weitere infos zu Beat- und Rockmusiktexten zu Joachim Krause
(Originalbeitrag gefunden unter:
http://www.puhdys-forum.de/t5083f80-LIFT-in-der-Weinbergskirche-DRESDEN-mit-Joachim-Krause.html
gelesen 12.1.2013)
LIFT in der Weinbergskirche
DRESDEN
mit Joachim Krause
in Konzertberichte Ostrock allgemein 29.05.2010 14:45
von HH aus EE • ( Gast )
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Dies ist mein Beitrag Nummer 800 in diesem Forum - ich
kann's selbst kaum glauben!
Konzert, Lesung und
Nachdenken mit LIFT & Joachim Krause
Weinbergskirche, Dresden-Trachenberge,
28. Mai 2010
Nicht immer hat ein Lied das Zeug für die Ewigkeit und auch
nicht immer ist ein Text dem Volk derart vom Munde geschrieben, so als wäre er
mit abertausenden Zungen zur gleiche Zeit gesprochen.
Doch manchmal haben Tausende die gleichen Gedanken, fühlen das gleiche und nur
einer von ihnen vermag dies in Worte zu kleiden, so dass sich alle darin zu
jeder Zeit wieder finden:
Am Abend mancher Tage
da stimmt die Welt nicht mehr
irgendetwas ist zerbrochen
wiegt so schwer
und man kann das nicht begreifen
will nichts mehr sehn
und doch muss man weitergehn
Der Anlass für die Zeilen schmerzt mich heute noch, auch
wenn der Unfall im Herbst 1978 schon mehr als 30 Jahre zurück liegt. Damals starben der Bandleader von LIFT, GERHARD ZACHAR sowie der
begnadete Sänger und Texter, HENRY PACHOLSKI, auf einer Landstraße in Polen.
Wenn ich nur daran denke, überkommt mich Wehmut und noch immer geht es wohl
vielen ebenso. Wie sonst wären die feuchten Augen und das zaghafte Mitsingen
dieser wunderschönen Ballade zu erklären.
Zum ersten Mal hab’ ich diese Worte gestern von dem Mann
gesprochen gehört, der sie schrieb und zum ersten Mal war mir, als wäre im Text
nicht nur die Trauer und deren Überwindung beschrieben, sondern auch manch’
anderes Gleichnis darin versteckt.
Die kleine Kulturkirche Weinberge auf dem Trachenberg am Dresdner Stadtrand ist gut gefüllt. Nur
wenige Bankplätze und Stühle sind leer geblieben. Kein Wunder, LIFT ist nicht
nur vom Ursprung her eine Dresdner Pflanze, sondern hier im Umfeld der Kirche
begann einst als Dresden Sextett auch die Eroberung der kleinen DDR-Rockwelt.
Einer, der das alles aus allernächster Nähe und als Teil dieser Geschichte, als
Bassist, als Gitarrist, als Sänger und letztlich dann als Texter, miterlebt
hat, ist JOACHIM KRAUSE. Er lebte im Umfeld der Kirche als Sohn des Pfarrers
und Mitglied der Kirchengemeinde. Das Dresden-Sextett und -Septett, die spätere
Gruppe LIFT, hatte ihr Zuhause ebenfalls hier.
JOACHIM KRAUSE sitzt da vorn auf einem Hocker und erzählt
sich einen Teil seines Lebens von der Seele. Er taucht ein in Vergangenes und
Wohlbekanntes. Von ersten Begegnungen mit GERHARD ZACHAR ist die Rede, von der
Freundschaft und von der ersten Gitarre sowie von einem Geldstück in
Ermangelung eines Plectrums. Man spürt das Schwere in
seiner Stimme, wenn er von der Baracke hinter der Kirche erzählt, in der die
Proben der Band stattfanden, wo FRANZ BARTZSCH am Klavier seine neuen Stücke
vorspielte. Dieses Instrument steht noch dort im Raum, der eine eigenartige
Ruhe ausstrahlt, weil darin ein Stück Rockgeschichte gelebt wurde und der jetzt
als Vereinsraum des Fördervereins dient. Manchmal sind die geschichtsträchtigen
Orte nicht die, wo ein Monument oder ein Gedenkstein stehen, sondern die, wo
das weiter gelebt wird, was an so einem Ort einstmals begann und noch immer
Inhalt der gelebten Gemeinschaft ist.
Zu dem intimen Ambiente der Kirche passt die Musik von LIFT,
zumal in kammermusikalisch geschrumpfter Besetzung, wie eine kleine Perle in
eine Muschel.
Nach 37 Jahren, so WERTHER LOHSE, stehe er zum ersten Mal
wieder in diesem Raum mit dem Altar im Rücken und dem Blick auf die Orgel. Es
war ein Moment der Stille, als er dies aussprach, und der Kloß in seinem Hals
war bis in die letzte Reihe spürbar.
In diese abendliche Ruhe schmiegen sich Songs wie „Jeden
Abend“ oder eben „Abendstunde, stille Stunde“ geradezu symbolhaft ein und unter
dem Dach des Gotteshauses saß wohl auch niemand, der das nicht spürte. Irgendwie
klang alles ein wenig neu, erlebte ich „Nach Süden“ anders und „Wasser und
Wein“ in genau dieser Umgebung gehört, ließ die Bedeutung von „anderen Wasser
predigen und selbst Wein trinken“ noch einmal völlig anders wirken – damals
sowieso und heute schon wieder. Ironie der Geschichte und Wahrheit des Lebens,
nur die Texte von heute lassen mich diese Gedankentiefe viel zu oft vermissen.
Die alten Lieder von LIFT atmeten in diesen Minuten etwas
Magisches und so manche Liedzeile wurde in dieser Umgebung von Halbwahrheiten,
Vermutungen und Interpretationen befreit, erhielt ihre eigentliche Bedeutung
zurück, von der ich und viele andere bis dahin nichts geahnt hatten. Natürlich
hatte ich, wie so mancher DDR-Bürger auch, gelernt, zwischen den Zeilen zu lesen
und zu erkennen. Bei vielen der Songs von LIFT ist dies auch offenkundig und
als „Nach Süden“ erklang musste niemand rätseln, was damit gemeint war.
Indem JOACHIM Krause, der Pfarrersohn, seine Geschichten vom
alltäglichen DDR-Wahnsinn erzählte, vom Leben mit der „Firma“, von Post aus dem
Westen oder vom Erlangen der „Pappe“, sprich Spielerlaubnis, wurden Stück für
Stück auch die tatsächlichen Hintergründe manches Textes deutlicher, was ich so
nicht vermutet hätte. Diesem unscheinbaren Frühwerk „Wenn“ hätte ich eine
solche Botschaft wirklich nicht zugetraut.
Die Pause eignet sich gut für Gespräche und für einen Besuch
des ehemaligen Proberaumes. Für einen verträumten Moment hätte Zachar hinter einem Busch hervortreten und Wolfgang „Scheffi“ Scheffler hätte vielleicht für ein paar Etüden am
Klavier sitzen können. Manchmal geschehen eigenartige Dinge in solcher Umgebung
und manchmal geschehen auch Überraschungen. Plötzlich stehe ich vor DINA
STRAAT, Zachar’s damaliger Frau, und an der Seite
ihre inzwischen erwachsene Tochter. Nach etlichen Telefonaten nun auch das
überraschende persönliche Treffen in eben genau diesem Umfeld. Das hat schon
einen Hauch von Magie!
Dann erklingen wieder die Lieder jener Tage. Passend zu
meiner Stimmung „Mein Herz soll ein Wasser sein“, mit Ivonne und Werther im
Duett oder a capella intoniert und tief unter die
Haut gehend die „Sommernacht“, die ich noch immer mit der Stimme von HENRY
PACHOLKI verbinde. Es ist sein Lied und daran geht kein Gedanke vorbei! Wir
hören die „Kleine Ahnung“ und „Meine Schulden“, ehe sich noch einmal JOACHIM
KRAUSE vorn auf den Hocker setzt.
Die Gedanken gehen mit ihm zurück in Zeiten als „Tochter
Courage“ für LIFT und STEFAN TREPTE entstand und was der Text von Frieder
Burkhardt damals wirklich sagen wollte. Krause erzählt, wie er zunehmend auch
für andere Texte schrieb. So für THEO SCHUMANN, HORST KRÜGER oder PANTA RHEI
(„Über mich“) und wie dieser Prozess zunehmend auch seinen Rückzug von der
Live-Bühne hin zum Texter zur Folge hatte. Er lässt die Jugendarbeit im
Kirchumfeld noch einmal lebendig werden, erzählt Beklemmendes vom Umgang mit
der Stasi aber auch von den schönen Episoden, die sein Leben ausmachten, ist
die Rede. Alles auch nachzulesen in seinem Buch, das den Titel der Liedzeile
trägt.
Von einer Hochzeit und Trauung in der Weinbergskirche
ist die Rede und wir erfahren, das die von GERHARD
ZACHAR und DINA STRAAT gemeint ist, die an diesem Ort vorgenommen wurde.
Seine Stimme wird leise, als er von der Tournee 1978 durch
Polen spricht und von der Nachricht, dass ZACHAR und PACHOLSKI tödlich
verunglückt seien und wie von diesem Moment an, seine Geschichte mit LIFT ihr
Ende erreicht und er zwei Freunde verloren hatte. Von da an war dieses Kapitel
für ihn abgeschlossen und nur noch ein einziges Mal, schrieb er ein halbes Jahr
später einen Text zu einem Demoband von Scheffi: „Lass’ dir dazu mal was einfallen.“ Auf diese
Weise entstand „Am Abend mancher Tage“ von der LP „Spiegelbild“. – „Danach habe
ich nie wieder einen Rocktext geschrieben“, sprach’s, stand von seinem Hocker auf und setzte sich auf
die Bank seiner Kirche…
Als dann die Melodie erklang, war bei vielen sicher dieses
mulmige Gefühl wieder da und auch mir gelang es nicht, die Gedanken zu
verscheuchen. Das wurde auch nicht viel besser mit „Wind trägt alles Worte
fort“, das Bodo in Erinnerung an seinen erst kürzlich
verstorbenen Freund und frühen LIFT-Keyboarder FRANZ BARTZSCH sang. Wieder
einmal stand im Raum diese Frage nach dem WARUM?
Zum Schluss des Abends erklang in guter alter Tradition die
„Tagesreise“ von MICHAEL HEUBACH und danach ging eine bewegende und sehr
emotionale Lesung mit Live-Musik von LIFT ihrem Ende entgegen. So aufgekratzt
war ich schon lange nicht mehr, so viele Erinnerungen stürmten durch meinen
Kopf und so angenehm war dieser Abend natürlich trotzdem auch.
Dem Förderverein „Kulturkirche Weinberg“ gilt ein großes
Dankeschön, diese Lesung in Verbindung mit so einem Konzert organisiert zu
haben. Liebevoll gestaltete Details, wie eine kleine Foto- und Erinnerungswand-„Zeitung“
mit seltenen Zeitdokumenten, rundeten das Erlebnis ab.
Kompliment an JOACHIM KRAUSE, der bescheidener als
angemessen, Einblicke in sein ganz persönliches Leben mit der Gruppe LIFT, mit
der Kirchengemeinde und sein Privatleben zuließ. Für Jugendliche eine gute
Möglichkeit, Vergangenes besser zu verstehen. Für solche wie mich war es ein
Erinnern und Besinnen gleichermaßen.
Wieder einmal wurde mir bewusst, wie sehr mich die Rockmusik
aus meinem „Wohnzimmer DDR“ ebenso prägte, wie die der Pilzköpfe & Co. und
all der anderen Helden, die zu Hause auf Vinyl gepresst, auf Poster und
Autogrammkarten gedruckt und in Geschichten gebunden darauf warten, irgendwann
weiter gegeben zu werden. Weitergegeben in eine Zukunft vielleicht, die damit
noch immer etwas Wertvolles, Bleibendes und Eigenes verbinden kann und sei es
auch erst „am Abend mancher fernen Tage“:
„Gib’ nicht auf,
denn das kriegst du wieder hin
eine Tür schlug zu,
doch schon morgen wirst du weiter sehn.“
„Am Abend mancher Tage“, Wartburg Verlag 2008, ISBN
3861604019
http://www.kulturkirche-dresden.de