweils bestehend aus einem Mediziner und
einer Pflegekraft. Kommt ein Patient nach einer Prüfung seines Falls in Frage,
fährt das Team zu ihm nach Hause, um ihm zwei Medikamente zu spritzen - das
eine versetzt den Todeswilligen in einen tiefen Schlaf, das andere stoppt die
Atmung und führt so zum Tod.;
Irgendwann sollen in dem Haus Betten auch für Euthanasie-Patienten stehen. Doch
vor allem werden die Ärzte zu den Patienten kommen; denn die meisten
Niederländer ziehen es vor, zu Hause zu sterben.;
Über 3000-mal haben niederländische Ärzte im Jahr 2010 Sterbehilfe geleistet.
Rund dreimal so viele Patienten hatten darum gebeten - doch viele Hausärzte
lehnten den Wunsch ab.
Einige Mediziner sind aus religiösen oder ethischen Gründen gegen Euthanasie,
andere fürchten, es könnte etwas schieflaufen. Viele jedoch trauen sich kein
Urteil darüber zu, ob der Patient wirk-lich "unerträglich leidet",
wie es das niederländische Euthanasie-Gesetz vorschreibt.;
Die neue Klinik soll auch solchen Menschen, die nicht sterbenskrank sind, ihren
Todeswunsch erfüllen, sagt de Jong. Natürlich werde auch in der Sterbehilfeklinik
jeder Einzelfall geprüft, versichert die Ärztin. 16 Patienten hat sie in ihrer
Zeit als Medizinerin selbst getötet. Entscheiden sei immer schwer gewesen.;
Die Levenseindekliniek-Ärzte müssen zunächst die Krankenakte ihrer
todeswilligen Patienten einsehen. Dann sollen sie mit dem jeweiligen Hausarzt
Kontakt aufnehmen, um zu erfahren, warum dieser die Sterbehilfe ablehnt hat.
Sechs Teams arbeiten derzeit für die Klinik. Alle beteiligten Ärzte haben
bereits Erfahrung in der aktiven Sterbehilfe. Einen Tag pro Woche werden sie in
der Klinik arbeiten, die anderen Tage in ihrer eigenen Praxis. Höchstens einmal
im Monat sollen sie Sterbehilfe leisten.;
Doch von einer Klinik für Lebensmüde hat der Lobbyverein vorerst Abstand
genommen. Beihilfe zur Selbsttötung ist in den Niederlanden nur innerhalb der
Euthanasie-Kriterien erlaubt - im Unterschied zu Deutschland oder der Schweiz.
In der Schweiz dürfen Sterbebegleiter Lebensmüden legal ein tödliches
Medikament zur Verfügung stellen - so wie es auch der krebskranke deutsche
Fußballer und Trainer Timo Konietzka vergangene Woche zu sich genommen hat.;
Die NVVE-Mitarbeiter versuchen niemanden davon abzubringen, sich zu töten.
"Das ist nicht unsere Aufgabe", sagt de Jong, "das wäre
paternalistisch."
Die Anrufer bekommen vielmehr Informationen, wie ein Suizid möglichst sicher
gelingt. Mitglieder der Vereinigung erhalten ein Passwort, mit dem sie auf der
NVVE-Website eine Liste von Suizidmedikamenten studieren können. Die Mittel zum
sicheren Sterben sind allerdings nur im Ausland frei erhältlich, etwa im
benachbarten Belgien.
(Der Spiegel 12-2012 S.132ff. - http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-84430240.html
)
·
Wegen
der Tötung seiner jahrelang im Wachkoma liegenden Mutter muss ein 26 Jahre
alter Mann für drei Jahre ins Gefängnis. Er hatte beim Prozessauftakt
ausgesagt, dass er seine Mutter, die seit einem Reitunfall 2004 im Wachkoma
lag, durch den Tod „erlösen“ wollte. Eine Patientenverfügung gab es nicht. Anfang
des JAHRES ERSTICKTE ER SIE MIT EINEM Handtuch in einem Pflegeheim …
(Freie Presse Chemnitz 13.6.2012 S.8)
·
Niederlande:
Jährlich werden bei den entsprechenden Kommissionen rund 2500 Fälle von aktiver
Sterbehilfe gemeldet
(Der Sonntag, Sachsen, 12.2.2012 S.12)
·
(50ff.) Treue Hunde und edle Pferde,
mit denen wir jahrelang zusammen gelebt haben, und die wir lieben, töten wir
mit Recht, wenn sie in hohem Alter hoffnungslos erkrankt sind und von
schmerzlichen Leiden gepeinigt werden. Ebenso haben wir das Recht oder, wenn
man will: die Pflicht, den schweren Leiden unserer Mitmenschen ein Ende zu
bereiten, wenn schwere Krankheit ohne Hoffung auf Besserung ihnen die Existenz
unerträglich macht, und wenn sie uns selbst um „Erlösung vom Übel“ bitten. ...
Viele erfahrene Ärzte, die ihren schweren Beruf mit reiner Menschenliebe und
frei von dogmatischen Vorurteilen ausüben, tragen kein Bedenken, die schweren
Leiden von hoffnungslosen Kranken auf deren Wunsch durch eine Gabe Morphium oder
Zyankalium abzukürzen; tatsächlich wird ja vielfach durch einen solchen
plötzlichen schmerzlosen Tod nicht nur dem Notleidenden selbst, sondern auch
seiner mitleidenden Familie der größte Dienst erwiesen. Andere Ärzte hingegen,
und wohl die meisten Juristen, sind der Ansicht, dass diese Handlung des
Mitleids nicht erlaubt oder sogar ein Verbrechen sei: der Arzt habe die
Pflicht, unter allen Umständen das Menschenleben so lange als möglich zu
erhalten. Warum? …
Lebenserhaltung.
Als ein traditionelles Dogma müssen wir auch die
weitverbreitete Meinung beurteilen, dass der Mensch unter allen Umständen
verpflichtet sei, das Leben zu erhalten und zu verlängern, auch wenn dasselbe
gänzlich wertlos, ja für den schwer Leidenden und hoffnungslos Kranken nur eine
Quelle der Pein und der Schmerzen, für seine Angehörigen ein Anlass ständiger
Sorgen und Mitleiden ist. Hunderttausende von unheilbar Kranken, namentlich
Geisteskranke, Aussätzige, Krebskranke usw., werden in unseren modernen
Kulturstaaten künstlich am Leben erhalten und ihre beständigen Qualen
sorgfältig verlängert, ohne irgendeinen Nutzen für die selbst oder für die
Gesamtheit. Unter der Gesamtzahl der Bevölkerung von Europa befinden sich
mindestens zwei Millionen Geisteskranke, unter diesen mehr als 200000 Unheilbare.
Welche ungeheure Summe von Schmerz und Leid bedeuten diese entsetzlichen Zahlen
für die unglücklichen Kranken selbst, welche namenlose Fülle von Trauer und
Sorge für ihre Familien, welche Verluste an Privatvermögen und Staatskosten für
die Gesamtheit! Wie viel von diesen Schmerzen und Verlusten könnte gespart
werden, wenn man sich endlich entschließen wollte, die ganz Unheilbaren durch
eine Morphiumgabe von ihren namenlosen Qualen zu befreien! Natürlich dürfte
dieser Akt des Mitleids und der Vernunft nicht dem Belieben eines einzelnen
Arztes anheimgestellt werden, sondern müsste auf Beschluss einer Kommission von
zuverlässigen und gewissenhaften Ärzten erfolgen. Ebenso müsste auch bei
anderen unheilbaren und schwer leidenden Kranken (z.B. Krebskranken) die
„Erlösung vom Übel“ nur dann durch eine Dosis schmerzlos und rasch wirkenden
Giftes erfolgen, wenn sie ausdrücklich auf deren eigenen, eventuell gerichtlich
protokollierten Wunsch geschähe und durch eine offizielle Kommission ausgeführt
würde.
(159ff) Lebenswert der Menschenrassen.
Obgleich die bedeutenden Unterschiede in dem Geistesleben und Kulturzustande
der höheren und niederen Menschenrasen allgemein bekannt sind, werden sie doch
meistens sehr unterschätzt und demgemäß ihr sehr verschiedner Lebenswert falsch
bemessen. Das, was den Menschen so hoch
über die Tiere, auch die nächst verwandten Säugetiere, erhebt, und was seinen
Lebenswert unendlich erhöht, ist die Kultur, und die höhere Entwicklung der Vernunft,
die ihn zur Kultur befähigt. Diese ist aber größtenteils nur Eigentum der
höheren Menschenrassen und bei den niederen nur unvollkommen oder gar nicht
entwickelt. Diese Naturmenschen (z.B. Weddas, Australneger) stehen in
psychologischer Hinsicht näher den Säugetieren (Affen, Hunden) als dem
hochzivilisierten Europäer; daher ist auch ihr individueller Lebenswert ganz
verschieden zu beurteilen. Die Anschauungen darüber sind bei europäischen
Kulturnationen, die große Kolonien in den Tropen besitzen und seit
Jahrhunderten in engster Berührung mit Naturvölkern leben, sehr realistisch und
sehr verschieden von den bei uns in Deutschland noch herrschenden
Vorstellungen. Unsere idealistischen Anschauungen, durch unsere Schulweisheit
in feste Regeln gebracht und von unseren Metaphysikern in das Schema ihres
abstrakten Idealmenschen gezwängt, entsprechen sehr wenig den realen Tatsachen.
…
Der Abstand zwischen dieser denkenden Seele des Kulturmenschen und der
gedankenlosen tierischen Seele des wilden Naturmenschen ist aber ganz gewaltig,
größer als der Abstand zwischen der letzteren und der Hundeseele …
(160) Die fortgeschrittene Arbeitsteilung der sozialen Individuen einerseits,
die Zentralisation der Gesellschaft anderseits, befähigt den sozialen Körper zu
viel höheren Leistungen als den solitären und steigert seinen Lebenswert in
hohem Maße.
(163) Denn je weiter die Differenzierung der Stände und Klassen infolge der
notwendigen Arbeitsteilung im Kulturstaate geht, desto größer werden die
Unterschiede zwischen den hochgebildeten und ungebildeten Klassen der
Bevölkerung, desto verschiedener ihre Interessen und Bedürfnisse, also auch ihr
Lebenswert. Am größten erscheint dieser Unterschied natürlich dann, wenn man
den Blick zu den „führenden Geistern“ des Jahrhunderts oben auf den höchsten
Höhen der Kulturmenschheit erhebt und wenn man sie mit der Masse der niederen
Durchschnittsmenschen vergleicht, die tief unten im Tal ihren einförmigen und
mühseligen Lebenspfad mehr oder weniger stumpfsinnig wandeln.
(164) Für unsere Justiz ist der Wert jedes einzelnen Menschenlebens derselbe,
gleichviel, ob es ein Embryo von sieben Monaten ist oder ein neugeborenes Kind
(das noch kein Bewusstsein hat!), ein taubstummer Kretin oder ein hochbegabter
Genius.
(164) Subjektiver und objektiver Lebenswert. (Individuelle und generelle
Schätzung des Lebens).
Zunächst ist für jeden einzelnen Organismus sein individuelles Leben nächster
Zweck und höchster Wert. Daher rührt das allgemeine Streben nach
Selbsterhaltung … Diesem subjektiven Lebenswerte steht der objektive gegenüber,
der auf der Bedeutung des Einzelwesens für die Außenwelt beruht …
Daraus entsteht ein beständiger Kampf zwischen den Interessen der Einzelwesen,
die ihren besonderen Lebenszweck verfolgen, und denjenigen des Staates, für
dessen Zwecke dieselben nur Wert haben als Teile einer Maschine.
(Ernst Haeckel: Die Lebenswunder, Volksausgabe, Alfred Kröner Verlag Stuttgart,
1904-1906))
·
78%
der Menschen, die auf hospizliche oder palliative Begleitung angewiesen wären,
haben derzeit keinerlei Zugang zu entsprechenden Angeboten, und das, obwohl sie
einen Rechtsanspruch darauf haben. Nach der Deutschen Hospiz Stiftung betrifft
das jedes Jahr knapp 400.000 Menschen
(taz 3.3.2011 S.12)
·
Spezialisierte
Ambulante Palliativversorgung (SAPV)
Mit Wirkung zum 1. April 2007 hat der Gesetzgeber als individuellen
Leistungsanspruch die Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung in das
Sozialgesetzbuch V aufgenommen. Seitdem hat jeder Versicherte in Deutschland
das Recht auf diese neue Versorgungsform, die zum Ziel hat, auch solchen Patientinnen
und Patienten eine Versorgung und Betreuung zu Hause zu ermöglichen, die einen
besonders aufwändigen Betreuungsbedarf haben.
(http://www.dhpv.de/themen_sapv.html)
·
Freiwillig
und wohl überlegt
Eine "Lebensende-Klinik" will Patienten mit "aussichtslosem und
untragbarem Leiden" auf deren Wunsch im eigenen Heim töten. Die
niederIändische Initiative rechnet mit 1.000 Anfragen jährlich;
Niederländer, die ihr Leben beenden wollen, können sich ab 1. März bei einer
"Levenseindekliniek" melden. Voraussetzung ist, dass ihr
Euthanasie-Wunsch durch das geltende Gesetz gedeckt ist und der eigene Hausarzt
die Bitte um Sterbehilfe nicht erfüllen will.
Die Vereinigung für ein freiwilliges Lebensende (NVVE) in Amsterdam hat diese
Klinik initiiert. Petra de Jong, Direktorin der NVVE, erwartet, dass "etwa
1.000 Menschen jährlich" in der sogenannten Lebensendeklinik Hilfe suchen
werden.
Euthanasie und Hilfe bei der Selbsttötung ist prinzipiell strafbar in den
Niederlanden. Doch gilt seit April 2002 ein Gesetz, das Ärzte bei aktiver
Sterbehilfe von der Strafverfolgung freistellt, wenn bestimmte Kriterien
erfüllt sind und nachweislich sorgfältig gehandelt wird.
Sterbehilfe ist nur erlaubt bei einer freiwilligen, wiederholten, wohl
überlegten Bitte eines Patienten und nur, wenn der Patient an einer
klassifizierbaren Krankheit "unerträglich und aussichtslos leidet"
und wenn es keine Alternativen gibt. Ein zweiter Arzt ist hinzuzuziehen.
Die Beendigung des Lebens muss medizinisch sorgfältig durchgeführt werden. Der
Arzt muss Euthanasie melden. Eine Kommission überprüft später den Fall. Rund
2.300 Menschen sterben jährlich auf diese Weise. Krebs ist die Hauptursache für
aktive Sterbehilfe.;
Selbstverständlich könne sich jeder Arzt weigern, Sterbehilfe zu leisten. Aber
er solle dann dafür sorgen, dass der Kranke an einen Kollegen vermittelt wird.
(taz 20.2.2012 S.04)
·
Der
Jurist Jan Suyver hat Ärzte-Pfleger-Teams aufgebaut, die in den Niederlanden
als Sterbehelfer unterwegs sein werden;
taz: Herr Suyver, Sie haben ab März sechs mobile Teams aus einem Arzt und einer
Krankenschwester oder einem Krankenpfleger im Einsatz. Wie sieht die Arbeit
dieser Teams konkret aus?
Jan Suyver: Man kann eine Euthanasieanfrage per E-Mail oder telefonisch an
unser Büro in Den Haag richten. Erfüllt der Patient mit dem Wunsch um
Sterbehilfe die gesetzlichen Vorschriften, dann sucht ein Team den Patienten
auf.
Was geschieht dort?
Das Team führt so viele Gespräche wie nötig mit dem Patienten. Außerdem wird der
Klinikarzt das medizinische Dossier des Patienten einsehen und er wird Kontakt
zu dem Arzt suchen, der keine Euthanasie ausführen wollte, um die Gründe zu
erfahren. Sind die gesetzlichen Kriterien erfüllt, wird unser Arzt die
Sterbehilfe zu Hause beim Patienten ausführen.;
Wie ist es für die Pfleger und Ärzte
organisiert?
Die Ärzte und Pfleger arbeiten hier maximal einen Tag in der Woche. Dies in
Vollzeit zu tun, finden wir nicht zu verantworten.;
Erwarten Sie Proteste gegen die Klinik?
Nein. Wir haben das Euthanasiegesetz seit zehn Jahren und das Gesetz
funktioniert gut. Ich möchte betonen, dass wir eine zusätzliche Möglichkeit
binnen des Gesetzes anbieten.
(taz 20.2.2012 S.04)
·
Aktiv
töten ist verboten
RECHTSLAGE Was dürfen Ärzte in Deutschland?
Unter Sterbehilfe fallen Handlungen, die von der Hilfe und Unterstützung
während des Sterbeprozesses bis hin zur aktiven Tötung Schwerstkranker reichen.
Unterschieden wird zwischen:
Beihilfe zur Selbsttötung - also
etwa das Besorgen eines Stricks, einer Anleitung zur Selbsttötung oder eines
tödlichen Medikaments, das der Sterbende sodann selbst und ohne fremde Hilfe
einnimmt. Diese Beihilfe ist in Deutschland straffrei. Die Logik dahinter: Weil
der Suizid nicht verboten ist, kann auch die Hilfe zum Suizid nicht bestraft
werden. In der Praxis ist es für Sterbewillige jedoch oft unmöglich, sich diese
Beihilfe zu organisieren. Denn wer beabsichtigt, sich mit einem sanften, aber
effizient wirkenden Medikament - etwa Natriumpentobarbital - selbst zu töten,
muss erst mal einen Arzt finden, der bereit ist, ihm dieses Medikament zu
verordnen.
Und das ärztliche Standesrecht,
zuletzt 2011 aktualisiert in der Berufsordnung der Ärzte, ist in dieser Frage
kompromisslos: Danach dürfen Ärzte keine Hilfe zur Selbsttötung leisten. Andernfalls
müssen sie mit hohen Geldbußen rechnen.
Daneben gibt es den ärztlichen
Behandlungsabbruch auf Verlangen des Patienten - dieses
Selbstbestimmungsrecht wurde 2010 durch ein Grundsatzurteil des
Bundesgerichtshofs gestärkt: Danach rechtfertigt eine Einwilligung des
Patienten, etwa in Form einer schriftlichen Patientenverfügung oder mündlichen
Erklärung, sowohl das Unterlassen lebenserhaltender Maßnahmen als auch die
aktive Beendung einer nicht mehr gewollten Therapie.
Ebenfalls straffrei sind das Ausschalten
von Geräten sowie das Verabreichen schmerzstillender Medikamente, die das
Leben nicht vorsätzlich verkürzen.
Verboten dagegen ist nach § 216 Strafgesetzbuch in Deutschland die aktive Sterbehilfe, also die gezielte
Herbeiführung des Todes durch aktives Handeln eines Dritten, etwa durch
Verabreichung einer Überdosis Schmerzmittel, selbst wenn dies dem expliziten
Wunsch des Sterbenden entspricht. Diese sogenannte Tötung auf Verlangen wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis
zu fünf Jahren bestraft.
Weltweit erlaubt ist aktive Sterbehilfe unter bestimmten Bedingungen lediglich
in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg. In der Schweiz ist aktive
Sterbehilfe - wie in Deutschland - verboten. Allerdings ist das ärztliche
Berufsrecht dort liberaler als in Deutschland.
(taz 20.2.2012 S.04)
·
Ärztlich
assistierter Suizid nach Urteil erlaubt
Der Berliner Arzt Uwe-Christian Arnold darf in besonderen Fällen Todkranken
beim Selbstmord helfen. Das stellte jetzt das Verwaltungsgericht Berlin fest.
Ein entsprechendes Verbot der Berliner Ärztekammer aus dem Jahr 2007 sei
rechtswidrig, urteilten die Richter gestern. Arnold darf einem Todkranken damit
Medikamente geben, die sicher und schmerzlos zum Tod führen. Voraussetzung ist
aber, dass er als Arzt eine lange und enge persönliche Beziehung zu dem Kranken
aufgebaut hat. Der Todeswillige müsse außerdem "unerträglich und
irreversibel" an einer Krankheit leiden, heißt es in dem Urteil.
Alternative Formen der Leidensminderung dürften nicht ausreichend zur Verfügung
stehen. Das Gericht betonte, dass der ärztlich assistierte Suizid nur in
Ausnahmefällen zulässig sei. Gesunden und psychisch Kranken dürfe nicht bei der
Selbsttötung geholfen werden. Uwe-Christian Arnold war damals Vizevorsitzender
der Sterbehilfsorganisation Dignitas Deutschland und kündigte in Interviews
(auch mit der taz) die Schaffung von Präzedenzfällen an. (Az.: VG 9 K 63.09)
(taz)
(taz 3.4.2012 S.02)
·
Der
selbst gewählte Tod – Warum mein Vater den Weg der Sterbehilfe genommen hat
(ZEIT 9.8.2012 S.33 - http://www.zeit.de/2012/33/Sterbehilfe
)
·
Diskussion
zum Gesetzentwurf gegen gewerbliche Sterbehilfe;
Soll künftig auch die Beihilfe verboten werden?
Nein, Beihilfe zur Suizidhilfe, auch zur gewerblichen, soll straffrei bleiben.
Dies soll für Angehörige, Lebenspartner, lange Hausgenossen und nahe Freunde
gelten. Nach dem Entwurf sollen aber auch Ärzte oder Pflegekräfte Beihilfe
leisten können, „wenn eine über das rein berufliche Verhältnis hinausgehende, länger
andauernde persönliche Beziehung entstanden ist“
(Freie Presse Chemnitz 2.8.2012 S.4)
·
Kirche
gegen Justizministerin
SUIZID Leutheusser-Schnarrenberger will "gewerbliche Förderung der
Selbsttötung" unter Strafe stellen, die Beihilfe von Angehörigen hierzu
aber straflos lassen. Nun tobt eine teils unsachliche Debatte
FREIBURG taz | Union und katholische Kirche kritisieren weiter den
Gesetzentwurf von Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zur
Strafbarkeit der gewerblichen Suizidhilfe. "Es darf keine Straffreiheit
für die Behilfe zur Tötung geben", sagte CSU-Sozialpolitiker Norbert Geis.
"Man kann nur hoffen, dass sich der Entwurf nicht im Kabinett
durchsetzt", erklärte ein Sprecher der katholischen Bischofskonferenz.
Die Diskussion krankt daran, dass kaum zwischen aktiver Sterbehilfe und Hilfe
zum Selbstmord unterschieden wird. Bei der aktiven Sterbehilfe wird ein anderer
getötet, zum Beispiel durch die Giftspritze eines Arztes. Dies ist als
"Tötung auf Verlangen" strafbar. Daran soll sich nichts ändern.
Beim Selbstmord führt der Sterbewillige dagegen den Tod selbst herbei, zum
Beispiel indem er ein Medikament schluckt, das ihm ein anderer besorgt hat. Der
Selbstmord ist straflos, ebenso bisher die Hilfe zum Selbstmord. Doch letzteres
soll geändert werden.
Die Justizministerin schlägt einen neuen Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch vor:
"Wer absichtlich und gewerbsmäßig einem anderen die Gelegenheit zur
Selbsttötung gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis
zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." Sie setzt damit eine Vorgabe
des schwarz-gelben Koalitionsvertrags von 2009 um.
Dieser zielte auf den deutschen Ableger des Schweizer Vereins Dignitas, der
Kontakte in die Schweiz vermittelt. Dort ist die Rechtslage liberaler, weil
Ärzte Todkranken milde lebensbeendende Medikamente verschreiben dürfen. Solche
Aktivitäten, die Hilfe zum Selbstmord als normale Dienstleistung erscheinen
lassen, mit der die Helfer sogar Geld verdienen, sollen künftig strafbar sein.
Nicht verboten wäre weiterhin die altruistische Hilfe zum Selbstmord, etwa aus
Mitleid mit einem Angehörigen.
Nach einem ersten Referentenentwurf aus dem März wären Angehörige jedoch
bestraft worden, wenn sie dem Sterbewilligen nicht selbst helfen, sondern ihn
in die Schweiz zu Dignitas fahren oder ihm nur die Adresse geben. Deshalb
schränkt die neueste Fassung des Gesetzentwurfs nun ein: "Ein nicht
gewerbsmäßiger Teilnehmer ist straffrei, wenn der in Absatz 1 genannte
[Sterbewillige] sein Angehöriger oder eine andere ihm nahestehende Person
ist."
An diesem Absatz entzündet sich nun die Kritik. Die Kritiker tun so, als ob es
hier um eine Liberalisierung geht. Tatsächlich wird nur die zusätzliche
Strafbarkeit eingeschränkt.
(taz 3.8.2012 S.05)
·
Kritik
an Reform zur Sterbehilfe
GESETZ Experten rügen: Entwurf geht zu weit
BERLIN taz/dpa | Die geplante Neuregelung der Sterbehilfe bleibt umstritten.
Der vom Justizministerium vorgelegte Entwurf wird von Experten kritisiert. Es
geht vor allem um den Personenkreis, dem Sterbehilfe erlaubt sein soll. Nach
dem Entwurf soll gewerbliche Sterbehilfe künftig mit bis zu drei Jahren Haft
bestraft werden. Nur Ärzte und Pfleger, die dem Betroffenen besonders
nahestehen, sollen im Ausnahmefall straffrei bleiben.
(taz 4./5.8.2012 S.05)
·
Kein
Recht auf milden Suizid
MENSCHENRECHTE Deutscher Witwer hat in Straßburg einen Teilerfolg erzielt: Er
darf in Deutschland klagen, um die Beihilfe zur Selbsttötung zu erleichtern. In
der Sache wurde er aber nicht unterstützt
FREIBURG taz | Eine lebensmüde Patientin hat keinen Anspruch auf die Gewährung
von Selbstmordmedizin. Das entschied jetzt der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte in Straßburg. Allerdings dürfen deutsche Gerichte die Prüfung
dieser Frage nicht einfach verweigern, nur weil die Frau inzwischen tot ist und
der Witwer die Klage fortführt.
Der Fall Bettina Koch war dramatisch. Die Frau stürzte im April 2002 beim
Ausladen ihres Autos und brach sich den Nacken. Seither konnte die
Hundepflegerin nur noch den Kopf bewegen. Das Herz trieb ein Herzschrittmacher,
im Magen ernährte sie eine Sonde und künstlich beatmet wurde sie auch. Trotz
der Lähmung spürte sie am ganzen Körper Schmerzen.
Die Ärzte aber erklärten, ihr Zustand sei stabil und sie habe noch viele Jahre
zu leben. Da beschloss Bettina Koch, dass sie sich selbst das Leben nehmen
will. Sie stellte beim Bundesamt für Arzneimittel in Bonn den Antrag auf Abgabe
einer tödlichen Dosis Natrium-Pentobarbital. Das Narkosemittel führt nach
Angaben von Experten zu einer Art "natürlichem Einschlafen".
Doch das Bundesamt lehnte Kochs Antrag unter Berufung auf das
Betäubungsmittelgesetz ab. Die Vernichtung von Leben sei im Gesetz nicht
vorgesehen. Also ließ sich Bettina Koch im Februar 2005 in die Schweiz fahren,
begleitet von Mann und Tochter. Dort ging sie dann mit Hilfe der Schweizer
Organisation Dignitas in den Freitod - mit Natrium-Pentobarbital, das dort an
lebensmüde Schwerstkranke verschrieben werden darf.;
Wie erwartet, hat sich der Europäische Gerichtshof in Straßburg in dieser Sache
ganz zurückgehalten. Die Richter betonen, dass es bisher keinen Konsens in
Europa gebe. Es sei deshalb Sache der Nationalstaaten und ihrer Gerichte, über
die Zulässigkeit der Hilfe zum Selbstmord zu entscheiden.
Tatsächlich geht die Tendenz eher in die andere Richtung: Nach einer
Untersuchung des Gerichtshofs ist es derzeit nur in 4 von 42 untersuchten
europäischen Staaten erlaubt, Patienten ein Medikament zum Zweck der
Selbsttötung zu verschreiben. Gemeint sind die Schweiz, Belgien, Niederlande
und Luxemburg. Die meisten Staaten verbieten jede Hilfe zum Selbstmord.
Deutschland ist also noch relativ liberal. Bei uns wird private Hilfe zum
Selbstmord nicht bestraft. Allerdings dürfen Ärzte und Apotheker nicht daran
mitwirken.
(taz 20.7.2012 S.07)
·
"Gute
Arbeit soll bezahlt werden"
FREITOD Ludwig Minelli, Chef der Suizidhilfe-Organisation Dignitas, erklärt die
Kosten eines Freitods. Von dem in Deutschland geplanten Vermittlungsverbot will
er sich nicht bremsen lassen. Es stärke gar seine Organisation
INTERVIEW
taz: Herr Minelli, was kostet mich ein Freitod in der Schweiz?
Ludwig Minelli: Das sage ich Ihnen gerne. Doch zuerst muss ich klarstellen:
Dignitas bietet in erster Linie Lebenshilfe. Nur wenn das nicht passt, kommt
ein Suizid in Frage.
Was heißt das konkret?
Wenn uns jemand sagt: "Ich will sterben", dann fragen wir: "Was
ist Ihr Problem?" Dann reden wir darüber. Meist finden wir eine Lösung.
Von vielen Anrufern hören wir nie wieder etwas. Dignitas kann Menschen helfen,
die keine andere Beratungsstelle erreicht.;
A propos "kommerzielle Interessen": Was kostet mich also ein Freitod
in der Schweiz?
Sie werden bei Dignitas Deutschland Mitglied: Aufnahmegebühr 95 Euro,
Jahresbeitrag 196 Euro. Vorbereitung einer Freitodbegleitung in der Schweiz:
3.000 Schweizer Franken [rund 2.500 Euro], Durchführung: noch einmal 3.000
Franken. Hinzu kommen Pauschalen von insgesamt 4.500 Franken [rund 3.750 Euro]
für Arzt, Behörden, Bestatter, Krematorium. Bedürftigen erlassen wir die
Beiträge teilweise oder ganz.
Warum trennen Sie zwischen Vorbereitung und Durchführung der Freitodbegleitung?
Vielen unserer Mitglieder genügt letztlich das "provisorische grüne
Licht". Dann müssen sie nicht mehr weiterleben. Plötzlich fällt eine
zentnerschwere Last von ihnen ab. Und viele können nun - selbstbestimmt -
wieder das Leben bejahen.;
Wie viele Mitglieder hat Dignitas?
Es sind knapp 6.400 Mitglieder, davon rund 2.700 Deutsche.
Und wie viele Mitarbeiter?
In Zürich haben wir 18 Teilzeitkräfte, also rund 10 Stellen. In Hannover
arbeiten drei Teilzeitbeschäftigte.
Gibt es ehrenamtliche Helfer?
Nein. Gute Arbeit soll auch gut bezahlt werden.;
Außerdem ist Dignitas bislang nicht als gemeinnützig anerkannt, weil wir
angeblich so umstritten sind.
Warum angeblich?
Tatsächlich haben wir ja großen Rückhalt in der Bevölkerung. Letztes Jahr gab
es im Kanton Zürich eine Volksabstimmung über die Suizidbegleitung. Der Antrag
auf ein Verbot wurde mit 85 Prozent der Stimmen abgelehnt. Ein zweiter Antrag,
der nur die Sterbebegleitung von Ausländern verbieten wollte, wurde ebenfalls
ganz deutlich mit 78 Prozent abgelehnt.
In der Schweiz ist die Beihilfe zum Suizid strafbar, wenn sie aus
"selbstsüchtigen Gründen" erfolgt. Wie oft wurden Sie bereits
verurteilt?
Nie! Es gab nicht einmal ein Ermittlungsverfahren. Die Strafvorschrift zielt
nicht auf organisierte Sterbebegleitung, sondern auf Verwandte, die die
Großtante zum Selbstmord verleiten, weil sie schneller erben wollen.;
Wie viele Suizide hat Dignitas seit der Gründung begleitet? Wie viele davon
betrafen Deutsche?
Etwa 1.400 Freitodbegleitungen, davon etwa 800 Deutsche. Wir haben Mitglieder
in 74 Ländern der Erde.;
Schweiz
Rechtslage: Auch in der Schweiz ist die Suizidhilfe grundsätzlich
straffrei. Anders als in Deutschland dürfen Ärzte an Kranke, die einen festen
Todeswunsch haben, jedoch das Medikament Natrium-Pentobarbital verschreiben,
das einen sicheren und milden Freitod ermöglicht.
Betreuer 1: Die Organisation Exit wurde 1982 gegründet und hat rund 60.000
Mitglieder. Jährlich werden rund 300 Mitglieder in den Freitod "begleitet".
Die Organisation nimmt nur Schweizer als Mitglieder auf.
Betreuer 2: Dignitas hat sich 1998 nach Personalquerelen von Exit abgespalten.
Dignitas nimmt auch Ausländer als Mitglieder auf. Im Jahr 2011 wurden 160
Freitodbegleitungen durchgeführt. In 74 Fällen starben dabei Deutsche. 2006
wurde Dignitas Deutschland als eigener Verein gegründet, der bisher keine
eigenen Freitodbegleitungen durchführt. (chr)
(taz 16.8.2012 S. 03)
·
Rezept
für den Tod
Der Bundesärztepräsident will jegliche Hilfe beim Suizid verbieten lassen. Doch
viele Mediziner wollen selbst entscheiden, wie sie mit Todkranken umgehen.;
Die geplante Regelung soll unterbinden, dass mit der Beihilfe zum Suizid
Geschäfte gemacht werden. Kommerzielle Sterbefirmen und -vereine wie die
Schweizer Organisation Dignitas, die gegen Gebühr tödliche Medikamente
besorgen, würden sich demnach in Deutschland strafbar machen. In diesem Ziel
sind sich auch fast alle einig.
Der Streit dreht sich lediglich um eine kleine Passage in der Begründung zum
Gesetzentwurf. Demnach sollen "Ärzte oder Pflegekräfte" bei einem
assistierten Suizid straffrei bleiben, "wenn eine über das rein berufliche
Verhältnis hinausgehende, länger andauernde persönliche Beziehung" zum
Patienten entstanden sei. Das könnte bedeuten: Wenn der gute, alte Hausarzt es
billigt, dass sein Patient Medikamente für eine tödliche Dosis hortet, würde er
dafür nicht strafrechtlich belangt werden - das ist allerdings auch nach der
geltenden Gesetzeslage schon so.
Die künstliche Aufregung zeigt, wie sehr die Ärztefunktionäre um Montgomery
fürchten, die Deutungshoheit in Sachen Sterbeethik zu verlieren. Dabei stellen
sich die moralischen Fragen vor allem praktizierenden Medizinern, die Tag für
Tag mit todkranken Menschen konfrontiert sind. Jeder dritte Arzt ist schon um
Hilfe beim Suizid gefragt worden. Und 3,3 Prozent von 483 befragten Medizinern
hatten schon 2008 in einer SPIEGEL-Umfrage angegeben, bei einem Suizid geholfen
zu haben.
Als die Delegierten auf dem vorvergangenen Ärztetag über die Hilfe zur Selbsttötung
abstimmten, waren immerhin 28 Prozent gegen ein Verbot oder enthielten sich der
Stimme. Bis heute haben nicht alle Landesärztekammern die damals verabschiedete
Muster-Berufsordnung übernommen. Den Satz, wonach Ärzte keine Hilfe zur
Selbsttötung leisten dürfen, hat die Kammer Westfalen-Lippe abgeschwächt. Statt
"dürfen keine" heißt es "sollen keine".;
(Spiegel 32-2012 S.114)
·
Belgien
fasst die Möglichkeit der Sterbehilfe für Minderjährige ins Auge. Es gehe dabei
ausschließlich um extreme Fälle, versicherte die regierende Sozialistische
Partei (PS), bevor ihr Senator Philippe Mahoux den Vorschlag ins belgische
Parlament einbrachte. Vorgesehen ist demnach, die Tötung von unter 18-Jährigen
zu erlauben, wenn drei Bedingungen erfüllt sind: Die Betroffenen besitzen
"Urteilsfähigkeit", sind "unheilbar krank" und leiden unter
"unstillbaren Schmerzen". Sterbehilfe ist in Belgien seit 2002
erlaubt. Im vergangenen Jahr wurden 1.133 Fälle registriert.
(taz 21.12.2012 S.18)
·
Die
Hilfe zur Selbsttötung wird nun doch nicht bestraft. Die Koalition von Union
und FDP kann sich nicht einigen, wie weit das Verbot gehen soll, und gibt das
Projekt deshalb vorerst auf.;
Bislang ist die Beihilfe zur Selbsttötung in Deutschland straflos, weil auch
der Suizid selbst keine Straftat ist. Wer einem Sterbewilligen zum Beispiel ein
tödliches Medikament besorgt, bleibt straffrei. Entscheidend ist, dass der
Sterbewillige selbst das Medikament einnimmt. Als aktive Sterbehilfe ist nur
strafbar, wenn eine andere Person das tödliche Medikament einträufelt oder mit
einer Spritze verabreicht.
Ein Gesetzentwurf von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP)
sah nun vor, das Strafrecht zu verschärfen. Die "Förderung der
Selbsttötung" sollte mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder
einer Geldstrafe bestraft werden, sofern sie "gewerbsmäßig" erfolgt.
Dazu sollte es schon genügen, wenn etwa gewerbsmäßig Kontakte zu
Suizidhilfe-Organisationen in der Schweiz vermittelt werden. Das schwarz-gelbe
Kabinett hatte dem Entwurf zugestimmt.
Einer Mehrheit in der CDU-Fraktion ging dies aber nicht weit genug. Sie wollten
schon die "geschäftsmäßige", also regelmäßige Hilfe zur Selbsttötung
bestrafen. So sollte verhindert werden, dass Organisationen wie Dignitas oder
Sterbehilfe Deutschland von Roger Kusch weiter arbeiten können, indem sie zum
Beispiel nur die Erstattung von Kosten verlangen. Auch die Kirchen und
Ärzte-Organisationen verlangten eine Verschärfung des Regierungsentwurfs.
Die Justizministerin lehnte das ab. Für sie ist die Verschärfung des
Strafrechts ohnehin "keine Herzensangelegenheit", wie sie betonte.
Sie konnte sich darauf berufen, dass im Koalitionsvertrag nur die Bestrafung
"gewerbsmäßiger" Suizidhilfe vorgesehen ist.
Weil sich die Koalitionspolitiker nicht einigen konnten, wird das
Strafgesetzbuch nun gar nicht geändert. Das heißt, die organisierte Hilfe zur
Selbsttötung bleibt in Deutschland bis auf weiteres straffrei.
(taz 10.5.2013 S.6)
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STRASSBURG
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Schweiz zur
Klärung ihrer Rechtsregeln über die Sterbehilfe aufgefordert. Das Schweizer
Recht, das den Erwerb eines tödlichen Medikaments auf Rezept grundsätzlich
gestattet, enthalte keine ausreichend klaren Kriterien, wann der Erwerb
rechtmäßig sei, hieß es in dem Urteil am Dienstag. Geklagt hatte eine
82-Jährige, die nicht todkrank war. Die Behörden hatten ihr keine Erlaubnis zum
Erwerb eines tödlichen Medikaments gegeben.
(taz 15.5.2013 S.10)
·
Vermutlich
spricht Udo Reiter, 69, vielen Menschen aus dem Herzen: „Ich freue mich meines
Lebens und möchte, solange es irgend geht, dabei sein. Aber wenn es nicht mehr
geht, möchte ich nicht in einer Weise abtreten, die ich quälend finde und die
meiner bisherigen Lebensweise unwürdig ist.“ Er will sich dann keine Plastiktüte
über den Kopf ziehen oder sich auf Schienen legen müssen. Der ehemalige
MDR-Intendant wünscht sich, so schreibt er in seiner Autobiografie, dies: einen
tödlichen Cocktail – „als letzte Leistung unserer Krankenkasse“.
Diesen Notausgang wünschen sich in Umfragen mehr als die Hälfte der Deutschen:
eine ärztlich begleitete Selbsttötung als Ausweg bei schwerem Leiden;
Deshalb sollen hier ganz nüchtern ein paar Fragen geklärt werden. Fragen wir
zunächst die Münchner Fachanwältin für Medizinrecht Beate Steldinger, was
wirklich erlaubt und was verboten ist:
Ist es eine Straftat, sich das Leben zu nehmen?
Beate Steldinger: Nein. Das Strafgesetzbuch verbietet nur, einen anderen
Menschen zu töten. Dazu gehört auch die Tötung auf Verlangen. Strafrechtlich
gesehen darf man sich selbst töten.
Weil die Haupttat nicht strafbar ist, ist auch die Beihilfe nicht strafbar. Der
Suizident muss die letzte Handlung jedoch selbst vornehmen, und er muss dabei
freiverantwortlich handeln – er darf also nicht so psychisch krank sein, dass
die freie Willensbildung eingeschränkt ist.
Muss ich ihn retten, sobald er ohnmächtig geworden ist?
Wenn er zuvor deutlich gemacht hat, am besten schriftlich, dass er nicht
gerettet werden will, und er diese Entscheidung freiverantwortlich getroffen
hat – dann machen Sie sich nicht strafbar, wenn Sie den Notarzt nicht rufen.;
Das ist die Rechtslage in Deutschland. Nun will die Bundesregierung die
Freiheit einschränken. Damit Bürgerinnen und Bürger nicht durch organisierte
Suizidhelfer zur Selbsttötung „verleitet“ werden.
Gemeint ist damit vor allem der Verein „Sterbehilfe Deutschland“, gegründet vom
ehemaligen Hamburger Justizsenator Roger Kusch, der seit 2008 Suizidbeihilfe
anbietet – bis vor kurzem gegen Tausende von Euro, seit neuestem aber erstattet
der Verein im Falle eines Suizids den Erben die Vereinsbeiträge zurück; und
gemeint ist auch der Schweizer Verein Dignitas (mit Büro in Hannover), der den
Suizid mit tödlichen Substanzen für rund 8000 Euro organisiert, inklusive
Einäscherung.
Etwa 100 Deutsche pro Jahr lassen sich beim Suizid von Dignitas oder
Sterbehilfe unterstützen. Zum Vergleich: Etwa 10 000 Menschen in
Deutschland nehmen sich jedes Jahr das Leben. Die Hälfte erhängt sich.
Zweithäufigste Methode ist das Vergiften. Sie sterben allein. Ein Verbot der
organisierten Suizidbeihilfe würde sie nicht retten.
Käme ein Verbot jeglicher irgendwie organisierter Suizidbeihilfe, dann wäre es
nur noch „Nahestehenden“ erlaubt, jemanden bei der Selbsttötung zu
unterstützen. Auch die langjährig vertraute Ärztin oder der einzelne Arzt, der
nicht mit einem Suizidhilfeverein zusammenarbeitet, blieben wohl straffrei wie
bisher.
Immerhin kann sich in Befragungen mehr als ein Drittel der Ärzte vorstellen,
Schwerstleidenden beim Suizid zu helfen. Und, besonders interessant: Fast die
Hälfte würde sich bei eigenem Leiden diese Hilfe von Kollegen wünschen.
Dürften die das? 2011 beschloss der Ärztetag eine neue Muster-Berufsordnung,
in der steht, dass Ärzte keine Hilfe zur Selbsttötung leisten dürfen. Doch
verbindlich sind nur die Berufsordnungen, die die Landesärztekammern erlassen.
Längst nicht alle haben den Verbotssatz übernommen. Bayern und
Baden-Württemberg etwa haben ihn einfach gestrichen. Und in Berlin gewann
vergangenes Jahr der Arzt Uwe-Christian Arnold gegen seine Ärztekammer. Das
Verwaltungsgericht sagte: Die Ärztekammer kann Suizidbeihilfe nicht pauschal
verbieten, denn ein Arzt muss seinem Gewissen folgen dürfen. Womöglich also bei
unerträglichen Schmerzen einen sicheren und schmerzlosen Suizid ermöglichen.
Aber hilft da nicht die Palliativmedizin? Fragen wir Christof Müller-Busch,
Professor für Palliativmedizin:
Können Sie mir garantieren, dass ich am Lebensende nicht entsetzlich leiden
muss?
Christof Müller-Busch: Nein, garantieren kann ich es Ihnen nicht, weil es ja
auch seelisches Leid gibt und das Lebensende auch mit Leid verbunden ist. Aber
es muss nicht entsetzlich sein. Wir haben durch die Palliativmedizin inzwischen
viele sehr gute Möglichkeiten, vor allem die körperlichen Symptome – etwa
Schmerzen, Atemnot, Übelkeit – so zu lindern, dass sie erträglich sind.
Alle Schmerzen?
95 Prozent können wir mit Schmerzmitteln lindern. Oft sind Schmerzen gar nicht
das belastendste Symptom. Die Patienten leiden viel stärker an ihrer Schwäche
und der Erschöpfung, die zum Tode führende Erkrankungen begleiten.
Und was ist mit den restlichen fünf Prozent?
Bei diesen Patienten, die ihr Leiden so unerträglich finden, können wir durch
eine palliative Sedierung mit Beruhigungsmitteln und anderen Medikamenten das
Bewusstsein so dämpfen, dass die Schmerzen nicht mehr wahrgenommen werden. Man
kann diese palliative Sedierung unterschiedlich tief und auch wieder rückgängig
machen.
Klingt wunderbar: im Schlaf zu sterben.
Ja. Aber viele Menschen in Todesnähe, vor allem ältere, möchten am Ende gar
nicht tief sediert werden. Sie möchten lieber dem Tod ins Auge sehen. Sie
möchten dabei sein.
Wann vor dem Tod beginnen Sie eine palliative Sedierung?
Rückblickend waren es meist zwei, drei Tage, manchmal auch mehr als zehn Tage
vor dem Tod.;
Das klingt doch alles beruhigend. Nur: Palliativstationen sind zuständig für
Menschen mit absehbarem Tod. Relativ gut abschätzen lässt sich die verbleibende
Zeit bei fortgeschrittenen Krebserkrankungen. Deshalb sind rund 90 Prozent der Patienten
auf Palliativstationen Krebskranke. Bei Menschen mit Herzleiden, Parkinson oder
multipler Sklerose ist der Verlauf mit seinem Auf und Ab schwer einzuschätzen.
Diese Patienten kommen selten auf Palliativstationen oder in Hospize. Dabei
leiden viele dieser Kranken ebenfalls. Vor allem alte Menschen, die mehrere
Krankheiten haben – wo die Medikamente gegen die eine Krankheit dann wieder
andere Organe beeinträchtigen. Viel zu wenige Ärzte und Ärztinnen kennen sich
aus mit der lindernden Medizin für Alte, also der palliativen Geriatrie.
Da klaffe eine große Versorgungslücke, sagt Gita Neumann. Die Psychologin ist
Lebensberaterin beim Humanistischen Verband in Berlin, einer Organisation
Konfessionsloser. Sie berät viele kranke Mitglieder.
Gita Neumann: Versuchen Sie mal, einen Menschen mit unbeherrschbaren Schmerzen
wegen Gelenkrheuma oder Osteoporose auf einer Palliativstation unterzubringen
oder gar im Hospiz bis zum Lebensende umsorgen zu lassen! Für die gibt es
nichts, nur das Pflegeheim, und von dort kann man laut Sozialgesetzbuch V § 39a
nicht mehr in ein Hospiz. Der Kontrast zwischen dem De-luxe-Aufenthalt dort für
ein Prozent der Bevölkerung und der allgemeinen Versorgung für die vielen ist
zu groß.
Ein Sterben ohne Schmerzen ist also möglich, aber...
Genau: Ein Sterben ohne Schmerzen ist möglich, da kann ja sediert werden, aber
ein Leben ohne Schmerzen kann Ihnen keiner versprechen. Da müssten Sie schon
todkrank sein.;
Dass einen ausgerechnet die Verfügbarkeit einer Suizidmethode im Leben hält, ist
vielfache Erfahrung. Anhand von Daten des Vereins Dignitas ergab eine
Diplomarbeit: Von 100 Menschen, die provisorisch „grünes Licht“ bekommen hatten
– es stand noch ein Arztbesuch aus – meldeten sich 70 nie wieder. Mit anderen
bestand ein längerer Kontakt, sie nahmen die Suizidbeihilfe am Ende aber nicht
in Anspruch. 13 ließen sich tatsächlich ein Rezept ausstellen.
Manchen mag die Gewissheit eines Notausgangs helfen, es noch eine Zeit lang
auszuhalten. Andere werden durch Nahestehende im Leben gehalten. Aber manchmal
ringen die vergeblich.
Der Hamburger Krankenhausseelsorger Michael Brems hatte Betina K. fast drei
Jahre lang begleitet. Sie war als 51-Jährige gestürzt und seitdem vom Kopf
abwärts gelähmt. Während viele andere Hochquerschnittgelähmte irgendwann nach
vorn schauen, wollte Betina K. von Anfang an nur sterben. „Es ist, als würde
ich den ganzen Tag vergewaltigt.“ Dem Pastor wird es noch heute eng im Hals,
wenn er von dieser Verzweiflung erzählt.;
Irritiert liest Pastor Brems deshalb die Erklärung, die das Leitungsgremium der
evangelischen Kirche, der Rat der EKD, jüngst zum Thema Suizidbeihilfe
abgegeben hat. Da steht: „Aus christlicher Perspektive ist die Selbsttötung
eines Menschen grundsätzlich abzulehnen.“
„Grundsätzlich abzulehnen“ – das klinge
dogmatisch, geradezu hartherzig, findet der Pastor. Und weiter heißt es
in der Erklärung des Rats: Das Leben sei eine Gabe, über die der Mensch nicht
verfügen könne. Menschen bei der Selbsttötung zu unterstützen, stehe in
Widerspruch zu dieser christlichen Perspektive.
Hat Pastor Brems also unchristlich gehandelt? Das fragen wir Nikolaus
Schneider, den Ratsvorsitzenden der EKD.
Nikolaus Schneider: Nein, er hat christlich gehandelt. Ich hätte das genauso
gemacht. Er hat mit ihr gerungen. Und er hat ihr gleichzeitig die Begleitung
eines Christenmenschen nicht verweigert.
Sie sagen doch: Selbsttötung geht gar nicht.
Ja. Aber das Eine sind unsere Normen und ethischen Vorstellungen. Sie sollen
das Leben strukturieren für eine ganze Gesellschaft und dem Einzelnen
Orientierung geben, die er aber in eigener Verantwortung in seinem Leben
realisieren muss. Das Zweite ist: Das Leben ist vielfältiger als alles, was wir
überlegen können. Und wir behalten Respekt vor Menschen, die sich anders
positionieren, weil sie nicht anders können.
Und doch sagen Sie, Selbsttötung sei ein „schuldhafter Vorgang“.
Ja, das sage ich. Aber wissen Sie, solange wir in dieser nicht erlösten Welt
leben, leben wir sowieso in einem Zusammenhang von Schuld. Es kann ehrenwerte
Gründe geben, Schuld auf sich zu nehmen. Und es kann mieseste Gründe geben,
vermeintlich schuldfrei zu bleiben, sich die Hände nicht dreckig zu machen.
Trotzdem fordert die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) von der Politik,
jede Form der organisierten Suizidhilfe zu verbieten. Durch solche Angebote
könnten Menschen unter Druck geraten, vorzeitig aus dem Leben zu scheiden.
Auf die Zahlen aus dem US-Bundesstaat Oregon und aus den Niederlanden kann man
diese Befürchtung allerdings nicht stützen. In Oregon, wo Menschen mit
voraussichtlich weniger als sechs Monaten Lebenszeit ärztliche Suizidhilfe in
Anspruch nehmen können, stiegen die Zahlen nicht. Und in den Niederlanden, wo
sogar Tötung auf Verlangen möglich ist, liegen die Zahlen heute nicht höher als
vor Einführung des Gesetzes. Wahrscheinlich weil das Gesetz nur ein Handeln
legalisierte und unter Kontrolle stellte, das vorher auch schon stattfand.
Würde in Deutschland organisierte Suizidbeihilfe verboten, müsste man mühsam
einen Arzt finden, der bereit ist, die entsprechenden Substanzen zu besorgen.
Oder man führe zu Dignitas nach Zürich. Oder man begeht Brutal-Suizid.
Darüber dachte man im Umfeld von Betina K. durchaus nach: Gibt es an Elbe oder
Ostsee irgendwelche Stellen, von denen man sich mitsamt elektrischem Rollstuhl
ins Wasser fallen lassen kann, um zu ertrinken?
Es sind solche Schicksale, die viele Menschen zu dem Schluss führen, dass eine
assistierte Selbsttötung erlaubt sein muss.
Doch Betina K. hätte gar nicht zu Dignitas fahren müssen. Sie hätte sagen
können: Stellt die Beatmungsmaschine ab! Begleitet von einer palliativen
Sedierung wäre das kein qualvoller Tod gewesen. Niemand in ihrer Umgebung
wusste von diesem Recht. Die Medizinrechtsanwältin Beate Steldinger erklärt es.
Darf ich sagen: Brecht die Behandlung ab, auch wenn ich dann sterbe?
Beate Steldinger: Ja, natürlich. Das wird schon seit Jahrzehnten von den
Gerichten so gesehen. Denn jede ärztliche Behandlung ist – strafrechtlich
betrachtet – erst einmal eine Körperverletzung. Sie ist jedoch erlaubt, wenn
der Patient in die Behandlung einwilligt, ganz gleich, ob es sich um eine
Operation oder um eine medikamentöse Therapie handelt. Der Bundesgerichtshof
hat zuletzt 2010 klargestellt, dass hierzu auch die Beatmung und die Ernährung
per Magensonde gehören.
Angenommen, ich bin schwerkrank und schon ein wenig eingetrübt. Darf ich auch
dann noch eine Behandlung verbieten?
Ja. Solange Sie noch einwilligungsfähig sind, also verstehen, was der Arzt
vorschlägt und welche Konsequenzen das hat.
Ansonsten hätte ich rechtzeitig in einer aussagekräftigen Patientenverfügung
bestimmte Behandlungen untersagen müssen.
(Chrismon 4-2013 S.14ff.- http://chrismon.evangelisch.de/artikel/2013/ich-habe-genug-17963)
·
Gastbeitrag
des früheren MDR-Intendanten Udo Reiter;
10.000 Menschen …, die sich in Deutschland jährlich für den Freitod
entscheiden.;
Neuen Umfragen zufolge sind rund 80 Prozent der Bevölkerung der Meinung, dass
es ein Recht auf eine menschenwürdige Beendigung des Lebens geben müsste und
dass dem allseits akzeptierten Recht auf ein selbstbestimmtes Leben das Recht
auf einen selbstbestimmten Tod zu entsprechen habe. Angesichts dieser Stimmungslage
ist es bemerkenswert, dass sich keine politische Partei um dieses Thema
kümmert. Im Gegenteil, die Mehrheitsmeinung wird seit Jahren von einer Allianz
aus Kirchenvertretern, Ärztefunktionären und Politikern systematisch in Schach
gehalten. Erst in jüngster Zeit hat dieses Kartell einige Risse bekommen. Dass
mit Hans Küng jetzt sogar ein katholischer Theologe das Recht auf Sterben
einfordert ("Ich will nicht als Schatten meiner selbst
weiterexistieren"), könnte nun endlich Bewegung in die Debatte bringen.;
Es geht um … Menschen, die nicht todkrank sind, aber in freier Entscheidung zu
dem Entschluss kommen, nicht mehr weiterleben zu wollen, sei es, weil sie wie
Küng den Verlust ihrer Persönlichkeit im Altwerden nicht erleben wollen, sei
es, weil sie einfach genug haben und, wie es im ersten Buch Moses heißt,
"lebenssatt" sind. Diese Menschen werden in unserer Gesellschaft
alleingelassen. Sie müssen sich ihr Ende quasi in Handarbeit selbst
organisieren und dafür einen mehr oder weniger grausigen Weg wählen. Das kann
nicht so bleiben. Für diese Menschen muss es Notausgänge geben, durch die sie
in Würde und ohne sinnlose Qualen gehen können.;
Die Möglichkeit eines Missbrauchs kann nie ein Argument gegen eine Sache selbst
sein. Man muss den Missbrauch durch entsprechende Regelungen verhindern.;
Wenn man eine Suizidhilfe anbietet, würde das ein geregeltes Verfahren
bedeuten. Es gäbe, ähnlich wie beim Schwangerschaftsabbruch, eine Beratung. Und
bei einer solchen Beratung könnten entsprechend ausgebildete Leute einem
verwirrten Jugendlichen oder einem psychisch Kranken vermutlich eher helfen,
als wenn man ihn alleinlässt.;
Natürlich wird es Ärzte geben, die aus ihrem beruflichen Selbstverständnis
heraus an einem Suizid nicht mitwirken möchten. Das ist zu akzeptieren. Niemand
kann dazu verpflichtet werden. Hier könnte es eine Lösung sein, solche
Hilfestellungen in eigenen Einrichtungen wie den Sterbehilfeorganisationen Exit
oder Dignitas anzubieten. Dort können sich die engagieren, denen solche
Dienstleistungen am Herzen liegen.
Der gern von Kritikern erhobene Vorwurf, hier würde mit der Not von Menschen
Geld verdient, und das müsse um jeden Preis verhindert werden, ist - mit
Verlaub - absurd. Jedes Krankenhaus und jede Arztpraxis ist unter anderem ein
kommerzielles Unternehmen, das für seine Dienstleistung Geld nimmt. Auch die
Hospize und Palliativstationen. Warum soll das bei der Suizidbegleitung
verwerflich sein? In Deutschland werden jedes Jahr an die 100.000
Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen, also Embryonen getötet. Das bezahlen die
Krankenkassen. Warum soll es bei der Sterbehilfe nicht so gehen?
(Freie Presse Chemnitz 23.1.2014 S.4 - http://www.freiepresse.de/NACHRICHTEN/DEUTSCHLAND/thema-einspruch/Mein-Tod-gehoert-mir-artikel8681492.php
)
·
Ein
Belgier, der mit den seelischen und körperlichen Folgen einer
Geschlechtsumwandlung nicht fertig wurde, hat in seinem Heimatland Sterbehilfe
erhalten.;
Die aktive Sterbehilfe ist in dem Land erlaubt, auch unerträgliche psychische
Qual als Grund für Sterbehilfe ist zulässig. "Es war eine Mischung
zwischen physischem und psychischem Leiden", sagte der Brüsseler Arzt, der
den Tod des Mannes medizinisch begleitete. Alle gesetzlichen Auflagen seien
erfüllt worden, da der Patient sich ein halbes Jahr lang habe beraten lassen,
sagte der Arzt.
Allerdings gibt es auch in Belgien immer wieder heftige Debatten über die
Grenzen für die Sterbehilfe-Praxis. Anfang des Jahres hatte der Fall
45-jähriger Zwillinge für Aufsehen gesorgt. Die Männer waren taub zur Welt
gekommen und erblindeten später als Erwachsene. Ärzte waren in ihrem Fall
unterschiedlicher Meinung, was unter "unerträglichem Leiden" zu
verstehen sei. Erst nach längerer Suche fanden die Zwillingsbrüder Mediziner,
die ihnen tödliche Medikamente verabreichten.
(taz 4.10.2013 S.18)
·
Ärzte
müssen Suizidhilfe leisten dürfen. Denn diese darf man keinesfalls Dilettanten
wie "Dignitas" überlassen;
Stellen wir uns vor: Einem Menschen mit aussichtsloser Krankheit oder
Versehrtheit werden alle palliativen Versorgungsangebote zuteil: Er erfährt
menschliche Zuwendung, optimale Pflege und medizinische Behandlung - und leidet
dennoch. Frei verantwortlich und wiederholt äußert er deshalb den Wunsch, mit
ärztlicher Hilfe sein Leben zu beenden. Leidensmüdigkeit ist sein Motiv, wie
Karl Jaspers es formulierte, nicht Lebensmüdigkeit.
Sind wir als Gesellschaft mitfühlend genug, uns diesen Wunsch als ein
plausibles und legitimes Anliegen eines Menschen im Finalstadium einer schweren
Erkrankung vorzustellen?
ein Drittel der deutschen Ärzteschaft würde mir beipflichten. Nicht nur ist das
Anliegen eines solchen Patienten nachvollziehbar; auch für einen Arzt kann die
von ihm erbetene Hilfe zum Sterben nicht allein gerechtfertigt, sie kann sogar
ethisch geboten sein.
Ärztliche Suizidassistenz wird zwar, ebenso wie der Suizid selbst, nicht vom
Strafrecht verfolgt, ganz im Gegensatz zur ärztlichen Berufsordnung, die ihn
untersagt und mit einem Berufsverbot ahnden kann. Doch darf die Berufsordnung
etwas sanktionieren, was das ihr übergeordnete Recht
ungestraft lässt? Eine höchstrichterlich zu klärende Frage, wie auch die, ob
das Betäubungsmittelrecht die Verordnung von Opiaten für die Suizidassistenz
unterbinden darf und die ärztliche Garantenpflicht zur Lebenserhaltung bei
einem frei verantwortlichen Suizid Bestand haben kann.
Ein Mitglied des deutschen Ethikrates, der Mediziner Prof. Nagel, bezeichnet
die ärztliche Beihilfe zum Suizid als "Tötung des Menschen durch einen
Arzt"; eine Aussage, die nicht die geringste Kenntnis der Rechtslage
erkennen lässt; von "Alten, die aus Gründen ihrer Einsamkeit getötet
werden", spricht Thomas Sitte, der Vorsitzende der Deutschen Hospizstiftung.
Welcher Arzt, bitte, möchte einsame Alte umbringen? Äußerungen, die nur eines
auszeichnet: Demagogie hineinzutragen in eine ernste und facettenreiche
Debatte, um der Stärkung der eigenen Position willen.
Denn so hoch der Wert und die Reichweite der Palliativmedizin auch zu
veranschlagen sind und sosehr auch ich selbst mich starkmache für die
Ausweitung ihrer Angebote gerade in unserem Land, das auf dem Feld
palliativmedizinischer und hospizlicher Versorgung noch großen Nachholbedarf
hat - sie hat Grenzen, wie auch von Palliativmedizinern selbst zugegeben wird.
Palliativmedizin und ärztlich assistierter Suizid, so unbestritten die
Vorrangstellung der Ersteren in ihrer klassischen Ausprägung umfassender
Symptomlinderung auch ist, schließen sich gegenseitig nicht aus; sie sind
vielmehr, formal betrachtet, miteinander komplementär. Denn auch die
Suizidbeihilfe lässt sich vom Wohl des Patienten leiten, über das letztlich
aber er selbst befindet.;
irrt Herr Müntefering, wenn er (wie kürzlich im "ZDF-Morgenmagazin")
glaubt, dass Verzweiflung und Leiden eines Menschen in jedem Fall durch
Palliativmedizin erträglich werden, ganz abgesehen davon, dass niemand genötigt
werden kann, sie anzunehmen.;
Ärztliche Suizidassistenz gehört vielmehr in den Intimraum von Arzt und
Patient. Nur ein zwischen beiden gewachsenes Vertrauensverhältnis sowie die
eingehende ärztliche Kenntnis der Kranken- und Leidensgeschichte des Patienten
bieten die Gewähr, dass der Arzt nach bestem Wissen und Gewissen Hilfe zum
Sterben leistet. Diese Auffassung vertrat auch der vormalige Präsident der
Bundesärztekammer, der 2011 verstorbene Prof. Jörg Dietrich Hoppe: "Die
Beihilfe zum Suizid ist keine ärztliche Aufgabe, doch sie sollte möglich sein,
wenn der Arzt sie mit seinem Gewissen vereinbaren kann."
(taz 21.1.2014 S.12 - http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=me&dig=2014%2F01%2F21%2Fa0087&cHash=8b54afabe32a66a3ff0d36993b4d392f )
·
Irmgard
Schwätzer, Präses der Synode der EKD:
Was von einem selbst als menschenwürdiges Leben eingeschätzt wird, ist starken
Veränderungen unterworfen. Das können wir nicht von außen entscheiden
(Der Sonntag Sachsen 2.2.2014 S.2)
·
Ein
altes Paar hat sich in Paris das Leben genommen und damit eine neue
Sterbehilfe-Debatte ausgelöst.;
Schon länger bemüht sich der laizistische Staat, Bürgern wie den Cazes’
entgegenzukommen. Weltlich ist neuerdings auch die zuständige Ethikkommission
Frankreichs zusammengesetzt: Religiöse Amtsträger sind seit dem Sommer 2013,
als ihre Mandatszeit in der Kommission zu Ende ging, durch weltliche
Religionsexperten ersetzt worden. An die Stelle des Rabbiners trat im Ethikrat
ein Neurologe, der sich auch durch Bücher zum jüdischen Denken ausgewiesen hat,
und auf einen Pastor folgte eine Reformationsexpertin. Diese reflektierte
Distanz zu Glaubensinhalten hat Folgen: Das antike Ideal des Menschen kann nun
an Raum gewinnen gegenüber allen religiösen Einschränkungen menschlicher
Allmacht, auch gegenüber dem christlichen Menschenbild, das Gottes Kraft in der
Schwachheit wirksam sieht. Symptomatischerweise trägt die Regelung zur
Sterbehilfe auf Französisch nicht den Tod im Namen, sondern das Leben: Sie
spricht vom fin de vie, dem Lebensende. Der Tod soll auch
Leben sein.
Dem Ehepaar Cazes hätte dieser Ansatz gefallen. Dem sozialistischen Präsidenten
wird sie Proteste von der konservativen Opposition und von den Vertretern der
Religionen eintragen. Auch zu Recht: Die Selbstermächtigung gegenüber dem Tod,
die Lockerung des Tötungstabus, kann den Schutz der Schwachen und die Würde des
Leidens gefährden, kann schwer pflegebedürftige Menschen unter Druck setzen.
Die menschliche Freiheit kann auch ein aufgeklärter, moderner Mensch gerade
darin gewahrt sehen, dass man das religiöse Tötungsverbot respektiert. Ärzte
haben ihren Beruf nicht gewählt, um Sterbehelfer zu werden.
(Die Zeit 12.12.13 S.50 - http://www.zeit.de/2013/51/sterbehilfe-debatte-frankreich
)
·
Wer
seinem Leben aufgrund schwerer Krankheit selbstbestimmt ein Ende setzen möchte
und dazu gern ärztliche Hilfe hätte, der sollte sich überlegen, rechtzeitig nach
Bayern, Baden-Württemberg oder Berlin umzuziehen. Denn die Wahrscheinlichkeit,
einen Arzt zu finden, der bereit ist, einem sterbewilligen Patienten Beihilfe
zum Suizid zu leisten, ist in Deutschland abhängig vom Wohnort. Im Süden der
Republik und in der Hauptstadt sind die Bestimmungen am liberalsten. Das ergab
eine Umfrage der taz unter den 17 Landesärztekammern in Deutschland.
Der Grund: In einigen Bundesländern droht Medizinern, die Menschen bei der
Selbsttötung helfen, etwa indem sie ihnen ein entsprechendes Medikament
überlassen, ein Berufsverbot nach dem ärztlichen Standesrecht. In anderen
Ländern dagegen werden diese Ärzte behandelt wie alle anderen Menschen in der
Bundesrepublik derzeit auch: Sie dürfen das. Es droht ihnen keine Sanktion,
weder nach dem Strafrecht noch nach den jeweiligen Berufsordnungen für Ärzte.
Letztere erlassen die in dieser Frage autonom agierenden Landesärztekammern. In
der aktuellen Debatte um eine Reform der Sterbehilfe in Deutschland wurde dies
bislang ausgeblendet.
Danach riskiert seine Approbation, wer in Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen,
Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen oder Thüringen einem Patienten
beim Suizid assistiert und dabei erwischt wird. In Baden-Württemberg, Bayern,
Berlin, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein
dagegen existiert kein explizites Verbot des ärztlich assistierten Suizids.
Folglich riskieren Ärzte dort auch keine berufsrechtlichen Konsequenzen, wenn
sie entsprechend helfen.
Besonders prekär ist die Lage in Nordrhein-Westfalen, wo es gleich zwei
Ärztekammern gibt: Die Kammer Nordrhein schreibt ihren Ärzten in Paragraf 16
ihrer Satzung kategorisch vor: "Es ist ihnen verboten, Patientinnen und
Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung
leisten." Die Ärztekammer Westfalen-Lippe dagegen fordert, ebenfalls in
Paragraf 16 der Berufsordnung, von ihren Ärzten lediglich: "Sie sollen
keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.";
So heißt es etwa in der Berufsordnung von Bayern lediglich: "Der Arzt hat
Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens
beizustehen." Dies lässt viele Interpretationen zu.;
Der baden-württembergische Ärztepräsident Ulrich Clever, dessen Kammer die
bayerische Auffassung fast wortgleich teilt, lässt über seinen Pressesprecher
präzisieren, wo die Standesorganisation der knapp 61.000 Ärzte im Südwesten
politisch steht: "Der Satzungsgeber in Baden-Württemberg hielt es für
entbehrlich, das strafrechtliche Verbot der Tötung auf Verlangen in der Berufsordnung
zu zitieren. Außerdem sollte, was die Beihilfe zum Suizid angeht,
berufsrechtlich keine strengere Regelung als die strafrechtliche getroffen
werden." Damit sind Ärzte, die den Willen ihrer Patienten respektieren und
zugleich dazu beitragen möchten, dass diesen Patienten humanere Möglichkeiten
offenstehen, als sich etwa vor einen Zug zu werfen, rechtlich auf der sicheren
Seite. Die Ärztekammer Berlin findet überdies: "Die im Einzelfall von
einem Arzt im Rahmen einer gewachsenen Arzt-Patienten-Beziehung getroffene,
ethisch wohl abgewogene Entscheidung, bei einem schwer kranken Patienten, der
weder mit den Möglichkeiten der Palliativmedizin, der adäquaten
Schmerzbehandlung, noch durch Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen eine
ausreichende Leidenslinderung erfährt, sollte nicht unter Strafe gestellt
werden."
Mit ihrer liberalen Haltung proben einzelne Landeskammern zugleich den Aufstand
gegen den Präsidenten der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery. Dieser
hatte beim Deutschen Ärztetag in Kiel 2011 eine in Teilen der Ärzteschaft
heftig umstrittene, höchst restriktive Reform der Musterberufsordnung
durchsetzen lassen. In dieser heißt es seither: "Ärztinnen und Ärzte haben
Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen.
Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten.
Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.";
… ein Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin aus dem Jahr 2012 (Az.:
VG9K63.09). Dieses hatte in einem juristischen Streitfall um die
Zulässigkeit ärztlicher Beihilfe entschieden: "Die […] satzungsmäßigen
Generalklauseln reichen aber nicht als Rechtsgrundlage aus, um ein […] Verbot
für ein Verhalten ausnahmslos auszusprechen, dessen ethische Zulässigkeit in
bestimmten Fallkonstellationen auch innerhalb der Ärzteschaft äußerst
kontrovers diskutiert wird und dessen Verbot in diesen Ausnahmefällen intensiv
in die Freiheit der Berufsausübung des Arztes und seine Gewissensfreiheit
eingreift.";
Formen der Sterbehilfe
+ Beihilfe zum Suizid ist in Deutschland erlaubt und bedeutet die
Selbsttötung mit Hilfe einer Person, die hierzu ein Mittel bereitstellt, aber
nicht verabreicht.
+ Passive Sterbehilfe ist das Unterlassen oder die Reduktion von
eventuell lebensverlängernden Behandlungsmaßnahmen.
+ Indirekte Sterbehilfe ist die in Kauf genommene Beschleunigung des
Todeseintritts als Nebenwirkung einer Medikamentengabe, etwa einer gezielten
Schmerzbekämpfung. Passive und indirekte Sterbehilfe sind legal, sofern eine
entsprechende Willensäußerung oder Patientenverfügung vorliegt.
+ Aktive Sterbehilfe ist die gezielte Herbeiführung des Todes durch
Handeln aufgrund eines tatsächlichen oder mutmaßlichen Wunsches einer Person.
Die Tötung auf Verlangen ist nach § 216 Strafgesetzbuch mit Freiheitsstrafe
zwischen 6 Monaten und 5 Jahren bedroht.
(taz 26.2.14 S.3 - http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=sw&dig=2014%2F02%2F26%2Fa0081&cHash=4d9563f67640a624b6543cbd1b79bffe
)
·
Jeder zweite Deutsche kann sich einen Selbstmord
vorstellen, wenn er zum Pflegefall wird. Nun entbrennt eine Debatte um
Sterbehilfe.;
Immer
weniger Menschen hierzulande sehen den Tod als ein Lebensende, das von Gott
oder vom Schicksal bestimmt wird. Im Zeitalter von Reanimation, künstlicher
Beatmung und Peg-Sonde ist nicht mehr eindeutig, was es heißt, eines natürlichen Todes zu sterben. Der medizinische
Fortschritt ist Segen und Fluch zugleich. Der Tod geschieht nicht mehr. Er
verlangt Entscheidungen, deren ethische Tragweite nicht abzusehen ist.;
Seit der Aufklärung wird das religiöse Verbot der Selbsttötung nicht mehr
allgemein anerkannt. Wer will, darf sich umbringen. Seit dem 19. Jahrhundert
ist der Suizidversuch in Deutschland nicht mehr strafbar. In der Schweiz
formulierte 2006 das Bundesgericht in Lausanne sogar ein Menschenrecht auf
Suizid. Zum Selbstbestimmungsrecht im Sinne der Europäischen
Menschenrechtskonvention gehöre "auch das Recht, über Art und Zeitpunkt
der Beendigung des eigenen Lebens zu entscheiden".
Der Tod ist Privatsache, er ist das Allerpersönlichste. Aber er betrifft Staat
und Gesellschaft. Denn die meisten Menschen wollen, wenn sie sich das Leben
nehmen, von einem Arzt begleitet oder unterstützt werden können. Sie wollen
selbstbestimmt sterben, aber die Hilfe anderer annehmen dürfen. In Umfragen
spricht sich eine Mehrheit der Befragten für eine Legalisierung der aktiven
Sterbehilfe durch Ärzte aus.;
Sterbehilfe ist weit verbreitet in Deutschland. Verzweifelte Angehörige, die
Medikamente überdosieren oder weglassen, Pfleger und Ärzte, die dem
Sterbewunsch ihrer Patienten nachgeben. Es gibt keine verlässlichen Zahlen, wie
viele Menschen in Deutschland mit Unterstützung anderer den Tod suchen und
finden, auch weil viele Fälle unentdeckt bleiben - etwa weil in stillem
Einverständnis zwischen Ärzten und Angehörigen geschwiegen wird.;
Wiedmann betreut seine Patienten oft seit Jahrzehnten. Er kennt ihre
Lebensgeschichten, ihre Sorgen und ihre Familien. Sie haben ihm anvertraut,
unter welchen Umständen sie Schluss machen wollen. Wenn die Menschen dann unter
Schmerzen und kaum bei Bewusstsein vor ihm liegen, der baldige Tod ohnehin
unabwendbar, will er ihnen helfen. "Und ich weiß ja, ich kann sie von
ihrem Leid erlösen", sagt Wiedmann. "Man spritzt dann ein starkes
Opiat und nimmt in Kauf, dass es zum Atemstillstand kommt."
Wiedmann ist bei weitem nicht der einzige Arzt, der unter der Hand nicht nur
das Leben, sondern auch den Tod befördert. "Unter Hausärzten ist das
durchaus stark verbreitet", sagt der Anwalt für Medizinrecht Wolfgang Putz
aus München. Bei Pflegekräften gebe es aus Mitleid sogar eine gefährliche Tendenz
zu solchem Handeln. "Das ist aktive Sterbehilfe, und die ist aus guten Grund in Deutschland nicht erlaubt." Putz will
den Patienten die Möglichkeit zum begleiteten Suizid nicht nehmen, spricht sich
aber gegen eine auf Profit angelegte Sterbehilfe aus.;
Arnold redet selten darüber, wie vielen Menschen er in den vergangenen 15
Jahren beim Freitod geholfen hat. Nicht jeder ist am Ende noch in der Lage, den
letzten Schritt selbst zu gehen. Es waren mehr als 200, und er hat ungefähr
tausend Anfragen. "Sehr viel mehr melden sich bei mir, die es dann doch
nicht in Anspruch nehmen", sagt er. Denn das sei die verschwiegene
Kehrseite der Sterbehilfe. Viele wollten nur das Gefühl haben, Hilfe in
Anspruch nehmen zu können.;
Suizidbeihilfe ist in Deutschland bisher nur in engen Grenzen gesellschaftlich
akzeptiert: wenn der Sterbewillige unheilbar krank ist, unter starken Schmerzen
leidet und nur noch kurze Zeit zu leben hat. Aktive Sterbehilfe durch Ärzte,
wie sie in Belgien und den Niederlanden legal ist, war in Deutschland bisher
aus historischen Gründen tabu. Das Grauen vor der Euthanasie der
Nationalsozialisten wirkte nach. Doch inzwischen - das ergaben jüngste Umfragen
- befürworten zwei Drittel der Deutschen aktive Sterbehilfe.;
Wenn man Sterbehilfe erst einmal für die Extremfälle für akzeptabel halte,
werde sie früher oder später auch in anderen Fällen gemacht oder zumindest
diskutiert. "Die jüngsten Ereignisse in Belgien und Holland zeigen, dass
genau das dort passiert", so Radbruch. "Es gibt eine deutliche
Aufweichung der Indikation, es wird über Dinge diskutiert, die früher nicht in
Frage gekommen wären.";
In Belgien und den Niederlanden ist die aktive Sterbehilfe für Ärzte erlaubt,
in beiden Ländern wurde sie in jüngster Zeit ausgeweitet. So dürfen Ärzte in
den Niederlanden seit dem vergangenen Jahr auch todkranke Babys töten, wie die
Ärzteorganisation festlegte. In Belgien hat der Senat Mitte Dezember einen
Gesetzentwurf vorgelegt, der Sterbehilfe auf Minderjährige ausweiten will.
Die Zahl der Fälle, in denen aktive Sterbehilfe in Anspruch genommen wird, ist
seit der Legalisierung in Belgien gestiegen. 2004 waren es noch 349 Fälle, 2012
dagegen 1432. In der Schweiz, wo Sterbehilfevereine besonders aktiv sind, sank
dafür zwar anfangs die Selbstmordrate. Seit 2003 ist sie jedoch weitgehend
konstant, während die Zahl der Fälle von assistiertem Suizid von damals 187 auf
431 im Jahr 2011 anstieg.;
Aber die Koalitionspartner kamen überein, das Thema im Bundestag nicht
parteipolitisch zu behandeln. Für die geplante Abstimmung soll der
Fraktionszwang aufgehoben werden, jeder Abgeordnete soll nach seinem Gewissen
entscheiden können. "Wir wollen eine klare Mehrheit im Bundestag
erreichen, über die Union hinaus", sagt Julia Klöckner, die
stellvertretende CDU-Vorsitzende.
Doch das könnte schwierig werden. Denn in der SPD rechnet man damit, dass es
drei oder sogar vier verschiedene Anträge im Bundestag geben wird. "Es
wird mehr als drei Positionen geben", vermutet der Mediziner und
Fraktionsvize Karl Lauterbach, der zusammen mit Eva Högl und Carola Reimann das
Thema für die Sozialdemokraten koordiniert. Dass dann ausgerechnet der
konservativste eine Mehrheit bekommt, ist nicht wahrscheinlich.
Die Spanne reiche von einem grundsätzlichen Verbot bis hin zur Legalisierung
von organisierter Sterbehilfe. Fraktionschef Oppermann etwa tendiert
grundsätzlich zu einer eher liberalen Haltung. "Das ist eine
höchstpersönliche Entscheidung", sagt er. Mit Gesetzen und Paragrafen, so
glaubt er, sei die finale Phase des Lebens nur schwer zu regeln. "Gesetzlich
können wir nur regeln, was nicht sein darf - nämlich aggressive Werbung und
Kommerzialisierung.";
Für die Mediziner selbst würde sich durch den Vorstoß der Union vermutlich
wenig ändern. Sie arbeiten in einem Raum juristischer Dialektik: Nach dem Strafgesetzbuch
ist die ärztliche Beihilfe zum Suizid nicht verboten. Das Berufsrecht indes
droht mit Berufsverbot. Allerdings spielt das in der Praxis keine Rolle.
Montgomery kann sich an keinen Fall erinnern, in dem es in den vergangenen
Jahren zum Entzug der Approbation gekommen wäre.;
Längst kennt das Gesundheitssystem auch für das Sterben Paragrafen und
Abrechnungskennziffern. Seit 1997 zahlen die gesetzlichen Krankenkassen für die
professionelle Begleitung in den letzten Lebenstagen. Die Förderung verdoppelte
die Zahl der stationären Hospize in Deutschland annähernd: In den vergangenen
zehn Jahren stieg sie von 111 (im Jahr 2004) auf inzwischen 200. Die Zahl der
an Krankenhäuser angeschlossenen Palliativstationen kletterte von 95 auf 231.
Und zwischen Flensburger Förde und Bodensee kümmern sich inzwischen auch
Ehrenamtliche in rund 1500 ambulanten Hospizdiensten um die Sterbenden.;
(Der Spiegel 6-2014 S.31ff. - http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-124838570.html
)
·
Interview mit Christiane Woopen, Vors. des Deutschen
Ethikrates
…
SPIEGEL: Würden Sie aufgrund Ihrer Erfahrung sagen: Es ist in jedem
Fall möglich, einen Patienten mit Sterbewunsch durch intensive Beschäftigung von
diesem Wunsch abzubringen?
Woopen: Das würde ich mir nicht anmaßen. Ich halte es für möglich,
dass trotz intensiver Begleitung, idealer palliativmedizinischer Betreuung und
hervorragender psychologischer Begleitung Menschen zu der Überzeugung kommen, dass
das für sie der richtige Weg ist.
SPIEGEL: Und dann sollen sie ihn auch gehen können?
Woopen: Ja.
SPIEGEL: Mit Hilfe ihres Arztes?
Woopen: Wenn der Arzt es mit seinem Gewissen vereinbaren kann: ja.
Dazu gehört zuvor, dass es in einer langen Beziehung zum Patienten intensive
Gespräche gibt, in denen der Arzt zusammen mit einem Psychologen oder einem
Seelsorger sehr achtsam hinhört, wie man die Hoffnungslosigkeit überwinden und
dem Todeswunsch begegnen kann.
SPIEGEL: Die organisierte Ärzteschaft sieht das bislang anders.
Ihre Berufsordnung verbietet es Ärzten, Patienten beim Suizid zu helfen.
Woopen: Beihilfe zur Selbsttötung ist keine ärztliche Aufgabe. Aber
der Arzt kennt den Patienten und seine Situation am besten. Deshalb sollte der
Arzt als Ansprechpartner zur Verfügung stehen und nicht irgendein Verein, der
es sich zur Aufgabe gemacht hat, zum Tod zu verhelfen. Um den Arzt zu stärken,
müsste die Ärzteschaft aber die ärztliche Gewissensentscheidung unter
bestimmten Voraussetzungen ausdrücklich anerkennen. Bislang heißt es in der
Musterberufsordnung: Die Ärzte "dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung
leisten." Das halte ich für zu strikt.
SPIEGEL: 77 Prozent der Deutschen sprachen sich für die Möglichkeit
einer ärztlichen Freitodbegleitung aus. Können die Ärzte diesen Wunsch weiter
ignorieren?
Woopen: Solche Stimmungsbilder sind sehr ernst zu nehmen. …;
Woopen: … Wir haben es hier jedoch mit einer existentiellen
Ausnahmesituation zu tun. Deshalb fände ich es richtig, wenn der Gesetzgeber
entgeltliche und unentgeltliche Dienstleistungsangebote für Suizidbegleitung
verbieten würde.
(Der Spiegel 6-2014 S.36f. - http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-124838572.html
)
·
Wie wollen wir sterben? Wie damit umgehen, wenn
Schwerstkranke ihrem Leben ein Ende setzen möchten? Ihnen helfen? Oder besser
jegliche Beihilfe zur Selbsttötung verbieten? Und was überhaupt ist Würde am
Lebensende? Es sind große Fragen, die zur zentralen Ethikdebatte des Jahres
werden könnten.
Als einer der Ersten wagt sich nun der CDU-Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe
mit einem eigenen Gesetzentwurf an die Öffentlichkeit. "Die organisierte,
geschäftsmäßige und selbstsüchtige Förderung des Suizids" sollte seiner
Meinung nach am Lebensende nicht erlaubt sein. Hüppe, 57, war bis vor Kurzem Behindertenbeauftragter der Regierung und ist so
etwas wie das ethische Gewissen des konservativen Flügels der Union. Auf zwölf
Seiten wird in dem Entwurf die Beihilfe zum Sterben "als gesellschaftliches
Problem" verhandelt, dem Hüppe mit Paragrafen begegnen möchte: "Der
Gesetzentwurf schlägt daher vor, die auf wiederholte Tatbegehung gerichtete
Suizidunterstützung durch Einzelpersonen oder organisierte Personengruppen
strafrechtlich zu verbieten", heißt es darin.;
Jetzt aber ist die Debatte erneut entbrannt - und damit bekommt Hüppes
Gesetzentwurf Brisanz: Ob er ihn demnächst zur Abstimmung stellen wird, will
Hüppe von der Diskussion in den nächsten Wochen abhängig machen, auch von der
in seiner eigenen Fraktion. "Inhaltlich", sagt Hüppe, "stehe ich
weiterhin dazu." Ihm gehe es vor allem darum, Sterbehilfeorganisationen
wie Dignitas oder die des ehemaligen Hamburger Justizsenators Roger Kusch zu
verbieten. Das sei aber nur möglich, wenn sich das Verbot sowohl auf die
organisierte als auch auf die gewerbsmäßige Sterbehilfe erstreckt.
Die Regelung, die Hüppe anstrebt, wäre eine der restriktivsten überhaupt. Hüppe
erkennt in Sterbehilfeorganisationen "die Gefahr, dass unter dem Mantel
der vermeintlichen Selbstbestimmung am Lebensende die Solidarität ausgehöhlt
wird, dass alte und kranke Menschen unter Druck gesetzt werden und sich als
Last empfinden".
Auch die Rolle von Ärzten will Hüppe geregelt wissen. Derzeit befinden sich
Mediziner in einem Dilemma. Nach deutschem Strafrecht ist die Beihilfe zum
Suizid, wie gesagt, bislang nicht verboten. Wer also einem Menschen, der
sterben möchte, hilft, indem er ihm etwa tödliche Medikamente besorgt, der wird
in Deutschland nicht bestraft - es sei denn, er ist Arzt: Dann droht ihm zwar
keine Sanktion nach dem Strafgesetzbuch, er riskiert aber nach dem Standesrecht
für Ärzte seine Approbation. So hat es der Deutsche Ärztetag 2011 beschlossen.
Hubert Hüppe will ärztliche Beihilfe nun auch gesetzlich unter Strafe stellen.
Er begründet das mit einer Aussage von Goethes Leibarzt Christoph Wilhelm
Hufeland: "Der Arzt soll und darf nichts anderes tun, als Leben erhalten,
ob es ein Glück oder Unglück sei, ob es Wert habe oder nicht, dies geht ihn
nichts an", hatte der gesagt.
(taz 7.2.14 S.3 - http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=sw&dig=2014%2F02%2F07%2Fa0075&cHash=79cad69303427522d43913ca7a59b5b9
)
·
Belgien erlaubt Sterbehilfe auch für Kinder und
Jugendliche;
auch Jugendliche hätten das Recht auf einen würdevollen Tod;
Umfragen zeigen, dass die Sterbehilfe in Belgien breit akzeptiert ist. In der
Praxis dürften die Folgen des Gesetzes begrenzt bleiben. Belgische Ärzte
erwarten künftig höchstens ein Dutzend Fälle von Sterbehilfe für Kinder pro
Jahr; mehr als 1400 Erwachsene scheiden in Belgien jedes Jahr mit Hilfe eines
Arztes aus dem Leben
(Freie Presse Chemnitz 14.2.14 S.5)
·
Der
Tod kennt kein Alter. Stirbt ein Kind, wird er zum Skandal, nicht nur für
Eltern, Geschwister, Ärzte. Es geschieht aber trotzdem. Auch Leid und Schmerzen
kennen kein Alter. Kinder werden von todbringenden Krankheiten heimgesucht,
seltener als Erwachsene, aber es geschieht. Ehrliche Palliativmediziner geben
zu, dass sie nicht das Leid aller Todkranken lindern können. Es bleiben wenige
Prozent, bei denen das nicht gelingt - auch bei Kindern. Das belgische Parlament
hat dafür gestimmt, dass auch ein Kind künftig seinen Arzt bitten kann, sein
Leben zu beenden, wenn es ohnehin bald sterben muss und unstillbare Schmerzen
leidet. Mehrere Ärzte müssen darüber entscheiden, ein Psychologe muss bezeugen,
dass das Kind die Tragweite seiner Bitte versteht. Die Eltern müssen zustimmen.
Auch diese Entscheidung bringt Leid, vor allem für diejenigen, die weiterleben.
Was ist für den Arzt des Kindes leichter: den Wunsch abzulehnen oder ihn zu
erfüllen? Die Regelung ist eng gefasst, sie wird nur für sehr wenige Kinder pro
Jahr gelten. Man kann davon ausgehen, dass Ärzte in solch extremen, seltenen
Fällen schon heute Wege finden, das Leiden abzukürzen. Aber sie können es nicht
offen tun, kein Kollege kontrolliert ihr Tun, und sie können mit dem Kind und
seiner Familie nicht offen darüber sprechen. Es ist verständlich, dass die
Vorstellung einer solchen Regelung erschreckt und Angst macht - vor allem bei
jenen, die vor den grausamen körperlichen und seelischen Tatsachen eines jeden
Todes eher die Augen verschließen. Sie verlagern ihre Abwehr vom Skandal des
Sterbenmüssens auf den Skandal der Sterbehilfe. Damit machen sie es sich
leicht. Die Gegner der Regelung müssten im Angesicht eines aussichtslos und
unerträglich leidenden Kindes sagen, worin sie die Alternative sehen: das Kind
noch ein bisschen weiterleiden lassen, bis es zur Beruhigung der eigenen Moral
von selbst stirbt?
(Der Spiegel 8-2014 S.122 - http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-125080836.html
)
·
Interview:
Der Medizinethiker Urban Wiesing plädiert dafür, die Hilfe zum Freitod unter
bestimmten Voraussetzungen in die Hände von Ärzten zu geben. Das Thema Tötung
auf Verlangen stehe in allen modernen Industriegesellschaften früher oder
später auf der Agenda;
Wiesing: … Vielmehr gibt es
Anzeichen dafür, dass das Vertrauen in die Ärzteschaft wächst, wenn die
Patienten wissen, dass sie in einer sehr schwierigen Situation einen seriösen
Ansprechpartner haben.
Gegenargument: Wenn man Ärzten diese Möglichkeit gibt, werden sie zu den
gefährlichsten Männern im Staate.
Es gibt es keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass es zum Dammbruch kommt.
Im Gegenteil: Wir wissen aus den US-Bundesstaaten Oregon und Washington, dass
das Hinzuziehen von Ärzten dort nachweislich dazu geführt hat, dass ein
Großteil der Suizidwünsche gar nicht praktiziert wird. Nur 20 bis 30 Prozent
derjenigen, die den Suizid ursprünglich wollten, praktizieren ihn nach der
Konsultation eines Arztes. Unter dem Aspekt des Lebensschutzes scheint es
geboten zu sein, die Assistenz zum Suizid in die Hände von Ärzten zu geben.
Ärzte statt Dignitas - ist das Ihr Vorschlag?
Ja. Die Ärzte sollten sich dessen annehmen, sie sollten die Pluralität der
Vorstellungen ihrer Patienten in Bezug auf das Lebensende akzeptieren und
angemessen auf diese Pluralität reagieren.
Was heißt das?
Die Bürger sind über die Hilfe beim Suizid uneins. Zwei Drittel wollen diese
Hilfe für bestimmte Situationen, andere lehnen sie ab. Wie muss die Ärzteschaft
darauf reagieren? Indem sie die Hilfe kategorisch ablehnt? Dann nimmt sie zwei
Drittel der Menschen nicht ernst. Oder, und das wäre mein Vorschlag: die Ärzte
können nur angemessen darauf reagieren, indem sie für Patienten, die in einer
aussichtslosen, medizinisch nicht verbesserbaren Situation ernsthaft um Hilfe
bitten, als vertrauenswürdiger Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Sie können
Patienten auch davon abbringen, Suizidformen zu wählen, die Dritte gefährden,
ich denke an Verkehrsteilnehmer und Lokführer.
Wie kann ein Arzt überprüfen, dass der Patient aus eigenem Willen zu der
Entscheidung gelangt ist, sterben zu wollen?
Wer sollte es besser können als der Hausarzt, der ein Vertrauensverhältnis zum
Patienten hat und sein Umfeld kennt? Zusätzlich müsste ein Gutachten von einem
weiteren, externen Arzt bestätigen, dass es sich um den authentischen, stabilen
Patientenwillen handelt. Sämtliche Optionen für Palliativmedizin müssten
ausgeschöpft sein. Und es müsste ausgeschlossen sein, dass eine behandelbare
Depression vorliegt. Wenn diese Vorsichtsmaßnahmen erfüllt sind, denke ich,
sind Patienten bei Ärzten besser aufgehoben als bei zweifelhaften
Organisationen.
Weil Sterbehilfeorganisationen Geld machen mit dem Leid Schwerstkranker?
Auch das, manche Preise sind schlicht Wucher.
Manche Ärzte möchten lieber Palliativmedizin anbieten als Beihilfe zum
Suizid.
Es macht keinen Sinn, Palliativmedizin gegen Sterbehilfe auszuspielen. Selbst
die Palliativmediziner geben inzwischen zu, dass es bei bester Palliativmedizin
Situationen gibt, in denen das Sterben für die Patienten unerträglich wird.
Diese Fälle müssen wir regeln. Eine Regelung des ärztlich assistierten Suizids
sollte mit einem Forschungs- und Entwicklungsprogramm der Palliativmedizin
einhergehen.;
… Es gibt viele Dinge, für die ich diesen Staat schätze. Aber wie ich sterben möchte, mit Verlaub, das zu bewerten steht ihm nicht
zu.
Der Staat scheint anderer Meinung zu sein - sonst würde die Debatte nicht so
hitzig geführt, oder?
Man muss genau unterscheiden: Der Staat hat sich zu den Fragen, wie Menschen
wohlüberlegt sterben wollen, nicht zu äußern. Er hat jedoch für Bedingungen zu
sorgen, dass dies ohne Missbrauch und ohne Bedrängung geschieht, dass
voreilige, affektiv überlagerte Entscheidungen vermieden werden. Den
unterschiedlichen Einstellungen der Bürger zu Tod und Sterben hingegen hat er
mit Neutralität zu begegnen. Wir leben nicht in einem Gottesstaat.
Können Kinder überblicken, was es heißt, den Zeitpunkt ihres eigenen Todes
zu bestimmen?
Wir kennen Jugendliche mit chronischen Erkrankungen, die sehr genau um sich
wissen und durchaus ihren Tod gestalten können. Wir wissen es sicher ab 14
Jahren, dass Jugendliche die Tragweite und Bedeutung ihres Handelns verstehen
können. In anderen Bereichen gestehen wir Jugendlichen dieses Alters auch
Selbstbestimmung zu. Mädchen können heute mit 14 oder 15 Jahren die Pille vom
Frauenarzt bekommen, ohne dass die Eltern informiert sein müssen.
Sie sehen da keinen Unterschied zwischen sexueller Selbstbestimmung und
Fragen von Leben und Tod?
Frau Haarhoff, bitte! Ich sage, dass die starre Grenze von 18 Jahren der
Vielfalt der Entwicklungen des Menschen nicht gerecht wird. Insofern glaube
ich, dass es richtig war in Belgien, dies zu thematisieren. Bedenken habe ich
allerdings bei der Ausweitung auf Kinder unter 14 Jahren.
(taz 10.4.14 S.4 - http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=sw&dig=2014%2F04%2F10%2Fa0134&cHash=74c7af9f4bb1fdc4c12147d839f7d29d
)
·
Urban
Wiesing:
Frankreichs Staatspräsident François Hollande hat eine Gesetzesinitiative zur
Legalisierung der aktiven Sterbehilfe angekündigt. In den Niederlanden bleibt
aktive Sterbehilfe seit vielen Jahren straffrei. Belgien hat kürzlich die
Sterbehilfe für Minderjährige gesetzlich zugelassen. In Deutschland spricht
sich eine wachsende Zahl von Bürgern für eine Liberalisierung der Regelungen
aus. Die Standesvertreter der Ärzte und führende Politiker wünschen sich
hingegen eine weitere Verschärfung: Der Deutsche Ärztetag wollte den ärztlich
assistierten Suizid verbieten lassen. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe
spricht sich für ein gesetzliches Verbot jeder Form organisierter Suizidhilfe
aus und hat eine entsprechende parlamentarische Initiative auf den Weg
gebracht.;
Die Bürger befürworten weit mehrheitlich die Beihilfe zum Suizid (wie auch die
Tötung auf Verlangen). Eine von der Bundesärztekammer in Auftrag gegebene
Untersuchung zeigte, dass 37 Prozent der Ärzte unter bestimmten Bedingungen
bereit sind, beim Suizid zu helfen. Diese Zahlen folgen einem langjährigen
Trend in den Industrienationen: Die Auffassungen der Bürger von gelingendem
Leben und von gelingendem Sterben gelten als eine höchst persönliche
Angelegenheit – die Menschen wollen auch am Lebensende ihre eigenen
Vorstellungen umsetzen.;
Der Staat darf die Lebens- und Sterbeentwürfe seiner Bürger an sich nicht
bewerten. Er ist zur Neutralität verpflichtet (nicht umsonst ist Suizid nicht
verboten). Die Gesetze müssen für Verhältnisse sorgen, die es den Bürgern
erlauben, ihre jeweiligen Lebensentwürfe zu gestalten, ohne andere dabei zu
schädigen. Für den Staat geht es nicht mehr um die richtige Art, zu leben oder
zu sterben, sondern nur um Vorkehrungen dagegen, dass jemand von anderen
bedrängt, manipuliert oder geschädigt wird. Deshalb hat der Staat unter anderem
die Aufgabe, die Palliativmedizin so auszubauen, dass der Wunsch nach Beihilfe
zum Suizid nicht aufgrund mangelnder medizinischer Versorgung aufkommt.
Gleichwohl besteht kein Zweifel, dass Menschen ihren Zustand auch bei bester
Palliativmedizin als unerträglich einstufen und wohlüberlegt um Beihilfe zum
Suizid ersuchen. Gute Palliativmedizin kann – und soll – das Problem
reduzieren; sie kann es aber nicht aus der Welt schaffen.;
Wenn ein Bürger unerträglich leidet, alle medizinischen Optionen ausgereizt hat
und aus freien Stücken nach Hilfe beim Suizid sucht, sollte er einen
vertrauensvollen und kompetenten Ansprechpartner haben. Dieser muss
ausschließen können, dass der Wunsch einer affektiven Kurzschlussreaktion
entspringt oder Folge einer behandelbaren Depression ist. Auch eine
unzureichende Schmerztherapie muss ausgeschlossen werden. Jede
Sterbehilfeorganisation sollte in detaillierter Dokumentation Rechenschaft
ablegen und so zur Transparenz beitragen. Organisierte Beihilfe zum Suizid
sollte von Beginn an wissenschaftlich begleitet werden. In Deutschland findet
Beihilfe jetzt schon ohne Zweifel statt (wie auch alle anderen Formen der
Sterbehilfe). Nur wissen wir nichts darüber. Organisierte Beihilfe zum Suizid
ermöglicht, zumindest einen Teil der Defizite zu beheben.;
Die Ärztekammern kämen den genannten Anforderungen am nächsten. Ihre
Mitglieder, die Ärzte, verfügen über das notwendige Fachwissen. Sie können
medizinisch gebotene Behandlungen einleiten. Sie sind in ihrem ärztlichen Ethos
grundsätzlich dem Leben verpflichtet und verfügen damit über die notwendige
Vorsicht. Sie sind organisiert und unterliegen einer Kontrolle.
Selbstverständlich muss für jeden Arzt das Recht gelten, sich hier zu
verweigern. Niemand darf gegen sein Gewissen zur Hilfe beim Suizid gezwungen
werden. Nicht zuletzt bestehen die Kammern mit Nachdruck darauf, dass der
ärztliche Beruf kein Gewerbe ist. Der Streit um gewerbliche Sterbehilfe hätte
sich ganz nebenbei erledigt. Erfahrungen weltweit zeigen, dass die Zulassung
des ärztlich assistierten Suizids das Arzt-Patient-Verhältnis nicht negativ
beeinflusst. Das Vertrauen in die Ärzte ist eher gewachsen. Auch die Warnungen
vor einem Dammbruch, der den Lebensschutz aufweicht, lassen sich für den
ärztlich assistierten Suizid nicht untermauern, im Gegenteil: Ärzte konnten
durch ihre Beratung zahlreiche Suizide verhindern.
Die Ärztekammern der Länder sind zerstritten. Die Vorgabe des Deutschen
Ärztetags, den ärztlich assistierten Suizid zu verbieten, haben sie nicht
einheitlich übernommen. In der Ärztekammer Nordrhein darf der Arzt keine
Beihilfe zum Suizid leisten, in Westfalen-Lippe soll er es nicht, in Bayern und
Baden-Württemberg ist es ihm erlaubt. Wenn sich die Ärztekammern nicht
konstruktiv einigen, dann sind neue Organisationen nötig, unter einer strikten
Vorgabe: Sie müssen die gleichen Sicherheitsstandards gewährleisten. Es ist
inakzeptabel, Menschen in höchst schwieriger Situation allein zu lassen, nur
weil die geeignete Profession derzeit keine Antwort findet.
(Die Zeit 10.4.14 S.38 - http://www.zeit.de/2014/16/sterbehilfe-deutschland-verbot
)
·
Interview
mit Ingrid Matthäus-Maier (SPD) …
Freie Presse: Wer hat das Thema Sterbehilfe auf die Agenda gesetzt? Wer will
den Status quo verändern?
Ingrid Matthäus-Maier: Das Thema ist von Gesundheitsminister Hermann Gröhe im
Dezember auf die Tagesordnung gehoben worden. Das war überraschend, denn es gab
keinen Grund dazu. Freitod ist in Deutschland nicht strafbar, also kann auch
die Hilfe dazu nicht strafbar sein. Der Minister als bekennender Christ glaubt,
Gott hat das Leben erschaffen. Niemand habe das Recht, sein Leben selbst zu
beenden. In einem religiös-weltanschaulich neutralen Staat darf die eigene
religiöse Überzeugung aber anderen nicht aufgezwungen werden, vor allem nicht
mit dem Strafrecht. Das soll gerade geschehen….
Welche Prämissen setzen Sie in punkto
Sterbehilfe?
Der Betreffende muss im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte sein und bewusst
entscheiden. Wenn dagegen jemand depressiv ist und deshalb Selbstmordgedanken
hat, braucht er dringend ärztliche Hilfe. Auch muss derjenige, der einen
begleiteten Freitod wünscht, die Tatherrschaft bis zum Schluss haben. …
Wir leben in einer freien Gesellschaft, und ich möchte, dass man mir die
Freiheit zu einem assistierten und würdevollen Freitod lässt, wenn ich ihn denn
je wollte. Es gibt Menschen, die wollen Palliativangebote nicht annehmen, weil
sie ihren letzten Lebensabschnitt als unerträglich oder als nicht lebenswert
einstufen. Diese Lebenswertbestimmung darf niemandem außer den Betroffenen
selbst zustehen. Wem denn sonst? Das gebietet das Grundgesetz.
Welche Artikel?
In Artikel 1 heißt es, die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu
achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Zudem gilt
Artikel 2, Absatz 1, jeder hat das Recht auf freie Entfaltung der
Persönlichkeit, soweit er nicht Rechte anderer verletzt und nicht gegen die
verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. …
Gerade die Gewissheit, bis ans Ende des Lebens das Heft des Handelns in der
Hand zu haben, hat beruhigende Wirkung, sogar eine suizidal-präventive Wirkung.
Wenn Menschen wissen, dass ihnen am Ende in der Weise geholfen wird, wie sie es
wünschen, wenn sie einen letzten Ausweg sehen, nehmen sie sich nicht unter
unwürdigen Bedingungen das Leben.
(Freie Presse Chemnitz 27.8.14)
·
Interview
mit dem Medizinethiker Ralf Jox
Was ist denn Ärzten in Deutschland schon
jetzt erlaubt, ohne dass sie ihre Approbation riskieren?
Ärzte dürfen lebenserhaltende Behandlungen einstellen oder unterlassen,
sofern der Patient dies wünscht, auch auf dem Wege einer Patientenverfügung.
Ärzten ist es zudem erlaubt, in den letzten Lebenstagen auf Bitten des
Patienten das Bewusstsein zu betäuben, damit dieser die körperlichen Symptome weniger
stark erleiden muss. Und sie dürfen Schmerz- und Beruhigungsmittel auch dann
geben, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass als Nebenwirkung die letzte
Lebensphase möglicherweise verkürzt wird. Das ist ein Graubereich. …
Wieso Graubereich, wenn es doch erlaubt
ist?
Wir wissen, dass die Medikamente - richtig dosiert - nicht direkt tödlich
wirken. Das gilt entgegen einer weitverbreiteten Meinung auch für Morphin, das
bei richtiger Dosierung nicht zum Atemstillstand führt. Wenn Ärzte diese
Medikamente aber höher dosieren, um den Sterbevorgang zu beschleunigen, kann
das den Straftatbestand der Tötung erfüllen.
Kann man hier überhaupt eine
verlässliche Grenze ziehen?
Das ist schwierig. In der Praxis verschreiben Ärzte, die ihre Patienten und
deren Angehörige gut kennen, in der letzten Lebensphase zum Teil starke
Medikamente und überlassen die Packung den Betroffenen. Da geht es auch um
Medikamente, die in einer hohen Dosis zum Tod führen können. Solche ärztlichen
Entscheidungen sind palliativmedizinisch richtig, aber sie bauen auf Vertrauen.
Und deswegen müssen Ärzte die Gewissheit haben, dass sie palliativmedizinisch
behandeln dürfen, ohne dass der Staatsanwalt anklopft.
Diese Gefahr sehen Sie?
Ich sehe diese Gefahr, jedenfalls dann, wenn ein weitgreifendes Verbot der
Suizidhilfe durch Ärzte Realität werden sollte, wie es - im Gegensatz zu uns -
Teile der Union fordern.
Welche Konsequenzen hätte ein solches
Verbot?
Zweierlei: Meine erste Befürchtung betrifft diejenigen Menschen, die bei
einer unheilbaren Erkrankung in der letzten Lebensphase ihren Tod selbst
herbeiführen wollen und dafür ärztliche Hilfe erbitten. Ihnen wäre durch ein
Verbot nicht geholfen. Sie würden sich andere Auswege suchen, in der Schweiz
Sterbehilfe in Anspruch nehmen oder gar auf eigene Faust versuchen, sich das
Leben zu nehmen, was oft misslingt oder zu einem langen Koma führt oder Dritte
traumatisiert, etwa Lokführer. …
(Artikel) Vernichtende Kritik führender
Mediziner
Seit Dienstag liegt er vor: der erste fertig ausformulierte Gesetzesvorschlag
für eine Neuregelung der Sterbehilfe in Deutschland. Er sieht vor, die derzeit
straffreie Beihilfe zur Selbsttötung - also etwa das Überlassen eines tödlichen
Medikaments, das der Patient sodann einnimmt - zu verbieten und "mit einer
Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe" zu bestrafen.
Hiervon ausgenommen werden sollen jedoch zwei nicht unrelevante Gruppen:
Angehörige beziehungsweise dem Betroffenen "nahestehende Personen"
sowie diejenigen, die als einzige Arzneimittel verordnen dürfen: Ärzte.
Faktisch setzt sich der Gesetzesvorschlag damit für eine liberale Handhabung
ein - in der Praxis wären von der Strafbarkeit nur Sterbehilfevereine
betroffen; Ärzte dagegen genössen fortan Rechtssicherheit (siehe Interview). …
Die Kritik der Wissenschaftler an Forderungen nach einem kompletten Verbot der
Hilfe zur Selbsttötung, wie sie etwa prominente Unionspolitiker um den
Bundesgesundheitsgesundheitsminister Hermann Gröhe oder den Fraktionschef
Volker Kauder zuletzt vertraten, ist vernichtend: "Dogmatisch verteidigte
weltanschauliche Positionen in Verbindung mit einer Unkenntnis der empirischen
Daten sind als Herangehensweise nicht hilfreich", schreiben sie. Und:
Ärzten die Beihilfe zum Suizid untersagen zu wollen, sei unvereinbar sowohl mit
der "Berufsausübungsfreiheit" als auch mit dem "Grundrecht der
Gewissensfreiheit des Arztes". …
"Untersuchungen in Rechtssystemen, die die Suizidhilfe transparent regeln
(wie die US-Bundesstaaten Oregon und Washington), zeigen übereinstimmend, dass
Suizidhilfe zumeist von Menschen gewünscht wird, die an schweren, unheilbaren
Erkrankungen mit einer begrenzten Lebenserwartung leiden." Für ihren
Sterbewunsch ausschlaggebend seien aber nicht etwa unerträgliche Schmerzen.
Sondern "die Wahrnehmung eines Verlustes von Würde, Lebenssinn und
individueller Freiheit". …
Die Legalisierung ärztlicher Suizidbeihilfe, schreiben Borasio, Jox, Taupitz
und Wiesing unter Berufung auf Daten aus dem US-Staat Washington, wirke sich
"suizidpräventiv" aus: So hätten 65 Prozent der Anfragenden aus
Washington nach der Beratung von ihrem Wunsch nach Selbsttötung wieder Abstand
genommen. Und von den 35 Prozent, die ein Rezept für ein todbringendes
Medikament erhalten hätten, habe ein Drittel es nicht eingelöst.
(Taz 27.8.14 S.27)
·
Die
Giftspritze durch den Arzt bleibt aber zu Recht weiterhin strafbar. Wer als
Kranker die Kontrolle über den eigenen Tod nicht selbst übernehmen will, will
vielleicht doch nicht wirklich sterben.
(Taz 27.8.14 S.12)
·
Immer
mehr Menschen reisen in die Scvhweiz, um dort Angebote zur Sterbehilfe
anzunehmen. Ihre Zahl hat sich innerhalb von 4 Jahren verdoppelt … Dabei kommen
die meisten sogenannten Suizidtouristen aus Deutschland. Von 2008 bis 2011
reisten insgesamt 611 Menschen aus 31 Ländern in die Schweiz, um sich dort von
einer Sterbehilfe-Organisation in den Tod begleiten zu lassen ... aus
Deutschland kamen 268 Menschen
(Freie Presse Chemnitz 20.8.14 S.8)
·
Interview
mit Peter Hintze (CDU)
Meiner Ansicht nach sollte der ärztlich assistierte Suizid in unerträglichen
Situationen am Lebensende ohne jeden Zweifel straffrei sein, wenn der Patient
sich dies wünscht und der Arzt in einer Gewissensentscheidung zu dem Ergebnis
kommt, dass er diesem Wunsch nachkommen will. Mir geht es ausschließlich um
diese Fälle extremen Leidens, nicht um Fälle, in denen Menschen aus psychischen
Gründen des Lebens überdrüssig sind. …
Ich bin dafür, dass die Medizin Mut zum Leben macht und dass wir alle Chancen
der Palliativmedizin nutzen. Hier ist noch ein großer Nachholbedarf. Doch nicht
jede unerträgliche Situation lässt sich palliativmedizinisch beherrschen. Da
ist es ein Gebot der Menschenwürde, dass ein derart Betroffener am Lebensende
den Arzt um Hilfe bitten darf. Es gibt auch eine Ethik des Helfens. …
(Der Spiegel 33-2014 S.16)
·
Interview
mit Peter Hintze (CDU
„Wir sind nicht Christus“
SPIEGEL: Herr Hintze, was ist ein guter Tod?
Hintze: Wenn ein Leben natürlich zu Ende geht, ohne Schmerzen, und man
irgendwann für sich loslassen kann. Ein solcher Tod ist leider nicht allen
vergönnt. Entscheidend ist, dass niemand einem anderen vorschreiben sollte, wie
er zu sterben hat und wie viel Leid er am Lebensende aushalten soll. …
SPIEGEL: Beihilfe zur Selbsttötung ist in Deutschland straffrei. Warum brauchen
wir eine gesetzliche Regelung?
Hintze: Wir müssen Ärzten und Patienten mehr Rechtssicherheit geben. Das
Arztrecht ist in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich geregelt. Die
Gerichte geben zwar regelmäßig den Ärzten, die ihrem Gewissen folgen, recht. Aber ein Arzt will Sicherheit haben, nicht vor
Gericht gezerrt zu werden und seine Approbation nicht zu gefährden.
SPIEGEL: Die Bundesärztekammer lehnt Ihren Vorschlag ab.
Hintze: Aber ein großer Teil der Ärzteschaft sieht das anders. Wir wollen eine
legale Grundlage im Zivilrecht schaffen, für ein ärztlich verantwortliches
Handeln. Wenn die Ärztekammern vorher tätig werden und sagen, doch, in
bestimmten extremen Ausnahmesituationen, die wir auch kennen, wollen wir dieser
Gewissensentscheidung des Arztes Raum geben, dann brauchten wir keine
staatliche Regelung. …
Hintze: Ein Arzt soll einem Patienten, der an einer unumkehrbar zum Tode
führenden Krankheit leidet und einen sehr starken Leidensdruck spürt, ein
Medikament zur Verfügung stellen dürfen, wenn er und ein weiterer Mediziner
dieses Leiden nachvollziehen können. Dann kann der Patient friedlich
entschlafen. …
SPIEGEL: Was ist mit schwer depressiven Patienten?
Hintze: Depressionen werden von unserer Regelung nicht erfasst. Dem
Sterbewunsch muss eine organische, keine psychische Erkrankung zugrunde liegen.
SPIEGEL: Warum eigentlich? Wenn Ihr Anliegen ist, unerträgliches Leid zu
verkürzen, dann müssten Sie konsequenterweise auch unheilbar psychisch Kranke
miteinschließen. Seelisches Leid kann mitunter unerträglicher sein als
körperliches.
Hintze: Bei einem depressiven Patienten gibt es gute andere Möglichkeiten der
Behandlung. Da geht es um die Überwindung der Depression und nicht um die
Abwendung von Qualen, die aus einem Sterbeprozess herrühren. Deshalb wird sie
von unserer Regelung nicht erfasst. …
SPIEGEL: Ist die Hilfe zur Selbsttötung mit der christlichen Ethik vereinbar?
Hintze: Ja, absolut.
SPIEGEL: Die Kirchen argumentieren anders.
Hintze: Unsere Kirchen sprechen gern davon, dass der Mensch über sein Leben
nicht verfügen soll. Das ist auch richtig, aber von jeder Norm gibt es
Ausnahmen.
SPIEGEL: In den Zehn Geboten heißt es klipp und klar: Du sollst nicht töten.
Hintze: Das ist, mit Verlaub, eine sehr schlichte Sicht der Dinge. Erstens ist
mit diesem Gebot nicht der Suizid gemeint. Aber selbst wenn: Die Zehn Gebote
stehen bekanntlich im Alten Testament, und dieses müssen wir im Lichte des
Neuen Testaments verstehen. ...
Das ist im Neuen Testament immer so: Wenn es einen Konflikt zwischen Hilfe und
Gebot gibt, hat immer die Hilfe den Vorrang. Natürlich spielte das komplizierte
Thema, über das wir heute reden, damals noch keine Rolle. …
SPIEGEL: Eine Befürchtung, wenn Ärzten der assistierte Suizid erlaubt wird,
ist, dass sich schwer kranke Menschen möglicherweise unter Druck fühlen könnten,
ihrem Leben ein Ende zu setzen. Etwa weil sie Angehörigen nicht zur Last zu
fallen wollen. Wie wollen Sie das verhindern?
Hintze: Die Empirie widerlegt solche Befürchtungen klar. In allen Ländern und
Staaten, in denen es die Erlaubnis zur Suizidassistenz gibt, ist sie dauerhaft
niedrig, im Nullkommabereich.
SPIEGEL: Das ist nur die halbe Wahrheit. Sowohl in Oregon als auch in der
Schweiz ist die Zahl der Fälle gestiegen.
Hintze: Aber auf sehr niedrigem Niveau. …
SPIEGEL: In den Niederlanden ist auch die aktive Sterbehilfe, die Tötung auf
Verlangen, durch Ärzte erlaubt. Die Zahl der Fälle steigt seit Jahren. 2013
waren es 4501.
Hintze: Das stimmt. In Deutschland ist und bleibt diese Möglichkeit durch
Gesetz ausgeschlossen. …
(Der Spiegel 46-2014 S.28ff. - http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-130223268.html
)
·
In
Oregon im Nordwesten der USA wurde ärztliche Sterbehilfe 1997 durch einen
Volksentscheid legal. Laut dem dortigen Gesundheitsministerium haben von 1997
bis 2013 752 Menschen ihr Leben mit verschriebenen Mitteln beendet. Ärtze
hätten 1173 Sterbehilfe-Rezepte ausgestellt.
… Der Tod sei bei den Patienten zwischen einer Minute und 104 Stunden eingetreten
(Mittelwert 25 Minuten)
(Freie Presse Chemnitz 15.10.14 S.4)
·
Interview
- Der Arzt Uwe-Christian Arnold, 70, assistiert todkranken Patienten beim
Suizid. Soeben erschien sein Buch Letzte Hilfe (mit Michael
Schmidt-Salomon, Rowohlt Verlag);
ZEIT: Wenn jetzt über Suizid diskutiert wird, dann klingt es oft so, als gäbe
es legitime und illegitime Gründe, sich umzubringen. Als wären viele Menschen,
die sich an Sterbehelfer wenden, in keiner echten Not, sondern bloß
"lebensmüde". Aus welchen Gründen kommen die Sterbewilligen
tatsächlich zu Ihnen?
Arnold: Die häufigsten Suizidursachen sind Depressionen und die Tatsache, dass
Menschen mit ihrem Leben nicht klarkommen. Wenn die mir schreiben oder mich
anrufen, kann ich nur zuhören, nicht helfen. …
Arnold: Natürlich gibt es die Angst, in einer Klinik unbekannten Menschen
ausgeliefert zu sein. Aber mit sozialem Druck hat noch keiner meiner Patienten
seinen Sterbewunsch begründet. Diese Szenarien sind Spekulation. Der
lungenkranke Mann, der heute anrief, will nicht sterben, weil er jemandem zur
Last fällt. Er ist auch nicht depressiv. Er erstickt.
ZEIT: Was sagen Sie zu dem Argument, kein Sterbewilliger wisse, wie viele gute
Tage er noch habe?
Arnold: Das ist blanker Paternalismus. Wieso soll ein Patient nicht selbst
entscheiden, wenn er nicht mehr kann? …
Oft geschieht es, dass Schwerstkranke nicht mit ihren Angehörigen geredet
haben. Dann sage ich: Sie können nicht an der Familie vorbei bei mir anrufen.
Auch wer sterben will, muss Rücksicht nehmen. Wir sind nicht allein auf dieser
Welt. …
ZEIT: Die Kirchen sagen, das Leben sei gottgegeben, also unverfügbar. Deshalb
dürfe der Mensch es nicht selbst beenden.
Arnold: Das ist unsere christliche Tradition. Aber als Nichtchrist geht mir das
völlig gegen den Strich. Warum sollen wir Leiden aushalten?
ZEIT: Weil Jesus Christus die Welt durch sein Leiden erlöst hat. Die alte
Leidenstheologie hat zwar heute weitgehend ausgedient. Aber die Frage bleibt:
Dürfen wir von jemand anderem als uns selbst fordern, Leiden zu ertragen?
Arnold: Ich sehe das überhaupt nicht ein! Jeder Bürger hat ein
Selbstbestimmungsrecht. Warum soll das beim Sterben nicht gelten? Wenn Christen
aus Glaubensgründen lieber leiden wollen, bitte. Ich möchte auch den
Flagellanten nicht verbieten, sich zu geißeln. Wer leiden will, soll leiden.
Wer nicht leiden will, muss es nicht. …
ZEIT: Wann haben Sie den ersten Hilferuf eines Sterbenden bekommen?
Arnold: Diesen Hilferuf kriegen Sie als Arzt von Anfang an. Die Leute sagen
nicht: Bring mich um! Aber: Wann ist es endlich vorbei?
ZEIT: Was haben Sie beim ersten Mal getan?
Arnold: Nichts. Weil ich keine Erfahrung hatte. Wir sind ja nur ausgebildet,
die Schmerzen zu lindern. Dann fragt man sich: Wie weit kann ich gehen, wenn
ich Morphium spritze? Das Bereitstellen eines tödlichen Medikaments auf Wunsch
eines todkranken Patienten ist übrigens keine aktive Tötung, sondern soll den
Weg zum Tod erleichtern. …
ZEIT: Viele Ärzte sind gegen Sterbehilfe. Trotzdem würde die Mehrheit im
Ernstfall gern Sterbehilfe in Anspruch nehmen.
Arnold: Das ist Heuchelei. Was meinen Sie, wie vielen Ärzten ich schon geholfen
habe? Die Studie, die von der Ärztekammer selbst veranlasst wurde, blieb einige
Zeit im Schubfach, weil immerhin ein Drittel der Ärzte fand, wenn wir eine
vernünftige Regelung hätten, könnten sie sich vorstellen, ihren Patienten beim
Sterben zu assistieren. Ein Drittel, das sind 130.000 Ärzte.
ZEIT: Eine Menge, aber nicht die Mehrheit.
Arnold: Was heißt Mehrheit? Der Präsident der Bundesärztekammer Frank Ulrich Montgomery
hat ein falsches Verständnis von Demokratie, wenn er Sterbehilfe ablehnt und
ignoriert, was Minderheiten wollen.
ZEIT: Zwei Ärzte der Berliner Charité wurden verurteilt, weil sie gegen den
Patientenwillen eine Dialyse gemacht haben.
Arnold: Der Patient wollte sich nicht umbringen, sondern einfach keine Dialyse.
Warum widersetzt man sich dem? Weil das Sterbenlassen tabuisiert ist. Die
jüngeren Ärzte haben mit der Muttermilch aufgesogen, dass man alle
Therapieverfahren unbedingt anwenden muss. Dazu kamen Fallpauschale und
Chefarzt-Boni, ein System, bei dem man belohnt wird, wenn man möglichst viel
operiert – wie ein Autoverkäufer, der viele Autos verkauft.
ZEIT: Die Gegner der Sterbehilfe werfen den Sterbehelfern vor, Todkranke
abzocken zu wollen.
Arnold: Meine Vorstellung war immer, dass man mit Sterbehilfe eben kein Geld
verdient. Bei Dignitas und Sterbehilfe Deutschland funktioniert das nicht, weil
es zu wenige Vereinsmitglieder gibt. Die Schweizer Organisation Exit dagegen
hat viele Mitglieder, so dass bei kleinen Beiträgen große Summen zur Verfügung
stehen. Die Mitglieder werden kostenlos begleitet. Das ist ideal. Aber ich gebe
zu, dass mir einige Patienten Geld anbieten und mir ganz klar sagen, ich finde
es gut, was Sie machen, und ich möchte das entsprechend honorieren.
ZEIT: In Deutschland könnte es nächstes Jahr eine neue Regelung geben, die
Sterbehilfe zu kommerziellen Zwecken verbietet. Das wäre ein Totalverbot durch
die Hintertür: Wie soll man eine ärztliche Dienstleistung kostenfrei machen?
Arnold: Gar nicht! Alles kostet Geld. Trotzdem muss man überlegen, wo das
rechte Maß ist. Ich selbst will mit der Sterbehilfe bestimmt nicht reich
werden. Manche Patienten geben mir für einen Besuch nur Benzingeld, soll ich
bei dem Thema sagen, das kostet aber jetzt 150 Euro? Andere spenden großzügig.
Aber ich würde mich schämen, etwa für telefonische Beratung Geld zu fordern. :::
Da rief sie mich an und meinte, jetzt sei es so weit. Ich fuhr hin, und wir
besprachen, was zu tun sei. Wir haben dann die Morphiumpumpe genutzt, deren
Sperrmechanismus man umgehen kann. Sie ist sanft eingeschlafen.
ZEIT: Sterbehilfegegner sagen, solche Extremfälle seien absolute Ausnahmen.
Arnold: Nein, der Extremfall kommt schon öfter vor. Man kann sich nicht mehr
bewegen, nicht versorgen, nicht sprechen. Manche halten das aus, andere nicht.
Ein Arztkollege, der durch eine neurologische Krankheit immer steifer und
ausgemergelter wurde, nur im Kopf noch ganz klar blieb, bat mich um Hilfe. Und
ich war geschockt. Dieser Mann lag nicht im Sterben, aber sein Zustand war
elend. …
ZEIT: Wie helfen Sie genau?
Arnold: Da gibt es viele verschiedene Möglichkeiten. Nahrungsverzicht,
Schmerztherapie, Palliativmedizin. Und dann die Medikamente, die zum Tod
führen. Dafür muss allerdings die Tatherrschaft des Patienten gegeben sein. Das
Medikament wird oft aufgelöst in Apfelmus. …
ZEIT: Wie gefährlich war es für Sie, beim Sterben zu helfen?
Arnold: Juristisch ist es kein Problem. Es zählt allein der freie Wille des
Patienten, vorausgesetzt, dass dieser voll urteilsfähig ist.
ZEIT: Und was ist mit der Garantenpflicht?
Arnold: Sie besagt, dass ein Arzt oder Angehöriger verpflichtet ist, zu helfen.
Aber nicht gegen den Willen des Patienten. Was er will, kann er schriftlich
erklären. …
ZEIT: Sie wurden bereits verklagt.
Arnold: Aber nie verurteilt. Ich hatte
einer Patientin Hilfe zugesichert, sie erzählte es einem Nachbarn, daraufhin
wurde mir der Kontakt verboten. Dann hat die Ärztekammer mir gedroht, im
Wiederholungsfall müsse ich 50.000 Euro Strafe zahlen!
Ich habe die Ärztekammer verklagt und den Prozess gewonnen, weil die Richter
entschieden: Allein der Patientenwille zählt.
ZEIT: Dürfen Sie beim Suizid dabeibleiben?
Arnold: Ja. Früher war das nicht ganz klar. Aber die Patienten sagen: Bleib bei
mir! Man geht ja auch nicht mitten in einer OP raus. Die Menschen wollen
begleitet werden. …
(Die ZEIT 20.11.14 S.66 - http://www.zeit.de/2014/48/sterbehilfe-arzt-uwe-christian-arnold
)
·
1.816
Menschen – durchschnittlich fünf pro Tag – haben sich in Belgien 2013 für die Sterbehilfe entschieden. Und der Trend geht
weiter nach oben. Mit der im Februar vom Parlament beschlossenen Abschaffung
der unteren Altersgrenze für Kinder im Endstadium einer tödlichen Krankheit ist
in Belgien ein weiteres Tabu gefallen. Unlängst wurde zudem dem Antrag eines 50
Jahre alten Mannes stattgegeben, der sich wegen Mordes und Vergewaltigung seit
drei Jahrzehnten in Sicherheitsverwahrung befindet. …
Situation in den Bundesstaaten der USA:
Oregon war der Pionier unter den amerikanischen Bundesstaaten. Bereits 1993
begann dort der Meinungsbildungsprozess, der per Volksabstimmung im November
1997 in das „Death with Dignity“-Gesetz einmündete – Tod in Würde. Seit Januar
1998 können sich im Nordwesten der USA unheilbar Kranke vom Arzt ein Medikament
verschreiben lassen, um sich das Leben zu nehmen. Die Vergabe ist allerdings an
strenge Kriterien gebunden. Der Patient muss volljährig und urteilsfähig sein,
seinen Wohnsitz in Oregon haben und an einer Krankheit leiden, die nach
Begutachtung von zwei Fach-ärzten innerhalb von einem halben Jahr aller
Wahrscheinlichkeit zum Tod führt. Außerdem muss der Patient seinen Todeswunsch
in einem Abstand von zwei Wochen zweimal mündlich und einmal schriftlich
vorbringen. Der behandelnde Arzt ist verpflichtet, den Kranken über palliative
Versorgungsangebote aufzuklären.
Von 1997 bis 2013 haben in Oregon, das 3,9 Millionen Einwohner hat, 1200
Menschen die finalen Rezepte bekommen. 750 haben das Medikament auch
tatsächlich genommen. Die anderen starben eines natürlichen Todes. Oder ihnen
genügte, so die Gesundheitsbehörde in der Hauptstadt Salem, „die Gewissheit,
einem als unwürdig empfundenen Tod entgehen zu können“. Durchschnittsalter: 71
Jahre.
Nach Einnahme der Mittel vergingen im Schnitt fünf Minuten bis zur
Bewusstlosigkeit. Nach 25 Minuten waren die meisten Patienten ohne Schmerzen
für immer eingeschlafen. Vor der Einnahme gaben die mehrheitlich gut gebildeten
Patienten am häufigsten diese Gründe an: Angst vor dem Verlust der persönlichen
Autonomie (91 Prozent), Furcht vor Einschränkung des Bewegungs-Radius und Sorge
vor dem Verlust der Würde (81 Prozent). Nur 24 Prozent erklärten den Entschluss
mit einer unzureichenden Schmerzbehandlung in Krankenhäusern oder Hospizen.
Im Nachbarstaat Washington State gilt das Tod-in-Würde-Gesetz seit 2009. Die
Zahl der final verschriebenen Rezepte stieg von 69 im Auftaktjahr auf 173 Fälle
in 2013. Der Grund in 80 Prozent der Fälle: Krebs. Rund zehn Prozent der
Patienten machten laut Statistik keinen Gebrauch von den tödlichen Pillen. Nach
Angaben der Gesundheitsbehörde des Bundesstaates waren 97 Prozent aller
Patienten, die 2013 von dem Gesetz Gebrauch machten, Weiße. 76 Prozent hatten
eine universitäre Ausbildung.
Der Neuengland-Staat Vermont ist der Novize unter den
Tod-in-Würde-Bundesstaaten. Im ersten Jahr nach Verabschiedung eines Gesetzes
in 2013 sind nach Angaben von Linda Waite-Simpson, Direktorin von „Compassion
& Choices“, einer Lobby-Organisation, die sich für Sterbehilfe einsetzt,
drei Patienten mit den Rezepten für Barbiturate versorgt worden. Anders als in
Oregon werden in Vermont weniger Daten abgefragt. Nach einer Erprobungsphase
sollen ab Sommer 2016 die Hürden noch weiter gesenkt werden.
In New Mexiko haben die Einwohner nach einem jüngsten Gerichtsurteil
das Recht auf finale Hilfe via Rezept. Der Justizminister in Santa Fe ist
dagegen in Berufung gegangen. Ausgang offen. In Connecticut, Hawaii, Kansas,
Massachusetts, New Hampshire, New Jersey und Pennsylvania stecken
Gesetzentwürfe im Verfahrensgang oder sind geplant.
(Das Parlament 17.11.14 S.4)
·
US-Bundesstaat
Oregon;
Choice, dieses Wort hört man in Gesprächen um die Sterbehilfe hier immer
wieder: die Wahl. Die Freiheit, selbstbestimmt zu entscheiden, was ein Sterben
in Würde für den Einzelnen bedeutet. Wer angesichts einer unheilbaren Krankheit
sein Leben nicht mehr lebenswert findet, soll es sich mit ärztlicher
Unterstützung nehmen dürfen. Wichtig ist aber, dass er es selbst tut. Direkte
Sterbehilfe per Giftspritze durch die Hand eines Arztes wie in den Niederlanden
oder Belgien ist in Oregon verboten.
Für Stutsman ist das der Hauptgrund, warum sich die Bewegung für ein
selbstbestimmtes Lebensende gerade in Oregon durchgesetzt hat. "Wir haben
den ärztlich assistierten Suizid an strenge Bedingungen geknüpft", sagt
er. So muss der Patient urteilsfähig sein und seinen Willen schriftlich wie
mündlich mit einem Abstand von 14 Tagen zweimal äußern. Zwei Ärzte müssen ihm eine
Krankheit bescheinigen, die im nächsten halben Jahr zum Tod führen wird. Die
Gesundheitsbehörde wacht über die Einhaltung dieser Bedingungen.
Ihrem jüngsten Report kann man entnehmen, dass seit 1997 insgesamt 752 Männer
und Frauen in Oregon so ihrem Leben ein Ende gesetzt haben: mit einer Überdosis
Pentobarbital oder Secobarbital. Die große Mehrheit von ihnen waren
Krebspatienten. Über die Jahre sind die Zahlen kontinuierlich gestiegen. Die
aktuellsten Zahlen stammen aus dem Jahr 2012, für das die Statistik 85 Suizide
ausweist (übertragen auf die deutsche Bevölkerung entspräche dies circa 1.500).
Eine "Welle von Selbstmorden", wie Kritiker vorausgesagt hatten,
erlebte Oregon nicht: Von 1.000 Todesfällen lassen sich im Schnitt zwei auf das
Sterbehilfegesetz zurückführen. Für Befürworter des Oregoner Modells wie Ralf
Jox zeigt dies, "dass keinesfalls automatisch alle Dämme brechen, wenn man
die Suizidbeihilfe in engen Grenzen ermöglicht".
Der Münchner Medizinethiker macht auf eine wichtige Beobachtung aufmerksam: Ein
Drittel derer, die das todbringende Medikament verschrieben bekommen, nutzen es
gar nicht. Vielen hilft es offenbar, die schiere Möglichkeit zu haben. Eine
Studie in mehreren Krebszentren im Nachbarstaat Washington zeigt sogar, dass
nur 20 Prozent der Tumorkranken, die eine Suizidhilfe erwägen, von dieser am
Ende auch Gebrauch machen. Einige sterben vorher, die meisten dürften auf
umfassende Schmerzlinderung vertrauen.
Schon bevor das Death-with-Dignity-Gesetz in Kraft trat, war Oregon in Amerika
für seine gute Betreuung am Lebensende bekannt. Seitdem hat sich die
Palliativmedizin dort stetig weiter verbessert. Die Ärzte verschreiben mehr
Schmerzmittel als in anderen Bundesstaaten, Palliativmedizin ist fester Teil
der Medizinerausbildung, und kein unheilbar Kranker muss in Oregon auf einen
Hospizplatz warten.
Auch von den Patienten, die ihr Leben frühzeitig mit einem Todescocktail
beenden, wurden die allermeisten zuvor in einem solchen Programm betreut.
"In Oregon betrachten wir Sterbehilfe und Palliativmedizin nicht als
Gegensatz", sagt Deborah Whiting Jaques, Leiterin der Oregon Hospice
Association in Portland. Vor 20 Jahren hat ihre Organisation das Gesetz noch
bekämpft. Man verstand – wie in Deutschland auch – jede Art der Sterbehilfe als
Kapitulation der Palliativmedizin. Mittlerweile verhalte man sich in dieser
Frage "neutral", sagt Jaques: "Wir unterstützen unsere
Patienten, welchen Weg sie auch gehen."
Dabei – und das ist wohl die interessanteste Erkenntnis aus Oregon – bewegt die
Sterbewilligen gar nicht zuerst die Angst vor übermäßigem Leiden. Die meisten
Patienten haben in dem Moment, da sie das Rezept beantragen, überhaupt keine
starken Schmerzen. Sie wollen vielmehr die Kontrolle
behalten: Sie fürchten, in den letzten Monaten nicht mehr sie selbst zu sein
und sich ganz auf andere Menschen verlassen zu müssen. Linda Ganzini,
Psychiatrieprofessorin an der Oregon Health and Science University, sagt:
"Diese Patienten haben keine Angst, qualvoll allein zu sterben. Es ist
umgekehrt: Sie haben Angst, dass andere sich zu viel um sie kümmern
müssen."
(Die ZEIT 30.10.14 S.35 - http://www.zeit.de/2014/45/aerztliche-sterbehilfe-suizid-pentobarbital-rezept-oregon
)
·
Der
Deutsche Ethikrat begrüßt, dass das Bundesministerium für Gesundheit die
Hospiz- und Palliativversorgung im ambulanten und stationären Bereich des
Gesundheitssystems und der Pflege mit einer weiteren Gesetzgebungsinitiative
nachdrücklich stärken sowie flächendeckend etablieren will. Eine gute
palliative Versorgung, die für alle Patienten mit einer fortschreitenden
Erkrankung und begrenzter Lebenserwartung erreichbar ist, lindert Not, kann
Angst und Verzweiflung überwinden helfen und damit auf Fragen nach einer
möglichen Unterstützung bei einer Selbsttötung lebensorientierte Antworten
geben. Diese Angebote betreffen allerdings nur einen kleinen Teil der pro Jahr
in Deutschland etwa 100.000 Menschen, die einen Suizidversuch unternehmen, da
Suizidversuche zumeist nicht von Menschen unternommen werden, die bei absehbar
knapp begrenzter Lebenserwartung an einer fortschreitenden Erkrankung leiden.
Für vereinsamte und psychisch kranke Menschen beispielsweise bedarf es anderer
suizidpräventiver Maßnahmen und Strukturen. …
Die geltende Gesetzeslage, wonach weder ein Suizid noch eine Beihilfe zu einem
im rechtlichen Sinne frei verantwortlichen Suizid strafbar ist, steht im
Einklang mit den Prinzipien eines freiheitlichen Verfassungsstaates. Diese
schließen es aus, den Suizid abstrakt-generell als Unrecht zu bestimmen. Denn
dabei würde eine allgemeine, erzwingbare Rechtspflicht zum Leben vorausgesetzt,
die grundlegenden Rechtsprinzipien widerspräche.
Deshalb kann auch die Hilfe zu einem frei verantwortlichen Suizid ihrerseits
nicht generell als Unrecht im Rechtssinne definiert werden, so umstritten die
Freiverantwortlichkeit eines Suizids allgemein und ihre Erkennbarkeit im
konkreten Einzelfall auch sein mögen. Bei einem solchen Suizid kann auch die
Garantenpflicht oder die allgemeine Hilfeleistungspflicht keine Strafbarkeit
des Gehilfen begründen. …
empfiehlt der Deutsche Ethikrat, das derzeit geltende Strafrecht nicht
grundsätzlich zu ändern. Eine eigene gesetzliche Regulierung etwa der
ärztlichen Suizidbeihilfe lehnt die Mehrheit des Ethikrates ebenso ab wie jede
Regulierung der Suizidbeihilfe für eine andere Berufsgruppe, auch weil auf
diese Weise gleichsam „erlaubte Normalfälle“ einer Suizidbeihilfe definiert
würden. …
Eine Suizidbeihilfe, die keine individuelle Hilfe in tragischen
Ausnahmesituationen, sondern eine Art Normalfall wäre, etwa im Sinne eines
wählbaren Regelangebots von Ärzten oder im Sinne der Dienstleistung eines
Vereins, wäre geeignet, den gesellschaftlichen Respekt vor dem Leben zu
schwächen. …
Die Mehrheit des Deutschen Ethikrates empfiehlt, dass die Ärztekammern
einheitlich zum Ausdruck bringen sollten, dass ungeachtet des Grundsatzes, dass
Beihilfe zum Suizid keine ärztliche Aufgabe ist, im Widerspruch dazu stehende Gewissensentscheidungen in einem vertrauensvollen
Arzt-Patient-Verhältnis bei Ausnahmesituationen respektiert werden. …
Zudem ist eine Mehrheit des Ethikrates der Auffassung, dass der Gesetzgeber im
Betäubungsmittelrecht klarstellen sollte, dass eine im Ausnahmefall erfolgende
Verschreibung von Betäubungsmitteln auch im Rahmen einer Beihilfe zu einem frei
verantwortlichen Suizid nicht strafbar ist. …
(Deutscher Ethikrat: Ad-hoc-Empfehlung - Zur Regelung der Suizidbeihilfe in
einer offenen Gesellschaft: Deutscher Ethikrat empfiehlt gesetzliche Stärkung
der Suizidprävention http://www.ethikrat.org/publikationen/ad-hoc-empfehlungen/suizidbeihilfe )
·
Belgiens
führende Sterbehelfer besuchen die Lager von Auschwitz. Am Ort des Hasses
wollen sie Liebe lernen. Am Abgrund der Menschenverachtung diskutieren sie
Freiheit und Demut.;
Dass ein Arzt einen todkranken Menschen auf dessen Wunsch hin töten kann, ist
in Belgien seit 2002 erlaubt. 1807 Menschen haben im vergangenen Jahr
Sterbehilfe bekommen, zwei Prozent aller Verstorbenen. Seit wenigen Monaten
können auch todkranke Kinder sie beantragen, egal, wie alt sie sind. Hilfe beim
Sterben darf jeder bekommen, der unheilbar krank ist und dessen Leid
unerträglich geworden ist. Was ist unerträglich? "Das bestimmt nur der
Patient selbst", hatte Distelmans gesagt. Er sprach über Deutschland. Er
sagte, dass ihm jeder Mensch leidtue, der kein Geld habe, um zum Sterben in die
Schweiz zu fahren. Jeder Mensch, der also allein sterben müsse. Vor einem Zug.
Im Wald.
In Belgien muss ein Mensch, der mithilfe eines anderen sterben will, bei klarem
Verstand sein. Er muss seinen Wunsch aufschreiben, ihn mehrfach äußern. Dann
schaut der Arzt, ob der Mensch im Endstadium einer Krankheit ist. Er erklärt
ihm, welche Behandlungen noch möglich sind. Das Gesetz schreibt vor, dass Arzt
und Patient zu der Überzeugung kommen müssen, dass es keine andere vernünftige
Lösung gibt. Würde der Patient in der nächsten Zeit ohnehin sterben, müssen zwei
Ärzte über seinen Wunsch entscheiden. Lässt sich seine Lebensdauer nicht
schätzen, müssen drei Ärzte gefragt werden. …
"Was heißt das für uns?", fragt
Distelmans. "Viele von uns sind Ärzte. Wir haben Macht über andere
Menschen. Wir wissen alles besser. Man hat uns beigebracht, Leben zu erhalten.
Wir müssen aber aufpassen, dass wir unsere Patienten nicht gegen ihren Willen
weiterbehandeln, wenn sie eigentlich sterben wollen. Niemand darf sich
einbilden, über den Wert eines Lebens urteilen zu dürfen. Wir müssen Diener
unserer Patienten werden, und wenn es zu Ende geht, müssen wir unser Scheitern
als Arzt akzeptieren." …
Ein paternalistischer Arzt ist für ihn ein Arzt, der einem Menschen das
Leben aufzwingt. Einer, der alles besser weiß und den Patienten zur Behandlung
überreden will, anstatt ihn nur über seine Möglichkeiten zu informieren. Ein
paternalistischer Arzt ist ein Machtmensch. …
Aber Distelmans ist, anders als die anderen Ärzte, mit einer Idee nach
Auschwitz gekommen. Er wollte, dass seine Kollegen seine Definition von
Freiheit verstehen. Dass sie einsehen, dass es
Freiheit nur geben kann, wenn ein Mensch sich aus der Macht von anderen löst.
Distelmans ist ein radikaler, ein absoluter Mensch. Er sieht nicht, dass die
Freiheit, über das eigene Leben zu entscheiden, einen Patienten auch
überfordern kann. Er sieht nicht, dass sich ein Mensch auf der Schwelle
zwischen Leben und Tod vielleicht jemanden wünscht, der sagt: Geh nicht. …
(Der Spiegel 47-2104 S.50ff. - http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-130335546.html
)
Aus
Grafik : Hilfe zum Sterben; |
||
Land |
2003 |
2013 |
Tötung auf
Verlangen (aktive Sterbehilfe) |
||
Niederlande |
10 |
34,4 |
Belgien |
3 |
16,3 |
assistierter Suizid
(Beihilfe zur Selbsttötung |
||
Schweiz |
3 |
8,9 |
US-Staat
Oregon |
2 |
2,2 |
·
(5) Nach allgemeinem Verständnis wird
unter einer Patientenverfügung eine
eine individuelle schriftliche oder auch mündliche Willensäußerung eines
entscheidungsfähigen Menschen zur zukünftigen Behandlung im Falle der eigenen
Äußerungsunfähigkeit verstanden. Sie enthält Angaben zur gewünschten Art und
zum Umfang medizinischer Behandlung, möglicherweise die Ablehnung jeglicher
Behandlung in bestimmten Krankheitssituationen ...;
(6) Umfrage 1999: 8 % der Bundesbürger haben eine PV verfasst.; 81 % halten sie
für sinnvoll und wollen eine aufsetzen (2003:: 10 % haben PV, über 60-jährige:
23 %);
(7) Bundesärztekammer 1999 „Handreichungen für Ärzte zum Umgang mit
Patientenverfügungen“, darin auch Situationen wie „nicht aufhaltbare schwere
Leiden“ oder „dauernder Verlust der Kommunikationsfähigkeit“ aufgenommen;
(8) Bundesärztekammer 2004 “Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung“, darin:
die künstliche Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr wird explizit den ärztlich
indizierten (Behandlungs- JK) Maßnahmen zugeordnet und damit aus dem Katalog
der Basismaßnahmen herausgenommen, lediglich das Stillen von Hunger und Durst
wird zu den nicht absetzbaren Basismaßnahmen gezählt;
(8) Beschluss des 12. Zivilsenats des BGH vom 17.3.03: Darin wurde
festgestellt,
+ dass Patientenverfügungen grundsätzlich für Arzt und Betreuer verbindlich
sind
+ dass PV Ausdruck des tatsächlichen Patientenwillens sind und nur beim Fehlen
einer solchen Willensbekundung der mutmaßliche Patientenwille ermittelt werden
muss;
+ dass die in eigenverantwortlicher Entscheidung getroffene und in der PV
schriftlich niedergelegte Entscheidung nicht unter spekulativer Berufung darauf
unterlaufen werden darf, dass der Betroffene in der konkreten Situation
vielleicht doch etwas anderes gewollt hätte;
(9) Der Begriff des „informed consent“ lässt sich am besten mit „informierter
Zustimmung“ übersetzen und als „auf bestmöglicher Aufklärung basierende
bewusste, freiwillige Zustimmung“ verstehen;
(14) (Abbruch von Behandlungsmaßnahmen bei bestehender Überlebensmöglichkeit,
z.B. Dialyse JK) bei Einwilligungsfähigen ist das Zustimmungserfordernis zu
medizinischen Maßnahmen nicht von der ärztlichen Prognose abhängig;
(15) Ärzte und Pfleger dürfen nicht zu unerlaubten Handlungen gezwungen werden;
Sie können ihre Beteiligung an der Umsetzung der vom Patienten erwünschten
Maßnahmen unter Berufung auf ihre Gewissensfreiheit verweigern;
(16) Solange ein Patient selbst entscheidungsfähig ist, kann er über anstehende
medizinische Maßnahmen selbst entscheiden. Sein aktuell geäußerter Wille ist
für das Handeln der Ärzte und des Pflegepersonals maßgeblich.
(17) Behandlungsverbote vonseiten des einwilligungsfähigen Patienten sind für
den behandelnden Arzt verbindlich. Generell darf ohne Einwilligung des
Patienten eine die körperliche Unversehrtheit beeinträchtigende Behandlung
nicht durchgeführt werden, auch dann nicht, wenn diese objektiv geeignet ist,
die Gesundheit des Patienten wiederherzustellen. ...
Selbst ein objektiv unvernünftiger Wille ist zu respektieren. Gegen den Willen
des Patienten sind Behandlungen nicht zulässig, sondern strafbar.;
(23) Dänemark seit 1992 gesetzliche Regelung für PV;
Standardformular, zwei ankreuzbare Alternativen, kein Raum für individuelle
Bemerkungen:
a) ich möchte keine lebensverlängernde Behandlung in einer Situation, in der
ich unvermeidlich sterben werde
b) ich möchte keine lebensverlängernde Behandlung, wenn fortgeschrittene
Demenz, ein Unfall, Herzstillstand oder Ähnliches mich so schwer behindert,
dass ich nie wieder physisch oder geistig in der Lage sein werde, mich um mich
selbst zu kümmern;
(38) Enquete-Kommission Vorschlag zur Reichweite von PV:
auf Fallkonstellationen beschränken, in denen das Grundleiden irreversibel ist
und trotz medizinischer Behandlung nach ärztlicher Erkenntnis zum Tod führen
wird (also Zustände von Demenz, Wachkoma nicht erfasst)
(Deutscher Bundestag, Enquete-Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin,
Zwischen- bericht 13.9.04 „Patientenverfügungen“)
·
Situationen, in denen
Willensbekundungen des Patienten gelten, z.B.
künstliche Ernährung, Beatmung, Dialyse
Verabreichung von Antibiotika ...
(Bundesärztekammer 1999 „Handreichungen für Ärzte zum Umgang mit Patientenverfügungen“,
Dtsch. Ärzteblatt 29.10.1999 S.A2720ff)
·
Statement von Prof. Beleites zur
Erläuterung:
dass die Anlegung einer PEG sowie die Fütterung über sie nur statthaft ist,
wenn sie nicht gegen den Willen oder gegen den mutmaßlichen Willen des Patienten
erfolgen;
im Text:
Aufgabe des Arztes ist es, unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechtes des
Patienten Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen
sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tod beizustehen. ...
in jedem Fall für Basisbetreuung zu sorgen: menschenwürdige Unterbringung,
Zuwendung, Körperpflege, Lindern von Schmerzen, Atemnot und Übelkeit, Stillen
von Hunger und Durst ...
Art und Ausmaß der Behandlung sind vom Arzt zu verantworten;
der Arzt muss dabei den Willen des Patienten beachten ...
mit Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen nimmt
der Patient sein Selbstbestimmungsrecht wahr, sie sind eine wesentliche Hilfe
für das Handeln des Arztes ...
bei einwilligungsfähigen Patienten hat der Arzt den Willen des angemessen
aufgeklärten Patienten zur Ablehnung einer Behandlung zu beachten, selbst wenn
sich dieser Wille nicht mit den aus ärztlicher Sicht gebotenen Maßnahmen deckt
...
bei einwilligungsunfähigen Patienten ist die in einer Patientenverfügung
zum Ausdruck gebrachte Ablehnung einer Behandlung für den Arzt bindend, sofern
diese Situation konkret beschrieben ist ...
(Bundesärztekammer 2004: „Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung“,
Dtsch. Ärzteblatt 7.5.04)
·
PEG = Perkutane endoskopische
Gastrostomie (Ernährungssonde wird mittels eines Endoskops durch die Bauchwand
in den Magen eingeführt)
·
(17) wann eine Behandlung bei NICHT
Urteilsfähigen abgebrochen wird, ist in Deutschland nicht reguliert; liegt
weitgehend in der Entscheidungshoheit des Arztes
(humanismus aktuell 8/2004)
·
Wachkoma: Erst die Magensonde macht
ein Dauerkoma möglich. Früher wurden Menschen mit einem Schlauch durch die Nase
oder den Rachen künstlich ernährt. Das führte nach einiger Zeit zu
schrecklichen Wunden .... Segen, aber auch Fluch:
jahrelanges Dahinvegetieren; dieses „ewige Leben“ wird also in Wahrheit durch
die modernen Magensonden in Pflegeheimen garantiert – und nicht, wie viele
befürchten, weil man an vielen Apparaten auf Intensivstationen hängt
(ZEIT 20.11.03 S.29)
·
Beleites, Bundesärztekammer: Jeder
muss festlegen können: Ich will nicht gerettet werden.;
Borasio, Palliativmediziner: Viel wichtiger (als in einer Patientenverfügung
genaue Regelungen zu treffen für Fälle, die dann doch nicht eintreten) sei es,
einem vertrauten Menschen eine Vorsorgevollmacht zu erteilen. Der kann Ihre
Interessen viel besser vertreten als ein Blatt Papier, in dem Sie niemals alle
Eventualitäten abdecken können.
(Spiegel 37/2004 S.168)
·
Erstellen einer Patientenverfügung ist
nur der erste Schritt; schließlich ist auch eine Person erforderlich, die den
Willen des Betroffenen den behandelnden Ärzten übermittelt und diesen gegenüber
durchsetzt; dies kann nur ein Bevollmächtigter oder Betreuer
(Freie Presse Chemnitz 18.11.06)
·
Eine im Heimvertrag übernommene
Verpflichtung der Einrichtung zu einer auch die künstliche Ernährung
umfassenden Versorgung berechtigt die Einrichtung nicht, die Annahme dieser
Leistung gegen den Willen des Patienten zu erzwingen.;
Die Würde, das Selbstbestimmungsrecht und die Gewissensfreiheit der
Pflegekräfte sind dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten gegenüber
nachrangig;
Zudem sollte eine urkundliche Patientenverfügung durch eine personale Verfügung
ergänzt werden. Am besten ist eine Vorsorgevollmacht, mit der eine
Vertrauensperson bevollmächtigt wird, unter anderem zur Durchsetzung des
Willens des Patienten auf Grund der urkundlich festgelegten Patientenverfügung.
(HomeCare Journal 1/06 S.5)
·
70 % der PEG-Anlagen betreffen
Heimpatienten, bei denen diese Maßnahme oft medizinisch nicht indiziert
(notwendig JK) ist
(Dtsch. Ärzteblatt 8.8.05 S.A2154)
·
Bundestag hat mit den Stimmen aller
vier Fraktionen eine vom Bundesrat vorgeschlagene Änderung des Betreuungsrechtes
gebilligt; der Rechtsausschuss hatte zuvor wesentliche Änderungen an der
Initiative des Bundesrates vorgenommen: So lehnte er insbesondere angesichts
der nicht auszuschließenden Missbrauchsgefahr die Einführung einer gesetzlichen
Vertretungsmacht für Ehegatten ab. Im ursprünglichen Entwurf war noch
vorgesehen gewesen, dass einer der beiden Ehepartner, wenn der andere in Folge
einer Krankheit oder Behinderung nicht in der Lage ist, seine Rechte und
Pflichten selbst wahrzunehmen, beispielsweise begrenzt über ein Girokonto
verfügen darf. Der Ausschuss wies in diesem Zusammenhang darauf hin, die
Möglichkeit einer Vollmacht in Betracht zu ziehen.
(Das Parlament 21.2.05 S.4)
·
(9) Jeder Mensch hat das Recht, eine
medizinische Behandlung zu gestatten oder auch zu verweigern. Jede gegen den
Willen des Patienten durchgeführte Maßnahme (sei es eine Operation oder auch
nur das Legen einer Magensonde) stellt nach geltendem Recht eine
Körperverletzung dar. Auch Schwerkranke und Sterbende haben das Recht auf Selbstbestimmung.
(10) eigenverantwortlich ausgeübte Selbstbestimmung muss letztlich den Vorrang
haben. Dieser Vorrang gilt auch dann, wenn die Entscheidung gegen die
medizinische Behandlung aus Sicht anderer unvernünftig erscheint oder das Leben
des Patienten bedroht, und dies nicht nur, wenn die Situation für den Patienten
hoffnungslos oder der Krankheitsverlauf irreversibel tödlich ist.;
(12) Die Fortsetzung einer einmal begonnenen Behandlung (etwa die künstliche
Ernährung per Magensonde) ist nicht mehr gerechtfertigt, wenn sich
herausstellt, dass von vornherein keine (erklärte oder mutmaßliche)
Einwilligung vorgelegen hat oder diese im weiteren Verlauf widerrufen worden
ist. Erhält der Arzt keine Einwilligung, muss er die Weiterbehandlung
unterlassen.
(Nationaler Ethikrat; Stellungnahme „Patientenverfügung“ 2005)
·
Kosten pro Betreuungsfall in
Deutschland durchschnittlich 359 Euro pro Jahr; Staatskasse zahlte 2003 395,5
Millionen Euro; Betreute, die nicht mittellos sind, bezahlen ihre Betreuung
selbst;
in etwa 70% der Fälle übernehmen Angehörige die Betreuung; Berufsbetreuer
können zwischen 27 und 44 Euro je Stunde verlangen (erwartet wird Aufwand von 2
Stunden pro Betreuungsfall im Monat);
(Öko-Test 1/06 S.45)
·
(6) ist das Abwarten des Todes die
angemessene Haltung im Blick auf das – eigene und fremde – Sterben;
dass in das Sterben des einzelnen immer andere Menschen eingebunden sind:
Angehörige, Freunde, Pflegende, Ärzte, Seelsorger. Selbstbestimmung und
Fürsorge durchdringen und bedingen sich auch im Blick auf das Lebensende
gegenseitig;
(Form der Patientenverfügung) Die evangelische Kirche empfiehlt eine
schriftliche - oder anders dokumentierte (z.B. Ton- oder Videoaufnahme) – Form
als Regel. Dafür spricht, dass die meisten Menschen ihre Entscheidungen und
Worte besonders genau abwägen, wenn sie sich schriftlich äußern. Aber auch
mündliche Äußerungen, die verlässlich belegt sind, müssen berücksichtigt
werden.
(11) (Bezug auf das Formular der „christlichen Patientenverfügung“) Der
vorgegebene Text im Formular der Patientenverfügung bezieht sich ausschließlich
auf sterbende Menschen. In der zweiten Auflage wurde darüber hinausgehend Raum
für ergänzende individuelle Zusatzverfügungen (z.B. auch für
Krankheitssituationen wie Wachkoma, Demenz) gegeben.
(13) Patientenverfügung ist Ausdruck der Erkenntnis eines Menschen, dass auch
dem Sterben seine Zeit gesetzt ist, in der es darauf ankommen kann, den Tod
zuzulassen und seinem Kommen nichts mehr entgegenzusetzen. Diese Erkenntnis
kann niemand stellvertretend für einen Anderen haben. Jeder muss sie für sich
selbst gewinnen und vor Gott verantworten. ... Sicht des Menschen zu achten ...
wann im Blick auf sein Sterben was für ihn an der Zeit sein wird.
(14) Vor wesentlichen Entscheidungen zum weiteren Behandlungsverlauf sollte das
gemeinsame Gespräch unter Einbeziehung der behandelnden Ärzte, der Angehörigen
des Patienten, Mitgliedern des Pflegepersonals sowie von Seelsorgern
stattfinden. Die Entscheidungen sollten nach Möglichkeit im Einvernehmen mit
dem Bevollmächtigten bzw. Betreuer getroffen werden. Jedoch trägt die letzte
Verantwortung der behandelnde Arzt.
(15) Einem urteilsfähigen Patienten wird das Recht zuerkannt, Therapien
abzulehnen, auch wenn sein Leben dadurch auf unbestimmte Zeit erhalten werden
könnte ... Grundsätzlich gilt dies auch dann, wenn in einer Patientenverfügung
für den Fall der Urteilsunfähigkeit bestimmt wird, dass bei Eintreten
bestimmter Krankheitsumstände auf weitere Therapien verzichtet werden soll,
selbst wenn das Leben noch auf unbestimmte Frist verlängert werden könnte. ...
... dass im zweiten Fall Andere für
einen Patienten entscheiden und Handeln müssen. Für sie kann nicht allein der
Patientenwille maßgebend sein, sondern sie haben dem Patienten gegenüber auch
Fürsorgepflichten.
(19) wenn ein urteilsfähiger Patient angesichts von schwerster Krankheit und
Leiden Nahrung verweigert, verbietet es der Respekt vor dessen
Selbstbestimmung, ihn in diesem Fall zwangsweise zu ernähren ... muss dies
prinzipiell auch für den Fall seiner Urteilsunfähigkeit gelten.
(24) (Demenzerkrankungen) Je näher sich der Patient beim Pol des Endstadiums
der Demenz befindet, umso größeres Gewicht erlangt der in der PV niedergelegte
Wille
(EKD-Texte 80: Sterben hat seine Zeit – Überlegungen zum Umgang mit
Patientenverfügungen aus evangelischer Sicht, 2005)
·
Insgesamt zeigt meiner Auffassung nach
der Fall des Wachkomas, dass die Beschränkung der Patientenverfügung allein auf
Krankheiten, die aus sich heraus absehbar zum Tode führen, eine problematische
Engführung ist. In dem Beitrag der Kammer für öffentliche Verantwortung wird
als Regel etwa so formuliert: „In Fällen, in denen der Patient ohne Bewusstsein
ist und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Bewusstsein nicht
wieder erlangen wird, ist der Patientenverfügung gemäss zu handeln, was auch
heißen kann, dass man auf therapeutische Interventionen verzichtet und ihn
sterben lässt.“ Eine therapeutische Intervention ist etwa die Behandlung mit
Antibiotika. Ich persönlich halte es auch für vertretbar, in einer Patientenverfügung
für diesen Fall den Verzicht auf künstliche Ernährung vorzusehen.
Nahezu jede Patientenverfügung muss ausgelegt werde. Dafür braucht man eine
Gesprächsebene ... Eine besonders starke Stellung braucht der min einer
Vorsorgevollmacht eingesetzte Bevollmächtigte.
(Hermann Barth, Präsident des Kirchenamtes der EKD, Interview in „Sonntag“
21.1.07)
·
Interview mit Bruno Reichart,
berühmter Herzchirurg und Transplantationsmediziner, München;
Wenn Patienten oder Angehörige kommen und sagen, Herr Doktor, hier ist eine
Patientenverfügung, dann sage ich: Die können Sie ruhig in Ihrem Nachtkästchen
lassen. Sie interessiert mich nicht. ... Die Sache ist doch ganz einfach: Ein
Patient liegt in einer schweren Krisensituation auf der Intensivstation. Wir
behandeln ihn, solange wir eine Chance sehen, dass dieser Mensch überlebt. Von
außen betrachtet, sieht das oft hoffnungslos aus, ist es aber nicht. Wenn nun
ein Angehöriger kommt und sagt, der Patient hat in seiner Verfügung
geschrieben, er will nicht abhängig von Maschinen sein: Soll ich den Patienten
deshalb umbringen? Nein, ich ignoriere das.
(ZEIT 6.6.07 S.15ff)
·
Präsident der Bundesärztekammer Hoppe:
Der Wille des Patienten ist sehr verbindlich, das wissen nur zu wenige. Niemand
darf gegen seinen Willen behandelt werden. Das gilt für den Patienten, der
seinen Prostatakrebs nicht operieren lässt, weil er sagt: Ich riskiere lieber,
kürzer zu leben, als inkontinent und impotent zu werden. Das gilt aber auch für
einen Patienten, der sich nicht äußern kann. Dann sind die Ärzte durch eine
schriftliche oder mündliche Patientenverfügung gebunden, sofern sie auf die
Situation passt und nichts Konkretes dafür spricht, dass er seinen Willen
geändert hat. ...
Die Erfindung der PEG-Magensonde war ein Riesenfortschritt. Dass man sie auch
missbrauchen kann, mussten wir erst lernen.
Palliativmediziner Borasio: Die wahren Dramen spielen sich in den Pflegeheimen
ab. Eine halbe Million Menschen werden dort dauerhaft künstlich ernährt, ein
Großteil davon ohne medizinische Indikation oder gegen den erklärten oder
mutmaßlichen Willen. Dass das verboten ist, wissen viele gar nicht. ...
In Befragungen hielt die Hälfte der Ärzte, aber auch ein Drittel der
Vormundschaftsrichter die Beendigung von künstlicher Ernährung oder Beatmung
für strafbare aktive Sterbehilfe. Dabei ist der Abbruch dieser Maßnahmen nicht
nur erlaubt, sondern sogar geboten, wenn es dem Willen des Patienten entspricht
und dem Sterben seinen natürlichen Lauf lässt. ...
Im Prinzip bedeutet Freiheit auch die Freiheit, sich selbst zu schaden ...
“irreversibel tödlicher Krankheitsverlauf“ – einzig sinnvolle Definition dafür,
dass er die Lebenserwartung verkürzt; das trifft sowohl auf Wachkoma als auch
auf die Demenz eindeutig zu;
beide: meine Frau hat eine Vorsorgevollmacht
(Spiegel 13/2007 S.138)
·
7-9 Millionen Deutsche haben eine
Patientenverfügung;
Es gilt als Körperverletzung, wenn ein Arzt einen Patienten gegen dessen Willen
behandelt;
Urteil des Bundesgerichtshofs 2003: Patientenverfügungen verbindlich, wenn die
Krankheit einen „irreversibel tödlichen Verlauf“ genommen hat;
Richterin später dazu: in ihren Augen sei ein Wachkoma doch als irreversibel
tödlich anzusehen, wenn die Rückkehr des Bewusstseins nicht zu erwarten sei
(taz 29.3.07)
·
Bundesjustizministerin Zypries: Der Wille
des Patienten in einer Patientenverfügung muss beachtet werden. Für den Arzt,
der sich nicht daran hält (Körperverletzung), könnte das strafrechtliche
Konsequenzen haben.
(ZEIT 22.3.07 S.7)
·
Dokumentation Bundestagsdebatte zur
Patientenverfügung
Kauch/FDP: die Alternative zum vorausverfügten Willen unter Unsicherheit ist,
dass ein Dritter für einen selbst entscheidet. Die Alternative ist die
Fremdbestimmung des Menschen.
Ministerin Zypries: Jeder Mensch, der eine heilbare Krankheit hat, kann heute
festlegen, dass er nicht geheilt, dass er nicht behandelt werden will.
(Das Parlament 2./10.4.07)
·
Der in einer Patientenverfügung
geäußerte Wille des Patienten ist grundsätzlich verbindlich, deshalb dürfen
sich Ärzte nicht über die in einer Patientenverfügung enthaltenen
Willensäußerungen hinwegsetzen ...
Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen sind grundsätzlich verbindlich und
können damit eine wesentliche Hilfe für das Handeln des Arztes sein. Ärzte
sollten Patienten motivieren, von diesen Möglichkeiten Gebrauch zu machen ...
In der ärztlichen Praxis haben sich besonders die Vorsorgevollmacht und eine
Kombination aus Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung bewährt ...
Eine Vorsorgevollmacht geht einer gesetzlichen Betreuung grundsätzlich vor ...
Eine Patientenverfügung ist eine individuelle, schriftliche oder mündliche,
formfreie Willenserklärung eines entscheidungsfähigen Menschen zur zukünftigen
Behandlung im Fall der eigenen Einwilligungsunfähigkeit. Sie sollte Angaben zu
Art und Umfang der medizinischen Behandlung in bestimmten Situationen
enthalten. Adressat der Verfügung ist nicht nur der behandelnde Arzt, sonder
jeder (z.B. Pflegepersonal), der an der Behandlung und Betreuung teilnimmt. Der
in der Patientenverfügung geäußerte Wille ist, sofern die Wirksamkeit der
Erklärung gegeben ist und keine Anhaltspunkte für eine Veränderung des Willens
vorliegen, zu beachten. Hilfreich kann die Benennung einer Vertrauensperson
sein, mit der der Patient die Patientenverfügung besprochen hat und mit der ein
Arzt die erforderlichen medizinischen Maßnahmen besprechen soll, wenn der
Patient nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen selbst zu äußern ...
Patientenverfügungen sind auch außerhalb der eigentlichen Sterbephase zu
beachten ...
Mit der Vorsorgevollmacht benennt der Vollmachtgeber einen Bevollmächtigten in
Gesundheitsangelegenheiten. Damit hat der Arzt einen Ansprechpartner, der den
Willen des Verfügenden zu vertreten hat und der bei der Ermittlung des
mutmaßlichen Willens mitwirkt ...
Situationen, in denen Willensbekundungen gelten sollen, z.B.:
- Sterbephase
- nicht aufhaltbare schwere Leiden
- dauernder Verlust der Kommunikationsfähigkeit
(z.B. Demenz, apallisches Syndrom,
Schädelhirntrauma)
- akute Lebensgefahr
- irreversible Bewusstlosigkeit
Ärztliche und damit in Zusammenhang stehende Maßnahmen
- künstliche Ernährung
- künstliche Beatmung
- Dialyse
- Organersatz
- Wiederbelebung
- Verabreichung von Medikamenten
(z.B. Antibiotika, Psychopharmaka,
Zytostatika/Chemotherapie)
- Art der Unterbringung und Pflege
- Schmerzbehandlung
- andere betreuerische Maßnahmen
- Hinzuziehung eines oder mehrerer weiterer Ärzte
- alternative Behandlungsmethoden
- Gestaltung des Sterbeprozesses
Gegenüber dem Bevollmächtigten und dem Betreuer ist der Arzt zur Auskunft berechtigt
und verpflichtet, da Vollmacht und Betreuung den Arzt von der Schweigepflicht
freistellen ...
In Notfallsituationen, in denen der Wille des Patienten nicht bekannt ist und
auch für eine Ermittlung des mutmaßlichen Willens keine Zeit bleibt, ist die medizinisch
indizierte Behandlung einzuleiten, die im Zweifel auf die Erhaltung des Lebens
gerichtet ist ...
(Bundesärztekammer: Empfehlungen zum Umgang mit Vorsorgevollmacht und
Patientenverfügung in der ärztlichen Praxis; Deutsches Ärzteblatt 30.3.07 S.A891ff.;
http://www.baek.de/downloads/Empfehlungen_Vorversion.pdf
)
·
Die Tötung auf Verlangen oder
gar die vorsätzliche Tötung ohne Einwilligung des Patienten sowie
die Beihilfe zur Selbsttötung sind ethisch unter allen Umständen
unzulässig;
Es ist davon auszugehen, dass die Ärzteschaft laut neueren Studien weitgehend
uninformiert über die herrschende Rechtsprechung und deswegen im Unklaren
darüber ist, welche Grenzziehungen zwischen Tötung auf Verlangen,
Leidensminderung und Behandlungsbegrenzung bestehen;
sind Initiativen (wie vom Nationalen Ethikrat und dem Deutschen Juristentag
2006) zu unterstützen, die noch in der Christlichen Patientenverfügung
gebrauchte Begrifflichkeit wie z.B. "aktive Sterbehilfe" zugunsten
einer klareren, auch hier verwendeten Terminologie zu ändern (also statt
Sterbehilfe: Sterbebegleitung, statt aktive Sterbehilfe: Tötung auf Verlangen,
statt indirekte Sterbehilfe: Leidensminderung, statt passive Sterbehilfe:
Sterbenlassen oder Behandlungsbegrenzung, statt assistierter Suizid: Beihilfe
zur Selbsttötung);
Es muss klar unterschieden werden zwischen einem/r Bevollmächtigen, der/die mit
einer Vorsorgenden Vollmacht ausgestattet ist, und einem Betreuer bzw. einer Betreuerin,
der/die erst eingesetzt wird, wenn eine Person nicht mehr selbst äußerungsfähig
ist;
Dem Patienten steht es frei, ob er selbst in einer differenzierten
Patientenverfügung Wünsche zu seiner Behandlung äußert oder sich darauf
beschränkt, eine/n Bevollmächtigte/n zu benennen;
Umstritten sind jedoch Verfügungen zur Therapiemodifikation bei
Patienten, die sich noch nicht in der Sterbephase befinden. Hier ist besonders
an den Fall des Wachkomas zu denken.
11. Bei Wachkoma–Patienten sollte die Möglichkeit bestehen, eine
Patientenverfügung, die eine Begrenzung der lebenserhaltenden Maßnahmen auf
einen bestimmten Zeitraum und danach deren Beendigung vorsieht, als bindend
anzusehen. Damit ist gemeint: Wenn bei einem stabilen Wachkoma, das schon viele
Monate andauert, zusätzliche, lebensgefährdende Erkrankungen (wie z.B. eine
Lungenentzündung) auftreten, soll, sofern eine entsprechende Patientenverfügung
vorliegt, auf therapeutische Maßnahmen (wie etwa die Gabe von Antibiotika)
verzichtet werden können. Darüber hinaus ist auch der Verzicht auf künstliche
Ernährung, die nicht zur Basisversorgung gezählt wird, nach einer bestimmten
Zeit (etwa 6 Monate) in einer Patientenverfügung vorstellbar ...
12. Demenzerkrankungen werden üblicherweise in drei Stadien unterteilt:
Im Anfangsstadium treten zwar erste geistige Störungen auf, aber ein
vollständig selbständiges Leben ist möglich; im mittelschweren Stadium kommt es
zu einem zunehmenden Verlust der geistigen Fähigkeiten und zu eingeschränkter
Selbständigkeit; erst im schweren Stadium besteht ein vollständiger Verlust der
Alltagskompetenz mit völliger Pflegeabhängigkeit. Nur für diese Situation –
einer Demenzerkrankung im schweren Stadium – sollte ebenso wie bei lang
anhaltendem Wachkoma die Möglichkeit bestehen, bei zusätzlich auftretenden
lebensbedrohlichen Erkrankungen auf therapeutische Maßnahmen zu verzichten,
sofern eine entsprechende Patientenverfügung vorliegt. Diese Möglichkeit sollte
jedoch nicht für die beiden anderen Stadien vorgesehen werden.;
(Eckpunkte des Rates der EKD für eine gesetzliche Regelung von
Patientenverfügungen, 11.7.2007)
·
Dorothea Mühle (52, Dresden) hat ALS;
eine Patientenverfügung und eine Betreuungsvollmacht wurden verfasst. Sollte
zur Lähmung eine ernsthafte Erkrankung hinzukommen, solle keine Heilung mehr
angestrebt werden – das legte Dorothea Mühle fest. Ohne Ernährung in einem
künstlichen Schlaf bleiben, bis der Tod eintritt
(Der Sonntag Sachsen 26.8.07)
·
Telefonforum mit Notaren zu Vollmacht
usw.
Beglaubigung: Die Unterschrift des Vollmachgebers kann man beglaubigen
lassen, das bietet den Nachweis, dass das Papier tatsächlich vom Vollmachtgeber
unterschrieben ist. Eine Inhaltskontrolle bzw. eine Tauglichkeitsprüfung findet
dabei nicht statt;
Bei der notariellen Beurkundung wird der gesamte Text beurkundet. Dabei
findet auch eine rechtliche Beratung statt. Außerdem prüft der Notar die
Geschäftsfähigkeit.;
Kosten für eine notarielle Beurkundung: richten sich nach einem Teilwert des
Vermögens des Vollmachtgebers, z.B. bei 20.000 Euro = 80 Euro Kosten
der Bevollmächtigte kann im Bedarfsfall sofort handeln;
(Freie Presse Chemnitz 30.8.07)
·
Welche Behandlung sich Patienten und Ärzte für das
Ende ihres Lebens jeweils wünschen (Umfrage in 6 europäischen Ländern; 528
Intensivmediziner; 330 ehemalige Intensivpatienten);
maximale medizinische Versorgung am Lebensende wünschen: Patienten 40% / Ärzte
6 %;
Aufnahme in eine Intensivstation wünschen: P 62 % / Ä 19 %;
im Notfall Wiederbelebungsversuch wünschen: P 54 % / Ä 6 %;
Lebensqualität ist wichtiger als Überlebenszeit: P 51 % / Ä 88 %;
(bdw 3-2008 S.35)
·
Ernährung bis zuletzt?
in Deutschland werden pro Jahr etwa 140.000 PEG-Sondenanlagen durchgeführt,
davon 65% bei älteren Menschen;
drei weithin akzeptierte ethische Grundprinzipien ärztlichen Handelns; Ärzte
sollen:
+ den Patienten nutzen (Prinzip des Wohltuns)
+ ihnen keinen Schaden zufügen (Prinzip des Nichtschadens)
+ ihre Selbstbestimmung fördern und respektieren (Prinzip des Respekts der
Autonomie);
Nicht erst der Verzicht auf eine PEG ist legitimationsbedürftig, sondern
bereits ihre Anlage … Fehlt hierfür eine klare Legitimation, begehen Ärzte eine
prinzipiell strafbare Körperverletzung;
mehrere Studien belegen, dass die Einschätzungen von Patienten und
Stellvertretern oft nicht einmal erfragt werden … und dass Ärzte allein
Entscheidungen über lebenserhaltende Maßnahmen treffen;
Ablauf einer stellvertretenden Entscheidung:
+ Ist der Patient einwilligungsfähig?
JA: Patient entscheidet nach Aufklärung
NEIN:
+ Existiert eine Patientenverfügung ?
JA: nach erklärtem Patientenwillen entscheiden
NEIN:
+ Sind die Präferenzen des Patienten bekannt?
JA: nach mutmaßlichem Patientenwillen entscheiden
Im Zweifel: Nach Patientenwohl entscheiden (allgemeine Wertvorstellungen);
gebietet es die ärztliche Fürsorgepflicht, bei medizinischer Nutzlosigkeit
keine PEG-Sondenernährung mehr anzubieten. Bei einer fortgeschrittenen Demenz
gibt es beispielsweise keine Evidenz dafür, dass eine PEG 1. das Überleben
verlängert, 2. die Lebensqualität oder den funktionellen Status verbessert oder
auch nur erhält… 4. Mangelernährung vorbeugt oder lindert
(Deutsches Ärzteblatt 7.12.07 S. A3390)
·
Würdevolles Lebensende;
manche Maßnahmen sind nicht „lebensverlängernd“, sondern nur biologisch
funktionsverlängernd;
Weiterbestehen vegetativer Kreislauffunktionen;
(Deutsches Ärzteblatt 14.9.07 S.A2486)
·
Interview mit Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der
Bundesärztekammer;
Die Palliativmedizin ist ein breites Feld, zu dem auch die terminale Sedierung gehört.
Manche Menschen sehen darin allerdings bereits eine „milde Form“ der Tötung auf
Verlangen. Wie begegnen Sie diesem Eindruck?
H.: Die terminale Sedierung ist indiziert, wenn keine
geeignete Schmerztherapie mehr hilft, dann versetzt man die Betreffenden in
eine Art Narkose, damit sie den Rest ihres Lebens ohne Schmerzen überstehen.
Die terminale Sedierung ist somit eine Form der Sterbebegleitung, die dafür
sorgt, dass jemand würdig einschläft. Das hat nicht mit Tötung auf Verlangen zu
tun.
(Deutsches Ärzteblatt 1.6.07 S. A1548)
·
Aufklärung und Einwilligung bei ärztlichen
Eingriffen (zertifizierte ärztliche Fortbildung);
Jeder ärztliche Eingriff stellt tatbestandlich eine Körperverletzung dar.
Zu den ärztlichen Eingriffen zählen nicht nur therapeutische, sondern auch
diagnostische Maßnahmen.
Die Wahrung des Selbstbestimmungsrechtes, der Patientenautonomie und der
Entscheidungsfreiheit des Patienten haben eindeutigen Vorrang vor der
medizinischen Auffassung des Arztes.
Daraus folgt, dass sich der Patient auch gegen die medizinische Vernunft
entscheiden und ärztliche Eingriffe ablehnen kann. Maßstab ist letztendlich der
Wille des Patienten.
Die Selbstbestimmungsaufklärung des Patienten wird untergleidert in
Diagnoseaufklärung, Behandlungsaufklärung, Risikoaufklärung,
Verlaufsaufklärung.
Die Einholung der ausdrücklichen Einwilligungserklärung des Patienten hat vor
dem Eingriff zu erfolgen.
(Deutsches Ärzteblatt 2.3.07 S. A576)
·
Diskussion
im Bundestag über rechtliche Regelung zu Patientenverfügungen;
9 bis 10 Millionen Bundesbürger sollen Patientenverfügung erstellt haben;
Antrag von 209 Abgeordneten (Stünker SPD): „Falls der Patient
entscheidungsunfähig ist, hat der behandelnde Arzt eine vorgelegte
Patientenverfügung zu respektieren, sofern diese aktuell und auf die gegebene
Situation anwendbar ist“; muss schriftlich vorliegen; Ablehnung künstlicher
Beatmung oder Ernährung sollen nur dann umgesetzt werden, wenn die Verfügung
auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutrifft; Arzt und Betreuer
oder Bevollmächtigter müssten dies gemeinsam feststellen; gebe es keine
Einigung, müsse das Vormundschaftsgericht entscheiden;
Gegenstimme: „Gefahr, dass ein Patient irrtümlich eine Patientenverfügung
unterschreibt …“;
weitere Argumente:
Niemand muss eine Patientenverfügung verfassen;
Gut, wenn jemand einen Bevollmächtigten hat, der im Falle schwerer Krankheit
für ihn entscheidet;
Patientenwohl kann nicht heißen, dass andere sagen, was für einen erwachsenen
Menschen (der klar weiß, was er will und sich festgelegt hat) gut ist;
“Der einzelne hat das Recht, zu leben, aber nicht die Pflicht, zu leben“
in Deutschland werden pro Jahr 140.000 Magensonden gelegt;
(Das Parlament 30.6.08 S.1; Freie Presse 27.6.08)
·
Das
apallische Syndrom
a) “apallisches Syndrom“
hier synonym mit der englischen Bezeichnung „persistent vegetative state“
(PVS);
Bei betroffenen Personen fehlen jegliche Hinweise auf eine bewusste
Wahrnehmungsfähigkeit der eigenen Person und der Umwelt, eine Interaktion mit
dem Untersucher ist nicht möglich. Sprachfunktionen sind aufgehoben. Es besteht
jedoch ein Schlaf-Wach-Zyklus, so dass die Patienten intermittierend wach sind
und die Augen geöffnet haben. Bei der Untersuchung zeigen sich keinerlei
willkürliche Reaktionen auf visuelle, akustische, taktile oder nozizeptive
Reize. (n. = schädigende Reize anzeigend
JK) Es handelt sich somit um eine Bewusstseinsstörung, bei der nicht die
Wachheit, sondern die Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigt ist. Vegetative
Funktionen, wie Temperatur-, Kreislauf- und Atemregulation, die im Hypothalamus
und im Hirnstamm integriert werden, sind so weit erhalten, dass ein Überleben
der Patienten möglich mist, wenn entsprechende medizinische und pflegerische
Maßnahmen gewährleistet sind. Hirnsatmmreflexe und spinale Rflexe sind in unterschiedlichem
Ausmaß noch auslösbar. Schließlich besteht bei Patienten mit apallischen
Syndrom regelmäßig eine Harn- und Stuhlinkontinenz.;
Differentialdiagnosen
Aufgrund der klinischen Befunde muß das apallische Syndrom von folgenden neurologischen Störungen abgegrenzt werden:
1. Das Koma ist eine
Bewußtseinsstörung, bei der Wahrnehmung und Wachheit aufgehoben sind. Es
handelt sich um einen schlafähnlichen Zustand, die Augen des Patienten sind
geschlossen. Je nach Komatiefe sind unterschiedliche Reaktionen auf
Schmerzreize möglich. Der Patient ist jedoch nicht erweckbar. In den meisten
Fällen geht das apallische Syndrom
aus einem Koma hervor. Andererseits kann sich das apallische Syndrom zu einem Koma entwickeln.
2. Das Locked-in-Syndrom kann nach ausgedehnten Läsionen im Bereich des
Brückenfußes auftreten und ist Ausdruck einer Deefferentierung. Solche
Patienten sind wach und zu allen Wahrnehmungen fähig, aufgrund einer
Tetraplegie und hochgradiger Hirnnervenausfälle jedoch nur zu vertikalen
Augenbewegungen und Lidbewegungen in der Lage, wodurch im begrenzten Umfang
eine Kommunikation ermöglicht wird. Ein vergleichbares klinisches Bild kann bei
einer schweren Polyneuroradikulitis mit Hirnnervenbeteiligung auftreten.
3. Bei der fortgeschrittenen Demenz
können kognitive Funktionen sehr stark eingeschränkt sein, im begrenzten Ausmaß
sind jedoch willkürliche Reaktionen auf äußere Reize möglich. Allerdings kann
eine solche schwere Demenz im Spätstadium in ein apallisches Syndrom
übergehen.
4. Der Hirntod ist durch den
irreversiblen Ausfall aller zerebraler Funktionen
charakterisiert, so daß der Patient tief komatös ist und sämtliche
Hirnstammreflexe erloschen sind. Im Gegensatz zum apallischen Syndrom wird der Hirntod nach
medizinischer, juristischer und theologischer Auffassung mit dem Tod
gleichgesetzt, wobei durch mechanische Beatmung und Kreislaufunterstützung die
Funktionen der anderen Organe nur über einen kurzen Zeitraum aufrechterhalten
werden können. Nach Feststellung des Hirntodes ist eine Organexplantation
möglich, während dies beim apallischen Syndrom
unter keinen Umständen erlaubt ist.
(Deutsches Ärzteblatt 94, 14.3.1997 S.A-661ff --- gesamter Artikel http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?src=suche&id=5529
)
·
140.000
Menschen, so schätzen Experten, werden in Deutschland über PEG-Magensonden
künstlich ernährt
(Spiegel 25/2008 S.42)
·
in
geschätzten 400.000 bis 600.000 Fällen im Jahr ist in Deutschland irgendeine
medizinische Entscheidung am Sterbebett notwendig, dann hilft der vorher
festgelegte Wunsch für das Lebensende den Betroffenen wie den Ärzten;
eine halbe Million Menschen werde in Pflegeheimen dauerhaft künstlich ernährt,
ein Großteil, ohne dass dies medizinisch geboten sei;
inzwischen haben rund 9 Millionen Menschen eine Patientenverfügung;
Ärztevertreter wie Hoppe halten die Vollmacht jedoch für das wichtigere
Instrument;
Patientenverfügungen als doppelter Notbehelf: 1. nur dann notwendig, wenn
Patient sich selbst nicht (aktuell) äußern kann, 2. müssen auf die
verschiedensten Situationen passen
(Das Parlament 2./8.6.09 S.3)
·
Gesetz zu
Patientenverfügungen,
verabschiedet im Deutschen Bundestag am 18.6.2009:
·
Zu den Regelungen im Einzelnen:
·
+ Volljährige können in einer schriftlichen Patientenverfügung im Voraus
festlegen, ob und wie sie später ärztlich behandelt werden wollen, wenn sie
ihren Willen nicht mehr selbst äußern können. Künftig sind Betreuer und
Bevollmächtigter im Fall der Entscheidungsunfähigkeit des Betroffenen an seine
schriftliche Patientenverfügung gebunden. Sie müssen prüfen, ob die
Festlegungen in der Patientenverfügung der aktuellen Lebens- und
Behandlungssituation entsprechen und den Willen des Betroffenen zur Geltung
bringen.
·
+ Niemand ist gezwungen, eine Patientenverfügung zu verfassen.
Patientenverfügungen können jederzeit formlos widerrufen werden.
·
+ Gibt es keine Patientenverfügung oder treffen die Festlegungen nicht die
aktuelle Situation, muss der Betreuer oder Bevollmächtigte unter Beachtung des
mutmaßlichen Patientenwillens entscheiden, ob er in die Untersuchung, die
Heilbehandlung oder den ärztlichen Eingriff einwilligt.
+ Eine Reichweitenbegrenzung, die den Patientenwillen kraft Gesetzes in
bestimmten Fällen für unbeachtlich erklärt, wird es nicht geben.
+ Die Entscheidung über die Durchführung einer ärztlichen Maßnahme wird im
Dialog zwischen Arzt und Betreuer bzw. Bevollmächtigtem vorbereitet. Der
behandelnde Arzt prüft, was medizinisch indiziert ist und erörtert die Maßnahme
mit dem Betreuer oder Bevollmächtigten, möglichst unter Einbeziehung naher
Angehöriger und sonstiger Vertrauenspersonen.
+ Sind sich Arzt und Betreuer bzw. Bevollmächtigter über den Patientenwillen
einig, bedarf es keiner Einbindung des Vormundschaftsgerichts. Bestehen
hingegen Meinungsverschiedenheiten, müssen folgenschwere Entscheidungen vom
Vormundschaftsgericht genehmigt werden.
(Internetseite des Bundesministeriums der Justiz BMJ 23.6.09;
http://www.bmj.de/enid/6bec0408f5115e77bb082c6a50be3616,3a07b9706d635f6964092d0936303333093a095f7472636964092d0935323933/Pressestelle/Pressemitteilungen_58.html
)
Gesetzestext unter: http://www.patientenverfuegung.de/files/593-09[1].pdf
·
Rechtsanwaltskammer
Sachsen zum Gesetz über Patientenverfügungen;
Auch wenn weder Patientenverfügung noch Vorsorgevollmacht der notariellen Form
bedürfen, gilt nach wie vor, dass man sich über die Gestaltung … eingehend
beraten lassen kann
(Freie Presse Chemnitz 27.8.09 S.A8)
·
Eine
Vollmacht gilt im Zweifel über den Tod hinaus. Besser ist es, die Geltungsdauer
einer Vollmacht im Vollmachtstext klar zu regeln. Eine Vollmacht kann auch vom
Bevollmächtigten oder vom Erben widerrufen werden.
(Freie Presse Chemnitz 6.11.09 S.A8)
·
Patientenverfügung
– im englischen auch als letzter Wille eines Lebendigen (living will)
umschrieben – legt fest, was Mediziner und Helfer tun dürfen, aber auch, was
sie lassen sollen;
immerhin ist in geschätzten 400.000 bis 600.000 Fällen im Jahr (in
Deutschland?) irgendeine medizinische Entscheidung am Sterbebett notwendig.
Dann hilft der vorher festgelegte Wunsch für das Lebensende den Betroffenen wie
den Ärzten.;
Wahre Dramen spielen sich in Pflegeheimen ab. Eine halbe Million Menschen werde
dort dauerhaft künstlich ernährt, ein Großteil, ohne dass dies medizinisch
geboten sei;
inzwischen haben rund 9 Millionen Menschen eine Patientenverfügung;
Ärztevertreter wie Hoppe (Bundesärztekammer) halten die Vollmacht jedoch für
das wichtigere Instrument;
(Das Parlament 2./8.6.09 S.3)
·
Patientenverfügungen
für Altersheime
Projekt „Beizeiten begleiten“, um Altenheimbewohner durch „Beratung und
Entwicklung valider Patientenverfügungen die Teilhabe an zukünftigen
Behandlungsentscheidungen zu ermöglichen“;
35 Heimmitarbeiter, überwiegend Pflegekräfte, auch Sozialarbeiter, hätten sich
bisher zu Vorsorgebegleitern weiterqualifiziert; sie sollen aktiv auf die
Heimbewohner zugehen, zudem werben Plakate und Faltblätter für ihre kostenlose
Beratung, mit Überschriften wie „Ich möchte gerne in Würde leben. Bis
zuletzt.“;
Man kann im Vordruck zum Beispiel markieren, dass man „jegliche
lebensverlängernde Behandlung einschließlich künstlicher Nahrungs- und
Flüssigkeitszufuhr ablehne. Man kann auf den Musterverfügungen auch sein
pauschales Einverständnis erklären „mit intensiv- und notfallmedizinischen
Maßnahmen, ungeachtet eventuell geringer Erfolgsaussichten.“
Neuer Vorschlag: die „Hausärztliche
Anordnung für den Notfall“ (HAnNo); 6 Ankreuz-Wahl-Möglichkeiten zwischen
„uneingeschränkter Notfall- und Intensivtherapie mit dem Ziel der Lebensverlängerung.
einschließlich Herz-Lungen-Wiederbelebung“ und „Ausschluss jeder
lebensverlängernden Therapie im Notfall“ (sowohl stationär als ambulant);
HAnNo und Patientenverfügung müssen mehrere Unterschriften tragen: Der Patient
soll seinen „Behandlungswillen“ ausdrücken. Sein Angehöriger bestätigt, dass er
die HAnNo „zustimmend zur Kenntnis genommen“ hat. Der
projektgeschulte Begleiter erklärt, dass er den Entscheidungsprozess
unterstützt hat. Und der ebenfalls von „Beizeiten begleiten“ fortgebildete Hausarzt
bestätigt per Praxisstempel und Unterschrift, dass der Betroffene oder sein
Vertreter beim Abfassen der Erklärungen einwilligungsfähig war und die
Tragweite seiner Festlegungen verstanden hat;
Neuer Vorschlag: „Vertreterverfügungen“;
Bevollmächtigten und Betreuern von Menschen mit Demenz wird nahegelegt, den
mutmaßlichen Willen ihrer schon nicht mehr einwilligungsfähigen
Schutzbefohlenen vorab verbindlich zu erklären – zum Beispiel, ob und wie der
Betreute behandelt werden wolle, falls ihn später ein lebensbedrohlicher
Infekt, Schlaganfall oder Herzversagen treffen sollte
(taz 6.8.2010 S.18)
·
Nach
jahrelangem, oft erbittert geführtem Streit gibt es seit 1. September 2009 das
Recht, eine Patientenverfügung durchzusetzen, wenn sie bestimmten formalen Aspekten
genügt: Sie muss schriftlich verfasst sein; eine mündliche Willensäußerung
genügt nicht. Der Wille des Betroffenen ist unabhängig von Art und Stadium der
Erkrankung zu beachten. Ärzte und das Klinikpersonal, aber auch die Angehörigen
des Patienten müssen sich daran halten. Besonders schwerwiegende Entscheidungen
eines Betreuers oder Bevollmächtigten über die Zustimmung oder die Ablehnung
ärztlicher Maßnahmen sollen vom Vormundschaftsgericht genehmigt werden müssen.
Dabei soll nach dem Willen der Abgeordneten die Tötung auf Verlangen in einer
Patientenverfügung unwirksam sein.
(Das Parlament 8.11.2010 S.11, http://www.das-parlament.de/2010/45/Themenausgabe/32124111.html)
·
Gesetz zur
Patientenverfügung (3. Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechtes)
Gesetz vom 29.07.2009, BGBl. I. S. 2286
Änderungen des BGB
§ 1901a Patientenverfügung
(1) Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner
Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum
Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen
seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe
einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung), prüft der Betreuer, ob
diese Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen.
Ist dies der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck
und Geltung zu verschaffen. Eine Patientenverfügung kann jederzeit formlos
widerrufen werden.
(2) Liegt keine Patientenverfügung vor oder treffen die Festlegungen einer
Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu,
hat der Betreuer die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des
Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob er in eine
ärztliche Maßnahme nach Absatz 1 einwilligt oder sie untersagt. Der mutmaßliche
Wille ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln. Zu berücksichtigen
sind insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder
religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des
Betreuten.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung
des Betreuten.
(4) Niemand kann zur Errichtung einer Patientenverfügung verpflichtet werden.
Die Errichtung oder Vorlage einer Patientenverfügung darf nicht zur Bedingung
eines Vertragsschlusses gemacht werden.
(5) Die Absätze 1 bis 3 gelten für Bevollmächtigte entsprechend.
§ 1901b Gespräch zur Feststellung des Patientenwillens
(1) Der behandelnde Arzt prüft, welche ärztliche Maßnahme im Hinblick auf den
Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert ist. Er und der Betreuer
erörtern diese Maßnahme unter Berücksichtigung des Patientenwillens als Grundlage
für die nach § 1901a zu treffende Entscheidung.
(2) Bei der Feststellung des Patientenwillens nach § 1901a Absatz 1 oder der
Behandlungswünsche oder des mutmaßlichen Willens nach § 1901a Absatz 2 soll
nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Betreuten Gelegenheit
zur Äußerung gegeben werden, sofern dies ohne erhebliche Verzögerung möglich
ist.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten für Bevollmächtigte entsprechend
Der bisherige § 1901a wird § 1901c.
§ 1904 Genehmigung des Betreuungsgerichts bei ärztlichen Maßnahmen
(1) Die Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des
Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff bedarf
der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die begründete Gefahr besteht,
dass der Betreute auf Grund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger
dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Ohne die Genehmigung darf die
Maßnahme nur durchgeführt werden, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist.
(2) Die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung des Betreuers in
eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen
ärztlichen Eingriff bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichts, wenn die
Maßnahme medizinisch angezeigt ist und die begründete Gefahr besteht, dass der
Betreute auf Grund des Unterbleibens oder des Abbruchs der Maßnahme stirbt oder
einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet.
(3) Die Genehmigung nach den Absätzen 1 und 2 ist zu erteilen, wenn die
Einwilligung, die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung dem
Willen des Betreuten entspricht.
(4) Eine Genehmigung nach Absatz 1 und 2 ist nicht erforderlich, wenn zwischen
Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die
Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach §
1901a festgestellten Willen des Betreuten entspricht.
(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten auch für einen Bevollmächtigten. Er kann in eine
der in Absatz 1 Satz 1 oder Absatz 2 genannten Maßnahmen nur einwilligen, nicht
einwilligen oder die Einwilligung widerrufen, wenn die Vollmacht diese
Maßnahmen ausdrücklich umfasst und schriftlich erteilt ist.
Änderung des Gesetzes über das Verfahren
in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit
(FamFG)
§ 287 Wirksamwerden von Beschlüssen
(1) Beschlüsse über Umfang, Inhalt oder Bestand der Bestellung eines Betreuers,
über die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts oder über den Erlass einer
einstweiligen Anordnung nach § 300 werden mit der Bekanntgabe an den Betreuer
wirksam.
(2) Ist die Bekanntgabe an den Betreuer nicht möglich oder ist Gefahr im
Verzug, kann das Gericht die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses anordnen. In
diesem Fall wird er wirksam, wenn
der Beschluss und die Anordnung
seiner sofortigen Wirksamkeit dem Betroffenen oder dem Verfahrenspfleger
bekannt gegeben oder
der Geschäftsstelle zum Zweck der
Bekanntgabe nach Nummer 1 übergeben werden. Der Zeitpunkt der sofortigen
Wirksamkeit ist auf dem Beschluss zu vermerken.
(3) Ein Beschluss, der die Genehmigung nach § 1904 Absatz 2 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs zum Gegenstand hat, wird erst zwei Wochen nach Bekanntgabe an den
Betreuer oder Bevollmächtigten sowie an den Verfahrenspfleger wirksam.
§ 298 Verfahren in Fällen des § 1904 des Bürgerlichen Gesetzbuchs
(1) Das Gericht darf die Einwilligung eines Betreuers oder eines
Bevollmächtigten in eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine
Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff (§ 1904 Absatz 1 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs) nur genehmigen, wenn es den Betroffenen zuvor persönlich angehört
hat. Das Gericht soll die sonstigen Beteiligten anhören. Auf Verlangen des
Betroffenen hat das Gericht eine ihm nahestehende Person anzuhören, wenn dies
ohne erhebliche Verzögerung möglich ist.
(2) Das Gericht soll vor der Genehmigung nach § 1904 Absatz 2 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs die sonstigen Beteiligten anhören.
(3) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers ist stets erforderlich, wenn
Gegenstand des Verfahrens eine Genehmigung nach § 1904 Absatz 2 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs ist.
(4) Vor der Genehmigung ist ein Sachverständigengutachten einzuholen. Der
Sachverständige soll nicht auch der behandelnde Arzt sein.
Artikel 3 Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am 1. September 2009 in Kraft.
(Quelle: http://wiki.btprax.de/Synopse_Patientenverf%C3%BCgungsgesetze
)
·
(S.6
zu Vorsorgevollmacht) Erteilt der Vollmachtgeber die Vollmacht für den Fall der
eigenen Entscheidungsunfähigkeit, handelt es sich um eine
Vorsorgevollmacht. …
Die Vorsorgevollmacht kann gegen Entgelt bei der Bundesnotarkammer registriert
werden – Bundesnotarkammer – Zentrales Vorsorgeregister – PF 080151, 10001
Berlin; www.vorsorgeregister.de
)
(S.14) … von Ihrer Patientenverfügung sind … Menschen Ihres persönlichen
Umfelds sowie Ärzte, Pflegende und Einrichtungsleitungen betroffen, die sich
mit deren Inhalt auseinandersetzen müssen
… Dabei hat der in Ihrer Patientenverfügung festgelegte Wille oder Ihr aus
dieser Maßnahme abgeleitete mutmaßliche Wille absolut verpflichtenden
Charakter. Er muss auch dann umgesetzt werden, wenn beteiligte Personen etwa
aus Fürsorglichkeit, Zuneigung oder um Ansprüchen des eigenen professionellen
Handelns gerecht zu werden, gerne anders handeln würden. Eine medizinische
Behandlung gegen Ihren geäußerten oder mutmaßlichen Willen ist als
Körperverletzung strafbar.
(S.15) Der Vorsorgebevollmächtigte oder der Betreuer sind laut Gesetz
verpflichtet, Ihrem Willen unbedingt – und damit auch gegen die Auffassungen
beispielsweise von Ärztinnen und Ärzten, Pflegekräften oder Angehörigen –
Geltung zu verschaffen.
(S.16) Ärztinnen und Ärzte sind gesetzlich verpflichtet, Ihren in einer
Patientenverfügung festgelegten Willen oder den daraus abgeleiteten
mutmaßlichen Willen zu beachten und nach diesem zu handeln. Das kann sie dann
in Gewissenskonflikte bringen, wenn sie aus ihrer fachlichen Sicht oder für ihre
eigene Person andere Entscheidungen treffen würden. Aber weder eine akute
Krankheit noch der ärztliche Heilauftrag oder die Pflege begründen ein
eigenständiges Behandlungsrecht gegen den Willen des Patienten. Vielmehr stellt
der ärztliche Eingriff ohne Einwilligung oder gar gegen den Willen eine
strafbare Körperverletzung dar.
(S.17) Der in Ihrer Patientenverfügung festgelegte Wille ist auch für
Krankenhäuser, ambulante Pflegedienste, stationäre Pflegeeinrichtungen und
andere Einrichtungen verbindlich.
(S.20) Die Patientenverfügung kann jederzeit formlos, also auch mündlich oder
durch Gesten, widerrufen werden.
(S.20) Für die Beachtung und Durchsetzung des in der Patientenverfügung zum
Ausdruck gebrachten Patientenwillens kommt es nicht auf die Art oder das
Stadium der Erkrankung an. Die Verfügung gilt, bei entsprechender Bezeichnung
der Situation, in jeder Lebensphase, also auch dann, wenn ein Mensch noch nicht
unmittelbar stirbt. Der rechtliche Betreuer oder der Bevollmächtigte des
entscheidungsunfähigen Betroffenen ist an die Regelungen in der
Patientenverfügung gebunden.
(S.22) In der Praxis hat sich eine Kombination von Patientenverfügung (auf der
einen Seite) und Vorsorgevollmacht oder Betreuungsverfügung (auf der anderen
Seite, als Ergänzung) bewährt.
Für diese verbundenen Erklärungen sollten Sie zwei getrennte Formulare
verwenden. Denn die Vorsorgevollmacht richtet sich an außenstehende Dritte. Mit
ihr weist der Bevollmächtigte - je nach Umfang der Vorsorgevollmacht – nicht
nur gegenüber Ärzten oder dem Krankenhaus, sondern auch gegenüber Behörden und
im sonstigen Geschäftsverkehr seine Vertretungsbefugnis nach. Diese
Außenstehenden müssen keine Kenntnis vom Inhalt der Patientenverfügung haben.
Andererseits sollte Ihre Patientenverfügung einen Hinweis auf bestehende
Vorsorgevollmachten oder Betreuungsverfügungen enthalten und die betreffende
Person ausdrücklich benennen
(Diakonie Bundesverband: Patientenverfügungen aus christlich-diakonischer
Sicht, Broschüre, Stuttgart, Oktober 2010)
·
Was
kostet es, wenn ich eine Vorsorgevollmacht beim Notar beurkunden lasse?
Die Kosten sind bei allen Notaren gleich, da sie gesetzlich geregelt sind. Sie
hängen ab vom Vermögen des Vollmachtgebers. Bei einem Vermögen von 50.000 Euro
können Sie mir Kosten von etwa 150 Euro rechnen;
Wie lange gilt eine Patientenverfügung?
Jede Vollmacht und Patientenverfügung gilt so lange, bis sie widerrufen wird.
Bei PV wird empfohlen, in Abständen zu prüfen, ob sie weiterhin
aufrechterhalten werden sollen.
(Freie Presse 2.4.13 S.A4)
·
S.13:
Vorschlag einer Formulierung in einer Patientenverfügung, um eine Organspende
zu ermöglichen:
„Ich stimme einer Entnahme meiner Organe nach meinem Tod zu
Transplantationszwecken zu (ggf.: Ich habe einen Organspendeausweis
ausgefüllt). Komme ich nach ärztlicher Beurteilung bei einem sich abzeichnenden
Hirntod als Organspender in Betracht und müssen dafür ärztliche Maßnahmen
durchgeführt werden, die ich in meiner Patientenverfügung ausgeschlossen habe,
dann (Alternativen)
geht die von mir erklärte Bereitschaft zur Organspende vor
ODER
gehen die Bestimmungen in meiner Patientenverfügung vor.
ODER:
Ich lehne eine Entnahme meiner Organe und Gewebe nach meinem Tod zu
Transplantationszwecken ab.
Die Patientenverfügung hat bereits vor dem Eintreten des Hirntodes Gültigkeit.
Liegt eine aussichtslose Prognose eines Patienten vor und der Eintritt des
Hirntodes ist wahrscheinlich, dann kann das Thema Organspende bereits zu diesem
Zeitpunkt, also vor der Feststellung des Hirntodes bedeutsam werden.
Patientinnen und Patienten, die sich in ihrer Patientenverfügung für eine
Organspende ausgesprochen haben, sollten wissen, dass für die Hirntoddiagnostik
und eine mögliche Organspende die künstliche Aufrechterhaltung des Kreislaufs
und eine vorübergehende Beatmung notwendig sind.
(Organspende – eine persönliche und berufliche Herausforderung, BZGA
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 2011¸ http://www.bzga.de/pdf.php?id=2e7870130f68510338e2cdbe2bbe196c
)
·
Trauerverfügung
Links:
http://www.verfuegungsdatenbank.de/trauerverfuegung/
http://www.verfuegungszentrale.org/cms/upload/pdf/Formulare/DVZ_Trauerverfugung_M_nichtdruckbar.pdf
·
Sorgerechtsverfügung
„Natürlich werde ich immer für dich da sein,“ – welche
Eltern haben diesen Satz nicht schon mal zu ihrem Kind gesagt. Und dabei die
Risiken, die dieses Versprechen bedrohen könnten, verdrängt. Denn wer denkt
gerne daran, was passiert, wenn ein Schicksalsschlag die Kinder von einem Tag
auf den anderen ohne sorgeberechtigten Elternteil zurücklässt? Wo und bei wem
die minderjährigen Kinder dann aufwachsen, muss ein Gericht aussuchen – es sei
denn, die Eltern haben eine Sorgerechtsverfügung hinterlassen.
Die D.A.S. Rechtsschutzversicherung erläutert die Szenarien.
Links: http://www.krause-schoenberg.de/sterben_sorgerechtsverf%C3%BCgung_merkblatt_DAS.pdf oder:
http://www.das.de/-/media/87BD3216DED94E86972303312FC9A1BF.ashx
·
schätzungsweise
10% der Deutschen haben eine Patientenverfügung
(Der Spiegel 6-2014 S.31ff.)
·
Die
Kosten einer vom Notar beurkundeten Vorsorgevollmacht richten sich vorrangig
nach dem Vermögen des Vollmachtgebers. Für eine umfängliche Vollmacht fallen
bei einem Vermögen von 100000 Euro maximal 165 Euro nebst Umsatzsteuer und
Auslagen an.
(Freie Presse Chemnitz 23.9.15 S.16)
·
Letzte Hilfe
Ein Computerprogramm unterstützt dabei, Wünsche fürs Lebensende festzulegen.
Ist das die bessere Patientenverfügung?
(Die Zeit 19.5.2016 S.39 - http://www.zeit.de/2016/22/patientenverfuegung-computerprogramm-start-up-dipat
)