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Charles
Robert Darwin
(12.2.1809 – 19.4.1882)
sein Leben, sein
wissenschaftliches Werk – und die Folgen
©
Joachim Krause ab 3-2009
1.
Darwins Lebenslauf
Einige
Daten aus dem Leben von Charles Darwin |
|
12.2.1809 |
Geburt in Shrewsbury; |
1817 |
Charles
Mutter stirbt |
1817
bis 1825 |
Schulbesuch
in Shrewsbury |
1825
bis 1827 |
Medizinstudium
an der Universität Edinburgh |
1828
bis 1831 |
Studium
in Cambridge, (eigentlich) mit dem
Ziel, anschließend die Laufbahn eines Geistlichen in der Anglikanischen
Kirche anzutreten; Abschluss: Bachelor of Arts |
1831
bis 1836 |
Weltreise
auf der H.M.S. BEAGLE (Südamerika, Galapagos-Inseln, Südsee, Neuseeland,
Australien, Südafrika, Südamerika) |
1839 |
Heirat
mit Emma geb. Wedgwood (10 Kinder, 3 sterben früh) |
1842
bis 1882 |
Wohn-
und Arbeitsort Down House |
1851 |
Tod
von Darwins Lieblingstochter Annie (10 Jahre alt, Tuberkulose) |
1858 |
Gemeinsam
mit Alfred Russel Wallace: Vorstellung der Evolutionstheorie |
1859 |
Buch:
Über die Entstehung von Arten … |
1871 |
Buch:
Die Abstammung des Menschen … |
19.4.1882 |
Darwin
stirbt, Beisetzung in der Westminster Abbey in
London |
Alles
beginnt am 12. Februar 1809. Charles Darwin kommt in Shrewsbury
zur Welt.
Um das Datum seiner Geburt etwas in das zeit- und kulturgeschichtliche Umfeld
einzuordnen, seien hier noch einige Daten aus dem Umfeld genannt:
·
die
französische Revolution liegt nicht einmal 20 Jahre
zurück
·
Napoleon
zieht durch (Kontinental-)Europa
·
Johann
Wolfgang von Goethe lebt noch
·
Abraham
Lincoln wird am gleichen Tag wie Charles Darwin geboren
·
wenige
Tage zuvor kommt Felix Mendelssohn-Bartholdy zur Welt
·
Karl
Marx wird erst neun Jahre später geboren
·
Großbritannien
ist die Weltmacht der damaligen Zeit
(British Empire)
·
England
erlebt einen dramatischen Aufbruch in der technischen und wirtschaftlichen
Entwicklung; damit verbunden ist der Manchesterkapitalismus und die zunehmende Verelendung
der arbeitenden Bevölkerung
·
in
dem begonnenen 19. Jahrhundert ist Sklaverei für die Staaten aller
„zivilisierten“ Länder noch selbstverständlich
·
die
Vielzahl der Aufbrüche und Spannungen macht das Jahrhundert zu einem
Jahrhundert der Revolutionen
Die
Eltern von Charles sind der Arzt Dr. Robert Darwin und Susannah geb. Wedgwood.
Eine bedeutsame Rolle spielen seine beiden Großväter, die miteinander
befreundet waren.
Da
ist zum einen Kunstkeramiker Josiah Wedgwood, einer der Begründer der
englischen Tonwaren-Industrie. Er war ein sehr erfolgreicher
Porzellan-Fabrikant. Sorgen um ihren Lebensunterhalt brauchen sich die Darwins
nie zu machen, die Familie besitzt genügend Grund und Boden und andere Reichtümer.
Das macht es möglich, dass Charles Darwin die längste Zeit seines Lebens
Privatgelehrter sein und seinen Neigungen nachgehen kann.
Der
Großvater in der väterlichen Linie ist der Naturwissenschaftler Erasmus Darwin.
Er war ein erfolgreicher Arzt. König George III. wollte ihn vergeblich als
Leibarzt gewinnen. Das aber passte nicht zur politischen Einstellung von Erasmus
Darwin, der sich z.B. vehement gegen die Sklaverei einsetzte. Erasmus
beschäftigte sich unter anderem mit Fossilien. Und er fragte schon 1788 in seinem
Buch „The Botanic Garden“, ob vielleicht „… manche
Tiere allmählich ihre Form … wechseln … und zu neuen Arten … werden?“, eine
Idee, die er in seinem 1796 erschienenen Buch Zoonomia
erneut aufnahm.
Die Vorstellung, dass sich die heute existierenden Lebewesen aus gemeinsamen
Vorfahren entwickelt haben, lag also damals schon gewissermaßen „in der Luft“.
Charles Darwin weist in einer Fußnote in seinem Hauptwerk darauf hin, dass die
Idee, dass das Leben auf der Erde eine Geschichte durchlaufen hat, dass
Lebewesen sich ständig verändern, mehrere geistige Väter hat: Er nennt seinen
Großvater Erasmus Darwin, er nennt den Deutschen Johann Wolfgang von Goethe und
den Franzosen Geoffroy Saint-Hilaire.
Im Geburtsjahr von Darwin erscheint das Buch von Jean Baptist de Lamarck:
„Philosophie zooligique“, in dem erstmals die
Vorstellung eines Entwicklungsprozesses ausführlich dargestellt wurde
(allerdings von Lamarck noch erklärt durch Vererbung erworbener Eigenschaften).
Es liegt also etwas in der Luft, weht mit dem Zeitgeist, und es liegt auch
etwas in Charles Darwins Blut.
1817 kommt Charles Darwin in die Vorschule, und ab 1818 besucht er die Privatschule,
eine der besten des Landes. Darwin selbst stellt in seiner Autobiographie
rückblickend fest, dass er diese Jahre nicht in guter Erinnerung hat. Er erlebt
dort ein angestaubtes, bürgerliches Bildungsideal, muss sich mit alten Sprachen
herumquälen und leidet unter der strengen Disziplin. Aber in der Schulzeit
erwacht auch seine Neugier. Schon als Junge befasst Charles sich mit der Natur.
Er sammelt gerne, und er sammelt alles Mögliche, z.B. Fossilien und Mineralien,
er beobachtet Käfer und Vögel, er geht zum Fischen und Jagen, und er macht im
Schuppen mit seinem Bruder zusammen chemische Experimente. Der Schulleiter und auch
Darwins Vater sind davon gar nicht begeistert: Das ist „unnütz und Müßiggang!“.
Der Vater möchte, dass Charles Arzt wird; und schon früh nimmt er ihn mit zu
Besuchen bei seinen Patienten. Nach Abschluss der achtjährigen Schulzeit
schickt er Charles 1825 zum Studium der Medizin an die Universität in Edinburgh,
wo der ältere Bruder schon eingeschrieben ist. Darwin ist gerade 16 Jahre alt!
Charles muss bei mehreren Operationen zusehen: Die grausamen Umstände setzen
ihm sehr zu (die Narkose war noch nicht erfunden). Er empfindet auch eine starke
Abneigung gegen das Sezieren, kann sich nicht vorstellen, Arzt zu werden, und so
bricht er sein Studium nach zwei Jahren (1827) ab. Überhaupt hat er sich schon
während des Studiums mehr für Geologie und Biologie interessiert, Vorlesungen
besucht, und er hält mit 17 Jahren seinen ersten (natur-)wissenschaftlichen
Vortrag.
Der
Vater überlegt, was soll aus dem Sohn wohl werden soll, Pfarrer vielleicht …
Und Charles kann sich durchaus vorstellen, Landpfarrer zu werden, da bleibt
genügend Zeit für die Beschäftigung mit der Natur. Das Theologiestudium ist zur
damaligen Zeit eine übliche Laufbahn für einen naturbegeisterten Menschen (alle
späteren Lehrer, denen Darwin in den Naturwissenschaften begegnete, waren
Natur-Theologen, oft im Hauptberuf Pfarrer).
Und
so schreibt der Vater Charles 1827 in einem Elitecollege in Cambridge zum
Studium ein. Im Christ´s College studiert Darwin gewissenhaft
– alte Sprachen, Geometrie und Mathematik, Philosophie, und vor allem biblische
Texte und theologische Literatur.
Zu
Charles Darwins Pflichtlektüre (während seines Studiums in Cambridge ab 1827)
gehören die theologischen Werke des 1805 verstorbenen Archidiakonus
William Paley. …
Besonders beeindruckt Charles die „Natürliche Theologie“ von Paley. … eine
Auffassung, die Gottes Wirken überall in der belebten Natur sehen will und
durch die Zweckmäßigkeit der Organismen begründet. Paley benutzt dabei das
althergebrachte Bild von der Uhr und dem Uhrmacher, um die Existenz Gottes zu
beweisen. Angenommen, wir finden eine Uhr auf dem Wege liegen, argumentiert er,
„wenn wir die Uhr aufheben und genau betrachten, bemerken wir …, dass ihre
Teile für einen speziellen Zweck erfunden und zusammengefügt wurden … Der
Mechanismus lässt unausweichlich darauf schließen, dass die Uhr einen Konstrukteur
hat … der sie für diesen Zweck entworfen hat.“
Genauso, lehrt Paley, stehe es mit der belebten Natur. All ihre Teile griffen
ineinander, jedes einzelne sei der Umwelt und den anderen Teilen sinnvoll
angepasst. Allein durch die Weisheit und Güte ihres Schöpfers, sagt Paley,
könne man die Zweckmäßigkeit der Organismen erklären.
(Steinmüller Charles Darwin S.86f.)
Besonders
begeistern den jungen Charles aber auch hier die Biologie und die Geologie. Er
sammelt weiter mit großer Leidenschaft: Seine Käfersammlung aus den Cambridger Jahren gibt es heute noch. Und er verschlingt
fasziniert die Berichte von Alexander von Humboldts Weltreisen.
Darwin legt im Januar 1831 am College sein Abschlussexamen ab, als einer der
Besten seines Jahrgangs. Er erwirbt den „Bachelor of Arts“, den ersten niedrigsten akademischen Grad. Das hätte ihm
nun folgerichtig den Weg zur Ausübung des Berufes eines Geistlichen in der
Anglikanischen Kirche eröffnet. Darwin ist jetzt 22 Jahre alt.
Aber im gleichen Jahr erfährt sein Leben eine entscheidende Wendung. Darwin erhält
die Einladung, an einer Schiffsreise rund um die Welt teilzunehmen. Der Kapitän
des Schiffes sucht einen gebildeten Begleiter, der aber auch während der Fahrt
naturwissenschaftliche Beobachtungen und Untersuchungen vornehmen soll. Charles´
Vater ist gegen die Teilnahme – aber lässt sich überzeugen. 1831 besteigt
Charles Darwin das Vermessungsschiff „Beagle“ (es handelt sich in Wirklichkeit
um ein Kriegsschiff der britischen Krone, das die Küsten der Kontinente für die
Weltmacht Britannia genauer kartieren soll). Das Schiff ist 31 Meter lang, und es
hat 70 Mann Besatzung. Die Reisedauer ist ursprünglich mit zwei Jahren
veranschlagt, erstreckt sich dann aber insgesamt über fünf Jahre. Die „Beagle“
segelt am südamerikanischen Subkontinent mehrmals an beiden Küsten hinauf und
hinunter, und besucht am Ende die Galapagosinseln im Pazifik, die Südsee,
Neuseeland, Australien, Südafrika, und noch einmal Südamerika, bevor sie wieder
in England einläuft. Das vermutlich letzte Lebewesen, das Darwin noch
persönlich „gekannt“ hat, war die Schildkröte „Harriet“, die er selbst von den
Galapagosinseln mitgebracht und einem Zoo in Australien anvertraut hatte – sie
starb Mitte 2006 im Alter von vermutlich 176 Jahren.
Charles Darwin sammelt, sammelt, sammelt: eine Fülle von Eindrücken und
Erfahrungen, aber auch Mineralien, Fossilien, Tierkörper, Pflanzen. Die Funde
werden mit anderen Schiffen nach Haus geschickt, Tagebücher halten die
Eindrücke fest. Mit der Auswertung der Ergebnisse dieser Weltreise ist Darwin für
den Rest seines Lebens beschäftigt.
Darwin ist jetzt 27 Jahre alt.
Nachdem er – seine Tagebücher legen davon Zeugnis ab – längere Zeit gerungen
hatte, was für eine Heirat und was dagegen spreche, ehelichte Darwin im Alter
von 30 Jahren 1839 seine Cousine Emma Wedgwood. Nach wenigen Jahren in London
zogen sie 1842 in das „Down House“
in der kleinen Ortschaft Down (Grafschaft Kent). Dort stand im örtlichen
Adressbuch ab sofort: „Charles Darwin, Farmer“. Darwin hat nie eine akademische
Stellung innegehabt, etwa als Dozent oder Professor, er bleibt Zeit seines
Lebens Privatgelehrter.
Emma
und Charles Darwin haben zehn Kinder, von denen drei früh versterben. Darwin
hat lebenslang darüber gegrübelt, ob die Verwandtenehe mit seiner Cousine
richtig war.
Ein ganz entscheidender Einschnitt in Darwins Leben ist der überraschende und
frühe Tod seiner Lieblingstochter: Annie stirbt 1851 im Alter von 10 Jahren.
Darwin ist so erschüttert, dass er nicht am Begräbnis teilnehmen kann. Noch
Jahrzehnte später bewegt ihn das Ereignis tief:
„Wir
haben nur ein sehr schweres Leid erfahren: Annies Tod am 24. April 1851 in Malvern, als sie gerade zehn Jahre alt war. … Immer noch
kommen mir manchmal die Tränen …“
(Charles Darwin: Mein Leben (1882), Insel TB S.106)
Als
er nach Monaten aus seiner tiefen Depression und Verzweiflung erwacht, hat er
den einfachen Kinderglauben verloren, den Glauben an einen „lieben“ Gott, der
immer als gütiger Vater erfahren wird, der Gebete erhört; Darwin hat keine
Geborgenheit und keinen Trost gefunden.
Dieses
Erlebnis verstärkt noch seine gesundheitlichen Beschwerden. Darwin war seit
seinem 20. Lebensjahr krank, aber eine wirksame Therapie konnte nie gefunden
werden. Bis heute ist offen, ob überhaupt ein organischer Schaden vorlag oder
ob seine Beschwerden nicht immer auch psychosomatischer Art waren.
Darwin stürzt sich in seine Arbeit, er beobachtet, züchtet, liest und schreibt.
Er unterhält intensive Kontakte zu Fachkollegen aus der Welt der
Naturwissenschaft, genannte seien z.B. der Botaniker John Stephens Henslow, der
Botaniker Joseph Dalton Hooker,
der Geologe Charles Lyell, der
Zoologe Thomas Henry Huxley.
Erhebliche
Aufregung verursacht im Jahre 1858 ein Brief des Naturforschers Alfred Russel
Wallace, der in Südostasien lebt und forscht. Er schickt Darwin ein Manuskript
zu, das er veröffentlichen möchte, das Darwin aber zuvor noch einmal kritisch
gegenlesen soll. Darwin ist erschüttert: Seit über 20 Jahren beschäftigt er
sich mit Gedanken zur Entwicklung der Arten auf der Erde, sammelt Belege, hat
schon vor längerer Zeit begonnen, seine Erkenntnisse niederzuschreiben, aber
bisher nicht öffentlich gemacht. Und nun ist Wallace zu genau den gleichen
Schlussfolgerungen gelangt, droht ihm zuvorzukommen! Freunde, die Darwins Einsichten
kennen, ermutigen ihn, seine Notizen noch einmal zu ordnen, und wenige Wochen
später werden in einer Sitzung der Linné-Gesellschaft
Auszüge aus beiden Manuskripten verlesen (in Abwesenheit der Autoren), und
wenig später liegen sie gedruckt vor. Damit hat die Idee, die später
„Evolutionstheorie“ heißen wird, eigentlich zwei Väter. Wallace ist mit dem
Verfahren einverstanden. Und Charles Darwin schreibt nun endlich sein Buch
„Über die Entstehung von Arten …“, das 1859 erscheint und das Weltbild der Biologie
verändert. 12 Jahre später erscheint sein Werk „Die Abstammung des Menschen“.
Charles
Darwin stirbt 1882 im Alter von 73 Jahren.
Er wird in großen Ehren von seiner Nation zu Grabe getragen und in der Westminster-Abbey in London, einer der größten Kathedralen
der Anglikanischen Kirche, beigesetzt – an der Seite des großen Physikers Isaac
Newton.
2. Darwin als Naturwissenschaftler
Von
seiner fünfjährigen Forschungsreise auf der „Beagle“ (1831 bis 1836) brachte
Darwin eine Fülle von Eindrücken (Landschaften, Lebensweisen, Geologie) und
umfangreiche Sammlungen (Fossilien, Tiere, Pflanzen) mit nach Hause, mit deren
Auswertung er in den folgenden Jahren beschäftigt war, die er aber auch
Fachkollegen zur Beurteilung überließ.
Darwins Arbeitszimmer
in Down Darwins „Denkweg“
an seinem Haus in Down
Darwin
fragte sich am Ende seines Lebens, warum er so erstaunlich erfolgreich hatte
arbeiten können. In seiner Autobiographie notierte er:
… mein Erfolg als Wissenschaftler … ist von
komplexen, verschiedenartigen Eigenschaften und Verfassungen meines Geistes
bestimmt.
Die wichtigsten von ihnen sind
·
die Liebe zur Wissenschaft,
·
grenzenlose Geduld zu langem Nachdenken über jedes Thema,
·
Fleiß beim Beobachten und Sammeln von Tatsachen
·
und eine gehörige Portion Phantasie und gesunder Menschenverstand
(Charles Darwin: Mein Leben, Autobiographie, Insel
Taschenbuch, 2008, S.157)
Auch
seine Zeitgenossen haben ihn genau so erlebt.
Darwin war ein aufmerksamer und gründlicher Beobachter der Natur und der
Lebensgewohnheiten von Pflanzen und Tieren. Er war faktenbesessen und ein intimer
Kenner von Lebewesen. Als „Naturforscher“ hat er unbeirrbar und systematisch
nach Fakten gesucht, blieb aber immer auch mitfühlend und ist dem Geschehen in
der Natur ahnend und staunend begegnet.
Darwin
führte selbst Züchtungsversuche durch (Pflanzen im Gewächshaus, Tauben). Er
unterhielt intensive Kontakte mit anderen Züchtern und Naturforschern. Er hat
zum einen viel gelesen (z.B. 1838 das Buch von Thomas Malthus: „Essay über das
Bevölkerungsgesetz“, das bei ihm wichtige Überlegungen in Gang setzte). Und er
hatte eine rege Korrespondenz. An seinem Wohnsitz Down bekam Darwin drei Mal
täglich Post. 14.500 Briefe, die an ihn gerichtet bzw. von ihm geschrieben
wurden, sind erhalten.
Darwin
war ein gründlicher Arbeiter. Und er war bemüht, sich immer vorsichtig zu
äußern (nur dazu etwas zu sagen, wo er meinte, genügend Belege zu haben), er
war immer von Zweifeln geplagt (das Kennzeichen eines guten Wissenschaftlers),
und er wollte sich eindeutig ausdrücken: Metaphern und Analogien sollten nicht
missverstanden werden. Wann immer ihm zu Ohren kam, dass da etwas nicht
gelungen war, versuchte er, in der nächsten Auflage seiner Bücher solche
Missverständnisse aufzuklären.
Und
er wusste selbst von sich, dass er „ehrgeizig“ war, „nach Anerkennung durch
Wissenschaftler-Kollegen“ strebte (C.D.: Mein Leben
S.153)
Darwin
kam von der Schiffsreise als gestandener Naturwissenschaftler wieder.
Und er, den wir meist nur als Biologen kennen, wurde nach seiner Rückkehr zuerst
in die Geological Society (die Geologische wissenschaftliche Gesellschaft
Englands) aufgenommen. 1842 veröffentlichte Darwin als seine erste naturwissenschaftliche
Schrift das Buch „Über den Bau und die Verbreitung der Korallen-Riffe“. Die
Theorie, die er darin entwickelte (Entstehung der kreisförmigen Riffe durch das
allmähliche Absinken von Vulkankratern zum Meeresgrund), begründete Darwins Ruf
als Naturwissenschaftler.
Darwin schrieb im Laufe seines Lebens fast 20 Bücher und darüber hinaus viele
Fachartikel.
Nur
einige der Buchtitel seien hier aufgeführt, um die Vielfarbigkeit seiner
Interessen zu illustrieren:
Acht lange Jahre seines Forscherlebens
arbeitete Darwin an einem mehrbändigen Werk über Rankenfüßer (das sind
unscheinbare kleine Krebse, die sich in die Schalen von Muscheln bohren und
dort schmarotzen) – er hatte damit angefangen, diese Lebewesen interessierten
ihn, und er brachte das Werk tapfer und gründlich und konsequent zu Ende!
Im
Weiteren soll auf einige Aussagen aus zwei seiner wichtigsten Bücher
eingegangen werden, um einige ganz unterschiedliche Aspekte im Leben und Werk
des Forschers deutlich zu machen:
„Über die Entstehung von Arten“ (1859)“
und
„Die Abstammung des Menschen“ (1871).
Viele
Erklärungen, die er in diesen Büchern vorstellt, haben sich in den folgenden
Jahrzehnten bestätigt (z.B. hat Darwin von Molekularbiologie nichts wissen
können, heute lassen sich dort Hinweise auf die Verwandtschaft aller Lebewesen
und auf Abstammungslinien ableiten, die völlig unabhängig von Fossil-Befunden
sind, aber zu praktisch den gleichen Ergebnissen führen). Manche Idee war zu
seiner Zeit noch visionär, manche Vorstellung hat sich als richtig erwiesen, manche
Vermutungen erwiesen sich als falsch oder zu eng.
2.1 „Über die
Entstehung von Arten“
Uns ist
Darwin vor allem bekannt als Begründer der Evolutionstheorie.
Nicht lange nach Abschluss der Reise mit der „Beagle“ ging Darwin daran, seine
Erkenntnisse und Ideen zu Papier zu bringen – zu dem, was wir heute „Evolutionstheorie“
nennen.
Darwin selbst spricht nicht von Evolution, weil dieser Begriff zu seiner Zeit noch anderweitig
vergeben war, sondern von „transmutation“ oder von „descent with modification“
(Gerhard
Vollmer: Biophilosophie, Reclam Stuttgart, 1995, S. 96)
In
Darwins „Notizbuch B“ aus dem Jahre 1837 findet sich eine Skizze: „Ich denke…“
schreibt er darüber, und skizziert dann (vielleicht ist das so zu deuten) einen
„Stammbaum“.
Er schreibt
rückblickend: „1839 hatte ich ein klares Konzept von meiner Theorie, aber erst
1859 veröffentlichte ich das Buch“ (C.D.: Mein Leben
S.134). Die ersten ausführlichen Notizen zur Theorie sind aus dem Jahre 1842
erhalten, 1844 waren es schon 230 Seiten, die er aber unter Verschluss hielt.
Darwin
schreibt am 11.1.1844 an J.D.Hooker:
„Ich
habe Haufen von Bücher über Agrikultur und Hortikultur
(Gartenbau JK) gelesen und habe
nie aufgehört, Tatsachen zu sammeln. Endlich kamen Lichtstrahlen, und ich bin
beinahe überzeugt (der Meinung, mit welcher ich an die Frage herantrat, völlig
entgegengesetzt), dass die Spezies nicht (mir ist, als gestände ich einen
Mord ein) unveränderlich sind. Der Himmel bewahre mich vor LAMARCKschem Unsinn einer „Neigung zum Fortschritt“ oder
„Anpassung infolge des langsam wirkenden Willens der Tiere“ usw.! Aber die
Schlussfolgerungen, auf welche ich geführt worden bin, sind von den seinigen nicht
sehr verschieden, obschon die Abänderungsmittel es gänzlich sind. Ich glaube,
ich habe (hier ist Anmaßung!) die einfachen Mittel gefunden, durch welche
Spezies verschiedenen Zwecken ausgezeichnet angepasst werden.“
(aus
Fr. Darwin: Leben und Briefe von Ch. Darwin übers..: Carus, Band II, S.23;
zit. nach: Deutsches Institut für Fernstudien an der Universität Tübingen;
Fernstudium Naturwissenschaften; Evolution der Pflanzen- und Tierwelt; Band 3:
Theoretische Grundlagen der Evolutionsbiologie, 1986, S.68)
Er
zögerte … Ende der 1850er Jahre drängten ihn Freunde und Fachkollegen zur
Veröffentlichung. Ein anderer Naturforscher, Alfred Russel Wallace, schickte
Darwin 1858 eine Abhandlung – und die enthielt genau die gleiche Theorie wie
Darwins Vorstellungen. Die Texte beider Autoren wurden in der gleichen Sitzung
der wissenschaftlichen Linné-Gesellschaft verlesen (durch
Lyell und Hooker) und später gedruckt.
Nun
stellte Darwin sein Buch in wenigen Monaten fertig. Die erste Auflage des
Buches „Über die Entstehung von Arten …“ erschien 1859, und sie war am ersten
Tag ausverkauft.
Das Buch, meist nur mit einem „Kurztitel” zitiert,
hat den Titel:
„On
the origin of species by
means of natural selection or the preservation
of favoured races in the struggle
for life” (Über die Entstehung von Arten
durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung begünstigter Rassen im Kampf ums
Dasein).
Darwin stellt seinem Buch “Über die
Entstehung von Arten” als Motto folgende Zitate voran:
„Bei
der Betrachtung der materiellen Welt können wir so weit gehen, dass wir
erkennen, dass die Erscheinungen nicht durch unabhängige Eingriffe der
Göttlichen Macht herbeigeführt wurden, ausgeübt in jedem einzelnen Fall, als
vielmehr durch das Aufstellen von allgemeinen Gesetzen.“ (WHEWELL: Bridgewater Treatise)
„Schlussfolgernd
also lasse man niemanden aus einer schwachen, eingebildeten Ernsthaftigkeit
heraus oder in einer falsch verstandenen Zurückhaltung denken oder daran
festhalten, dass man das Buch von Gottes Wort oder das Buch von Gottes Werken
jemals zu weit oder zu genau ergründen könne, in der Theologie oder in der
Philosophie (Welt-Anschauung, Naturkunde), sondern es möge sich jedermann
bemühen, unendlichen Fortschritt und Fertigkeiten auf beiden Gebieten zu
erreichen.“
(BACON: Advancement
of Learning)
(in den deutschen Übersetzungen sind
diese Sätze in der Regel nicht mit abgedruckt, zu finden im engl. Original,
z.B. 1.Auflage: http://darwin-online.org.uk/content/frameset?itemID=F373&viewtype=text&pageseq=1.
dort S.II)
Man
beachte, dass (ausgerechnet!) Darwin damit in den ersten Sätzen seines
wichtigsten Buches von Gott schreibt – und er nimmt diesen Gedanken im letzten
Satz wieder auf!
Darwin wollte in diesem Buch nicht erklären, wie manchmal hineingedeutet wird,
wie das Leben auf der Erde entstanden ist (aus unbelebter Materie). Das war für
ihn eine spannende, aber jetzt nicht zu lösende und vielleicht überhaupt nicht
lösbare Frage:
„In welcher
Weise die geistigen Kräfte bei den niedrigsten Organismen zuerst entwickelt
wurden,
ist ebenso hoffnungslos zu untersuchen, wie in welcher Weise das Leben
entstanden sei.
Das sind Probleme für eine ferne Zukunft, sofern sie überhaupt von Menschen gelöst
werden können.“
(C.D.: Die Abstammung des Menschen, Bd. I, S.98)
Darwin
wollte lediglich zu erklären versuchen, wie neue Arten aus bereits vorhandenen Arten hervorgehen …
Darwin
weist als fairer Wissenschaftler darauf hin, dass Wallace der Mitentdecker der
Theorie ist, und er ahnt auch (mit Stolz und Angst zugleich), dass die hier
vorgestellten Gedanken große Wellen schlagen werden:
„Wenn die Ansichten, die ich in dem Werke
entwickelte und die von Wallace bestätigt wurden, oder wenn ähnliche Ansichten
über die Entstehung der Arten allgemein zugegeben würden, so muss, wie wir
dunkel voraussehen können, eine große Umwälzung der Naturwissenschaften die
Folge sein.“
(C.D.: Entstehung der Arten, S. 534)
Er
schildert den Meinungswandel, den er erlebt hat, und der den Ansichten der
meisten Naturwissenschaftler seiner Zeit entgegensteht (nicht nur dem Wortlaut
der Bibel!), dass nämlich die (heutigen) Arten nicht von Anfang an existiert
haben und dass sie nicht unveränderlich sind. Und er weiß, dass er mit der
„natürlichen Zuchtwahl“ (selection) einen wichtigen
Mechanismus entdeckt haben könnte, lässt aber offen, dass durchaus auch weitere
Faktoren eine Rolle bei der Erklärung der Entwicklungsprozesse spielen könnten.
„Auf
Grund meiner sorgsamen Studien und des unbefangensten Urteils, dessen ich fähig
bin, halte ich trotzdem die Meinung für irrig, der bis vor kurzem die meisten
Naturforscher zuneigten (wie auch ich selber in früheren Jahren), dass nämlich
jede Art selbständig erschaffen worden sei. Ich bin fest überzeugt, dass die
Arten nicht unveränderlich, sondern dass die zu einer Gattung gehörenden die
Nachkommen anderer, meist schon erloschner Arten und
dass die anerkannten Varietäten einer bestimmten Art Nachkommen dieser sind.
Ebenso fest bin ich überzeugt, dass die natürliche Zuchtwahl das wichtigste,
wenn auch nicht das einzige Mittel der Abänderung war.“
(C.D.: Entstehung der Arten, S.18)
Einer
der Vorläufer Darwins in der Biologie, Carl von Linné,
hatte schon mehr als hundert Jahre früher mit diesen Fragen gerungen. Zum einen
war er, wie praktisch alle Naturforscher bis zu Darwin, von der
Unveränderlichkeit der Arten überzeugt, zum anderen stellte er in seinem System
der Natur den Menschen als biologisches Lebewesen in die Nähe der Primaten:
Carl von Linné (1735) (benutzte den
biblischen Artbegriff):
„Es gibt so viele verschiedene Arten von
Tieren und Pflanzen, als im Anfang von dem unendlichen Wesen erschaffen worden
sind."
(Ernst
Haeckel: Die Welträthsel, Alfred Kröner Verlag
Stuttgart, 1903, S.96)
(zu Carl von Linné:)
In der 12. Auflage seines Werkes „systema naturae“ (zuerst
erschienen 1735) rechnet der Forscher den Menschen, für den er den Begriff Homo
Sapiens prägt, gemeinsam mit Schimpansen und Orang-Utans wegen anatomischer
Ähnlichkeiten der Ordnung der Primaten zu.
(GEO
kompakt 14: Die 100 größten Forscher aller Zeiten, 2008, S. 56)
Darwin brachte
eigentlich zwei Theorien in die Welt der Biologie:
a) Er begründete die Abstammungslehre
(durch Beobachtungen, z.B. an
Fossilien, kommt er zu dem Befund:
Lebewesen haben sich im Laufe einer
langen Erdgeschichte verändert,
viele Arten sind ausgestorben, neue
sind später aufgetaucht)
b)
Er stellte eine (Evolutions-)Theorie zur Diskussion, die Mechanismen vorstellt,
wie das Entstehen neuer Arten aus
vorhandenen Arten erklärt werden könnte.
Grundlegende
Aussagen der Theorie Darwins, die noch heute gültig sind:
•
Lebewesen aller Arten erzeugen mehr
Nachkommen, als zur Erhaltung der Art notwendig sind (Überproduktion).
Die Individuenzahl einer Art bleibt trotzdem
langfristig konstant.
•
Die Nachkommen eines Elternpaares sind
untereinander verschieden (weisen Variationen auf).
•
Lebewesen stehen untereinander in einem
ständigen Wettbewerb um Nahrung,
Lebensraum, Geschlechtspartner usw.
Diesen
Wettbewerb nannte DARWIN „struggle for life“. Lebewesen,
die gut an ihre Umwelt angepasst sind, haben bessere Überlebenschancen als
weniger gut angepasste („survival of the fittest“).
Damit ist auch die Wahrscheinlichkeit größer, dass gut angepasste Inividuen sich fortpflanzen und ihre Erbanlagen an die
nächste Generation weitergeben können. Andere mit weniger guten Anpassungen
sterben, bevor sie Nachkommen haben. Durch diese natürliche Auslese („natural selction“)
kommt es zu einer immer besseren Angepasstheit der Lebewesen an ihre Umwelt und
zu einer allmählichen Umbildung der Arten.
(Vorteilhaft ist die gute Anpassung natürlich nur, solange sich die UMWELT
nicht merklich verändert und neue Anforderungen stellt.)
(nach:
Klett, Natura 2, Biologie für Gymnasien, 1991, S.355)
Darwin
weiß, dass es viele Einwände gegen seine Theorie gibt. Er verdrängt und
verschweigt solche Fragen in seinem Buch nicht, sondern stellt sich ihnen
offensiv. Er schreibt ein eigenständiges Kapitel, in dem er auf die „Schwierigkeiten der Theorie“
ausführlich eingeht (C.D.: Die Entstehung der Arten, S.179ff.): Fragen wie die
nach fehlenden Übergangsformen (missing links), nach
dem Entstehen neuer Körperbautypen,
nach Mechanismen, welche die Bildung von komplexen Organen erklären könnten;
nach der Herausbildung der Instinkte, nach der Bedeutung von Doppelfunktionen
bzw. Funktionswechsel von Organen werden behandelt.
Da
stellt Darwin z.B. – scheinbar resignierend - fest:
„Die
Annahme, dass das Auge mit all seinen unnachahmlichen Einrichtungen – die Linse
den verschiedenen Entfernungen anzupassen, wechselnde Lichtmengen zuzulassen
und sphärische wie chromatische Abweichungen zu verbessern – durch die natürliche
Zuchtwahl entstanden sei, erscheint, wie ich offen bekenne, im höchsten Grade
als absurd.“
(C.D.: Die Entstehung der Arten, S.192ff.)
Im Anschluss daran versucht er dennoch, eine
ausführliche und nachvollziehbare Erklärung für die Evolution des Auges in der
Geschichte der Lebewesen zu geben.
Darwin
versucht, Begriffe, die missverstanden oder falsch gedeutet werden könnten,
möglichst klar zu definieren und zu erläutern. So schreibt er z.B. zu dem
schillernden Begriff „Zufall“:
„Ich habe bis jetzt das Wort „Zufall“ (engl. hier: chance!) gebraucht, wenn von
Veränderungen die Rede war. die bei organischen Wesen ... auftreten.
Das Wort „Zufall“ ist natürlich keine richtige
Bezeichnung, aber sie lässt wenigstens unsere Unkenntnis der Ursachen
besonderer Veränderungen durchblicken.“
C.D.: Entstehung der Arten, S.146
Zum
einen schwingt bei dem Sinngehalt „Chance, Gelegenheit“ eine ganz andere,
positive Bedeutungsebene mit als im Deutschen bei „bloßer sinnloser Zufall“.
Und zum zweiten macht Darwin deutlich, dass ein Wissenschaftler, der das Wort
Zufall wählt, damit aussagt, dass er für einen bestimmten Vorgang in der Natur
(noch) keine logisch überzeugende Erklärung geben kann.
Ein
ganzes Kapitel in seinem Buch widmet Darwin dem „Kampf ums Dasein“ (Struggle for Life, Struggle for Existence).
Diesen Begriff hat Darwin nicht „erfunden“, er nutzte ihn, wie ihn schon früher
z.B. Malthus, Lyell und Wallace gebraucht hatten. Und „struggle“
wurde in der ersten Übersetzung seines Buches als „Kampf“ ins Deutsche
übertragen, und dort führt der Begriff seitdem ein missverständliches
Eigenleben …
Darwin ahnte das wohl, als er versuchte, gleich einleitend in seinem Buch deutlich
zu machen, was er unter „struggle“ verstanden wissen
wollte:
... dass
ich die Bezeichnung „Kampf ums Dasein“ in einem weiten metaphorischen Sinne
gebrauche, der die Abhängigkeit der Wesen voneinander, und was noch
wichtiger ist: nicht nur das Leben des Individuums, sondern auch seine
Fähigkeit, Nachkommen zu hinterlassen, mit einschließt. Mit Recht kann man
sagen, dass zwei hundeartige Raubtiere in Zeiten des
Mangels um Nahrung und Dasein miteinander kämpfen; man kann aber auch sagen,
eine Pflanze kämpfe am Rande der Wüste mit der Dürre ums Dasein, obwohl man das
ebenso gut so ausdrücken könnte: sie hängt von der Feuchtigkeit ab.
... eine Pflanze, die jährlich Tausende von Samenkörnern erzeugt, von denen
aber im Durchschnitt nur eines zur Entwicklung kommt, ... kämpfe ums Dasein mit
jenen Pflanzen ihrer oder anderer Art, die bereits den Boden bedecken ... die
Misteln kämpften mit anderen fruchttragenden Pflanzen, um die Vögel zu
verleiten, lieber ihre Samen zu fressen und zu verstreuen (S. 76f)
… Einfluss des Klimas im Kampf ums Dasein; Arktis, Berggipfel, Wüsten: hier
wird der Kampf ums Dasein fast nur gegen die Elemente geführt (S. 81f)
… Kampf ums Dasein zwischen Heuschrecken und grasfressenden Säugetieren, aber
noch erbitterter zwischen Individuen derselben Art (S. 87f)
(C.D.:
Die Entstehung der Arten)
Zum
Verständnis des Wortes „struggle“ im zeitgenössischen
Kontext führt das Nachwort der in der DDR erschienenen Übersetzung des Buches
aus:
„Aus diesen Bedeutungen geht hervor,
dass struggle nicht nur und nicht einmal in der
Hauptsache, einen Gewaltkampf bedeutet, einen Kampf mit Hörnern und Klauen oder
Säbeln und Pistolen, sondern ebenso und noch mehr irgendein Verhalten oder eine
Tätigkeit, sich irgendwelcher Widerwärtigkeiten zu entziehen oder zu erwehren.“
– „sich abmühen, sich anstrengen, ringen, gegen Widerwärtigkeiten ankämpfen“
(C.D.: Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl, Reclam Leipzig
1980, S.547ff.)
In
diesem Wettbewerb kann auch der der „Gewinner“ sein, der ängstlicher und
vorsichtiger ist als andere Artgenossen (rechtzeitig vor Feinden flieht), der
sich intensiv um seine Nachkommen kümmert (Brutpflege, die einen besseren Start
ins Leben ermöglicht), der neugierig ist und z.B. in Notzeiten neuartige
Nahrungsquellen ausprobiert …
„...
dass ich wiederholt ein Erstaunen darüber hörte, dass Ungeheuer vom Schlage der
Mastodonten oder der noch älteren Dinosaurier
aussterben konnten;
als ob bloße Körperkraft schon den Sieg im Kampf ums Dasein verbürgte!“
(C.D.:
Die Entstehung der Arten, S.376)
In
Darwins Hauptwerk wird übrigens auch deutlich, dass Darwin selbst gar kein
konsequenter „Darwinist“ ist. Er hält durchaus eine Vererbung erworbener
Eigenschaften – wie Lamarck! – für möglich:
„Änderungen
der Gewohnheiten bringen eine erbliche Wirkung hervor, z.B. bei Pflanzen, wenn
sie in der Blütezeit aus einem Klima in ein anderes versetzt werden. Bei Tieren
hat der Gebrauch oder Nichtgebrauch der Teile viel stärkeren Einfluss.“
„… dass der Gebrauch gewisse Teile kräftigt und vergrößert, während der
Nichtgebrauch sie schwächt;
und es geht ferner daraus hervor, dass solche Modifikationen erblich sind.“
(C.D.: Entstehung der Arten, S.25;148)
Recht
interessant können die letzten Sätze in Büchern sein.
Man sollte hier wohl davon ausgehen können, dass der Autor nicht mit irgendeinem
belanglosen Gedanken schließt, sondern sein Werk abrunden möchte.
Der
letzte Satz in Darwins Buch „Über die Entstehung von Arten“ lautet:
„Es ist wahrlich etwas Erhabenes um die Auffassung,
dass das Leben mit seinen verschiedenen Fähigkeiten vom Schöpfer ursprünglich
nur wenigen oder gar nur einer einzigen Form eingehaucht wurde,
und dass, während dieser Planet nach dem ehernen Gravitationsgesetz seine
Kreise zieht,
aus einem so schlichten Anfang unzählige der schönsten und wunderbarsten Formen
entwickelt wurden und immer weiter entwickelt werden.“
(engl. Original):
„There is grandeur in this view of life, with its several powers, having been
originally breathed by the Creator into a few forms or into one; and that,
whilst this planet has gone cycling on according to the fixed law of gravity,
from so simple a beginning endless forms most beautiful and most wonderful have
been, and are being, evolved.“
In
der ersten Auflage – die auch heute noch Grundlage mancher Übersetzungen ist –
fehlt das Reden „vom Schöpfer“ („by the Creator“). Diese Worte hat
Darwin erst von der zweiten Auflage an in den Text eingefügt, offenbar, weil es
ihm wichtig war, und sie sind bis zur letzten zu seinen Lebzeiten erschienenen
Auflage des Buches erhalten geblieben.
Der
„Schöpfer“ taucht auch nicht zufällig und singulär in diesem Buch auf – nur
eine Seite vorher schreibt Darwin z.B. von den „vom Schöpfer der Materie eingeprägten
Gesetzen“ (S.537).
In
diesem letzten Satz begegnet dem Leser ein Naturwissenschaftler, der das
Staunen nicht verlernt hat („schönste und wunderbarste Formen“, denen er in der
Natur begegnet). Darwin interessiert sich auch für Erkenntnisse der Naturwissenschaften,
zu denen er nichts beigetragen hat (er steht fasziniert vor den ehernen
Gesetzen der kosmischen Physik). Und mit dem „Schöpfer“, der nach Darwins
Verständnis der tragende Urgrund und Anfang all dieses Geschehens ist, hat der
Satz gewissermaßen – und nicht nur grammatisch – ein handelndes Subjekt
bekommen. Das macht dann auch die oben wiedergegebene Übersetzung möglich (in
anderen Übersetzungen steht hier: „entstand und weiter entsteht“ oder „sich
entwickelt hat und noch immer entwickelt“).
Darwin
kann also auch und gerade an dieser Stelle von einem „Schöpfer“ sprechen. Dabei
hat er natürlich ein Bibel- und Gottesverständnis, das mit dem vieler seiner
Zeitgenossen nicht übereinstimmte.
Darwin hat sich an einem Weltverständnis und an Schöpfungsvorstellungen
„gerieben“, die zu seiner Zeit weit verbreitet waren, praktisch Allgemeingut
darstellten sowohl in der Naturwissenschaft wie auch in der Theologie und in
der Volksfrömmigkeit. Danach war die Welt exakt so entstanden, wie das im
wörtlichen Verständnis aus (den ersten Sätzen) der Bibel herausgelesen werden
kann. Kosmos, Erde und Lebewesen sind danach vor etwa 6000 Jahren entstanden.
Gott hat in sechs (Kalender-)Tagen am Anfang alle Arten von Leben so
geschaffen, wie sie uns heute noch begegnen, sie haben sich nicht verändert.
Darwin meinte erkannt zu haben und belegen zu können, dass die Erde viel viel älter sein musste (versteinerte Muscheln in
Gebirgsgestein) und dass Arten sich im Laufe der Erdgeschichte verändert
hatten, frühere ausgestorben und neue aufgetaucht waren. Praktisch nur an
diesem Punkt polemisierte und argumentierte er gegen die verengte Sicht, gegen
das „Dogma von den besonderen Schöpfungsakten“, und wandte sich damit gegen ein
bestimmtes Bibelverständnis.
Die großen christlichen Kirchen vertreten schon lange kein wörtliches
Bibelverständnis mehr, wohl aber halten viele Christen auch heute noch daran
fest, und es wird vor allem von den so genannten „Kreationisten“
gegen Evolutionsvorstellungen vorgebracht. Den Begriff „creationists“
verwendete schon Darwin in seinen Briefen, um damit Anhänger einer
Schöpfungsvorstellung zu kennzeichnen, die sich am Wortlaut der Darstellungen
im 1. Kapitel der Bibel orientieren.
Hier sei ein Beispiel aus einer Selbstdarstellung gemäßigter deutscher Kreationisten aus dem Jahre 2008 angefügt:
(Bibel- und Weltverständnis bei WORT
UND WISSEN)
„Die Studiengemeinschaft Wort und Wissen … lehnt die
Evolutionslehre, auch in der theistischen Version, ab, weil durch sie
grundlegende biblische Inhalte in Frage gestellt werden …“ (S.7)
„Wir glauben … dass das biblische Zeugnis Wahrheit
vermittelt hinsichtlich … historischer Zusammenhänge. Dazu gehört auch die
Realität der Schöpfung als historische Tatsache.“ (S.11)
„… vom Leitgedanken einer kurzen, biblisch bezeugten
Erdgeschichte und von der Historizität einer weltumspannenden Sintflut
bestimmt … Wir gehen davon aus, dass Grundtypen aller Lebewesen als klar
voneinander getrennte Formen in der Schöpfungswoche erschaffen wurden.“ (S.14)
„Biblische Schöpfungsaussagen enthalten naturwissenschaftlich relevante Elemente
…
Alter des Lebens in der Größenordnung von ca. 10.000 Jahren …“ (S.46ff.)
(Henrik
Ullrich, Reinhard Junker (Hrsg.): Schöpfung und Wissenschaft – Die
Studiengemeinschaft WORT UND WISSEN stellt sich vor; Hänssler
Verlag Holzgerlingen 2008)
Mit
der Ablehnung eines wörtlichen Bibelverständnisses „verabschiedet“ sich Darwin
nicht vom „Schöpfer“.
In der 2. englischen Auflage des Buches „Über die Entstehung von Arten …“ von
1860 charakterisiert Darwin seine Evolutionstheorie in folgender Weise:
So
gewichtig diese Schwierigkeiten sind, in meiner Beurteilung stürzen sie nicht die Theorie der Abstammung von einigen
wenigen geschaffenen Formen mit anschließender Veränderung.“
(Grave as these several difficulties are, in my judgment they do not overthrow the theory of
descent from a few created forms with subsequent modification.)
(http://darwin-online.org.uk/content/frameset?itemID=F376&viewtype=text&pageseq=1
dort S.466)
Darwin
geht also hier davon aus, dass am Anfang wenige geschaffene Formen
(Arten?) stehen, die dann im Laufe der weiteren Erdgeschichte Veränderungen
erfahren (die nach seiner Abstammungstheorie beschrieben werden können)!
2.2 „Die Abstammung
des Menschen“
In
dem eben vorgestellten Buch „Über die Entstehung von Arten“ steht nur ganz am
Ende ein Satz, der auf die Abstammung des Menschen hinweist:
„Licht
wird fallen auf die Herkunft des Menschen und seine Geschichte“
(C.D.:
Entstehung der Arten, S.537)
Mehr
konnte und wollte Darwin dazu an dieser Stelle nicht sagen (siehe C.D.: Mein Leben, S.141).
Erst
in der sechsten und letzten Auflage des Werkes „Über die Entstehung von Arten“
bekannte er sich dazu, dass natürlich aus seiner Entstehungsgeschichte der
Pflanzen und Tiere auch der Mensch nicht ausgeklammert werden konnte, und
ergänzte den Satz nun mutig und selbstbewusst um ein „MUCH (light) …“ (ein
grelles Licht wird fallen …).
In der ersten deutschen Übersetzung des Buches wurde der brisante Satz übrigens
vorsichtshalber gleich ganz weggelassen!
Darwin hatte sich lange Zeit gescheut, etwas zu diesem polarisierenden Thema zu
veröffentlichen:
„Viele Jahre hindurch habe ich Notizen gesammelt
über den Ursprung oder die Abstammung des Menschen, ohne Absicht, über diesen
Gegenstand etwas zu veröffentlichen;
ich wollte dies entschieden vermeiden, denn ich glaubte, es könnte nur die
Vorurteile vermehren, welche meinen Ansichten entgegengestellt wurden.“
(C.D.: Die Abstammung des Menschen, Bd.1,
S.3)
Sein
Buch trägt den ausführlichen Titel „Die Abstammung des Menschen und die
Zuchtwahl in geschlechtlicher Beziehung.
Darin äußert sich Darwin an verschiedenen Stellen zu seinem Verständnis von
wissenschaftlichem Erkenntnisfortschritt: Es handelt sich um einen mühsamen
Weg, vieles verstehen wir (heute) überhaupt (noch) nicht, und Spekulationen
(irrige Hypothesen) können und werden widerlegt werden.
„Es wurde oft und zuversichtlich behauptet, der Ursprung
des Menschen könne nicht ergründet werden, und Unwissenheit findet häufiger
Vertrauen als Wissen. Es sind diejenigen, die wenig wissen und nicht
diejenigen, die viel wissen, welche mit einer Bestimmtheit zu behaupten
pflegen, dieses oder jenes Problem werde durch die Wissenschaft niemals gelöst
werden.“ (Bd.1, S.5)
„Hinsichtlich der Ursachen der Variabilität sind wir in allen Fällen ohne
Kenntnis dessen ...“ (Bd.1, S.42)
„Manche der vorgebrachten Ansichten sind höchst spekulativer Art und einige werden
sich sicherlich als irrig erweisen; aber ich habe in allen Fällen die Gründe
angeführt, welche mich mehr zu der einen oder der anderen Ansicht veranlassten.
... unrichtige Ansichten, die einigermaßen von Beweisen unterstützt werden,
können nur wenig schaden, denn jedermann findet ein heilsames Vergnügen darin,
ihre Unrichtigkeit zu erproben. Und ist dies geschehen, so wird dadurch der Weg
zum Irrtume verlegt und oft auch gleichzeitig ein Weg zur Wahrheit geöffnet.“
(Bd.2, S.409)
(C.D.: Die Abstammung des Menschen)
Ein
Beispiel dafür, dass Darwin manches zu seiner Zeit noch nicht sehen konnte oder
in seiner Wirkung unterschätzt hat, sei hier angeführt:
Darwins
blinder Fleck … Er verkennt die Macht der kulturellen Evolution, die sich
spätestens mit der Sesshaftwerdung des Menschen über
die biologische Evolution zu erheben begann. Anders als seine nächsten
Verwandten kann Homo sapiens die verfügbare Nahrungsmenge über ihre natürlichen
Grenzen steigern. Ohne Ackerbau und Viehzucht, ohne Züchtung und Lebensmitteltechnologie
hätte unsere Art schon die Mitgliederzahl von einer Milliarde zu Darwins Zeiten
nie erreicht.
Seither hat die Menschheit mit kulturellen Errungenschaften, mit medizinischem
und technischem Fortschritt, ihre Zahl auf bald sieben Milliarden gesteigert
und die biologische Evolution mehr und mehr überwunden. Die wichtigste
Voraussetzung für die natürliche Auslese – eine Überzahl an Nachkommen, von
denen sich im Schnitt nur ein Teil weitervermehrt – ist in modernen
Gesellschaften immer weniger gegeben. Mit zwei Kindern pro Paar und einer
Überlebensrate bei Neugeborenen nahe hundert Prozent ist die Selektion im Darwinschen Sinne praktisch zum Erliegen gekommen. …
(Die Zeit 31.12.08 S.29f.)
Darwin
verwendet in seiner Darstellung Begriffe, die uns durchaus anstößig erscheinen:
(Darwin schreibt von)
(I 67,
I 137) „barbarischen Rassen“;
(I 97) „niedrigsten Barbaren“;
(I 196) „rohesten Wilden“
(I 67)
(im Unterschied zu) „zivilisierten Rassen“
(Die
Abstammung des Menschen …)
Aber
an anderer Stelle wird deutlich, dass es für ihn keinen grundlegenden
Unterschied zwischen Menschen gibt, „Rasse“ ist für ihn ein fließender Begriff:
(Auch
wir (die Briten, die Europäer) waren einst „Wilde)
(II
428) „Es kann aber kaum in Zweifel gezogen werden, dass wir von Wilden
abstammen.“
(Wir alle sind MENSCHEN!)
(I 71)
„Der Mensch hat sich weit über die Erdoberfläche verbreitet ...“
(und dann nennt Darwin (innerhalb der Gattung
Mensch):
„die Bewohner des Feuerlandes, des Kaps der
guten Hoffnung, Tasmaniens auf der einen Hemisphäre und des arktischen Gebietes
auf der anderen Seite ...“
(I 217) (Darwin bescheinigt den) „eingeborenen Peruanern und Mexikanern ...
eine hohe (eigenständige) Kultur“
(I 250) „Selbst die unterschiedlichsten Menschenrassen sind einander ähnlicher
in der Form, als man auf den ersten Blick hin annehmen möchte.“
(I 267) Urbewohner Amerikas, die Neger, die Europäer ... wie ähnlich ihre
geistige Beschaffenheit der unsrigen ist;
(I 296) „Diese große Variabilität aller äußerlichen Unterschiede zwischen den
Menschenrassen zeigt ..., dass diese nicht von großer Wichtigkeit sein können
...“
(I 175) „Die Sklaverei ... ist ein großes Verbrechen; dennoch wurde sie bis vor
kurzem selbst von den zivilisierten Völkern nicht dafür gehalten.“
(C.D.:
Die Abstammung des Menschen)
In
der „Abstammung der Arten wird an verschiedenen Stellen die Wertschätzung
deutlich, die Darwin der (christlichen) Religion entgegenbringt:
(Darwins
Wertschätzung von Religion)
•
(I 139) (die höhere
Frage) „ob ein Schöpfer oder Weltenlenker existiere; diese ist von vielen der
größten Geister, die je auf Erden waren, zustimmend beantwortet worden.“
•
(I 168 Fußnote)
„Böses mit Gutem zu vergelten, den Feind zu lieben, ist ein so hoher sittlicher
Standpunkt, dass zu bezweifeln ist, ob die geselligen Instinkte an und für sich
uns je dahin hätten bringen können. Vereint mit der
Sympathie, mussten diese Instinkte mit Hilfe der Vernunft, der Belehrung und
der Liebe oder Furcht vor Gott hoch kultiviert und erweitert werden, ehe eine
so goldene Regel je erdacht oder befolgt werden konnte.“
•
(I 216) „Die höchste
Form der Religion – der große Gedanke von einem Gott, der die Sünde hasst und
die Rechtschaffenheit liebt – war in den Urzeiten unbekannt.“
•
(II 418) „Bei den
zivilisierten Rassen hat die Überzeugung vom Dasein eines allwissenden Gottes
einen mächtigen Einfluss auf den Fortschritt der Sittlichkeit gehabt ...
Der Glaube an Gott wurde oft nicht nur als der größte, sondern auch als der
vollkommenste aller Unterschiede zwischen Mensch und niedrigerem Tiere
vorgebracht. ...“
(C.D.:
Die Abstammung des Menschen)
Dass
Darwin für brutale Selektion auch beim Menschen, Ausmerzen lebensunwerten
Lebens usw. NICHT in Anspruch genommen werden kann, zeigt folgendes Beispiel.
Darwin schreibt zunächst:
„Bei
Wilden werden die an Körper oder Geist Schwachen bald entfernt sein, und die
Überlebenden weisen gewöhnlich einen kräftigen Gesundheitszustand auf. Wir
zivilisierten Menschen dagegen tun das Möglichste, um diesen Entfernungsprozess
zu hemmen; wir bauen Asyle für Blödsinnige, Krüppel und Kranke; wir erlassen
Armengesetze und unsere Ärzte wenden ihre ganze Geschicklichkeit an, um das
Leben jedes Menschen so lang wie nur möglich zu erhalten. Es lässt sich mit
Grund annehmen, dass die Impfung Tausenden das Leben erhalten habe, die infolge
ihrer schwachen Konstitution früher den Pocken erlegen wären. Dermaßen können
die schwachen Mitglieder der zivilisierten Gesellschaft ihre Art fortpflanzen. Niemand, der die Züchtung von Haustieren
beobachtet hat, wird zweifeln, dass das erwähnte Vorgehen für die menschliche
Rasse höchst schädlich sein muss. ...
(C.D.:
Die Abstammung des Menschen, Bd.1, S.200)
Für
das Überleben eines Lebewesens in der Natur wie auch im Handeln eines Züchters,
der nur die „gelungenen“ Exemplare auswählt und die anderen nicht zur
Fortpflanzung kommen lässt, wäre die Fürsorge, die in der menschlichen
Gesellschaft Schwachen, Kranken und Behinderten zuteil wird,
„höchst schädlich“.
Also weg mit ihnen! … So würde ein vermeintlich konsequenter „Darwinismus“
votieren, der vom Sein (so macht es uns die Natur vor) auf das Sollen (so
müssen auch wir Menschen und verhalten) schließt.
Darwin
aber fährt überraschend anders fort:
Der
Beistand, den wir uns genötigt fühlen, den Hilflosen zu leisten, ist
hauptsächlich ein incendentales Ergebnis des
Instinkts der Sympathie, der ursprünglich als ein Teil der geselligen Instinkte
erworben worden war, in der Folge jedoch, ... zarter und verbreiteter wurde.
Auch können wir unsre Sympathie nicht
hemmen, selbst dann nicht, wenn starke Vernunftgründe dawider
sind, ohne den edelsten Teil unserer Naturheit zu
verletzen ... wollten wir die Schwachen und Hilflosen vernachlässigen, so
würden wir nur einen ungewissen Vorteil mit einem überwältigenden gegenwärtigen
Übel erwerben.“
(C.D.:: Die Abstammung des Menschen
Bd.1, S.200)
Damit
wir Menschen menschlich bleiben, dürfen wir nicht Naturmechanismen wirken, sich
ereignen lassen, sondern wir müssen uns ihnen entgegenstellen, uns anders
verhalten, als es uns die Natur vormacht! Selektion mag in der Züchtung von
Pflanzen und Tieren ihren Sinn haben, beim Menschen darf sie nicht angewendet
werden.
Darwin
meint sogar, dass die wahrhaft menschlichen Eigenschaften nicht allein durch
Selektionsmechanismen zu erklären sind:
„So
wichtig auch der Kampf ums Dasein war und noch ist – soweit der höchste Teil
menschlicher Beschaffenheit in Betracht kommt, gibt es noch andere, viel
wichtigere Agentien.
Denn die moralischen Qualitäten sind entweder direkt oder indirekt viel mehr
durch die Wirkungen der Gewohnheit, durch Verstandeskräfte, Unterweisung,
Religion usw. vorgeschritten, als durch die natürliche Zuchtwahl ...“
(C.D.:
Die Abstammung des Menschen, S.428)
Und
nicht immer muss der Stärkste gewinnen – soziale Kompetenz und Zuwendung zu
Artgenossen, die für menschliches Dasein prägend ist, entsteht laut Darwin bei
einem relativ schwachen Geschöpf:
„...
dass ein im Besitz von Größe, Kraft und Wildheit befindliches Tier, das sich,
wie der Gorilla, gegen jeden Feind verteidigen kann, vielleicht nicht sozial
geworden wäre; und dies hätte am meisten das Erwerben höherer geistiger
Qualitäten gehemmt, wie Sympathie und Liebe für seinen Genossen.
Daher
könnte es für den Menschen von gewaltigem Vorteil gewesen sein, von irgend einem verhältnismäßig schwachen Geschöpf abzustammen
...
seine sozialen Eigenschaften, die ihn dahin führten, seinen Genossen zu helfen
und Hilfe von ihnen zu erhalten.“
(C.D.:
Die Abstammung des Menschen, S.95)
Auch
hier seien noch die letzten Sätze im Buch wiedergegeben:
Der
geringste Organismus ist etwas viel Höheres als der unorganische Staub unter
unseren Füßen; und niemand, der vorurteilsfreien Geistes ist, kann irgend ein lebendes Wesen studieren, ohne durch dessen wundervolle Struktur und Eigenschaften
von staunender Begeisterung
erfüllt zu werden. ...
Wir
müssen ... anerkennen, dass der Mensch
mit all seinen edlen Eigenschaften, mit seiner Sympathie, die er für das
Niedrigste fühlt, mit seinem Wohlwollen,
das sich nicht nur auf andere Menschen erstreckt, sondern auch auf das
geringste lebende Geschöpf, mit seinem göttlichen Intellekt, der die
Bewegungen und die Beschaffenheit des Sonnensystems ergründet hat – dass der
Mensch mit all diesen erhabenen Kräften doch noch in seinem Körperbau den unauslöschlichen Stempel seines niedrigen
Ursprungs trägt.“
(C.D.: Die Abstammung des Menschen,
Bd.2 S.429)
3. Die Wirkungsgeschichte von Darwins Ideen
oder genauer:
Was andere aus und mit Darwins Ideen
gemacht haben
Darwin
wird rückhaltloser Materialismus, demoralisierter Verstand und sogar Atheismus
vorgeworfen. Darwin wird in Anspruch genommen für „Sozialdarwinismus“,
„Entwicklung der Gesellschaft vom Niederen zum Höheren“, „Überleben des
Stärksten“, für Rassismus, für den Gedanken des „lebensunwerten Lebens“ …
Die
meisten dieser Gedanken wären Darwin absurd erschienen.
Darwins
Schatten überragt seinen Namen um genau fünf Buchstaben: ismus. Sie trennen Wissenschaft von Weltanschauung, Idee von
Ideologie, Biologie von Biologismus. Keinem
Naturforscher seines Ranges, keinem Newton, Einstein oder Heisenberg, wurde je
die Ehre zuteil, als Begründer eines Ismus in die Geschichte einzugehen. Doch
dafür zahlt Darwin posthum einen hohen Preis … Im gängigen Sprachgebrauch steht
Darwinismus für Sozialdarwinismus, für Ellbogen und das Recht des Stärkeren im
allgegenwärtigen Verdrängungswettbewerb. Wer jemand anderen einen Darwinisten
nennt, meint das in der Regel nicht freundlich. …
(Die Zeit 31.12.08 S.140ff.)
3.1. Evolutionistischer
Fortschrittsglaube
Im
19. Jahrhundert in England war der Fortschrittsglaube
eine Religion
Evolution
erschien vielen als Mechanismus des ewigen Fortschritts. Der Gedanke der
Auslese des „Guten“, die Übertragung der Befunde aus dem Pflanzen- und
Tierreich in die menschliche Gesellschaft, auf die politische und soziale
Umwelt war allgegenwärtig.
Das
zeigte sich in der Wirtschaft (Kapitalismus), in der Gesellschaftstheorie von
Marx/Engels (hier galt Darwins Naturtheorie als praktischer wissenschaftlicher
Nachweis!) und im Sozialdarwinismus (Recht des Stärkeren, lebensunwertes
Leben). Überall erwartete und beförderte man einen ökonomischen und
biologischen Determinismus.
Über
Jahrzehnte hinaus wurde der so (miss.)verstandene
Darwinismus zu einer scheinbar unfehlbaren Philosophie; zur Ideologie !
Von
einer Tendenz zur Höherentwicklung will
Darwin nichts wissen, das klingt ihm zu sehr nach Lamarck
(Steinmüller: Darwin S.368)
3.2. „survival of the
fittest“, Sozialdarwinismus
(Überleben
des Tüchtigsten, dessen, der am besten in die gerade aktuelle Um-Welt
„hineinpasst“)
Die fünf
Buchstaben seines Schattens haben ihren Ursprung in einer Tautologie, dem survival of the fittest. Die Formel gehört
zu den folgenreichsten, die je ein Forscher zu Papier gebracht hat. Sie geht
allerdings nicht auf Darwin zurück, sondern auf den Soziologen Herbert Spencer – und damit wiederum
auf ein Gesellschaftsmodell …
Spencer gilt als der Begründer des Sozialdarwinismus … er glaubt an die
kulturelle Evolution … vom All bis in die Seele, vom Molekül bis zur Moral.
Krankes, Schwaches und Entartetes merzt sich im Daseinskampf selbst aus, das
Bessere ist der Feind des Guten. In Darwins Entstehung der Arten von 1859
findet er das gesuchte Stück Biologie für seine Weltanschauung.
Darwin übernimmt die Sprechweise vom survival of the fittest erst ein paar Jahre
später.. In seinem Hauptwerk taucht sie erstmals in
der fünften Auflage 1869 auf. …
(Die Zeit 31.12.08 S.140ff.)
3.3. Rassismus, „lebensunwertes
Leben“
Der
Biologe Ernst Haeckel verbreitet
Darwins Lehre noch zu dessen Lebzeiten wie kaum ein anderer, vor allem in
Deutschland. Haeckel macht die natürliche Auslese zum Teil einer »universellen
Entwicklungstheorie, die in ihrer enormen Spannweite das ganze Gebiet des
menschlichen Wissens umfasst«. Er stellt biologischen Darwinismus in den Dienst
politischer Ideologie, erklärt Selektion und Konkurrenz zur Grundlage
gesellschaftlichen Fortschritts und versteht den deutschen Nationalstaat als
darwinistisches Projekt. Und wie kein anderer verschafft er dem Rassismus ein
wissenschaftliches Fundament.
“Diese Naturmenschen“, schreibt er in seinen Lebenswundern, „stehen in psychologischer Hinsicht näher den Säugethieren (Affen, Hunden), als dem hochcivilisirten
Europäer; daher ist auch ihr individueller Lebenswerth
ganz verschieden zu beurteilen.“ Wenn es heißt, der Nationalsozialismus und
andere Tyrannenregime beriefen sich auf Darwin, dann ist damit eigentlich
Haeckel gemeint.
(Die
Zeit 31.12.08 S.140ff.)
3.4. „Kampf ums
Dasein“
(struggle for existence, struggle for life)
Den
Begriff hatten vor Darwin schon andere gebraucht, z.B. Malthus und Lyell, auch A.R.Wallace (Steinmüller: Darwin S.332). Er bedeutet vor
allem die Mühsal, das Überwinden von Schwierigkeiten, die tägliche Abrackerei, das Ankämpfen gegen Widerwärtigkeiten aller
Art, das „Ringen ums Dasein“.
Aber schon der erste deutsche Übersetzer sagte (miss-)deutbar: „Kampf“!
Es geht aber um das mühsame
„Durchwursteln“, das Zurechtkommen im All-Tag, wie in der Bibel dem Menschen
gesagt wird (als Beschreibung des harten Alltags außerhalb des „Paradieses“):
„im Schweiße Deines Angesichts sollst du dein Brot essen … Dornen und Disteln
soll der Acker tragen …“ (Die Bibel, 1. Buch Mose 3,17ff.)
Das aber gelingt nicht immer dem Stärksten und
Schnellsten am Besten.
Wer morgen noch
lebt und Nachkommen hat, die seine Gaben weiter tragen, ist oft
•
der Ängstliche und Vorsichtige (der Gefahren,
Feinde/Räuber rechtzeitig entdeckt und ihnen ausweicht)
•
der Kooperative (in der Gemeinschaft für andere da
sein)
•
der Fürsorgliche (intensive Brutpflege erhöht die
Chancen für den Start ins Leben)
•
der Neugierige und Experimentierfreudige (z.B. das
Entdecken und Ausprobieren neuer Nahrungsquellen,
das Ausweichen in neue Lebensräume).
3.5. „Übermensch“ und
„Herrenrasse“
Friedrich Nietzsche zog den (scheinbar) logischen
Schluss aus Darwins Theorie von der Auswahl des Fähigsten, nämlich den, dass
die existierenden moralischen Kategorien und Werte einer solchen Auswahl im
Wege standen. Als Alternative propagierte er den Übermenschen, produziert und
ausgewählt durch das Recht des Stärkeren. Auf Nietzsche bezogen sich die
Nationalsozialisten.
3.6. Eugenik
(Menschenzüchtung)
Francis Galton (geb. 1822) war ein
Halbcousin von Charles Darwin. Seine Erkenntnisse über die Vererbung von
Merkmalen übertrug er auch auf das menschliche Denkvermögen und führte den
Begriff der Eugenik ein, worunter er eine Lehre verstand, die sich das Ziel
setzt, durch "gute Zucht" den Anteil positiv bewerteter Erbanlagen zu
vergrößern.
Fazit:
Darwin sind solche Gedanken fremd gewesen.
Seine Ideen sind von anderen übernommen, benutzt, missverstanden, missbraucht und
in sachfremde Anwendungsbereiche übertragen worden.
Ein Vorwurf ist Darwin zu machen: Er war konfliktscheu, und selbst dort, wo ihm
deutlich war, dass seine Ansichten falsch verstanden, gedeutet und vertreten wurden,
ist er nicht entschieden genug dagegen aufgetreten.
Zwar hat Darwin bei neueren Auflagen seiner gedruckten Werke stets versucht,
klarer zu schreiben, Missdeutungen zu begegnen, aber das Publikum nahm die
Zweifel seines Idols kaum zur Kenntnis.
3.7. Anmerkungen zu
einigen „Legenden“ um Charles Darwin:
A. „Darwin hat Karl
Marx einen Korb gegeben“
(Zum Verhältnis von Darwin zu Marx und Engels)
·
„Friedrich
Engels las Darwins Buch von der „Entstehung der Arten“ drei Wochen nach
Erscheinen, Karl Marx erst ein Jahr später. Marx schrieb an Engels: „... dies
ist das Buch, das die naturhistorische Grundlage für unsere Absicht enthält“,
und äußerte Lasalle gegenüber: „Sehr bedeutend ist
Darwins Schrift und passt mir als naturwissenschaftliche Unterlage des geschichtlichen
Klassenkampfes.“
(nach: Charles Darwin: Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl,
Reclam Leipzig 1980, Anhang Seite 539f.)
(Diese Äußerungen von Marx und Engels
sind vielfach auch anderswo belegt JK).
·
Die folgende
Geschichte wird gern erzählt (mit der Pointe, dass Darwin den Umarmungsversuch
seitens Karl Marx tapfer abgewehrt hat):
„Karl Marx selbst übersandte Darwin im Juni 1873 die zweite Auflage der
deutschen Ausgabe des „Kapitals“ mit einer Widmung, in der er sich als „sincere admirer“ [aufrichtiger
Bewunderer JK] Darwins bezeichnete. Doch Darwin las weder dieses Buch – die
Seiten des Widmungsexemplars wurden nicht
aufgeschnitten – noch gab er seine Zustimmung, als Marx 1880 um die Erlaubnis
anfragte, ihm die englische Ausgabe des ‚Kapitals‘ widmen zu dürfen. Dennoch
und auch nicht zufällig wählte Friedrich Engels am Grabe von Marx folgenden
Vergleich: „Wie Darwin das Gesetz der Entwicklung der organischen Natur, so
entdeckte Marx das Entwicklungsgesetz der Geschichte.“
(Mozetic, G.: Die Gesellschaftstheorie des
Austromarxismus. Geistesgeschichtliche Voraussetzungen, Methodologie und
soziologisches Programm. Darmstadt 1987, S. 117 f.;
zitiert nach http://www.tu-braunschweig.de/Medien-DB/hispaed/erziehung.pdf Seite 27)
In der Ausstellung in Darwins Wohnhaus in
Down ist das gewidmete Buch zusammen mit folgender Erläuterung ausgestellt:
“10. Das Kapital
Der erste Band von Karl Marx´ berühmtem Werk “Das Kapital” wurde von Karl
Marx persönlich an Darwin übersandt mit einer im Inneren befindlichen Widmung
„von seinem aufrichtigen Bewunderer Karl Marx, 16. Juni 1873“. Darwin schrieb
am 1. Oktober 1873 an Karl Marx, um ihm zu danken. Er beschloss seinen Brief
mit den Worten: „Obwohl unsere Untersuchungen so verschiedener Art sind, glaube
ich doch, dass wir beide ernsthaft die Ausweitung der Erkenntnis wünschen und
dass diese auf lange Sicht sicher zum Glück der Menschheit beitragen wird.“
(Hier findet sich keine Bitte um
Zustimmung, deshalb gibt es auch keine Ablehnung durch C. Darwin, Ende der
Episode)
·
Es gibt einen
weiteren Brief aus dem Jahre 1880. Den hat aber nicht Karl Marx, sondern dessen
Schwiegersohn E.B. Aveling an Darwin geschrieben.
Darin bittet er Darwin, dass dieser explizit seine Zustimmung erteilen möge,
dass A. ihm ein neues Werk widmen darf. Darwin schreibt am nächsten Tag
ablehnend zurück:
Letter 12757 — Charles Darwin an E.B. Aveling, 13.10.1880
… Jede Art der Veröffentlichung Ihrer Bemerkungen zu meinen Schriften bedarf
wirklich keiner Zustimmung von meiner Seite, und es käme mir lächerlich vor,
meine Zustimmung zu etwas zu erteilen, wo das nicht erforderlich ist. Ich würde
es vorziehen, wenn der Band Ihres Buches mir nicht gewidmet werden würde
(dennoch danke ich Ihnen für die angezeigte Ehre), weil das zu einem gewissen
Grade bedeuten würde, dass ich meine Zustimmung für die gesamte
Veröffentlichung gebe, obwohl ich darüber nichts weiß. Außerdem bin ich immer
ein strenger Verfechter des freien Denkens über jeden Gegenstand gewesen, aber
jetzt erscheint es mir so (ob zu recht oder zu unrecht), dass direkt gegen
das Christentum und den Theismus gerichtete Argumente kaum eine Wirkung beim
Publikum erzielen, und dass die Gedankenfreiheit am besten vorangebracht wird,
indem der menschliche Geist allmählich erhellt wird, was sich aus dem
Fortschreiten der Wissenschaft ergibt.
Es ist immer mein Anliegen gewesen zu vermeiden, über Religion zu schreiben,
und ich habe mich auf die Wissenschaft beschränkt. Ich könnte jedoch übermäßig
von dem Schmerz beeinflusst gewesen sein, den es einigen Mitgliedern meiner
Familie bereitet hätte, wenn ich in irgendeiner Weise gezielt Angriffe auf die
Religion unterstützt hätte.
(http://www.darwinproject.ac.uk/entry-12757)
(da sind offensichtlich in der
Legendenbildung zwei Geschichten ineinander geraten!)
B. „Darwin hat sich
auf dem Sterbebett von seiner Evolutionstheorie losgesagt“
·
„Darwin
starb in seinem Haus in Downe, Kent, am 26. April
1882. Es gab kein Gespräch am Sterbebett oder ein Abrücken (eine Zurücknahme)
von seiner Theorie, wie oft behauptet wird“.
(John van Wyhe: Darwin in
Cambridge, Christ´s College Cambridge, 2009, S.56)
C. „Darwin hat in
Cambridge das gleiche Zimmer bewohnt wie vor ihm William Paley”
·
„Es
gibt die Überlieferung, dass diese Räume einst von dem berühmten Naturtheologen
William Paley bewohnt wurden. Im Christ´s College
konnten keine Beweise dafür gefunden werden, dass diese Geschichte stimmt.“
(Paley hatte gemeint, jeder perfekt
funktionierende Teil der Schöpfung lasse zwingend auf einen intelligenten
Konstrukteur = Gott schließen)
(John van Wyhe: Darwin in Cambridge, Christ´s College Cambridge, 2009, S.30)
4. Darwin und der
christliche Glaube:
Darwin ist nicht Christ und auch nicht Atheist – sondern Theist und Agnostiker
Einiges zu Darwin und seinem Verhältnis zu Religion
wurde schon im Zusammenhang mit seinen Büchern klargestellt.
Seine
persönlichen biographischen Erfahrungen (vor allem der frühe Tod von dreien
seiner Kinder) haben ihn am Kinderglauben seiner ersten Lebensjahrzehnte (ver-)zweifeln lassen. Auch seine naturwissenschaftlichen
Einsichten führten zu Widersprüchen mit einer bestimmten Art des
Schöpfungsglaubens (Konstanz der Arten) und des Bibelverständnisses vieler
seiner Zeitgenossen. Gottes Wirken fand für ihn meist in weiter Ferne und durch
die Vermittlung von Naturgesetzen statt.
Darwin
hat aber zeitlebens der Religion Hochachtung entgegengebracht, und er hat auch
in seinen wissenschaftlichen Werken vom „Schöpfer“ reden können.
Der öffentliche Streit um die Evolutionstheorie zwischen Kirche und
Naturwissenschaft passte Darwin gar nicht. Solche Fragen gehörten für ihn in
den Privatbereich.
Um (s)einen Glauben hat er lebenslang gerungen. Fast ein Zehntel der Seiten in seiner
Autobiografie sind diesem Thema gewidmet.
Dort
schreibt er:
„Ein
anderer Grund für den Glauben an die Existenz Gottes, der mit der Vernunft,
nicht mit Gefühlen zusammenhängt, scheint mir mehr ins Gewicht zu fallen.
Dieser Grund ergibt sich aus der extremen Schwierigkeit oder eigentlich
Unmöglichkeit, sich vorzustellen, dieses gewaltige, wunderbare Universum
einschließlich des Menschen mitsamt seiner Fähigkeit, weit zurück in die
Vergangenheit und weit voraus in die Zukunft zu blicken, sei nur das Ergebnis
blinden Zufalls oder blinder Notwendigkeit. Wenn ich darüber nachdenke, sehe
ich mich gezwungen, auf eine Erste Ursache zu zählen, die einen denkenden Geist
hat, gewissermaßen dem menschlichen Verstand analog; und ich sollte mich wohl
einen Theisten nennen.
Wenn ich mich recht erinnere, beherrschte diese Schlussfolgerung mein Denken in
der Zeit, als ich Über die Entstehung von Arten schrieb;
seither schien sie mir ganz allmählich immer weniger überzeugend;
ich schwankte jedoch sehr …
Das Mysterium vom Anfang aller Dinge können wir nicht aufklären; und ich
jedenfalls muss mich damit zufrieden geben, Agnostiker zu bleiben.“
(Charles Darwin: Mein Leben, Insel TB S.102f.)
Darwin
hat auch an anderer Stelle klargestellt, dass er Agnostiker sei, nicht Atheist. Was ist der Unterschied?
Der
Agnostizismus ist eine Weltanschauung, die insbesondere die prinzipielle
Begrenztheit menschlichen Wissens betont. Die Möglichkeit der Existenz
transzendenter Wesen oder Prinzipien wird vom Agnostizismus nicht bestritten.
Agnostizismus ist sowohl mit Theismus als auch mit Atheismus vereinbar, da der
Glaube an Gott möglich ist, selbst wenn man die Möglichkeit der rationalen
Erkenntnis Gottes verneint.
Die Frage „Gibt es einen Gott?“ wird vom Agnostizismus dementsprechend nicht
mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet, sondern mit „Es ist nicht geklärt“, „Es ist
nicht beantwortbar“.
Unabhängig davon ist die Frage „Glauben Sie an einen Gott?“.
Diese
ist auch von einem Agnostiker mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortbar.
(Und
erst ein NEIN auf diese Frage würde den Atheisten kennzeichnen)
(Wikipedia
23.2.2009)
Brief
von Charles Darwin an Asa Gray, 22.5.1860
Was nun die theologische Ansicht der Frage
betrifft. Das ist immer peinlich für mich. Ich bin ganz bestürzt. Ich habe
durchaus nicht die Absicht gehabt, atheistisch zu schreiben. Ich gesteh aber
zu, dass ich nicht so deutlich, wie es andere sehen und wie ich selbst tun zu
können wünschte, Beweise von Absicht und von Wohltätigkeit auf allen Seiten um
uns herum erkennen kann. Ich kann mich nicht dazu überreden, dass ein
wohlwollender und allmächtiger Gott mit vorbedachter Absicht die Ichneumiden oder Schlupfwespen erschaffen haben würde mit
der ausdrücklichen Bestimmung, sich innerhalb des Körpers lebender Raupen zu
ernähren, oder auch, dass eine Katze mit den Mäusen erst spielen solle. Da ich
hieran nicht glauben kann, sehe ich auch keine Notwendigkeit zu dem Glauben
ein, dass das Auge ausdrücklich beabsichtigt wurde. Auf der anderen Seite kann
ich mich doch in keinerlei Weise damit befriedigt fühlen, dieses wunderbare
Universum, und besonders die menschliche Natur, zu betrachten und zu folgern,
dass alles nur das Resultat der rohen Kraft ist. Ich bin geneigt, alles als das
Resultat vorausbestimmter Gesetze anzusehen, wobei die Einzelheiten, mögen sie
gut oder schlimm sein, der Wirkung dessen überlassen wird, was man Zufall
nennen kann. Nicht, als wenn dieser Begriff mich durchaus befriedigte. Ich
fühle aufs Allertiefste, dass der ganze Gegenstand zu tief ist für den
menschlichen Intellekt.
(Leben und Briefe von Charles Darwin,
Herausgegeben von Francis Darwin, übersetzt von Julius Victor Carus, Stuttgart,
E. Schweizerbart´sche Verlagshandlung, 2. Auflage,
1899, II.Band, S.303)
Charles
Darwin an John Fordyce 7.5.1879
Es scheint mir absurd zu sein zu bezweifeln,
dass jemand sowohl ein leidenschaftlicher Theist wie auch ein Evolutionist sein
kann. - Sie haben recht, wenn Sie an Kingsley denken,
Asa Gray, der bedeutende Botaniker, ist ein anderes Beispiel dafür. – Was meine
eigenen Ansichten betrifft, so ist das eine Frage, die keinerlei Konsequenzen
für andere hat, sondern allein mich betrifft. – Aber wenn Sie mich fragen, muss
ich feststellen, dass mein Urteil häufig schwankt. Umsomehr
deswegen, weil es davon abhängt, wie man den Begriff definiert, ob man jemanden
einen Theisten nennen sollte: das ist ein zu gewaltiger Gegenstand, als dass
man ihn in einer kurzen Bemerkung abhandeln könnte. In den äußersten Zuständen
meines Schwankens bin ich niemals ein Atheist in dem Sinne gewesen, dass ich
die Existenz eines Gottes geleugnet hätte. Ich glaube, im Allgemeinen (und
desto mehr und mehr, je älter ich werde), aber nicht immer, dass Agnostiker die
genaueste Bezeichnung für meinen Seelenzustand sein würde.
(Letter
12041 - http://www.darwinproject.ac.uk/entry-12041)
Und wenn sich
Darwin auch an einer Stelle sehr knapp und scheinbar total ablehnend zum
Glauben äußert,
F. A. McDermott an Charles Darwin 23.11.1880
…
ich bin ein beschäftigter Mann und überhaupt kein kluger Mann und wenn ich das
Vergnügen haben würde, Ihre Bücher zu lesen, fühle ich, dass ich letzten Endes
meinen Glauben an das Neue Testament doch nicht verloren haben werde. Der
Grund, aus dem ich Ihnen schreibe, ist die Frage, auf die ich Sie bitte mit JA
oder NEIN zu antworten. Glauben Sie an
das Neue Testament? … wenn ich sagen könnte, dass der Verfasser dieser Lehre
wie ich daran glaubt, dass Christus der Sohn Gottes war …
(http://www.darwinproject.ac.uk/entry-12845)
(Die Antwort Darwins auf die im
vorstehenden Brief gestellte Frage:)
Charles Darwin an F. A. McDermott 24.11.1880
Es tut mir leid, dass ich Ihnen mitteilen
muss, dass ich die Bibel nicht für eine göttliche Offenbarung halte, und dass
ich daher nicht an Jesus als den Sohn Gottes glaube.
(http://www.darwinproject.ac.uk/entry-12851
)
so ist das vielleicht ein Stück weit auf dem
Hintergrund zu verstehen, dass Charles Darwin und seine Frau in ihrem Glauben
den Ansichten des Unitarismus nahe standen:
Unitarianismus (Unitarismus): wichtige
Grundüberzeugungen
• Ablehnung der Lehre von der Trinität
• der Glaube an Einen
Gott; Einheit (unity) Gottes
• Leben und Lehre von Jesus bilden ein
mustergültiges Beispiel, um das eigene Leben zu leben
• Vernunft, Verstand, rationales Denken,
Wissenschaft und Philosophie sind verträglich mit dem Glauben an Gott
• Menschen haben die Fähigkeit, ihren freien
Willen auszuüben, verantwortlich, aufbauend und ethisch; mithilfe der Religion
• die Natur des Menschen heute ist nicht
notwendig verdorben oder schlecht, es gibt keine Erbsünde, der Mensch ist zu
beidem fähig und kann sich für Gut oder Böse entscheiden, wie Gott das
beabsichtigt hat
• keine Religion kann beanspruchen, allein im
Besitz des Heiligen Geistes oder der (theologischen) Wahrheit zu sein
• die Autoren der Bibel waren von Gott
inspiriert, sind aber fehlbare Menschen
• keine Vorherbestimmung und ewige
Verdammnis, keine Sühne-Theologie
• kein Glaube an Jungfrauengeburt Jesu oder
an die Wunder der Evangelien
(http://en.wikipedia.org/wiki/Unitarianism
10.3.2010)
5.
verwendete und weiterführende Quellen und Literatur:
·
Darwin,
Ch.: Die Abstammung des Menschen und die Zuchtwahl in
geschlechtlicher Beziehung, Reclam, Leipzig o.J., Bd. II
·
Darwin,
Ch.: Die Entstehung der Arten durch natürliche
Zuchtwahl, Reclam Leipzig 1980
·
Darwin,
Ch.: Mein Leben, Insel Taschenbuch, Frankfurt/Main,
2008
·
Neffe,
J.: Darwin – das Abenteuer des Lebens, Goldmann München, 2010
·
Steinmüller,
A., Steinmüller, K.: Charles Darwin – vom Käfersammler zum Naturforscher Verlag
Neues Leben Berlin, 1985; überarbeitete Neuauflage unter dem Titel „Darwins
Welt“, Oekom Verlag München, 2008
·
Internetseite
mit Zugang zu fast allen Dokumenten von und über Charles Darwin: http://darwin-online.org.uk/
·
weitere
ausgewählte Zitate aus Darwins Büchern und Briefen finden Sie unter: http://www.krause-schoenberg.de/SB22_zitate_darwin.htm
·
Das
„Darwin Correspondence Project“ – Sammlung aller
erhaltenen Briefe, die Charles Darwin geschrieben und erhalten hat: http://www.darwinproject.ac.uk/home
·
Buch:
Joachim Krause: „Was Charles Darwin geglaubt hat“, Wartburg-Verlag Weimar 2012,
72 Seiten (Auszüge: http://www.krause-schoenberg.de/darwin_buch_info.htm
)