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Rezensionen zum Buch
„Im Glauben an Gott und Hitler“
Wie Hitler zum Heiland
gemacht wurde
Eine Spurensuche nach den
„Deutschen Christen“ und zwei fanatischen Pfarrern im Wieratal
Für alle Leser:
Wenn man erst mal dran zupft am Knäuel Geschichte, dann kommt so mancher Faden zum Vorschein, den man nicht unbedingt erwartet hat. Für Joachim Krause, der einst für DDR-Rockgruppen wie Lift, Klaus Lenz, die Puhdys und Panta Rhei Texte schrieb, begann alles mit dem Dachbodenfund des Briefwechsels seiner Eltern aus der Nazi-Zeit, als alle beide jung waren – und ganz anders, als sie der 1946 geborene Sohn später kennenlernte. Und ein Faden der Geschichte führt ins ach so schöne Wieratal.
Die Dörfer heißen hier Hinteruhlmannsdorf (heute Engertsdorf), Niederwiera, Oberwiera und Flemmingen. Dieses Gebiet dicht hinter Altenburg grenzt direkt an Sachsen. Und es wäre Krause auch nicht sonderlich aufgefallen, würde es nicht in der Literatur als Ursprungsort der „Deutschen Christen“ gelten. Was ab 1927 mit zweien der radikalsten Pfarrer der NS-Bewegung zu tun hat, die sich aus Bayern in das schon damals als deutlich rechtsradikalere Thüringen hatten versetzen lassen. Wenig später sollte Thüringen das erste Land im Deutschen Reich werden, in dem die Nationalsozialisten mitregierten. Und diese beiden Pfarrer – Siegfried Leffler in Niederwiera und Julius Leutheuser aus Flemmingen – würden sich zu diesem Zeitpunkt längst einen Namen gemacht haben bei der Radikalisierung ganzer Kirchgemeinden.
Leffler würde sich später auch noch einen Namen machen als Mitgründer des „Instituts zur Erforschung (und Beseitigung) des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“, das die evangelischen Landeskirchen auf der Wartburg gründeten. Und Krause fragte sich zu Recht: Was war da los im Wieratal? Warum gibt es dazu keine Literatur? Warum redet niemand darüber?
Und da ist man mitten in einem Teil der ostdeutschen Geschichte, der 40 Jahre lang einfach nicht existierte. Und danach scheint sich auch kaum ein Historiker dafür interessiert zu haben. In der DDR war die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus nicht gefragt. Man hatte ja den Antifaschismus zur Staatsdoktrin erkoren. Man hatte auch schon seine eigenen Sauereien auf dem Kerbholz. Aber man tat einfach so, als wären all die neugebackenen Menschen, Genossen und Mitläufer niemals Nazis gewesen, Schuld trugen andere.
Nichts ist in der Geschichtsbewältigung so fatal wie das Schweigen. Denn wer die Geschichte verschweigt, setzt sich auch nicht mit ihren psychologischen Folgen auseinander. Der stellt sich auch nicht seiner Schuld und seinen eigenen Verletzungen. Ergebnis ist immer ein Volk von Duckmäusern und Schein-Heiligen. Gezwungenermaßen. Das deutet sich nur an, wenn Joachim Krause versucht, das zu rekonstruieren, was zwischen 1927 und 1945 im Wieratal passierte, wie zwei radikalisierte Pfarrer (beide erwartbar mit Erfahrung aus dem 1. Weltkrieg) darangingen, das Kirchenleben in den Dörfern radikal umzukrempeln und schon weit vor der offiziellen Gründung der „Deutschen Christen“ die Gottesdienste auf Nationalsozialismus zu trimmen – mitsamt Führerkult und Landsknechtsliedern.
Wirklich erklären kann es natürlich auch Krause nicht, wie ganze Kirchgemeinden es fertigbrachten, ihren protestantischen Glauben in diese seltsame neue Hitlerverehrung umzumünzen. Aber das liegt eher an der kargen Quellenlage. Denn schon mit den frühen Protokollen der Nachkriegszeit begegnet er dem kirchlicherseits geäußerten Willen, sich mit der Schuldfrage nicht zu beschäftigen. Man begegnet einem ganz ähnlichen Phänomen, wie man es aus der frühen „Geschichtsbewältigung“ der BRD kennt: Die Leid- und Opferrolle wurde überbetont – die Schuld wurde ganz offiziell abgewälzt auf die kleine Elite des NS-Staates, die in Nürnberg vor Gericht stand. Alle anderen waren ja nur kleine Befehlsempfänger oder waren einem anonymen Walten unterworfen, das ganz übermächtig Leid und Tod über Deutschland gebracht hatte.
Eine Denkfigur, die bis heute lebendig ist. Denn dass heute wieder die alten nationalistischen Töne hörbar werden, hat genau damit zu tun: Mit einem Überleben der alten Stereotype und Denkweisen eines sich als auserwählt behauptenden Systems. Dieser elitäre Spuk sitzt vielen Enkeln der Täter noch immer im Kopf. Logisch, dass viele, die das damals als Kinder erlebten, lieber nicht drüber reden wollten. Eine Geschichte, mit der man sich nie wirklich auseinandersetzen konnte, wird zur Scham. Es liegt ein falsches Schweigen drüber. Die einen wollen mit den Aktionisten von damals nicht in Verbindung gebracht werden, die anderen empfinden es als unsägliches Familienkapitel. Trotzdem schaffte es Krause, einige Familien doch dazu anzuregen, auf die Dachböden zu steigen und in alten Familienalben zu kramen.
Was sogar manch erstaunliche Entdeckung mit sich brachte. Denn auch unter denen, die dem Nationalsozialismus verfallen waren, gab es einige, die es später zutiefst bereut haben – einer schrieb sogar seine Erinnerungen, die lange im Familienbesitz aufbewahrt wurden. Auch weil er über die Folgekapitel ebenfalls nicht sprechen durfte – die Inhaftierung im nun von den sowjetischen Besatzern betriebenen KZ Buchenwald, die Deportation nach Russland und die Zwangsarbeit in Kasachstan. Was übrigens zum großen Schweigen über die DDR gehörte und ihre letztlich fatale Gründungsgeschichte.
Die meisten Hinweise fand Krause dann in alten Kirchen- und Gemeindeprotokollen, in Kirchenzeitungen und dem glorifizierenden Erinnerungsbuch, das der Volksschullehrer Kurt Thieme über die Zeit noch im NS-Reich veröffentlichte und dessen Tonfall noch heute all die Selbstüberhöhung, das aufgemotzte Heldentum und die breitbrüstige Kriegerromantik enthüllt, mit der sich die NS-Sprache schmückte. Auch das kommt ja heute wieder – wo kein Inhalt ist, da wird in heroischem Ton drauflosgeschwärmt. Und hätte man nur die NS-Quellen zu der Zeit, man würde sich in einem Deutschland wiederfinden, in dem alle Männer ständig mit irrem Blick in eine lodernde Zukunft marschierten, Bauern seit Jahrhunderten wacker die Scholle beackerten und die Gegner von SPD, KPD und so weiter nur ein kleines, störendes Häuflein …
Erst die Wahlergebnisse entlarven dieses Selbstbild, das Rechtsausleger von sich heute wieder malen – mitsamt ihrer Besessenheit, sich zum Volk und zum Volkswillen hochzustilisieren. Erst der kritische Blick auf die Mitgliederlisten der Gemeinden zeigt Krause, dass ganz und gar nicht alle mitmachten. Auch wenn in diesen kleinen Dörfern der Zwang zur gegenseitigen Kontrolle groß war. Deswegen haben sich ja Nazis auf dem Land immer besonders wohlgefühlt. Hier fiel auf, wer nicht mitmachte. Und man ahnt nur, was für ein Druck es war, als die beiden nationalistischen Pfarrer ausgerechnet die Kirchgemeinde zum Ort der Gleichschaltung machten. Da werden Phrasen wie „abseits stehen“ schnell brandgefährlich, erst recht, wenn diese beiden seltsamen Pfarrer nicht nur die NSDAP salonfähig machen und die Honoratiorenschaft des Ortes zuallererst einbinden, sondern auch gleich noch einen SA-Zug gründen, der bei einigen martialischen Festveranstaltungen zum Einsatz kommt.
Man darf die Selbstbeweihräucherung aus den Schriften der Zeit nicht unhinterfragt lassen. Die Nazis sind ja bis zuletzt nicht heruntergekommen von ihrem pathetischen Wagnerton. Ihre „Weltanschauung“ funktioniert nur als geschlossene Blase. Das ist heute immer noch so. Und dass sie vor allem mit dieser gestiefelten Bedrohung agierten und das Feigste im Menschen herausforderten, wird selbst da sichtbar, wo es um die Zahlen der „Deutschen Christen“ und der ihnen anhängenden Pfarrer geht. In Sachsen war der Anteil sehr hoch – reichsweit aber eher überschaubar. Auch wenn der Rest der Kirche nicht wirklich widerständig war. Das waren nur die wenigsten – solche Aufrechten wie Dietrich Bonhoeffer, die auch bereit waren, für ihre Menschlichkeit mit dem Leben zu bezahlen. Selbst die „Bekennende Kirche“ war keine Widerstandsbewegung. Darauf geht Krause am Ende noch dezidiert ein, wo es um die Frage geht, wie die protestantische Kirche selbst mit ihrer Mitschuld umging. Denn sie war – Martin Niemöller hat es ja auf den Punkt gebracht – eine der wenigen Institutionen, die ab 1933 überhaupt noch widersprechen konnte. Und es nicht tat.
Nicht umsonst bemühten sich die Nationalsozialisten, auch die Kirche gleichzuschalten. Es fiel ihnen viel zu leicht. Und auch deshalb herrschte wohl im Wieratal so lange Schweigen, denn wer sich noch ein Herz bewahrt hat, der war sich seines Mitschuldigwerdens durchaus bewusst. Weder die nahen Außen-KZs mit ihren Zwangsarbeitern waren den Menschen entgangen, noch die Todesmärsche, die die SS noch 1945 veranstaltete. Aber wohin mit den Schuldgefühlen, wenn schon die neuen Machthaber ihre Weltsicht über alles stülpen und nicht mal die Kirche darüber reden will?
Aber was zeigt das Beispiel Wieratal eigentlich? Dass die Menschen hier besonders nazistisch waren? Oder eher doch, wie wichtig es ist, wie Pfarrer, Lehrer und Bürgermeister agieren? Denn sie haben sehr viel Einfluss auf die Stimmung im Dorf. Vielleicht wurden die uniformierten Mai-Umzüge und Lindenpflanzungen ja von den Menschen damals anders empfunden. Heute wirken sie nur noch martialisch, gleichgeschaltet und wie ein Zwang, dem sich niemand entziehen konnte.
Da denkt man natürlich an Krauses Buch „Fremde Eltern“, wo man authentisch miterleben kann, wie das Denken der Nazi-Zeit selbst in den Briefen der Jungverliebten aufscheint. Wie es selbst ihre Lebensentscheidungen beeinflusst und sie eifrigst bemüht sind, den Erwartungen zu genügen, die der uniformierte Staat überall postuliert. Im Grunde zeigt Krauses Spurensuche im Wieratal gerade zwischen 1927 und 1933, wie sich ideologische Gleichschaltung eigentlich abspielt, wie sie sich einpflanzt ins Dorfleben, Denkweisen prägt und Menschen dazu bringt, sich anzupassen.
Noch so eine Schattenseite vom „Volk“. Denn tatsächlich möchten ja Menschen akzeptiert und respektiert sein. Die wenigsten halten es aus, ausgegrenzt und angefeindet zu werden.
Nur so ein Gedanke, der einem kommt, wenn man sich vorstellt, in so einem 1.000-Einwohner-Dorf wie Oberwiera zu leben – und der Pfarrer wird zum Nazi, der Bürgermeister wird zum Nazi, die Lehrer werden zu Nazis und auf einmal werden Kriegslieder gesungen in der Kirche und das Gerede beginnt und das Tuscheln, wer nicht dabei ist …
Und allein schon das 70-jährige Schweigen zeigt Krause noch etwas anderes, nämlich wie lange solche Prägungen durch eine Ideologie nachwirken und wie schwer sich die Betroffenen tun, sich dem Thema zu stellen, wenn das in der „neuen Zeit“ auch wieder nicht opportun ist.
Und es bleibt natürlich frappierend, wie leicht es Leuten wie Leffler und Leutheuser fiel, einfach das alte protestantische Selbstverständnis in ihren Gemeinden zu entkernen und anstelle der Christusverehrung den Hitlerkult zu setzen. Am Ende erlosch das Kirchenleben sogar komplett. Einige wichtige Veröffentlichungen im Westen der Republik haben sich durchaus schon mit diesem ziemlich finsteren Kapitel der Evangelischen Kirche beschäftigt. Im Osten gibt es dazu noch nicht wirklich viel Material. Zumindest zeigt Krause hier anhand historischer Dokumente sehr anschaulich, dass Ostdeutschland auch im NS-Reich kein unbeschriebenes Blatt war. Und dass es auch hier Orte und Regionen gab, die sich nicht gegen die Einvernahme durch die Nazis wehrten.
Warum das im Einzelnen genau so war, dazu fehlt noch manche Studie. Auch zur Psychologie der Geschichte, die von vielen Historikern gern als übermächtiges Fatum geschildert wird, ohne wirklich auf Machtverhältnisse und Abhängigkeiten zu schauen. Im Wieratal wird einiges davon sichtbar. Nicht alles. Aber so viel, dass man ein Gefühl dafür bekommt, wie leicht neue Bevormundungen und Anpassungszwänge eine Dorfgemeinschaft verändern. Erst recht, wenn bombastische Worte wie „Volksgemeinschaft“ und „Heldentum“ fallen. Diese ganzen Verführungsvokabeln, mit denen Menschen zum Mitmachen gedrängt werden, die ohne all die pathetischen Verführer einfach ihre Felder bestellt und das Vieh gefüttert hätten. Ohne den Drang in sich zu verspüren, ihre Knochen gleich wieder im nächsten Krieg hinzuhalten.
Joachim Krause Im Glauben an Gott und Hitler, Sax Verlag, Beucha und Markkleeberg 2018, 12 Euro.
Leipziger Internetzeitung, 25. März 2018, Ralf Julke
https://www.l-iz.de/tag/ns-zeit
Neuerscheinung: Die ,,Deutschen Christen“ aus dem
Wieratal
FROHNSDORF/FLEMMINGEN. Joachim Krause hat sich eines dunklen Stücks der Geschichte des Wieratals angenommen. Der Autor und Heimatforscher, der 1946 im heutigen Nobitzer Ortsteil Ehrenhain geboren wurde und seine Kindheit größtenteils in Schönberg bei Meerane verbrachte, beschäftigte sich mit den Verstrickungen der Kirche in die Ideologie des Nationalsozialismus. Schauplatz: das Wieratal. Was 1927 mit der Ankunft zweier bayerischer Pfarrer begann, die sich der Synthese zwischen Nationalsozialismus und Christentum verschrieben hatten, führt 1928 zur Gründung des „Nationalsozialistischen Pfarrer- und Lehrerkreises des Wieratals". In den 1930er Jahren wird eine Kirchenpartei mit dem Namen „Deutsche Christen" in Thüringen gegründet, und die beiden Pfarrer aus dem Wieratal machen Karriere, unter anderem als Leiter des kirchlichen „Entjudungsinstituts" in Eisenach. Das Buch „Im Glauben an Gott und Hitler - Die „Deutschen Christen" aus dem Wieratal und ihr Siegeszug ins Reich von 1928 bis 1945" berichtet über dieses Stück Lokalgeschichte.
(Osterländer Volkszeitung, Altenburg, 5.3.2018, S.15)
Beitrag von Siegfried Stadler in der Sendung
„Religion und Gesellschaft“ von MDR-Kultur am 22.4.2018
(Hier zum Anhören)
Die Deutschen
Christen aus dem Wieratal
„Fremde Eltern“
entdeckte Joachim Krause, als er vor zwei Jahren die Tagebücher und Briefe
seiner verstorbenen Eltern aus der NS-Zeit veröffentlichte. Gott und Hitler
gingen darin eine unheilvolle Verbindung ein, und auch die „Deutschen Christen“
spielten eine Rolle. Dieser nazitreuen Kirchenbewegung hat sich Krause jetzt
noch einmal gesondert angenommen, denn ihre Ursprünge lagen gleich in seiner
Nachbarschaft:
„Da war ein Pfarrer
Leffler ein wesentlicher Akteur, und der war Pfarrer in Niederwiera gewesen,
das lag von meinem Wohnhaus vier Kilometer entfernt. Und ich hatte nie davon
gehört, dass dort die „Deutschen Christen“ ihren Anfang gehabt hatten, weder in
den Kirchgemeinden noch irgendwo in privaten Gesprächen. Und da habe ich mich
auf Spurensuche begeben.“
Herausgekommen ist
eine kommentierte Dokumentation aus Kirchenakten, politischen Zeitzeugnissen
und manchmal auch nachträglichen Erinnerungen, die allerdings nur spärlich
flossen:
„Ich meinte, ich
könnte offene Türen einrennen, mir würden die Leute ihre Fotoalben zeigen, und
ich stieß auf eine Wand des Schweigens …“
… im heutigen
Wieratal, dessen Dörfer einst zum nationalsozialistischen Missionsgebiet
wurden. Diese Aufgabe stellten sich zwei evangelische Pfarrer, die aus Bayern
nach Thüringen kamen. Siegfried Leffler und Julius Leutheuser zählten in der
NSDAP zu den sogenannten „Alten Kämpfern“. Auf ihren benachbarten Pfarrstellen
im Wieratal wurden sie zugleich Kämpfer für einen neuen Glauben, den sie unter
dem Namen „Deutsche Christen“ aus der Taufe hoben, mit Erfolg:
„Die „Deutschen
Christen“ sind ja auch, ich sage es einmal unvorsichtig, die moderneren
Pfarrer, sie sind offen für neue Veranstaltungsformen, neue Räume, man muss
nicht mehr in die Kirche gehen, sondern man kann sich auch im Gasthof
versammeln …“
… auch zu
Saalschlachten gegen die Kommunisten und zu Audienzen beim irdischen Gott:
„Adolf Hitler wurde
in Glauchau besucht, in Weimar, das waren schon Privataudienzen, die diese
Thüringer „Deutschen Christen“, die besonders militant und hartnäckig waren, schon
in eine relativ hohe Kategorie gerückt haben.“
Nach dem
Machtantritt stiegen die Nazi-Pfarrer auf in höhere Posten. Gemeinsam
betätigten sie sich im 1939 gegründeten kirchlichen „Entjudungsinstitut“ in
Eisenach, das die Bibel von jüdischen Einflüssen befreien sollte.
Leutheuser fiel im
Krieg, Leffler fiel nach dem Krieg in amerikanische Gefangenschaft. In
Baden-Württemberg bekam er wieder eine Pfarrstelle und schickte einen offenen
Reuebrief ins Wieratal*). Das Schreiben wurde in den Kirchgemeinden diskutiert
und mit einem Antwortschreiben an das Thüringer Landeskirchenamt gesandt, mit
der Bitte, beides zu veröffentlichen:
„Dahinter stand die
Erwartung: Da ist viel Unerledigtes, das muss noch einmal auf den Tisch! Und
der Bischof - Mitzenheim in Thüringen - sagt: Wir legen es zu den Akten. Es war
politisch nicht gewollt!“
Insofern darf man
die kleine Dokumentation von Joachim Krause als Anregung verstehen, sich doch
noch einmal mit dieser verdrängten Geschichte zu beschäftigen, um sie als
Vergangenheit abzuschließen.
*)
Richtigstellung: Hier irrt der Rezensent. Leffler schrieb sein Schuldbekenntnis
noch im Internierungslager in Ludwigsburg, ohne zu wissen, was daraufhin
geschehen würde. Eine neue Pfarrstelle bekam er dann erst Jahre später – in der
evangelischen Kirche in Bayern.
Spuren der Schuld
Völkisch: Ein neues
Buch zeigt die Wurzeln der »Deutschen Christen« – sie liegen im
sächsisch-thüringischen Wieratal. Und sind kaum bekannt. Die völkische
Versuchung war damals groß – und blieb in der Kirche lange unaufgearbeitet.
Von Matthias Caffier
Im ostthüringischen
Wieratal, nahe Meerane, entstand vor rund 90 Jahren eine kirchenpolitische
Bewegung, die nach 1933 deutschlandweit Bedeutung erlangte: die »Deutschen
Christen«. Deren Spuren hat der sächsische Theologe und frühere
Umweltbeauftragte der Landeskirche, Joachim Krause, sorgfältig verfolgt und
recherchiert und in dem Buch »Im Glauben an Gott und Hitler. Die »Deutschen
Christen« aus dem Wieratal und ihr Siegeszug ins Reich von 1928 bis 1945«
veröffentlicht.
Er wollte
herauszufinden, »wie die Menschen im Wieratal die Zeit von 1933 bis 1945
erlebten (…), wo und wie sie beteiligt gewesen [waren]«. Dabei nimmt die
Wiedergabe von Dokumenten, die für sich sprechen, breiten Raum ein.
Die Geburt dieser
Bewegung ist eng mit zwei befreundeten jungen Pfarrern aus Bayern verbunden:
Siegfried Leffler und Julius Leutheuser (beide Jahrgang 1900). Sie kamen 1927
nach Thüringen in die Kirchgemeinden Niederwiera und Flemmingen, traten zwei
Jahre später in die NSDAP ein und verstanden es, die Jugend, die Lehrer und die
Bauern ihrer Dörfer in wenigen Jahren für den Nationalsozialismus und die von
ihnen ins Leben gerufene Bewegung der »Deutschen Christen« zu begeistern. Ihr
Credo: Eine erstrebenswerte »Synthese zwischen Nationalsozialismus und
Christentum« (Leffler).
Anfang der 1930er
Jahre entstanden auch an anderen Orten in Deutschland ähnliche Gruppierungen
mit der Bezeichnung »Deutsche Christen«. Die Thüringer Organisation aber
»entwickelte sich in den Jahren 1933 bis 1939 zur reichsweit führenden Kraft«,
zitiert Krause einen Historiker und erinnert daran, dass die »Deutschen
Christen« durch die Übernahme des Arierparagraphen in die Kirchenverfassung den
»Kirchenkampf« mit anderen Gruppierungen innerhalb der evangelischen Kirche
auslösten.
In kürzester Zeit
änderten sich so die innerkirchlichen Mehrheitsverhältnisse drastisch zugunsten
der »Deutschen Christen«. Deren beide Vorkämpfer, die Pfarrer aus dem Wieratal,
machen dabei schnell (Partei)-Karriere: Julius Leutheuser ist seit 1937
stellvertretender Leiter der »Kirchenbewegung Deutsche Christen« und dort
zuständig für Propaganda; 1942 fällt er in Stalingrad. Siegfried Leffler wird
1939 Leiter des eigens gegründeten »Entjudungsinstitutes« in der Lutherstadt
Eisenach. 1945 wird er verhaftet und für drei Jahre in Ludwigsburg interniert,
legt ein Schuldbekenntnis ab und kehrt danach in den Dienst der bayerischen
evangelischen Kirche zurück.
Joachim Krause hält
diese zweite Chance für problematisch, genau wie bei anderen thüringischen
»deutsch-christlichen« Pfarrern, mit denen ähnlich verfahren wurde.
In Thüringens Kirche
gab es während der NS-Zeit nicht nur die »Deutschen Christen«; das zeigte sich
unter anderem bei den Kirchenwahlen Anfang der 1930er Jahre, bei denen auch
andere Kirchenparteien beziehungsweise Wahllisten antraten. Als
innerkirchlicher Gegner dominierend wurde die »Bekennende Kirche« (BK), von der
Krause ein differenziertes Bild skizziert: Die BK sei bei weitem nicht so
einheitlich und stark gewesen, wie sie bis heute wahrgenommen wird. Um
Relationen sichtbar zu machen, nennt der Autor folgende Zahlen: »Eine Schätzung
aus dem Jahr 1935 ergibt bei einem Bestand von 700 (Thüringer) Pfarrern im Amt
300 Mitglieder der ›Deutschen Christen‹, 160 der ›Bekennenden Kirche‹, 150 des
›Wittenberger Bundes‹, 90 neutral.« Für die Zeit der Kriegsjahre 1939 bis 1945
konstatiert Joachim Krause ein faktisches Ende des »Kirchenkampfes«, zumal das
NS-Regime damals »an einem Burgfrieden mit den Kirchen interessiert« gewesen
sei.
Zu Recht bemängelt
er trotz des 1945 gegebenen kirchlichen Stuttgarter Schuldbekenntnisses eine
bis heute weithin fehlende Aufarbeitung der Mit-Schuld von Kirchen und Christen
an den Verbrechen des Nationalsozialismus. Deren bisher nur bruchstückhafte
Aufarbeitung – nicht nur die der »Deutschen Christen« – ist durch diese äußerst
sorgfältige Publikation um einen wichtigen, lesenswerten Beitrag bereichert
worden.
Der Sonntag,
Wochenzeitung für die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens, 1.9.2018 https://www.sonntag-sachsen.de/2018/35/spuren-der-schuld
auch abgedruckt in: Glaube und Heimat, Mitteldeutsche Kirchenzeitung, 16.9.2018
Review of Joachim Krause, Im Glauben an Gott und Hitler. Die “Deutschen Christen“ aus dem
Wieratal und ihr Siegeszug ins Reich von 1928 bis 1945 (an annotated
documentation / eine kommentierte Dokumentation)
(Markkleeberg: Sax Verlag, 2018). Pp. 128. ISBN: 078-3-86729-212-2.
By Dirk Schuster, University of Potsdam
The retired chemist and theologian Joachim Krause just happened to come across the subject of the present book, as he writes at the outset. In referencing the well-known Institute for the Study and Elimination of Jewish Influence on German Church Life (Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben) he noted that the origins of the German Christian Church Movement (Kirchenbewegung Deutsche Christen) and their institute lay in the eastern Thuringian Wieratal, where Krause (born 1946) grew up. Since he knew nothing about the German-Christian history of the churches in his home country, he began to thoroughly investigate the German Christian Church Movement—by far the most radical and influential German-Christian organization during the period of National Socialism.
As the second subtitle reveals (“an annotated documentation”), the book is a descriptive representation of the German Christian Church Movement with a regional focus on the origins of the movement in the Wieratal near the city Altenburg. In his presentation, the author outlines the development chronologically: first of all, he describes how the two young vicars, Siegfried Leffler and Julius Leutheuser, who were inspired by National Socialism, began scouring for a small circle of like-minded people from 1927 onwards. Within a few years, this small circle was to become one of the most influential inner-church movements that controlled several Protestant churches during the time of the “Third Reich”. The theological worldview of the church movement was a symbiosis of (Protestant) Christianity and National Socialism, since they saw the direct action of God in Adolf Hitler and his movement.
The main lines of development which Krause describes, especially with respect to the sources that are quoted again and again, are not new. The early phase of the church movement is known at least in its rough historical outline through the publications of Susanne Böhm and Oliver Arnhold. This is where the uniqueness of Joachim Krause’s book comes to the fore: it is based on local sources such as the archives of the various parishes in which the German Christians began to build their national church movement. Furthermore, he can draw on personal records of inhabitants of the Wieratal from the time of National Socialism. With the help of this extraordinary material, Krause is able to retell the missionary successes of the church movement amongst the inhabitants of the Wieratal in a lively manner within the opening chapters.
In the subsequent chapters on the period of the “Third Reich”, however, Krause makes a number of content-related errors: this begins with false dates (p. 63) and leads to claims that in 1937 the NSDAP had forbidden dual membership in the party and church (p.82). To the contrary, Walter Grundmann, the scientific director of the aforementioned institute and one of the ideological leaders of the German Christian Church Movement, serves as a classic example of membership both in the NSDAP and the church organization, which was easily possibly until the end of the war. Likewise, the secret newsletter of Martin Bormann in 1941 was not a challenge of the Nazi Party to the churches or even Christianity, but rather the attempt to achieve a consistent separation of party and church, as Armin Nolzen has impressively demonstrated.[1]
In the last chapter, Krause effectively criticizes the myth-making of an alleged ecclesiastical resistance after 1945 and points out how, on the local level, former German Christians are still fondly remembered, even today. In the chapter on the church policy of National Socialism, Krause does not maintain such a critical attitude, since he only repeats older interpretations of church historiography. By adding more recent work on the history of the churches in the “Third Reich”, such misjudgments probably could have been avoided. However, if you would like to find out more about the early years of the German Christian Church Movement, I recommend this book, which surprises with very interesting sources at various points.
[1] Armin Nolzen, “Nationalsozialismus und Christentum. Konfessionsgeschichtliche Befunde zur NSDAP,” in Manfred Gailus, Armin Nolzen (eds.), Zerstrittene »Volksgemeinschaft«. Glaube, Konfession und Religion im Nationalsozialismus (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2011) 151–179.
One Response
Kyle Jantzen, June 25, 2018 at 15:24:32:
Interesting local history perspective. The issue of the Nazi party banning church membership may reflect local knowledge. I know from my research on parishes in different parts of the Reich, in 1937 a number of parish councillors (Mitglieder des Gemeindekirchenrates) resigned on the grounds that the NSDAP forbad them from holding leadership positions in churches. It may be something like this that was going on in the Wieratal too.
REVIEW OF JOACHIM KRAUSE, IM GLAUBEN AN GOTT UND HITLER. DIE “DEUTSCHEN CHRISTEN“ AUS DEM WIERATAL UND IHR SIEGESZUG INS REICH VON 1928 BIS 1945
June 1, 2018·by
the Editors·in Reviews, Volume 24 Number 2 (June 2018) Contemporary Church
History Quarterly
Volume 24, Number
2 (June 2018)
Strafe fürs Wieratal
Joachim Krauses Buch
„Im Glauben an Gott und Hitler“ erinnert an die Umbenennung von Engertsdorf
ALTENBURG/ENGERTSDORF.
Vor 90 Jahren brach im Wieratal eine kirchliche Bewegung auf, die nach 1933
deutschlandweit Bedeutung erlangte – die Deutschen Christen. Dieses Kapitel der
Geschichte dieser Region war bislang unterbelichtet, obwohl es bis in heutige
Tage nachwirkt. Für Aufhellung sorgt ein Buch mit dem Untertitel „Die
,Deutschen Christen’ aus dem Wieratal und ihr Siegeszug ins Reich von 1928 bis
1945“. Autor ist der in Ehrenhain geborene Joachim Krause. Die Deutschen
Christen waren eine rassistische, antisemitische, am Führerprinzip orientierte
Strömung im deutschen Protestantismus, die diesen von 1932 bis 1945 an die
Ideologie des Nationalsozialismus’ angleichen wollte.
In den Mittelpunkt
seines Werkes stellt Krause Siegfried Leffler und Julius Leutheuser – zwei
junge Pfarrer aus Bayern, die 1927 in die Kirchgemeinden Niederwiera und
Flemmingen kamen. Beiden gelang es in wenigen Jahren, Lehrer, Jugend und Bauern
in ihren Dörfern für den Nationalsozialismus und für die Deutschen Christen zu
begeistern. In den Kirchgemeinden ersetzte eine neue „zeitgemäße deutsche
Gottesfeier“ den herkömmlichen Gottesdienst. Leffler stieg 1939 zum Leiter des
sogenannten Entjudungsinstituts in Eisenach auf, das die Aufgabe hatte, alles
Jüdische aus Theologie, Kirchenmusik und Gemeindeleben auszutilgen. Während
Leutheuser im Krieg fiel, arbeitete Leffler ab 1951 bis 1970 wieder als Pfarrer
bei Regensburg und bekam von der Stadt Hengersberg sogar die Ehrenbürgerschaft
verliehen.
Der Autor widmet
sich allerdings nicht allein den christlichen Würdenträgern im Wieratal,
sondern auch bekannten Lehrern, die Leffler und Leutheuser und den Nazis
nacheiferten und sich sowohl in der NSDAP als auch bei den Deutschen Christen
engagierten. Ihr Agieren im Hitler-Reich wird ebenso beleuchtet wie deren
Schicksal nach Kriegsende. Dabei fand der Autor heraus, dass einige der
Aktivisten glimpflich davonkamen und zum Teil nach 1945 wieder als Lehrer
arbeiten durften. Nachgegangen wird ebenso, wie die Kirchgemeinden des
Wieratals selbst mit ihrer jüngeren Geschichte umgingen. So wird deutlich, dass
auch nach 1945 viele Würdenträger der Kirchgemeinden belastet waren. In
Frohnsdorf zum Beispiel waren von 13 Kirchvorstehern 11 Mitglieder der NSDAP
und alle 13 Mitglied der Deutschen Christen, wie Krause herausfand.
Gern hätte der Autor
sich auch intensiver mit dem Schicksal der Bauern aus dem Wieratal nach 1945
befasst, stieß jedoch auf eine Mauer des Schweigens. „Unsicherheit, Scham und
Angst vor dem Bloßstellen von Verwandten oder Nachbarn sind wohl auch mehr als
70 Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur noch zu stark“, vermerkt Krause.
Dennoch gelang ihm,
eines der spannendsten Kapitel dieser Gegend zu beleuchten. Dieses hängt mit dem
Bauern Kurt Trenkmann zusammen, der 1933 als Bürgermeister von
Hinteruhlmannsdorf veranlasste, Adolf Hitler die Ehrenbürgerschaft der Gemeinde
zu verleihen und als aktives Mitglied der Deutschen Christen mit dazu beitrug,
dass das „braune Hinteruhlmannsdorf“ 1950 zur Strafe seinen Namen verlor und in
Engertsdorf umbenannt wurde. Namenspate war der 1945 ermordete Kommunist und
Widerstandskämpfer Otto Engert, der aus Prößdorf im Altenburger Land stammte.
Kurt Trenkmann kam im Oktober 1945 im sowjetischen Internierungslager „Nr. 2“,
dem ehemaligen KZ Buchenwald, um. Sein Besitz wurde enteignet. Ein Thema, was
dessen Familie und den Ort Engertsdorf selbst bis heute beschäftigt. Trenkmann
und drei anderen Einwohnern ist seit 2006 eine Erinnerungstafel in der Kirche
Frohnsdorf gewidmet: „Im Gedenken an die unschuldigen Opfer des stalinistischen
Terrors“.
Jens Rosenkranz, Osterländer Volkszeitung, Altenburg, 13.9.2018, S.14
Info 22, Februar 2919, Zeitschrift des
Sächsischen Pfarrvereins e. V.
Gespräch mit dem Buchautor Joachim Krause aus Schönberg
Joachim Krause war von 1982 bis
2010 Beauftragter für Glaube, Naturwissenschaft und Umwelt der Evangelischen
Landeskirche in Sachsen.
Herr Krause, vielen Pfarrern und Gemeindegliedern in der Sächsischen
Landeskirche ist Ihr Name noch aus Ihrer Dienstzeit ein Begriff. Sie waren
aktives Mitglied der kirchlichen Umweltbewegung in der DDR, haben ein
Fernstudium der Theologie absolviert und sind Textdichter für DDR-Rockmusikgruppen
wie z.B. Lift, Panta Rhei und die Puhdys gewesen.
2018 erschien Ihr Buch „Im Glauben an Gott und Hitler – Die ‚Deutschen
Christen‘ aus dem Wieratal und ihr Siegeszug ins Reich von 1928 bis 1945“. Welche
Erfahrungen oder Erlebnisse haben Sie auf diesen Weg gebracht?
Ich hatte mich zuvor einige Jahre
lang intensiv mit einem unerwarteten „Erbe“ meiner Eltern – einem späteren
sächsischen Pfarrerehepaar – auseinandergesetzt. Fast zweitausend Briefe, die
sie sich ein den Jahren zwischen 1933 und 1945 geschrieben hatten, dazu
Tagebücher und Urkunden, erwiesen sich als authentische Zeugnisse zur Zeitgeschichte,
augenblicksbezogen im Originalton niedergeschrieben. Ich bin beim Lesen noch
einmal tief in das Geschehen, das Erleben, den Alltag in der NS-Zeit
eingetaucht, habe die (damals) jungen Leute in ihrer Begeisterung, ihrem Suchen
und Zweifeln begleitet. Ich lernte „Fremde Eltern“ kennen (so der Titel des
Buches, das ihren Weg dokumentiert).
Die Aufarbeitung der familiären Vergangenheit
hatte mich sensibilisiert. Auf der Buchmesse blätterte ich in einer
Dokumentation, in der Gymnasiasten der Geschichte des (kirchlichen!) sogenannten
„Entjudungsinstitus“ in der Lutherstadt Eisenach nachgegangen waren. Nie hatte
ich davon gehört. Beim Weiterlesen entdeckte ich, dass der Leiter dieser
unsäglichen Einrichtung Siegfried Leffler gewesen war, zuvor tätig als Pfarrer
in Niederwiera, wo er schon Anfang der 1930er Jahre die dem Nationalsozialismus
nahe stehenden „Deutschen Christen“ (DC) gegründet hatte. Niederwiera aber –
das war mein Nachbardorf! In den vielen Jahren, die ich in der Region gelebt
hatte, war diese hoch brisante Vergangenheit unserer Dörfer weder in privaten
Gesprächen noch in den Kirchgemeinden jemals thematisiert worden – vergessen,
verdrängt? Ich ging auf Spurensuche, wollte wissen und verstehen, wie die
Menschen hier im verträumten Wieratal diese Jahre erlebt hatten, zwischen
Verführung und begeistertem Mittun, Wegsehen und Schweigen.
Die im Buch beschriebene historische Situation greift durch den Weg der
beiden Pfarrer Siegfried Leffler und Julius Leutheuser die Verflechtung der
Thüringer und der Sächsischen Landeskirche auf. Wie spiegelt sich das in der
Kirchengeschichte beider Landeskirchen wider?
Die beiden jungen und
charismatischen Pfarrer kamen aus der bayerischen Kirche, wo sie wenig
Verständnis für ihr „völkisches Christentum“ gefunden hatten, in Dörfer an der
Grenze zwischen Thüringen und Sachsen. Es gelang ihnen in kurzer Zeit, viele
der Kirche entfremdete Menschen (wieder) für Kirche und Christentum zu gewinnen,
allerdings in einer „deutsch-nationalistisch-christlich-schwärmerischen“
Variante. Durch ihre „modernen“ und „zeitgemäßen“ Angebote („Volksnähe“, neue
Lieder, Veranstaltungen außerhalb kirchlicher Räume) begeisterten sie in
systematischer Aufbauarbeit und im Bündnis mit den Volksschul-Lehrern zunächst
die Jugendlichen, schnell aber auch die Mehrheit der Gemeindeglieder. Sie
gründeten eigene NSDAP-Ortsgruppen, riefen im Wieratal (als erste in
Deutschland) die Bewegung der „Deutschen Christen“ ins Leben, und erreichten
bei den von Hitler 1933 angeordneten Kirchenwahlen im Thüringer Kirchenparlament
fast 90% der Sitze. In den folgenden Jahren entwickelte sich diese Strömung
deutschlandweit zur führenden „deutsch-christlichen“ Kraft. Auch in der
benachbarten sächsischen Landeskirche wurde 1933 ein DC-Bischof eingesetzt.
In beiden Landeskirchen hat es
eine intensive kritische Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit der Frage von
Schuld und Verstrickung von Kirchenleitungen, Pfarrern und Kirchgemeinden in
der NS-Zeit (z. B. Stellung zu den Juden, Leisten des Treueids auf den Führer,
Mitmachen und aktives Eintreten für den NS) bis heute nur in Ansätzen gegeben.
Zu schnell war von Vergeben und Neuanfang die Rede, wurde Belastendes verdrängt
und vergessen.
In vielen Kirchgemeinden gibt es
bis heute „Fehlstellen“: Bilder der damals „aktiven“ Pfarrer, Überlieferungen aus
den Jahren der NS-Zeit sind nicht vorhanden, Akten verschwunden, noch heute ist
die Scheu spürbar, nach den Geschehnissen jener Zeit zu fragen.
Sind Belege zum Verhältnis zwischen den Pfarrern, die sich den
Deutschen Christen (DC) angeschlossen haben und denen der Bekennenden Kirche
(BK) erhalten geblieben?
Vor Ort hat es wohl keine
Auseinandersetzungen zwischen Pfarrern der BK und der DC gegeben. Einzelne
Familien im Wieratal jedoch haben die mit NS-Symbolen dekorierte Kirche in
ihrem Dorf 12 Jahre lang nicht betreten und haben den Gottesdienst beim
Altenburger BK-Pfarrer besucht.
Zur „Bekennenden Kirche“, zu der
auch mein Vater gehörte, habe ich eine deutlich kritischere Einstellung
gewonnen. Sie war keine Bewegung im politischen Widerstand gegen das NS-Regime,
zu der sie in der kirchlichen Nachkriegsgeschichtsschreibung gern verklärt
wurde, sondern (auch in der Wahrnehmung der Nationalsozialisten) eine inner-kirchliche
Gegenbewegung zu der „Irrlehre“ der DC. Die BK war theologisch konservativ
ausgerichtet (Orientierung an „Schrift“ und „Bekenntnis“) und trat dem
nationalsozialistischen Gedankengut lediglich mit kritischen Argumenten aus
Bibel, Kirchengeschichte und Theologie entgegen. Auch viele BK-Pfarrer
leisteten den (staatlicherseits nicht verlangten) Treueid auf Adolf Hitler. Die
BK äußerte sich erst spät und nicht klar zur Verfolgung der jüdischen
Bevölkerung. In der grundlegenden „Barmer Theologischen Erklärung“ kamen die
Stichworte „Rasse“ und „Juden“ nicht vor (hier war die BK keine bekennende,
sondern eine schweigende Kirche). Zwischen den DC und BK hat es in der Bejahung
der Nazis als Obrigkeit nach Römer 13 keinen Unterschied gegeben. Beide haben
den Nationalsozialismus als neue staatliche Ordnung akzeptiert.
Welche Erkenntnisse konnten Sie über die Beziehung der Deutschen
Christen zur NSDAP gewinnen?
In der Regel bestand wohl bei den
meisten politisch und kirchlich „aktiven“ Männern in den Dörfern eine – als
selbstverständlich erlebte – Doppelmitgliedschaft. Jesus wurde von DC-Ideologen
zum Arier stilisiert, und im Gegenzug setzten sich die DC – unter Bezugnahme
auf Luther! – „für die Beseitigung alles jüdischen und fremdvölkischen Geistes
in den kirchlichen Lehr- und Lebensformen“ ein. Das Parteiprogramm der NSDAP
sprach sich für ein „positives Christentum“ aus. Leutheuser meinte, dass „der
einzige Retter der Sache Christi nur in der Persönlichkeit Adolf Hitlers zu
suchen sei“, das deutsche Volk solle „der Hort der himmlischen Mächte auf Erden
sein“. Die euphorische Anbiederung der DC an die politischen Machthaber
(Übernahme des Führerprinzips, Verwendung von NS-Symbolen) stieß nicht
unbedingt auf Gegenliebe und führte ab 1937 zu immer deutlicherer Distanz und
Abgrenzung der NSDAP auch gegenüber den DC.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gab es in den Kirchen viel
Mitschuld aufzuarbeiten. Welchen Weg gab es für Siegfried Leffler und Julius
Leutheuser?
Leutheuser war 1942 vor
Stalingrad umgekommen. Leffler wurde bei Kriegsende von den Amerikanern in
Ludwigsburg interniert. Er wurde zu Arbeitslager und Geldstrafe verurteilt und
auch aus dem kirchlichen Dienst entlassen. Im Lager schrieb er 1947 ein
Schuldbekenntnis, das in einer kirchlichen Zeitschrift in Süddeutschland
veröffentlicht wurde. Darin setzte er sich intensiv mit seiner Schuld
auseinander („verhängnisvoller Irrweg“), besonders auch der gegenüber dem
jüdischen Volk, er bereute und bat alle, denen er Leid angetan hatte, um
Verzeihung. Nach meiner Ansicht sind seine Einsichten nicht dem Opportunismus
geschuldet, sondern ein ehrlicher, schonungsloser Versuch für Klärung und
Neuanfang, ein bewegendes Dokument, wie vielleicht der Weg frei gemacht werden
konnte für eine Aufarbeitung. Leider war eine solche aber seitens der Thüringer
Landeskirche nicht gewollt, und der Brief Lefflers wurde nicht, wie
vorgeschlagen, in der Thüringer Kirchenzeitung „Glaube und Heimat“ veröffentlicht,
sondern verschwand, zusammen mit einer Stellungnahme seiner früheren Kirchgemeinde,
in den Akten. Leffler war später, von 1953 bis 1970, wieder Pfarrer, nun in
Bayern. Nationalsozialistisch belastete Pfarrer wurden im Regelfall nach milden
innerkirchlichen Verfahren „entnazifiziert“, schlimmstenfalls wenige Jahre vom
Dienst suspendiert und danach oft weiter beschäftigt.
Gibt es Spuren der beiden im Wieratal und wie gehen die Gemeinden heute
mit diesem historischen Erbe um? Sind noch Originalpredigten oder andere
schriftliche Zeugnisse aus dieser Zeit erhalten?
Den beiden Pfarrern ist es
gelungen, dem „Wieratal“, wie sich die Akteure der Bewegung nannten, ein
Wir-Gefühl, ein neues Selbstbewusstsein zu vermitteln. Der Stolz, zum „braunen
Wieratal“ zu gehören, wich einem schrecklichen Erwachen, als nach 1945 unter
sowjetischer Besatzung im Wieratal Bauernhöfe enteignet, örtliche Amtsträger
der NSDAP in dem nun sowjetischen Lager Buchenwald interniert wurden oder nach
Sibirien kamen. Diese eigenen schlimmen Erfahrungen nach dem Krieg verdrängten
schnell die Fragen zur früheren Begeisterung, zu Mitwisserschaft oder
Schweigen, zu möglicher Verstrickung und Schuld in der NS-Zeit. In den Familien
und in den Kirchgemeinden wurde kaum über diese Jahre gesprochen, es gibt bis
heute einfach keine Erinnerungen, tabu. Die nüchternen Protokolle von
Kirchenvorstandssitzungen (darin stehen Beschlüsse und Namen), der Blick in
Fotoalben oder Lebensberichte von Zeitzeugen eröffnen dennoch manche
Erkenntnis.
Kirchengeschichte ist ein andauernder Prozess, weil stets neue Generationen
heranwachsen und die Geschichte weiterschreiben. Wie sehen Sie Aufgaben für die
heutige Pfarrergeneration, dieses Thema zu bearbeiten?
Ich denke, dass es wichtig wäre,
aus den Verfehlungen (im Rückblick, die Menschen damals lebten nach vorn und
kannten das schlimme Ende nicht!) früherer Generationen Lehren zu ziehen. Man
sollte sich der Vergangenheit stellen, zur Kenntnis nehmen, was damals in den
Familien und in den Kirchgemeinden geschehen ist, nüchtern, ohne Bewertungen
oder (voreilige) Verurteilung der Akteure. Also ran an die Archive, rein in
Zeitzeugengespräche! Und den Spagat wagen zwischen Rückbindung an das
„Eigentliche“ und Wesentliche des christlichen Glaubens und dem Wahrnehmen und
Einmischen in die gesellschaftliche und politische Wirklichkeit da „draußen“.
An welchen Projekten arbeiten Sie heute? Haben Sie ein weiteres Buch
geplant?
Ich vergrabe mich gerade in die Tiefen
von Regional- und Heimatgeschichte, versuche zu verstehen, wie Leben auf dem
Lande früher funktioniert hat, mit welchen Problemen die Altvorderen
zurechtkommen mussten, was sie als Glück erlebt haben, und wie sie den Weg hin
zu uns begehbar gemacht haben. Da bin ich manchmal dankbar dafür, dass uns
heute VIEL und VIELES so selbstverständlich zur Verfügung steht, und manchmal beneide
ich die Alten um ihr so einfaches, genügsames und in Regeln geführtes Leben.
Ich bedanke mich herzlich für das interessante Gespräch und wünsche
Ihnen weiterhin viele gute Ideen und Gottes Segen bei allen Aufgaben ! (GS)
Das Buch „Im Glauben an Gott und Hitler“ gewann im Oktober 2018 den 2.
Hauptpreis beim „Sächsischen Landespreis für Heimatforschung“.
Das Buch „Fremde Eltern“ (das im Interview erwähnt wird und in dem es
um ein sächsisches Pfarrerehepaar geht) wurde im Dezember 2018 mit dem 1. Preis
beim mitteldeutschen Historikerpreis „Ur-Krostitzer Jahresring“ ausgezeichnet.
Joachim Krause kommt
gern als Referent zum Thema der „Deutschen Christen“ in Kirchgemeinden und
Pfarrkonvente. Ausführlichere Informationen finden Sie über dieses und weitere
seiner Arbeitsthemen unter: www.krause-schoenberg.de